Als die ersten Gastarbeiter nach Deutschland kamen, fanden sie zunächst noch wenig
Beachtung, da sie einen nur sehr geringen Anteil der Bevölkerung ausmachten.
Da sich nach dem Rotationsprinzip zwischen den 50er und den 70er Jahren die Zuzüge und
Abwanderungen ungefähr die Waage hielten und die Arbeiter nur selten ihre Familien mit nach
Deutschland brachten, da ihr Aufenthalt nur für einen kürzeren Zeitraum geplant war, war noch
keine massenhafte Migration zu verzeichnen.
Erst zum Beginn der 70er Jahre fand eine Familienzusammenführung statt, was eine hohe
Einwanderungsrate bedeutete und größere soziale Veränderungen auch kultureller und
religiöser Art bewirkte. Diese Auswirkungen zeigten sich in Folge auch in der Schule, wodurch
die Situation der Kinder mit Migrationshintergrund in deutschen Schulen zu einem öffentlichen
Skandal wurde und pädagogische Wissenschaftler im staatlichen Auftrag damit begannen, sich
mit dieser Situation zu beschäftigen. Allerdings darf bei dieser Entwicklung keinesfalls
vergessen werden, dass Heterogenität auch vor der Phase der Arbeitsmigration vorhanden war,
diese allerdings aufgrund ihrer nicht so auffälligen Ausprägung entweder nicht wahrgenommen
oder aber ignoriert wurde.
Dies läutete in der Pädagogik in den 70er Jahren die erste Phase ein, die von der
Ausländerpädagogik als kompensatorische Erziehung und der Assimilationspädagogik geprägt
war und den kulturellen sowie religiösen Hintergrund dieser Kinder nicht beachtete.
In dieser Phase wurden die Sprachschwierigkeiten als dominantes, weil auffälligstes Problem
wahrgenommen, dem man versuchte beizukommen. Die deutsche Sprache sollte erlernt
werden, damit sich die Kinder mit Migrationshintergrund möglichst schnell in den
Regelunterricht einfügen konnten. Zudem sollte durch den muttersprachlichen
Ergänzungsunterricht, der von muttersprachlichen Lehrern nach dem Curriculum des
Herkunftslandes, ohne Bezug zum sonstigen Unterricht der Kinder unterrichtet wurde, die
Rückkehrfähigkeit erhalten bleiben.
Im Vordergrund stand also ein Abbau von Defiziten, der die Assimilation der Kinder mit
Migrationshintergrund ermöglichen sollte.
Die grundsätzliche monokulturelle, monolinguale und auch monoreligiöse Ausrichtung des
Schulsystems sowie des Unterrichts wurden dabei nicht hinterfragt und die Entstehung einer
multikulturellen Gesellschaft, die sich bereits zu der Zeit auch in der Schule bemerkbar machte, wurde noch nicht wahrgenommen. [...]
Inhaltsverzeichnis
1 Die pädagogische Reaktion auf die durch Migration entstandene Heterogenität in DeutschlandSeite
2 Die plurale Realität in der Gesellschaft und die daraus resultierende Notwendigkeit eines interkulturellen und interreligiösen Unterrichts
3 Interreligiöses Lernen und interreligiöser Unterricht
4 Die interreligiöse Dimension des Religionsunterrichts in Hessens neuen Lehrplänen
5 LER (Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde) in Brandenburg als Alternative zum konfessionellen Religionsunterricht
6 Literatur
1 Die pädagogische Reaktion auf die durch Migration entstandene und Heterogenität in Deutschland
Als die ersten Gastarbeiter nach Deutschland kamen, fanden sie zunächst noch wenig Beachtung, da sie einen nur sehr geringen Anteil der Bevölkerung ausmachten.
Da sich nach dem Rotationsprinzip zwischen den 50er und den 70er Jahren die Zuzüge und Abwanderungen ungefähr die Waage hielten und die Arbeiter nur selten ihre Familien mit nach Deutschland brachten, da ihr Aufenthalt nur für einen kürzeren Zeitraum geplant war, war noch keine massenhafte Migration zu verzeichnen.
Erst zum Beginn der 70er Jahre fand eine Familienzusammenführung statt, was eine hohe Einwanderungsrate bedeutete und größere soziale Veränderungen auch kultureller und religiöser Art bewirkte. Diese Auswirkungen zeigten sich in Folge auch in der Schule, wodurch die Situation der Kinder mit Migrationshintergrund in deutschen Schulen zu einem öffentlichen Skandal wurde und pädagogische Wissenschaftler im staatlichen Auftrag damit begannen, sich mit dieser Situation zu beschäftigen. Allerdings darf bei dieser Entwicklung keinesfalls vergessen werden, dass Heterogenität auch vor der Phase der Arbeitsmigration vorhanden war, diese allerdings aufgrund ihrer nicht so auffälligen Ausprägung entweder nicht wahrgenommen oder aber ignoriert wurde.
Dies läutete in der Pädagogik in den 70er Jahren die erste Phase ein, die von der Ausländerpädagogik als kompensatorische Erziehung und der Assimilationspädagogik geprägt war und den kulturellen sowie religiösen Hintergrund dieser Kinder nicht beachtete.
In dieser Phase wurden die Sprachschwierigkeiten als dominantes, weil auffälligstes Problem wahrgenommen, dem man versuchte beizukommen. Die deutsche Sprache sollte erlernt werden, damit sich die Kinder mit Migrationshintergrund möglichst schnell in den Regelunterricht einfügen konnten. Zudem sollte durch den muttersprachlichen Ergänzungsunterricht, der von muttersprachlichen Lehrern nach dem Curriculum des Herkunftslandes, ohne Bezug zum sonstigen Unterricht der Kinder unterrichtet wurde, die Rückkehrfähigkeit erhalten bleiben.
Im Vordergrund stand also ein Abbau von Defiziten, der die Assimilation der Kinder mit Migrationshintergrund ermöglichen sollte.
Die grundsätzliche monokulturelle, monolinguale und auch monoreligiöse Ausrichtung des Schulsystems sowie des Unterrichts wurden dabei nicht hinterfragt und die Entstehung einer multikulturellen Gesellschaft, die sich bereits zu der Zeit auch in der Schule bemerkbar machte,
wurde noch nicht wahrgenommen.
Dieses Vorgehen stieß jedoch bereits nach kurzer Zeit auf Kritik, da einige erkannten, dass man den Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund so nicht gerecht werden konnte.
Mit der anhaltenden wirtschaftlichen Rezession nahm zu dieser Zeit die Benachteiligung der Familien mit Migrationshintergrund zu und die Marginalität dieser Familien begann. So wurden die gesellschaftlichen Ursachen für die Probleme von Migranten entdeckt und während in der Öffentlichkeit die Einsicht wuchs, dass die Bundesrepublik zu einem Einwanderungsland geworden war, wurden die Migrantenkulturen zumindest teilweise in ihrer Bedeutung gewürdigt.
Durch die Impulse aus älteren Einwanderungsländern wurden in den frühen 80er Jahren auch die Konzepte der Interkulturellen Erziehung, deren Voraussetzung allerdings die Anerkennung der kulturellen und ethnischen Minoritäten als einem dauerhaften Bestandteil einer multikulturellen Gesellschaft ist, entwickelt und diskutiert.
So setzte in der Pädagogik die Phase der Interkulturellen Pädagogik für eine multikulturelle Gesellschaft, die sich vor allen Dingen an den Migrantenkulturen anstatt an den Herkunftskulturen orientiert, ein.
Die Interkulturellen Pädagogik wurde von der Vorstellung abgeleitet, dass an die Stelle eines kritikwürdigen Nebeneinanders quasi unveränderlicher Kulturen deren veränderungsbereite Begegnung treten müsse, also die für die Interkulturelle Pädagogik konstitutive interaktionistische Integration beider Seiten unter Akzeptanz kultureller Heterogenität. Diese Interkulturelle Pädagogik sollte sich nicht nur zur Problemlösung, sondern auch zur Entstehung neuer Bildungsmöglichkeiten nutzen lassen.
Es wurden erstmals ein Zusammenhang zwischen Annahmen über die Veränderung der Gesellschaft durch Migration, allgemeinpädagogischen Prinzipien und didaktischen Konsequenzen für den Unterricht aller Schüler expliziert.
Aus der teilweise kritisierten Interkulturellen Erziehung entwickelte sich in den 90er Jahren die Pädagogik der soziokulturellen Vielfalt, welche nicht mehr die kulturelle Differenz betont, sondern die unterschiedlichen Dimensionen der Vielfalt aufgezeigt. Somit werden Individuen nicht mehr bloß auf ihre Kultur reduziert, sondern ein individuelles Netzwerk geknüpft, das jeden Einzelnen von den anderen unterscheidet, was die plurale Realität der Gesellschaft, die Heterogenität, als Norm kennzeichnet.
Dieser kurze Überblick über die Entwicklung der Interkulturellen Pädagogik ist an dieser Stelle
deshalb so wichtig, da sich im Zuge der Veränderung des Umgangs mit kultureller
Heterogenität auch der Umgang mit der religiösen Heterogenität verändert hat. Während die Religionen der Minderheiten in den 70er Jahren (und davor) größtenteils keine Beachtung fanden, wird seit den 80er Jahren immer mehr Wert auf deren Einbezug in alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, wo Religion eine Rolle spielt, gelegt. So auch in der Pädagogik, vor allen Dingen in deren Teilbereich der Interkulturellen Pädagogik, und im alltäglichen Schulbetrieb.
2 Die plurale Realität in der Gesellschaft und die daraus resultierende Notwendigkeit eines interkulturellen und interreligiösen Unterrichts
Bei der Betrachtung der pluralen Realität in der Gesellschaft sind mehrere Dimensionen von Interesse. Dies sind die kulturelle Dimension, die religiöse Dimension sowie die soziale Dimension, die alle die Bereiche der Pluralität enthält, die weder in der religiösen noch in der kulturellen Dimension enthalten sind.
Auf diese Heterogenität muss insbesondere und nicht zuletzt auch der Religionsunterricht reagieren.
Im diesem Kontext des Religionsunterrichts sind besonders die religiöse sowie die kulturelle Dimension der Pluralität zu berücksichtigen, da diese maßgeblich für eine dieser Pluralität adäquate Konzeption sind.
Betrachtet man Statistiken, welche die Anteile ausländischer Bevölkerung in der Bundesrepublik darstellen ( z.B. http://www.destatis.de/basis/d/bevoe/bevoetab10.htm ), so lässt einen dies erahnen, wie groß die kulturelle Vielfalt sein könnte. Dabei sollte jedoch beachtet werden, dass diese Statistiken lediglich die „passport-countries“ aufführen, welche nicht mit Kulturen gleichzusetzen sind. Menschen die eingebürgert wurden sind in dieser Statistik ebenso wenig enthalten wie Aussiedler aus osteuropäischen Ländern, die laut Gesetz deutsche Staatsbürger sind. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass auch die Kulturen von Menschen mit deutschen Eltern, die zudem in Deutschland geboren wurden, nicht identisch sein müssen.
Möchte man die religiöse Vielfalt abschätzen, so ist dies auch nur in begrenztem Maße möglich. Zwar lassen sich relativ detaillierte Statistiken ( z.B. http://www.uni-leipzig.de/~religion/remid_info_zahlen.htm#kath ) betrachten, die verschiedenste Religionen
aufführen, jedoch werden hier sehr kleine Religionen zum Teil nicht aufgeführt und die Vielfalt der individuellen Religiosität, welche durchaus gesteigerte Beachtung finden muss, außen vor gelassen.
Dies zeigt zwar die Problematik der Bestimmung der kulturellen sowie der religiösen Vielfalt, soll jedoch an dieser Stelle zu einer annähernden Verdeutlichung der lebensweltlichen Heterogenität in Deutschland hinreichend sein.
Dies zeigt sich auch in dem wachsenden Bewusstsein, dass der Islam nach dem Christentum die größte Religion in Deutschland darstellt (ca. 3,2 Millionen Menschen in Deutschland sind Muslime) sowie der Präsenz des (zahlenmäßig kleineren) Judentums. So muss auch im Klassenzimmer von religiösen Einstellungen ausgegangen werden, die nicht über einen Kamm zu scheren sind
Diese Heterogenität, wie sie sich in den Statistiken unscharf abzeichnet und im Alltag konkret erfahrbar ist, wird von Theoretikern wie Jean-François Lyotard und Jürgen Habermas als Charakteristikum der Postmoderne aufgeführt.
Da nach Lyotard diese Heterogenität nicht auf einen gemeinsamen Ursprung zurückzuführen ist, sei einem Versuch, innerhalb dieser Heterogenität das Prinzip des Universalismus zu etablieren, das Scheitern bereits inhärent. Jeglicher Einheitswunsch ist nach Lyotard überholt, da dieser empirisch gesehen an der postmodernen Gesellschaft scheitern müsse. Allerdings sieht er auch eine normative Überholtheit und einen Gewinn im Zusammenbruch solcher Wünsche, da mit diesem keine Form der geistigen Unterdrückung legitimiert werden könne. Kein Erkenntnis- und kein Lebensmuster dürfe Vorrang vor einem anderen genießen.
Bei Jürgen Habermas ist der Grundtenor zwar der gleiche, jedoch setzt er dem von Lyotard angestrebten Partikularismus die Verpflichtung, Gemeinsamkeiten zu finden, entgegen, obwohl nicht alles gleich ist und gleich sein soll.
Er sieht in der Pluralität der Gesellschaft zugleich Chancen wie einen enormen Freiheitszuwachs und eine Vielzahl an Wahlmöglichkeiten für den einzelnen, und auch Risiken wie die Begünstigung fundamentalistischer und neoliberaler Positionen.
Diese gilt es demnach für den interkulturellen wie interreligiösen Unterricht auszuloten und jeweils zu unterstützen bzw. zu bekämpfen.
Obwohl Traditionen, kulturelle Werte und Religionen in der postmodernen Gesellschaft durch die Betonung der Rationalität und der Vernunft sowie des autonomen Individuums einen Wertverlust zu verzeichnen haben, sind sie doch für die Gesellschaft und ihre Pluralität bestimmend und müssen eine angemessene Beachtung finden. Dies ist besonders deshalb so
wichtig, da die postmoderne Situation weltanschaulicher Pluralität für die jüngere Generation zwar Normalität sein mag (s. Ziebertz 2001, S. 68) aber wohl nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit sein muss. Dies zeigt sich immer wieder, auch bei der jüngeren Generation, in Form von Ausländerfeindlichkeit, Verachtung und Marginalisierung anderer Religionen und anderem. Diesem muss ein interkultureller sowie interreligiöser Unterricht entgegenwirken und zur Entwicklung einer interkulturellen sowie interreligiösen Kompetenz verhelfen, die Vorurteilsbildung weitestgehend verhindert. Dieser Unterricht muss sowohl interkulturelle als auch interreligiös sein, denn „interkulturelles Lernen ist ohne den Einbezug interreligiöser Fragen nicht möglich, und umgekehrt kann interreligiöses Lernen nicht auf die umfassenderen kulturellen Aspekte verzichten“ (Ziebertz 2001, S. 435).
Für die Religionen, die aus ihrer traditionellen Verfasstheit heraus einen mehr oder minder exklusiven Wahrheitsanspruch vertreten, stellt sich in diesem Kontext der Pluralität, unabhängig von der faktischen Präsenz verschiedener Religionen, die Frage nach dem Umgang mit derselbigen sowie nach einer angemessenen Religionsdidaktik.
3 Interreligiöses Lernen und interreligiöser Unterricht
Die kulturelle und die religiöse Pluralität in der Gesellschaft gehören inzwischen zu den Rahmenbedingungen des schulischen Lernens, denen sich auch der Religionsunterricht nicht entziehen kann.
Im Hinblick auf schulisches Lernen ist die Herausforderung die Wahrnehmung sowie Beachtung der Pluralität, wozu ein kommunikativ-dialogischer Religionsunterricht, bei dem Befragen- und Hinterfragen-Können Prinzipien des religiösen Lernens sind, die wohl am besten geeignete Lösung ist.
Die Angehörigen einer religiösen Tradition sollen im Rahmen des interreligiösen Lernens die Bereitschaft entwickeln, religiöse Erfahrungen anderer Traditionen wahrzunehmen und für das eigene Leben und den eigenen Glauben eigenständig und reflexiv zu nutzen. So hat interreligiöses Lernen nicht bloß eine religiöse Dimension, sondern ebenso ganzheitliche, emotionale, kognitive, sprachliche und kreative Dimensionen. Dazu muss „die Möglichkeit der Erprobung von Haltungen, der Prüfung von Rollen, der spielerischen Identifizierung mit Antworten anderer auf „die großen Fragen“ (Schieder 2000, S. 189) gegeben sein, wofür ein gut konzipierter interreligiöser Unterricht einen geeigneten Rahmen darstellt.
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- Quote paper
- Eva Busch (Author), 2003, Interreligiöser Unterricht in Brandenburg und Hessen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/14723
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