Die Vorstellung vom Journalisten als einem "Gatekeeper" – englisch für Schrankenwärter (vgl. Leo 2003) oder Pförtner (vgl. Systran 2003) – prägte der us-amerikanische Soziologe David Manning White in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Einige Jahre zuvor fand sich der Terminus erstmals bei Kurt Lewin, dessen sozialpsychologische Untersuchungen in den USA der vierziger Jahre Kaufentscheidungsprozesse amerikanischer Hausfrauen zum Gegenstand hatten. In seinen Studien zu gruppendynamischen Prozessen entwickelte Lewin die Theorie, dass nicht alle Mitglieder einer sozialen Gruppe die gleiche Kontrolle auf einen Entscheidungsprozess ausüben. In der Gruppe der amerikanischen Hausfrauen gab es solche, die den Entscheidungsprozess bewusster durchliefen, sodass Lewin den Schluss zog "that social change could best be accomplished by concentrating on those people with the most control over food selection for he home." (Lewin nach Shoemaker 1991: S.6)
Inhalt
1. Einführung und Einordnung
1.1 Herkunft des Begriffes "Gatekeeper" und weitere relevante Termini
1.2 Einordnung des Gatekeeper-Modells in einen Forschungszusammenhang
2. Der Journalist im als Gatekeeper
2.1 Der individualistische Ansatz – die frühe Gatekeeper-Forschung
2.1.1 White/Snider und “Mr. Gates”
2.1.2 McNelly/Bass und der „news flow“
2.2 Der institutionelle Ansatz – der Journalist im organisatorischen Gefüge
2.2.1 Breeds Theorie der „social control“
2.2.2 Gieber und der „mechanical selection process“
2.2.3 Westley/McLean und die Organisation als Gatekeeper
2.3 Das kybernetische Modell – journalistische Handlung in Lernprozessen
2.3.1 Deutsch/Cadwallader und das „stabilisierende Verhaltensschema“
2.3.2 Joch-Robinson und die Feed-Back-Schleifen
2.3 Das integrative Modell – Versuch einer Zusammenführung aller Ansätze
3. Abschließende Betrachtung
Anhang
Literaturverzeichnis
1. Einführung und Einordnung
1.1 Herkunft des Begriffes "Gatekeeper" und weitere relevante Termini
Die Vorstellung vom Journalisten als einem "Gatekeeper" – englisch für Schrankenwärter (vgl. Leo 2003) oder Pförtner (vgl. Systran 2003) – prägte der us-amerikanische Soziologe David Manning White in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Einige Jahre zuvor fand sich der Terminus erstmals bei Kurt Lewin, dessen sozialpsychologische Untersuchungen in den USA der vierziger Jahre Kaufentscheidungsprozesse amerikanischer Hausfrauen zum Gegenstand hatten. In seinen Studien zu gruppendynamischen Prozessen entwickelte Lewin die Theorie, dass nicht alle Mitglieder einer sozialen Gruppe die gleiche Kontrolle auf einen Entscheidungsprozess ausüben. In der Gruppe der amerikanischen Hausfrauen gab es solche, die den Entscheidungsprozess bewusster durchliefen, sodass Lewin den Schluss zog "that social change could best be accomplished by concentrating on those people with the most control over food selection for he home." (Lewin nach Shoemaker 1991: S.6)
In seiner "theory of channels and gate keepers" von 1947 unterteilte Lewin den Entscheidungsprozess, den er als Kanal, also als sog. "channel" abbildete, in mehrere Einheiten, genannt "sections", wobei er den Eingang zu einem jeden Kanal als "gate", also Pforte, bezeichnete. In den "gate areas" würden Entscheidungen getroffen, beeinflusst durch allgemeine Verhaltensregeln oder personalisiert durch einen oder mehrere sogenannte "gate keeper", also Pförtner oder Schleusenwärter. Dabei bezeichnete Lewin die jeweiligen Kräfte, die auf eine einzelne Entscheidungssituation einwirkten, als "gate forces", in seiner Studie etwa die attraktive Aufmachung eines Produktes gegenüber dem als hoch empfundenen Preis während einer konkreten Kaufentscheidung im Supermarkt. Er stellte weitergehend die Hypothese auf, dass "die Faktoren, die über die Bewegungsrichtung und den 'Durchlass' entscheiden, auch die Entscheidungen des Gatekeepers erklären können und dass eine Veränderung sozialer Prozesse die Beeinflussung oder den Austausch des Gatekeepers bedeutet." (Joch-Robinson 1973: S.344) Er sprach seiner Theorie eine generelle Gültigkeit zu: "This situation holds not only for food channels but also for the traveling of a news item through certain communication channels in a group, for movement of goods, and the social locomotion of individuals in many organizations." (Lewin nach Shoemaker 1991: S.9)
Die weitergehende Anwendbarkeit von Lewins theoretischem Gerüst sah auch David Manning White, griff die Idee der Unterteilung eines Informationsflusses auf und bezog sie konkret auf die Selektion von Information durch den Journalisten als einem "gatekeeper". White untersuchte das Nachrichten-Auswahlverhalten eines Redakteurs am Fernschreiber bei einer kleineren us-amerikanischen Tageszeitung. Er nannte diesen "wire editor" in seiner Studiendokumentation sprechenderweise "Mr. Gates".
1.2 Einordnung des Gatekeeper-Modells in einen Forschungszusammenhang
Der Begriff "Gatekeeper-Forschung" impliziert, dass der Fokus dieser Forschungsrichtung auf den Überträger einer Nachricht, den Gatekeeper als Kommunikator, gerichtet ist. Tatsächlich untersuchte White in seiner Studie weder die Nachrichtenquelle, noch verfolgte er die Rezeption der "geschleusten" Nachricht durch die Zeitungsleser. Eine Woche lang beobachtete er die Selektion der über Fernschreiber eintreffenden Agentur- Nachrichten durch den "wire editor", der am Ende eines jeden Tages schriftlich begründen musste, was ihn zu der jeweiligen Negativ- bzw. Positiv-Auswahl bewogen hatte. Kritisiert wurde an Whites Schlüssen, die er aus den Untersuchungen zog, dass er sich bei seiner Studie ausschließlich auf die persönlichen Auswahlkriterien des Redakteurs konzentriert hatte und dabei mögliche Einflussfaktoren[1], wie z.B. Redaktionsrichtlinien, unbeachtet gelassen hatte. White löste mit seiner Untersuchung eine erste empirische Welle (vgl. Rühl 1995: S.126) der kommunikatorzentrierten Forschung aus, die – trotz aller Kritik und späteren Erweiterungen – seine Vorstellung vom Journalisten als Gatekepper als Grundlage annahm. Auf Whites individualistischem Ansatz, sowie in der späteren Gatekeeper-Forschung entstandene Ansätze werde ich im Hauptteil genau eingehen.
Der Ansatz der Gatekeeper-Forschung – auch in all seinen Erweiterungen – geht der Frage nach: "Wie funktioniert Informationsselektion?"[2]. Im Unterschied zu Forschungsrichtungen, die die Wirkung der Medienkonstruktion untersuchen, oder auch den Nutzen für den Rezipienten, möchte die Gatekeeper-Forschung herausfinden, wer ("gate keeper") warum[3] unter welcher Beeinflussung ("gate forces") Information selektiert und so zu einer Medienkonstruktion beiträgt. Als Grundlage ist die Gatekeeper-Forschung jedoch auch für die Medienwirkungsforschung von hoher Bedeutung. Betrachtet man etwa die Idee hinter der Agenda-Setting-Hypothese, nach der Massemedien hauptsächlich beeinflussen, worüber die Rezipienten nachzudenken haben, also welche Themen diese auf ihre "Tagesordnung" setzen (vgl. Burkart 1995: S.240), schließt sich die Frage nach dem "Thematisierer", also dem Kommunikator direkt an. In einer Studie während des Präsidentschaftswahlkampfes 1972 stellten McCombs/Shaw hohe Korrelationen zwischen der Themenstruktur in den Medien und den thematischen Prioritäten der Wähler fest. (vgl. McCombs/Shaw nach Burkart 1995: S.241). Ob nun hier ein Kausalzusammenhang tatsächlich hinreichend belegbar ist, kann an dieser Stelle nicht dikutiert werden. Eins sollte jedoch gezeigt werden: würden Journalisten nicht als Gatekeeper in den Massenmedien fungieren, würde sich die Frage nach dieser Thematisierungsfunktion, die einen durch die Auswahl des Kommunikators ausgelösten kognitiven Effekt unterstellt, nicht stellen.
Die Frage nach dem Prozess der Informationsselektion mit all seinen beeinflussenden Faktoren führt zu der Frage "Wie entsteht Medienrealität?". Denn "nicht Abbildung, sondern Auswahl und Interpretation sind die elementaren Kennzeichen jedweder medialen Berichterstattung" (Burkart 1995: S.264). Und in diesen Zusammenhang ist die Gatekeeper-Forschung einzuordnen: in die Erforschung der Konstruktion medialer Realität auf einer konkreten Ebene. Wie auch bei den Ansätzen der sog. News Bias- Forschung, der Nachrichtenwert-Forschung oder der instrumentellen Aktualisierung wird bei der Gatekeeper-Forschung der Selektionsprozess isoliert betrachtet. Die Nachrichtenwert-Forschung versucht Nachrichtenauswahl und Nachrichtengestaltung auf spezifische Eigenschaften und Qualitäten von Ereignissen zurückzuführen. Die News- Bias-Forschung unternimmt den Versuch, Unausgewogenheit, Einseitigkeit und politische Tendenz zu messen und Aufschluss über deren Ursachen zu erhalten. Der Vorgang der instrumentellen Aktualisierung beschreibt – in Weiterführung des Nachrichtenwert- Ansatzes – nach Kepplinger die zielgerichtete Nachrichtenselektion durch Journalisten, bei der weniger die natürliche Relevanz der Nachrichten über deren Publikation entscheidet, sondern vielmehr die mögliche instrumentelle Verwendung der Meldung mit dem Ziel einer bestimmten Konfliktlösung oder politischen Entscheidung (vgl. Burkart 1995: S.273 f.).
Grundsätzlich untersucht die Gatekeeper-Forschung also die Schlüsselfunktion von Journalisten bei der Informationsselektion. Alle klassischen Organisationen und auch moderne Kommunikationsnetze verfügen über "Gatekeepers" – Pförtner an der Pforte zwischen Organisation und Umwelt – , die nach Informationen Ausschau halten und sowohl das Eindringen als auch das Versenden von Informationen über die Grenzen der Organisation bzw. des Netzwerkes hinaus oder auch die Zirkulation von Informationen innerhalb einer Organisation bzw. innerhalb eines Netzes kontrollieren. Diese Rolle bewegt sich zwischen der des Beobachters und Anregers, der die gezielte Aufnahme von Informationen in die Organisation vorschlägt, und der des Zensors, der Informationen nicht durchlässt. Der Blick auf die Redaktion als Organisation lässt die Gatekeeper- Forschung auch Teil der Redaktionsforschung einordnen. Weniger der individualistische als vielmehr der institutionelle Ansatz sind grundlegend für eine solche Forschungsrichtung (vgl. Rühl 1989: S.253 f.).
Im Folgenden werde ich die bekanntesten Ausprägungen und Studien im Rahmen der Gatekeeper-Forschung orientiert an der Einteilung nach Joch-Robinson[4] vorstellen und versuchen, sie gegeneinander abzugrenzen.
[...]
[1] vgl. weiter oben den Begriff der "gate forces"
[2] Leo Rosten stellte 1937 fest: "A newspaper is neither a chronology, an almanac, nor a history. […] The entire process [...] rests upon selection" (Leo Rosten nach Shoemaker 1991: S.5)
[3] White beurteilte die Selektionskriterien des Mr. Gates als "highly subjective" (vgl. White nach Shoemaker 91: S.10), die spätere Forschung untersucht insbesondere das redaktionelle Umfeld als maßgebenden Einflussfaktor
[4] Soweit mir bekannt ist, war sie die erste, die 1973 die Einteilung der Richtungen in individualistischen, institutionellen und kybernetisch-strukturellen Ansatz vornahm
- Arbeit zitieren
- Magistra Artium Katharina Kirsch (Autor:in), 2003, Der Journalist als Gatekeeper - die Forschungsansätze im Überblick, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/14661
-
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen.