From the early Hollywood history on there has been a constant output of films concerning mental illnesses. However, not a single mental illness has been exploited so extensively than the rare syndrome of multiple personality disorder. Films concerning multiple personality disorder are a popular and enduring genre,
whose influence can be seen throughout mainstream cinema. Therefore, exploration of literary texts dealing with multiple personality disorder and their adaptation to mainstream moving pictures is an interesting approach to psychology, literature and
film studies. Despite being “detective story” and “crime story” narratives and confirmed to the codes of the psychological thriller, representations of multiple personality disorder correspond closely to contemporary thinking about its
phenomenology and causes.
Inhaltsverzeichnis
0. Abstract
1. Einleitung
2. Die Multiple Persönlichkeitsstörung
2.1 Definition: Dissoziative Störungen
2.2 Definition: Multiple Persönlichkeitsstörung
2.2.1 Zugehörige Beschreibungsmerkmale und psychische Störungen
2.2.2 Zugehörige Laborbefunde
2.2.3 Zugehörige körperliche Untersuchungsbefunde und medizinische Krankheitsfaktoren
2.2.4 Besondere kulturelle und Geschlechtsmerkmale
2.2.5 Prävalenz
2.2.6 Verlauf
2.2.7 Differentialdiagnose
2.2.8 Diagnostische Kriterien
2.3 Zweifel an der Realität der Multiplen Persönlichkeitsstörung
2.3.1 Multiple Persönlichkeit und Schizophrenie
2.3.2 Multiple Persönlichkeitsstörung und Dissoziative Identitätsstörung
2.4 Gedächtnis und Erinnerung
2.4.1 Das psychische Trauma
2.4.2 Die Gedächtniswissenschaften
3. Dr. Jekyll and Mr. Hyde
3.1 Die Novelle „The Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde“
3.2 Der Film „Dr. Jekyll and Mr. Hyde“
3.3 Ein Vergleich zwischen Novelle und Film
3.3.1 Point of view
3.3.2 Darstellung der Multiplen Persönlichkeitsstörung
3.4 Das Werk im Kontext seiner Zeit.
3.4.1 Einflüsse aus der zeitgenössischen Psychologie.
3.4.2 Religiöse Deutungsmuster
3.4.3 Viktorianismus
3.4.4 Einflüsse der Romantik
4. The Talented Mr. Rilpley
4.1 Der Roman
4.2 Der Film
4.3 Ein Vergleich zwischen Roman und Verfilmung
4.3.1 Erzählperspektive
4.3.2 Offenes Ende
4.4 Tom Ripleys Identitäten
4.5 Tom Ripleys Trauma
5. Fight Club
5.1 Der Roman
5.2 Der Film
5.3 Ein Vergleich zwischen Roman und Verfilmung
5.4 Point of View
5.5 Metafilmische Elemente
5.6 Darstellung von innerer Fragmentierung auf der filmischen Ebene
5.7 Symptome der Multiplen Persönlichkeitsstörung
6. Fazit
7. Literatur- und Medienverzeichnis
0. Abstract
From the early Hollywood history on there has been a constant output of films concerning mental illnesses. However, not a single mental illness has been exploited so extensively than the rare syndrome of multiple personality disorder. Films concerning multiple personality disorder are a popular and enduring genre, whose influence can be seen throughout mainstream cinema. Therefore, exploration of literary texts dealing with multiple personality disorder and their adaptation to mainstream moving pictures is an interesting approach to psychology, literature and film studies. Despite being “detective story” and “crime story” narratives and confirmed to the codes of the psychological thriller, representations of multiple personality disorder correspond closely to contemporary thinking about its phenomenology and causes.[1]
Some films confuse multiple personality disorder with schizophrenia. Other misconceptions include steady violence and that every mentally ill person owns one dark secret. Critics of multiple personality disorder have put forward that popular accounts increase its profile. Literature and film may suggest the possibility of multiple personality disorder to susceptible people, including doctors.[2] Indeed, those people who are prone to multiple personality disorder are also prone to suggestion.
My approach to multiple personality disorder is, first of all, to look at scientific definitions, causes and syndromes. In the second step, the major Hollywood movies “Dr. Jekyll and Mr Hyde” (1932), “The Talented Mr. Ripley” (1999) and “Fight Club” (1999) and the literary source material on which they are based will be analysed. In the third and last step, findings will be summed up.
1. Einleitung
Multiple Persönlichkeiten haben nicht zuletzt durch die Psychoanalyse Einzug in die Literatur und vor allem in den Hollywood-Film gefunden. Autoren wie Robert Louis Stevenson, Patricia Highsmith und Chuck Palahniuk haben in ihren Romanen zeitgenössische Theorien aus der Psychoanalyse verwertet. Eine Untersuchung der drei Romane „The Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde“ (1886), „The Talented Mr. Ripley” (1955) und „Fight Club” (1996) ist insofern interessant, als dass man Entwicklungen in der Psychologie an ihrem Beispiel mitverfolgen kann.
Insbesondere der Hollywood-Film hat seit Alfred Hitchcocks „Psycho“ (1960) eine ganze Reihe von Filmen, die durch psychoanalytische Theorien beeinflusst wurden, hervorgebracht. Ein neues Genre, der Psycho-Thriller, entstand mit Alfred Hitchcock als Vorreiter. Inzwischen hat sich dieses Genre als erfolgreich etabliert und bringt Jahr für Jahr neue Filme hervor.
Darunter gibt es eine ganze Reihe von Filmen, die sich mit der Multiplen Persönlichkeitsstörung befassen. Diese Filme decken jedoch ein breites Spektrum von Genres ab. „Sybil“ (1976) erzählt die wahre Geschichte einer Frau mit Multipler Persönlichkeitsstörung, die von der Psychologin Dr. Cornelia Wilbur behandelt wurde und hat somit einen dokumentarischen Charakter. „Me, Myself & Irene“ (2000) nimmt das Thema komödiantisch auf die Schippe. Ein gutmütiger Polizist (gespielt von Jim Carrey) wird durch sein böswilliges Alter-Ego in eine Reihe kompromittierender Situationen gebracht, bis er durch die Liebe zu einer Frau schlussendlich geheilt wird. Der Großteil der Filme lässt sich aber dem Psycho-Thriller zuordnen, so wie „Color of Night“ (1994), „Dressed to Kill“ (1980) oder „Identity“ (2003), in denen das Thema auf reißerische Art und Weise verarbeitet wird.[3]
Meine Examensarbeit wird sich auf die Analyse dreier Filme beschränken, die zugleich Verfilmungen der drei untersuchten Romane sind. Es handelt sich dabei um „Dr. Jekyll and Mr. Hyde“ (1932) von Rouben Mamoulian, „The Talented Mr. Ripley“ (1999) von Anthony Minghella und „Fight Club“ (2000) von David Fincher. Diese Verfilmungen wurden ausgewählt, weil es sich um gelungene und erfolgreiche Adaptionen des Stoffes handelt.
Der Zweck dieser Examensarbeit besteht darin, die Wechselbeziehung von psychoanalytischer Theorie und literarisch-filmischer Umsetzung von Multipler Persönlichkeitsstörung zu untersuchen. So ist mitunter auch durch Filme die Meinung entstanden, es handele sich bei gespaltener Persönlichkeit um Schizophrenie.[4]
Zunächst werde ich mich dafür mit der Definition der Multiplen Persönlichkeitsstörung auseinander setzen und ihren in der Psychologie umstritten Status und die Abgrenzung zur Schizophrenie behandeln. Anschließend werden die Romane und Filme auf die Umsetzung der Multiplen Persönlichkeitsstörung hin analysiert. Der letzte Schritt besteht in einer Zusammenfassung der Ergebnisse.
2. Die Multiple Persönlichkeitsstörung
Zu einer exakten Definition der Multiplen Persönlichkeitsstörung muss diese zunächst genauer verortet werden im Spektrum psychischer Störungen. Hierzu wurden zwei Standard-Handbücher für die Klassifikation psychischer Erkrankungen herangezogen. Sowohl die ICD-10-Klassifikation[5] psychischer Störungen als auch das Diagnostische und Statistische Manual Psychischer Störungen – Textrevision – DSM-IV-TR ordnet die Multiple Persönlichkeitsstörung der Obergruppe der dissoziativen Störungen zu. Das DSM-IV-TR bezeichnet diese Störung seit 1994[6] als Dissoziative Identitätsstörung.[7] Auf den Unterschied zwischen den Begriffen Persönlichkeitsstörung und Identitätsstörung werde ich im Verlauf der Hausarbeit noch näher eingehen.
2.1 Definition: Dissoziative Störungen
Der ICD-10-Klassifikation nach sind allgemeine Kennzeichen für dissoziative Störungen teilweiser oder völliger Verlust der normalen Integration von der Erinnerung an die Vergangenheit, des Identitätsbewusstseins, der Wahrnehmung unmittelbarer Empfindungen sowie der Kontrolle von Körperbewegungen.[8]
Diese Störungen sind früher als verschiedene Formen der „Konversionsneurose oder Hysterie“ klassifiziert worden. Sie stehen in enger zeitlicher Verbindung mit traumatisierenden Ereignissen, unlösbaren oder unerträglichen Konflikten oder gestörten Beziehungen.[9]
Die Symptome verkörpern häufig das Konzept der betroffenen Person, wie sich eine körperliche Erkrankung manifestieren müsste. Körperliche Untersuchungen und Befragungen geben keinen Hinweis auf eine bekannte somatische oder neurologische Erkrankung. Zusätzlich ist der Funktionsverlust Ausdruck emotionaler Konflikte oder Bedürfnisse.[10]
Wichtige Diagnostische Kriterien sind:
1. Es besteht kein Nachweis einer körperlichen Krankheit, welche die für diese Störung charakteristischen Symptome erklären könnte.
2. Es muss ein überzeugender Zusammenhang zwischen den dissoziativen Symptomen und belastenden Ereignissen, Problemen oder Bedürfnissen bestehen.[11]
Das DSM-IV-TR definiert das Hauptmerkmal der Dissoziativen Störungen als Unterbrechung der normalerweise integrativen Funktionen des Bewusstseins, des Gedächtnisses, der Identität oder der Wahrnehmung der Umwelt. Bei der Beurteilung der Dissoziativen Störungen fallen auch interkulturelle Aspekte ins Gewicht, da dissoziative Zustände in vielen Gesellschaften ein häufiger und akzeptierter Ausdruck kultureller Aktivitäten und religiöser Erfahrungen sind.[12]
2.2 Definition: Multiple Persönlichkeitsstörung
Die Multiple Persönlichkeitsstörung oder Dissoziative Identitätsstörung[13] spiegelt die Unfähigkeit wider, verschiedene Aspekte der Identität, des Gedächtnisses und des Bewusstseins zu integrieren. Jeder der Persönlichkeitszustände kann eine unterschiedliche persönliche Geschichte, ein unterschiedliches Selbstbild und eine unterscheidbare Identität mit verschiedenen Namen haben. Gewöhnlich existiert eine primäre Identität, die den Namen der Person trägt. Diese ist in der Regel passiv, abhängig, hat Schuldgefühle und ist depressiv.[14]
Die wechselnden Identitäten haben häufig verschiedene Namen und Charaktereigenschaften, die im Gegensatz zur primären Identität stehen (z.B. sind sie feindselig, kontrollierend und selbstzerstörerisch). Einzelne Identitäten können unter speziellen Umständen auftauchen und sich im berichteten Alter, Geschlecht, der Sprache, dem Allgemeinwissen oder dem vorherrschenden Affekt unterscheiden. Wechselnde Identitäten werden so erlebt, als ob sie für bestimmte Abschnitte auf Kosten der anderen die Kontrolle übernehmen; sie können das Wissen über die anderen leugnen, diesen gegenüber kritisch sein oder sogar im offenen Konflikt mit ihnen stehen. Gelegentlich weisen eine oder mehrere mächtige Identitäten den anderen Zeit zu. Aggressive oder feindselige Identitäten können zeitweise Aktivitäten unterbrechen oder die anderen in unangenehme Situationen bringen.[15]
Personen mit dieser Störung haben häufig Lücken in der Erinnerung der persönlichen Geschichte, sowohl für frühere wie aktuellere Ereignisse. Die Amnesie ist häufig ungleichmäßig. Die passiveren Identitäten haben eine eher eingeschränkte Erinnerung, während die feindseligeren, kontrollierenden oder „Beschützer“- Identitäten vollständigere Erinnerungen aufweisen. Es ist möglich, dass eine Identität, die gerade keine Kontrolle ausübt, versucht, durch die Produktion akustischer oder visueller Halluzinationen einen Zugang zum Bewusstsein zu erlangen (z.B. eine Stimme, die Instruktionen gibt). Beweise für Amnesie können auch durch Berichte von anderen aufgedeckt werden, die Verhalten bemerken, das von der Person geleugnet wird.[16]
Es kann nicht nur zu einem Gedächtnisverlust für immer wiederkehrende Zeitabschnitte kommen, sondern auch zu einem gesamten Verlust der biografischen Erinnerung an einen umfassenden Zeitraum in der Kindheit, der Jugend oder sogar des Erwachsenenalters. Die Übergänge zwischen den Identitäten werden häufig durch psychosoziale Belastungen ausgelöst. Es dauert gewöhnlich nur Sekunden, um von einer Identität zur anderen zu wechseln; seltener kann dieser Übergang auch graduell vonstatten gehen. Mit dem Wechsel der Identität können häufig folgende Verhaltensweisen einhergehen: schnelles Augenzwinkern, mimische Veränderung, Veränderungen der Stimme oder des Benehmens oder ein Abbrechen des Gedankenflusses. Die Anzahl von berichteten Identitäten kann von zwei bis hundert reichen. Die Hälfte der berichteten Fälle beziehen sich auf Personen mit zehn oder weniger Identitäten.[17]
2.2.1 Zugehörige Beschreibungsmerkmale und psychische Störungen
Personen mit einer Multiplen Persönlichkeitsstörung berichten häufig über die Erfahrung schweren körperlichen und sexuellen Missbrauchs vor allem während der Kindheit. Über die Genauigkeit solcher Berichte herrschen kontroverse Meinungen, da Kindheitserinnerungen Verzerrungen unterliegen und Personen mit dieser Störung hochgradig hypnotisierbar und sehr empfänglich gegenüber Suggestion sind. Auf der anderen Seite werden die Berichte über sexuellen Missbrauch oder körperliche Misshandlung der Menschen mit Multipler Persönlichkeitsstörung häufig durch objektive Befunde bestätigt.[18]
Personen mit einer Multiplen Persönlichkeitsstörung können posttraumatische Symptome haben (z.B. Alpträume, Flashbacks und Alarmreaktionen) oder eine Posttraumatische Belastungsstörung aufweisen. Es kann zu Selbstverletzungen sowie suizidalem und aggressivem Verhalten kommen. Einige Personen erleben ein sich wiederholendes Muster von Beziehungen, in denen es zu körperlichem oder sexuellem Missbrauch kommt. Verschiedene Persönlichkeiten können Pseudoanfälle oder ungewöhnliche Fähigkeiten der Kontrolle von Schmerzen oder anderen körperlichen Symptomen zeigen.[19]
2.2.2 Zugehörige Laborbefunde
Personen mit einer Multiplen Persönlichkeitsstörung erreichen hohe Werte bei Messungen der Hypnotisierbarkeit und der dissoziativen Fähigkeiten. Es gibt Berichte über Veränderungen in den physiologischen Funktionen bei verschiedenen Identitätszuständen (z.B. Unterschiede in der visuellen Schärfe, der Schmerztoleranz, in Symptomen von Asthma, in der Sensibilität gegenüber Allergenen und der Reaktion von Glukose im Blut auf Insulin).[20]
2.2.3 Zugehörige körperliche Untersuchungsbefunde und medizinische Krankheitsfaktoren
Es können Narben von selbstzugefügten Verletzungen oder körperlichem Missbrauch vorhanden sein. Personen mit dieser Störung können auch unter Migräne und anderen Kopfschmerzen leiden.[21]
2.2.4 Besondere kulturelle und Geschlechtsmerkmale
Die Multiple Persönlichkeitsstörung wird bei Personen aus verschiedenen Kulturkreisen weltweit gefunden. Sie wird drei- bis neunmal häufiger bei erwachsenen Frauen als bei erwachsenen Männern diagnostiziert. Frauen haben tendenziell mehr Identitäten als Männer, im Durchschnitt fünfzehn oder mehr, während Männer durchschnittlich acht Identitäten aufweisen.[22]
2.2.5 Prävalenz
Der starke Anstieg der berichteten Fälle von Multiplen Persönlichkeitsstörungen in den Vereinigten Staaten in den letzten Jahren gab Anlass zu verschiedenen Interpretationen. Einige glauben, dass die größere Bewusstheit für die Diagnose bei Untersuchern dazu führte, dass mehr Fälle identifiziert wurden, die vorher ohne Diagnose blieben. Im Gegensatz dazu steht die Annahme, dass das Syndrom bei Personen mit hoher Suggestibilität überdiagnostiziert wurde.[23]
2.2.6 Verlauf
Es scheint, als hätte die Multiple Persönlichkeitsstörung einen fluktuierenden klinischen Verlauf mit der Tendenz zur Chronizität und zum Wiederauftreten. Die durchschnittliche Zeitspanne vom Auftreten der ersten Symptome bis zur Diagnose beträgt sechs bis sieben Jahre. Sowohl ein phasenhafter wie ein kontinuierlicher Verlauf wurden bisher beschrieben.[24]
2.2.7 Differentialdiagnose
Die Multiple Persönlichkeitsstörung muss unterschieden werden von Symptomen, die durch die direkte körperliche Wirkung eines medizinischen Krankheitsfaktors verursacht werden (z.B. Anfälle). Anfallszustände sind in der Regel kurz (30 Sekunde bis fünf Minuten) und beinhalten nicht die komplexen und andauernden Strukturen der Identität und des Verhaltens wie bei der Multiplen Persönlichkeitsstörung. Es gibt auch seltener eine Vorgeschichte mit körperlichem und sexuellem Missbrauch.[25]
Symptome, die durch die direkte Wirkung einer Substanz verursacht werden, unterscheiden sich von der Multiplen Persönlichkeitsstörung durch die Tatsache, dass eine Substanz (z.B. eine Droge oder ein Medikament) ursächlich mit der Störung im Zusammenhang steht.[26]
Personen mit Symptomen der Trance und der Besessenheitstrance, die die Diagnose einer nicht näher beschreibbaren dissoziativen Störung erhalten, beschreiben typischerweise, dass externe Geister oder Wesen in ihren Körper eingedrungen sind und die Kontrolle übernommen haben. Sie sind aufgrund dieser Symptome von Personen mit einer Multiplen Persönlichkeitsstörung zu unterscheiden.[27]
Das Vorhandensein von mehr als einem dissoziierten Persönlichkeitszustand kann als Wahn fehlinterpretiert werden, und die Kommunikation von einer Identität zur anderen kann als auditive Halluzination bewertet werden. Beides kann zu einer Verwechselung mit einer psychotischen Störung führen. Untersucher befürchten, dass die Multiple Persönlichkeitsstörung in Relation zu anderen psychischen Störungen überdiagnostiziert werden könnte, dies vor allem aufgrund des Interesses der Medien an dieser Störung und der Suggestibilität der Betroffenen. Faktoren, die die Diagnose einer Multiplen Persönlichkeitsstörung unterstützen, sind das Vorhandensein einer klar begrenzten dissoziativen Symptomatik mit plötzlichen Wechseln zwischen den Identitätszuständen, Dauer und Konsistenz des identitätsspezifischen Benehmens und Verhaltens, eine reversible Amnesie, Hinweise auf dissoziatives Verhalten vor der klinischen oder forensischen Vorstellung und hohe Werte bei Messungen von Dissoziation und Hypnotisierbarkeit bei Personen, die keine charakteristischen Zeichen einer anderen psychischen Störung aufweisen.[28]
2.2.8 Diagnostische Kriterien
Dem DSM-IV-TR[29] zu folge bestehen vier diagnostische Kriterien für eine Multiple Persönlichkeitsstörung:
1. Die Anwesenheit von zwei oder mehr unterscheidbaren Identitäten oder Persönlichkeitszuständen (jeweils mit einem eigenen, relativ überdauernden Muster der Wahrnehmung von, der Beziehung zur und dem Denken über die Umgebung und das Selbst).
2. Mindestens zwei dieser Identitäten oder Persönlichkeitszustände übernehmen wiederholt die Kontrolle über das Verhalten der Person.
3. Eine Unfähigkeit, sich an wichtige persönliche Informationen zu erinnern, die zu umfassend ist, um durch gewöhnliche Vergesslichkeit erklärt zu werden.
4. Die Störung geht nicht auf die direkte körperliche Wirkung einer Substanz (z.B. Blackouts oder ungeordnetes Verhalten während einer Alkoholintoxikation) oder eines medizinischen Krankheitsfaktors zurück (z.B. komplex-partielle Anfälle). Bei Kindern sind die Symptome nicht durch imaginierte Spielkameraden oder andere Phantasiespiele zu erklären.[30]
2.3 Zweifel an der Realität der Multiplen Persönlichkeitsstörung
Es bestehen Zweifel an der Existenz der Multiplen Persönlichkeitsstörung. Selbst ein Großteil der Psychiater leugnet, dass es sie gibt. Es drängt sich der Verdacht auf, dass es sich dabei um eine Epidemie, das Werk einer kleinen engagierten Schar von Therapeuten handelt, die von den Sensationsgeschichten in den Boulevardzeitungen und in den nachmittäglichen Talk-Shows im Fernsehen unabsichtlich unterstützt werden.[31]
Die American Psychiatric Association organisierte bei ihrem Jahrestreffen 1988 eine Debatte zu dem „Beschluss darüber, ob die Multiple Persönlichkeitsstörung eine echte Krankheit sei“. Richard Kluft und David Spiegel sprachen sich für ihre Existenz aus, während Fred Frankel und Martin Orne dagegen argumentierten. Die Diskutanten, bei denen es sich allesamt um führende Fachleute handelt, befinden sich immer noch in erbittertem Streit (Stand 1994). Die Multiple Persönlichkeitsstörung ist zur umstrittensten Diagnoseart in der Psychiatrie geworden.[32]
2.3.1 Multiple Persönlichkeit und Schizophrenie
Die multiple Persönlichkeit darf nicht mit Schizophrenie verwechselt werden. Schizophrenie wird häufig als Persönlichkeitsspaltung bezeichnet und deshalb folgern viele Menschen: Multiple Persönlichkeit gleich gespaltene Persönlichkeit gleich Schizophrenie. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Bezeichnung Schizophrenie wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts eingeführt. Das Wort ist altgriechisch und bedeutet „gespaltenes Bewusstsein/ Gehirn“. Die Metapher Spaltung wird auf viele unterschiedliche Weisen benutzt. Der Bezeichnung „Schizophrenie“ liegt die Idee zugrunde, dass die Gedanken, Gefühle und Körperreaktionen einer Person voneinander abgespalten sind, so dass die Gefühlsreaktion auf einen Gedanken oder die Körperreaktion auf ein Gefühl völlig unangemessen oder bizarr ist.[33]
Es gibt Wahnvorstellungen, Denkstörungen und eine furchtbare Skala des Leidens. Es besteht Unklarheit darüber, ob es sich bei Schizophrenie um eine Krankheit oder mehrere handelt. Eine ihrer Formen entwickelt sich kurz vor dem zwanzigsten Lebensjahr oder bald danach, weshalb diese Krankheit früher dementia praecox oder verfrühte Senilität genannt wurde. Schizophrenie hat vermutlich neurochemische Ursachen. Einige Fälle könnten auch genetisch bedingt sein. Seit den sechziger Jahren gibt es eine wachsende Anzahl von Medikamenten, die die Lebensqualität vieler Schizophrener verbessern.[34]
Nichts von dem Gesagten trifft auf die multiple Persönlichkeit zu. Keine Medikamentierung hat spezifische Wirkungen auf die multiple Persönlichkeit als solche, auch wenn Persönlichkeitswechsel ebenso wie viele andere außergewöhnliche Verhaltensformen sich durch stimmungsbeeinflussende Medikamente abschwächen lassen. Die multiple Persönlichkeit wurde zuerst meist bei Patienten über 30 diagnostiziert, nicht bei Heranwachsenden. Sie ist nicht durch die Abspaltung von Denken, Gefühl und Körperreaktion gekennzeichnet.
Eugen Bleuler (1857-1939) ist als der Mann bekannt, der im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts die Schizophrenie zu einer diagnostischen Kategorie machte.[35] Bleuler war es auch, der sie mit dem griechischen Wort „Schizophrenie“, Krankheit des gespaltenen Gehirns, überschrieb. Er wollte damit auf die „Spaltung der psychischen Funktionen“ hinweisen. Stark vereinfacht bedeutet dies: eine Spaltung liegt vor zwischen dem Teil der Person, der weiß, was geschieht, und einem anderen Teil, der fühlt – eine Spaltung zwischen Verstand und Sinnlichkeit.[36]
Beim Schizophrenen gibt es gleichzeitig unversöhnliche Einstellungen, Emotionen und Verhaltensweisen sowie schlimme Verzerrungen der Logik und des Realitätssinnes. Der Multiple hat keine Probleme mit der Logik oder der Realität, sondern zerfällt in eine Abfolge von Bruchstücken. Bleuler beschreibt den Unterschied zwischen Hysterie[37] und Schizophrenie wie folgt: „Haben wir hier eine Anordnung der verschieden Persönlichkeiten nacheinander, so erzeugt die Schizophrenie verschiedene Persönlichkeiten nebeneinander.“[38]
Multiple können allerdings „schizophreniforme Episoden“ haben. Das heißt, sie handeln wie Schizophrene, aber nicht übermäßig lange. DSM-IV besteht darauf, Schizophrenie nicht definitiv zu diagnostizieren, bevor die Symptome nicht über mindestens sechs Monate hinweg erkennbar waren. Das Handbuch der WHO, ICD-10, begnügt sich mit einem Monat. Die traditionellen Unterscheidungen zwischen Schizophrenie und multipler Persönlichkeit, auf denen schon Bleuler bestand, bleiben nach wie vor gültig.[39]
2.3.2 Multiple Persönlichkeitsstörung und Dissoziative Identitätsstörung
Die Bezeichnung Multiple Persönlichkeitsstörung hat Kritik auf sich gezogen. Tatsächlich hat die Multiple Persönlichkeitsstörung aufgehört zu existieren. Die offizielle Überschrift im DSM-IV von 1994 lautet „Dissoziative Identitätsstörung (früher Multiple Persönlichkeitsstörung)“.[40] P. M. Coons machte darauf aufmerksam, dass es ein Fehler sei, jede Persönlichkeit als ganzheitlich oder als autonom zu betrachten. Die anderen Persönlichkeitsfragmente ließen sich am besten als Persönlichkeitszustände, als andere Selbste oder als Persönlichkeitsfragmente betrachten.[41]
1993 schrieb David Spiegel, Vorsitzender des Komitees für Dissoziative Störungen, für das DSM-IV von 1994, dass „ein weit verbreitetes Missverständnis über die essentielle Psychopathologie bei dieser dissoziativen Störung besteht, die in der fehlenden Integration der verschiedenen Aspekte der Identität, der Erinnerung und des Bewusstseins liegt. Das Problem ist nicht, mehr als eine Persönlichkeit zu haben; es liegt viel mehr darin, weniger als eine Persönlichkeit zu haben.“[42]
Die Betonung von Fragmenten als Gegensatz zu ganzen Persönlichkeiten hat Folgen. Die Ersatzbezeichnung „Dissoziative Identitätsstörung“ soll simplifizierende Ideen beseitigen, die mit der „Multiplen Persönlichkeit“ einhergehen. Spiegel formuliert es wie folgt: „Nach meinem Eindruck war das wichtigste jedoch die Betonung, dass das Hauptproblem in der Schwierigkeit liegt, disparate Bestandteile des Gedächtnisses, der Identität und des Bewusstseins zu integrieren, und nicht in der Vermehrung der Persönlichkeiten.“[43]
Spiegel zufolge entspricht der Namensänderung keinerlei Änderung der Diagnosekriterien. Das stimmt allerdings nicht ganz. Die Anmerkung „Bei Kindern lassen sich Symptome nicht imaginären Spielgefährten oder einem anderen Phantasiespiel zuschreiben“ am Schluss hat einen Subtext. Viele Befürworter wollten eine neue Diagnosekategorie für Multiple Persönlichkeitsstörung in der Kindheit. Sie hatten zwar keinen Erfolg aber sie setzten einen Fuß in die Tür.[44]
DSM-III setzt die Existenz von mehr als einer Persönlichkeit oder eines Persönlichkeitszustands voraus. 1994 wird nur noch die Präsenz verlangt. Diese winzige Veränderung im Wortlaut rückt von der tatsächlichen multiplen Persönlichkeit weg zu einem Erlebnis, das der Patient hat. „Präsenz“ ist das Wort für Wahnvorstellungen, die typisch sind für Schizophrenien. Die Parallele ist beabsichtigt. Somit werden die Alter-Persönlichkeiten einer multiplen Persönlichkeit den Wahnvorstellungen ähnlicher gemacht. Spiegel sagt im Grunde, die multiple Persönlichkeit sei nicht die Hauptstörung. Das Problem sei der Zerfall des Identitätsgefühls.[45]
[...]
[1] Byrne: 26.
[2] Ebd.
[3] Byrne: 26 f.
[4] Byrne: 27.
[5] ICD steht für International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems. Dabei handelt es sich um eine von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegebene internationale Klassifikation von Krankheiten und verwandten Gesundheitsproblemen. Die aktuelle Ausgabe der ICD wird als ICD-10 bezeichnet.
[6] Hacking: 29.
[7] DSM-IV-TR: 583.
[8] ICD-10: 169.
[9] Ebd.
[10] ICD-10: 169.
[11] ICD-10: 170.
[12] DSM-IV-TR: 575 f.
[13] Dies ist die neue Bezeichnung für die Multiple Persönlichkeitsstörung nach dem DSM-IV-TR.
[14] DSM-IV-TR: 583.
[15] DSM-IV-TR: 583.
[16] Ebd.: 583 f.
[17] DSM-IV-TR: 584.
[18] DSM-IV-TR: 584.
[19] Ebd.
[20] Ebd.
[21] Ebd.
[22] DSM-IV-TR: 585.
[23] Ebd.
[24] Ebd.
[25] DSM-IV-TR: 586.
[26] Ebd.
[27] Ebd.
[28] Ebd.
[29] Abk. für Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen – Textrevision
[30] DSM-IV-TR: 586 f.
[31] Hacking: 16.
[32] Hacking: 16.
[33] Ebd.
[34] Ebd.: 16 f.
[35] Hacking: 170.
[36] Ebd.:172 f.
[37] Hysterie war die damalige Bezeichnung für eine ganze Reihe von psychischen Störungen, zu denen auch die Multiple Persönlichkeitsstörung gehört.
[38] Hacking: 173.
[39] Ebd.: 185.
[40] Ebd.: 27.
[41] Hacking: 27.
[42] Ebd.: 28.
[43] Ebd.: 29.
[44] Ebd.: 30.
[45] Ebd.
- Citation du texte
- Günther Orend (Auteur), 2007, Multiple Persönlichkeiten in ausgewählten Romanen und ihren Verfilmungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/146468
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