Bismarcks Entlassung am 20. März 1890 kam für die meisten anderen Machthaber in
Europa überraschend und traf sie unvorbereitet. Der Reichskanzler, der vor allem die
außenpolitischen Geschicke des Deutschen Reiches seit seiner Gründung mit
altmeisterlicher Hand geführt hatte, schied plötzlich und vollständig aus der Politik
aus. Im Ausland war man es gewöhnt mit Bismarck zu verhandeln in diplomatischen
Fragen, man kannte ihn, verfluchte oder bewunderte sein diplomatisches Geschick
und erkannte ihn als konstante und verlässliche Größe der europäischen Außenpolitik
an. Die Nachfolge Bismarcks in Form des den Meisten unbekannten Generals der
Infanterie Caprivi und die immer deutlicher hervortretenden
Alleinherrschaftstendenzen des jungen Kaiser Wilhelm II. sowie sein unbeständiges
und manchmal recht unüberlegtes Wesen bildeten einen nicht geringen Kontrast zur
bisherigen Politik und dem Charakter Bismarcks. Diese Arbeit wird untersuchen
welche Rolle Fürst Bismarck in den Augen fremder Nationen, Diplomaten und
Herrscher innehatte, anhand der Reaktionen Russlands, Frankreichs, Englands,
Österreichs und Italiens auf die Entlassung. Hierfür werden neben den offiziellen
Erklärungen auch Berichte und Briefe der Diplomaten und Herrscher untereinander
dienen, als auch die jeweilige Presse.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die ausländischen Reaktionen : Russland
2.1 Frankreich
2.2 England
2.3 Osterreich — Ungarn
2.4 Italien
3. Resümee
4. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Bismarcks Entlassung am 20. März 1890 kam für die meisten anderen Machthaber in Europa überraschend und traf sie unvorbereitet. Der Reichskanzler, der vor allem die auflenpolitischen Geschicke des Deutschen Reiches seit seiner Gründung mit altmeisterlicher Hand geführt hatte, schied plötzlich und vollständig aus der Politik aus. Im Ausland war man es gewöhnt mit Bismarck zu verhandeln in diplomatischen Fragen, man kannte ihn, verfluchte oder bewunderte sein diplomatisches Geschick und erkannte ihn als konstante und verlässliche Gröfle der europäischen Auflenpolitik an. Die Nachfolge Bismarcks in Form des den Meisten unbekannten Generals der
Infanterie Caprivi und die immer deutlicher hervortretenden Alleinherrschaftstendenzen des jungen Kaiser Wilhelm II. sowie sein unbeständiges und manchmal recht unüberlegtes Wesen bildeten einen nicht geringen Kontrast zur bisherigen Politik und dem Charakter Bismarcks. Diese Arbeit wird untersuchen welche Rolle Fürst Bismarck in den Augen fremder Nationen, Diplomaten und Herrscher innehatte, anhand der Reaktionen Russlands, Frankreichs, Englands, Osterreichs und Italiens auf die Entlassung. Hierfür werden neben den offiziellen Erklärungen auch Berichte und Briefe der Diplomaten und Herrscher untereinander dienen, als auch die jeweilige Presse. Die Zeitungen können in gewissem Sinne als Destillat der öffentlichen Meinung bzw. Meinungen angesehen werden und werden daher häufiger zu Rate gezogen werden. Gröfltenteils werde ich mich für diese Arbeit auf „Bismarcks Entlassung, zweiter Teil: Der Ausgang" von Ernst Gagliardi konzentrieren, erschienen 1941 in Tübingen, der dieser Frage bereits sehr gründlich nachging. Der Text des schweizer Historikers wurde von mir entsprechend seines Erscheinungsdatums gründlich auch auf politische Einfärbungen untersucht mit dem Ergebnis, dass er keine die Sachlichkeit des Inhaltes beeinträchtigenden Tendenzen enthält.
2. Die ausländischen Reaktionen : Russland
In Russland zeigte man sich ob des Abschiedes des Kanzlers aus der Politik tief bestürzt und fürchtete um den weiteren Frieden. Man war Bismarcks politische Linie gewöhnt, obgleich es natürlich in der Vergangenheit ab und an entsprechende Spannungen gab. Nichtsdestotrotz war man an ihn als feste politische Gröfle gewohnt, die in auswärtigen Fragen Russland immer entgegenkommend gewesen zu sein schien und einen verlässlichen Faktor auf der unsicheren Bühne des auflenpolitischen Kräftemessens dargestellt hatte. Im Gespräch mit dem russischen Botschafter Schuwalow betont der scheidende Kanzler am 17. März 1890 noch einmal sein bisher demonstriertes Wohlwollen gegenüber Russland indem er seinen Brief an Wilhelm I. von 1877 anlässlich der russischen Niederlage bei Plewna erwähnt. In diesem rät er zur Bezeugung von Anteilnahme, Alexander II. weitestgehend freie Hand zu lassen und sich generell gegenüber Russland mit „wohlwollender Neutralität" zu zeigen.1 Zur Verdeutlichung der auflenpolitischen Beziehung mag ebenso das „Kissinger Diktat" von 1877 sprechen, indem sich Bismarck russlandfreundlich für das Vorhaben einer russischen Schwarzmeerflotte ausspricht.
Unter dem Eindruck dieses Gespräches berichtete der Botschafter sorgenvoll an den russischen Auflenminister Giers, dass er tiefes Bedauern empfinde ob des Scheidens eines Mannes den er stets als gewaltige Friedensgarantie betrachtet habe und der sich stets bemühte Reibungen zwischen den beiden Staaten zu vermeiden.2 „Mit ihm verschwinde ja die Kraft, „die geeignet war, das Gleichgewicht herzustellen und bis zu einem gewissen Grade die willkürlichen und unvermuteten, keiner Rechenschaft sich unterstellenden Entschlüsse des jungen Monarchen zu regulieren.""3
Das Gefühl drohender Unsicherheit musste für Russland umso gröfler scheinen, da die Erneuerung des Rückversicherungsvertrages mit dem Scheiden Bismarcks plötzlich in Gefahr war und ja dann auch tatsächlich nicht mehr zustande kam.
Dass ein Grund für das Zerwürfnis zwischen Kaiser und Kanzler war, dass Bismarck eine zu hohe Russlandfreundlichkeit vorgeworfen wurde, trug selbstverständlich ebenfalls zum Abkühlen des Verhältnisses beider Staaten bei. Der Kanzler äuflerte sich über diesen Vorfall recht offen gegenüber Schuwalow und zudem war ja auch das kränkende Handbillet des Kaisers an Bismarck halbwegs öffentlich und keineswegs ein Geheimnis. Das Gefühl des Verlustes eines Friedensgaranten musste um so gröfler sein, da der junge deutsche Monarch offensichtlich gewillt war in den russischen Rüstungsvorhaben und Truppenverschiebungen eine Gefahr und Bedrohung zu sehen, wo unter dem Kanzler vordem kein Anlass zu Feindseligkeiten bestanden hatte. Der Zar selbst zeigte sich entsprechend bestürzt und äuflerte gegenüber dem deutschen Botschafter in St. Petersburg, dass ihm gänzlich unverständlich sei, wie Wilhelm II. Bismarck die Unterschlagung militärischer Geheimnisse vorwerfen könne, da alle diese Vorgänge weder im Geheimen vonstatten gegangen seien und zumal wären alle diese Vorgänge dem deutschen Generalstab durchaus bekannt gewesen.4
Nicht nur in Regierungskreisen sorgte man sich wegen der Entlassung, auch in den intellektuellen Kreisen und den Zeitungen empfand man bald, dass mit dem Kanzler, trotz in der Vergangenheit befindlichen Schwierigkeiten und Konflikten, ein Freund Russlands seinen Abschied nehme und kein Feind. Bestärkt wurde diese Gewissheit noch durch das sich immer stärker herauskristallisierende Bewusstsein einer verfehlten Chance, nämlich dass Bismarck im Falle eines russischen Griffes nach dem Bosporus wahrscheinlich für eine deutsche Zurückhaltung eingetreten wäre. 5
Mit dem Scheiden der Ara Bismarck tat sich unter dem ungestümen jungen Wilhelm II. etwas ungewisses Neues auf, von dem man nicht wusste, wie man damit umgehen sollte. Die Zeitung „Nowoje Wremja" fasste die empfundene Lage so zusammen :
„Deutschland mit Bismarck war eine klar zu bestimmende Grafle — Deutschland ohne ihn ist ein Problem.”6
Ein weiteres bedenkliches Moment sah man in Russland darin, dass ein Kaiser, der einen so erfahrenen und etablierten Ratgeber einfach gehen liefl, unter Umstanden sich auch Russlands als Bundnispartner rasch entledigen konnte, wenn selbiges ihn verstimmen wurde: „Wer burgt uns denn jetzt dafilr, dafl Ihr hoher Herr, [der Angesprochene ist Wilhelms Militarbevollmachtigter, Oberst v. Villaume] der ohne einen Bismarck zu regieren den Mut hat, nicht auch einmal ohne Ruflland fertig zu werden versuchen will?”7
Die fur das russische Empfinden teils Liberfreundliche Behandlung, die der junge Kaiser Frankreich und England angedeihen liefl, verstarkte die Unsicherheit im Bezug auf die weiteren auflenpolitischen Entwicklungen nur noch. Das Verhalten gegen Frankreich und England bezieht sich darauf, dass Wilhelm die zur Arbeiterschutzkonferenz geladenen franzosischen Gesandten ausnehmend zuvorkommend behandelt haben soll, wohingegen Russland nicht einmal eingeladen wurde. In seiner Oberschwanglichen und jovialen Art hatte der Kaiser auflerdem den um den 21. Marz herum in Berlin weilenden Prinzen von Wales allerlei Ehren angedeihen lassen, wie Verbruderungstoaste, Paraden, Galadiners, Schaumanover und das Prasentieren des neuen rauchlosen Schieflpulvers.8
Letztendlich sah sich Alexander III. sogar genotigt die russische Presse zu mafligen, auf dass diese nicht zu Liberschwanglich den Verlust Bismarcks als politische Konstante bedauerten und im Gegenzug negative Stimmung gegen den jungen Kaiser machten.9 Diese starken Gunstbeweise der russischen Presse zugunsten Bismarcks haben ihre Ursache aber wohl nur zur Halfte in der spaten Anerkennung von Bismarcks Auflenpolitik. Die andere Halfte ist vornehmlich von Furcht durch die Ungewissheit gepragt, die Wilhelm II. durch sein ungest;mes und dabei so wankelmutiges Wesen verursachte.
[...]
1 vgl. GAGLIARDI, Ernst, Bismarcks Entlassung, zweiter Teil : Der Ausgang, Tubingen, 1941, S 188.
2 vgl. Ebd., S 191.
3 Ebd.
4 vgl. Ebd., S 194.
5 vgl. Ebd., S 200 f.
6 Ebd.,S 201.
7 Ebd., S 202.
8 vgl.Ebd., S 203f.
9 vgl. Ebd., S 205.
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