Das Vergaberecht ist einer ununterbrochenen Entwicklung und damit verbundenen Änderungen unterworfen. Am 19.12.2008 nahm der Bundestag den Regierungsentwurf zum Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts an. Dieser trat am 24.04.2009 in Kraft. Damit ist eine bislang bedeutendste Reform des deutschen Vergaberechts zum Abschluss gelangt, dem eine sehr große wirtschaftliche Bedeutung zukommt, da dadurch öffentliche Auftragsvergaben mit einem Ge-samtvolumen von mehr als 250 Milliarden € einen neuen Rechtsrahmen bekommen. Durch diese Veränderung des Vergaberechts, stellen sich für die öffentlichen Auftraggeber aber auch für die Auftragnehmer wieder neue Themenfelder. Die vorliegende Arbeit hat es zum Ziel den Unternehmen der Bauwirtschaft einen Überblick über das öffentliche Vergaberecht zu verschaffen, der einen Einstieg in die Vertiefung des Themas ermöglichen soll. Anschließend wird ein kompakter Einblick in die Neuregelungen der Rechtsquellen des Vergaberechts gegeben, die die Bauwirtschaft betreffen. Hierzu werden im Kapitel zwei die Grundlagen des Vergaberechts erläutert, wobei überwiegend der oberschwellige Bereich des deutschen Vergaberechts dargestellt wird. Eingegangen wird hier auf die Grundprinzipien und die Anwendbarkeit des Vergaberechts, sowie auf die unterschiedlichen Verfahrensarten und den bestehenden Rechtsschutz. Im Kapitel drei wird die Vergaberechtsreform veranschaulicht, dabei wird kurz deren Vorgeschichte dargelegt und nachfolgend die Änderungen im Vergabe- sowie Nachprüfverfahren der GWB-Normen veranschaulicht. Abschließend werden ausgewählte Änderungen der VOB/A angesprochen.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Anlagenverzeichnis
A. Einleitung
B. System des Vergaberechts in Deutschland
I. Rechtsgrunlagen des Vergaberechts
II. Anwendbarkeit des kartellrechtlichen Vergaberechts
1. Öffentlicher Auftraggeber § 98 GWB
2. Öffentlicher Auftrag § 99 GWB
3. Schwellenwerte § 100 GWB i.V.m. § 2 VgV
III. Grundprinzipien des Vergaberechts
IV. Verfahrensarten
V. Rechtsschutz
C. Vergaberechtsreform 2008/2009
I. Vorgeschichte
II. Änderungen im Vergabeverfahren
1. Verstärkung der Mittelstandsklausel § 97 Abs. 3 S. 2 GWB
2. Berücksichtigung von sozialer, umweltbezogener und innovativer Akpekte § 97 Abs. 4 GWB
3. Grundstücksgeschäfte und städtebauliche Verträge § 99 GWB
4. Informationspflichten §§ 101a f. GWB
III. Änderungen im Nachprüfverfahren
1. Verschärfung der Rügeobligenheit § 107 Abs. 3 GWB
2. Untersuchungsgrundsatz § 110 GWB
3. Vorabgestattung des Zuschlags § 115 Abs. 2 GWB
4. Verfahrenskosten vor der Vergabekammer § 128 GWB
IV. VOB/A 2009 - Ausgewählte Änderungen
1. Transparenzgebot
2. Einführung von Wertgrenzen
3. Prüfung und Wertung von Angeboten
4. Präqualifikation
D. Schlussbetrachtung
Anlagen
Quellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Anlagenverzeichnis
Anlage 1: Synopse GWB 2005 - GWB 2009 (beschränkt auf den vierten Teil des GWB - Vergabe öffentlicher Aufträge)
Anlage 2: Synopse VOB/A 2006 - VOB/A 2009 (ausgewählte Vorschriften)
Anlage 3: CD mit Power-Point-Präsentation der Seminararbeit
A. Einleitung
Das Vergaberecht ist einer ununterbrochenen Entwicklung und damit verbunde- nen Änderungen unterworfen. Am 19.12.2008 nahm der Bundestag den Regie- rungsentwurf zum Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts an. Dieser trat am 24.04.2009 in Kraft. Damit ist eine bislang bedeutendste Reform des deut- schen Vergaberechts zum Abschluss gelangt, dem eine sehr große wirtschaftliche Bedeutung zukommt, da dadurch öffentliche Auftragsvergaben mit einem Ge- samtvolumen von mehr als 250 Milliarden € einen neuen Rechtsrahmen bekom- men.1 Durch diese Veränderung des Vergaberechts, stellen sich für die öffentli- chen Auftraggeber aber auch für die Auftragnehmer wieder neue Themenfelder.
Die vorliegende Arbeit hat es zum Ziel den Unternehmen der Bauwirtschaft einen Überblick über das öffentliche Vergaberecht zu verschaffen, der einen Einstieg in die Vertiefung des Themas ermöglichen soll. Anschließend wird ein kompakter Einblick in die Neuregelungen der Rechtsquellen des Vergaberechts gegeben, die die Bauwirtschaft betreffen. Hierzu werden im Kapitel zwei die Grundlagen des Vergaberechts erläutert, wobei überwiegend der oberschwellige Bereich des deut- schen Vergaberechts dargestellt wird. Eingegangen wird hier auf die Grundprinzi- pien und die Anwendbarkeit des Vergaberechts, sowie auf die unterschiedlichen Verfahrensarten und den bestehenden Rechtsschutz. Im Kapitel drei wird die Ver- gaberechtsreform veranschaulicht, dabei wird kurz deren Vorgeschichte dargelegt und nachfolgend die Änderungen im Vergabe- sowie Nachprüfverfahren der GWB-Normen veranschaulicht. Abschließend werden ausgewählte Änderungen der VOB/A angesprochen.
B. System des Vergaberechts in Deutschland
I. Rechtsgrundlagen des Vergaberechts
Das deutsche Vergaberecht ist nicht in einer einheitlichen Norm kodifiziert, statt- dessen setzt es sich aus einer Vielzahl von nationalen Bestimmungen, sowie Re- gelungen der Europäischen Gemeinschaft zusammen, es ist also mehrstufig als sog. Kaskadenprinzip aufgebaut.2 Die europäischen Vergabevorschriften sind aus- schließlich bei Erreichen oder Überschreiten der bestimmten Mindestwerte („Schwellenwerte“) zu beachten.3 Es werden also gleiche Sachverhalte, die sich allein nach dem Auftragsvolumen voneinander unterscheiden, unterschiedlichen Rechtssystemen unterworfen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Rechtsnormen des Vergaberechts in Abhängigkeit von Schwellenwerten
Auf der nationalen Ebene hat das kartellrechtliche Vergaberecht (sog. oberschwellige Bereich) ein dreistufiges Regelungssystem (s. Abb. 1): Als rang- höchste Vorschrift ist der vierte Teil des GWB zu beachten, der vor allem allge- meine Grundsätze sowie den Rechtsschutz regelt. Auf der nächsten Ebene ist VgV erlassen worden, die insbesondere detaillierte Vergabeverfahrensvorschriften fest- hält und auf die materiellen Vorschriften der VOB/A, VOL/A und VOF verweist. Die letzten enthalten Einzelheiten über das Ausschreibungsverfahren.5
II. Anwendbarkeit des kartellrechtlichen Vergaberechts
Die Anwendung der §§ 97 ff. GWB setzt voraus, dass als Nachfrager einer Leis- tung ein öffentlicher Auftraggeber i.S.d. § 98 GWB erscheint, es sich um einen öffentlichen Auftrag (§ 99 GWB) handelt sowie das Überschreiten bestimmter Schwellenwerte (§ 100 GWB i.V.m. § 2 VgV) vorliegt.6 Zudem darf kein Aus- nahmetatbestand des Katalogs in § 100 Abs. 2 GWB bestehen. Im Einzelnen:
1. Öffentlicher Auftraggeber § 98 GWB
Im kartellrechtlichen Vergaberecht gilt der aus der Rechtsprechung der EuGH entwickelte sog. funktionale Auftraggeberbegriff. Demzufolge ist die Anwendung des Vergaberechts nicht auf die Rechtsträger beschränkt, die institutionell dem Staat zuzuordnen sind, vielmehr werden auch die Auftraggeber erfasst, die keine staatlichen Stellen im engeren Sinne sind, die aber bezüglich ihrer Funktion staat- liche Aufgaben wahrnehmen.7 Folglich stellt die Organisationsform allein kein Kriterium für die Einstufung der Vergabestelle als öffentlicher Auftraggeber dar.8
2. Öffentlicher Auftrag § 99 GWB
Oberhalb der Schwellenwerte folgt der Begriff des „öffentlichen Auftrags“ aus der Legaldefinition des § 99 Abs. 1 GWB. Danach sind öffentliche Aufträge „ent- geltliche Verträge von öffentlichen Auftraggebern mit Unternehmen über die Be- schaffung von Leistungen, die Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen zum Gegen- stand haben, Baukonzessionen und Auslobungsverfahren, die zu Dienstleistungs- aufträgen führen sollen.“
3. Schwellenwerte § 100 GWB i.V.m. § 2 VgV
Die Anwendung der Vorschriften zur öffentlichen Auftragsvergabe erfordert die Überschreitung von festgelegten Mindestauftragswerten (Schwellenwerten), die je nach der Auftragsart und dem Auftraggeber unterschiedlich sind. Die tatsächliche Höhe des Schwellenwertes ist dem § 2 VgV zu entnehmen. Die letzte Änderung der europäischen Schwellenwerte erfolgte mit Wirkung zum 1.1.2008 und beträgt für öffentliche Bauaufträge 5.278.000 €.9
III. Grundprinzipien des Vergaberechts
Die europäischen Vergaberichtlinien haben drei wesentliche Grundsätze für die Durchführung europaweiter Vergabeverfahren in das deutsche Vergabeverfahren eingeführt. Es handelt sich um das Wettbewerbsprinzip, das Transparenzprinzip sowie das Gleichbehandlungsprinzip.10 Der Wettbewerbsgrundsatz ist in § 97 Abs. 1, 1. HS GWB normiert und soll gewährleisten, dass alle potenziellen Bieter freien Zugang zu den Beschaffungsmärkten haben.11 Dazu hat der Auftraggeber die Pflicht, möglichst viele Bewerber über die geplante Auftragsvergabe zu in- formieren. Letztendlich kommt es sowohl dem Auftraggeber, der aus der Fülle der Angebote den günstigsten auswählen kann, als auch dem Auftragnehmer, der die Möglichkeit zur Teilnahme am Vergabeverfahren bekommt, zugute.12
§ 97 Abs. 1, 2. HS GWB bestimmt, dass öffentliche Aufträge im Wege transparenter Vergabeverfahren zu vergeben sind. Der Transparenzgrundsatz erfüllt zwei Funktionen: Er sichert nicht nur das Ziel des Gleichbehandlungsgrundsatzes, indem er die Voraussetzungen für den echten Wettbewerb durch die Chancengleichheit herstellt, sondern ermöglicht auch die Nachprüfbarkeit des gesamten Vergabeverfahrens im Sinne einer Kontrolle durch den Bieter.13
Gem. § 97 Abs. 2 GWB sind die Teilnehmer an einem Vergabeverfahren gleich zu behandeln. Das Diskriminierungsverbot ist ein Ausdruck des Art. 3 GG, sowie des Art. 12 EGV und stellt ein grundlegendes Prinzip des nationalen Verfassungs- rechts und des Europäischen Gemeinschaftsrechts dar. Regelungen, die Bevorzu- gung nationaler Bieter zur Folge haben, sind somit in sämtlichen Phasen des Ver- gabeverfahrens unzulässig.14 Der Grundsatz stellt also sicher, dass es keine Un- gleichbehandlung der Bewerber ohne sachlichen Grund gibt und gewährleistet mit dem sich aus ihm ergebenden Gebot zur Transparenz funktionierenden Wettbe- werb.
IV. Verfahrensarten
Gem. § 101 Abs. 1 GWB erfolgt die Vergabe öffentlicher Aufträge mit Auftragsvolumina oberhalb der Schwellenwerte entweder im Wege des offenen Verfahrens, nichtoffenen Verfahrens, Verhandlungsverfahrens oder des sog. wettbewerblichen Dialogs. Die Auftraggeber haben bei der Wahl der Verfahrensart die vom Gesetz vorgesehene Hierarchie zu berücksichtigen.
Nach § 101 Abs. 7 GWB n.F. i.V.m. § 3a Abs. 1 Nr. 1 VOB/A15 ist grundsätzlich das offene Verfahren vorrangig anzuwenden, es sei denn, es ist ausdrücklich et- was anderes gestatten. Charakterisiert wird diese Verfahrensart in erster Linie durch die Aufforderung einer unbestimmten Anzahl an Unternehmern zur Abgabe eines Angebots, der bis zu dem Eröffnungstermin geheim gehalten werden muss.16 Dem offenen Verfahren folgt das nichtoffene Verfahren § 101 Abs. 3 GWB i.V.m. § 3a Abs. 1 Nr. 2 VOB/A, das das Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes erfordert, die in Verdingungsordnungen geregelt sind. Dabei können nur die Un- ternehmer ein Angebot einreichen, die vom Auftraggeber dazu aufgefordert wur- den.17
Als dritte Vergabeart definiert § 101 Abs. 5 GWB n.F. i.V.m. § 3a Abs. 1 Nr. 4 VOB/A das Verhandlungsverfahrens, bei dem sich der Auftraggeber mit oder ohne vorherige Aufforderung zur Teilnahme an ausgewählte Unternehmen wendet, um mit einem oder mehreren über die Auftragsbedingungen zu verhandeln. Dieses ist am wenigsten formalisierte Verfahren, sodass der Auftraggeber bei der Verfahrensgestaltung einen weiten Spielraum hat und deshalb unterliegt es den strengsten Tatbestandsvoraussetzungen für die Anwendbarkeit.
Auf den wettbewerblichen Dialog nach § 101 Abs. 4 GWB n.F. i.V.m. § 3a Abs. 1 Nr. 3 VOB/A kann zurückgegriffen werden, wenn es sich um besonders komplexe Aufträge handelt, bei denen der Auftraggeber nicht in der Lage ist die rechtliche und finanzielle Konstruktion seines Vorhabens im Voraus zu beschreiben. Diese wird erst im Dialog mit mehreren Unternehmen definiert. Das Verfahren soll dem Auftraggeber die Möglichkeit geben, gemeinsam mit den Bietern, das Problem der Komplexität des Auftrages zu bewältigen.
V. Rechtsschutz
Im Oberschwellenbereich haben die Bieter nach § 97 Abs. 7 GWB einen An- spruch darauf, dass der Auftraggeber die Bestimmungen über das Vergabeverfah- ren einhält. Wird ein Unternehmen, das ein berechtigtes Interesse am Auftrag hat, in diesem Recht verletzt, kann es gem. § 107 Abs. 2 GWB bei den sog. Vergabe- kammern (§§ 104 ff. GWB) einen Antrag auf Nachprüfung des Verfahrens stel- len.18 Es handelt sich hierbei um den Primärrechtsschutz, der sich nach §§ 102 ff. GWB richtet.
Ist der Zuschlag bereits erfolgt, sind übergegangene Bieter auf die Geltendma- chung von Schadensersatzansprüchen verwiesen.19 § 126 S. 1 GWB ist auf Ersatz des Vertrauensschadens gerichtet. Dabei muss der Bieter nachweisen können, eine echte Chance auf die Erteilung des Zuschlags gehabt zu haben, wenn der Auftrag- geber nicht gegen eine Vorschrift verstoßen hätte und die Zuschlagschance somit beeinträchtigt hat.20 § 126 S. 2 GWB lässt weiterreichende Schadensersatzansprü- che ausdrücklich unberührt, sodass insbesondere auf das Bürgerliche Recht ge- stützte Schadensersatzansprüche der Unternehmen in Betracht kommen.
C. Vergaberechtsreform 2008/2009
I. Vorgeschichte
Die EU-Kommission erließ im Jahr 2004 die Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG, die der Gesetzgeber bis zum 31.1.2006 in das nationale Recht um- setzen sollte. Dies erfolgte im Jahr 2006 nur teilweise durch die Änderung der Vergabeverordnung und die VOB/A 2006, VOL/A 2006 sowie VOF 2006.21 Nach dieser ersten Stufe der Reform kam es im Jahr 2008 zu der zweiten Stufe - der Überarbeitung der Vergabevorschriften des GWB sowie zahlreichen Streichungen in der VgV. Dabei ging es nicht mehr nur um die Übernahme weiterer Regelun- gen aus VKR und SKR, sondern vor allem um die Umsetzung der Vorgaben der zwischenzeitlich erlassenen Rechtsmittelrichtlinie 2007/66/EG. Im Folgenden werden die wesentlichen Änderungen der §§ 97 ff. GWB für die Bauwirtschaft durch das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts dargestellt.
II. Änderungen im Vergabeverfahren
1. Verstärkung der Mittelstandklausel § 97 Abs. 3 GWB
Bereits nach der bisherigen Fassung des § 97 Abs. 3 GWB22 hatte der Auftragge- ber die Interessen der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) durch die Teilung der Aufträge in Fach- und Teillose angemessen zu berücksichtigen (sog. Mittelstandsklausel).23 Der Zweck der Norm liegt in der Stärkung des Mittel- stands, die dadurch erreicht werden soll, dass diesen der Zugang zu den Aufträgen ermöglicht wird, der ihnen sonst auf Grund ihrer eingeschränkten Leistungsfähig- keit gänzlich verschlossen bliebe.24 Die Mittelstandklausel wurde im Zuge der aktuellen Vergaberechtsreform verstärkt, indem die Aufteilung von Leistungen in Teil- und Fachlose zur Pflicht wurde, sodass eine Losvergabe zukünftig grund- sätzlich stattzufinden hat. Der Deutsche Bundestag hat bei der Annahme des Ge- setzesentwurfs darauf hingewiesen, dass die Trennung der Aufträge in Einzelteile marktüblich zu erfolgen hat.25 Dies wäre beispielsweise bei der Aufteilung der Autobahn in Streckenanschnitte der Fall. Marktunüblich wäre dagegen Fenster in Rahmen, Scheiben, Griffe und Beschläge zu trennen. Die Auftragsteilung soll im Rahmen einer freien Wettbewerbsordnung ausschließlich die Chancengleichheit der KMUs gegenüber Großunternehmen sicherstellen, nicht aber zu einer Bevor- zugung des Mittelstandes führen.26
Eine zusammengefasste Vergabe ist nach S. 3 der Norm dennoch möglich, darf aber nur in Ausnahmefällen stattfinden, wenn aus wirtschaftlichen und techni- schen Gründen solche Vorgehensweise erforderlich ist.27 Somit besteht die Mög- lichkeit einer Gesamtvergabe an einen Generalunternehmer bzw. Generalüber- nehmer im Rahmen dieser Ausnahmen weiter, auch wenn sie bei der Entschei- dung des Auftraggebers zu dieser Form der Vergabe durch eine besondere und dezidierte Dokumentations- und Begründungspflicht erschwert wird.
2. Berücksichtigung von sozialer, umweltbezogener und inno- vativer Aspekte § 97 Abs. 4
Der deutsche Gesetzgeber hat von der ihm durch die Vergaberichtlinien einge- räumten Befugnis freiwillig Gebrauch gemacht und die Norm des § 97 Abs. 4 GWB um sog. vergabefremde Aspekte erweitert, die zusätzliche Anforderungen an die Bewerber darstellen. Zukünftig können bei der Auftragsvergabe soziale, umweltbezogene und innovative Aspekte berücksichtigt werden, sofern sie im sachlichen Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen.28 Mit dieser Neu- regelung erfolgte eine Klarstellung, dass die öffentlichen Auftraggeber diese zu- sätzlichen Kriterien von den Unternehmen verlangen können, mit dem Ziel den Bedürfnissen der Allgemeinheit im ökologischen und sozialen Bereich zu entsprechen. Diese Anforderungen müssen den Bietern aber bereits zu Beginn des Vergabeverfahrens bekanntgegeben werden.29
Häufig wird in der Literatur die Befürchtung ausgesprochen, die Regelung könnte zur Verknappung der Bieter, durch Ausschluss der Unternehmen führen, die den Anforderungen nicht entsprechen, und würde einer wettbewerblichen Vergabe entgegenstehen, die es verlangt möglichst vielen Anbietern die Möglichkeit einzu- räumen an dem jeweiligen Verfahren zu partizipieren. Dies würde aus der Sicht des öffentlichen Auftraggebers dazu führen, dass die Auswahl aus einer knappe- ren Anzahl der Bewerber geschehen müsste, das zu einem Spannungsverhältnis zu den primären vergaberechtlichen Maßgaben des wirtschaftlichen Einkaufs und der sparsamen Verwendung von Haushaltsmitteln führen würde.30 Die Neufassung des § 97 Abs. 4 GWB wird als zukünftiges rechtliches Konflikt angesichts der erheb- lichen Reichweite der Norm gesehen.
3. Grundstücksgeschäfte und städtebauliche Verträge § 99 GWB
Die Modifikation des für den Begriff des öffentlichen Auftrags und somit für den Anwendungsbereich des kartellrechtlichen Vergaberechts maßgeblichen § 99 GWB dient hauptsächlich einer Beseitigung von Rechtsunsicherheiten, die durch eine Entwicklung in der Rechtsprechung hervorgerufen worden ist.31 Hierbei han- delt es sich insbesondere um die kontrovers diskutierte Auffassung des OLG Düs- seldorf32, die darin bestand, dass ein öffentlicher Bauauftrag in Form einer Bau- konzession (§ 99 Abs. 6 GWB) bereits dann vorliege, wenn zusätzlich zu einer (für sich genommen vergaberechtsfreien) Grundstücksveräußerung der öffentli- chen Hand eine Bauverpflichtung des Vertragspartners vorgesehen ist, mit der eine vom öffentlichen Auftraggeber angestrebte städtebauliche Entwicklung ver- wirklicht werden soll. Dem ist der Gesetzgeber insbesondere in § 99 Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 6 GWB n.F. entgegengetreten.
In § 99 Abs. 3 GWB wird die dritte Variante um ein entscheidendes Tatbestand- merkmal ergänzt. Demnach liegt ein Bauauftrag nur dann vor, wenn die Bauleis- tung dem Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt. Denn ein Bau- auftrag erfordert einen eigenen Beschaffungsbedarf des Auftraggebers, der nicht schon in der Verwirklichung einer von dem Planungsträger angestrebten städte- baulichen Entwicklung gesehen werden kann.33 In § 99 Abs. 6 GWB wurde die enthaltene Definition der Baukonzession neu gefasst. Zukünftig soll eine Baukon- zession nur dann vorliegen, wenn der Konzessionär als Gegenleistung für die Bauarbeiten „ein befristetes Recht auf Nutzung der baulichen Anlage“ erhält. So- mit werden Veräußerungsgeschäfte, die naturgemäß eine dauerhafte Nutzung und Verwertung ermöglichen, nicht erfasst.
4. Informationspflichten §§ 101a f. GWB
Die bisher in § 13 Satz 1 VgV enthaltene Informationspflicht der unterlegenen Bieter bzw. Bewerber vor Zuschlagserteilung ist durch die Neuregelung in § 101a GWB mit teilweise abweichendem Wortlaut abgelöst worden. Die Norm wurde der Rechtmittelrichtlinie angepasst und regelt die Pflicht des öffentlichen Auf- traggebers, die betroffenen Bieter bzw. Bewerber, deren Angebote nicht berück- sichtigt werden sollen, über diese Absicht in Textform zu informieren und den Vertrag erst zu schließen, wenn die Information erteilt wurde und eine Wartefrist von 15 bzw. 10 Kalendertagen nach deren Absendung vergangen ist. Dabei gilt die Stillhaltefrist von 15 Kalendertagen bei Versand der Mitteilung per Post, da- gegen von 10 Kalendertagen bei Absendung der Information per Fax oder auf elektronischem Wege.
Die Vorschrift bezieht sich auf „betroffene“ Bieter und Bewerber. Bieter gelten dann als betroffen, wenn sie noch nicht endgültig ausgeschlossen wurden. Endgül- tig ist ein Ausschluss, wenn er den betroffenen Bietern mitgeteilt wurde und ent- weder vor der Vergabekammer als rechtmäßig anerkannt wurde oder keinem Nachprüfungsverfahren mehr unterzogen werden kann.34 Demgegenüber sind Be- werber gem. § 101a Abs. 1, S. 2 betroffen, wenn sie keine Informationen über die Ablehnung ihrer Bewerbung vom öffentlichen Auftraggeber gestellt bekommen haben, bevor die Mitteilung der Zuschlagsentscheidung an die betroffenen Bieter ergangen ist.35 Dabei wird in der Gesetzesbegründung darauf hingewiesen, dass das Informationsschreiben hinreichend deutlich machen muss, aus welchen Grün den das Angebot nicht berücksichtigt wurde. Somit reicht ein bloßer Hinweis auf das nicht wirtschaftlichste Angebot nach Meinung des Gesetzgebers nicht aus. Dies soll den Bieter in die Lage versetzen, die Erfolgsaussichten eines Nachprüfungsverfahrens besser einzuschätzen.36
Verstößt der öffentliche Auftraggeber gegen die Informationspflicht gem. § 101a GWB hat dies - anders als bisher - nicht die Nichtigkeit, sondern die Möglichkeit zur Geltendmachung der Unwirksamkeit des Vertrags gem. § 101b Abs. 1 Nr. 1 GWB zur Folge. Der entgegen § 101a GWB, d.h. vor Ablauf der Stillhaltefrist von 15 bzw. 10 Kalendertagen, geschlossene Vertrag ist nur dann von Anfang an unwirksam, wenn dies in einem Nachprüfungsverfahren festgestellt wurde. Das gleiche gilt gem. § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB für Verträge, die direkt an ein Unter- nehmen vergeben wurden, also ohne eine förmlich Ausschreibung in vergabe- rechtswidriger Weise zu Stande gekommen sind (sog. de-facto Vergabe).37 Die Unwirksamkeitsfolge gem. § 101b Abs. 2 GWB tritt allerdings nur ein, wenn ein Nachprüfungsverfahren innerhalb von 30 Kalendertagen ab Kenntnis des Versto-ßes, jedoch nicht später als sechs Monate nach Vertragsschluss eingeleitet worden ist. Hat der öffentliche Auftraggeber allerdings die erfolgte Auftragsvergabe im Amtsblatt der Europäischen Union bekannt gemacht, endet die Frist zur Geltend- machung der Unwirksamkeit 30 Kalendertage nach Veröffentlichung der Be- kanntmachung.38 Nach Ablauf der jeweiligen Frist zur Geltendmachung kann die (schwebende) Unwirksamkeit des Vertrags nicht mehr in einem Nachprüfungsver- fahren festgestellt werden, d.h. der Vertrag ist von Anfang an wirksam.
III. Änderungen im Nachprüfungsverfahren
1. Verschärfung der Rügeobliegenheit § 107 III GWB
Für die Inanspruchnahme vom vergaberechtlichen Primärrechtsschutz durch den Bieter gilt als Zulässigkeitsvoraussetzung eine vorausgegangene Reklamation erkannter Vergabeverstöße gegenüber dem Auftraggeber.39 Der bisherige § 107 III GWB enthielt nur zwei Rügetatbestände, die das VergModG um zwei weitere Modalitäten ergänzt hat. Anders als bei § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB, der nur bei der positiven Kenntnis des Antragstellers vom Vergaberechtsverstoß die Rügeoblie- genheit entstehen lässt, erweitert § 107 Abs. 3 Nr. 3 GWB n.F. die Rügepflicht auch auf Verstöße, die aus den Vergabeunterlagen erkennbar sind.40 Diese müssen künftig vom Bieter spätestens bis zum Ablauf der Angebotsfrist gerügt werden. Die Bundesregierung begründet die Festsetzung der Frist damit, dass dem Auf- traggeber die Möglichkeit gegeben werden soll, Verfahrensfehler zu beheben und so unnötige Nachprüfungsverfahren zu vermeiden. Problematisch ist bei der Norm die Auslegung des Kriteriums der Erkennbarkeit, da diese nicht bestimmt, ob bei der Prüfung auf den individuellen Bieter bezogener subjektiver Maßstab oder ein auf einen „Normal“-Bieter bezogener objektivierender Maßstab anzuwenden ist.
§ 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB n.F. führt erstmals eine Frist für den erstinstanzlichen Rechtsschutzantrag ein. Künftig ist ein Nachprüfungsantrag nur binnen 15 Kalen- dertagen nach Zugang der Zurückweisung einer Rüge zulässig, wird dieses Rechtsbehelf innerhalb der genannten Ausschlussfrist vom Bieter nicht in An- spruch genommen, so kann die Rüge in einem späteren Nachprüfungsverfahren nicht mehr erfolgreich geltend gemacht werden. Zweck der Norm ist eine frühzei- tige Klarheit über die Rechtmäßigkeit eines Vergabeverfahrens.41 Gem. § 107 Abs. 3 S. 2 GWB bleiben sog. De-facto-Vergaben (§101b I Nr. 2 GWB) von der Rügeobliegenheit ausgenommen, da die Unternehmen keine vorprozessuale Ver- fahrenspflicht treffen kann, wenn der öffentliche Auftraggeber eine rechtswidrige Direktvergabe durchführt.42
[...]
1 Fabry/Meininger/Kayser, Vergaberecht in der Unternehmenspraxis, S. 16.
2 Schmidt/Vollmöller, Kompendium Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 6, Rdnr. 8.
3 Schonebeck/Schwenker, Das Vergaberecht in der anwaltlichen und gerichtlichen Praxis, Rn. 13.
4 Ähnlich Dageförde, Einführung in das Vergaberecht, S. 21.
5 Lux, Einführung in das Vergaberecht, S. 970.
6 Oberrath, Öffentliches Recht, Rn. 1247 ff.
7 So auch Dageförde, Einführung in das Vergaberecht, Rn. 10.
8 Aicher, in: Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, 2. Öffentlicher Auftraggeber, Rn. 10.
9 Müller-Wrede, in: Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, 4. Schwellenwerte, Rn. 13 f.
10 Fabry/Meininger/Kayser, Vergaberecht in der Unternehmenspraxis, S. 46.
11 Schonebeck/Schwenker, Das Vergaberecht in der anwaltl. und gerichtl. Praxis, Rn. 108.
12 Ax/Schneider/Nette, Handbuch Vergaberecht, Kap. 1, Rn. 35.
13 Aicher, in: Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, 9. Gleichbehandlung, Transparenz und Wettbewerb, Rn. 25.
14 Dageförde, Einführung in das Vergaberecht, Rn. 68 f.
15 Die Normen der VOB/A Abschnitt 2 gelten stellvertretend zu den Normen der GWB.
16 Hertwig, Praxis der öffentlichen Auftragsvergabe, Rn. 63.
17 Busch/Rösel, AVA-Handbuch, S. 18.
18 Oberrath, Öffentliches Recht, Rn. 1257.
19 Haratsch/König, NJW 2003, S. 2642.
20 Gesterkamp, in: Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, 30. Sekundärrechtsschutz, Rn. 2.
21 Siegel, VergabeR 2009, S. 241.
22 s. für § 97 ff. GWB Synopse in der Anlage 1.
23 Werner, VergabeR 2009, S. 264.
24 Müller-Wrede, NZBau 2004, S. 643.
25 Ley, Das neue Vergaberecht 2009, S. 17.
26 Werner, VergabeR 2009, S. 266.
27 Byok, NVwZ 2009, S. 552.
28 Kus, NZBau 2009, S. 23.
29 Noch, Vergaberecht kompakt, S. 751 f.
30 Steiff, VergabeR 2009, S. 290 ff.
31 Hölzl/Prieß , NZBau 2009, S. 160.
32 OLG Düsseldorf, NZBau 2007, 530 - Ahlhorn. Entscheidung: Öffentlicher Auftrag in Form einer Baukonzession liegt auch bei einer Grundstücksveräußerung mit einer Bauverpflichtung zur Verwirklichung der städtebaulichen Entwicklung vor.
33 Gabriel, NJW 2009, S. 2013.
34 Brauer, NZBau 2009, S. 297.
35 Ley, Das neue Vergaberecht 2009, S. 39.
36 Kriener, in: Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 101a, Rn. 16.
37 Byok, NJW 2009, S. 649.
38 Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, S. 219.
39 Byok, NVwZ 2009, S. 554.
40 Jäger, NZBau 2009, 558.
41 Stoye/Freiherr von Münchhausen, VergabeR 2008, S. 873.
42 Jäger, NZBau 2009, S. 562.
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