Die Untersuchung abweichender sexueller Vorlieben und Praktiken sowie deren Darstellung in zeitgenössischen Tanzperformances ist ein faszinierendes und komplexes Thema, das nicht nur ein breites Spektrum menschlicher Sexualität umfasst, sondern auch Fragen der Performanz, Ästhetik und gesellschaftlichen Normen aufwirft. In dieser Arbeit wird der Fokus auf die Subkultur des Kink gelegt, die als Überbegriff für nicht-normative sexuelle Vorlieben dient, mit einem speziellen Schwerpunkt auf BDSM.
Die Einleitung gibt einen Einblick in die subkulturelle Szene des Kink, illustriert anhand eines Besuchs im Berliner Kit-Kat Club, einem bekannten Zentrum für vielfältige sexuelle Austauschmöglichkeiten. Durch die Beobachtung von Interaktionen und das Eintauchen in die Atmosphäre des Clubs wird die Vielfältigkeit und Akzeptanz sexueller Neigungen deutlich, die sowohl dunkle als auch helle, schmutzige und sterile Aspekte umfassen kann. Dieser erste Einblick bildet den Ausgangspunkt für die folgende wissenschaftliche Untersuchung.
Die Motivation zur Durchführung dieser Arbeit entsteht aus dem Bedürfnis, die performativen Elemente abweichender sexueller Praktiken zu erforschen und ihre Darstellung in der Kunst, insbesondere im zeitgenössischen Tanz, zu analysieren. Dabei werden die Begriffe Transgression und Transformation als Leitmotiv gewählt, um die Überschreitung gesellschaftlicher Normen und deren potenzielle Auswirkungen auf kollektive Sex-Verständnisse zu beleuchten.
Die Struktur der Arbeit ist dreigeteilt: Zunächst wird die Subkultur des Kink, insbesondere BDSM, näher erläutert und die Performativität dieser Praktiken betrachtet. Anschließend werden ausgewählte Beispiele von BDSM-inspirierten Tanzperformances analysiert, um deren ästhetische Darstellung und Auswirkungen zu untersuchen. Schließlich wird im letzten Teil der Arbeit das transformative Potenzial von BDSM in Tanzperformances reflektiert und diskutiert, unter Berücksichtigung aktueller Diskurse zur Sexpositivität und Enttabuisierung sexueller Vorlieben.
Die Arbeit zeichnet sich durch eine interdisziplinäre Herangehensweise aus, die Erkenntnisse aus der Tanzwissenschaft, Performancekunst, Ethnologie und Soziologie vereint, um ein umfassendes Verständnis der Thematik zu ermöglichen. Durch die Betonung des Körpers als zentrales Element der Analyse wird ein besonderer Fokus auf die körperliche Ausdrucksform von BDSM und deren künstlerische Repräsentation gelegt.
Inhaltsverzeichnis.
1. Einleitung............................................................................................................. 1
2. Kink als Überbegriff für nicht-normative sexuelle Vorlieben............................. 6
2.1 Subkultur und Körperpraktiken des Kink......................................................... 6
2.2 (P)leisure: kinky Clubs als Orte der Transgression?...................................... 17
3. BDSM und seine Darstellungen im zeitgenössischen Tanz............................... 22
3.1 The public’s performative play in Luke George’s Bunny.............................. 22
3.2 Dominance and Submission in Felix Ruckerts Performance Afternoons...... 29
3.3 Pain, Punishment, Proximity in La Damas choreographischer Arbeit........... 36
4. Transgression als Transformation: das Potential von BDSM in Tanzperformances....................................................................................... 42
4.1 Bodies, Bondage, Boundaries: BDSM erleben.............................................. 42
4.2 Eine Theorie ästhetischer Transgression........................................................ 50
5. Sexpositivity im Tanz: das Ende von Kink und Vanilla.................................... 56
Bibliographie.......................................................................................................... 60
1. Einleitung.
Pain can be symbolic, light or heavy.
Scat can be symbolic, light or heavy.
Bondage can be symbolic, light or heavy.
Whipping can be symbolic, light or heavy.
Discipline can be symbolic, light or heavy.
Humiliation can be symbolic, light or heavy. [1]
„BDSM ist voller Schmerz, Macht und Gewalt, aber auch voller Liebe, Lust und Vertrauen. BDSM ist dunkel und hell, schmutzig und steril, laut und leise. Er ist das alles und er ist nichts davon. Er befindet sich irgendwo dazwischen: dort, wo die Akteur*innen entscheiden, was er nun ist, was sie sind und ob ihre Sexualität jetzt SM, BDSM, kink, pervers oder nichts davon ist – oder eben alles.“[2]
Es ist Mittwoch später Abend des 21. Juni 2023. Ich steige die Treppe der U-Bahn-Station besonders aufgeregt auf. Direkt vor mir, zwischen der Brückenstraße und der Köpenickerstraße befindet sich der Kit- Kat Club, in dem ich die Nacht verbringen werde. Auf meine Begleitung wartend, stelle ich mich etwas unsicher in die Schlange hin. Von der anderen Straßenseite kommend erkenne ich andere Clubbesucher*innen allein aufgrund des Dresscodes , der im Club gilt. Alltagskleidung ist hier Tabu und wer sich erhofft in üblicher Jeanshose und T-Shirt hereinzudürfen, ist am falschen Ort gelangt. Hier ist die Eintrittspolitik streng: Extravaganz, Originalität und Freizügigkeit in der Kleidungswahl sind nicht nur erwünscht, sondern sie gelten als Voraussetzung für den Zugang zur Tanzfläche. [3] In der Berliner Techno-Szene ist der 1994 gegründete Kit-Kat Club einer der bekanntesten und meistbesuchten. Er ist hauptsächlich für seine vielfältigen Veranstaltungen, die sexuelle Austauschmöglichkeiten unterschiedlicher Art bieten, bekannt. Der Schwerpunkt liegt auf der Kombination zwischen Party und sinnlichen hedonistischen Erlebnissen. [4] Nach dem Ankommen meiner Begleitung, den üblichen Eintrittskontrollen und der Aufklärung über die geltenden Verhaltensregeln, kommen wir durch die mit glitzerndem Lametta geschmückte Eingangstür rein. Die Atmosphäre ist zwar etwas außergewöhnlich, vor allem aufgrund der offensichtlichen und absichtlichen Exposition der Körper der Besucher*innen, doch das Ambiente wirkt auf mich angenehm, locker und respektvoll. Vielfältige visuelle und akustische Eindrücke fusionieren und bieten den neugierigen Besucher*innen einen magischen bizarren Ort, an dem alle sexuelle Vorlieben willkommen sind und angeblich auch ausgelebt werden können. Im Club sind Bars, Tanzflächen, ein Pool, eine Sauna und offene Spielbereiche vorhanden, welche die Möglichkeit zu fließenden Übergängen bieten, von der Tanzfläche zu Konversation hin zu sexuellen Aktivitäten. [5] Mein Besuch an dem Abend ist ein erster Eintrittspass in die Subkultur des Kink[6], deren Untersuchung eine meiner Hauptanliegen ist. Besonders interessant ist der Verlauf zwischenmenschlicher Interaktionen, den ich beobachten kann. Die Clubbesucher*innen wirken auf mich entspannt, gesellig, aufgeschlossen und sie scheinen miteinander problemlos ins Gespräch zu kommen. Ihr selbstbewusstes Auftreten, welches sich in ihrer Bewegungsart bemerkbar macht, erzeugt in mir das Gefühl, mich in einer eigenen Welt zu befinden. Eine Welt, die sich zwischen Öffentlichkeit und Privatheit entfaltet und in der eigene Regeln, Strukturen und Verhaltensweisen gelten. Im Club geht es nicht ausschließlich darum, den Körper mit extravaganten Accessoires zu schmücken und ihn explizit zu zeigen, sondern ihn in seinem sexuellen Dasein zu zelebrieren. Diese Dimension der Anerkennung und Akzeptanz der Vielfältigkeit sexueller Neigungen, so außergewöhnlich sie sein mögen, hat mich zutiefst beeindruckt und sie ist in nachträglichen Überlegungen einen ersten Impuls zur Entstehung der vorliegenden Arbeit geworden. Nach dem Besuch im Berliner Kit-Kat Club hat das Thema für mich eine konkretere Form angenommen, denn ich konnte Einblicke in eine durchaus performative Kultur bekommen. Performativ in dem Sinne, dass sie auf den Vollzug und Wiederholung von bestimmten Handlungen basiert, denen eine wirklichkeitskonstruierende und für die Kultur selbst bestätigende Funktion zugeschrieben werden kann. [7] Im Anschluss an den Abend haben sich Fragen bezüglich der Performativität im breiten Spektrum menschlicher Sexualität konkretisiert und somit entstand die Überlegung, spezifisch auf die von einer angeblichen Norm abweichenden sexuellen Vorlieben einzugehen und sie aus tanzwissenschaftlicher Perspektive zu untersuchen. Im Titel der vorliegenden Arbeit werden zwei Termini gegenübergestellt und einander bedingend aufgezeigt. Einerseits das der Transgression, die sich auf Überschreitung, Verstoß und Bruch von einer vorgegebenen Wirklichkeitsordnung bezieht, andererseits das der Transformation, die Wandel und revolutionären Schwung verspricht. Das transformative Potenzial einer transgressiven sexuellen Praxis wurde vom Professor für Wissenschaftstheorien und Theorien der Diversität Robin Bauer in seinem 2008 erschienen Artikel Transgressive and Transformative Gendered Sexual Practices and White Privileges: The Case of the Dyke/Trans BDSM Communities schonthematisiert. Eben aus diesem Beitrag sind die zwei Termini in den Titel der vorliegenden Arbeit übertragen worden. Sie werden zu Leitmotiven in Bauers Überlegungen, in dem er hauptsächlich auf Möglichkeiten und Grenzen sogenannter abweichenden sexuellen Körperpraktiken eingeht und ihren Einfluss auf kollektive Ebene reflektiert. [8] Im Folgenden wird zum Teil zwar ein ähnliches Ziel angestrebt, doch die Körperpraktiken werden aus einem anderen Blickwinkel behandelt. Die tanz- und theaterwissenschaftliche Forschung in diese Richtung wird soweit nur begrenzt betrieben und mit wenigen Ausnahmen bleibt der performative Charakter abweichender sexueller Neigungen und ihre Umsetzung in die Praxis kaum untersucht. Zu den für diese Arbeit relevanten wissenschaftlichen Beiträgen an der Schnittstelle zwischen Performancekunst, Theater und zeitgenössischer Kunst zählt beispielsweise Lea-Sophie Schiels im Jahr 2020 erschienen Sex als Performance,welches eine ausführliche theaterwissenschaftliche Analyse von Sex Performances [9] und ihren angeblich obszönen Charakter darbietet. [10] Zudem sind von besonderer Relevanz sowohl Barbara Oettls Existentielle Grenzerfahrungen: Tabubruch als Strategie in der zeitgenössischen Kunst , in dem sie Kunstwerke als willentliche strategische Mittel zur gefahrlosen Grenzüberschreitung theorisiert [11] als auchErika Fischer-LichtesÄsthetik des Performativen. Aufgrund mangelnder tanzwissenschaftlichen Referenzen greife ich des Weiteren auf Arbeiten aus anderen Wissenschaftsbereichen zurück. Für eine Einleitung zur Führung von Feldstudien im Rahmen subkultureller Bewegungen wird beispielsweise auf Anne Deremetz die BDSM-Szene. Eine ethnologische Feldstudie aus dem Jahr 2018 und Mateja Marsels 2020 erschienen Schmerz. Macht. Lust: das diskursive Spannungsfeld des BDSM , Bezug genommen. Zur gesellschaftlichen Kontextualisierung der Kink-Sexualitäthat sich Chris Haywoods Publikation Sex Clubs: Recreational Sex, Fantasies and Culture of Desire als besonders hilfreich erwiesen. Überdies ist die Lektüre von Veröffentlichungen ohne wissenschaftlichen Anspruch auch wertvoll gewesen, um die Perspektive der Akter*innen der Kink-Szene auf die betrachteten Vorlieben zu bekommen. Dazu zählen unter anderem Julie Fellens Please Scream Quietly: A Story of Kink und Katrin Passings und Ira Strübels Die Wahl der Qual. Handbuch für Sadomasochisten und solche, die es werden wollen .Ergänzend und den Forschungsgebiet erweiternd, soll hiermit auf folgende Fragen eingegangen werden: wie werden die von einer angeblichen Norm abweichenden sexuellen Vorlieben in zeitgenössischen Tanzperformances dargestellt? Welche Handlungen und ästhetische Merkmale machen die Auseinandersetzung der Künstler*innen mit der Thematik erkennbar? Anschließend wird reflektiert, inwiefern die Darstellung einer sogenannten transgressiven sexuellen Praxis einen Beitrag zur Umwandlung kollektiven Sex-Verständnisses leisten kann. Der Fokus wird gezielt auf zeitgenössische Tanzperformances gelegt, einerseits weil das Phänomen einen starken Gegenwartsbezug hat, andererseits weil die Recherche nach Darstellungen mit diesem oder einem ähnlichen Schwerpunkt in der Tanzmoderne kaum Ergebnisse erbracht hat.
Die Arbeit ist dreiteilig gegliedert. Anfänglich soll auf die Subkultur des Kink,der als Sammelbegriff für sexuelles Verhalten fungiert, welches von einem heteronormativen Sex-Verständnis und Praxis abweicht, eingegangen werden. [12] In diesem Teil wird der Versuch unternommen, Kink-Sexualitätzu veranschaulichen, um einen Überblick über unterschiedliche sexuelle Vorlieben zu verschaffen. Angesicht der unüberschaubaren Vielfalt und Komplexität menschlicher sexueller Praxis, wird der Fokus gezielt auf das Phänomen Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism alias BDSM [13] gelegt. Die Arbeit liefert weder einen historischen Überblick über das Entstehen derSubkultur desKinknoch eine juristische Perspektive auf BDSM-Aktivitäten. Empirische Studien über abweichende sexuelle Praktiken werden nur erwähnt, um einen Einblick auf die Verbreitung sadomasochistischer Neigungen in der Bevölkerung westlicher Gesellschaften zu bieten. Im Folgenden halte ich mich ebenfalls davon zurück, eine ethisch wertende Betrachtung des Spektrums des Sadomasochismus darzulegen. Dagegen wird der Fokus explizit auf ästhetische Merkmale gelegt, die die Performativität der Subkultur auszeichnen und auf den Tanz als Medium der künstlerischen Aufstellung ebendieses performativen Charakters der Körperpraktiken. Außerdem wird das Verhältnis zwischen Sex und BDSM reflektiert und wie es in Performances inszeniert wird. Auf die Thematik wird allerdings mit dem Bewusstsein eingegangen, dass die betrachteten Praktiken nicht zwangsläufig sexuell sind, sondern sie unterliegen einen Prozess der Sexualisierung, wodurch sie mit sexueller Aktivität in Verbindung gebracht werden. [14] Im zweiten Teil werden ausgesuchte Beispiele von BDSM inspirierten Tanzperformances dargelegt. Anhand aufführungs- und bewegungsanalytischer Ansätze steht im Vordergrund die Bemühung, die künstlerische Darstellung von BDSM-Praktikenzu schildern und sie als Auszeichnungsmerkmal in den jeweiligen Performances zu erkennen. Der abschließende Teil wird zur Hälfte dem Bericht von persönlichen somatischen Erfahrungen in der Berliner Kink-Szene gewidmet. Anschließend wird eine Theorie ästhetischer Transgression aufgestellt und reflektiert, inwiefern die Kombination von BDSM und Tanz einen Wandel im kollektiven Umgang mit unterschiedlichen sexuellen Präferenzen bewirken kann. Dies wird anhand Fischer-Lichtes Theorien zum transformativen Potenzial des Performativen und aktueller Diskursen zum Thema Sexpositivity [15] abgehandelt. Auf Begriffe der Perversion und der Devianz wird mit wenigen Ausnahmen bewusst verzichtet, allein aufgrund ihrer negativen Konnotation, die meines Erachtens deutlich im Kontrast mit Prozessen der Enttabuisierung und Entstigmatisierung steht. Eine nähere Betrachtung der obengenannten Begriffe, vor allem aus psychoanalytischer Perspektive, würde den Rahmen des vorliegenden Beitrags sprengen, deshalb wird auf die Termini zwar eingegangen, doch lediglich um Normen, Normativität und angebliche Normalitätinfrage zu stellen und Stereotypen zu problematisieren. Schließlich, weil die Arbeit im Rahmen tanzwissenschaftlicher Forschung entstanden ist, steht der Körper in den Vordergrund der Analyse, als Vehikel zum Ausdruck sexueller Triebe.
2. Kink als Überbegriff für nicht-normative sexuelle Vorlieben.
2.1 Subkultur und Körperpraktiken des Kink.
„The truth and reality of any phenomenon is rarely found in a dictionary definition, or in references to historical examples that ,look‘ similar.”[16]
„The war around words is regularly fought and seldom won.”[17]
Eine Definition, die Kink in all seinen Aspekten umfasst, ist nicht vorhanden. Doch als erster Schritt lohnt es sich nach der unmittelbaren Übersetzung des englischen Begriffes zu schauen. Unter anderem verweist Kinkauf ungewöhnliche, der Norm abweichende Vorlieben. [18] Er umfasst unterschiedliche Neigungen, Identitäten, Praktiken und Beziehungsformen, die in einem komplexen Gefüge ineinander verwoben sind.[19]Zur ausführlicheren Erläuterung des Terminus werden im Folgenden Begriffspaare eingeführt, die auch als Grundlage für die Analyse im nächsten Kapitel fungieren: Kink und Vanilla, Subkultur und Szene , sexuelle Vorlieben und Praktiken. Ein erster zentraler Aspekt des Kink ist seine abweichende Natur, denn er wird gewöhnlich als Kehrseite der sogenannten Vanilla-Sexualität [20] definiert. Die letztere wird als angeblich natürlicheundwahreForm des Sexes erklärt; eine Form die für Heteronormativität und Binarität, Monogamie und Privatheit steht und die in der Regel den Aufbau emotionaler Bindungen oder die Fortpflanzung erzielt. Demnach istVanilladie vermeintlich normale sexuelle Praxis. [21] Hingegen umfasst der Begriff KinkAktivitäten und Tendenzen die auf unterschiedliche Disziplinierungsformen, asymmetrische Machtverhältnisse der Dominanz und Unterwerfung, Rollenspiele als Inszenierung von Fantasien und Sadomasochismus basieren. Zudem gehören Fetischismus, voyeuristisches und exhibitionistisches Verhalten, Swinger-Aktivitäten und Gruppensex auch zum Spektrum des Kink. Daher steht Kink für Abweichung. [22]Die Gegenüberstellung Vanilla/Kinkist eine zwar verbreitete, doch reduktive Vorgehensweise, um die Bandbreite sexueller Vorlieben zu erfassen. Zu dem stellt Sozialwissenschaftlerin Anne Deremetz in ihrem Aufsatz zur Normalisierung sozialer Praktiken fest, dass es sich dabei um gesellschaftliche Regulationsprozessprozesse handelt, wodurch solche Begrifflichkeiten ins Leben gerufen werden. Insofern sind Normalität und Abweichung, Vanilla und Kink nichts anderes als Kategorien des Verständnisses, die eine gewisse gesellschaftliche Ordnung versuchen herzustellen. Laut Deremetz ist diese Dualität angesichts der Liberalisierung, Ausdifferenzierung und Pluralisierung von Lebensentwürfen der Spätmoderne allerdings nicht mehr zeitgemäß. [23] Dem zustimmend wird hier diese Dualität gedanklich abgelegt, um diesem komplexen Gebiet sozialer Wirklichkeit Rechnung zu tragen. Kink wird nicht zur Kategorie, sondern zum Über- bzw. Sammelbegriff erfasst, der für eine Vielfalt an sexuellen Vorlieben steht. An der Stelle sei nur erwähnt, dass ab den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts verschiedene empirische Studien über die Verbreitung sadomasochistischer Tendenzen und andere abweichende sexuelle Präferenzen im Vereinigten Königreich, den USA und Deutschland geführt wurden. Zu den bekanntesten in chronologischer Reihenfolge zählen beispielsweise: Spengler (1977), Falk &Weinberg (1983) und Moser & Levitt (1987), deren Ergebnisse auf Befragungen an überwiegend männlich-sozialisierten Teilnehmenden basierten. Die Studien beruhten hauptsächlich auf die Sammlung statistischer Daten, die verschiedensten Ursachen für sexuelle Erregung erfassten. Abweichungen im sexuellen Verhalten, vor allem in Form von Masochismus, wurden hauptsächlich bei homosexuellen, weißen cis-männlichen Personen festgestellt. Außerdem wiesen die Befragenden einen hohen Bildungsgrad, guten gesellschaftlichen Status und ein durchschnittlich gutes Einkommen auf. [24] Weiterhin ist der auf die Journal of Sex Research 2009 erschienen Studie Behind Closed Doors: An Exploration of Kinky Sexual Behaviours in Urban Lesbian and Bisexual Women auch erwähnenswert. Die Befragten waren ausschließlich weibliche Personen, deren sexuelles Verhalten mit Rücksicht auf ihre sexuelle Identität und Beziehungsstatus beobachtet wurde. Im Laufe der geführten Studie wurde festgestellt, dass Bisexuelle mehr als Homosexuelle im Durchschnitt öfters in Aktivitäten mit Schmerz- und Machtbezug involviert waren.[25]In eine ähnliche Richtung geht die StudieSensual, Erotic, and Sexual Behaviours of Women from the Kink Communityim Articles of Sexual Behavior2015 erschienen. Hierfür wurden nämlich auch weibliche Personen befragt, doch der Fokus lag darauf, möglichst viele sexuelle Präferenzen bzw. Aktivitäten zu benennen, aufzulisten und je nach Art der Beteiligung auszudifferenzieren. Ihre Verbreitung wurde anschließend anhand des Berichts der Befragenden dokumentiert. Die Ergebnisse zeigten auf, dass die meisten, sinnliche Empfindungen mehr als psychische Erfahrungen bevorzugten. [26] Obwohl es sich um Studien mit unterschiedlichen Schwerpunkten handelt, weisen sie darauf hin, dass abweichendesexuelleVorlieben schon Untersuchungsgegenstand gewesen sind. Dieser grobe Überblick beansprucht zwar keine Vollständigkeit, doch die Beschäftigung mit den Studien hat gezeigt, dass die Tendenz zur Abweichungim sexuellen Verhalten allgegenwärtig, alters-, geschlechts-, orientierungs-, berufs- und herkunftsunabhängig ist, wobei sie manche Menschengruppen mehr betrifft als andere. Zum Phänomen Kink zurückkehrend, lässt es sich zunächst als eine Subkultur bezeichnen, denn es handelt sich um ein Gebilde an Lebens- und Ausdrucksformen, Auffassungen, Normen, Werten und Symbole, die ein Bevölkerungsteil betreffen. [27] Laut der Kulturanthropologin Mateja Marsel verstehen sich Subkulturen als imaginierte Gemeinschaften mit eigenständigen sozialen Strukturen, welche jedoch in Relation zur Gesamtgesellschaft, von der sie abweichen, stehen. Imaginiert sind die Gemeinschaften in dem Sinne, dass sie nicht zwangsläufig auf die Präsenz der Akteur*innen beruhen. Hingegen entsteht eine Szene aus dem Zusammenkommen bzw. sich Zusammenfinden von Akteur*innen, die sich aufgrund gemeinsamer Interessen ihr zugehörig fühlen. Die Teilhabe der beteiligten Personen an gesellschaftlichen Events ist entscheidend, denn ihre sichtbare körperliche Präsenz in öffentlichen Räumen die Szene aufrechterhält. [28] So betrachtet besteht ein unmittelbares Verhältnis zwischen Subkultur und Szene, weil das gesamte subkulturelle Gebilde erst in die Szene zur sozialen, sichtbaren und erlebbaren Wirklichkeit wird. Insofern ist das Handeln bzw. die Performanz der Akteur*innen eine für die Szene konstruierende Instanz. [29] Laut der Professorin für Gender und Bildungskulturen Britta Hoffarth werden Körper in solcher Formen der Vergemeinschaftung auf zwei Weisen relevant: als, wie bereits oben genannt, Erscheinungsformen und durch ihre Teilhabe. Das bedeutet jedes Mal, wenn sie in unterschiedlichen Praktiken involviert sind. Hoffarth versteht Praktiken als Ereignisse und Handlungen, die die Materialität des physikalischen Apparats und eventuell Gegenstände involvieren. Sie beschreibt dieses gegenseitige Verhältnis zwischen Körper und Praktiken als gemeinschaftsstiftend und durch Wiederholung sinnerzeugend. Dies knüpft an Theorien der Performativität sozialen Handelns und erfasst die Realität der Szene als Praxisgemeinschaft. [30] Die Kink-Szene ist eine, in der sexuelle Vorlieben zur Grundlage der jeweiligen Praktiken werden. Sie offenbaren sich durch ihre praktische Umsetzung und werden somit Bestandteil des sozialen Gefüges der Szene. Sie sind in und durch die Praxis wirklich, wahrnehmbarund wiederholbar. Im Folgenden werden einige Aspekte und Erscheinungsformen des Kink geschildert, mit dem Bewusstsein, dass die Einteilung in scharf definierten Bereichen schwer umsetzbar ist. Dies, damit die Leser*innen zunächst einen ersten Einblick in die schon angesprochene Vielfältigkeit des Phänomens bekommen. Zuallererst würde ich auf das Akronym BDSMals Kernpunkt und Anlass dieser Recherche eingehen. Der aus dem Englischen stammende Begriff fing Mitte der 90er Jahre an, sich in Deutschland auszubreiten. Die Abkürzung, die für Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism steht, ist eine Kombination von komplementären Begriffspaaren, die auf unterschiedliche Beziehungsformen verweisen und auf Vertrauen, Einverständnis und Gegenseitigkeit aufbauen. Dem Akronym folgend, basiert der BDSM/Kinkzunächstaufs Fesseln bzw. Verschnüren des Körpers als spielerische Form der Bestrafung und Disziplinierung. Bondage schließt alle Möglichkeiten ein, den Körper mit unterschiedlichen Materialien und Hilfsmitteln einzuschränken, bestimmte Haltungen aufzuzwingen und generell seine Bewegungsfähigkeit zu reduzieren, sodass die fesselnde aktive Person die Kontrolle über die gefesselte passive übernimmt. [31] Die älteste Bondage Tradition ist das japanische Shibari, auch Kinbaku genannt, welche in der späten Edo-Periode, ca. 1600 bis 1860, bekannt wurde. Anfänglich wurde der Bondageals öffentlichen Vollzug einer Strafe benutzt und nur von Spezialist*innen ausgeübt. Später wurde von dieser Bestrafungstechnik eine künstlerische Strömung, wodurch die Praxis weitervermittelt wurde. Populär wurde sie allerdings in den 50er Jahren des 20 Jahrhunderts, als die ersten ausgedruckten Fotos von gefesselten Personen erst in japanischen Magazinen und später in europäischen veröffentlicht wurden. [32] Der Bondageumfasst verschiedene Techniken, die von Körperfesselung und Selbstfesselung bis zur Fesselung an Gegenständen und mentalen Bondage gehen. Unterschiedlich sind auch die Materialien, mit denen er praktiziert wird, von der Fesselung mit Seilen, Ketten, Seidentüchern, Strümpfen bis hin zu Handschellen, Bondage Säcken und Zwangsjacken. [33] Die Praxis basiert aber gesamt auf Erziehung und Gehorsamkeit, unterwürfiges Verhalten und Machtausübung, Hingabe und gegenseitige Beachtung. Je nach Kontext kann Bondageauch andere Konnotationen haben,es kann beispielsweise auch als dekorative Körpertechnik betrachtet werden oder als Vorspiel einer sexuellen Handlung fungieren. Sein Hauptmerkmal bleibt jedoch der starke Einbezug des Körpers, welcher im Spektrum des Kink nicht immer der Fall ist. [34] Eng damit verbunden ist das zweite Begriffspaar Dominance & Submission , welches offenbar auf Beziehungen und Handlungen mit asymmetrischem Machtbezug verweist. Ähnlich wie beim Bondageübernimmt eine oder mehrere Personen die dominante Rolle über eine oder mehrere andere in der Beziehung beteiligten. Doch solche Beziehungen beschränken sich nicht auf Einschränkung und Kontrolle über den Körper, sondern sie sind komplexer und vielfältiger. Sie können im privaten oder öffentlichen Rahmen stattfinden und gehen über das sexuelle Ausleben weit hinaus. In einer solchen Konstellation übernimmt der dominante Part die Verantwortung und entscheidet anstelle des submissiven Parts, welcher dementsprechend die Kontrolle abgibt und gehorcht. Sie sind komplementär und ohneeinander nicht realisierbar. Im BDSM-Kontext handelt es sich hiervon um Beziehungen nach Absprache, die kontrolliert ablaufen. Es werden Situationen inszeniert , die das Dom/Sub Verhältnis zwischen den Parts verdeutlichen und bestätigen; dies geschieht oft in einem definierten räumlichen und zeitlichen Rahmen, es sei denn es handelt sich um sogenannte 24/7-Beziehungen , in denen das Dominante und Unterwürfige ununterbrochen in ihrer Rolle bleiben. [35] Dom/Sub-Beziehungen ermöglichen die Inszenierung und das Ausleben von Fantasien seitens der Beteiligten. Fantasien können beispielsweise in Form von Rollenspielen in konkreten Szenarien verwirklicht werden. Das Nutzen von passenden Kostümen und Requisiten aller Art kann auch zum Einsatz kommen. Hier seien nur einige Rollenspiele mit ihrer verbreiteten englischen Begriffen aufgezählt: animal/ pet play,mediacal play,danger play,master/slave play,occupation play,religious play, bis zu den umstrittenen age play, incest play, rape play und race play. [36] Obwohl es sich offensichtlich um verschiedene Szenarien handelt, bleibt der Kern dieser Beziehungenbestehen, nur wird er in anderer Form verwirklicht. Wenn es einerseits um Macht, Kontrolle, Zwang, Beherrschung und Dominanz geht, geht es andererseits um freiwillige Unterwerfung, Hingabe, Entlastung und Befreiung. Beide Parts sind einander durch ihr Verhalten und dem gemeinsamen Handeln verbunden, wovon sie in unterschiedlichen Weisen profitieren. Solchermaßen bilden sich auch sadomasochistische Beziehungen heraus, nur setzen sie eine eigene Form der Dominanz und Subordination voraus. Beim letzten Begriffspaar Sadism & Masochism geht es explizit um das Zufügen und Erleiden vom Schmerz; sei es auf körperliche oder psychische Ebene, wobei an der Stelle die Grenze zwischen Somaund Psyche schwer zu ziehen ist. Der Terminus Sadomasochismuskombiniert zwei komplementäre Begriffe: Sadismus und Masochismus. Sie wurden jeweils vom französischen Marquis de Sade (1770-1814) und Österreicher Leopold von Sacher-Masoch (1836-1895) geprägt. Beide Schriftsteller schrieben über die Rolle des Schmerzes in ihren sexuellen Praktiken und Fantasien. [37] Der medizinische Fachbegriff wurde hingegen vom Professor für forensische Psychiatrie und Neurologie Richard von Krafft-Ebing geprägt. Er widmete sich dem Studium des Verhältnisses zwischen psychischen Krankheiten und sexuellen Neigungen. 1886 veröffentlichte er Psychopathia Sexualis , welches zu der Zeit populär wurde und lang als einzige wissenschaftliche Quelle zum Thema galt. Unter anderem untersuchte er die Relation zwischen sexueller Erregung, Bestrafungsformen, grausamen Taten und beigefügten Verletzungen mit Zeugenschaft. [38] Der Begriff weckt verschiedenste, auf den Schmerz gerichtete Assoziationen, beispielsweise Aggressivität, Grausamkeit, Brutalität, Rücksichtlosigkeit, Destruktivität und Unterdrückung. Es handelt sich um Ausdrucksformen bzw. Handlungen, die Schmerz in den Mittelpunkt des Geschehens stellen. Solche Triebe können sexuell geäußert und entladen werden, wobei dies nicht zwangsläufig der Fall sein muss. Ähnlich wie bei Dom/Sub-Beziehungen sind Sadomasochist*innenaufeinander angewiesen. Wenn es einerseits um Bemächtigung und Kanalisation von destruktivenTrieben geht, geht es auf der anderen Seite um Selbstaufgabe, Ohnmacht, Entlastung und Befreiung. [39] So widersprüchlich es für Außenstehende scheinen mag, gehören bei SMler*innen[40]Leid und Lust zusammen. In spielerischen Formen der Bestrafung beispielsweise breast play, genital play, ice play, candle wax play, breath play, corset training, deprivation play, cutting, branding, feces play, whipping, electrical play, torture ,[41]verfügt die dominante Person über den Körper der submissiven, die dem Geschehen ausgeliefert ist. An dieser Stelle wird nicht darauf eingegangen, ob Lustgewinn als Legitimation für gewaltsame, grenzüberschreitende Praktiken gilt. Stattdessen wird im Folgenden auf der Szene spezifische Begrifflichkeiten eingegangen, sowohl um den Leser*innen Hintergrundwissen zu liefern, als auch um Dom/Sub-Beziehungenund sadomasochistische Aktivitäten von realer sexualisierter Gewalt abzugrenzen und sie in eine performative Kultur einzubetten, in deren Rahmen alles gespielt wird. Wie vorhin erwähnt, handelt es sich bei BDSMum eine Praxisgemeinschaft, in der arrangierte Begegnungenüblicherweise als Session oder Spielbezeichnet werden. Sie können öffentlich oder privat stattfinden; zudem werden sie in unterschiedlicher Weise und mit beliebig vielen Teilnehmenden organisiert. Promiskuität im sexuellen Verhalten und die bewusste Trennung zwischen Beziehung und Sex sind weitverbreitet, doch jede*r kann es lediglich den individuellen Wünschen gemäß gestalten. In der Vielfalt an möglichen Konstellationen können sich Rollen herausbilden, die in der Tat gespieltwerden. Während die Rollenverteilung in Dom/Sub-Beziehungen klar definiert ist, besteht auch die Möglichkeit Switcher*in zu sein, zwar Personen, die ihre Rolle wechseln können.[42]Dass gewisse Parallelen zwischen BDMS-Praktiken und dem theatralischen Kontext vorhanden sind, wird anhand einiger der obengenannten Begriffe offensichtlich. Zudem ist es auch wichtig zu erwähnen, dass solche Praktiken, seien sie sexuell orientiert oder nicht, ihren performativen Charakter nicht verschleiern, sondern ihn sichtbar machen, denn nur ihre öffentliche Ausführungdie BDSM-Szene aufrechterhält. Anders ausgedrückt, lebt diese Szene durch die Sichtbarmachung ihres Inszeniert-Seins. [43] Dies wird im nächsten Abschnitt, in dem es darum geht, solche Inszenierungen zu verorten, entscheidend.
Neben den BDSM-Praktiken gehört Fetischismusauch zum Spektrum des Kink. Der Begriff wird aus dem lateinischen facticius, welches Artefakt und künstlich bedeutet und dem französischen féticheund portugiesischenfeitiço, die als Zaubermittelbzw. Verzauberungübersetzt werden können,abgeleitet. [44] Somit ist Fetischismus eine Kombination zwischen eines Zustand der Verzauberung und eine Fabrikation, eines Produkts oder bestimmten Objekts. Ein Fetisch betrifft nicht nur die Sexualität, sondern und vor allem die sinnliche Wahrnehmung. [45] In ihrer Publikation Fetisch. Mode, Sex und Macht erläutert die Kulturhistorikerin Valerie Steele, dass das Phänomen auf den Aufbau einer Beziehung besonderer Art zwischen Mensch und Gegenständen, Materialien oder bestimmten Körperteilen basiert. Obwohl einige Objekte von Fetischist*innen häufiger ausgewählt werden, kann alles, welches Begehren erzeugt, zum Fetisch werden. Zu den beliebten Materialien zählen beispielsweise Leder, Pels, Latex, zu den Kleidungsstücken Dessous, Korsetten, Absatz-Schuhen, Halsbände, Harness und zu den Körperteilen Po, Brüste, Genitalien und Füße. Üblich ist auch die Kombination mehrerer der ebengenannten Elementen, dennoch bleiben alle mögliche Fetische schwer aufzulisten. Die Objekte oder Körperteile werden zum Fetisch, wenn die Lust, mit ihnen in irgendeiner Form zu interagieren, vorhanden ist. Sie werden fetischisiert, weil sie affektiv geladen werden. Die Interaktion mit den Fetisch-Objekten kann in unterschiedlicher Weise stattfinden, beispielsweise durch das Anziehen, Anfassen, Riechen, Hören, Spüren usw. [46] Fetischistisches Verhalten wurde parallel mit abweichenden sexuellen Praktiken untersucht. Die sexuelle Dimension des Fetischismus liegt eben in dem Begehren, der Sinnlichkeit und der körperlichen Erregung im Ausleben des Fetisches. [47] Zur Erläuterung der Verbindung zwischen Sex und Fetischismus unterstützt Valerie Steele die Freud'sche Theorie zu den Fetisch-Objekten und bestätigt einerseits, dass Fetische eine phallische Symbolik von Macht und Potenz bedienen, andererseits erkennt sie die Probleme und Lücken der Theorie in der Wahl der Objekte, die nach Freud eine unterbewusste Kompensationsstrategie gegen die Furcht homosexuell oder kastriert zu werden darstellen. [48] Ohne in die Freud'sche Theorie ins Detail zu gehen, wird hier die Rolle des Körpers in solchen Mensch-Objekt Beziehungen relevant. Dabei hilf es zuerst zu klären, aus welchem Grund Fetischismus zum Spektrum des Kink gehört. Laut Theaterwissenschaftlerin Lea-Sophie Schiel ist Fetisch als Lustspeicherzu verstehen. Diese Lust wird durch das Fetisch-Objekt einerseits erzeugt, andererseits verdreht. Das Fetischisieren eines Objekts, einer Handlung oder eines Körperteils besteht darin, ebendiese von ihrem herkömmlichen Zweck oder Zusammenhang zu entbinden, sie in ein anderer Kontext zu stellen oder ihnen andere Fähigkeiten zuzuschreiben als die, für sie vorgesehen. [49] Hierfür verwendet Schiel den Begriff der Perversion, allerdings im Sinne einer Umdrehung bzw. Umschreibung. Das Pervertieren seiner Objekte macht Fetischismus zur abweichenden Vorliebe, wodurch er ein bzw. zum Kink wird. Fetisch, verstanden als Mensch-Objekt Beziehung, befindet sich an der Schwelle zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit, zwischen Lebendigkeit und Artefakt. [50] Der fetischisierte Körper, ähnlich wie Gegenständen und Materialien, unterliegt auch einem Prozess der Umschreibung. Das bedeutet, dass Körperteilen, die zum Fetisch erklärtwerden, neue Zwecke zugeschrieben werden können. Somit wird der Körper auch zum Objekt, dessen Bestimmung die Erzeugung und Befriedigung von Lüsten ist. Schließlich ist es interessant zu bemerken, dass es im Rahmen fetischistischer Tendenzen keine Rolle zu spielen scheint, ob das Begehren nach lebendigen Körpern oder leblosen Gegenständen und Materialien gerichtet ist. [51] Anders gesagt, sind Körper Gegenständen in der Auswahl des Fetisch-Objekts nicht übergeordnet, sondern Gegenstände können genauso viel Erregungspotenzial wie Körper besitzen. Wie vorhin erwähnt, ist die sinnliche Wahrnehmung und Interaktion mit Objekten des Begehrens der Entstehung von Fetischen zugrundeliegend. Unter vielen Formen der Interaktion zählt beispielsweise das Zuschauen, welches allein lusterzeugend sein kann. Die Wahrnehmung der ausgewählten Objekte seitens des, oder der Zuschauer*in weckt das Begehren nach ihnen. Diese lustgeladene Form des Sehens kann als Voyeurismusbezeichnet werden. Der Begriff stammt aus dem französischen voyeurisme[52]und bezeichnet die Schaulusteiner oder mehrere Personen, anderen bei sexuellen Aktivitäten heimlich und anonymzuschauen. Voyeuristisches Verhalten ist eine sonderliche Form der Teilhabe am Geschehen. Denn sie kann, muss aber nicht auf Reziprozität, gegenseitiges Einverständnis und direkte Partizipation basieren. Aufgrund ihres heimlichen Daseins befinden sich Voyeur*innen im Dazwischen, denn solange ihre Anwesenheit nicht auffällt, sind sie nur Zuschauer*innen und können das Geschehen nicht beeinflussen. [53] In diesem Rahmen sind voyeuristischeKonfigurationen als abweichende sexuelle Vorlieben zu betrachten, wobei das lustvolle Zuschauen nicht zwangsläufig mit sexuellen Akte zu verbinden sei; es kann sich eben auch um übermäßiges Interesse ans Leben anderer bzw. an Ereignisse, in denen andere involviert sind, handeln. [54] Voyeurismusim Sinne einer sexuellen Vorliebe konkretisiert sich um die visuelle Dimension des Sexes.In seiner PublikationPartizipation der Blicke. Szenarien des Sehens und Gesehenwerdens in Theater und Performancebeschreibt Theaterwissenschaftler Adam Czirak das Verhältnis zwischen Zuschauer*innen und Akteur*innen als voyeuristisch. Laut Czirak werden in Theateraufführungen Szenarien realisiert, die Zuschauer*innen zu begehrenden Subjekten machen. [55] Anlehnend zum marxschen Prinzip des Mehrwertes, erläutert Czirak, dassdas, was auf der Bühne gezeigt wird, den Appetit bzw. die Lust der Zuschauer*innen stimuliert, weil sie im Geschehen ein Mehrwert erkennen können. [56] Wenn manVoyeurismus als sexuelle Vorliebe versteht, ist dieser Mehrwert die sexuelle Erregung, die aus dem Zuschauen entsteht. Doch warum ist voyeuristisches Verhalten als abweichende sexuelle Praxis zu betrachten?
An der Stelle lohnt es sich auf Cziraks aufgestellte These zu den Machtaspekten einer voyeuristische Konstellation zu schauen. In Theateraufführungen, Filmen, Fernsehen und visueller Kunst werden Personen oder Objekte aufgestellt, die die Schaulust stimulieren sollen. Czirak zufolge sind Blickrelationen auch als Machtrelationen zu verstehen. Das bedeutet, dass Machtverhältnisse zwischen den Betrachter*innen und dem Betrachteten vorhanden sind. Er theorisiert, solche Relationen seien als asymmetrisch zu verstehen. Wenn auf der einen Seite die anonymen Beobachter*innen sind, ist auf der anderen das Aufgestellte, welches zu beobachten gilt. Die Asymmetrie liegt in der angeblichen Ohnmacht der Beobachter*innen, die den Entzug ihrer Lustobjekte fürchten. [57] So betrachtet übernehmen Voyeur*innen eine submissive Rolle in der Betrachtung der Objekte ihres Begehrens, weil sie sich ihnen jederzeit entziehen können. Aufgrund dieses asymmetrischen Machtbezugs gehört Voyeurismus zum Spektrum des Kink .Als Kehrseite des Voyeurismusist der Exhibitionismus , welcher sich auf die Erfahrung des Gesehenwerdens bezieht. [58] Im exhibitionistischen Verhalten geht es um den Wunsch, Aufmerksamkeit potentieller Zuschauer*innen zu erregen. Hier spielt nicht nur der Blick, sondern das Sich-zur-Schau-Stellendes Körpers eine wichtige Rolle.Der Begriff wurde vom französischen Neurologen Ernest-Charles Lasègue 1877 geprägt. Er klassifizierte Exhibitionismus als sexual-psychopathologische Neigung, denn er basiert auf die Entblößung des Körpers und vor allem der Genitalien. [59] Für Exhibitionist*innen ist das Erblickt-Werden erregend. Das Bedürfnis angeschaut zu werden geht häufig mit der Sehnsucht nach Bestätigung des Selbst einher. Hier wird es als sexuelle Vorliebe betrachtet. In jedem Fall ist von einer Form der Selbstinszenierungdie Rede. Die Präsenz der Zuschauer*innen ist unabdingbar, weil sie das selbst inszenierende Verhalten der Exhibitionist*innenmit hervorbringt. [60]Ähnlich wie beimVoyeurismus, entsteht eine Blickrelation zwischen dem sich-zeigenden Subjekt und seinen Betrachter*innen. Eine Relation, die gleichfalls einen Machtbezug vorweist und in zwei Weisen gedacht werden kann. Entweder ist exhibitionistisches Verhalten eine Form der Machtausübung auf die Zuschauer*innen, deren Aufmerksamkeit die Exhibitionist*innen versuchen für sich zu gewinnen; in diesem Fall ist die Entblößung des Körpers dominant.Oder übernehmen die Zuschauer*innen die dominante Rolle, indem sie den sich-zeigenden Subjekten erst die Möglichkeit geben, sich darzustellen. An der Stelle ist nicht relevant, für welche Auffassung man sich entscheidet, sondern zu bemerken, dass die Machtrelation asymmetrisch bleibt. Dies macht Exhibitionismuszum Kink.
Weitergehend in der Betrachtung von abweichenden sexuellen Vorlieben, sind Swinger-Aktivitäten und Gruppensex auch erwähnenswert. In der Kink-Szene sind Swinger-Aktivitäten durchaus üblich. Der Begriff Swingenbzw. Swingingdefiniert allgemein eine gegenseitig einvernehmliche Vereinbarung zwischen zwei oder mehrere in einer Beziehung Beteiligte, die sich auf sexuelle Aktivitäten mit anderen einlassen. Bei Swinger*innen, so werden sie genannt, kann es sich häufig um verheiratete Paare und Lebensgefährt*innen handeln, doch auch Geschiedene, Verwitwete und Singles können im Swinger-Kontext aktiv sein. Meistens nehmen alle Beteiligten an Aktivitäten zur gleichen Zeit und am gleichen Ort teil; das bedeutet, dass alle anwesend sind und involviert werden; dies kann aber unterschiedlich ablaufen, manche bevorzugen getrennte Räume, andere lieben die gemeinsame Erfahrung des Swingens. Dabei geht es nicht nur ausschließlich um Sex, sondern auch um Andere beim Sex zuzusehen und ums Gesehenwerden. Andere Begriffe für solche Aktivitäten sind beispielweise: partner exchange, mate-swapping, spouse-swapping undco-marital sex. [61] In der Regelsind Swinger-Begegnungen arrangiert und basieren auf bestimmte Regeln, die die Swinger*innen festlegen. Auch hier sind die Praktiken vielfältig und werden nach den jeweiligen Vorlieben gestaltet. Interessant zu beobachten sind vor allem die Beweggründe der Swinger*innen, denn häufig geht es um neue spannende Erfahrungen und ums Auffrischen des eigenen Sexuallebens. [62] Andererseits kann es um das Ausbrechen aus gesellschaftlichen Konventionen gehen, denn Swinger*innen legen die Exklusivität ihrer Beziehungen ab, indem sie ihre Partner*innen teilen und tauschen. Somit werden Monogamie und Privatheit von Promiskuität und Öffentlichkeit ersetzt. Deshalb ist Swingen eine sonderbare Form von Gruppensex. Auf dieser Weise lassen sich alle sexuelle Aktivitäten definieren, in denen drei oder mehrere Personen involviert sind und deshalb die Erfahrung teilen. [63] Nun, während beim Swingen definierte Beziehungskonstellationen vorhanden sind, die erweitert werden, muss dies im Gruppensex nicht immer der Fall sein. Hier besteht zwar die Möglichkeit zu swingen, d.h. die eigenen Partner*innen zu tauschen, doch es kann sich auch um eine kollektive Erfahrung handeln, deren Akteur*innen vorher nicht in Beziehungen zueinander waren und nachher nicht sein werden. Sowohl Swingen als auch Gruppensexgehören zum Spektrum abweichender sexueller Vorlieben, denn sie öffnen eine Dimension des Sexes, die nicht zwangsläufig mit Liebe, Committment, Fortpflanzung und dem Aufbau von Beziehungen verbunden ist. Nach dem Prinzip: „Sex is for fun” [64] geht es beim Gruppensex und generell in der Kink-Szene vielmehr um Lust, Vergnügen, Befriedigung und Unterhaltung. Unterschiedlich sind die Möglichkeiten die Szene beizutreten. Neben Stammtischen, Internetforen, chats und social media gilt als weitverbreitete und beliebte Methode der Besuch von Bars, Lokalen, Partys und Clubs, denn dort ist die Wahrscheinlichkeit Gleichgesinnte zu finden eindeutig höher. Netzwerke und soziale Interaktionen sind für solche Aktivitäten von zentraler Bedeutung, deshalb werden im Folgenden sogenannte kinky Clubs als Orte des Zusammentreffens von Kinkster*innen [65] und der angeblichen Transgression sexueller Normativität geschildert.
2.2 (P)leisure: kinky Clubs als Orte der Transgression?
„Magisches Theater. Eintritt nicht für jedermann. Nur für verrückte. Eintritt kostet den Verstand“ [66]
So lautet die Eingangsbeschriftung des Berliner Kit-Kat Clubs. Sie verweis auf einen zauberhaften Ort, ein wundervolles Theater, welches nur für Extravaganz und Verrücktheit offen ist. Der Club ist kein alltäglicher Treffpunkt und um ihn zu betreten, soll man den eigenen Verstand ablegen. Bei der vielversprechenden Beschriftung stellt man sich die Fragen: um was für ein Ort handelt es sich? Und vor allem, was passiert da drin?
Bis jetzt könnte festgestellt werden, dass Kink ein Überbegriff für eine Bandbreite an Vorlieben und Neigungen ist, die zwar verschiedene Charakteristika und Erscheinungsformen vorweisen, doch einander verwoben sind. Als Nächstes stehen hier genannte kinky Clubs im Vordergrund der Betrachtung, denn sie sind ein Bestandteil der Szene. Um die obengenannten Fragen zu beantworten, handelt es sich hierbei um Orte, in denen, sich die vorhin geschilderten Vorlieben von der Privatheit verabschieden und in die Öffentlichkeit in Erscheinung treten. Clubs sind öffentliche Räume, die einen sicheren Rahmen fürs Ausleben von Fantasien durch ihre Umsetzung in die Praxis anbieten. In Europa begann die Ausbreitung der kinky Clubs in den 90er Jahren. Anfänglich allerdings nur in größeren Städten. Mittlerweile sind sie auch außerhalb des urbanen Kontexts weitverbreitet. [67] Sie werden üblicherweise auch als Sex Clubsund manchmal als Swingerclubs bezeichnet. Wobei es zu klärenden Unterschieden in den Begrifflichkeiten gibt. Die Definition Swingerclub soll nämlich nur für Orte, in denen der Schwerpunkt auf Swinger-Aktivitäten liegt, verwendet werden. Der Kit-KatClub, der als Beispiel fungiert, ist nicht alsSwingerclub zu bezeichnen, obwohl dort Swinger*innen auch willkommen sind. Er kann zwar als Sex Club bezeichnet werden, aber bei dieser Definition wird sexuelle Aktivität in den Mittelpunkt gestellt, was nicht zwangsläufig der Fall ist. Natürlich ist Sex in kinky Clubs offensichtlicher als in anderen Clubs. Dort geht man generell offener mit den eigenen sexuellen Wünschen um und kann sie eventuell auch umsetzen. Oft sind Spielzimmer, Darkrooms und Gerätschaften vorhanden, die man ohne Einschränkung ausprobieren kann. [68] Doch zu den Aktivitäten, die man noch machen kann, zählen das Sich-Unterhalten, das Flirten, das Tanzen und das Schließen neuer Bekanntschaften. Der Club ist vor allem ein Treffpunkt für Gleichgesinnte und somit ein Ort sozialer Interaktion. Deshalb wird hier lieber der Begriff kinky verwendet, weil er der Vielfältigkeit des Unterhaltungsangebots besser Rechnung trägt. Der Professor für Wissenschaftstheorien und Theorien der Diversität Robin Bauer definiert kinky Clubs als safe spaces oder playgrounds. Bauer zufolge werden in diesen Räumensoziale Hierarchien, kulturelle Tabus, vorgegebene Verhaltensweise und Normen transgrediert; zudem besteht seitens der Besucher*innen die Möglichkeit, mit den persönlichen Grenzen zu experimentieren. [69] Demzufolge sind heutige kinkyClubs nicht nur Räumlichkeiten, sondern vielmehr als Orte desRealität-Werdensund derInszenierungvom Selbst und der eigenen Fantasienzu verstehen. Sie sind Theater des Kink . Dieses Konstrukt wird von den Handlungen seiner Akteur*innen belebt, die ihre Körper freiwillig ausstellen. In diesem Zusammenhang verweist Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte auf cultural performances , die sie als die „kleinste zu beobachtende Einheit einer kulturellen Struktur“ [70] versteht. Solche Handlungen artikulieren und bestätigen das Selbstbild einer (Sub)Kultur. [71] Somit ist das Handelnim Club seitens der Akteur*innen bedeutend, weil es ihre Zugehörigkeit zu der Szene bestätigt und das Theater des Kink am Laufen hält. Diese Orte tragen dazu bei, eine Kultur des Begehrens hervorzubringen und bieten zugleich eine Bühneperformativer Ereignisse. In diesem Theaterwerden Sex und Intimität neu konnotiert und zur autotelischen Unterhaltungsaktivitäten. Der Club öffnet neue Dimensionen über Sex zu sprechen und ihn zu praktizieren. [72] Für manche ist er einen Ort für arrangierte Begegnungen, andere möchten unkonventionelle Praktiken ausprobieren, andere noch zuschauen, sich zeigen oder neue potenzielle Spielkamerad*innen kennenlernen. Bestandteil der Ökonomie der heutigen kinky Clubs besteht eben darin, dass eine Eintrittskarte in dieses Theater des Begehrensverkauft wird, welche die Erfüllung jeglicher sexueller Fantasien verspricht.[73]Die ökonomischen Aspekte der Szene beiseite, sind meines Erachtens die angebliche Transgression gesellschaftlich-akzeptierter Normen und Werte und die intrinsische Performativität, die dieser Kultur des Begehrens einen dynamischen Schwung geben. Doch inwiefern werden in Clubs Normen und Konventionen transgrediert? Warum ist diese Transgression als performativ zu bezeichnen?
Anhand des Beispiels von BDSM-Aktivitäten, äußert sich Theaterwissenschaftlerin Lea-Sophie Schiel bezüglich des transgressiven Potenzials von abweichenden sexuellen Vorlieben. Sie stellt fest, dass solche sexuellen Praktiken deshalb transgressiv sind, weil sie nicht genital fixiert sind, d.h. es handelt sich dabei nicht zwangsläufig um genital orientierte sexuelle Handlungen. Solche Praktiken kehren von einer bestimmten Vorstellung von Sex und seinen Ablauf ab, wodurch sie als nicht-normativ gelten. [74] Transgression steht für Überschreitung, Verstoß oder Ausbruch vom Vorgegebenem. Das bedeutet, dass jeder Akt der Transgression eine existierende Norm impliziert, von der man eben transgrediert.Insofern stehenNorm und Transgression im Verhältnis zueinander und sind ohneeinander nicht denkbar. Deshalb brauchen abweichende sexuelle Praktiken, um als solche zu existieren, eine vorgegebene Norm des Sexes, einen angeblich natürlichen Kern, einen Hard Core. Der harte Kern des Sexes, aus dem sexuelle Praxis abgeleitet werden kann, lässt sich allerdings weder erfassen noch bestimmen. [75] Es existieren hingegen vorherrschende, gesellschaftlich-konstruierte Vorstellungen von Sex, die dazu führen, dass andere Praktiken als Abweichung gelten. Nach diesen Vorstellungen ist Sex heterosexuell und binär, monogam und exklusiv, privat und nicht kommerziell. Sexuelle Praxis, die nach diesen Prinzipien stattfindet, gilt als „natural, good and normal“. [76] Heutzutage findet eine schleichende Verschiebung dieser normativen Vorstellung statt, wodurch die Grenzen zwischen vanilla und kink nicht mehr eindeutig definierbar sind. [77] Doch sogenannte Abweichungensind in vielen Fällen weiterhin ein Tabu. Das könnte damit zusammenhängen, dass innerhalb verschiedener Kulturen Gewalt, Sexualität und Tod als primäre Tabus gelten. Gerade weil kinky und vor allem BDSM-Praktiken unter anderem mit Sexualität, Machtverhältnisse und Schmerzspielerisch umgehen, kann dies dazu führen, dass sie stigmatisiert werden. Denn sie können Unbehagen und Berührungsängste generieren. Außerdem spielt der Körper bei solchen Praktiken eine zentrale Rolle, welche die Tabuisierung von abweichenden Vorlieben verstärkt; dies, weil seine Öffnungen, Flüssigkeiten und Eigenheiten sowie Genitalien und Krankheiten auch als primäre Tabus gelten. [78] In diesem Sinne sind abweichende Vorlieben transgressiv, weil sie mit latenten Tabus, die das soziale Miteinander versuchen zu regulieren, brechen. Nun bleibt es zu klären, inwiefern Transgression in diesem Kontext einen Aufführungscharakter aufweist bzw. als performativ zu bezeichnen ist. In Anlehnung an Fischer-Lichtes Theorie des Performativen lassen sich grundlegende Aspekte erfassen, die Performances ausmachen. Hiermit werden solche Aspekte mit abweichenden sexuellen Praktiken in kinky Clubs verglichen, damit Ähnlichkeiten erkennbar werden. Zunächst sind Aufführungen das Ergebnis einer Ko-Präsenz von Zuschauer*innen und involvierten Akteur*innen. Sie entstehen als autopoietische Prozesse aus dieser Interaktion und ihr Ablauf ist nicht gänzlich vorhersehbar. Flüchtigkeit und Unfixierbarkeit dieser Ereignisse führt dazu, dass sie nur für eine begrenzte Zeitspanne existieren; und zwar die, in der sie stattfinden. Durch die Materialität der Körper der Akteur*innen und eventuell der involvierten Objekte sind Aufführungen wirklichkeitserzeugend. Zudem generieren sie im Prozess ihrer Wahrnehmung, Bedeutungen und Interpretationen, die von den Zuschauer*innen abhängen. Laut Fischer-Lichte weisen Aufführungen einen ästhetischen und sozial-politischen Charakter auf, denn sie werden von den Zuschauer*innen erlebt, gesehenund mit hervorgebracht. [79] Performer*innen sind handelnde Subjekte, die vorm zuschauenden Publikum Aktevollziehen. In ähnlicher Weise können Besucher*innen von kinky Clubs auch als handelnde Subjekte bezeichnet werden; sie vollziehen Praktiken, die ihren sexuellen Fantasien entsprechen, nur sind sie eben anders situiert. Obwohl es in Clubs häufig private Spielzimmer gibt, handelt es sich immerhin um öffentliche Orte; deshalb basieren die Praktiken, die dort vollzogen werden, auf Ko-Präsenz von involvierten Akteur*innen und Zuschauer*innen bzw. und je nach Situation Voyeur*innen. Der Ablauf sexueller Akte, Rollen- und Fesselspielen, Swinger- Aktivitäten und Gruppensex, ist ähnlich wie bei Aufführungen nicht gänzlich vorhersehbar, flüchtig und unfixierbar. Praktiken sind auch immer Ereignisse, die in ihrem Vollzug existieren und verschwinden. Ohne Körper und eventuell Gegenstände unterschiedlicher Art wäre die Kink-Szene schwer denkbar. Beide Elemente konstituieren die Materialität der Aufführungen und sind wirklichkeitserzeugend. Weil der Club als Treffpunkt für Kinkster*innengedacht ist, ist das Ausleben von sexuellen Fantasien Objektder Wahrnehmung anderer Gleichgesinnten, die das Geschehen ins subkulturelle Gebilde einordnen und interpretieren können. Das bedeutet, dass solche Handlungen für die Subkultur Inhalte und Bedeutungen erzeugen. Wie es bei Performances der Fall ist, weist die Praxis im Club ästhetischen und sozial-politischen Charakter. Körperfesselungen und andere Formen der Bewegungseinschränkung oder die Konstruktion von Szenarien für Rollenspiele können beispielsweise einem rein-ästhetischen oder dekorativen Zweck dienen und nur für den Genuss des Auges ausgestellt werden. Auf der anderen Seite sind BDSM-Praktiken beispielsweise politisch, weil sie zwischenmenschliche Beziehungsformen darstellen, Machtverhältnisse aktualisieren und Gemeinschaften bilden. [80] Dieser Vergleich soll jedoch lediglich dazu dienen, dass die Performativität von abweichenden sexuellen Praktiken nachvollziehbar wird. Andere performative Aspekte der Subkultur werden im Laufe des nächsten Kapitels beleuchtet.An dieser Stelle würde ich einen Kontextwechsel vornehmen; folgend sollen kinky Clubs verlassen werden, um auf dieDarstellung von BDSM-Praktiken im zeitgenössischen Tanz einzugehen. Der Kontext, in dem Aufführungen eingebettet sind, ist nämlich entscheidend, um sie als künstlerisch definieren zu können. Damit sei allerdings nicht gemeint, dass Praktiken in Clubs nicht künstlerisch sein können, denn häufig sind sie es. [81] Doch im Folgenden werden ästhetische Merkmale in der Darstellung abweichender Vorlieben in Tanzperformances, in anderen Orte und Räumlichkeiten thematisiert. Dies, damit solche Vorlieben und Praktiken nicht auf einen einzigen Kontext, nämlich der kinky Club, beschränkt werden.
3. BDSM und seine Darstellungen im zeitgenössischen Tanz.
3.1 The public’s performative play in Luke George’s Bunny.
„What if everyone (in the theatre) is a Bunny?” [82]
In Seilbondage werden Personen, die gefesselt werden bzw. sich fesseln lassen, Bunny genannt. Anderegeläufige Namen für diejenige, die die unterwürfige Rolle übernehmen, sind rope bottom oderrope model. Das komplementäre Part wird in der Szene als Rigger oder rope top bezeichnet. Das sind Personen, die fesseln und somit die dominante Rolle haben. [83] Im Folgenden verweist Bunnyauf den Titel der Performance der Künstler Luke George und Daniel Kok, welche 2016 im TPAM– Performing Arts Meeting in Yokohama – uraufgeführt wurde. Das TPAM ist ein internationaler Treffpunkt für zeitgenössische darstellende Kunst. Durch das vielfältige Aufführungs- und Austauschsprogramm bietet dieser Ort die Möglichkeit zur interdisziplinären Experimentation. [84] Bunnywurde vom Campbelltown Arts Centre kommissioniert und entstand aus der zweijährigen Mitarbeit der beiden Künstler. Luke Georges Arbeit umfasst Performancekunst, Installationen und plastisch-visuelle Kunstwerke. Einen großen Einfluss auf seine Arbeiten haben queer-politische Themen, beispielsweise das Zusammenkommen unterschiedlich-geprägter Körperlichkeiten. Außerdem beschäftigt er sich mit Beziehungsformen und ihre Dynamiken, wodurch er den Versuch unternimmt, sogenannte safe spaces zu erschaffen, in denen Risiko und Intimität auf kollektive Ebene erlebt und reflektiert werden. Georges Performances entstehen aus experimentellen Prozessen; unter anderem ist er als Tänzer aktiv. Er versteht die darstellende Kunst mehr als eine in zwischenmenschlichen Interaktionen entstehende Praxis und weniger als die Aufstellung abgeschlossener Werke. Ein wiederkehrendes Thema ist eben die Möglichkeit der Begegnung zwischen Akteur*innen und Publikum. Eine seiner längsten Zusammenarbeiten ist die 8-jährige Kollaboration mit Daniel Kok, mit dem er mehrere Aufführungen konzipiert und performt hat. [85] Der in Singapur lebende Daniel Kok studierte Bildende Kunst, Tanz und Szenographie. Seine international präsentierte künstlerische Arbeiten finden thematische Überschneidungspunkte mit Georges Performances, denn beide Künstler befassen sich mit der Politik des Zuschauens und der Partizipation des Publikums in Aufführungen. [86] Nun zur Ausgangsfrage zurückgehend, liegt in Bunnyder Fokus eben darauf, eine Praxisgemeinschaft zu stiften, wodurch die Grenzen zwischen Künstler*innen und Zuschauer*innen überwunden werden können. Es handelt sich vor allem um eine interaktive und partizipative Performance, in der das Publikum zum Bunny wird. In diesem Rahmen ist die Aufführung deshalb relevant, weil George und Kok die Eigenschaften von Seilen und Knoten erkunden und auf Praktiken des Makrameesund des Seilbondage zurückgreifen. Sie bringen das einvernehmliche Fesseln auf die Bühne und kombinieren es mit choreographischen Elementen. [87] Die vorliegende Beschreibung des Bühnengeschehens basiert auf eine Wiederaufnahme der Aufführung, welche im Februar 2017 im Rahmen des AsiaTOPA Festivals in Melbourne stattgefunden hat; dies ist nämlich die einzige Aufnahme, die Luke George hat für die Recherche zur Verfügung stellen können. In Anlehnung an das methodische Vorgehen des deutschen Philologen und Theaterwissenschaftlers Jürgen Kleindiek ist die Aufführungsanalyse folgenderweise strukturiert: erstens steht die Verlaufsanalyseim Vordergrund, zwar die Beschreibung und In-Beziehung-Setzung der unterschiedlichen Elemente der Aufführung. In dieser Phase tastet man sich am Gegenstand chronologisch entlang. In einer zweiten Phase wird eine Strukturuntersuchunggemacht, welche die wichtigsten Ergebnisse angesichts des gesetzten Schwerpunkts beleuchtet. [88] Der ästhetischen Entscheidungen der Künstler entsprechend, ist der Fokus im Folgenden auf Bondage & Discipline.
Ein hellblaues Licht geht an, während das Publikum in den Bühnenraum des Arts House am Meat Market langsam eingelassen wird und Platz nimmt. Am Boden sind unterschiedliche Gegenständen platziert; unter anderem Kissen, ein Feuerlöscher, ein Staubsauger, ein Ventilator, Kuscheltiere und Körbe. Sie sind mit bunten Seilen und Knotenmustern dekoriert und umranden die Szene. Dasselbe gilt für beide Performer, deren Körper an mehrere Stellen geschmückt sind. George und Kok befinden sich in der Mitte. Der erste trägt einen Kimono und eine mit Seilen geflochtene Kopfbedeckung. Bunte Seilen- Zöpfe fallen seinen Körper entlang. Er bereitet das Material für die Session vor und fängt an, mit präzisen und aufmerksamen Handbewegungen Daniel Kok vom Becken an zu fesseln. Kok steht oberkörperfrei gegenüber George, schaut vor sich hin und lässt ihn ungestört und konzentriert weiterfesseln, ohne jeglichen Widerstand zu leisten. Es wird langsam ruhig im Raum. Nach circa 10 Minuten wird die Knotenkombination gefertigt. Von der Decke hängt ein Hacken, anhand dessen Koks Körper schrittweise suspendiert wird. Mit dezidierten Handbewegungen schiebt George den hängenden Körper des Gefesselten, bis er in die Drehung kommt. In der Mitte hängend und drehend wird Koks Körper von George hängen lassen. Er liegt sich in eine Ecke hin und fängt an, sein rechtes Bein mit einem Futomomo[89]zu fesseln.
Abbildung 1.
Sobald beide seine Beine gefesselt sind, kriecht George um den Raum, zeigt sich und interagiert minimal mit dem zuschauenden Publikum, das von ihm angestarrt oder angesprochen wird. Der Performer fordert Publikumsmitglieder*innen auf, den Bunny abwechselnd wieder in die Drehung zu bringen, selbst Knoten am eigenen Körper oder an dem der Performer auszuprobieren. Anfänglich etwas zögernd, trauen sich nach und nach Menschen aus dem Publikum in die Szene zu gehen, wodurch sie das Bühnengeschehen mitbestimmen. Die erste Hälfte der Aufführung geschieht in sehr langsamem Tempo. Während das Lied If you leave me now von Chicago läuft, wechselt Kok minimal und je nach Möglichkeit seine Position. Manchmal die Seile greifend, manchmal loslassend. In der zweiten Hälfte leitet George vorsichtig jemanden an, den Bunny zu entfesseln. Sobald auch George entfesselt ist, wird es im Raum still. Der Bunny ist befreit. Koks langsame hypnotische Bewegungen, um den Körper nach der Fesselung wieder zu spüren, unterbrechen die Aktivität des Publikums, welches sich wieder zu den Sitzplätzen bewegt. Seine beschleunigende Positionswechsel führen ihn bis in die Mitte der Bühne, während George die verwendeten Materialien sammelt und aufräumt. At your best von Aaliyah wird abgespielt und ein Lichtwechsel geschieht, welches das Szenario ändert. Während Koks Bewegungsart zum exhibitionistischen Verhalten wird, sucht George die Nähe zum Publikum wieder. Es werden erneut Interaktionen aufgebaut. Jemand wird am Hals gefesselt und am gegenüberstehenden Tisch festgebunden. Ganzkörperfesselungen werden unternommen. Das Publikum wird langsam zu Bunny. Der Staubsauger, mit dem Kok inzwischen interagiert, wird angeschaltet. Kok kriecht auf den Boden, bis die Performer sich in greifenden, drehenden und einander ergänzenden Bewegungskombinationen finden. Momente des Einklangs wechseln sich mit schnellen Richtungswechseln, prominenten Hohlkreuzen und beschleunigenden zum Boden Fallen ab. Die fluoreszente Beleuchtung kündigt erneut ein Szenenwechseln an. Der Moment der Bestrafung. Kok greift eine Peitsche und schlägt sie kraftvoll auf den Tisch. Stillstand. Publikumsmitglieder*innen werden diesmal aufgefordert, Kok zu peitschen. Someone else? sagt er, damit die Bestrafung länger gezeigt werden kann. Anschließend klettert er bis zur Bühnendecke. In der Zeit hat sich George jemanden zum Fesseln ausgesucht. Der Körper des neuen Bunny wird, ähnlich wie bei Kok, ganz gefesselt und suspendiert. Diesmal ist die Suspension komplexer und riskanter. In der Mitte ein hängender Bunny. Moment des Innehaltens. Kok wird runtergelassen. Nun zwei hängende Körper und das Lachen des Publikums. Mit dem sorgfältigen Entfesseln der beiden endet die Aufführung.
Vom Eingang des Publikums bis zur vollständigen Entfesselung des Bunny dauert die Performance circa zwei Stunden. Der Anfang der Aufführung unterscheidet sich keineswegs von einer klassischen Bondage Session , welche in der Regel einen strukturierten Ablauf hat: der Vorbereitung des Materials folgt die Fesselung, die unterschiedlich gestaltet werden kann und schrittweise komplexer wird, bis der Körper in Sicherheit suspendiert werden kann. Dann werden die Knotenmuster entwickelt oder geändert, damit dem suspendierten Körper Bewegungsmöglichkeiten gegeben und wieder genommen werden. Dieser Phase, deren Länge variieren kann, folgt die Entfesselung und langsame Befreiung, die normalerweise das Ende der Session ist.[90]George der Rigger und Kok der Bunny reproduzieren diese durchaus etablierte Struktur, die sich durch die ganze Performance zieht. Nun Auszeichnungsmerkmale der Aufführung, die sie von einer Session unterscheiden, sind sowohl der Einbezug der Zuschauer*innen als auch die auftauchenden choreografischen Elemente, die die oben beschriebene Struktur zum Teil auflösen. Danke des Engagements des Publikums wird den künstlerischen Charakter des Bondage starkbeleuchtet, denn wie in anderen Praktiken geht es dabei nicht nur darum, Knotenmuster auswendig zu lernen bzw. sie nachzumachen, sondern handelt es sich um einen kreativen und individuell-gestalteten Übungsprozess. Im Rahmen der Aufführung wird klar, dass die Fesseltechnik manchmal im Hintergrund bleiben darf; vielmehr zählt den persönlichen Ausdruck, sodass Aktionen und Pausen, Dynamik und Rhythmus zu Grundelemente der Praxis werden .[91]Nun, das erotische Fesseln beruht auf Machtverhältnisse zwischen den Beteiligten. Diese Machtrelation wird durch die mehr oder weniger komplexe Knotenmuster offensichtlich, denn sie sind für den Körper einschränkend. Die Einschränkung der Bewegung bedeutet zugleich Reduktion des Entscheidungsspielraums der gefesselten Person. Doch obwohl Macht häufig mit diktatorischem Verhalten, Unterdrückung und Benachteiligung gleichgesetzt wird, wird die Relation in diesem Fall als positive Erfahrung erlebt. Die dominante Person kann ihre Macht gefahrlos ausüben und die submissive erfährt Erleichterung durch die Abgabe von Verantwortung. [92] In der Aufführung werden nicht nur etablierte Fesseltechniken angewendet, die Körperwissen und Bewegungsgedächtnis fordern, sondern auch Mimik, Gesten und Bewegungen, die eine solche Machtrelation zum Vorschein bringen, übernommen und wiedergegeben. Die Bewegungsqualität und Attitude der Performer und später des Publikums veranschaulichen die Beziehung zwischen Bunny und Riggerin verschiedener Weise. Während der Vorbereitung zur Suspension leistet Daniel Kok, hier derBunny, beispielsweise keinerlei Widerstand. Er steht still mit lockeren Knien und nach unten entspannten Schulter da, vor sich hinschauend, während sein Körper geschnürt wird. Er lehnt sich an George an, sein Kopf leicht nach hinten gebeugt. Langsam atmend, kein Anzeichen von Anspannung. Er gibt sich dem Geschehen hin. Zwischendurch wird er von George gestreichelt. Ein liebe- und kontrastvolle Zuwendung. Die Hilf- und Wehrlosigkeit des Bunny, zeigt sich in seinem Sich-hineinfallen-Lassen in die vorhandenen Knoten, die schrittweise zur Stütze für den Körper werden. Als er den Boden unter den Füßen verliert, sich hängen lässt, übernehmen die Seile gänzlich sein Körpergewicht und halten ihn. Nun ist er der Situation ausgeliefert, denn die Bewegungsmöglichkeiten sind so eingeschränkt, dass er nur die Finger minimal bewegen kann. George, der Rigger, übernimmt das aktive Fesseln, welches durch zügige Handbewegungen zur Knotenmusterbildung führt. Der dominante Part zieht den Körper des Bunnyentweder dezidiert zu sich oder schiebt hin, bis er ihn in die Drehung bringt. Die Suspension stellt die Bloßstellung des gefesselten Körpers dar, denn sie sorgt für maximale Sichtbarkeit dieser Form der Disziplinierung durch Einschränkung. Als Kok von einem Publikumsmitglied entfesselt wird und seinen Körper wieder zu spüren bekommt, steht er bewegungslos da, wartend, dass die restlichen Körperteile befreit werden. Danach tendieren seine Bewegungen nach unten, zum Boden kriechend oder schmelzend. Am Boden angekommen, lässt er seine Knie leicht auseinanderfallen oder bleibt im Vierfüßler. Durch minimale Kopfbewegungen schaut er sich eine Weile vorsichtig und im langsamen Tempo um. Seine Glieder scheinen fremdgesteuert zu sein, ziehen ihn hin und her; somit scheint er die Kontrolle über seine Bewegung an jemanden anderen abzugeben, wie eben üblich für jede*r Bunny. Räumlich betrachtet bleibt Koks Position auf einem niedrigeren Level im Vergleich zu Georges, der hauptsächlich eine aufrechte Haltung hat. Er fesselt sich zwar selbst und wird dadurch auch eingeschränkt, allerdings ist sein Bewegungsspektrum raumeinnehmender. Ein weiteres Zeichen Georges dominanter Rolle ist seine Stimme, die mehrmals das Publikum direkt anspricht und zur Beteiligung anfordert. Dem gegenüber ist Koks Stimme nur einmal zu hören. Das scheinbar zufällige Element des Staubsaugers, der angeschaltet wird, definiert den Anfang des choreographierten Teils. Hierbei werden Koks Bewegungen prominenter. Er schließt die Fäuste, bringt seine Brust nach vorn, tritt kraftvoll den Boden zum Richtungswechsel. Mit kreisenden Hüften, sowie wellenartigen Bewegungen seiner Wirbelsäure, zieht er die Aufmerksamkeit auf sich und wirkt verführerisch. George schafft einen fließenden Übergang zu Kok und ahmt seine Bewegungsqualität nach. In dem Moment lösen sich die anfänglichen Rollen auf und die Machtrelation wird zum choreographischen Einklang. Schulterrollen, Beckenkreisen und Hohlkreuzen, das Auf- und Abwippen ihrer Körper, das Mitschwingen der Seile, die an Georges Kopfbedeckung hängen; all das erinnert ans Bewegungshabitus einer Bondage Session, nur ist der Körper diesmal nicht geschnürt, zumindest nicht gänzlich. Hier werden die Möglichkeiten des entfesselten Körpers wiederentdeckt. Die Performer steigern sich in Virtuositäten und setzen präzise Akzenten in ihren Bewegungen, bis Kok die Szene verlässt. George hängt sich mittels einer Kopfbedeckung mitten im Raum an einen Haken und dreht sich kraftvoll um. In der Zeit lässt sich Kok peitschen. Eine bestrafende Handlung, welche erneut eine Form der Disziplinierung inszeniert. Der Moment der Bestrafung in der Aufführung stellt einen Höhepunkt dar, bei dem sowohl Koks Unterwerfung im Gepeitscht-Werden als auch eine gewisse sexuelle Spannung, durch seinen nach vorne gebeugten Körper, eindeutig gezeigt werden. An der Stelle ist es wichtig zu beachten, dass Georges und Koks Tanz sexuell aufgeladen ist in dem Sinne, dass Bewegungen hereinfließen, die zumindest in westlichen Gesellschaften, häufig sexuell konnotiert sind. Die Sexualisierung von bestimmten Bewegungen hängt vom Subjekt, seinen Vorlieben und kulturellen Normen ab. Solche Bewegungen erinnern oder reproduzieren sexuelle Skripte . Hiermit handelt es sich um kulturell geprägte Annahmen und Vorstellungen über Sex bzw. wie, seine angeblich natürliche Form sich körperlich abspielt. [93] Im Bondage ist die Relation zwischen den Parts häufig, auch wenn nicht immer, erotischer Natur. Die Choreographie zusammen mit der sexuellen Spannung und der Materialität der Seile, die unterschiedlich verwendet werden, konkretisieren eine kreative Weiterentwicklung dieser Praxiszum Tanzstück und dekorativem Bühnenbild. Um kollektive Sehnsüchte freizusetzen, bleibt die lustvolle Spannung nicht nur an den zwei Performer begrenzt, sondern wird zum Publikum erweitert. Auf diese Weise wird in der Aufführung eine Verbindung zwischen Bondage, darstellende Kunst und Lebenswirklichkeit hergestellt. Denn die Zuschauer*innen können das Fesseln selbst ausprobieren und das Geschehen als ästhetische Erfahrung wahrzunehmen.[94]Es werden ununterbrochen Knotenvarianten ausprobiert. Zugleich übernehmen Zuschauer*innen die eine oder andere Rolle abwechselnd, welches die Vielseitigkeit einer Machtrelation suggeriert. Nach der Bestrafungsszene wird die Anfangssituation wieder erstellt; nun mit jemandem aus dem Publikum. Die vorhin erwähnte Struktur einer Bondage Session nimmt wieder seinen Lauf bis Ende der Performance. Der Körper wird wieder eingeschränkt, in Haltungen und Posen gezwungen, suspendiert, aufgestellt und befreit. Ob die Publikumsmitglieder*innen durch den Ankündigungstext erahnt haben können, dass sie ins Geschehen unmittelbar involviert werden, bleibt unklar. Laut meiner Einschätzung wussten sie grob, worauf sie sich einlassen, da die Praxis des Bondage, unabhängig davon, ob sie mit Tanz kombiniert ist oder nicht, auf Einvernehmlichkeit basieren soll. In Bunny wird die Bühne für das Publikum zum „Ort an dem Grenzerfahrungen gefahrlos stattfinden können“; [95] ein Ort, an dem die Grenzen des Begehrens und des Vertrauens im sicheren Rahmen auf kollektive Ebene getestet werden. Dem Ende dieser Betrachtung nährend, würde ich darauf eingehen, was Tanzkunst und Bondage gemeinsam haben, damit die Entscheidung der Künstler sie zu kombinieren, nachvollziehbar wird. Der Wissenschaftshistoriker, Physiker und Seilbondage Experte Georg Barkas bezeichnet die Praxis des Fesselns als eine, die auf Symbole basiert, die, wie in alltäglicher Kommunikation, mit Bedeutungen assoziiert werden können. Allerdings stellte er fest, dass in der Betrachtung einer Bondage Session, die aufkommenden Symbole und die damit assoziierten Bedeutungen nicht immer eindeutig zu verstehen seien bzw. häufig auf individuelle Interpretationen basieren. Dies ist eine relevante Gemeinsamkeit. Im Tanz sowie im Bondage, wird in jedem Fall etwas kommuniziert, nur kann man nicht davon ausgehen, dass die Kommunikation eindeutig ist. Aus beiden Praktiken können mehrere Symbole und Bedeutungen abgeleitet werden, welche allerdings schwer zu verallgemeinern sind. [96] Schließlich lohnt es sich, die Praxis des Fesselns aus der Perspektive eines Tänzers wie Felix Ruckert zu betrachten. Er definiert sie zum Beispiel folgendermaßen: „Bondage is living sculpture, dynamic composition, theatrical process,[…]“.[97]Eine Definition, die sich meines Erachtens dem Tanz übertragen lässt.
3.2 Dominance and Submission in Felix Ruckerts Performance Afternoons.
„Why do you enjoy getting tortured in front of an audience? “ [98]
Diese Frage habe ich mir mehrmals gestellt, als ich am 20.08.23 als Zuschauerin bei Felix Ruckerts Performance Afternoonam Institut für Körperforschung und sexuelle Kultur IKSK am Berliner Holzmarkt anwesend war. Meine anfängliche Naivität beiseite, konnte ich im Laufe der Aufführung Komplexität und Ambivalenzen Ruckerts Event schrittweise begreifen und das Foltern als Performance mit künstlerischem Anspruch einordnen. Das Zentrum für Körperforschung IKSK wurde von Anna Mense und Felix Ruckert 2020 in Berlin gegründet. An der Schnittstellen von Körperarbeit, Kunst, Wissenschaft, Theater, Tanz und Sexualität bietet dieser Ort einen Raum für verschiedene Körperpraktiken, Ausstellungen, regelmäßige Kurse, Vorträge, Seminare und Aufführungen. Die Vision der Gründer*innen des Instituts ist vom politischen Aktivismus geprägt. Sie erzielen die Etablierung sexpositiver Lebenseinstellungen und glauben fest daran, dass dies auf gesellschaftliche Ebene kollektive Zufriedenheit, Verbesserung der Lebensumstände und ein solides Gefühl des Miteinanders bewirken kann. [99]Das IKSK versteht sich somit als sexpositiver Raum, in dem die Vielfältigkeit sexueller Vorlieben und die Verschiedenheit der Körper willkommen geheißen werden.[100]Der künstlerische Leiter Felix Ruckerts ist seit Ende der 80er Jahren als Tänzer, Choreograph und konzeptueller Künstler aktiv. In seiner Arbeit verbindet er seine langjährige Erfahrung und Körperwissen aus dem Tanz mit Praktiken des BDSM. Ruckert hält Vorträge, unterrichtet contemporary Bondage und organisiert Veranstaltungen. Bekannt in der Berliner Szene ist beispielsweise das Xplore Festival; ein 3tägiges Event mit experimentellen Räumen für Kunst, Theater und sexuelle Forschung.[101]Im IKSKveranstaltet er unter anderem die Reihe Performance Afternoons , welche mit regelmäßigen Abständen sonntags am späten Nachmittag stattfindet. Dabei handelt es sich um ein offenes Event, bei dem choreographierte Performances und Bondage Sessions vom Publikum gezeigt werden. Häufig entstehen die Aufführungen aus der Kombination von Tanz und Fesselkunst, welche Ruckets Arbeitsweise widerspiegelt. Zu den Events werden verschiedene Arbeitsgruppen, Kollektive und einzelne Künstler*innen zum Auftreten eingeladen. Nicht selten tritt Ruckert mit Begleitung selbst auf. Das Programm bleibt vielfältig auch in Hinblick auf Geschlecht, Herkunft und Hintergrund der involvierten Künstler*innen. Tanz, und vor allem Choreographie, spielen in dieser Performance-Reihe eine wichtige Rolle, wobei es selten Tänzer*innen sind, die auftreten. In den meisten Fällen steht die Fesselkunst im Vordergrund, doch die musikalische Begleitung, die rhythmische Abstimmung, die einstudierten Bewegungsabfolgen, die Relationalität zwischen Körpern, das Verhältnis der Akteur*innen zum Bühnenraum und eine gewisse Virtuosität im Fesseln, lassen diese Aufführungen zum Tanz werden, weil Berührungspunkte mit der darstellenden Kunst eindeutig zu erkennen sind. Es handelt sich um einen Tanz, der nicht ausschließlich mit Bewegung gleichzusetzen ist, sondern der häufig aus der Einschränkung der Bewegungsmöglichkeiten entsteht. Dennoch, weil nicht alle Aufführungen der Reihe tänzerische Elemente beinhalten, ist die Entscheidung auf eine Performance, in der solche Elemente auftreten, gefallen. Im Folgenden wird auf die unbetitelte Aufführung des Berliner Kollektivs S omeTies aus dem Performance Afternoon des 20.08.23 eingegangen, weil sie sich in diesem Rahmen als passend erwiesen hat. Das Verfahren für die Aufführungsanalyse bleibt wie vorhin und auch hier wird einen Schwerpunkt gesetzt; dies Mal auf Dominance & Submission, vor allem weil in der betrachteten Aufführung die Machtrelation zwischen der Akteur*innen eindringlich aufkommt. Während Georges und Koks Aufführung Bunny in einem institutionellen Kontext, jenes des Theaters, stattfindet und von den Künstlern als Tanzperformance bezeichnet wird[102], findet die folgende Performance im bühnenlosen sexpositiven Raum statt und wird als Seilbondage Session bzw. Shibariangekündigt. Dennoch sind in der Performance viele Bewegungskombinationen, Figuren und Formen, die einen tänzerischenCharakter vorweisen. Wenn man Tanz als strukturiertes und kulturell-konstruiertes Bewegungssystem versteht, welches auf das Engagement des Körpers in Relation zum Raum und Zeit beruht. [103] Die Performance vom S omeTies kann als zeitgenössisches Tanzstück und zugleich als Bondage Session verstanden werden, weil das Geschehen auf wiederholbare Muster eines gegenwärtig-existierenden Bewegungssystems basiert und das Stück im Jahr 2023 produziert und uraufgeführt wurde. Als Einleitung in Bezug auf den Schwerpunkt der Betrachtung, Ruckerts eindrückliche Auffassung einer Dom/Sub-Beziehung: „[…] Macht wird abgegeben und angenommen. Macht wird getauscht. Dies ist die tiefere Bedeutung des Spiels mit Dominanz und Unterwerfung: der Dominante nimmt im Geben, der Submissive gibt im Nehmen.“ [104]
Im Schneidersitz wartet die Performerin, während sich eine anfängliche Spannung aufbaut. Ihr Partner bereitet das Material vor. Mit Seilen in beiden Händen läuft er um sie herum, berührt sie sanft, bewegt ihren rechten Arm Richtung Decke. Er fängt an, sie ausziehen. Dem erotischen Entkleiden folgt das Binden ihrer Haare, Augen und ihrem Mund durch ein komplexes Knotenmuster. Der Oberkörper wird schrittweise eingeschränkt. Die Fesselung wechselt sich mit Streichelungen ab. Die Popmusik im Hintergrund begleitet den Spannungsaufbau. Nun sind nur minimale Bewegungen für die Performerin möglich, während sie mit dem Seil im Mund zum Publikum schaut. Die Fesselungen betonen Ecken und Kanten ihres Körpers. Es erfolgt eine Befreiung einiger Körperteile, gefolgt von einer erneuten Fesselung, bis sie in die Luft suspendiert wird. Sie schwankt hin und her in einer beeindruckenden Komposition. Die Performerin bewegt das, was noch bewegt werden kann. Sie stöhnt jedes Mal, wenn ihr Partner die Knoten enger zieht. Dann umarmt er sie in einer fürsorglichen Geste und gibt ihr einen Moment der Ruhe. Die Spannung steigt weiter an. Ihr Bein wird befreit und von ihr seitlich gestreckt, während sie sich in den verbleibenden Knoten dreht, die sie noch in der Schwebe halten. Die Knoten sind so eng, dass die Suspension erhalten bleibt, aber gleichzeitig so locker, dass sie etwas Spielraum in ihrer Bewegung hat. Mit gestreckten Füßen und angespanntem Oberkörper wird sie sanft von ihrem Partner nach links geschoben und beginnt zu schwingen. Währenddessen improvisiert sie neue Figuren, leicht akrobatische Elemente und elegante Haltungen, die ihre körperliche Erschöpfung widerspiegeln. Ihr Partner beobachtet aufmerksam und fügt neue Knotenmuster hinzu oder löst welche aus. Der zur Schau gestellte Körper wird nach und nach von seinen Fesseln befreit. Die Performerin wirkt besiegt und erschöpft; doch sie ist frei von den Knoten, die sie zuvor gehalten haben. Der Applaus hallt durch den Raum, während die Entfesselte langsam zu sich kommt. Ihr Partner, löst die letzten Knoten behutsam und nimmt sie in seine Arme. Die Musik im Hintergrund verstummt. Nach circa 45 Minuten kommt die Vorstellung zu einem Ende.
Der dramaturgische Ablauf weicht von dem einer Bondage Session , der im letzten Abschnitt beschrieben wurde, auch in diesem Fall nicht ab. In der Performance schafft die Verwendung von Seilen sinnliche, fließende Bewegungen, welche die Körperhaltung und -position der Partnerin bestimmen und so eine harmonische Ästhetik hervorbringen. Im Laufe der Vorstellung konkretisiert sich die Dom/Sub-Beziehung zwischen den Parts zwar durch das einschränkende Fesseln und das befreiende Entfesseln, doch diese Handlungen sind lediglich Mittel zum Zweck. Denn es geht vielmehr darum zu zeigen, wie Kontrolle ausgeübt und abgegeben wird und letztlich wie die Spannung zwischen schmerzhafter Bestrafung und liebevoller Zuneigung durch den Körper erlebt und aufgestellt wird. Das jeweilige Bewegungshabitus der Performer*innen macht es offensichtlich. Anfänglich wird die Performerin durch präzise und gezielte Handbewegungen von ihrem Partner entkleidet. Er lässt die Träger ihres Seidenkleids seitlich den Schultern entlang rutschen. Mit minimalem Schwanken ihres Beckens lässt sie das Kleid zum Boden fallen. Ihr halbnackter Körper wird somit bloßgestellt; eine Aktion, die von Anfang an ihre submissive Rolle und die Dominanz ihres Partners verdeutlicht. Sie lässt es geschehen, wehrt sich keinerlei ab, neigt den Kopf zur Seite, bleibt stillstehend und wartend auf die nächsten Schritte ihres Partners. In der Zeit ändert sich ihre Körperhaltung nicht, ein Zeichen, dass sie die Verantwortung für das Kommende gänzlich abgibt. Es folgen das Binden ihrer Haare, Augen und ihrem Mund mit dem Seil, welches zur Einschränkung der Sinne und Kontrolle der Atmung führen. Während dessen behält ihr Partner eine aufrechte Körperhaltung mit breiter Brust und erhobenem Kopf bei, seine Arme strecken sich aus und spielen mit den Seilen. Durch große Schritte und energische Handbewegungen fesselt er sie weiter. Seine raumeinnehmenden Bewegungen und den direkten und fokussierten Blickkontakt sind Anzeichen seiner dominanten Rolle. Während die kleinen Schritte und vorsichtige Bewegungen der gefesselten Performerin ihre Unterwerfung verdeutlichen. Trotz der Rollenverteilung gibt es Momente der Fürsorge, jedes Mal, wenn es körperliche Berührung oder Umarmungen und Streichlungen gibt. Das Geschehen wirkt hypnotisch, vermutlich weil man als Zuschauer*in die Spannung zwischenLust und Leid miterlebt. Die Lust wird durch das gelegentliche Sich anlächeln, das sanfte Berühren von Körperkanten, das Kitzeln, und den Blickkontakt sichtbar. Es entsteht eine Atmosphäre der Verbindung und des Vertrauens. Außerdem suggeriert die nach vorne geneigte Brust der Performerin und das dadurch entstehende Hohlkreuz, dass sie in keiner Weise versucht von der anderen Person zurück- oder auszuweichen. Stattdessen gibt sie sich dem Geschehen vollkommen hin, ohne jegliche Hemmungen oder Zurückhaltung. Diese Hingabe verstärkt die Intensität der Darstellung und lässt das Publikum tief in die Erfahrung eintauchen. Das Leid hingegen wird unter anderem durch ihr Stöhnen und Zittern wahrnehmbar. Während sie gefesselt wird, lässt sie sich ziehen, schieben, klatschen und mit Seilen peitschen, bis sie schließlich suspendiert wird. In diesen Momenten wird deutlich spürbar, dass sie sich den Schmerzen und der körperlichen Anstrengung aussetzt, denn ihr machtloser Körper wird in die Schwingung gebracht und verdreht. In diesem Zustand der Ambivalenz, in den Zuschauer*innen versetzt werden, liegt der Mehrwert der dargestellten Dom/Sub-Beziehung. Denn einerseits erzeugt die sinnliche Verbindung zwischen Körper, Seilen und Knoten in Kombination mit choreographierten Elementen eine positive ästhetische Erfahrung, bei der man elegante Formen und Figuren wahrnimmt, andererseits nimmt man gleichermaßen die Intensität des körperlichen Schmerzes wahr. Die Opferbereitschaft der Performerin führt dazu, die eigene Erfassung von Lust und Befriedigung infrage zu stellen, denn Schmerz jeglicher Natur hat in der Regel eine eher negative Konnotation. Die Herausforderung als Zuschauer*in besteht darin, Leid als lusterzeugend umzudenken und ihn in schönen, künstlerischen Formen vor sich dargestellt zu sehen. Das Agieren der dominanten Person erzeugt auch ambivalente Gefühle, weil der Performer zwar Manipulation, Kontrolle und Zwang inszeniert, dennoch häufig zu liebevollen Zuwendung, aufmerksamen Hinschauen, Umarmungen und sanften Streichlungen wechselt. Handlungen, die man nicht unmittelbar mit Formen der Machausübung in Verbindung setzt. Kontraste und Ambivalenzen sind Bestandteil solcher Beziehungsformen, bei denen der Zwang den Weg zur Befreiung darstellt. So widersprüchlich es klingen mag, wird Befreiung, verstanden als Entlastung, Erleichterung und Auflösung von der Verantwortung über das eigene Handeln durch körperliches und psychisches Gezwungen-Sein erreicht. [105] Ähnlich wie in Bunny, zeigt sich dieser Zwang in der Hilflosigkeit der gefesselten Person in der Suspension. Sie lässt ihren Körper manipulieren und gibt somit Verantwortung ab. Die Verantwortung zu entscheiden und zu bestimmen, welche die nächsten Schritte sein werden. Aus der Perspektive der fesselnden Person repräsentieren die Gesten des kräftigen, ins Schwingung Bringens des Körpers der Partnerin, das Beobachten ihres Gefesselt-Seins und das Weiterfesseln fast bis zur Bewegungslosigkeit, die Fähigkeit, Kontrolle auszuüben; die Macht, den Körper in eine bestimmte Richtung zu lenken, die wenige Bewegungsalternative bietet. Der Seilbondage Expert Georg Barkas definiert Machtwie folgt: „[…] Power is not an absolute term, it cannot exist as a non-relational term like ,tree‘ or ,sun‘. It is therefore absolutely unavoidable to speak about power only in terms of relationships within power has its justification.” [106] Das bedeutet, dass Macht und Ohnmacht, Dominanz und Unterwerfung nur in Beziehung zueinander denkbar sind. Hierbei besteht die Dom/Sub- Beziehung zwischen den Parts sowohl aussich ergänzenden Handlungen, beispielsweise das Bewegen und Bewegen lassen, das Fesseln und Fesseln lassen, das Schauen und sich Anschauen lassen; als auch gegensätzliche, wie das Festhalten und Loslassen, das zu Sich Ziehen und Wegschieben, das Festigen und Lockern der Knoten. Machtlosigkeit und Machtausübung harmonisieren und ergänzen einander. Die Figuren, Haltungen und Posen, die die Performerin während der Suspension einnimmt, widerspiegeln ihr Gezwungen-Sein in der Situation und konkretisieren sich in eine relativ dynamische Choreographie, in der es an akrobatischer Virtuosität nicht mangelt. In diesen Momenten steht sie im Mittelpunkt des Geschehens als Protagonistin, denn ihr Partner nicht agiert, sondern sie mit den Seilen tanzen lässt. Ihre eingezogenen Schultern und der leicht gesenkte Kopf vermitteln Demut, Unterwerfung und Hörigkeit. Indem sie sich in ihrer Position in die Seile einpasst und die Schwerkraft auf ihren Körper wirken lässt, zeigt sie ihren Widerstand gegen die Kräfte, die auf sie einwirken. Quer hängend meidet sie den direkten Blickkontakt mit ihrem Partner, lässt den Mund offen und atmet tief aus. Durch bewusstes Atmen kann sie die Verbindung zu ihrem Körper intensivieren und gleichzeitig einen Zustand der Ruhe und Entspannung erreichen, der es ihr ermöglicht, die Herausforderungen der Suspension besser zu bewältigen. Es handelt sich um ein Spiel mit den Grenzen des eigenen Körpers. Dies braucht Anpassungsfähigkeit und Beweglichkeit. Der Performer hält sie plötzlich fest. Eine Geste, wodurch er die Kontrolle übernimmt und dem Tanz ein Ende setzt. Schließlich fängt er an, sie zu entfesseln. Er legt sie vorsichtig auf den Boden hin. Ihr Kriechen zur Bühnenseite repräsentiert ihr Aufgelöst- und Befreit-Sein. Zum Ende wird sie vom Partner umarmt. Eine Geste der Zuneigung, welche die intime Verbindung zwischen den beiden zeigt. Sie haben ein Vertrauen aufgebaut, das ihnen ermöglicht, sich gegenseitig in solchen körperlich anspruchsvollen Momenten zu unterstützen. Die Zuschauer*innen werden Zeugen dieses Moments, welcher Intimität und Öffentlichkeit vereinbart. Aus diesen Ambivalenzen wird klar, wie komplex solche Beziehungen sind. Ein verbreiteter Grund zur Etablierung eines solchen Verhältnisses ist die sexuelle Erregung, die mit so einer Relation einhergeht. Hauptsächlich geht es um das erotische Potenzial verschiedener Formen von Machtausübung und die sexuelle Befriedigung, die mit ihnen einhergeht. [107] Da das Ausleben von sexuellen Trieben, sowohl körperlich als auch kognitiv, eine eher positive Wirkung hat, können negativ konnotierte Begriffe und übliche Erscheinungsformen solcher Beziehungen, wie beispielweise Erniedrigung, Ausbeutung, Unterwerfung, Versklavung, Schmerz, Hörigkeit und Dominanz, Herrschaft, Kontrolle umgedeutet werden. [108] Ähnlich wie in der Performance des vorherigen Kapitels, ist die Aufführung von SomeTies auch in gewisser Weise sexuell geladen. Die sexuelle Spannung zwischen den Performern, welche eine faszinierende Dynamik erzeugt, zeigt sich im Reiben oder Schaukeln des Körpers, insbesondere der erogenen Zonen wie Brüste und Genitalien. Erotisierend wirken beispielsweise das anfängliche Entkleiden, die Schwünge und das Kreisen der Hüfte, sowie rhythmische Bewegungen, wie zum Beispiel das Auf und Ab oder das Hin und Her des Körpers in der Suspension, das bewusste Anspannen und Entspannen der Muskeln und das Stöhnen und Keuchen seitens der Performerin, denn all diese Elemente erinnern ans Bewegungshabitus des Geschlechtsverkehrs und in der Aufführung beim Fesseln und Entfesseln sichtbar und hörbar sind. Auf diese Weise zieht sich sexuelle Lust durch die ganze Aufführung hindurch; es ist eine Lust, die wie gesagt im Leideingebettet ist. Im Spektrum abweichender sexueller Vorlieben spielt diese Form von Spannung, entstehend durch Schmerz und Bestrafung auf der einen Seite und Sehnsucht, Nähe und Befriedigung auf der anderen, eine signifikante Rolle. [109] Um diesen Aspekt im Rahmen dieser Recherche zu vertiefen, wird im nächsten Abschnitt auf das letzte Begriffspaar des Akronyms BDSM eingegangen, und zwar Sadism & Masochism. Wie werden sadomasochistische Praktiken im Tanz dargestellt bzw. aus welchem Bewegungsvokabular lässt sich erkennen, dass solche Praktiken Inspiration zur Konzeption einer Tanzperformance gedient haben?
3.3 Pain, Punishment, Proximity in La Damas choreographischer Arbeit.
„Fleisch ist der Raum des Schmerzens und der Lust. Wir sind nicht in der Lage, ihn zu verlassen. Erfahren können wir nur seine Grenze, in der Berührung.“ [110]
„Der körperliche Schmerz hat keine Stimme. Findet er jedoch zu einer Stimme, so beginnt er, eine Geschichte zu erzählen […]“ [111]
Einleitend zu der Betrachtung der choreografischen Arbeit der spanischen KompanieLa Dama, verdeutlichen die ausgewählten Zitate, dass Schmerz und Lust mit dem Körper, verstanden als ein aus Fleisch bestehendem Apparat, untrennbar verbunden sind. Zugleich wird das erzählerische Potenzial des zugefügten Schmerzes betont. Mit Schmerzerlebnissen und ihrer künstlerischen Darstellung befasst sich die Tanzkompanie, die unter anderem sadomasochistisch bestrafende Handlungen auf die Bühne bringt. In früheren Abschnitten wurde Sadomasochismus als Sammelbegriff für unterschiedliche Praktiken verwendet; wie solche Praktiken auf Zuschauer*innen wirken, erläutert der deutsche Schriftsteller und Kulturtheoretiker Volker Demuth in seiner Publikation Fleisch. Versuch eine Carneologie , 2016 erschienen. Hier verweist er auf das natürliche Gefühl des Zusammenzuzucken und des Unbehagens, wenn man den Schmerz anderer bezeugt. Unabhängig davon, ob dieser Schmerz körperlich oder psychisch zugefügt wird, wenn man das Erlebnis anderer zuschaut, tendiert man dazu, sich an die Stelle der Leidenden zu setzen. [112] Dieses Ein- und Mitfühlen wird in der Betrachtung verschiedener Ausschnitte aus Tanzstücken der Kompanie sehr präsent; als gute Beispiele erweisen sich: Lucía und Marea Negra, jeweils in den Jahren 2021 und 2022 uraufgeführt. Die Stücke befassen sich mit dem Zufügen vom körperlichen und dem Erleiden vom seelischen Schmerzen. Das erste handelt um eine Märtyrerin, personifiziert von Lucía, die durch Tanz und Shibari den Weg zur Befreiung einschlägt. Im Stück spielen die Tänzerinnen die Hauptrolle in einem Ritual, das sich zwischen Erotik und Folter abspielt. [113] Marea Negra ist hingegen die Geschichte einer schwarzen Flut, die den Schmerz, der sich im Körper einnistet und ausbreitet, symbolisiert. Es geht um ein Leid, den man sich nicht aussuchen kann; um Finsternisse, die sich im Geist heften und wachsen. In der Choreographie versuchen die Tänzerinnen sich von der Last ihrer dunklen Seite zu befreien. [114] Diese Stücke seien nur erwähnt, weil sie einen der thematischen Schwerpunkte in der Arbeit der Tanzkompanie exemplarisch darstellen, eben den Sadomasochismus .
La Dama wurde von der Choreographin Verònica Hernández Royo nach ihrer Ausbildung gegründet. In Israel hatte sie die Gelegenheit in der Batsheva Dance Company unter der künstlerischen Leitung von Ohad Naharin, Gaga in ihre Bewegungspraxis zu integrieren. Ihre Kompanie hat den Sitz in Barcelona und besteht ausschließlich aus weiblichen Personen. Diese Entscheidung ist auf das Bedürfnis und den Wunsch zurückzuführen, den weiblichen Körper und die verschiedenen Lesarten seiner Bewegung zu erforschen. Der Stil der Kompanie ist sehr stark vom zeitgenössischen Tanz, Improvisationstechniken und Urban Dance Freestyle geprägt, denn die mitwirkenden Tänzerinnen kommen aus verschiedenen Bewegungsdisziplinen. Das choreografische Repertoire zielt darauf ab, dieses Zusammenkommen von Stilen zu zeigen. Zugleich bauen die verschiedenen Stücke auf die Veranschaulichung der Rolle der Frau in der abendländischen Tradition auf. Im Tanz wird diese Figur bekräftigt und entsprechend neu gelesen. La Dama steht auch für Transversalität, weshalb ihre Aufgabe auch darin besteht, den Tanz anderen Disziplinen näherzubringen, wie beispielsweise der Literatur, aufgrund der akademischen Ausbildung der Choreografin, der bildenden Kunst und der japanischen Fesselkunst des Shibari . Um die Entstehungsprozesse der Stücke zu teilen, werden regelmäßig öffentlich zugängliche Workshops und Trainings angeboten. Außerdem besteht die Arbeit des Ensembles darin, Aktivitäten zu organisieren, die die Tanzproduktion dem Publikum sichtbar machen. [115] Die Kompanie ist an keine staatliche Institution gebunden und ihre Werke werden sowohl in theatralischen als auch in öffentlichen Räumen aufgeführt. Nun, im Laufe der Recherche für die vorliegende Arbeit wurden unterschiedliche Tanzschaffende in Betracht gezogen und diejenigen ausgesucht, deren ästhetische Schwerpunkte sich als passend erwiesen haben. Anfänglich war die Idee in diesem Kapitel den Fokus auf das Stück Lucía zu legen, doch die künstlerische Leitung der Kompanie hat sich leider nicht bereit erklärt vollständiges Videomaterial der Aufführung für diesen Zweck zur Verfügung zu stellen. In der Unmöglichkeit eine Aufführungsanalyse aus einzelnen Ausschnitten darzulegen, musste die Entscheidung auf ein anderes Format der Kompanie fallen, und zwar auf den Kurzfilm Lucía - Cia La Dama & No Shibari . Statt um eine Aufführung handelt es sich um eine Zusammenstellung von Aufnahmen aus einer künstlerischen Residenz, welche zur Konzeption von Lucíaund für Dokumentationszwecke im Jahr 2022 gedreht wurde. Zum Zeitpunkt der Aufnahme arbeitete La Dama in L'Obrador de Deltebre auf der östlichen Küste Spaniens. L'Obrador versteht sich als Raum für künstlerische Produktion, in dem Aus- und Weiterbildung für professionelle Tänzer*innen angeboten und Residenzen für junge Kompanien regelmäßig ausgeschrieben werden. [116] Der Kurzfilm besteht aus kurzen Interviews mit den Mitwirkenden, zwar die künstlerische Leitung, fünf Tänzerinnen der Kompanie und den Shibari-Meister Alberto Moral, und Improvisationen. [117] Im Folgenden wird der Fokus hauptsächlich auf diese gelegt. Diesmal werden die Bewegungsbeschreibungen allerdings nicht chronologisch präsentiert, sondern in Bezug auf die Themen Schmerz, Bestrafung und Nähe, wie es im Titel des Kapitels in englischer Sprache vorkommt: pain, punishment, proximity .
Zwei Tänzerinnen stehen mit gebeugten Knien einander gegenüber. Eine Tänzerin hält ihre Hand vor dem Gesicht der anderen und beginnt sie zu kreisen. Die andere folgt der Hand und lässt sich führen, bis schließlich beide zum Boden landen. Schnell stehen sie wieder auf. Nun bewegt eine den Oberkörper der anderen, die sich nach hinten fallen lässt und sich beim Landen mit den Händen abstützt. Die eine wird von der anderen verfolgt, mit den Fußspitzen seitlich gerollt und durch den Raum geführt. Dann finden sie sich in der Mitte wieder, wo alle ihre Bewegungen beschleunigt werden. Die Tänzerin, die am Boden lag, wird von der anderen ins Ohr angeschrien, was dazu führt, dass sie schließlich auf den Boden wieder fällt. Daraufhin beginnt der Teil der Improvisation, in dem eine Tänzerin die andere an verschiedenen Körperstellen schlägt. Der Körper der Tänzerin wird zwischen den Schlägen hin- und hergerissen. Schließlich gelangen sie in die rechte hintere Ecke der Bühne, wo die eine die Haare der anderen nach oben zieht. Es folgt einen Szenenwechsel. Eine der Tänzerinnen trägt ein dunkles Tuch auf dem Kopf und lässt ihre Handgelenke kreisen. Langsam zeigt sie ihr Gesicht, lässt das Tuch und schließlich sich selbst fallen und beginnt zu kriechen. In einem weiteren Szenenwechsel werden beide gezeigt. Sie fesseln sich gegenseitig, ziehen an den Seilen oder lassen sich von ihnen ziehen. Als sie sich zurücklehnen, endet die Improvisation. In einer späteren Momentaufnahme praktizieren die Tänzerinnen Selbstfesselung oder sie fesseln sich in Paaren. Sie spannen die Seile mit beeindruckender Präzision. Es ist faszinierend zu beobachten, wie sie sich hineinfallen lassen und dabei ihre Körper beherrschen. Man sieht die Anstrengung der gefesselten Personen in ihrem Gesichtsausdrucke. Sie zeigen unglaubliche Flexibilität, während sie sich in den komplexen Seilfiguren bewegen. Es ist ein Zusammenspiel von Kraft und Anmut, von Kontrolle und Loslassen. Sie beherrschen die Seile wie Verlängerungen ihres eigenen Körpers. Dabei nutzen sie die Kraft des Seils, um sich in Positionen zu bringen, die sonst schwer zu erreichen wären. Es ist ein dynamischer Tanz. Zwei Tänzer*innen Paare treten gleichzeitig auf. Sie scheinen sich gegenseitig zu attackieren, doch in Wirklichkeit testen sie ihre eigenen Grenzen und das Gleichgewicht ihrer Partner*innen. Mit kraftvollen Schüben und geschickten Bewegungen bringen sie sich gegenseitig in Schwindel erregende Positionen. Es wird eine Art tänzerischer Kampf inszeniert, bei dem Kontrolle über den Körper ausgeübt wird. Er wird gedreht und gezogen, und schließlich hingeworfen, als wäre er der Situation ausgeliefert. Auf diese Weise endet die Improvisation. Zu Beginn der Aufnahme werden Tänzerinnen gezeigt, die gefesselt und umarmt werden. Sie befinden sich im Sitzen, Liegen oder Stehen und haben geschlossene Augen. Die Knotenkombinationen variieren je nachdem in welche Anfangsposition, die gefesselte Personen sind. Es bilden sich liebevolle Konstellationen, in denen das Umarmen dem Fesseln folgt. Schrittweise finden sich die Tänzerinnen in einer Gruppe und festigen sich durch die Knoten aneinander. Plötzlich wird diese Gruppenszene unterbrochen und es erscheint das Bild einer Tänzerin, die an einem Sessel gefesselt ist; ein Bild, welches den Zuschauer*innen einen tiefen Eindruck hinterlässt und die Improvisation beendet. [118]
Die beschriebenen Szenen beanspruchen keine Vollständigkeit, sondern sie sollen ein Stimmungsbild des Kurzfilms bieten, welcher eine Gesamtdauer von circa 8 Minuten hat. Die Aufnahmen sind so zusammengestellt, dass man unterschiedliche Phasen der Produktion des Stücks Lucía mitverfolgen kann. Die Improvisationen lassen sich allerdings nicht als einen nachvollziehbaren dramaturgischen Ablauf, der sich linear abspielt, erfassen. Vielmehr veranschaulichen sie die Arbeitsweise und ästhetische Richtung der Kompanie. Im Unterschied zu den vorherigen Performances, deren Struktur sich an die einer Bondage Session anlehnt, fungiert hier die Praxis des Fesselns nur als zusätzliches Element, um Bewegung zu generieren. Denn in La Damas Arbeit stehen Körper und Tanz im Vordergrund. In der ersten Improvisation geht es hauptsächlich um Schmerz . Die Rollenverteilung zwischen der Person, die ihn zufügt und der, die ihn erträgt, wird in der Quantität und Qualität der Bewegungen offensichtlich. Während die erste Person hauptsächlich steht und führt, liegt die andere auf dem Boden und lässt sich führen, manipulieren und sogar laut anschreien. Die erste tendiert dazu, das Geschehen zu bestimmen und den Körper der anderen quasi als zu formenden Material zu nutzen. Dies zeigt sich in der Vehemenz, mit der sie ihre Partnerin verfolgt oder mit den Fußspitzen energetisch zur Seite rollt. Mit diesen Bewegungen werden Gnaden- und Rücksichtslosigkeit suggeriert. An anderer Stelle wird die eine Tänzerin am Körper geschlagen. Die Schläge und die Abweichung davon generieren einen kontrastvollen Tanz, bei dem körperlicher Schmerz durch eine leicht zu erkennende Handlung, eben das Schlagen, explizit dargestellt wird. In ihrer Publikation Playing on the Edge unterscheidet Sozialwissenschaftlerin und Anthropologin Staci Newmahr zwischen being hurt und receiving pain. Im ersten Fall geht es um tatsächliche Gewalt im zweiten um gewollten Schmerz. Mit receiving pain suggeriert sie, dass das Zufügen vom Schmerz jeglicher Art auf den Wunsch zurückgeht, bestraft werden zu wollen. [119] Zudem wirdBestrafungin der folgenden Improvisation durch den Einsatz der Seile und der Fesselspiele dargestellt. Die Tänzerinnenwerdenfestgehalten, gedreht, an sich herangezogen und zum Boden hingeworfen. Ihre trostlose, zärtliche, hingebungsvolle Gesichtsausdrucke und ihre zu der fesselnden Person angelehnten Körper symbolisieren eine unterwürfige Haltung und Opferbereitschaft. Spuren der Bestrafung, der sie ausgeliefert sind, werden in verschiedenen Momentaufnahmen durch die Abdrücke der Seile auf ihrer Haut gezeigt. Die Schwelle der Intimität und der Verletzlichkeit wird durch die Haut angetastet und zugleich im Fesseln angegriffen. [120] In der Improvisation wird das fiktive Spiel des Sadomasochismus inszeniert; ein Spiel, das auf geregelte Handlungen beruht, die zwischen Qual und Wahl zu verorten sind. [121] Zudem während sich Tänzerinnen nicht gegen die Fesselung, im Gegenteil sie geben sich ihr hin. Ihre Körperhaltung suggeriert, dass sie sich aktiv dafür entscheiden. Wie in vorherigen Kapiteln erwähnt, werden Schmerz und Bestrafung im Rahmen sadomasochistischer Praktiken neu interpretiert. Sie gewinnen an Sinnhaftigkeit, denn sie koinzidieren mit Hingabe, Befreiung und sogar Bereinigung, denen eine eher positive Konnotation zugeschrieben wird. [122] Positiv und affektiv konnotiert sind auch die Umarmungen der letzten Improvisation. In der Szene werden Tänzerinnen weiterhin gefesselt und anschließend liebevoll in die Arme genommen, gedrückt und wieder losgelassen. Die Umarmung wird an der Stelle zur trostvollen Geste. Sie stellt Nähe her und deutet Erlösung an. Außerdem ruft sie ein romantisches Gefühl von Unschuld und Freiheit von Belastungen hervor und wird in der späteren Gruppenkonstellation zur intimen Begegnung. [123] Diese Begegnung konkretisiert sich in einem Tanz mit mehreren Stimmen, die sich überschneiden und Körper, sie schließlich miteinander verschmelzen. Die hergestellte Nähe ist kein rein körperliches Phänomen, sondern zeigt sich in der Attitüde der Tänzerinnen, die besonders aufmerksam miteinander interagieren, sich sanft berühren und streicheln. Diese Handlungen sind nicht im Kontrast zu den vorher beschriebenen, sondern ergänzen sie, wodurch der Kern des Sadomasochismus in Erscheinung tritt. Ein Kern, in dem Leidund Lust zwei Seiten derselben Medaille sind. Wie andere abweichende Vorlieben, kann Sadomasochismus mit sexuellen Handlungen in direkten Verbindung gebracht werden. Das bedeutet, dass Sex eine Form der Äußerung und Verwirklichung solcher Schmerz gerichteten Tendenzen sein kann. Nun, ähnlich wie in Bunny und in der unbetitelten Performance des Kollektivs SomeTies, macht sich in La Damas Kurzfilm sexuelle Spannung zwischen den Tänzerinnen stellenweise bemerkbar; wobei sie diesmal nicht im Vordergrund steht. Beispielhaft sind die Momente, in denen sie aufeinanderliegen, sich drucken und streicheln. Zudem reiben sie sich in der Gruppenkonstellation aneinander, mit rhythmischen Bewegungen, was wieder an das Geschlechtsverkehr erinnert. Die Arbeit der Kompanie ist allerdings mehr auf die Kombination von Shibari und Tanz fokussiert. Das heißt, dass die Praxis des Fesselns geübt wird, um neue Bewegungssequenzen zu generieren, wodurch ihre sexuelle Dimension in den Hintergrund rückt.
Die künstlerischen Arbeiten von Luke George und Daniel Kok, vom Kollektiv SomeTies und der Kompanie La Dama sind lediglich Beispiele, um einen kleinen Überblick zu verschaffen, über Künstler*innen und Tanzschaffende, die sich mit dem Phänomen Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism befasst haben. Nicht-normative sexuelle Vorlieben und Praktiken sind in der theater- und tanzwissenschaftlichen Forschung noch wenig präsent, deshalb standen diese Tanzdarstellungen so weit im Fokus. Ihre Analyse basierte hauptsächlich auf die Beschreibung des Geschehens und der Bewegungen aus der Perspektive einer tanzwissenschaftlich geschulten Zuschauerin. Eben aus dieser Perspektive konnte bis zu diesem Punkt folgendes festgestellt werden: obschon die ausgesuchten Performances in der Inszenierung, Ausstattung, Konzeptionsweise und Kontext ihrer Aufführung verschieden sind, werden die jeweiligen Schwerpunkte in ähnlicher Weise dargestellt, zumindest im Hinblick auf das Bewegungsvokabular der Mitwirkenden. Die Analyse der Stücke zeigt, dass die künstlerische Darstellung abweichender sexueller Vorlieben im Tanz durch ähnliche und wiederkehrende Formen, Figuren und ästhetische Entscheidungen erfolgt. Außerdem ist der Aufbau sexueller Spannung zwischen den Beteiligten und der Einsatz von verschiedenen Materialien so gut wie immer Teil der Inszenierungen. Nun, um die Entstehung und Etablierung dieses wiedererkennbaren Bewegungsvokabulars in den jeweiligen Tanzperformances nachvollziehen zu können, wird im folgenden Abschnitt die Zuschauer*in Perspektive abgelegt. Ausgehend von den Fragen, wie sich abweichende sexuelle Praktiken anfühlen und wodurch der Körper in der Praxis zu bestimmten Bewegungen, Haltungen und Posen neigt, wird das persönliche Erleben von BDSM ansatzweise geschildert und anschließend reflektiert.
4. Transgression als Transformation: das Potential von BDSM in Tanzperformances.
4.1 Bodies, Bondage, Boundaries: BDSM erleben.
„SM is an experiential discipline, like music, which you cannot understand without experiencing it yourself. “[124]
„Through transgressing interpersonal boundaries, access is granted. Through immersing oneself in the potential for violations of trust and body and mind, still other access is grated. Through this access, intimacy is constructed. (…)Though play, participants engage in practices of trust, and thus in risking violation.“ [125]
In Playing on the Edge macht Sozialwissenschaftlerin und Anthropologin Staci Newmahr darauf aufmerksam, dass zwischen Ethnolog*innen, die Feldstudien führen, die Tendenz da ist, die eigene Sexualität in ihren Texten nicht erahnen zu lassen. Doch Studien und Forschungsarbeiten können Anlass sein, die eigene sexuelle Subjektivität zu erkunden und eventuell eine Gelegenheit darbieten, ein Verhältnis mit bestimmten Praktiken aufzubauen bzw. sich ihnen gegenüber zu positionieren. [126] Anfänglich schien es überflüssig zu sein, eine persönliche Perspektive auf den Forschungsgegenstand zu bieten. Die Ursprungsidee war nämlich, eine ethnologische Feldstudie zu führen; denn dadurch hätte man eine objektivierende Distanz zum Phänomen entwickeln können. Doch Feldstudien in Bezug auf BDSM sind in anderen Wissenschaften schon reichlich geführt worden. Ein exemplarisches Beispiel ist Die BDSM-Szene. Eine ethnologische Feldstudievon Soziologin Anne Deremetz aus dem Jahr 2018. Einen zusätzlichen Beitrag zur Sammlung und Analyse empirischer Daten braucht die Forschung meines Erachtens deshalb nicht. An der Stelle kann die Tanzwissenschaft stattdessen veranschaulichen, wie BDSM inkorporiert und weitergegeben wird, wie er im Tanz dargestellt erscheint und schließlich auf Zuschauer*innen wirkt. Die Idee, die Subkultur des Kink aus dieser Perspektive zu untersuchen ist erst aus persönlichem Interesse entstanden, nicht-normative sexuelle Praktiken auszuprobieren. Aus diesem Grund ist diese strenggenommen keine Feldstudie geworden, denn ich war während des Forschungszeitraums keine beobachtende Teilnehmerin. Stattdessen handelt es sich zum Teil um einen kurzen Bericht ausprobierter Praktiken als aktive und interessierte Einsteigerin in die Szene. Das gezielte Eintauchen in die Berliner Kink Szene für (tanz)wissenschaftliche Zwecke hat im Frühjahr 2023 angefangen. In einem Zeitraum von ungefähr sechs Monaten habe ich, mit regelmäßigen Abständen, verschiedenen Berliner Clubs besucht und mich auf unterschiedliche BDSM-Praktiken einvernehmlich und risikobewusst eingelassen. Dies ist im sicheren Rahmen und mit vertrauten Personen geschehen. Im Folgenden werden Praktiken geschildert, deren Beschreibung sowohl aus meiner als auch aus Perspektiven anderer Menschen, die mir begegnet sind, basiert. Dies, um eigene Erlebnisse und Empfindungen nicht naiv zu verallgemeinern. Im Forschungszeitraum wurden informelle Interviews geführt, um tiefergehende Einblicke in die Gedanken, Einstellungen und Erfahrungen von Clubbesucher*innen zu gewinnen. Die interviewten Personen wurden weniger strukturiert befragt, sodass Raum für freie Assoziationen und das Erzählen von persönlichen Geschichten bestand. Zuerst wurde die Auswahl der Clubbesucher*innen getroffen, dies unabhängig von Geschlecht und Aussehen. In der Regel wurden Personen angesprochen, die in dem Moment nicht in anderen Aktivitäten involviert waren. Dann die Kontaktaufnahme, um Vertrauen aufzubauen und sicherzustellen, dass die Personen freiwillig und informiert an dem Interview teilnehmen. Anschließend die Durchführung des Interviews, in dem allgemeine Themen angesprochen wurden oder gezielte Fragen zu bestimmten Praktiken vorkamen. Die jeweiligen Interviews konnten aus unterschiedlichen Gründen, vor allem wegen der Club Politik, nicht aufgezeichnet werden. Deshalb wurden die relevanten Informationen nachträglich aufgeschrieben. Das Ziel für die Recherche war mein Bewegungshabitus und das von anderen Menschen in der Durchführung der Praktiken genau zu beobachten. Außerdem habe ich in der Zeit an Veranstaltungen, Stammtischen und Treffen teilgenommen, die durchaus sehr informativ gewesen sind und mir wertvolle Einblicke in die verschiedensten Vorlieben, Neigungen und Lebensentwürfe geboten haben. Nun, so gut wie alles im Folgenden erwähnte ist stark auf den Einbezug des eigenen Körpers angewiesen, deshalb liegt der Fokus hauptsächlich auf seinen Bewegungen. Zu den Praktiken, die ich ausprobieren durfte, zählen mit ihren in der Szene verbreiteten englischen Begriffen beispielsweise: bondage, whipping, slapping, biting, choking, clamps breast play, candle wax play, sensory deprivation, mental humiliation, master/slave play, animal/pet play.Auf die Praxis des Bondage wurde in den vorherigen Kapiteln ausführlich eingegangen, denn sie ist Bestandteil in allen drei betrachteten Performances. Grundsätzlich konkretisiert sie sich in Körperfesselungen durch Knotenmusterbildung, welche durch erlernte Bewegungsabfolgen geschieht. In der Regel fesselt man mit beiden Händen, involviert sind außerdem Finger, Handgelenke und je nach Wissensstand und Übungsgrad können schrittweise andere Körperteile, wie Oberarme verwendet werden. Unabhängig davon, mit welchen Materialien gefesselt wird, basiert Bondageauf Übung und Wiederholung, Körpergedächtnis und auf der Kenntnisnahme und Anwendung von Sicherheitsmaßnahmen, damit es zu keinen Verletzungen kommt. [127] Als fesselnde Person hat man zwar Spielraum, was auf welche Weise gefesselt wird, doch damit die Praxis gelingt, ist man auf das Erlernen von Knotenmustern angewiesen; zumindest bis man sie meistert. Aus der Perspektive der gefesselten Person ist Bondage für den Körper vor allem einschränkend. Auf diese Einschränkung, im Sinne einer Reduktion der Bewegungsmöglichkeiten, soll man sich emotional und körperlich einlassen können. Im Ziehen und Festigen der Knoten wird der Körper nämlich gedrückt und in die Knoten hineingepresst. Dies führt dazu, dass die gefesselte Person, jeglicher Spannung abgibt und sich von den Knotenmustern auffangen lässt. Die Entspannung der Muskel ist eine gelingende Strategie, um die Unbequemlichkeit mancher Stellungen aushalten zu können. [128] Zudem werden in der Regel Justierungen der Ausrichtung durch minimale Bewegungen vorgenommen, damit der Körper nicht allzu lang überlastet wird. Ein solches Körperverhalten kommt sowohl in Bunny als auch in der Performance vom Kollektiv SomeTies häufig vor.
Weitergehend zu anderen Praktiken, sind beispielsweise whipping und slapping Techniken des Schlagens mit einer Peitsche, einem ähnlichen Instrument oder den Händen. Sie werden typischerweise als Bestrafung oder zur Disziplinierung angewendet. Die Peitsche besteht normalerweise aus einem flexiblen Griff, der an einem sogenannten Schlag befestigt ist. Der Schlag besteht aus einem geflochtenen Strang, der bei der Anwendung hoher Geschwindigkeiten ein scharfes Klatschgeräusch erzeugt. Die Peitschenbewegung erfordert eine gewisse Menge Energie, die im Schlagen auf den Körper oder die Haut der Person übertragen wird. [129] Die Intensität des Schlages je nach verwendetem Instrument und gewünschtem Effekt variieren. In jedem Fall resultieren daraus scharfe, stechenden Schmerzen, die den Körper häufig in ein Hohlkreuz oder bogenförmige Stellungen bringen. Denn die gepeitschte oder geschlagene Person neigt instinktiv dazu, die betroffenen Körperteile durch Ausweichung schützen zu wollen. Solche Bewegungen und Stellungen sind in Bunny in der Bestrafungsszene und im choreographischen Part zu sehen. Doch auch in La Damas Improvisation, in der eine Tänzerin geschlagen wird und von den Schlägen auszuweichen versucht.
Eine andere Praxis, in der instinktive, ausweichende Körperbewegungen vorkommen, ist beispielweisedas candle wax play,auch als Wachsspiel oder Wachstropfen-Spiel bezeichnet. Diese ist eine Praxis, bei der heißes Wachs zum Vergnügen und zur Stimulation auf die Haut tropfen gelassen wird.Dabei wird in der Regel spezielles Wachs verwendet, das einen niedrigeren Schmelzpunkt hat und somit sicherer ist als gewöhnliche Kerzen. DieWärme des Kerzenwachses wird als angenehm, sinnlich und erotisch beschrieben. Einige Menschen genießen auch den visuellen Aspekt der tropfenden Wachsstreifen auf ihrer Haut. [130] Wachsspiele kommen in den Performances zwar nicht vor, doch in allen sind Ausweichungen durch Hohlkreuze, Richtungswechsel, Geschwindigkeitsregulierung, Körperstellungwechsel zu sehen. Eine Praxis, die in den Darstellungen nicht vorkommt, deren Bewegungsvokabular aber präsent ist, ist die des biting. Hier geht es darum, leichte bis mittlere Bisse anderen zuzufügen. Diese Bisse können auf unterschiedlichen Körperteilen, wie zum Beispiel Nacken, Ohren, Brust oder Oberschenkel, erfolgen. Das Beißen kann verschiedene Formen annehmen, von spielerisch und sanft bis zu intensiv und schmerzhaft. In der Regel werden auf der Haut Spuren und Abdrücke hinterlassen, die ein befriedigendes Gefühl auslösen können. Für die beißende Person ist ausschließlich der Mund involviert, während die gebissene Person dem Schmerz ausgesetzt ist. Hier kann es zum Kribbeln und Zittern kommen. Diese sind vor allem in der Aufführung von SomeTies zu sehen. In der Performance werden auch sensory deprivation und master/slave play dargestellt. Bei der ersten Praxis geht es um sensorische Deprivation. Dies umfasst Techniken, bei denen jemanden bewusst von Sinnesreizen isoliert wird. Dies kann durch die Abwesenheit von visuellen, auditiven oder taktilen Reizen erfolgen. Die Erfahrungen während der Deprivation sind von Person zu Person unterschiedlich. Einige Menschen berichten von tiefer Entspannung im ausgeliefert sein, aber auch von erhöhter Konzentration über das Geschehen. Andere erleben möglicherweise Unbehaglichkeit im Ungewissen und Desorientierung. [131] Hier verhält sich der Körper unterschiedlich, je nachdem, welche Sinne eingeschränkt werden. Generell wird man in der Bewegung vorsichtiger und versucht sich mit den noch vorhandenen Sinnen zu orientieren. In der Aufführung von SomeTies, als die Augen der Performerin gebunden wurden, konnte man eben beobachten, dass sie besonders vorsichtige Schritte unternommen hat, um die Umgebung zu erkunden.
Weitergehend ist das master/slave play eine Art von sexuellem Rollenspiel, bei dem eine Person die Rolle des Masters, Herrin oder Herr übernimmt und die andere die des Sklaven oder Sklavin. In diesem gesetzten Rahmen gibt der Masteroder die Herrindie Anweisungen und kontrolliert, dass sie richtig ausgeführt werden. Der Sklave oder die Sklavinist da, um dem Master zu dienen und seine oder ihre Befehle zu befolgen. Das Spiel basiert eindeutig auf Machtungleichheit und kann verschiedene Elemente aus anderen Praktiken beinhalten, wie zum Beispiel Fesseln, Bestrafungen oder sexuelle Demütigungen. In der Performance von SomeTies konkretisiert sich das Spiel im Dom/Sub Verhältnis zwischen den Performer*innen, welches schon geschildert wurde. Die Bewegungen der dominanten Person waren raumeinnehmender, während die der unterwürfigen zum Boden tendierten; räumliche Anzeichen der ungleichen Machtverhältnisse. [132] Andere ausprobierte BDSM-Praktiken finden zwar keine direkte Korrespondenz zum Bewegungshabitus der Performer*innen in den analysierten Stücken, doch sie sind üblich in der Szene, deshalb an dieser Stelle erwähnenswert.
Choking bedeutet beispielsweise Erstickung. Hierbei wird Druck auf den Hals einer oder mehreren Personen ausgeübt, um die Durchblutung einzuschränken. Dies kann für manche stimulierend und erregend wirken, deshalb tendiert man dazu, sich dagegen nicht zu wehren, sondern sich dem Geschehen hinzugeben und der Situation zu vertrauen. Deshalb versucht man währenddessen keinerlei Widerstand zu leisten, es sei denn, Widerstand ist ausdrücklich erwünscht. [133] Dasclamps breast playistals Brustklemmen-Spiel bekannt. Dabei werden die Brustwarzen mit Klemmen oder Klammern versehen, um Druck und Zug auszuüben und so die Empfindlichkeit zu steigern. Einige Menschen genießen die Empfindlichkeit, die durch das Kneifen oder Ziehen mit den Klammern entsteht, während andere den Schmerz als erregend empfinden. [134] Das animal/pet playbezeichnet eine Art von Rollenspiel, bei dem einer oder beide Partner*innen die Rolle von Tieren oder Haustieren spielen. Dabei kann es sich sowohl um real existierende Tiere als auch um fiktive Fantasie-Kreaturen handeln. Die Rollen werden häufig durch Verkleidung, Accessoires und bestimmte Verhaltensweisen dargestellt.Jede*r Mitspieler*inagiert seiner oder ihrer Rolle entsprechend. Übliche Erscheinungsformen sind das Bellen oder Miauen, das Tragen eines Halsbandes, das Führen an der Leine. Obwohl in geführten Interviews nicht ausdrücklich nach der Motivation zur solchen Praktiken gefragt wurde, wurden verschiedene Beweggründen geschildert; wie etwa das Ausleben von Dominanzdynamiken, das Eintauchen in eine Fantasiewelt oder das Gefühl der Geborgenheit.
Zu den Praktiken, die nicht unmittelbar mit dem Körper verbunden sind, zählt schließlich mental humiliation. Dabei geht es um mentale Erniedrigung, absichtliche Demütigung oder psychischen Missbrauch. Personen können verächtlich gemacht oder herabgesetzt werden, um ihr Selbstwertgefühl oder ihr Selbstvertrauen zu untergraben. Dies kann durch Worte, Gesten, Blicke oder andere Verhaltensweisen erfolgen. [135] Basierend auf die Erfahrungen und Erzählungen der interviewten Personen, hat man feststellen können, dass die Zugehörigkeit der Szene nicht konfliktfrei ist, an Selbstreflexion und intensive Beschäftigung mit der eigenen Identität braucht und dass der eigene Körper in der Praxis unmittelbar präsent ist. Dabei kommt man nicht darüber hinweg, sich mit gesellschaftlich verbreiteten Normalitätsvorstellungen auseinanderzusetzen. Zu Recht stellt Soziologin Elisabeth Wagner in ihrer Publikation Grenzbewusster Sadomasochismus die Frage danach, was im Ausleben von sexuellen Vorlieben als akzeptabel gilt und was nicht. [136] Aus der Frage entstehen so viele persönliche Auffassungen möglicher Abweichungen von akzeptierten Normen und Vorstellungen, wie es Menschen gibt. [137] Ein persönlicher Anhaltspunkt in der Beschäftigung mit der Ausführung von BDSM-Praktiken ist schließlich der Umgang mit körperlichen und psychischen Grenzen gewesen. Denn sie sind, wie die Praxis selbst, sehr individuell. Um das soziale Miteinander, welches die Szene ausmacht, aufrechtzuerhalten, ist es empfehlenswert, sich mit ebendiesen Grenzen und denen der anderen auseinanderzusetzen. Im Rahmen von Tanzaufführungen sind solche Grenzen nicht vorrangig, denn das Geschehen und die Bewegungen können geprobt, geübt und je nach Situation im Vorfeld angepasst werden. Außerhalb des darstellerischen Kontexts sind Regeln und Grenzen, die man in der Praxis setzt bzw. ihr voraussetzt, zu schützen und zu respektieren. In diesem Zusammenhang soll es in Folgendem unter anderem ums Thema Consent gehen; dies mit dem Vorhaben, ein Fenster zum Nach-, und Umdenken über nicht-normative Vorlieben zu öffnen.
Consent und Sicherheitskonzepte sind in der Szene Voraussetzungen für das Auftreten des Spielfeldes; vor allemaufgrund der Risiken, die mit der Praxis verbunden sind. Der BegriffConsentkann als Einvernehmlichkeit übersetzt werden und umfasst verschiedene Formen von definierter Vereinbarungzwischen den Beteiligten an BDSM-Aktivitäten. Die Vereinbarung wird der Praxis vorausgesetzt, definiert ihren Rahmen und gilt bis Ende ihrer Ausführung. [138] Consent lässt sich als dynamischen Prozess verstehen, weil immer neue Verhandlungen, Anpassungen und Absprachen stattfinden sollen; dies je nachdem wie eng und vertraut die Beziehung zwischen den Beteiligten ist und wie hoch das Risiko der Praxis. Generell unterscheidet expliziter Consent BDSM-Aktivitäten von anderen, die zwar auf ähnlichen Handlungen basieren können, doch nicht auf Einvernehmlichkeit wie zum Beispiel: Missbrauch, Misshandlung und Gewalttaten. [139] Zu den weit verbreiteten Sicherheitskonzepten zählen die, welche in allen Sachbüchern, Lexika und Einführungen über BDSM thematisiert werden, und zwar: Safe, Sane, Consensual (SSC) und Risk Aware Consensual Kink (RACK). Laut dem ersten Konzept sollen BDSM-Aktivitäten eben auf Einvernehmlichkeit basieren, in einem sicheren Umfeld und mit gesundem Menschenverstand gestaltet werden. Die Praxis braucht an Kompetenz in ihrer Ausführung und an einem gewissen Grad an Körperwissen. Weil sich alle Risiken nicht ausschließen lassen und für manche der Reiz eben in der Gefährlichkeit liegt, entstand das zweite Konzept, wodurch alle Beteiligten selbstverantwortlich die Risiken annehmen und sich auf die Aktivitäten trotzdem freiwillig einlassen. Außerdem sind sogenannte safewords üblich. Sie dienen dazu, dass Aktivitäten sofort abgebrochen werden können, falls notwendig. Sie können aber auch nur als Warnsignale oder Notbremse gelten. [140] Vorsichtshalber werden Wörter ausgesucht, die wenig oder nichts mit dem tatsächlichen Geschehen zu tun haben, damit ihre Wirkung im Rahmen der jeweiligen Praktiken verstärkt wird. Diese dargelegten Rahmenbedingungen helfen dabei, BDSM besser zu verstehen und als soziale Praxis zu erklären, weil sie sich eben in zwischenmenschlichen Interaktionen konkretisiert und gewissen Regulierungsmechanismen unterworfen ist.[141]Laut AutorPatrick D. Hopkins sind nicht-normative sexuelle Praktiken wie BDSM als bewusste und von den Beteiligten anerkennte Inszenierungen und konstruierte Performances zu verstehen, welche in der Spannung, Körperempfindungen und Emotionen jedoch real sind. In seinem einleuchtenden Artikel Rethinking Sadomasochism argumentiert er, dass es sich dabei nicht um eine Reproduktion von Machtstrukturen der Dominanz und Unterwerfung handelt, sondern vielmehr um wahre Simulationen solcher Strukturen.So gesehen, schaffen Consent, Sicherheitskonzepte, safe Words, Verhandlungen, Absprache und gegenseitige Beachtung ein Kontext, in dem solche Praktiken anders interpretiert werden können, eben als kollektiv inszenierte Simulationen.[142] In den vorherigen Abschnitten ging es darum, zu veranschaulichen, wie Aktivitäten oder lediglich Elemente des BDSM in Tanzaufführungen eingebettet wurden und wie sich einige Praktiken, außerhalb des Kontexts einer Aufführung anfühlen und einordnen lassen. Nun, anhand des Beispiels von BDSM soll der Fokus auf das transformative Potenzial und Effekt auf Zuschauer*innen von Darstellungen nicht-normativer sexueller Vorlieben im Tanz gelegt werden. Außerdem wird reflektiert, inwiefern ebendiese Darstellungen als transgressiv wahrgenommen werden können.
4.2 Eine Theorie ästhetischer Transgression.
„Ist SM, als gelungenes Zusammenspiel von Intelligenz, Intuition, Wissen, Erfahrung, Gefühl und Leidenschaft nicht ein kreativer Akt von machtvoller Lust, Schönheit, Erkenntnis und Erneuerung? Eine Sublimation gefährlicher Impulse? Vielleicht nur vergleichbar mit großer Kunst? “ [143]
„Kann SM die Welt retten? Möglicherweise. Dass aus einvernehmlichem Missbrauch, geplanter Aggression und bewusster Zerstörung plötzlich Lustgewinn, Ermächtigung und sogar Heilung entstehen kann ist ein wahres Wunder.“ [144]
Auf diese Weise äußert sich Felix Ruckert in einem unveröffentlichten Auszug aus dem Interview7 Tugenden zur Wiederverzauberung der Weltim Jahr 2014. Der Tänzer und Choreographerforscht den Sadomasochismus in seiner Arbeit und unterstreicht damit sowohl seinen künstlerischen Anspruch als auch sein Potenzial zur Innovation und Ermächtigung. Genau um dieses Potenzial soll es im Folgenden gehen und deshalb um die Frage, ob es Tanzschaffenden gelingen kann, durch BDSM inspirierte Performances, nachhaltige Veränderungen zu bewirken. [145] Wenn BDSM performativ ist, dann ist seine Präsenz in Tanzaufführungen eine Art doppelte Performance, die abweichende sexuelle Praxis und darstellende Kunst kombiniert sieht. Hier wird theorisiert, dass diese Kombinationals transgressivgilt und dass die Transgression transformativ sein kann. Diese Theorie kommt in Anlehnung an der Auffassung von Transformationund Transgressionvom Professor für Wissenschaftstheorien Robin Bauer zustande. In seiner Forschung über BDSM in queeren Gemeinschaften definiert er transgressive Akte als solche, bei denen individuelle und soziokulturelle Grenzen infrage gestellt werden und in Form von Tabubrüchen überwunden bzw. überschritten werden. Transformative Akte hingegen versteht er als Ereignisse, die neue Bedeutungen und Realitätsinterpretationen stiften, welche über die Praxis des Einzelnen hinausgehen und politisch wirksam sein können. [146] Im zweiten Kapitel wurde erläutert, dass es bei Transgression darum geht, von akzeptierten und vorgegebenen Normen, Werten und Vorstellungen auszubrechen. Thematisiert wurde auch die implizite Existenz einer Norm hinter jeder Transgression und dass abweichende Vorlieben und Praktiken transgressiv sind, weil sie latente Tabus enthüllen. [147] Die analysierten BDSM-Tanzaufführungen sind Beispiele von künstlerischen Darstellungen abweichender Praktiken und repräsentieren eine Möglichkeit Tabus, verstanden als das Unaussprechliche und Unantastbare, in Form von Kunstwerken auszustellen und zu reflektieren. Doch um welche Tabus handelt es sich und wie werden sie transgrediert?
In den Performances wird mit einigen der primären Tabus bezüglich des menschlichen Körpers, der Gewalt und der Sexualität, gearbeitet. Alle drei Instanzen sind mit unterschiedlicher Ausprägung präsent und die Auseinandersetzung damit, macht die Darstellungen zum strategischen Mittel in der Entwicklung einer Ästhetik der Transgression. [148] In Bunny, Lucía und in SomeTies’Performance wird der Körper stetig an seinen Grenzen gebracht. An vielen Stellen werden diese Grenzen nämlich sichtbar und sogar erfahrbar gemacht, wie beispielsweise das Engagement des Publikums in Bunny zeigt. Indem den Zuschauer*innen gezeigt wird, wie die Körper der Tänzer*innen geschlagen, gepeitscht, gefesselt, gedemütigt, gefangen gehalten, fixiert, erniedrigt, bloßgestellt werden, finden sie sich kontinuierlich mit Tabubrüchen konfrontiert. Denn die Unversehrtheit des Körpers wird durch Machtausübung verletzt. Unversehrtheit steht nämlich im Gegensatz zur Zerstörung, Vernachlässigung oder Misshandlung und Schädigung, die im Gewaltspektrum eingeordnet werden können. Die Unversehrtheit wird auch da verletzt, wo es Einschränkungen jeglicher Art, in diesem Fall der Körperbewegung, gibt. Denkt man zum Beispiel an die Fesselszenen in Bunny und Lucía. Selbstverständlich handelt es sich in den Aufführungen um symbolische Handlungen, wodurch die Unversehrtheit der Beteiligten in der Realität intakt bleibt. Zudem können die unterschiedlichen Erscheinungsformen von Dom/Sub Verhältnis auch Gewalt thematisieren und inhaltlich simulieren. Symbolisiert werden unter anderem Verletzung der Integrität, Einschränkung der Entscheidungsfähigkeit, Unterwerfung und Gehorsamkeit, in denen Gewalt in Form von Unterdrückung erscheint. Weitergehend spielt Sexualität im BDSM-Kontext eine wichtige Rolle und wird in den Performances im Bewegungshabitus der Künstler*innen an vielen Stellen, auch wenn nicht für alle sichtbar, zumindest angedeutet. In Bunnyim choreographierten Part, in Lucía in der Gruppenimprovisation und in SomeTies’ Performance im Reiben der erogenen Körperzonen und im erotischen Entkleiden. In den Darstellungen wird all dies durch den Tanz zumindest metaphorisch angesprochen. [149] Zur Transgression der obengenannten Tabus führt die Aufstellung der involvierten Körper, die zur öffentlichen Repräsentation und Offenlegung der Themen sorgt, weil Tanz die Unsichtbarkeit dieser Tabus, als schwebende Konzepte, in sichtbare Bewegung übersetzt. In Fall der analysierten Performances bietet er eine alternative Ausdrucksform für das, was schwer zu thematisieren bzw. auszusprechen gilt. Er trifft keine Aussagen durch Worte, sondern durch Akte. Er kann ästhetisch wahrgenommen und interpretiert werden. Er wird performt und dadurch im Raum konkret erlebbar, was seine Aussagekraft verstärkt. [150] In performativen Akten werden andere Interpretationskontexte für die angesprochenen Themen – Sexualität, Gewalt, Unversehrtheit – geschaffen, wodurch eine Verschiebung der Grenzen des Mach- und Sagbaren geschieht; wobei diese Grenzen immer individuell und kulturell geprägt sind, ähnlich wie die primären Tabus. In diesem Zusammenhang ist die Theorie der ästhetischen Ungehorsamkeit – im Englischen aesthetic disobedience – des US-amerikanischen Philosophen Jonathan A. Neufeld erwähnenswert. In seinem Artikel in The Journal of Aesthetics und Art Criticism im Jahr2015 erschienen, thematisiert er nämlich das transformative Potenzial der theatralischen Praxis und definierte einige Charakteristika transgressiver Bühnenstücke; dies anhand des Beispiels von Peter Handkes Publikumsbeschimpfung , in dem die Schauspieler*innen gegen die Erwartungen des Publikums, kein Theaterstück spielen, sondern Theater als historisches Phänomen kritisch betrachten. Laut Neufeld zeigen sich Ungehorsamkeit und Transgression in Performances, indem es nämlich gegen Normen und Erwartungen, in der Außen- und künstlerischen Welt verstoßen wird und vor allem indem Wiedersprüche und Konflikte in der gesellschaftlichen Ordnung aufgezeigt werden. Schließlich wird in diesen Performances ein gewisses Risiko zum Missverständnis, Empörung und Fehlinterpretation der Zuschauer*innen in Kauf genommen. All diese Elemente konstituieren die aesthetic disobedience , welche nichts anderes als eine Form von ästhetischer Transgression ist. [151] Doch, inwiefern ist diese ästhetische Transgression transformativ?
Ich vertrete die Auffassung, dass jede Performance, Theaterstück oder Tanzaufführung zweifellos eine Wirkung auf das zuschauende Publikum hat; dies unabhängig davon, ob das Geschehen nachvollziehbar erscheint oder nicht und ob man diesen Effekt in Worten fassen kann oder nicht. Das, was BDSM-Tanzaufführungen auszeichnet, ist dass sie eben Grenzen überschreiten, und deshalb gerät man beim Zusehen in das, was Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer Lichte als die Krise der Zuschauer*innen nennt. Sie beschreibt sie als erfahrbare körperliche Transformation. [152] Dabei wird das Publikum in ungewöhnliche Situationen versetzt und muss lernen, damit umzugehen, sie auszuhalten und neue Interpretationen dafür suchen. Dies, damit es nicht befremdlich oder sogar beängstigend wirkt, was vor seinen Augen geschieht. Zuschauer*innen erleben eine unmittelbare Konfrontation mit verselbständigten Vorstellungen und Denkmustern und deshalb erstens eine Form der Destabilisierung, welcher die Etablierung einer neuen Ordnung folgt. [153] Erika Fischer-Lichte setzt diese Transformation im Vergleich mit Übergangsritualen, von denen sie den Ablauf veranschaulicht und bei denen in der Regel eine Veränderung des gesellschaftlichen Status stattfindet. Solche Rituale wie zum Beispiel Abschlussfeier, Hochzeiten, Initiationsriten bestehen aus einerTrennungsphase, einer Schwellenerfahrung oder Zustand der Liminalität und schließlich einer Phase der Inkorporation. [154] In Bezug auf die Erfahrung der Zuschauer*innen von BDSM-Tanzaufführungen geschieht erstens die Trennungsphase von stabil-geglaubten Grenzen zwischen den Körpern der Performer*innen, die gefesselt, ausgepeitscht, geschlagen werden oder andere Disziplinierungsformen erleben. Das Publikum wird stetig mit der Herausforderung konfrontiert, diese Handlungen vor seinen Augen geschehen zu lassen und sie als Teil der Performance zu akzeptieren. Spätestens bei Aktionen wie die Suspension, welcher der Höhepunkt des Geschehens ist, befinden sich Zuschauer*innen an der Schwelle . Meines Erachtens lässt sich diese Schwelle, nicht als Ort des Übergangs, sondern als Moment des Paradigma-Wechsels, welches definiert, was als akzeptabel zu repräsentieren gilt und was nicht. Die Inkorporation neuer Vorstellungen in Bezug auf das Dargestellte und Darstellbare geschieht individuell, je nach Disposition und Hintergrund der jeweiligen Zuschauenden. Laut Fischer Lichte lassen sich in Übergangsrituale die verschiedenen Phasen eindeutiger erkennen und nachvollziehen, während es bei ästhetischen Erfahrungen schwerer wird, eine tatsächliche Transformation zu erkennen und festzustellen. [155] Hierbei wird die Untersuchung einzelner Fälle entscheidend, um deren Wirkung und Veränderungspotenzial zu beurteilen. [156] Im Fall von BDSM-Tanzaufführungen liegt dieses Veränderungspotential eben in der Darstellung bestimmter Inhalte; denn anfänglich mögen Gewalt, Ausbeutung und Körperverletzung als erschreckend wirken, doch durch ihre Repräsentationkann sich das Publikum daran gewöhnen und sie im besten Fall in ihrer kontrastvollen Schönheit erkennen. Andererseits versteht sich Transformation als nachhaltig-wirkende Kraft des Performativen auch auf der politischen Ebene, denn durch diese Repräsentationen begünstigen das Entstehen von Gemeinschaften, die über den Aufführungen hinaus weiterhin existieren können. [157] An dieser Stelle werden allerdings nur die wichtigsten Aspekte der Aufführungen geschildert, die meines Erachtens eine politische Wirkung erzielen. Mit politisch werden hier unter anderem das Entstehen von geschützten Räumen und den Abbau von Vorurteilen über die Praktiken durch spielerisches Ausprobieren, gemeint. Zunächst kann die Einbettung von BDSM-Praktiken in einen künstlerischen Kontext die moralische Bewertung des Phänomens womöglich wegfallen lassen, denn es geht stattdessen hauptsächlich darum, es ästhetisch wahrzunehmen. In Bunny, istdas Engagement des Publikums das Entscheidende. Die Zuschauenden werden vertrauensvoll ins Geschehen involviert, sie lassen sich einvernehmlich darauf ein und gestalten die Performance mit. Die Entscheidung sie teilnehmen zu lassen, ist eine Form der performativen Inklusion, die zur Aufhebung der Trennung zwischen Performer*innen und Publikum beiträgt. Von ihnen wird weder konkretes erwartet noch versucht, ihnen bestimmte Knotenmuster beizubringen oder Bewegungen aufzuzwingen. Sie können sich in dem Bühnenraum frei bewegen, mit den Requisiten beliebig interagieren und das Fesseln ausprobieren. Dies verschafft ein entspanntes Setting, in dem jede*r willkommen ist, die eigenen Grenzen auszutesten und die Hemmschwelle zu überwinden. Die kollektive Zusammenarbeit, welche zumindest für die Zeit der Aufführung dauert, fördert Entfaltungsfreiheit, Selbstbestimmtheit und erzeugt ein Gefühl des Zusammenseins. In SomeTies’ Performance geht es um die Aufstellung der Beziehung zwischen den Performer*innen. Sie zeigt mögliche Formen vom zwischenmenschlichen Zusammenkommen und wie Macht-Beziehungen herausgebildet und ausgelebt werden können. Dabei wird die ungleiche Verteilung der Macht verstärkt gezeigt. Trotzdem sind viele liebevolle Momente der gegenseitigen Zuwendung präsent, welche die Zuschauer*innen womöglich dazu bringen, ihre Vorstellungen einer gleichberechtigten Beziehung infrage zu stellen. Dies, weil die Performer*innen Menschen inszenieren, welche bewusst und freiwillig entscheiden, sich auf ungleiche Machtverhältnisse einzulassen; somit zeigen sie BDSM als Spiel, in dem alle gewinnen. [158] Ähnliches geschieht in Lucía in den Improvisationen, die mit der Herstellung von Nähe durch Fesselspiele arbeiten. Auch hier kann das eindringliche Zeigen der tanzenden Körper zusammen mit Dominanz- und Unterwerfungsmotiven, durch Schwellerfahrung und gelungene Inkorporation zur Enttabuisierung, Ende der Pathologisierung und Entdramatisierung der gezeigten Praktiken führen. In der Szene, in der eine Tänzerin wortwörtlich geschlagen wird, wird Sadomasochismus, aufgrund der Kombination mit Tanzelementen, neu konnotiert. Dies begünstigt breitere Akzeptanz in Bezug auf abweichende sexuelle Neigungen, die Schmerz miteinbeziehen und ein bewusstes und urteilsfreies zwischenmenschlichen Miteinander. Nun, mit großer Wahrscheinlichkeit, kann Tanz einen Wandel im kollektiven Umgang mit nicht-normativen sexuellen Präferenzen bewirken, doch darstellende Künste bieten nur selten eine einzige Möglichkeit ihrer Deutung. [159] Deshalb wird die hier gemeinte Transformation durch Transgression eben nur theorisiert. Letztendlich lässt es sich nicht ausschließen, dass die betrachteten Darstellungen oder solche mit ähnlichen Schwerpunkten, andere Reaktionen im Publikum auslösen als die hier dargelegten. Das wurde eben in der Theorie der ästhetischen Ungehorsamkeit als das Risiko transgressiver Bühnenstücke erläutert. Ein zusätzlicher Aspekt des politischen Veränderungspotenzials von BDSM-Tanzdarstellungen, welcher ansatzweise schon angesprochen wurde, ist ihre sexpositive Ausrichtung. Siesind eben Beispiele von sexpositiven Performances. Dies, weil sie die verschiedensten sexuellen Vorlieben und sexualisierten Körper als selbstverständliche Instanzen, Sexualität im allgemeinen als wesentliche Lebensdimension und Sex als positive, nicht schambehaftete Erfahrung zeigen. Aus diesem Grund wird im Folgenden Sexpositivity und ihre Stellung in westlich-geprägten Gesellschaften thematisiert. Außerdem steht im weiterführenden Ausblick die Bemühung, mögliche Perspektive dieses Forschungsfeldes vorzustellen, denn trotz ausführlicher wissenschaftlicher Beiträge, vor allem in den Sozialwissenschaften, konnte im Laufe der Recherche festgestellt werden, dass das Phänomen BDSM und generell die Körperpraktiken der Subkultur des Kink noch Randgebiete gesellschaftlicher Wirklichkeit sind, welche in der Theater- und Tanzwissenschaft kaum thematisiert werden.
5. Sexpositivity im Tanz: das Ende von Kinkund Vanilla.
„Von der Welt und von uns selbst haben wir heute eine Vorstellung, die mit der der vergangenen Generationen kaum zu vergleichen ist. Wir essen, sehen, hören, wohnen, arbeiten, lieben, leiden und sterben heute anders.“ [160]
„Life is a circus“[161]
Im Eingangsbereich des Berliner Kit-Kat Clubs befinden sich zwei Beschriftungen, die ich besonders einprägend finde, weil sie, bewusst oder unbewusst, auf die performativen Aspekte der Subkultur verweisen. Im zweiten Kapitel zur Transgression in kinky Clubs, wurde die erste Beschriftung, welche am Eingang zur Tanzfläche steht, schon erwähnt. Sie beschreibt den Club als ein wundervolles, bizarres Theater.Die hier oben zitierte befindet sich bei der Garderobe und verweist aufs Leben als Zirkus. Meine Auffassung nach ist es kein Zufall, dass die Begriffe Theater und Zirkusin dem Club in leuchtenden Neonlichtern plakativ aufgestellt werden. Der kinky Club ist ein spät-modernes, experimentelles Theater, weil lebendiger Ort der Inszenierung und Bestätigung des Selbst in der Kink-Szene. Musik, Tanz, Charaktere und andere theatralische Elemente, wie wechselnde Beleuchtung, Requisiten aller Art und Kostüme so gut wie immer vorhanden sind. Sexuelle Vorlieben und Fantasien können hier womöglich verwirklicht und vor Publikum – anderen Clubbesucher*innen – gezeigt werden. [162] Doch der kinkyClub ist zugleich Zirkus, weil die Events bzw. play PartysUnterhaltungsveranstaltungen sind, bei denen die verschiedensten sexuellen Praktiken aus- und vorgeführt werden. Clubbesucher*innen lassen sich in einer magischen Atmosphäre unterhalten, denn der Ort bietet eine Vielfalt an Attraktionen, wie beispielsweise künstlerische Bondage Sessions, Rollenspiele, Seilakrobatik und vieles mehr. Menschen, die Zirkus praktizieren, sind daran gebunden, insofern, als es für sie zur Lebensweise wird. [163] Ähnliches passiert bei Kinkster*innen, denn sie sind in der Szene beheimatet und an sie deshalb auch stark gebunden. Selbstverständlich sind diese Vergleiche eine absichtliche und möglicherweise amüsante Zuspitzung der Realität der Kink-Szene und sollen sie keinerlei als lächerlich darstellen. Sie dienen lediglich dazu, die Auffassung der Subkultur des Kink als performativzu verstärken und in Erinnerung zu rufen. Nicht-normative sexuelle Praktiken sind meistens in der urbanen Club-Szene eingebettet – wie das Beispiel des Kit-Kat Clubs zeigt – denn sie bietet einen sicheren Rahmen, in dem verschiedene Vorlieben Zustimmung und Anerkennung finden und letztendlich als selbstverständlich gelten. In diesem Zusammenhang können Einstellungen zur menschlichen Sexualität, die alle einvernehmlichen sexuellen Aktivitäten als grundsätzlich gesund ansehen und zu sexueller Lust und Experimentierfreude ermutigen, als sexpositiv bezeichnet werden. Sexpositivity versteht sich als Bewegung bzw. Grundhaltung der Akzeptanz gegenüber aller Formen von sexuellem Ausdruck und Verhalten unabhängig vom Geschlecht, Orientierung und Herkunft. Aus dieser Perspektive werden sexuelle Diversität zelebriert und generell positiv konnotiert und keine moralischen Unterschiede zwischen sogenannten normativen und nicht-normativen Vorlieben gemacht. Es ist nämlich eine Frage der persönlichen Präferenz, Sex in der einen oder anderen Form zu praktizieren und zu erleben. Die Art der sexuellen Aktivitäten spielt an sich keine Rolle; wichtiger ist nämlich, unter welchen Bedingungen Sex stattfindet. [164] Deshalb bedeutet SexpositivityAufgeschlossenheit, Urteilslosigkeit und Respekt vor der persönlichen sexuellen Autonomie, sofern eine Zustimmung vorliegt. Die Popularität des Phänomens ist in den letzten Jahren nachweislich gestiegen. Dies in- und außerhalb des akademischen Kontexts, in welchem inzwischen verschiedene konzeptuelle Definitionen und zunehmende Diskussionen über die Vor- und Nachteile solcher Lebenseinstellungen vorhanden sind. [165] Im Verständnis von Carol Queen und Lynn Comella, Sexualwissenschaftlerinnen an der Women's Studies Departmentder University of Nevada, ist das Phänomen die Kehrseite der Sexnegativity . Der Begriff wird als negative Haltung gegenüber jeder Art von sexuellem Verhalten, welches der Norm – heterosexuell, binär, monogam, exklusiv, privat, nicht kommerziell, verbindlich, zwecks der Fortpflanzung, ohne Einbezug von körperlichem Schmerz – abweicht, definiert. [166] Auf der einen Seite versteht Sexnegativity abweichende Praktiken als riskantes und problematisches Verhalten, welches eventuell zur sexuellen Devianz und Sexualverbrechen führen könnte. Zugleich wird aus dieser Perspektive das sexuelle Dasein der Menschen mit Gefühlen der Scham, Ekel, Angst, Unverständnis, Unsicherheit und Peinlichkeit verbunden. Dabei stellt Sexualwissenschaftler Sigusch Volkmar in seiner Publikation Neosexualitäten. Über den kulturellen Wandel von Liebe und Perversion fest, dass das Ideal der festen, monogamen, exklusiven Beziehung, die ewig hält und in der sich das gesamte sexuelle Leben der Beteiligten abspielt, mit der Idealisierung des Liebesgefühls einhergeht.[167]Liebe wird in dem Sinne idealisiert, dass ihr Bedeutungen zugeschrieben werden. Sie wird nämlich als Erfüllung, Glück und Zentrum der Subjektivität gesehen. Sie ist immer noch Grundlage der Kernkonstellation der bürgerlichen Gesellschaft: die Familie.[168]Ebendiese Idealisierung führt dazu, dass andere Formen, die eigene Sexualität auszuleben, welche diesem Konstrukt nicht entsprechen, an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Doch dieses Konstrukt stellt Sexualität als etwas Unveränderliches dar. In der Realität unterliegt sie einem ständigen Wandel und wäre deshalb als ein Gefüge zu denken, und nicht als Einheit. [169] In diesem Zusammenhang thematisiert Volkmar Prozesse der Pluralisierung und Liberalisierung, welche im Zuge der Modernisierung westlicher Gesellschaften im Gang gesetzt wurden und in den letzten 20 Jahren zum Paradigma-Wechsel in Bezug auf sexuelle Praktiken geführt haben; und zwar die Entstehung neuer Beziehungsformen, die langsame Auflösung der klassischen Familienkonstellation Mutter-Vater-Kind und die Verschiebung der Grenzen zwischen Normalität und Abweichung. Er spricht von Ausdifferenzierung und Vervielfältigung der Lebensentwürfe und deshalb über die Transformation der Sexualität als Einheit in Neosexualitäten als Pluralität bzw. Mehrheit. [170] An dieser Stelle kann die darstellende Kunst des Tanzes daran anzuknüpfen und die Auseinandersetzung der Kollektivität mit solchen Wandelprozessen anhand ästhetischer, flüchtiger Erscheinungen verstärken. Die in dieser Arbeit beschriebenen und andere sexpositive Performances machen abweichende sexuelle Vorlieben zur theatralischen Inszenierung und können als Formen von ästhetisierten sexuellen Handlungen sinnlich wahrgenommen und in manchen Fällen am eigenen Körper erlebt werden. Als weiterführende Beispiele seien hier die Performances EveryBody´s Fantasy der US-Amerikanerin Künstlerin Jen Rosenblit und Vanilla der Französin Sophie Guisset erwähnt, welche im Jahr 2023 im Rahmen des Festivals Leisure and Pleasure in der Berliner Sophiensaele aufgeführt wurden. In beiden Aufführungen werden Lust, Fantasien, Sex und Sexualität auf verschiedener Weise angesprochen bzw. evoziert. Im ersten Stück beschäftigt sich Rosenblit mit erotischen Fantasien und ihrer Innen- und Außenwahrnehmung. Das zuschauende Publikum kann ins Leben der Performerin eintauchen. Die Performance spricht Formen des Begehrens an, welche nicht an Bedeutungen gebunden sind. Auf diese Weise hebt sie die vermeintliche Hierarchie der Lüste auf und macht deutlich, dass es keine sexuellen Präferenzen gibt, die natürlicher und normalersind als andere. [171] In Vanilla von Guisset ist der Verweis auf abweichende Sexualität eindeutiger. Denn Vanilla gilt als das angebliche Gegenteil von Kink. Das Stück befasst sich mit der Beziehung zwischen Lust, Begehren und Essen, um Normativität in Bezug auf sexuelle Praktiken infrage zu stellen. In der Performance werden Sex und alltägliches Leben durch die inszenierte, sorgfältige Herstellung von Soßen kombiniert. Zugleich werden fiktive Geschichten erzählt und sexuelle Akte durch kulinarischen Metaphern ins Details beschrieben. Das Stück ist eine Einladung, die eigene sexuelle Fantasie zu entdecken, sie mitzuteilen und lustvoll auszuleben. [172] Solche Bühnenstücke verdeutlichen, dass Sexualität aktuell eine Entlastung von normativen Beschränkungen erlebt. Diesbezüglich äußert sich Sozialwissenschaftlerin Elisabeth Wagner, die die Entscheidungsfreiheit rund um die eigene sexuelle Praxis im spätmodernen Zeitalter hinterfragt. Sie stellt nämlich fest, dass sexuelle Praxis immerhin vom sozialen Umfeld – im Fall von abweichenden Vorlieben eben die Kink-Szene – stark geprägt ist. Das bedeutet, dass es sich um bedingte freie Entscheidungen handelt, wenn es um das Ausleben von Fantasien geht. [173] Das zeigt, dass sowohl normativeals auch nicht-normative Vorlieben gewissen Normen und Konventionen unterworfen sind, die in Interaktionen entstehen und den Rahmen für die jeweilige sexuelle Praxis bestimmen. Hiermit sei wieder betont, dass Vanilla und Kink , auch wenn unterschiedlich in ihrer Erscheinungen, strukturell doch ähnlich sind. Das bedeutet, wenn Performancekünstler*innen, Tanzer*innen und Choreograph*innen in ihrer Produktionen an nicht-normative sexuelle Praktiken anknüpfen wollen, um Sex andersdarzustellen, verfügen sie zwar über ein breites Spektrum an Bewegungsmaterial, welches aber auch in gewisser Weise eine Norm darstellt. Das heißt: nicht-normative Vorlieben und Praktiken sind strenggenommen keine Abweichung, sondern sie sind die Norm der Abweichung. Sie weichen von der angeblichen Norm des Sexes ab, doch nicht von Normen und Normalisierungsprozessen im Allgemeinen. Daran lässt sich abschließend festhalten.
An diesem Punkt angekommen, würde ich gern die Perspektiven dieses noch unerforschten Feldes vorstellen. Denn im Laufe des Schreibens sind mehr Fragen aufgetaucht als die, die man beantworten konnte. In der Hoffnung, dass Leser*innen es mir verzeihen werden, wenn ich sie mit Fragen hinterlasse, anstatt Antworten zu liefern. Möglicherweise kann dies das Interesse anregen, sich zukünftig mit diesen Lücken der Forschung zu befassen. In dieser Arbeit wurden beispielsweise viele andere abweichende sexuelle Vorlieben innerhalb der Subkultur des Kink beschrieben, doch es konnten so weit nur BDSM-Praktiken anhand ausgesuchter Tanzaufführungen vertieft werden. Was ist mit Fetischismus, Voyeurismus, Exhibitionismus, Gruppensex und Swinger-Aktivitäten? Finden sie auch Erscheinungsformen im Tanz? Ist eine tanzwissenschaftliche Betrachtung der gesamten Subkultur des Kink mithilfe von mehr Beispielen, als die hier präsentierten, möglich? Wie würde die Ästhetik des Kink aussehen?
Eine weitere Möglichkeit dieser Forschung wäre die Überbrückung zwischen Theorie und Praxis. Welche Ergebnisse könnten aus der Zusammenarbeit und Vernetzung zwischen Menschen, die aktiv die Szene erleben und Künstler*innen, welche in ihren Arbeiten die Szene abbilden wollen, resultieren? Inwiefern könnte die Ästhetik des Kink die Parameter für die Konzeption von Tanzperformances beeinflussen? Wie würden angesichts dieser Ästhetik die Darstellungen von abweichenden sexuellen Praktiken aussehen? Können ebendiese Darstellungen Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit zum Thema Sexpositivity nachhaltig betreiben? Inwiefern könnten dann sexuelle Praktiken im realen Leben von der Ausweitung gesellschaftlicher Normalitätsvorstellungen profitieren? Wäre das das Ende von Kinkund Vanilla?
Trotz all dieser Fragen besteht der Vorteil einer jungen Wissenschaft, wie die des Tanzes, eben in der noch offenen Möglichkeiten ihrer Entwicklung und der damit verbundenen Chance, neue Ansätze zu finden und zu erfassen, die das Potenzial haben, die Ausdruckskraft dieser Kunst weiterhin zu erweitern und zu bereichern. Gerade die Subkultur des Kink, in ihrer stark ausgeprägten Performativität, repräsentiert meines Erachtens einen interessanten Anfangspunkt für innovative tanzwissenschaftliche Forschung.
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https://www.oed.com/dictionary/kinkster_n?tl=true&tab=factsheet (Stand: 22.07.2023).
Abbildungsverzeichnis.
Abbildung 1Futomomo: https://www.fullcirclekink.com/library/spiral-futomomo/index.html . (Stand: 25.11.2023).
[1] Miesen: A View of Sadomasochism, S. 7.
[2] Marsel: Schmerz. Macht. Lust, S. 7.
[3] Siehe https://kitkatclub.org/Home/Club/Index.html .
[4] Siehe Ebd.
[5] Siehe Passing/ Strübel: Die Wahl der Qual,S. 266.
[6] Laut dem dict.cc bedeutet Kink ungewöhnliche sexuelle Vorliebe oder kleine Perversion. Siehe Definition auf: https://www.dict.cc/?s=kink .
[7] Siehe Fischer-Lichte:Ästhetik des Performativen, S. 32.
[8] Siehe Bauer: „Transgressive and Transformative“, S. 233.
[9] Form theatralischer Darstellung, in der sexuelle Handlungen im Mittelpunkt stehen. Siehe Schiel: Sex als Performance, S. 158 .
[10] Siehe Ebd., S. 212.
[11] Siehe Oettl: Existentielle Grenzerfahrungen ,S. 9.
[12] Siehe Tomassilli, u.a: „Behind Closed Doors”, S. 438.
[13] Siehe Marsel: Schmerz. Macht. Lust, S. 7. Im Folgenden wird diese Abkürzung verwendet.
[14] Siehe Airaksinen: „A Philosophical and Rhetorical Theory of BDSM”, S. 65.
[15] Vorbehaltlose Akzeptanz der eigenen sexuellen Orientierung, Wünsche und Vorlieben sowie derer anderer Menschen. Siehe Duden: https://www.duden.de/rechtschreibung/Sexpositivity .
[16] Thompson, Bill: Sadomasochism, S. 14.
[17] Brame: Different Loving, S. 63.
[18] Siehe: https://www.dict.cc/?s=kink .
[19] Siehe Schiel: Sex als Performance, S. 205.
[20] Laut dem dict.cc bedeutet Vanilla etwas Gewöhnliches oder Konventionelles. Siehe Definition auf: https://www.dict.cc/?s=vanilla .
[21] Siehe: Schiel: „Talking Bodies“, S. 179.
[22] SieheTomassilli, u.a: „Behind Closed Doors, S. 438.
[23] Siehe Deremetz: Die BDSM-Szene, S. 38.
[24] Siehe Sandnabba/ Santtila/ Nordling: „Sexual Behavior and Social Adaptation”, S. 273.
[25] SieheTomassilli, u.a.: „Behind Closed Doors”, S. 441.
[26] Siehe Rehor: „Sensual, Erotic, and Sexual Behaviours”, S. 828.
[27] Siehe Deremetz: Die BDSM-Szene, S. 54.
[28] Siehe Marsel: Schmerz, Lust, Macht, S. 11.
[29] Siehe Klein: „Das Theater des Körpers“, S. 75 f.
[30] Siehe Hoffarth: Profane Praktiken, S. 98 .
[31] Siehe Grimme: Das Bondage-Handbuch, S. 8.
[32] Siehe Ebd., S. 129f.
[33] Siehe Ebd., S.19ff.
[34] Siehe Deremetz: Die BDSM-Szene, S. 90.
[35] Siehe Ebd., S. 91.
[36] Siehe Rehor: „Sensual, Erotic, and Sexual Behaviours”, S. 830.
[37] Siehe Weinberg/ Williams/ Moser: The Social Constituents of Sadomasochism,S. 379.
[38] Siehe Thompson: Sadomasochism, S. 17.
[39] Siehe Spengler: Sadomasochisten und ihre Subkulturen, S. 8.
[40] Abkürzung für Sadomasochist*innen. Siehe Passing/ Strübel: Die Wahl der Qual, S. 20.
[41] Siehe Rehor: „Sensual, Erotic, and Sexual Behaviours”, S. 829.
[42] Siehe Marsel: Schmerz, Lust, Macht, S. 10f.
[43] Siehe Schiel: Sex als Performance, S. 21.
[44] Siehe Steele: Fetisch. Mode, Sex und Macht, S. 11.
[45] Siehe Ebd.
[46] Siehe Ebd., S. 12.
[47] Siehe Ebd.
[48] Siehe Ebd., S. 26.
[49] Siehe Schiel: Sex als Performance, S. 200.
[50] Siehe Ebd., S.197.
[51] Siehe Ebd., S. 204.
[52] Siehe: https://www.wortbedeutung.info/Voyeurismus/.
[53] Siehe Czirak: Partizipation der Blicke, S. 198.
[54] Siehe: https://www.wortbedeutung.info/Voyeurismus/.
[55] Siehe Czirak: Partizipation der Blicke, S. 241.
[56] Vgl. Ebd., S. 239f.
[57] Siehe Ebd., S. 198.
[58] Siehe Ebd., S. 267.
[59] SieheRoten: „Ein Betrag zur Psychoanalyse des Exhibitionismus, S. 305ff.
[60] Siehe Czirak: Partizipation der Blicke, S. 270.
[61] Siehe Fang: „Swinging: In Retrospect”, S. 220f.
[62] Siehe Ebd., S. 227.
[63] Siehe: O’Neill „Patterns in Group Sexual Activities“, S. 103.
[64] Ebd., S. 106.
[65] Auf diese Weise werden Menschen in der Kink-Szene genannt. Siehe Definition auf: https://www.oed.com/dictionary/kinkster_n?tl=true&tab=factsheet.
[66] Eingangsbeschriftung des Berliner Kit-Kat Clubs.
[67] Siehe Haywood, Chris: Sex Clubs, S. 2.
[68] Siehe Passing/ Strübel: Die Wahl der Qual, S. 265.
[69] Siehe Bauer: „Transgressive and Transformative“, S. 233.
[70] Fischer-Lichte:Ästhetik des Performativen, S. 351.
[71] Siehe Ebd.
[72] Siehe Haywood: Sex Clubs, S. 78.
[73] Siehe Ebd., S. 7.
[74] Siehe Schiel: Sex als Performance, 209f.
[75] Siehe Ebd., S. 31f.
[76] Siehe Schiel: „The Subversive Potential of Sex Performances”, S. 175.
[77] Siehe Ebd.
[78] Siehe Oettl: Existentielle Grenzerfahrungen, S. 38ff.
[79] Siehe Fischer-Lichte: „Die verwandelnde Kraft der Aufführung“, S. 11ff.
[80] Siehe Ebd., S. 15.
[81] Siehe Fischer-Lichte:Ästhetik des Performativen, S. 352.
[82] Siehe https://anatomiestudio.com/2022/09/21/talking-shibari-a-guide-to-rope-related-vocabulary/.
[83] https://www.lukegeorge.net/works/bunny.
[84] Siehe: https://www.tpam.or.jp/2021/en/ .
[85] Siehe: https://www.lukegeorge.net/about .
[86] Siehe: https://sifa.sg/spotlight-on/spotlight-details/daniel-kok .
[87] Siehe: https://www.lukegeorge.net/works/bunny .
[88] Siehe Hiß: Der theatralische Blick, S. 151f.
[89] In der Abbildung ist ein Beispiel für ein Futomomo. Auf Japanisch bedeutet das Wort 太もも Oberschenkel. Siehe: https://www.fullcirclekink.com/library/spiral-futomomo/index.html.
[90] Siehe Grimme: Das Bondage Handbuch, S. 42.
[91] Siehe: http://felixruckert.de/2022/09/21/eurix-guidelines-for-rope-bondage-presenters/ .
[92] Siehe Barks: Archaeology of Personalities, S. 31f.
[93] Siehe Simon/ Gagnon: „Sexual Scripts”, S. 106.
[94] Siehe Oettl: Existentielle Grenzerfahrungen, S. 15ff.
[95] Ebd.
[96] Siehe: Barkas, Georg: Archaeology of Personalities, S. 29ff.
[97] http://felixruckert.de/2022/09/21/eurix-guidelines-for-rope-bondage-presenters/ .
[98] http://felixruckert.de/2021/09/29/interrview-in-ropes-2021/.
[99] Siehe:http://felixruckert.de/2020/05/30/ein-zentrum-fur-eine-neue-sexuelle-kultur-schaffen/ .
[100] Siehe Ebd.
[101] Siehe: https://www.iksk-berlin.de/people .
[102] Siehe: https://www.lukegeorge.net/works/bunny .
[103] Siehe Kaeppler: „Dance Ethnology and the Anthropologie of Dance”, S. 117.
[104] http://felixruckert.de/2014/06/20/felix-ruckert-sm-und-liebe-eine-frohe-botschaft/ .
[105] Siehe Brame/William/ Jacobs: Different Loving, S. 81.
[106] Barks: Archaeology of Personalities, S. 25.
[107] Siehe Brame/William/ Jacobs: Different Loving, S. 81.
[108] Siehe Airaksinen: „A Philosophical and Rhetorical Theory of BDSM”, S. 58.
[109] Siehe Wagner: Grenzbewusster Sadomasochismus, S. 121.
[110] Demuth: Fleisch, S. 24.
[111] Scarry: Der Körper im Schmerz, S. 11.
[112] Siehe Demuth: Fleisch.S. 74.
[113] Siehe: https://cialadama.com/lucia/.
[114] Siehe: https://cialadama.com/marea-negra/ .
[115] Siehe: https://cialadama.com/.
[116] Siehe: https://www.espailobrador.com/en/creation-space/ .
[117] Siehe: Cia. La Dama: „Cia La Dama & No Shibari - L'Obrador”, Aufnahme 2022, (Choreographie) Verònica Hernández Royo, (Videoaufnahme) Christopher Picón, (Produktion und Dramaturgie) Cia. La Dama und Alberto Moral, (Tanz) Marta Gómez, Sheila Guerrero, Nerva Sánchez, Valeria Aghenie, Verònica Hernández Royo.
[118] Siehe Ebd.
[119] Siehe Newmahr: Playing on the Edge, S. 134.
[120] Siehe Demuth: Fleisch.S. 75.
[121] Siehe Spengler: Sadomasochisten und ihre Subkulturen, S. 16.
[122] Siehe Wagner: Grenzbewusster Sadomasochismus, S. 122.
[123] Siehe Newmahr: Playing on the Edge, S. 8.
[124] Miesen: A View of Sadomasochism, S. 10.
[125] Newmahr: Playing on the Edge, S. 178f.
[126] Siehe Ebd., S. 194.
[127] Siehe Ruckert in Bondage for Beginners, Institut für Körperforschung und sexuelle Kultur (IKSK) am 25.07.23.
[128] Siehe Beschreibung von anonymer Teilnehmer*in des Kurses Bondage for Beginners , Institut für Körperforschung und sexuelle Kultur (IKSK) am 25.07.23.
[129] Beschreibung aus eigener Erfahrung und der einer anonymen Besucherin des Kit-Kat Clubs am 21.06.23.
[130] Ebd.
[131] Siehe Beschreibung der Praxis von anonymen Besucher*innen des Kit-Kat Clubs, am 08.07.23.
[132] Siehe Ebd., am 21.06.23.
[133] Siehe Beschreibung der Praxis von Besucher*innen des Kit-Kat Clubs, am 08.07.23.
[134] Beschreibung aus eigener Erfahrung und der von anonymen Besucher*innen des Kit-Kat Clubs, am 08.07.23.
[135] Siehe Interviews mit anonymen Besucher*innen des Kit-Kat Clubs, am 08.07.23.
[136] Siehe Wagner: Grenzbewusster Sadomasochismus, S. 13.
[137] Vgl. Ebd., S. 188f.
[138] Siehe Dunkley/ Brotto: „The Role of Consent in the Context of BDSM“, S. 2.
[139] Siehe Ebd., S. 4.
[140] Siehe Marsel: Schmerz, Lust, Macht, S. 27ff.
[141] Siehe Wagner: Grenzbewusster Sadomasochismus, S. 29.
[142] Siehe Hopkins: „Rethinking Sadomasochism”, S. 123f.
[143] http://felixruckert.de/2014/06/20/felix-ruckert-sm-und-liebe-eine-frohe-botschaft/ .
[144] Ebd.
[145] Siehe Oettl: Existentielle Grenzerfahrungen, S. 17.
[146] Siehe Bauer: „Transgressive and Transformative“, S. 236.
[147] Siehe Oettl: Existentielle Grenzerfahrungen, S.38ff.
[148] Siehe Ebd., S. 10ff.
[149] Siehe Ebd., S. 346ff.
[150] Siehe Thomas-Krouse: „Dancing to Transgress”, S. 27.
[151] Siehe Neufeld: „Aesthetic Disobedience”, S. 118.
[152] Siehe Fischer-Lichte:Ästhetik des Performativen, S. 309.
[153] Siehe Ebd.
[154] Siehe Ebd., S. 305.
[155] Siehe Ebd., S. 307.
[156] Siehe Ebd., S. 313.
[157] Siehe Ebd., S. 344.
[158] Siehe: http://felixruckert.de/2014/06/20/felix-ruckert-sm-und-liebe-eine-frohe-botschaft/ .
[159] Siehe Oettl: Existentielle Grenzerfahrungen, S. 25.
[160] Sigusch: Neosexualitäten, S. 27.
[161] Eingangsbeschriftung des Berliner Kit-Kat Clubs.
[162] Siehe: https://www.duden.de/rechtschreibung/Theater .
[163] Siehe: https://www.duden.de/rechtschreibung/Zirkus .
[164] Siehe:https://allenagabosch.wordpress.com/2014/12/08/a-sex-positive-renaissance/.
[165] Siehe Ivanski/ Kohut: „Exploring Definitions of Sex Positivity”, S. 217.
[166] Siehe Ebd.
[167] Siehe Sigusch: Neosexualitäten, S. 112.
[168] Siehe Ebd.
[169] Siehe Ebd., S. 27.
[170] Siehe Ebd., S. 101.
[171] Siehe: https://sophiensaele.com/de/archiv/stueck/jen-rosenblit-everybodys-fantasy.
[172] Siehe:https://sophiensaele.com/de/kuenstler/sophie-guisset/sophie-guisset-vanilla.
[173] Siehe Wagner: Grenzbewusster Sadomasochismus, S. 29.