Die Verbrechen des Zweiten Weltkrieges sind in den letzten Jahrzehnten durch die Literatur wieder in Erinnerung gebracht und thematisiert worden. Erste Stimmen hatten sich bereits während der Kriegsgeschehen aus dem Exil gemeldet, und unmittelbar nach dem Krieg fanden sich in Deutschland kritische junge Autoren zusammen unter dem Wahlspruch „Nie wieder Krieg“! Es wurde dringend, der Nachkriegsgesellschaft der 50er Jahre, die sich im Konsumrausch des „Wirtschaftswunders“ betäubte, die Augen zu öffnen; Der Holocaust sollte nicht in Vergessenheit geraten. – Diese Werke waren in nüchternem, sozialkritisch-realistisch geprägtem Stil gehalten, oder auch pädagogisch-agitatorisch, wie z.B. bei Brecht. „Keine Gedichte nach Auschwitz“ war die von Adorno proklamierte These, bis dann Paul Celan einige Jahre später beweisen konnte, dass auch die Lyrik die Leiden des Exils und der Tortur zum Ausdruck bringen konnte.
In neuerer Zeit hat sich das Prosastück Austerlitz von W. G. Sebald (1944-2001) in der Literaturwelt bemerkbar gemacht. Dieses Werk, herausgegeben 2001, ist teilweise auf Zeugenaussagen realer Personen aufgebaut, die er als Fiktion bearbeitet hat, wie Sebald in einem Spiegel-Interview kurz vor seinem Tod erklärt hat (Spiegel, 2001). Austerlitz handelt von einem jüdischen Kind, das von seinen Eltern mit dem Kindertransport nach England geschickt wurde, um das Naziregime zu überleben. An einem Bahnhof verlieren sich alle Spuren. Wir folgen Jaques Austerlitz auf seinen „Erinnerungsspuren“, die sein Freund, der Autor, in einer verschlüsselten Weise darstellt, die nicht wie die konventionelle Geschichtsschreibung auf einer Anreihung von Fakten und Zahlen, sondern auf einer psychologisch-philosophischen Metaphorik aufbaut, die uns eine neue Sichtweise auf die Geschichte vermitteln soll, damit wir das Verdrängte in unserem kollektiven Erinnern erschließen und für eine hoffentlich bessere Zukunft nutzbar machen können. Wir wollen diesen Erinnerungsspuren Austerlitz‘ folgen und in Sebalds Montage von Text und bildlichen Darstellungen „herumwühlen“, im besonderen Hinblick auf den Gebrauch der Metaphorik, um, auch mit einem Blick auf die Erzählweise, ein Gesamtbild zu „basteln“. Schließlich wollen wir die Anliegen des Autors hinterfragen: was ist sein Weltbild, welche Botschaft will er vermitteln?
- Quote paper
- Ilona Gruber Drivdal (Author), 2021, Orte der Erinnerung. Psychoanalytische und systemkritische Ansätze zu W. G. Sebalds "Austerlitz", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1455329
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.