Die Arbeit bietet einen Überblick über die institutionellen Veränderungen innerhalb der Europäischen Union nach dem In-Kraft-treten des Vertrages von Lissabon. Neben der Darstellung der Kompetenzerweiterungen des Europäischen Parlaments wird der Frage nachgegangen, inwiefern die Handlungsfähigkeit der EU durch die Regelungen des Reformvertrages gesteigert werden konnte. Im Anschluss werden Vorschläge zum weiteren Abbau des institutionellen Demokratiedefizits erarbeitet.
Inhaltsverzeichnis
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
I. DIE AUSWIRKUNG DES VERTRAGES VON LISSABON AUF DIE STRUKTUR DER EU
II. DIE ROLLE DER RÄTE
III. DIE KOMPETENZERWEITERUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS
IV. INSTITUTIONELLE NEUERUNGEN: EIN MEHR AN HANDLUNGSFÄHIGKEIT
V. INSTITUTIONELLES DEMOKRATIEDEFIZIT
LITERATURVERZEICHNIS
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
I. Die Auswirkungen des Vertrages von Lissabon auf die Struktur der EU
Der für die Struktur geläufige Vergleich des „Tempel-“ oder „Drei-Säulen-Modells“ leitet sich aus den Bestimmungen des in Maastricht geschlossenen Vertrages über die Gründung einer Europäischen Union ab, wobei die Verteilung der Politikbereiche auf die einzelnen Säulen Änderungen vor allem durch den Vertrag von Amsterdam erfuhr, die sich ebenfalls in dem bis Ende November 2009 gültigen Vertrag von Nizza widerspiegelten. Den ersten Pfeiler der Europäischen Union nach dem Vertrag von Nizza bilden die Euro- päischen Gemeinschaften (EG und EAG), die ihrerseits durch starke supranationale Züge gekennzeichnet sind. Im Gegensatz dazu sind der zweite Pfeiler der Gemeinsamen Au- ßen- und Sicherheitspolitik (GASP, Titel V Art. 11-28 EUV) und der dritte Pfeiler der polizei- lichen und justitiellen Zusammenarbeit in Strafsachen (Titel VI Art. 29-42 EUV) durch in- tergouvernementale Zusammenarbeit geprägt. Getragen durch die politischen Systeme der Mitgliedsstaaten bilden der einheitliche institutionelle Rahmen (Art. 3 EUV) und die gemeinsamen Bestimmungen (Art. 1-7 EUV) und Schlussbestimmungen (Titel VIII Art. 46- 53 EUV) des EUV das Dach des Tempels der EU. (Vgl. Pollak/Slominski 2006:69f)
Die wesentlichste Änderung vollzog sich nach In-Kraft-Treten des Vertrages von Amsterdam durch die Überführung von Teilen der dritten in die erste Säule1. Dabei handelte es sich um die justitielle Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschreitenden Bezügen sowie das Asyl- und Einwanderungsrecht2.
Der am 01.12.2009 in Kraft getretene Vertrag von Lissabon ist in einer Art konzipiert, welche die bisherige „Drei-Säulen-“ in eine „Zwei-Säulen-Struktur“3überführt. Neben der Schaffung einer einheitlichen Rechtspersönlichkeit der Europäischen Union4 stützt sich die politische und institutionelle Architektur auf den Vertrag über die Europäische Union (EUV) und den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Die Politikbereiche, die noch im Rahmen der Änderungen des Amsterdamer Vertrages in der dritten Säule verblieben, werden nun restlos „vergemeinschaftet“, bleiben jedoch „(...) besonderen Verfahren unterworfen“ (Weidenfels/Wessels 2009:193). Ebenso bleiben die primär zwischenstaatlich ausgerichteten Grundsätze und Verfahren der GASP, die weiterhin die zweite Säule bildet, bestehen. (Vgl. Lambach/Schieble 2008:141).
II. Die Rolle der Räte
Der Europäische Rat als Führungsgremium europäischer Politikgestaltung setzt sich nach Art. 4 EUV aus den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten der EU und dem Kommissionspräsidenten zusammen. Unterstützt werden sie durch die Außen- minister der Mitgliedsstaaten und von einem Kommissionsmitglied. Er ist im rechtlichen Sinne kein Organ der EG. Der Europäische Rat gibt der EU „die für ihre Entwicklung erfor- derlichen Impulse und legt die allgemeinen politischen Zielvorstellungen für diese Entwick- lung fest“ (Art. 4 EUV). Der Vorsitz wechselt unter den Staats- und Regierungschefs in An- lehnung an die EU-Ratspräsidentschaft im Halbjahresturnus, wobei nach Art. 4 EUV min- destens zwei Treffen pro Jahr vorgesehen sind (Vgl. Pollak/Slominski 2006:80). Der Euro- päische Rat ist zuständig für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die poli- zeiliche und justitielle Zusammenarbeit. (Vgl. Pollak/Slominski 2006:72ff, Weidenfels/Wes- sels 2009:206, Holtmann 2006:96)5.
Der Rat repräsentiert die Vertretung der Mitgliedstaaten in der Europäischen Union und setzt sich aus je einem Vertreter jedes Mitgliedstaates auf Ministerebene zusammen, der befugt ist, für die Regierung des Mitgliedstaates verbindlich zu handeln (Art. 203 EGV)6. Es sind neun verschiedene Formationen des Rates definiert, die sich ihrerseits aus den entsprechenden Fachvertretern der Mitgliedsstaaten zusammensetzen7. Im Rat sind wesentlich die gesetzgebende Gewalt8 und weitere wichtige Regierungs- und Verwal- tungsbefugnisse vereinigt. Er kann Durchführungsbefugnisse von Vorschriften selbst wahrnehmen oder der Kommission übertragen und stimmt die Wirtschaftspolitik der Mit- gliedsstaaten ab (Vgl. Art. 204 EGV und Weidenfels/Wessels 2009:307). Dem Rat kommt gemeinsam mit dem Europäischen Parlament die Aufgabe der Haushaltsverabschiedung zu9. Unterstützt wird der Rat vom Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedsstaaten (Art. 207 (1) EGV)10und dem Generalsekretariat (Art. 207 (2) EGV). Die Arbeit im Rat wird im großen Maße von der jeweiligen Präsidentschaft beeinflusst (Weidenfels/Wessels 2009:310)11. Die Beschlussfassung erfolgt in Abhängigkeit von Vertragsgrundlage, Politikbereich und Entscheidungsverfahren12 aufgrund unterschiedlicher Mehrheiten (Weidenfels/Wessels 2009:311)13.
Dem Europarat als eigenständige supranationale Organisation gehören 47 Länder an und er wurde als erste der großen Nachkriegsorganisationen am 05.05.1949 gegrün- det. Er hat die Aufgabe, einen engeren Zusammenschluss unter seinen Mitgliedern zu verwirklichen, um die Ideale und Grundsätze, die ihr gemeinsames Erbe sind, zu schützen und zu fördern und um ihren wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu begünstigen (Art. 1 der Satzung des Europarats). Seit seiner Gründung hat er sich nachhaltig für die Förderung der Menschenrechte, pluralistischer Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit eingesetzt sowie Leitlinien für ein demokratisches Europa geschaffen14. Der Europarat hat derzeit über 190 Konventionen verabschiedet15. Besonderer Bedeutung kommt der Euro- päischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vom 04.11.1950 zu16. Der EGMR hat durch seine Rechtsprechung eine Art gemeineuropäischen Grundrechtstandard geformt und durch die Einbeziehung der ehemaligen Ostblockstaaten wurde die EMRK zu einem ge- samteuropäischen Grundrechtssystem (Vgl. Streinz 2008:30). Auf supranationaler Ebene haben Europarat und EU ihren Willen bekundet, in den Kernbereichen des Europarats noch enger zusammenzuarbeiten und sich gegenseitig zu konsultieren sowie Kohärenz und Synergie zu fördern17.
III. Die Kompetenzerweiterung des Europäischen Parlaments
Die Ursprünge des Europäischen Parlaments (EP) reichen zurück auf die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) und liegen in der Gemeinsa- men Versammlung, einem beratenden Gremium, das aus 78 Mitgliedern bestand, die wie- derum von den nationalen Parlamenten entsandt wurden18. Mit Unterzeichnung der Römi- schen Verträge wurde die Grundlage für die Ausweitung der beratenden Aufgaben auf die neu gegründete Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die Europäische Atomgemein- schaft geschaffen19. In Zusammenarbeit mit dem Rat fungierte die Versammlung als Haushaltsbehörde der drei Gemeinschaften. Neben Kontroll- und Informationsrechten ge- genüber dem Rat und der Kommission besaß sie das Recht, der Kommission das Miss- trauen auszusprechen (Vgl. Weidenfels/Wessels 2009:217). Mit der Unterzeichnung des Vertrages von Luxemburg am 22.04.1970 wird die Einführung von Eigenmitteln festge- schrieben und dem EP erstmals gesetzgeberische Befugnisse im Rahmen der Haushalts- gesetzgebung zugeschrieben20. Seitdem obliegt dem EP gemeinsam mit dem Rat die Verabschiedung des Gesamthaushaltes am Ende des Haushaltsverfahrens. Der entschei- dende Schritt zur demokratischen Legitimation des EP wurde mit der Durchführung der ersten Direktwahlen der Parlamentarier vom 07.-10.06.1979 vollzogen21.
Das Hinwirken des EP auf eine Ausweitung seiner Kompetenzen spiegelte sich in den vorgesehenen institutionellen Änderungen im Rahmen der Einheitlichen Europäischen Akte, die am 01.07.1987 in Kraft trat, wieder. So erhielt es über das Verfahren der Zu- sammenarbeit22 in einigen Bereichen legislative Kompetenzen23. Das EP konnte Ände- rungsvorschläge zu Gesetzesentwürfen einbringen und die Möglichkeit einer zweifachen Lesung von Rechtsakten nutzen24. Die letzte Entscheidung zur Verabschiedung neuer Gesetze lag weiterhin beim Rat. Im Bereich der Außenpolitik wurden die Rechte des EP durch die Einführung eines Zustimmungsrechtes zu Beitritts- und Assoziierungsverträgen ausgeweitet (Zustimmungsverfahren nach Art. 49 EUV).
[...]
1Hakenberg (Hakenberg 2007:13) schreibt vor dem Hintergrund der Schaffung des „Drei-Säulen-Modells“ von einer Übergangsstufe, dessen Ziel von vornherein die eigene Abschaffung durch das schrittweise Transferieren von Inhalten in die erste Säule war.
2Aufgrund der gebotenen Kürze sei hier auf die Ausführungen von Hakenberg 2007 und Weidenfels/Wessels 2009 verwiesen.
3Die vertragliche Grundlage der GASP ist im EUV, die der übrigen Politikfelder im AEUV enthalten (Weidenfels/Wessels 2009:192)
4Die Europäische Union tritt die Rechtsnachfolge der Europäischen Gemeinschaft an.
5Bei ersterer bestimmt er die „Grundsätze und allgemeinen Leitlinien, und zwar auch mit verteidigungspolitischen Bezügen, (und) beschließt gemeinsame Strategien“ (Art. 13 EUV), wobei ihm bei zweiterer keine explizite Rolle zugewiesen wurde (Vgl. Pollak/Slominski 2006:72ff, Weidenfels/Wessels 2009:206, Holtmann 2006:96)
6Gemäß des deutschen Verfassungsrechts können das Bundesminister, parlamentarische und beamtete Staatssekretäre aber auch bevollmächtigte Landesminister sein (Holtmann 2006:91).
7Eine Übersicht der verschieden Ratsformationen ist auf der folgenden Internetseite zu finden: http://europa.eu/institutions/inst/council/index_de.htm (22.11.2009)
8Die Rechtssetzungsbefugnis bezieht sich auf die Europäischen Gemeinschaften und die Europäische Union, wobei er in der ersten Säule in der Regel auf die Mitwirkung des EP angewiesen ist. In der zweiten und dritten Säule obliegt ihm die volle Entscheidungsbefugnis (Vgl. Pollak/Slominski 2006:75).
9Auf den Internetseiten der Europäischen Union werden dem Rat sechs zentrale Aufgaben zugeschrieben. Dazu zählen das Abschlie- ßen internationaler Übereinkünfte, die Entwicklung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik auf der Grundlage der vom Rat festgelegten allgemeinen Leitlinien sowie die Koordinierung der Zusammenarbeit der nationalen Gerichte und Polizeikräfte in Strafsa- chen (Siehe http://europa.eu/institutions/inst/council/index_de.htm (22.11.2009).
10 Die kaum überschätzbare europapolitische Bedeutung (Holtmann 2006:95) erschließt sich während der Lektüre von Holtmann 2006:94f und Weidenfels/Wessels 2009:309.
11Der Vorsitz im Rat wird von den Mitgliedsstaaten nacheinander für je sechs Monate wahrgenommen (Art 203 (2) EGV)
12Eine Übersicht bietet Weidenfels/Wessels 2009:121f.
13Gewöhnlich werden Entscheidungen im Rat einstimmig oder mit qualifizierter Mehrheit getroffen, wobei gerade die drei Bedingungen der qualifizierten Mehrheitsentscheidungen (Vgl. Art. 205 EGV) unter Kritik vor dem Hintergrund von Transparenz und Effizienz stehen (Siehe Weidenfels/Wessels 2009:122) und als „fragwürdig und überkompliziert“ (Holtmann 2006:94) gelten.
14Vgl. http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Aussenpolitik/InternatOrgane/Europarat/Uebersicht.html (22.11.2009)
15Einen Überblick bietet http://conventions.coe.int/Treaty/Commun/ListeTraites.asp?CM=8&CL=GER (22.11.2009)
16Für detaillierte Informationen zur Konvention und deren Umsetzung siehe: http://www.coe.int/t/dghl/ (22.11.2009)
17Vgl. http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Aussenpolitik/InternatOrgane/Europarat/Uebersicht.html (22.11.2009)
18Neben der reinen Konsultationsfunktion hatte die Gemeinsame Versammlung die Möglichkeit die Hohe Behörde durch ein Misstrau- ensvotum des Amtes zu entheben (Vgl. www.cep.eu/analysen-zur-eu-politik/sonstige-themen/europawahl2009/die-geschichte-des- europaeischen-parlaments/ (27.11.2009).
19Den Namen Europäisches Parlament gab sich die Versammlung im Jahr 1958 auf eigene Initiative. Eine offizielle Bestätigung der Begriffswahl erfolgt 1987 im Zuge des In-Kraft-Tretens der Einheitlichen Europäischen Akte (Vgl. Weidenfels/Wessels 2009:217).
20Die Beteiligung an der Entscheidung über die Verwendung von Agrarausgaben (obligatorische Ausgaben), die seinerzeit 90% des Budgets darstellten, blieb dem Parlament jedoch verwehrt (Vgl. http://www.cep.eu/analysen-zur-eu-politik/sonstige-themen/ europawahl2009/die-geschichte-des-europaeischen-parlaments/ 27.11.2009)
21Der Weg für die Wahlen wurde bereits auf dem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs in Paris, das vom 09.-10.12.1974 abgehalten wurde, freigemacht (Weidenfels/Wessels 2009:471).
22Das Verfahren fand in den Bereichen Anwendung, in denen der Rat mit qualifizierter Mehrheit beschließt (mit Ausnahme des Umwelt- bereichs) (Vgl. http://europa.eu/legislation_summaries/institutional_affairs/treaties/treaties_singleact_de.htm (27.11.2009))
23Vgl. http://www.cep.eu/analysen-zur-eu-politik/sonstige-themen/europawahl2009/die-geschichte-des-europaeischen-parlaments/ (27.11.2009)
24Vgl. http://europa.eu/legislation_summaries/institutional_affairs/treaties/treaties_singleact_de.htm (27.11.2009)
- Arbeit zitieren
- Sven Czekalla (Autor:in), 2009, Struktur und Institution der Europäischen Union, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/145363
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