Die Frage nach der Natur des Geistes und dem Wesen des Menschen ist eine der fundamentalsten und faszinierendsten Fragen der Philosophie. Sie berührt die Essenz unseres Selbstverständnisses und beeinflusst maßgeblich unsere Vorstellungen von Würde, Freiheit, Bewusstsein und Vernunft. In dieser Arbeit steht der Panpsychismus im Mittelpunkt, eine philosophische Position, die in den letzten Jahren verstärkt an Bedeutung gewonnen hat.
Der Panpsychismus stellt eine alternative Perspektive innerhalb der Philosophie des Geistes dar. Er postuliert, dass Bewusstsein ein inhärentes Merkmal aller Materie ist, vom einfachsten Atom bis zum komplexen menschlichen Gehirn. Diese Vorstellung wirft wichtige Fragen auf: Wie kann Bewusstsein in der Welt verankert sein? Welche Konsequenzen hat diese Annahme für unser Verständnis des menschlichen Selbst und unserer geistigen Fähigkeiten?
Um diesen Fragen nachzugehen, ist es entscheidend, zunächst das Konzept des Panpsychismus klar zu definieren und von anderen philosophischen Positionen abzugrenzen. Anschließend werden in dieser Arbeit drei zentrale Themenkomplexe behandelt: Bewusstsein und Selbstbewusstsein, Person und Würde sowie Vernunft und Freiheit. Jeder dieser Komplexe wird zunächst ausführlich erläutert und phänomenologisch betrachtet, um dann die spezifisch panpsychistische Perspektive darauf zu untersuchen.
Die vorliegende Arbeit hat das Ziel, die Implikationen des Panpsychismus für unser Selbstverständnis zu untersuchen und zu evaluieren. Dabei steht nicht nur die theoretische Auseinandersetzung im Vordergrund, sondern auch die praktische Relevanz dieser philosophischen Position für unser alltägliches Erleben und Handeln. Letztlich geht es darum, ob und wie der Panpsychismus dazu beitragen kann, ein stimmiges Bild von der Welt und dem Menschen zu entwerfen, das den Erfahrungen und Selbstzuschreibungen des menschlichen Lebens gerecht wird.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Philosophie des Geistes und Menschenbild
1.2 Was Panpsychismus ist (und was nicht)
2 Hauptteil (A): Bewusstsein und Selbstbewusstsein
2.1 Überblick
2.1.1 Versuch der Begriffsbestimmung
2.1.2 Materialistische Theorien des Bewusstseins
2.1.3 Dualistische Theorien des Bewusstseins
2.1.4 Higher-order -Theorien von Bewusstsein und Selbstbewusstsein .
2.2 Panpsychistische Beiträge zum Verständnis von Bewusstsein und Selbstbewusstsein
2.2.1 Die Würdigung des Mentalen
2.2.2 Panpsychismus als dritte Alternative zu Materialismus und Dualis mus
2.2.3 Welcher Panpsychismus? Konstitutive und emergente Varianten .
2.2.4 Fazit
3 Hauptteil (B): Person und Würde 81
3.1 Überblick
3.1.1 Zwei Arten von Würde
3.1.2 Nicht-menschliche Würde
3.1.3 Personalität
3.1.4 Werte in der Natur
3.2 Panpsychistische Beiträge zum Verständnis von Würde und Personalität .
3.2.1 Würde, Bewusstsein und Kontinuität
3.2.2 Personalität und Panpsychismus
3.2.3 Panpsychistischer Wert-Realismus
3.2.4 Fazit
4 Hauptteil (C): Vernunft und Freiheit 133
4.1 Überblick
4.1.1 Freiheit als vernunftgeleitete Orientierung an Gründen
4.1.2 Freiheit und Bestimmtheit I: Inkompatibilismus
4.1.3 Freiheit und Bestimmtheit II: Kompatibilismus
4.1.4 Der ontologische Status des frei handelnden Subjekts
4.2 Panpsychistische Beiträge zum Verständnis von Freiheit, Vernunft und Handeln
4.2.1 Rudimentäre Vernunft - rudimentäre Freiheit
4.2.2 Konstitutiver Panpsychismus und Kompatibilismus
4.2.3 Nicht-konstitutiver Panpsychismus und Inkompatibilismus
4.2.4 Fazit
5 Schluss
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Philosophie des Geistes und Menschenbild
„Der Humor”, rief Settembrini über die linke Schulter, „der Humor in der Naturbetrachtung unseres Professors besteht darin, daß er, wie die heilige Katharina von Siena, an die Wunden Christi denkt, wenn er rote Primeln sieht.”
Naphta erwiderte: „Das wäre eher witzig als humoristisch. Aber es hieße immerhin
Geist in die Natur zu tragen. Sie hat es nötig.”
„Die Natur”, sagte Settembrini mit gesenkter Stimme und nicht mehr völlig über die Schulter hinweg, sondern nur noch an ihr hinunter, „hat Ihren Geist durchaus nicht nötig. Sie ist selber Geist.”
„Sie langweilen sich nicht mit Ihrem Monismus?”
„Ah, Sie geben also zu, daß es Vergnügungssucht ist, wenn Sie die Welt feindlich entzweien, Gott und Natur auseinanderreißen!”
„Es interessiert mich, daß Sie Vergnügungssucht nennen, was ich im Sinne habe, wenn ich Passion und Geist sage.”
„Zu denken, daß Sie, der so große Worte für so frivole Bedürfnisse setzt, mich manchmal einen Redner nennen!”
„Sie bleiben dabei, daß Geist Frivolität bedeutet. Aber er kann nichts dafür, daß er von Hause aus dualistisch ist. Der Dualismus, die Antithese, das ist das bewegende, das leidenschaftliche, das dialektische, das geistreiche Prinzip. Die Welt feindlich gespalten sehen, das ist Geist. Aller Monismus ist langweilig [...].”
— Thomas Mann, Der Zauberberg
Das Bild, das wir von uns selber zeichnen, wenn wir unser alltägliches Erleben reflektierend auf den Begriff bringen, weist eine kaum zu überschauende Vielzahl von Nuancen und Schattierungen unseres Inneren auf: Geistige Eigenschaften oder Fähigkeiten in vielfältiger Gestalt bestimmen, wer wir sind und was uns ausmacht - jede und jeden einzelnen, aber auch uns als Menschen insgesamt. Leidenschaft und Frivolität, Vergnügen, Passion und
Humor, sind, um den Disput aus dem Zauberberg aufzugreifen, nur einige Beispiele dieser geistigen Merkmale.1
Wir erfahren uns in unserem Denken, Entscheiden, Fühlen und Handeln als Subjekte, im doppelten Sinn: Als Trägerinnen und Träger, als „Zugrundeliegende” eines Erlebens auf der einen Seite - als passive Subjekte, könnte man sagen -, und als Trägerinnen und Träger von Fähigkeiten, als Urheber von Handlungen auf der anderen Seite: als aktive Subjekte.
Zusammen ergeben diese Merkmale des Subjekt-Seins, wenn man sie in ihren verschiedenen Erscheinungsformen ausbuchstabiert, ein facettenreiches Bild der menschlichen Eigenschaften und damit des Menschen: Abstrahierend von den konkreten und sich konkret von Mensch zu Mensch unterscheidenden Facetten entsteht ein allgemeines Menschenbild, das uns in unserem Menschsein als Erlebende und Handelnde einige wesentliche Eigenschaften - das bedeutet: Eigenschaften, die man nicht einfach weglassen kann, ohne etwas an diesem Menschenbild zu verändern - zuschreibt. Zu der Beschreibung dieser wesentlichen Eigenschaften gehören unserem Selbstbild so zentrale Begriffe wie Würde und Personalität, Vernunft, Selbstbewusstsein und Freiheit.
Der Begriff des Menschenbildes wird als Schlagwort häufig bemüht, und er ist natürlich, wie die meisten Schlagworte, ein notorisch unklarer Begriff: Es ist nicht ganz einfach, eine klare Definition zu formulieren, und auch etwa eine inhaltlich vollständig adäquate Übersetzung ins Englische oder in die romanischen Sprachen findet sich nicht unmittelbar. Ich möchte den Begriff des Menschenbilds hier in einem unkontroversen Sinn einfach als Beschreibung oder Bezeichnung verwenden für das Bündel der wesentlichen Bestandteile des menschlichen Selbstverständnisses, wie sie oben genannt wurden und im folgenden detaillierter beschreiben werden - die Begriffe „Menschenbild” und „Bild vom Menschen” lassen sich dabei weitestgehend synonym verwenden.2
Dieses Menschenbild im Übrigen, so vorläufig es hier angesprochen ist, ist in seinem Kern - über die Jahrhunderte und über die Kulturen hinweg - erstaunlich stabil: Die Grundzüge der Ideen von Selbstbewusstsein und personaler Verantwortlichkeit finden sich bereits in den antiken Kulturen; und die Bedeutung etwa der Idee der menschlichen Würde scheint, ungeachtet behaupteter „Kränkungen” des menschlichen Selbstbildes durch den wissenschaftlichen Fortschritt, eher zu- denn abgenommen zu haben.3
Nun ist aber das Menschenbild, das wir uns machen und haben, immer eingebettet in ein Weltbild, das wir uns ebenso entwerfen; der Streit um verschiedene Weltbilder entzündet sich gerade häufig an dem Bild vom Menschen, das wir uns von ihm als Teil eben der Welt machen, und nicht selten bildet das Menschenbild zugleich Ausgangs- und Zielpunkt des jeweiligen Weltbildes: Dem Streit der beiden Protagonisten aus dem Zauberberg um eine monistische oder dualistische Weltsicht entspricht ja auch eine Differenz im Hinblick darauf, was nach ihrer Auffassung der Mensch jeweils ist oder sein sollte.
Anders gesagt, die Frage danach, was es generell in der Welt gibt - was, auf einer prinzipiellen Ebene, ihre Bestandteile sind (und damit auch unsere möglichen Bestandteile als Menschen) -, hat Relevanz für die Möglichkeit und die Art und Weise der Zuschreibung der genannten menschlichen Eigenschaften und Fähigkeiten, deren Basis im jeweiligen Weltbild ja festgelegt wird. Das Weltbild bestimmt die ontologische Grundlage unseres geistigen Erlebens und Handelns (die jeweilige Konzeption der ontologischen Grundlage des Geistes drückt das Weltbild aus).
Hinsichtlich der Ontologie des Geistes ist nun in der analytischen Philosophie eine Vielzahl von Entwürfen, von „Philosophien des Geistes”, formuliert worden; vom reduktiven oder eliminativen Materialismus bis zum parallelistischen, interaktionistischen oder epiphä- nomenalistischen Dualismus, sodass, in Kombination mit Zusätzen wie Funktionalismus oder Realismus, eine Art „Verschiebebahnhof von Ismen” (Peter Janich) entstanden ist. Hinzu kommen verschiedene „Ismen” als Zwischenpositionen zwischen Monismus und Dualismus: der Doppelaspekt-Monismus, der neutrale Monismus (der vielleicht als Trialismus zu betrachten ist), der Eigenschaftsdualismus - und schließlich verschiedene Konzeptionen, die dem Panpsychismus zuzuordnen sind, der das Thema dieser Arbeit darstellt. Der idealistische Monismus - nachdem sich das Materielle vollständig auf das Geistige reduzieren lässt - ist heute etwas ins Abseits gerückt.
Von dem jeweiligen „Ismus”, von der jeweiligen Selbst-Verortung der entsprechenden Position auf der sich immer detaillierter ausformulierenden Landkarte der Philosophie des Geistes hängt es ab, von welchem Winkel aus - mit welchen teils bewusst gesetzten, teils unbewusst vorausgesetzten Grundannahmen - der Blick auf den Menschen geworfen und das Menschenbild entworfen werden. Philosophie des Geistes und Menschenbild befinden sich hierbei, wie bereits angesprochen, in einem durchaus beidseitig wechselwirkenden Verhältnis: Nicht nur die Konzeption des Geistigen in der Welt beeinflusst das Bild vom Menschen, auch das jeweilig favorisierte Menschenbild bestimmt ein Stück weit die dann vertretene Philosophie des Geistes.
Andererseits erscheint es aber manchmal sehr fraglich, welches Weltbild vorausgesetzt werden muss, gewissermaßen „benötigt” wird, um ein bestimmtes Bild vom Menschen zu bedienen - für (auf den ersten Blick) ein und dasselbe Merkmal im Menschenbild können ganz unterschiedliche Verfassungen der Welt gefordert werden.
Für das Bild eines frei handelnden und entscheidenden Menschen beispielsweise könnte gesagt werden, die Welt müsse, um Freiheit zu ermöglichen, zwingend dualistisch und indeterministisch verfasst sein, oder gesagt werden, sie müsse monistisch und deterministisch verfasst sein. Oder aber, es sei egal, wie die Welt verfasst sei, da in beiden Konzeptionen Freiheit möglich sei - oder es sei egal, da Freiheit in beiden Konzeptionen nicht möglich sei.
Zwar lässt sich bei diesem Beispiel sicherlich in Frage stellen, ob es sich bei den verschiedenen Entwürfen tatsächlich um „ein und dasselbe” Verständnis des Menschen handelt - man könnte argumentieren, dass jeweils entweder eine ungenügende oder eine inkonsistente Konzeption von Freiheit vorgeschlagen oder postuliert wird.
Dennoch, und gerade deshalb, kann an dem Beispiel aber deutlich werden, dass sich der Zusammenhang von Weltbild und Menschenbild - der Zusammenhang zwischen der ontologischen Einordnung geistiger Phänomene auf der einen Seite, und der Art und Weise, wie der Mensch als Ganzer in seinem Erleben und Handeln dann jeweils bewertet wird, auf der anderen Seite - als gleichermaßen im allgemeinen unbestreitbar wie im speziellen kompliziert und genauerer begrifflicher Untersuchung bedürftig zeigt.
Hier setzt die vorliegende Arbeit an. Sie hat eine konkrete Position in der Leib-Seele-Debatte zum Thema; eine Position, die die Bühne der analytischen Philosophie des Geistes im Wesentlichen seit der Jahrtausendwende betreten hat: den Panpsychismus. (Verwandte Positionen werden auch als „Panprotopsychismus”, „Panexperientialismus” und „Panprotoexperi- entialismus” beschrieben - ich möchte den Begriff des „Panpsychismus” gewissermaßen als Oberbegriff verwenden.)
Ziel soll es sein, den soeben im allgemeinen angesprochenen Zusammenhang zwischen Philosophie des Geistes und Menschenbild für die konkrete Position „des” Panpsychismus nachzuzeichnen; es sollen, anders gesagt, die Implikationen panpsychistischer Positionen in der Philosophie des Geistes für unser Selbstverständnis explizit gemacht werden.
Hinsichtlich der „Bestandteile” dieses Menschenbildes habe ich drei Themenkomplexe ausgewählt, die im allgemeinen für zentrale Elemente des menschlichen Selbstverständnisses gehalten werden. Zusammengefasst je unter zwei Schlagworten sind dies die Themen Bewusstsein und Selbstbewusstsein, Person und Würde, sowie Vernunft und Freiheit.
Es erscheint mir sinnvoll und wichtig, die Fragestellung von diesem Selbstverständnis bzw. diesen Aspekten unseres Selbstverständnisses her zu entwickeln - als nicht, oder nur um einen hohen Preis, hintergehbare Grundlage und Voraussetzung unseres Nachdenkens über uns selbst, als „hard-core common sense notions”, wie David Ray Griffin gesagt hat4 -, und von dort zu fragen, inwiefern panpsychistische Ontologien hierfür den adäquaten ontologischen Rahmen bereitstellen können (und nicht umgekehrt mit einer der zahlreichen Aporien der analytischen Philosophie des Geistes zu beginnen).
Es wird also in einem jeweils ersten Schritt darum gehen, in Form einer begrifflichen und phänomenologischen Bestandsaufnahme den Versuch einer bestmöglichen Klärung des zur Frage stehenden Phänomens zu unternehmen, d.h. in knappen gedanklichen Strichen, aber mit ausreichender Präzision die Erfahrung und die Erfahrungen nachzuzeichnen, die unseren Begriffen von Personalität und Vernunft, Würde, Freiheit und Selbstbewusstsein jeweils zugrunde liegen. Dann soll gefragt werden, inwiefern der Panpsychismus, oder: ein Panpsychismus, die Grundlage liefern kann dafür, wie wir uns, im zuvor bezeichneten Sinn verstanden, täglich als Denkende und Handelnde erfahren. Es soll, um es noch einmal anhand des konkreten Beispiels der Freiheit auszudrücken, ein angemessener Begriff der Freiheit und seiner ontologischen Basis entwickelt werden, und anschließend gefragt werden, welchen genuinen Beitrag eine panpsychistische Philosophie des Geistes zum Verständnis der menschlichen Freiheit leisten kann.
Bezogen noch einmal auf die Schärfe des Disputs aus dem Zauberberg könnte man die Fragestellung auch wie folgt formulieren: Welche Vermittlungspositionen zwischen Monismus und Dualismus können Panpsychismen bekleiden, um die vielleicht manchmal etwas zu harsche Frontstellung zwischen beiden aufzubrechen und ein Menschenbild zu entwerfen und zu rechtfertigen, das der Erfahrung von uns selbst als Erlebenden und Handelnden, aber auch der natürlichen Welt, deren Teil wir sind, gleichermaßen gerecht wird?
Zusammenfassend steht hinter der vorliegenden Arbeit auch die Idee, dass nicht diejenige Konzeption einer Philosophie des Geistes die beste, die überzeugendste und die richtige ist, die die bekannten Minenfelder der analytischen Debatte mit sophistischer Geschicklichkeit so schadlos wie möglich umschifft, sondern diejenige, die die uns als grundlegende und unhintergehbare Selbstzuschreibungen alltäglichen Phänomene in ein stimmiges Bild von der Welt und ihren natürlichen Abläufen am besten integrieren kann. Welche Chancen die verhältnismäßig jungen, von der analytischen Philosophie geprägten Panpsychismen hier haben, soll geprüft werden.
Das prinzipielle Unternehmen der vorliegenden Arbeit hat dabei wesentlich einen offenen Ausgang: Ob die Einordnung und Erklärung der menschlichen geistigen Fähigkeiten vor dem Hintergrund einer grundsätzlich panpsychistisch verstandenen (Um-)Welt systematisch Gewinn bringend sein kann, ist unklar; aber es ist einer Überprüfung wert.
Die Gliederung der Arbeit wird wie folgt gestaltet. Im nächsten, noch zur Einleitung gehörenden, Schritt muss geklärt werden, was der Begriff des „Panpsychismus” für den vorliegenden Kontext bedeutet, und, was er nicht bedeutet; dies soll im Rahmen der Darstellung einiger „jüngerer” panpsychistischer Argumente und ihrer maßgeblichen Proponentinnen und Proponenten erfolgen. In den drei Hauptteilen der Arbeit werden dann die genannten Themenkomplexe behandelt: Nachdem der Gegenstand jeweils begrifflich und phänomenologisch eingeholt wurde, folgt die Darstellung und Evaluation der spezifisch panpsy- chistischen Perspektive und ihres Potentials für eine systematisch überzeugende Integration von menschlichem Selbstverständnis und natürlicher Welt hinsichtlich des jeweiligen Gegenstandes. Ein Fazit bildet den Abschluss der Arbeit.
1.2 Was Panpsychismus ist (und was nicht)
If evolution is to work smoothly, consciousness in some shape must have been present at the very origin of things.
— William James, The Principles of Psychology
Panpsychismus, wie er hier verstanden wird, ist die Vorstellung, dass das Mentale eine grundlegende Eigenschaft aller Entitäten ist; dass, wie es in dem Zitat von William James zum Ausdruck kommt, Bewusstsein im „Ursprung der Dinge” angelegt ist.5 Der Panpsychismus besagt, dass mentale Qualitäten nicht einfach ab einer hinreichend komplexen materiellen Organisationsstruktur unvermittelt dazustoßen - diese Vorstellung wird als ad hoc abgelehnt -, vielmehr besteht er auf einer prinzipiellen Gleichursprünglichkeit des Mentalen und des Physischen: Alles Physische, bis hinein in seine kleinsten Bausteine, hat zugleich eine mentale Komponente.
Panpsychistisches Gedankengut hat, auch wenn es in der modernen analytischen Philosophie eine Außenseiterposition innehat, eine lange Tradition in der Philosophiegeschichte - von den Vorsokratikern bis hin zu Spinoza und Leibniz.6 An Vertreterinnen und Vertretern panpsychistischer Positionen in der Gegenwart sind zu nennen, aus dem anglo-amerika- nischen Raum, u.a. David Ray Griffin, William Seager, Freya Mathews, Gregg Rosenberg, Galen Strawson und Philip Goff (ein Stück weit auch David Chalmers), aus dem europäi- sehen Raum Godehard Brüntrup und Hedda Hassel M0rch.
Inhaltlich ergibt sich ein Panpsychismus aus einem argumentativen Vierschritt, den Thomas Nagel vor mehr als vierzig Jahren formuliert hat. Wenn lebende Organismen aus physischen Konstituenten bestehen (ein Dualismus ausgeschlossen wird), zugleich aber ein Nicht- Reduktionismus und ein Realismus in Bezug auf mentale Qualitäten stark gemacht wird, folgt - sofern weiterhin unintelligible „starke” Emergenz ausgeschlossen wird - ein Panpsychismus: Mentale Qualitäten müssen zu den basalen Merkmalen aller (physischen) Entitäten gehören.7 Nagel freilich erkennt an, dass jede seiner vier Prämissen „plausibler ist als ihre Negation, wiewohl vielleicht nicht plausibler als die Negation des Panpsychismus selbst”.8
Was bedeutet und impliziert die Position des Panpsychismus im einzelnen, wenn man über diese grob gezeichnete Standortbestimmung auf der philosophischen Landkarte hinaus geht? Der Begriff „Pan-Psychismus” wird im allgemeinen auch von seinen oben genannten Vertretern nur unter doppeltem Vorbehalt akzeptiert:
Die erste Silbe „Pan” bedeutet gemäß der hier zu behandelnden Lesart, dass „alles” mentale Eigenschaften in dem Sinne hat, dass es aus letzten Konstituenten mit mentalen Eigenschaften zusammengesetzt ist; und nicht, dass alle höherstufigen Entitäten - also auch Aggregate wie Stühle und Steine - als solche mentale Qualitäten hätten. Die letztere These wird dem Panpsychismus manchmal unterstellt, von dessen Proponentinnen und Proponenten in der Regel aber nicht vertreten: Mentale Eigenschaften werden den grundlegenden Bestandteilen des Universums, im Englischen als „ultimates” bezeichnet, zugeschrieben - hierher nimmt das „Pan” seine Berechtigung -; zudem treten höherstufige mentale Eigenschaften bei „echten Individuen” wie Menschen und Tieren auf. Gegenstände hingegen, seien es Artefakte oder Naturdinge, haben als „bloße Aggregate” keinerlei mentale Eigenschaften über diejenigen ihrer basalen Konstituenten hinaus.
Der zweite Vorbehalt bezieht sich auf den zweiten Bestandteil des Begriffs: „Psychismus” in „Pan-Psychismus” postuliert nicht der menschlichen Psyche vergleichbare mentale Qualitäten in der gesamten Natur. Angenommen werden nur Vorstufen von Bewusstsein, genauer gesagt: Vorstufen von Erfahrungsfähigkeit, bei allen Entitäten des Universums. Diese Vorstufen sind nicht nur der menschlichen Psyche nicht vergleichbar, sondern - da die Ähnlichkeitsrelation nicht transitiv ist (wenn A zu B ähnlich ist, und B zu C, muss nicht A zu C ähnlich sein) - dieser nicht einmal ähnlich.9 Um den Aspekt der Vorstufigkeit zu betonen, wird manchmal auch von Panprotopsychismus gesprochen; wenn (zusätzlich) dem Begriff der Erfahrungsfähigkeit der Vorzug gegeben wird gegenüber dem des Bewusstseins, von Pan(proto)experientialismus.
Vor dem Hintergrund dieser beiden Vorbehalte bezeichnet etwa Gregg Rosenberg, der einen panexperientialistischen von ihm so genannten „liberalen Naturalismus” vertritt, „beide Teile der Etymologie von Panpsychismus ” als zumindest „irreführend”.10
Das genannte vierschrittige Argument für den Panpsychismus bei Nagel spricht mit seiner vierten Prämisse - dem Ausschluss „starker” oder „echter” Emergenz - in knapper Formulierung bereits ein zentrales pro-panpsychistisches Argument an: das genetische Argument für den Panpsychismus.
Galen Strawson, der seine Position als „realistischen Physikalismus” bezeichnet, der nach seiner Darstellung notwendig einen Panpsychismus „beinhaltet”, hat das genetische Argument näher ausgeführt, indem er zwei verschiedene Arten von Emergenz unterscheidet.11
Während etwa das Flüssigsein von Wasser (bei Nicht-Flüssigsein von H2O-Molekülen) eine „unverfängliche” Form der Emergenz - schwache Emergenz - darstelle (da die makroskopische Oberflächenstruktur problemlos auf die physikalischen und chemischen Gesetzmäßigkeiten auf der Mikro-Ebene reduziert werden kann), liegen die Dinge bei der fraglichen Emergenz geistiger, d.h. hier vor allem: phänomenaler, Eigenschaften aus nicht-phänomenaler Grundlage anders. Da es hier zum Auftreten einer gänzlich neuen, irreduziblen Art von Eigenschaften kommt, müsste - sofern eine Emergenztheorie zutrifft - das Konzept der starken oder radikalen Emergenz („brute emergence”) vorausgesetzt werden. Dieses kann, so Strawson, aber keinen explikatorischen Mehrwert haben, da es gerade nichts erklärt, sondern das Auftreten der entsprechenden Eigenschaften schlicht als factum bru- tum konstatiert. Wenn also das Entstehen phänomenaler Eigenschaften aus gänzlich nichtphänomenaler Grundlage nicht intelligibel gemacht werden kann, bleibt dem „realistischen Physikalisten” nur die Möglichkeit, die (von Dualisten und Materialisten gleichermaßen geteilte) Grundthese zu bestreiten, dass physischer Stoff seiner fundamentalen Natur nach gänzlich ohne geistige Eigenschaften in Form einer rudimentären Erfahrungsfähigkeit ist.12
Eine etwas andere Ausformulierung des genetischen Arguments findet sich bei Gregg Rosenberg. Er entwickelt das folgende pro-panpsychistische bzw. -experientialistische Ge- dankenspiel13:
Angenommen wird eine Welt mit einer sehr einfachen Ontologie, bestehend aus sogenannten „zellulären Automaten”. In dieser Welt, genannt Life world, gelten nur die fundamentalen Tatsachen der Physik. Die zellulären Automaten bestehen aus Zellen in einem abstrakten Raum, die zwei verschiedene Eigenschaften annehmen können, die als „an” und „aus” bezeichnet werden. Diese beiden Prädikate sind rein relational definiert: „an” bedeutet nichts weiter als „nicht aus”, und „aus” nichts weiter als „nicht an”. Die Zellen nehmen die Eigenschaften nach bestimmten Regeln in Abhängigkeit vom Status ihrer Nachbarzellen an - beispielsweise: wenn eine Zelle genau zwei „angeschaltete” Nachbarzellen hat, behält sie im nächsten Schritt ihren Status; bei dreien ist sie im nächsten Schritt „an”; ansonsten ist sie „aus” (die genauen Regeln sind für das Argument nicht entscheidend). Wir können uns nun ein sehr großes „Schachbrett” solcher Zellen vorstellen, und dieses wird trotz seiner simplen zugrunde liegenden Regeln schnell äußerst komplexe Muster ein- und ausgeschalteter Zellen ausbilden. Obwohl sich also hochkomplexe Muster in der abstrakten Gitterstruktur des zellulären Automaten entwickeln, sind diese vollständig aus der basalen Ontologie - Eigenschaften „an” und „aus” plus wenige Regeln - ableitbar.
Die Life world soll nun natürlich ein Modell für unsere Welt (in der physikalistischen Weltsicht) sein: Ebenso wenig, sagt Rosenberg, wie sich aus dem abstrakten Schachbrettmuster eines zellulären Automaten Fakten des phänomenalen Erlebens entwickeln werden, können sich aus rein relational bestimmten physikalischen Tatsachen, wie sie der Physikalis- mus für alleine grundlegend postuliert, Fakten des phänomenalen Erlebens entwickeln. Diese haben sich aber, wie wir wissen, entwickelt - also müssen phänomenale Tatsachen bereits auf der Ebene der basalen Ontologie (anders als in der Life world und dem physikalistischen Weltbild) angelegt sein.
Das genetische Argument für den Panpsychismus zehrt, zusammenfassend, also von der antireduktionistischen Intuition, dass sich mentale Qualitäten nicht (alleine) von physischen her entwickelt haben können, und daher eine ihnen eigene ontologische Basis „auf unterster Stufe” postuliert werden muss.
Neben dem genetischen Argument für den Panpsychismus hat noch ein weiteres pro-pan- psychistisches Argument in der Literatur einen zentralen Stellenwert: das Argument der intrinsischen Eigenschaften oder Naturen.
Ihm zugrunde liegt zum einen die Unterscheidung zwischen intrinsischen - einem Gegenstand „von sich aus” zukommenden - und extrinsischen - einem Gegenstand in Abhängigkeit von der Beziehung zu anderen Gegenständen zukommenden - Eigenschaften. Zum anderen beruht das Argument auf der Einsicht, dass sich Physik und Naturwissenschaft überhaupt nur mit den extrinsischen Eigenschaften der Materie befassen: Die Masse etwa eines Elementarteilchens ist seine Eigenschaft, eine bestimmte relational definierte, funktionale Rolle in Abhängigkeit von Kraft und Beschleunigung zu spielen; und nur diese Rolle bildet sich in der physikalischen Wissenschaft ab.
Die intrinsischen Eigenschaften, die intrinsische Natur der Materie hingegen - die Eigenschaften, die sie „an sich” hat - sind uns gänzlich unbekannt; mit einer Ausnahme: Im Falle phänomenaler Eigenschaften ist uns intrinsischer Gehalt, als qualitativer Erlebnis-Gehalt, zugänglich. Häufig zitiert wird in diesem Zusammenhang die Einschätzung des Mathematikers Bertrand Russell, „[that] we know nothing about the intrinsic quality of physical events except when these are mental events that we directly experience”.14
Das Argument der intrinsischen Naturen macht nun den naheliegenden Schritt: Phänomenale Eigenschaften, Qualia, sind der innere Träger der formalen, mathematischen Struktur der Welt, die die Physik und die anderen Naturwissenschaften „von außen” beschrei- ben.15 Dies bedeutet eine Ubiquität des Mentalen, einen Pan-Psychismus.
Gregg Rosenberg verknüpft das oben betrachtete genetische Argument für den Panpsychismus - wenn unser Universum auf unterster Ebene gänzlich aus nicht-(proto-)bewussten Bausteinen besteht, dann könnten wir diese noch so komplex anordnen, wir würden doch nie einen Funken Bewusstsein erzeugen können - im Gedankenspiel der Life World mit dem Argument der intrinsischen Naturen. Die Eigenschaften der Zellen innerhalb der Life World werden ja per Definition rein relational gefasst. Der Träger dieser Eigenschaften, d.h. die intrinsische Natur, aber kann (im physikalistischen Weltbild allein) nicht bestimmt werden. Die phänomenalen Fakten, die auf der basalen Ebene ebenfalls angelegt sein müssen, können diese Rolle hingegen erfüllen. Zusammengefasst, die Notwendigkeit letzter Träger („ultimate carriers”) der in der Physik rein relational bestimmten Eigenschaften, zusammen mit der Erkenntnis, dass phänomenale Tatsachen die einzigen uns bekannten Kandidaten für solche nicht-relationalen Eigenschaften oder Naturen sind, führt zu einem Panexperien- tialismus.16
Kurz soll hier auch ein drittes Argument für den Panpsychismus angeführt werden, das allerdings nicht die gleiche Verbreitung wie die beiden genannten, das genetische Argument und das Argument aus den intrinsischen Naturen, erfahren hat. Hedda Hassel M0rch hat es, in einem historischen Rückgriff auf James und Whitehead, Leibniz und Schopenhauer, als „das Argument aus der (Erfahrung von) Verursachung” bezeichnet und wie folgt formu- liert.17 In unserem Handeln erfahren wir direkt ein Moment von (mentaler) Verursachung, und dieses beschreibt die einzigen kausalen Kräfte, von denen wir uns eine positive Vorstellung machen können. Wenn wir als weitere Prämissen einen Non-Reduktionismus (physische Dinge haben kausale Kräfte) und einen Realismus (wir können die kausalen Kräfte in der Welt prinzipiell erkennen oder verstehen) annehmen, folgt ein Panpsychismus: alle (physischen) Dinge müssen zugleich einen mentalen Aspekt haben, der ihr kausales Wirken ermöglicht.18 Kontrovers ist hier, neben dem Realismus in Bezug auf Verursachung, der mit dem prominenten Hume’schen Kausalitätsverständnis in Widerspruch steht, insbesondere die Prämisse, dass wir uns nur von mentalen Kausalkräften eine sichere Vorstellung machen können - die M0rch mit Blick auf die Phänomenologie unseres Wollens und Handelns zu verteidigen versucht.19 Das Argument aus der „Erfahrung von Verursachung” stellt damit eine wichtige Ergänzung zu anderen pro-panpsychistischen Argumenten dar, ist in der Auseinandersetzung mit reduktionistischen Positionen für sich genommen aber schwächer als das Argument aus den intrinsischen Naturen und insbesondere als das genetische Argument für den Panpsychismus.
Gregg Rosenberg - der, nach William Seager, „den gegenwärtig detailliertesten, entwickeltesten und am besten verteidigten” panpsychistischen Entwurf James’scher Prägung vorgelegt hat20 - formuliert die spezifische Rolle der phänomenalen Eigenschaften als intrinsischen Trägern der physischen Strukturen nun noch weiter aus, indem er das (phänomenale) Bewusstsein in enge Verbindung bringt mit einem anderen philosophischen Grundproblem: dem der Verursachung.
Jeder Kausalverbindung liegt ein von Rosenberg so genannter „nomischer Gehalt” zugrunde, der sich aus den „effektiven” und „rezeptiven” Eigenschaften der beteiligten Individuen zusammensetzt: Die effektiven Eigenschaften sind verantwortlich für die Beschränkung, die ein Individuum im Verursachungsprozess einem anderen auferlegt; die rezeptiven Eigenschaften sind das logische Gegenstück, das diese Auferlegung der Beschränkung möglich macht. Der nomische Gehalt kann von den Gesetzen der Naturwissenschaft, die sich nur mit den effektiven, nicht aber den rezeptiven Eigenschaften befasst, nicht vollständig dargestellt werden: Der Träger dieses Gehalts - der der Physik extrinsisch und in sich intrinsisch, intrinsic tout court, wie Rosenberg sagt -, sein muss, ist qualitativer Erlebnis-Gehalt.21
Ohne, dass also mutmaßlich unintelligible Lücken im natürlichen Kausalgeschehen postuliert werden müssen, wohnt nach Rosenberg jedem Verursachungsprozess eine geistige Komponente in Form phänomenaler Eigenschaften als intrinsischen Naturen der extrinsi- schen physikalischen Eigenschaften der beteiligten Individuen, und als Trägern des „kausalen Nexus” inne. Dem phänomenalen Bewusstsein eine „Intimität mit Verursachung selbst” zuschreibend, verbindet Rosenberg zwei philosophische Aporien miteinander und schlägt zugleich eine Auflösung für beide vor.22
Ein wichtiger Bezugspunkt für panpsychistische Philosophien des Geistes ist weiterhin die Prozessphilosophie. Hier ist in erster Linie das 1929 erschienene prozessphilosophische Hauptwerk Process and Reality des Philosophen und Mathematikers Alfred North Whitehead anzuführen; David Ray Griffin hat, auf Whitehead aufbauend, um die Jahrtausendwende eine panexperientialistische Prozessphilosophie analytischer Prägung verteidigt.23 Es ist ein Verdienst Griffins, die in Teilen sperrige Metaphysik Whiteheads in zwar nicht einfacher, aber klarer Sprache neu zugänglich gemacht und, wie Jaegwon Kim trotz inhaltlicher Opposition zu Griffin schreibt, die Whitehead’sche Perspektive in die gegenwärtige analytische Philosophie eingebracht und die jeweilige Relevanz der Ansätze füreinander aufgezeigt zu haben.24
Grundlage des prozessphilosophischen Weltbildes sind nicht „Substanzen” oder „Dinge”, sondern Ereignisse und die fortdauernden Prozesse ihres Entstehens und Vergehens. Whitehead und Griffin nennen diese Ereignisse „actual entities” oder „actual occasions”.
Bei den aktualen Entitäten handelt es sich um die grundlegenden, die „letzten” Einheiten der Wirklichkeit, hinter die zurückzugehen nur in der Theorie durch eine Abstraktion möglich ist; es gibt nichts Konkreteres oder „Realeres” als die aktualen Entitäten.25 Whitehead prägt in diesem Zusammenhang den Begriff vom Fehlschluss der falschen Konkretheit („fallacy of misplaced concreteness”): dass etwas für real und konkret existierend gehalten wird, das tatsächlich nur ein abstrahierendes Konzept darstellt - so etwa das Konzept einer „bloßen” Substanz (im Gegensatz zu dem Konzept eines Ereignisses oder eines Prozesses).26
Der Panpsychismus in Whiteheads Philosophie ergibt sich nun aus einer wichtigen Manifestation dieses Fehlschlusses der falschen Konkretheit, und zwar in Bezug auf die Frage nach den kleinsten (realen) Einheiten unserer Wirklichkeit. Diese sind, prozessphilosophisch gedacht, ja die aktualen Entitäten, und nach Whitehead ist jeder dieser aktualen Entitäten sowohl ein physischer als auch ein mentaler Pol zuzuschreiben. Die dem naturwissenschaftlichen wie alltäglichen Denken zugrunde liegende Vorstellung gänzlich geistloser Materie, von, vereinfacht und pointiert, „Teilchen im Raum”, muss als (begriffliche oder theoretische) Abstraktion betrachtet werden; und sie macht sich damit, insoweit dies nicht geschieht und rein materielle „Teilchen” für konkret existierend gehalten werden, des Fehlschlusses des falschen Konkretheit schuldig:
„The mental pole originates as the conceptual counterpart of operations in the physical pole. The two poles are inseparable in their origination. [...] Every actual entity is ,in time’ so far as its physical pole is concerned, and is ,out of time’ so far as its mental pole is concerned.”27
An anderer Stelle notiert er:
„The final facts are, all alike, actual entities; and these actual entities are drops of experience, complex and interdependent.”28
Einen herausgehobenen Stellenwert in Whiteheads philosophischem System haben weiterhin die Begriffe der prehension und des nexus, sowie des ontologischen Prinzips.
Die prehension bezeichnet eine sprachliche Kurz- und damit inhaltliche Vorform der apprehension - nämlich eine Vorstufe bewusster Wahrnehmung, die man im Deutschen vielleicht am besten wiedergeben kann mit dem Begriff des Erfassens. Alle grundlegenden Ereignisse, alle aktualen Entitäten erfassen so ihre Umwelt, d.h. (vorangegangene) andere Ereignisse; dieses Erfassen ist also auf allen Stufen der Wirklichkeit gegenwärtig. Den nichtkognitiven oder vor-bewussten Charakter der Whitehead’schen prehension kann man damit, in einer aktuelleren Begrifflichkeit, unter Protomentalität oder unter protomentalen Eigenschaften einordnen.
Im Vorgang des Erfassens treten die Ereignisse - jeweils zwei oder mehrere - zusammen in eine Verbindung, die selbst wiederum Gegenstand einer Tatsache ist; diese „Tatsache des Zusammenseins” bezeichnet Whitehead als nexus.29 Durch prehensions konstituieren sich also nexus, gewissermaßen Ereigniskonstellationen, die wiederum zu übergeordneten nexus in Verbindung treten können, und so raum-zeitliche Ausdehnung erlangen können. Der größte nexus ist die Welt selbst.
Schließlich formuliert Whitehead noch das ontologische Prinzip als wichtigen Grundbaustein seines Systems. Es besagt, dass jeder aktualen Entität, jedem wirklichen Ereignis selbst eine (andere) aktuale Entität zugrunde liegt. Alles bezieht sich damit auf eine aktuale Entität; sei es, dass es durch eine solche (vergangene) begründet wird, oder selbst zum Ziel einer gegenwärtigen gehört.30
David Ray Griffin hat auf Basis der prozessphilosophischen Metaphysik Whiteheads eine Lösung für das Leib-Seele-Problem, wie es in der modernen analytischen Philosophie diskutiert wird, vorgeschlagen, in das er auch die Probleme der Freiheit und der mentalen Verursachung einschließt.31
Seine Position bezeichnet er („oxymoronisch”, wie er selbst sagt) als „panexperientialis- tischen Physikalismus” - in Abgrenzung vom (reduktiven) materialistischen Physikalismus -, und macht die Auffassung stark, dass nur der Panexperientialismus eine wirkliche „Naturalisierung des Geistes” vorantreibe, da er die beiden basalen Eigenschaften des Geistes, Erfahrungsfähigkeit und Spontaneität, vollständig - aber nicht-reduktiv - in die Natur einbette, indem er sie, in rudimentärer Form, allen Einheiten der Natur zuschreibe.32
Griffin glaubt so, eine „substantielle Lösung” des Leib-Seele-Problems, des Schopenhau- er’schen „Weltknotens”, formulieren zu können33, die gleichermaßen unserem Anspruch an eine wissenschaftlich kohärente Sicht auf die Welt und der Anerkenntnis nicht hintergehbarer Grundannahmen unseres Denkens und Handelns - „hard-core common sense notions”, wie Freiheit, Handlungsfähigkeit und Bewusstsein - gerecht wird. Der prozessphilosophische Panexperientialismus Griffins wird im folgenden an verschiedenen Stellen wieder aufgegriffen werden.
Ein weiteres verbindendes Merkmal vieler panpsychistischer und panexperientialistischer Positionen, das ich hier einleitend noch ansprechen möchte, ist die Abgrenzung vom car- tesischen Weltbild. Dies betrifft nicht so sehr den cartesischen Dualismus - von dem sich zu distanzieren gewissermaßen eine Art Eintrittsbedingung in die Diskussion der modernen Philosophie des Geistes ist -, vielmehr bezieht sich die Ablehnung des cartesischen Erbes hier im besonderen auf den Begriff der Materie, wie ihn Descartes verstanden hat und wie er gerade im - sich gemeinhin in scharfer Abgrenzung zum Cartesianismus verstehenden - physikalistischen Weltbild weiterlebt.
Der moderne Physikalismus, so sagt es die panpsychistische Kritik in einem Satz, hat folgenschwer die cartesische Dichotomie in res cogitans und res extensa zunächst unhinterfragt angenommen, um sich dann einfach der res cogitans zu entledigen: übrig bleibt die Idee einer ausgedehnten, gänzlich geistlosen Masse, die im Rahmen einer komplexen Anordnung ihrer selbst dann auf nicht ganz zu klärende Weise „geistige Eigenschaften” instantiiert.
Der Fehler der physikalistischen Weltsicht liegt aus panpsychistischer Perspektive also nicht primär darin, dass mentale Attribute als zu einem an sich adäquat konzipierten Materiellen hinzukommend vernachlässigt werden, sondern darin, dass schon dieses Materielle fundamental falsch - nämlich als gänzlich geist-los - verstanden wird.
Dieser Lesart folgend, ist Descartes nicht nur der Vater des Dualismus, sondern, wie Godehard Brüntrup sagt, auch der „Großvater der Identitätstheorie und des eliminativen Phy- sikalismus”.34 Ähnlich äußern sich etwa David Ray Griffin, der seine bereits angesprochene prozessphilosophische panexperientialistische Theorie mit Whitehead auf der Diagnose des falschen Für-konkret-Haltens gänzlich geistloser materieller Entitäten („vacuous actualities”) gründet, und Freya Mathews, die den Materialismus als „flip side” des Dualismus charakterisiert, und ein „inneres psychisches Prinzip” des Physischen selbst zur Grundlage ihrer Metaphysik macht.35 Philip Goff grenzt sich nicht nur von Descartes, sondern insbesondere von Galileo Galilei ab, der durch die Verortung des geistigen (qualitativen) Erlebens außerhalb des Bereichs der (Natur-)Wissenschaften das „Problem des Bewusstseins” im eigentlichen Sinn erst erzeugt habe.36
Galen Strawson wiederum ist um ein etwas differenzierteres Verhältnis zu Descartes bemüht. Zwar hält auch er das cartesische Erbe für einen „großen Fehler”, da es verbiete, Physisches und Mentales in einem nicht-reduktiven Sinn miteinander zu identifizieren. Strawson unterscheidet jedoch den „echten Descartes” vom ,„Descartes’” (in An- und Abführung); das verhängnisvolle Erbe stamme allein von letzterem - und damit lediglich von einer Karikatur des Philosophen, wie sie von der Kritik des 20. Jahrhunderts gezeichnet und überzeichnet wurde. Der echte Descartes sei „sicherlich kein Substanzdualist” im gegenwärtigen Sinn gewesen37 ; kritische Einwände gegen seinen Panpsychismus beantwortet Strawson mit einer „Celebration of Descartes”.38
Zusammengefasst, setzt der Panpsychismus mit seinem revidierten Blick auf die Welt also gewissermaßen „von unten”, auf der Mikro-Ebene, an, um so die eigentlichen Phänomene der Makro-Ebene - menschliche geistige Eigenschaften - besser erklären zu können. Ist erst ein „alternatives Bild der Materie” zum cartesischen Paradigma entworfen39, dann sind gleichsam die Vorzeichen zurechtgerückt, unter denen ein erneuter Anlauf für die adäquate Einordnung des Geistes in die natürliche Welt, für die Auflösung des „Weltknotens” unternommen werden kann.
Auf der anderen Seite muss man festhalten, dass auch andernorts in der modernen analytischen Philosophie die Vermutung geäußert wird, dass das cartesische Erbe insgesamt - und nicht nur sein Dualismus - problematische Vorannahmen auch für die heutige Diskussion bedingt; dies ist kein genuin panpsychistischer Gedanke. John Searle beispielsweise äußert, dass wir im Gefolge Descartes in der ganzen modernen Debatte „einige basale Fehler” machten und bezeichnet - ganz ähnlich der Stoßrichtung einiger Panpsychisten - den Materialismus als „Spitzengewächs des Dualismus”.40 Searle steht der panpsychistischen Position aber sehr kritisch gegenüber; er hat sie als „breathtakingly implausible” zurückgewiesen.41
In der vorliegenden Arbeit wird es also um die folgende Frage gehen: Kann der panpsychis- tische Gegenvorschlag zu den vielfach - und manchmal sowohl dualistischer- als auch materialistischerseits - geteilten theoretischen Grundannahmen in der Philosophie des Geistes, kann das „alternative Bild der Materie”, das die Panpsychistinnen und Panpsychisten zeichnen, helfen, die Aporien der Leib-Seele-Debatte hinsichtlich unseres eigenen Selbstverständnisses und der uns zugeschriebenen (gewissermaßen „makroskopischen”) geistigen Eigenschaften zu überwinden? Es soll geprüft werden, ob und inwiefern das im panpsychis- tischen Sinn revidierte Bild der Mikro-Ebene einen Beitrag leisten kann, die Makro-Ebene besser zu verstehen; denn das Verständnis oder der Beitrag zum Verständnis der geistigen Eigenschaften, die uns als Menschen „makroskopisch” ausmachen, sollte der Gradmesser für jeden Entwurf einer Philosophie des Geistes sein.
Hiermit ist umgekehrt vielleicht auch schon der schwerwiegendste systematische Einwand gegen den Panpsychismus angesprochen: Weniger das häufig angeführte Kombinationsproblem, oder die von Searle attestierte „atemberaubende Implausibilität” seiner Grundannahmen machen das stärkste Argument gegen den Panpsychismus aus, sondern der Vorwurf, dass alle panpsychistischen und -experientialistischen Entwürfe mit der Rede von protobewussten „ultimates” und komplizierten Hierarchien erlebender Individuen im Zweifelsfall nicht helfen, das zu verstehen, um das es eigentlich geht: den menschlichen Geist.
Philip Goff - auch wenn er im weiteren eine pro-panpsychistische Position vertreten hat - dreht so, in Erwiderung auf Strawsons „Realistic Monism”-Artikel, ein Stück weit den Spieß herum, und attestiert Strawson, beim Übergang von der (geistigen) Mikro- zur MakroEbene seinerseits eine unintelligible „radikale Emergenz” zu postulieren - während Strawson seinen Panpsychismus ja gerade auf die Ablehnung einer „brute emergence” phänomenaler Eigenschaften aus vollständig nicht (proto-)bewusster Materie gründet.42
Jaegwon Kim fordert, in Antwort auf Griffin, von panexperientialistischen Entwürfen die Vorlage eines „unabhängig motivierten und verteidigten Prinzips”, das die mentalen Eigenschaften der von Griffin so genannten „compound individuals” - höherstufiger Individuen wie Menschen und Tieren - aus den Eigenschaften ihrer (proto-)bewussten, bei Griffin mit rudimentärer Spontaneität und Erfahrungsfähigkeit ausgestatteten Konstituenten herleitet.43 Der Versuch einer systematischen Entfaltung dieses Zusammenhangs ist für die panpsychistische Position wesentlich.
In der vorliegenden Arbeit sollen also weniger technische Teilfragen panpsychistischer Entwürfe in der Philosophie des Geistes diskutiert werden, wie das Kombinationsproblem oder mögliche Theorien protomentaler Verursachung. Stattdessen soll eine Anwendung pan- psychistischer Positionen und Prämissen geprüft werden, d.h. gefragt werden, was panpsy- chistische Theorien und das in ihnen ausgedrückte Weltbild praktisch für die verschiedenen Dimensionen unseres menschlichen Selbstverständnisses bedeuten können. Welchen Beitrag kann der Panpsychismus leisten zum Verständnis der Art und Weise, wie wir uns alltäglich - und in vielen Fällen nicht ohne Selbstwiderspruch negierbar - im Denken und Handeln verstehen?
2 Hauptteil (A): Bewusstsein und Selbstbewusstsein
2.1 Überblick
Well, one thing is absolutely clear: You’re certainly not a realistic physicalist, you’re not a real physicalist, if you deny the existence of the phenomenon whose existence is more certain than the existence of anything else: experience, ,consciousness’, conscious experience, ,phenomenology’, experiential ,what-it’s-likeness’, feeling, sensation, explicit conscious thought as we have it and know it at almost every waking moment. [...] Full recognition of the reality of experience, then, is [...] the obligatory starting point for any remotely realistic (indeed any non-self-defeating) theory of what there is.
— Galen Strawson, Realistic Monism: Why Physicalism entails Panpsychism
2.1.1 Versuch der Begriffsbestimmung
Bewusstsein ist die uns vielleicht selbstverständlichste Tatsache: Ohne Bewusstsein, ohne Erleben der Welt aus einer Innenperspektive heraus, ohne das „Wie-es-sich-anfühlt” und die Empfindung bewusster Gedanken, wie wir sie „in fast jedem wachen Moment kennen und haben”, wie Strawson formuliert44, könnte man sagen, machte es keinen Sinn, überhaupt von „uns” zu sprechen - (menschliche) Subjekte konstituieren sich durch bewusstes Erleben; und es ist davon auszugehen, dass bewusstseinslosen philosophischen „Zombies” gar nichts „selbstverständlich” ist, da dies ein perspektivisches Erleben voraussetzt, das sie ja per Definition nicht haben können.
Bewusstsein - und mit ihm Selbstbewusstsein: dass wir uns als Subjekte eines Erlebens selbst zum Gegenstand eines Erlebnisses machen können - ist also unzweifelhaft eine conditio sine qua non unseres Daseins: Was uns als Menschen ausmacht, die zentralen Eigenschaften, die wir haben und uns in unseren Selbstbildern zuschreiben, sind ohne Bewusstsein und
Selbstbewusstsein nicht denkbar; und es ist gerade eine der wesentlichen Grundintuitionen hinter dem Gedankenexperiment der Möglichkeit philosophischer Zombies, dass diese mit dem Bewusstsein auch dieser unserer wesentlichen Charakteristika entbehren.
Bei der Frage allerdings, wie der Begriff des Bewusstseins im Sinne einer genauen Definition nun einzuholen und festzulegen ist, begibt man sich schnell auf Glatteis: Zwar umfasst die Literatur zum Thema „consciousness” Bibliotheken; aber jeder Versuch der Definition erfolgte und erfolgt vor dem Hintergrund seiner möglichen theoretisch-systematischen Implikationen, und spiegelt so in aller Regel bereits die intendierte, dann auf ihm aufzubauende Ontologie des Geistigen - sei sie eher reduktionistischer oder eher anti-reduktionistischer Ausrichtung - wider.
Dennoch tut der Versuch einer Begriffsbestimmung Not. Philosophische Wörterbücher listen unter „Bewusstsein” etwa die „Beziehung eines Wesens auf einen Wahrnehmungsgegenstand [...] sowie Zustand der Aufmerksamkeit, Wachheit” auf45, oder nennen Synonyme wie „Innewerden, Innesein, Gewahrsein, Für-mich-Sein, Erleben”46. Selbstbewusstsein wird dann als „Rückwendung des Bewusstseins zu sich selbst” bestimmt, „bei der das Erfahrungssubjekt sich sowohl seiner eigenen Zustände wie auch der Kontinuität seiner eigenen personalen Identität bewusst wird”47.
In etwas technischerer Sprache und unter wechselnden Begrifflichkeiten werden häufig intentionales - auf einen Gegenstand gerichtetes, letztlich durch seine funktionale Rolle charakterisierbares - und phänomenales - qualitatives, „experientielles” - Bewusstsein unterschieden; Chalmers spricht vom „psychologischen” und vom „phänomenalem” Geist, Ned Block spricht vom „Zugangsbewusstsein” (neben dem phänomenalen Bewusstsein).48 In der modernen Philosophie des Geistes strittiger Gegenstand ist insbesondere die letztere Form, das phänomenale, qualitative Bewusstsein, auf das etwa die Schlagworte „Gewahrsein” und „Erleben” der oben genannten Lexikoneinträge abzielen - wenngleich die strikte Trennung von intentionalem und phänomenalem Bewusstsein wahrscheinlich nicht vollständig aufrecht zu erhalten ist, da jede intentionale Bezugnahme, und letztlich jedes (auch nicht-ikonische) Denken, phänomenalen Charakter hat.49 Wenn in der vorliegenden Arbeit von geistigen Eigenschaften oder Prädikaten die Rede ist, sind damit immer auch phänomenale Eigenschaften gemeint.
Dennoch ist eine genaue Definition des Bewusstseins schwer fassbar („fruchtlos”, wie Chalmers schreibt50, ebenfalls Lexikoneinträge zitierend); über das genannte Appellieren an Intuitionen und Grunderfahrungen hinaus scheint es schwierig zu sein, das Charakteristikum des Bewusstseins auf den Begriff zu bringen. Ned Block hat, ein Louis Armstrong zugeschriebenes Zitat zum Jazz aufgreifend, auf die Frage nach einer Definition des qualitativen Bewusstseins einmal erwidert: „If you got to ask, you ain’t never gonna get to know.”51 Auch die eingangs zitierten schlagwortartigen Umschreibungen des Bewusstseins bei Strawson unterstützen die Idee einer Art unmittelbaren Vertrautseins mit dem Begriff, das dem sprachlich-definitorischen Einholen voraus ist: „Bewusstsein ist”, wie Strawson an anderer Stelle im Titel einer Kolumne formuliert, „kein Rätsel, es ist Materie” - und das Pronomen „es” bezieht er bei diesem doppeldeutigen Satz zwar auch, aber eben nicht primär auf das Bewusstsein, sondern auf das Rätsel: Nicht das Bewusstsein ist das Rätsel - dieses ist „das uns vertrauteste Ding, das es gibt” -, sondern die Materie.52
Es soll in der vorliegenden Arbeit der Grundgedanke geteilt werden, dass uns das bewusste Erleben unmittelbar vertraut und selbstverständlich ist, und ich möchte „Bewusstsein” hier einfach wie folgt verstehen: Bewusstsein meint das (phänomenale) Erleben der Welt aus einer Innenperspektive heraus, wie wir es, abgesehen vom traumlosen Schlaf, in jedem Moment unseres Daseins haben. Der Begriff des „phänomenalen” Erlebens soll dabei nicht auf Qualia im engeren Sinn - die Empfindung beim Wahrnehmen einer Farbe oder eines Geschmacks - beschränkt werden; auch Denken oder Handeln, beispielsweise, hat einen spezifischen phänomenalen Charakter53, und in diesem Sinn ist der Begriff des „phänomenalen Erlebens” tautologisch. Wenn man weiterhin, wie beispielsweise Sebastian Rödl in seinem Buch über Selbstbewusstsein, eine Theorie des Selbstbewusstseins versteht als „eine Theorie des Handelns, des Urteilens und der Erkenntnis”, kommt man schnell vom vermeintlich abgegrenzten Thema „Bewusstsein und Selbstbewusstsein” zum ganzen Panorama unserer (geistigen) Existenz.54 Daniel Wehinger hat ein Konzept des Selbstbewusstseins vorgelegt, das dieses ganz grundlegend an das (phänomenale) Bewusstsein bindet: Jedes Erleben, sagt er, beinhaltet als wesentlichen Bestandteil schon immer ein „minimales” Erleben meiner selbst.55 Selbstbewusstsein, so verstanden, rückt damit ins Zentrum der Bewusstseinsfrage; und jede Antwort auf diese muss auch vom Selbstbewusstsein einen Begriff geben.
Zuletzt ist der folgende Punkt wesentlich: Bewusstsein zu verstehen als das Erleben der Welt aus einer Innenperspektive heraus bedeutet auch - anknüpfend etwa an die Position Wehingers -, dass da jemand ist, der oder die diese Perspektive und diese Erlebnisse überhaupt erst hat und macht; das Rätsel, und die Selbstverständlichkeit, bewusster Erfahrung schließen immer ein, dass es auch ein Subjekt dieser Erfahrung gibt. Diesen Blick auf das Subjekt von Erfahrung hat etwa Martine Nida-Rümelin herausgearbeitet, und argumentiert, dass der eigentliche Kern oder kritische Punkt des Leib-Seele-Problems nicht primär das Auftauchen von „Qualia” ist, sondern das des bewussten Subjekts - auch wenn die „Standard-Sichtweise” der modernen Philosophie des Geistes, wie sie schreibt, ersteres na- helege.56 Die Frage nach dem bewussten Erleben ist also immer auch die Frage nach dem bewusst Erlebenden.
2.1.2 Materialistische Theorien des Bewusstseins
Wenn, wie oben gesagt, jede Begriffsbestimmung des Bewusstseins immer schon im Hinblick auf den jeweiligen ontologischen Stellenwert erfolgt, den dieses in der theoretischen Gesamtkonzeption von Geist und Materie dann zugewiesen bekommt, ist es sinnvoll, an dieser Stelle die wichtigsten dieser „Begriffsbestimmungen” mit kurzer Einordnung in den so gesetzten ontologischen Rahmen zu bezeichnen. Ich möchte also zunächst zwei gegensätzliche Ideen (der Einordnung) von Bewusstsein vorstellen, um in einem späteren Abschnitt der Frage nachzugehen, welchen genuinen Beitrag - im Gegensatz zu den genannten - panpsy- chistische Theorien zum Verständnis von Bewusstsein und Selbstbewusstsein leisten können.
Eine erste Idee der Begriffsbestimmung, und damit ein erster Versuch, eine ontologische Grundlage des bewussten Erlebens zu formulieren, die hier betrachtet werden soll, ist die Konzeption einer materialistischen Theorie des Bewusstseins. Ihr liegt eine monistische Sicht der Welt zugrunde: Alles, was existiert, ist letztlich und vollständig aus physischen Konstituenten - das heißt, aus physikalisch beschreibbaren Konstituenten: was immer die Physik letztlich als kleinste Bestandteile der Welt identifizieren wird - zusammengesetzt; und höherstufige Entitäten wie Tische und Stühle, Forschungsprojekte, Mozart-Sonaten und Präsidentschaftswahlen, und natürlich auch wir Menschen selbst mit all unseren Eigenschaften, sind auf diese Basis reduzierbar.
Es soll hier nun nicht die vielschichtige physikalistische Debatte im Detail reformuliert, und auch keine „Tour” auf der „Landkarte” der Philosophie des Geistes unternommen werden, um die verschiedenen Unterpositionen, die vielen „Ismen” innerhalb eines materialistischen ontologischen Rahmens vorzustellen und gegeneinander zu kontrastieren. Auch eine weiterführende Diskussion der potentiell problematischen Begriffe, die schon in den obigen kurzen einleitenden Sätzen nicht vermeidbar waren - etwa der Verweis auf eine Physik der Zukunft und das Wort „reduzierbar” - soll zunächst ausgeklammert werden. Ich möchte stattdessen nur mit einigen Strichen den Grundgedanken nachzeichnen, der den verschiedenen materialistischen Positionen zugrunde liegt und der ihre Anziehungskraft ausmacht.
Die Welt, wie wir sie kennen, und wie wir sie uns - in Wissenschaft und Alltag gleichermaßen - zu erschließen versuchen, ist eine prinzipiell verständliche Welt. „Verständlich” bedeutet hier nicht, dass wir tatsächlich alles in der Welt verstünden (nicht einmal den größeren Teil), aber es bedeutet, dass es grundsätzlich etwas zu verstehen gibt, dass die Welt prinzipiell verstehbar, eben verständlich, verfasst ist. Es handelt sich hierbei um eine ganz grundlegende Intuition: dass, was die natürlichen Abläufe in ihr anbelangt, in unserer Welt in einem bestimmten Sinn alles mit den sprichwörtlichen „rechten Dingen” zugeht.
Das bedeutet, dass die Phänomene in unserer Welt, auch wenn wir sie vielleicht anfangs nicht einordnen können, doch letztlich alle eine im weiteren Sinn vernünftige Erklärung haben; eine Erklärung, die die neuen Phänomene zu bereits bekannten in Beziehung setzt und durch Erläuterung zugrunde liegender Prinzipien deutlich macht, wie sie zustande kommen. Bei den „bekannten Phänomenen” und den „zugrunde liegenden Prinzipien” wiederum handelt es sich, unseren modernen Erkenntnisstand vorausgesetzt, um natürliche Phänomene und Prinzipien: Alles, was es (konkret) gibt, hat letztlich eine natürliche, und damit potentiell naturwissenschaftlich beschreibbare, Ursache und Erklärung.
Diese Einsicht stellt, um den Punkt des (besten) materialistischen Arguments noch einmal deutlich zu machen, nicht selbst eine naturwissenschaftlich bestätigte oder zu bestätigende Tatsache, oder die willkürliche Setzung einer Prämisse, dar, sodass der Vorwurf einer „petitio principii” erhoben werden könnte, sondern schlicht die systematische Entfaltung einer - im alltäglichen wie im wissenschaftlichen Denken - tief verwurzelten Intuition: dass alles, was geschieht, zumindest prinzipiell verständlich gemacht werden kann, indem es in einen Kontext bekannter, das fragliche Phänomen bedingender natürlicher Tatsachen eingeordnet wird. (Der Spaß an der Show eines Illusionisten besteht gerade darin, dass wir eigentlich wissen, dass die vorgebliche Übernatürlichkeit eben eine „Illusion” ist; und wenn uns die Unerklärlichkeit seltener Wetterphänomene fasziniert, dann wissen wir, dass es keine letzte Unerklärlichkeit ist, sondern nur ein gegenwärtiger Mangel an potentiell verfügbarer vernünftiger Erklärung in Begriffen natürlicher Phänomene.)
Dies gegeben, ist der Schritt zur Einordnung von Bewusstsein und Selbstbewusstsein ebenfalls als vollständig natürliche Phänomene nun nicht mehr weit; und die Schwierigkeiten des Ausbuchstabierens ihrer natürlichen Grundlage sind allenfalls der Komplexität der beteiligten (neuro-)biologischen Mechanismen geschuldet. Ob diese Komplexität jemals ganz transparent gemacht, ob eines Tages tatsächlich eine erschöpfend-vollständige Beschreibung des natürlichen Charakters bewussten Erlebens formuliert werden kann, ist ungewiss, aber auch letztlich unerheblich: Die Phänomene in unserer natürlichen Welt sind natürliche Phänomene - und eine etwaig bestehende Lücke der Erklärung gründet nicht in der Sache an sich, sondern in unserem, sei es nur gegenwärtig oder prinzipiell, eingeschränkten Blickwinkel. Bewusstes Erleben wird so identifiziert mit einem „physikalischen Prozess” und dem „Aktivitätszustand bestimmter Hirnareale”57 ; und der Charme einer konzeptionell sparsamen monistischen Ontologie verbindet sich mit der Überzeugungskraft des fortschrittlichnaturwissenschaftlichen Zugangs.
Materialistische Philosophien des Geistes, zumindest die besten unter ihnen, fassen hierbei die so vollzogene Verortung des Bewusstseins in der Natur im wesentlichen nicht als In-Frage-Stellung der eingangs beschriebenen „Selbstverständlichkeit” des Bewusstseins auf, sondern gewissermaßen als ihre Ausbuchstabierung: Bewusstsein und Selbstbewusstsein - und ebenso andere Bestandteile unseres Selbstbildes - werden durch die materialistische Erklärung nicht in ihrer Bedeutung relativiert; vielmehr werden sie durch diese erst verständlich, und die Naturalisierung von Geist und Bewusstsein kann uns so gerade helfen, die fraglichen Phänomene schärfer herauszuarbeiten und in ihren Feinheiten besser zu verstehen.58
Die Kritik der materialistischen Theorien des Bewusstseins, auf die ich nun kurz zu sprechen kommen möchte, entzündet sich an verschiedenen Punkten der geschilderten materialistischen Argumentation, und hat im wechselseitigen Austausch mit diesen Theorien ihrerseits eine Fülle an Sekundär- und Tertiärliteratur hervorgebracht. Auch diese Debatte kann hier nicht systematisch rekapituliert werden; ich möchte aber die wesentlichen Punkte nennen, um die argumentative Ausgangslage abzustecken, die dann den Hintergrund für die Diskussion panpsychistischer und -experientialistischer Ansätze bildet.
Die klingende Rede von „natürlichen” Phänomenen und „natürlichen” Tatsachen, so beginnt die Kritik am materialistischen Gedankengang und seinen Proponentinnen und Proponenten, hat zunächst einmal solange nur tautologischen Charakter, wie der Natur-Begriff nicht ausreichend geklärt ist - schließlich bestehen in aller Regel auch Substanzdualisten mit Nachdruck darauf, dass der Geist nichts „Unnatürliches” sei. Sobald bei der gebotenen näheren Begriffsbestimmung „natürlich” dann aber eine Identifizierung mit den (Agglomeraten von) kleinen materiellen und gänzlich unbewussten „Teilchen” - etwa der Physik, wie sie normalerweise verstanden wird - meint, müssen starke, gegen diese reduzierende Identifizierung sprechende und damit „antireduktionistische” Intuitionen und Argumente berücksichtigt werden.
Antireduktionistische Gedankenexperimente, ihre Kritik, und dann wieder ihre Präzisierung, Reformulierung und Weiterentwicklung mit dem Ziel einer Immunisierung gegen die anti-antireduktionistischen Einwände, haben die Debatte in der analytischen Philosophie des Geistes in den letzten Jahrzehnten mit bestimmt. Der antireduktionistischen Position liegt hierbei der Gedanke zugrunde, dass die subjektive „Art des Gegebenseins” eines Erlebnisses, das „Wie es sich anfühlt”, etwas zu erleben, nicht in den Begriffen der objektiven (Natur-)Wissenschaft fassbar und damit nicht auf sie reduzierbar ist.
Etwa Thomas Nagels bekannte Frage nach dem - wissenschaftlich in der Perspektive der dritten Person nicht adäquat beschreibbaren - qualitativen Charakter des subjektiven Erlebens einer Fledermaus, und Frank Jacksons Gedankenexperiment über die Wissenschaftlerin Mary, die trotz perfekten neurowissenschaftlichen Wissens etwas neues lernt, wenn sie eine neue Erfahrung macht, sind zwei wesentliche Argumente zur Explikation der antireduk- tionistischen Intuition: dass eine vollständige Beschreibung der physischen Gegebenheiten der Welt etwas Entscheidendes, nämlich subjektive Erfahrung oder phänomenales Bewusstsein, auslässt.59
Wichtig und viel beachtet ist auch Joseph Levines Diktum der „explanatorischen Lücke” zwischen physischen und geistigen (im Sinne phänomenaler) Eigenschaften - wenngleich
Levine, dem Materialismus zugeneigt, diese als erkenntnistheoretische, nicht als ontologische Lücke versteht.60 David Chalmers hat die Idee der Möglichkeit philosophischer „Zombies” - Wesen, die physisch, und auch in einem funktionalen Sinn psychologisch, perfekte Duplikate echter Menschen sind, denen aber jedes phänomenale Bewusstsein fehlt - als an- tireduktionistisches Argument in der Debatte populär gemacht.61
Eine Weiterentwicklung antireduktionistischer bzw. -physikalischer Gedankenexperimente stellt die oben bereits angesprochene fiktive Welt der „zellulären Automaten” bei Gregg Rosenberg dar; da es sich zugleich um ein pro-panexperientialistisches Argument handelt, möchte ich hier noch einmal explizit seine formale Struktur darstellen. Rosenberg skizziert sie wie folgt:
(1) Die fundamentalen Eigenschaften der zellulären Automaten sind - wie die Eigenschaften der kleinsten Teilchen in der Physik - rein relational definiert (sie bestehen, wie er sagt, aus „bloßen Unterschieden”: „an” ist definiert als „nicht aus”, und „aus” ist definiert als „nicht an”).
(2) Fakten über phänomenales Bewusstsein beinhalten Fakten über qualitativen (nicht rein relational definierbaren) Gehalt.
(3) Fakten über „bloße Unterschiede” können keine Fakten über qualitativen Gehalt enthalten.
(4) Daher sind (einige) Fakten über phänomenales Bewusstsein nicht in den Fakten der Life World der zellulären Automaten - d.i., nicht im materialistischen Paradigma dessen, was es gibt - enthalten.62
Rosenbergs Gedankengang, der ohne Spekulation über mögliche Welten auskommt, kombiniert gewissermaßen die beiden oben eingeführten Argumente für den Panpsychismus: das genetische Argument - die Entstehung geistiger Eigenschaften kann nur plausibel gemacht werden, wenn sie bereits auf niedrigster Stufe rudimentär angelegt sind - und das Argument der intrinsischen Naturen - die rein relationalen Eigenschaften, wie sie von der Physik beschrieben werden, benötigen einen intrinsischen Träger, und hierfür sind phänomenale Eigenschaften die naheliegenden, weil die uns einzig bekannten, Kandidaten. Auf einen Satz gebracht: Wenn es intrinsisch qualitative Fakten gibt - und es gibt sie -, dann kann eine physikalische Beschreibungsweise nicht alle Fakten einholen.
Zusammenfassend besteht die Schwierigkeit monistisch-materialistischer Konzeptionen des Geistes darin, mit einem inadäquaten Begriff des Bewusstseins operieren zu müssen und damit den Phänomenen, die uns täglich umgeben und die uns im wortwörtlichen Sinn ausmachen, nur unzureichend Rechnung tragen zu können. Wenn, in Absehung vom qualitativen Charakter subjektiven Erlebens, das Bewusstsein gleichgesetzt wird mit dem, was bei Chalmers als sein „psychologischer” Aspekt identifiziert wird - mit der rein funktionalen Rolle, die bewusste Prozesse in der Vermittlung zwischen In- und Output eines komplexen Systems spielen -, dann gehen Diskussion und Argumente am eigentlichen Thema und Streitpunkt, dem phänomenalen Erleben der Welt aus einer Innenperspektive heraus, vorbei.
Jaegwon Kim hat, im Zusammenhang mit dem Problem der mentalen Verursachung, einmal von der Gefahr des „killing the patient in the process of curing him” gesprochen; an anderer Stelle hat er die Rede von der „Vietnam-Metapher” geprägt - vom „saving a village by destroying it”: Das Mentale, das eigentlich in seiner Existenz und seiner Wirkkraft gewürdigt und erklärt werden soll, wird gerade dadurch seitens reduktionistischer Ansätze an den Rand der Negation gedrängt.63 Materialistische Philosophien des Geistes laufen also Gefahr, trotz allem anfangs zumeist bekundeten Willen, die „Natur des Geistes”, und nicht seine Aufhebung, zur Sprache zu bringen, dem Eliminativismus nahe zu kommen - eine Konsequenz, die schon Joseph Levine in seinem „explanatory gap”-Paper am Schluss explizit bezeichnet.64
Hier schließlich etwas unvermittelt angekommen, stellt sich die Frage, wie es, sozusagen, so weit kommen konnte: Ausgangspunkt der Überlegungen war die selbstverständliche Vertrautheit mit der Tatsache unseres täglichen Erlebens und die Vertrautheit mit uns selbst als Subjekten dieses Erlebens - und der materialistische Erklärungsversuch führt letztlich zur größtmöglichen Marginalisierung, einer Art ausgeprägten „Mis-Wertschätzung”, des zur Frage stehenden Phänomens: seiner Negation. Bewusstsein und Selbstbewusstsein haben damit nichts, wie eingangs charakterisiert, „Selbstverständliches” mehr, sondern werden zu Chimären - zu Begriffen, die sich auf nichts in der Welt beziehen, und früher oder später durch eine andere, mutmaßlich im Vokabular der Physik gehaltene, Beschreibung der
Welt ersetzt werden. Gedanken und Wünsche, Empfindungen, Überzeugungen und Handlungen existieren im materialistisch konsequent zu Ende gedachten Weltbild nicht - eine wahrscheinlich selbstwidersprüchliche, mit Sicherheit aber praktisch unannehmbare Konsequenz.
Kim hat angesichts der Schwierigkeiten reduktionistischer Erklärungsversuche des phänomenalen Bewusstseins, bei Anerkenntnis des Bedürfnisses nach einer adäquaten Würdigung des Geistigen, das Schlagwort „physicalism, or something near enough” zum etwas nachdenklich erscheinenden Titel seines resümierenden Buchs über den Stand der analytischen Philosophie des Geistes am Beginn des neuen Jahrtausends gemacht65 - wenngleich er natürlich weiterhin Physikalist bleibt.
Die Schwierigkeiten der materialistisch-monistischen Philosophien des Geistes bilden die Brücke zum dualistischen Gegenentwurf, der nun im folgenden Abschnitt zur Sprache kommen soll.
2.1.3 Dualistische Theorien des Bewusstseins
Der zweite Versuch einer Antwort auf die Frage nach der richtigen Explikation des Verhältnisses von geistigem Erleben und materieller Welt, den ich hier im Grundzug nachzeichnen möchte, und der gegensätzlich zum beschriebenen monistisch-materialistischen Ansatz steht, ist die Konzeption einer Philosophie des Geistes im Rahmen einer dualistischen Ontologie.
Ihr Grundgedanke hat die folgende Struktur. Die Welt, wie wir sie kennen, und wie wir sie gar nicht anders denken können, ist gekennzeichnet durch das Nebeneinander zweier Arten von Erfahrung von uns selbst: Wir erfahren uns, auf der einen Seite, als physische Körper, die in Wechselwirkung stehen mit anderen physischen Körpern oder Objekten, und die sich, von einem externen Standpunkt, nach den Regeln und Gesetzmäßigkeiten, wie sie die Naturwissenschaften beschreiben, verstehen lassen.66 Auf der anderen Seite erfahren wir uns, mit gleicher oder vielleicht noch größerer Gewissheit der Erfahrung, als Zentrum, als Subjekt eines geistigen Erlebens und Handelns: mit Gedanken und Wünschen, Affekten, Absichten und Spontaneität.
Dieser Dualität der Erfahrung, so sagt nun die dualistische Position, kann nur dann adäquat Rechnung getragen werden, wenn sie nicht als bloß oberflächliche Erscheinung und ein Stück weit als Trugbild gewertet und verstanden wird, das keine Entsprechung in der tiefen Struktur unserer Wirklichkeit findet. Der Dualität der Erfahrung, wie wir sie unweigerlich erleben, muss vielmehr, wenn wir sie ernst nehmen, ein ontologischer Stellenwert zugebilligt werden; der subjektiven Perspektive, wie sie im ersten Abschnitt des Kapitels kurz nachzuzeichnen versucht wurde, ist ein eigener Bereich der Wirklichkeit einzuräumen, sodass zu den räumlich-ausgedehnten materiellen Entitäten mit gleicher Berechtigung nichträumliche geistige hinzukommen; dass, in einem Satz, der Dualität der Perspektiven - der (subjektiven) der ersten Person, und der (objektiven) der dritten Person - eine Dualität des Seins entspricht.
Das Bedürfnis nach Überwindung des inadäquaten Bewusstseinsbegriffs, wie er für die materialistischen Philosophien des Geistes am Ende des letzten Abschnitts konstatiert wurde, bildet hierbei den Ausgangspunkt der dualistischen Ontologie; unsere tiefliegenden und auch de facto nicht aufgebbaren Intuitionen hinsichtlich der Realität mentaler Gegenstände und unseres Status als erlebende Subjekte, so ihre Proponentinnen und Proponenten, können nur im Rahmen einer dualistischen Philosophie des Geistes ausreichend eingeholt werden. Indem der Dualismus geistige Entitäten als Phänomene „sui generis”, als eine eigene und nicht auf materielle Zusammenhänge reduzierbare Explikation verdienende Bestandteile unserer Wirklichkeit anerkennt, können das Bewusstsein und sein eigentliches, „schwieriges” Problem überhaupt erst richtig in den Blick geraten, und die materialistische Verengung auf „Bewusstsein” als rein funktionelles Relais zwischen Input und Output eines komplexen Systems vermieden werden.
Die oben geschilderten antireduktionistischen Gedankenexperimente bringen damit die dualistische Grundüberzeugung gewissermaßen argumentativ auf den Punkt; und haben, aus dualistischer Sicht, nur eine einzig mögliche Konsequenz: Wenn geistige Phänomene nicht auf materielle Strukturen rückführbar sind, dann muss eine eigene, zweite ontologische Kategorie - eben die Kategorie des Geistigen - angenommen werden.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der dualistischen Intuition kann wie folgt zum Ausdruck gebracht werden. Wenn wir die Art und Weise, auf die wir uns selbst als phänomenal erfahrende und mit sich selbst über die Zeit identische Subjekte erleben, und die Vorannahmen, die ihr zugrunde liegen, begrifflich etwas genauer unter die Lupe nehmen, wird deutlich, dass die Idee eines über materielle (und psychologische) Eigenschaften hinausgehenden Garanten personaler Identifizierung unabkömmlicher impliziter Bestandteil unseres intuitiven Selbstverständnisses ist: Ein Ernstnehmen der Perspektive der ersten Person bedeutet die Akzeptanz einer realistischen, nicht-reduktiven Auffassung hinsichtlich der personalen Identität erlebender (und handelnder) Subjekte.67
Diesen etwas abstrakt formulierten Gedanken erläutert Martine Nida-Rümelin an einem greif baren Beispiel. Ein Kind stellt sich die Frage, was passiert wäre, wenn bei seiner Zeugung die Befruchtung der Eizelle einen Monat früher stattgefunden hätte: Gäbe es das Kind dann gar nicht, da es überhaupt nicht seine Zeugung gewesen wäre, oder wäre es einfach etwas früher zur Welt gekommen, und mit einer anderen genetischen Ausstattung und entsprechend anderen Eigenschaften? Es geht hier nicht um die Frage, welche der beiden Möglichkeiten richtig ist - wohl die erste -, sondern es geht darum, inwiefern die Alternative zwischen beiden überhaupt verständlich ist: wäre ich (nur) mit anderen Eigenschaften, oder wäre ich gar nicht zur Welt gekommen? Die Alternative ist, aus der Perspektive der ersten Person, buchstäblich existentiell - vom Standpunkt der dritten Person aus wird man sie aber als sinnlos und als „leere Frage” abtun. Hat man aber den intuitiv fassbaren Unterschied zwischen den beiden Alternativen zugegeben - und, so würde man aus dualistischer Sicht sagen, diesen Unterschied gibt es, wenn wir ehrlich sind, und unsere Intuitionen nicht bereits im Lichte ihrer möglichen ontologischen Implikationen und Komplikationen revidieren - ist der entscheidende Punkt in Richtung einer substanzdualistischen Unterscheidung zwischen (geistigem) Subjekt und (materiellem) Körper gemacht.68
Eine ehrliche Analyse dessen also, was wir implizit voraussetzen, wenn wir über uns selbst nachdenken, legt als nicht hintergehbare Voraussetzung einen sich der (materialistischen) Reduktion versperrenden „Blick von innen” offen; eine Explizierung der Intuitionen des alltäglichen Erlebens macht ein Ernstnehmen der Perspektive der ersten Person, neben derjenigen der dritten Person, notwendig - und dieser epistemische Dualismus oder „Perspektivendualismus” kann am besten eingeholt werden im Rahmen eines ontologischen Dualismus. Es kann also, könnte man von dualistischer Seite in Abwandlung eines Habermas’schen Diktums sagen, nicht darum gehen, „den epistemischen Dualismus mit einem ontologischen Monismus zu versöhnen”69, sondern muss umgekehrt Ziel sein, die Perspektive der ersten mit derjenigen der dritten Person zu versöhnen - und zwar in Form einer Theorie, die die beiden gleichberechtigt und nicht-reduktiv nebeneinander stellt; das bedeutet: beiden einen ihnen jeweils eigenen Bereich der Wirklichkeit einzuräumen.
Eine positive Rede von den geistigen Entitäten innerhalb dualistischer Ontologien ist allerdings nicht ganz einfach, wenn falsche Analogien zum Materiellen vermieden werden sollen; auch die oben bemühte Rede von „mentalen Gegenständen” fällt hierunter. Vielleicht trifft es der Begriff der „Phänomene” am besten: Dualismus meint, dass es schlicht neben den materiellen auch geistige Phänomene gibt; Phänomene, die - je nach Stärke der vertretenen Position - nicht vollständig physisch oder nicht wenigstens teilweise physisch sind. Bei diesen „Phänomenen” kann es sich um mentale Eigenschaften, Ereignisse oder Substanzen handeln.70
Bezogen auf die „stärkste” Klasse geistiger Phänomene, auf geistige Substanzen - Subjekte von Erfahrung, Personen -, bedeutet ein Vermeiden falscher Parallelen zu materiellen Dingen etwa die Klarstellung, dass diese nicht als nicht-ausgedehnt zu betrachten sind, sondern vielmehr der Begriff der räumlichen Ausdehnung in Anwendung auf Subjekte von Erfahrung schlichtweg keinen Sinn ergibt.71 Alles andere - eine Darstellung dualistischer Vertreterinnen und Vertreter als Postulierende von aus nicht-materiellem Stoff zusammengesetzten Geistern, die irgendwie in oder neben dem Körper schweben - ist nurmehr eine Karikierung und voreingenommene Verzerrung der dualistischen Position. Der Dualismus, im Gegenteil, ist diejenige Position in der Philosophie des Geistes, die die tiefen und im Vollzug unseres alltäglichen Denkens und Handelns nicht aufgebbaren Intuitionen über uns selbst am besten bedient.72
Es gibt erhebliche Schwierigkeiten für die dualistische Position, insbesondere sind zwei zu nennen: die Frage nach der Genese des Geistes und das Thema der mentalen Verursachung.
Die Problematik der Frage nach der Genese des Geistigen wurde oben bereits angesprochen; sie ist die Motivation etwa hinter dem „genetischen Argument” für den Panpsychismus. Sie stellt sich für viele Positionen in der Philosophie des Geistes, für dualistische aber im besonderen: Wie sind mentale Phänomene aus (offensichtlich) unbelebter Materie entstanden - erst recht, wenn, wie im Dualismus, das Mentale in so starkem Kontrast zum Materiellen verstanden wird?
Nach dualistischer Auffassung sind mentale Phänomene charakteristischerweise auf einen sehr eng umschriebenen Bereich der Wirklichkeit begrenzt; der weit überwiegende Großteil unserer Welt (in der räumlichen wie in der zeitlichen Dimension) ist mit dem materialistischmonistischen Paradigma ganz zutreffend und auch erschöpfend erfasst. Evolutionär gesehen bedeutet dies, dass es eine (sehr lange) Zeit gegeben hat, in der nur die eine Hälfte der dualistischen Ontologie - die materielle - überhaupt existiert hat. Irgendwann plötzlich tat sich dann eine radikal andere Dimension der Wirklichkeit auf: Erfahrungen, Erlebnisse wurden gemacht, und waren plötzlich Bestandteil der ontologischen „Ausstattung” der Welt - und mit ihnen notwendigerweise erlebende Subjekte. Schließlich, und weil die Ontogenese ein Stück weit der Phylogenese ähnelt, kommt es auch bei der Entstehung eines jeden Individuums immer wieder zu solch einer „creatio ex nihilo”: Auf einmal ist eine nicht-materielle Entität, ein erlebendes Subjekt, da.
Der Blick auf diese Entstehung des Geistes in der Geschichte eines jeden individuellen Lebewesens legt noch einmal besonders die Schwierigkeiten des dualistischen Erklärungsmodells offen: Die Idee, dass das Gehirn des werdenden Lebens - in einem zunächst vollständig nach deterministischen Naturgesetzen ablaufenden materiellen Prozess - als notwendige und (wahrscheinlich) hinreichende Bedingung für mentales Erleben sich sein Subjekt „erschafft”, um ab diesem Punkt dann Eingriffen dieses Subjekts in seine, sich zuvor selbst genügende, Kausalstruktur ausgesetzt zu sein, erscheint nur schwerlich intelligibel zu machen. Die Vorstellung, anders gesagt, dass zu der in sich geschlossenen materiellen Welt im Laufe der Evolution noch substantiell andere, geistige, Entitäten hinzukamen, die dann auf erstere zurückwirkten und die vormals herrschende Geschlossenheit auf irgendeine Weise aufbrachen, ist wohl nur um den Preis einer erheblichen systematischen Unstimmigkeit in eine Theorie der Ontologie des Geistigen und der Welt integrierbar.
Hierin - in der fraglichen Rück- und Einwirkung des Geistes auf seine materielle Grundlage - besteht auch das zweite substantielle Problem dualistischer Philosophien des Geistes: ihre Schwierigkeit, eine plausible Theorie mentaler Verursachung zu formulieren. Schon Descartes - der prototypische Vertreter des viel kritisierten interaktionistischen Dualismus - beschrieb die Wechselwirkung zwischen Geistigem und Materiellem als „nur dunkel durch das Begriffsvermögen allein” zu erkennen; wohingegen „diejenigen, die niemals philosophieren [...], nicht daran zweifeln, daß die Seele den Körper bewegt, und daß der Körper auf die Seele wirkt”.73 Die Erklärung und das Plausibel-machen eines Sachverhalts „durch das Begriffsvermögen allein” sind allerdings durchaus der Anspruch an eine philosophische Theorie.
Die wechselseitige Einflussnahme von Körperlichem und Geistigem ist eine uns aus dem Alltagsleben völlig selbstverständlich vertraute Tatsache - wie in Descartes’ Zitat ja gut zum Ausdruck gebracht -; und wahrscheinlich ist sie eine nicht ohne letztlich unhaltbaren per- formativen Selbstwiderspruch bestreitbare Grundannahme unseres Denkens und Handelns. Bei der genauen Explikation dieser Einflussnahme - insbesondere in ihrer psycho-physischen „Richtung”, d.h. bei der mentalen Verursachung - steht dieser intuitiven Vertrautheit jedoch ein Abgrund an theoretischen Problemen gegenüber, der, neben der Frage des qualitativen Bewusstseins und gleichzeitig mit ihr verknüpft, das Leib-Seele-Problem so schwierig und vielleicht unlösbar macht.
Wie kann ein mentales Ereignis, etwa eine propositionale Einstellung zu einem bestimmten Sachverhalt oder eine konkrete Empfindung wie ein Schmerzerlebnis, eine Veränderung in der physischen Welt bewirken, wie kann ich - sofern ich, dualistisch gedacht, nicht identisch mit meinem Körper oder einem Teil von ihm bin - eine Veränderung in der physischen Welt bewirken? Die Annahme, dass, wenn wir einmal die Kette der physischen Ereignisse zurückverfolgen, die etwa in einer willentlichen Körperbewegung münden, wir immer eine Beschreibung dieses Vorgangs allein in Termini der Physik und Physiologie formulieren können, die vollständig hinreichende Ursachen für die Körperbewegung - d.h., die Veränderung in der physischen Welt - beinhaltet, hat eine hohe Plausibilität; und diese Plausibilität wurzelt nicht primär etwa in einem möglicherweise überzogenen Geltungsanspruch szientistischer Erklärungsmodelle, sondern trifft ihrerseits wesentliche unserer Intuitionen darüber, wie es sich in der Welt verhält.
Es ist anzunehmen, dass sich immer vorausgehende, rein physische Ursachen finden werden, die das Nachfolgende notwendig machen und zugleich hinreichend erklären; und mentale „Ereignisse” oder „Zustände”, und erst recht geistige Subjekte, kommen in dieser Beschreibung der Abläufe nicht vor. Mehr noch, sie sind erst gar nicht nötig, muss man sagen, und zwar nicht nur aufgrund der faktischen Gegebenheit, dass wir hinreichende ausschließlich physische Ursachen angeben können, sondern es ist schon allein konzeptionell schwierig, anzugeben, wo denn „geistige Entitäten” eingreifen müssten, sofern sie es täten.
Dualistische Theorien müssen so darüber spekulieren, wie das Geistige, das in so starker Verschiedenheit zum Materiellen konzipiert wird, auf dieses einwirken kann. Descartes vertrat die Auffassung, dass das (unpaar angelegte) Pinealorgan in besonderem Maße mit der Seele und ihrer Wirkung auf den Körper zu tun hätte; diese - empirische - Hypothese ist heute naturwissenschaftlich überholt. Modernere Substanzdualismen verorten - wenn sie überhaupt eine positive Theorie der mentalen Verursachung probatorisch formulieren - die kausalen Kräfte des Geistes eher im Dunkel indeterministischer quantenphysikalischer Prozesse (etwa in der Modifikation der Wahrscheinlichkeit der Transmitter-Freisetzung bestimmter neokortikaler Neurone durch mentale Zustände), die die Quadratur des Kreises mit Wahrung sowohl der physikalischen Erhaltungssätze als auch einer genuinen und nichtreduzierbaren mentalen Verursachung ermöglichen sollen.74
Man muss generell allerdings festhalten, dass das Bewusstsein für die Schwierigkeiten in- teraktionistischer Dualismen nur bedingt mit dem (natur-)wissenschaftlichen Fortschritt zusammenhängt: Schon Descartes war mit seinem Modell, verglichen mit anderen (nicht- interaktionistischen) dualistischen Positionen seiner Zeit - etwa mit Malebranches Okkasionalismus oder Leibniz’ Parallelismus -, in der intellektuellen Minderheit; erstaunlicherweise waren seine Zeitgenossen augenscheinlich eher bereit, die unserem Alltagsempfinden so selbstverständliche Realität der mentalen Verursachung aufzugeben, als die scharfe Trennung zweier ontologisch verschiedener Klassen von Substanzen in Zweifel zu ziehen.75
Zusammenfassend, können dualistische Theorien von Geist und Materie unsere grundlegenden Intuitionen über die geistigen Phänomene in unserer Welt und über uns selbst besser bedienen als ihre materialistischen Gegenpositionen, die im reduktionistischen Unternehmen letztlich das eigentliche Phänomen, um das es geht, aus den Augen verlieren; zugleich offenbaren sie aber erhebliche systematische Schwächen bei der genauen Ausbuchstabierung eben dieser dualistischen Grundintuition. In die eine oder die andere Richtung, scheint es, müssen die Ansprüche reduziert werden: Das intuitive Grundverständnis unserer selbst ist offenbar in wesentlichen Punkten nicht versöhnlich mit einem einheitlichen und systematisch stimmigen Bild der Welt, das uns selbst als ihr natürlicher Teil einschließt.
2.1.4 Higher-order-Theorien von Bewusstsein und Selbstbewusstsein
Für diesen Teil abschließend, soll nun noch ein weiterer, gewissermaßen übergeordneter Versuch der Einordnung von Bewusstsein und Selbstbewusstsein diskutiert werden: Die Einordnung und Erklärung bewusster Phänomene im Rahmen sogenannter Theorien der höheren Ordnung. Es handelt sich hierbei um primär philosophische Theorien des Bewusstseins, wenngleich die „higher-order”-Theorien auch in der empirischen Debatte um (die neurona- len Korrelate von) Bewusstsein eine wichtige Rolle spielen, da sie einige prinzipiell experimentell testbare Hypothesen enthalten.76
Auch wenn die Gruppe der Erklärungsversuche des Bewusstseins im Rahmen der Theorien der höheren Ordnung heterogen ausfällt, gibt es eine ihnen gemeinsame, grundlegende Vorstellung: dass ein mentaler Zustand dadurch bewusst wird, dass er begleitet ist von einem mentalen Zustand höherer Ordnung, der diesen ersten mentalen Zustand in irgendeiner Form „zum Inhalt hat” oder „repräsentiert” - und ihn dadurch eben bewusst macht. Eine ontologische Vorentscheidung hinsichtlich des Status bewusster Phänomene ist hierbei noch nicht notwendig getroffen, wenngleich die Theorien der höheren Ordnung zumeist Erklärungsmodelle des Bewusstseins in einem materialistisch-reduktionistischen Rahmen bereitstellen.
Hinsichtlich der genaueren Bestimmung des mentalen Zustands höherer Ordnung, der den mentalen Zustand erster Ordnung repräsentiert und dadurch zu Bewusstsein bringt, sind mehrere Unterformen einer Theorie der höheren Ordnung formuliert worden. David Rosenthal hat eine Theorie der höheren Ordnung vom Typ „higher-order thought” vertreten, der zufolge es ein Gedanke höherer Ordnung ist, der einen mentalen Zustand bewusst macht, indem dieser den Gedanken der höheren Ordnung verursacht und zugleich dessen Gegenstand ist.77 David Armstrong hat für eine „higher-order perception”-Theorie argumentiert, nach der eine innere Wahrnehmung erststufiger mentaler Zustände zu einer Bewusstwerdung dieser Zustände führt.78 Solchen und ähnlichen Ansätzen liegt die Vorstellung einer gewissermaßen „gestuften Reduktion” zugrunde: Bewusstsein wird verstanden als eine Art gerichteter Aufmerksamkeit, die wiederum mit Repräsentation identifiziert wird. Eine Repräsentationsbeziehung geht vollständig in funktionellen Zusammenhängen auf, die wiederum ohne wesentlichen Rest auf ihre materiellen Korrelate reduziert werden können.
Über die Theorien Rosenthals und Armstrongs hinaus sind auch selbstrepräsentationa- le Theorien der höheren Ordnung bewusster und selbstbewusster Phänomene formuliert worden: Nicht numerisch verschiedene mentale Zustände konstituieren durch Repräsentation Bewusstsein, sondern ein mentaler Zustand repräsentiert sich auf eine gewisse Weise selbst gegenüber seinem Subjekt, und wird diesem dadurch bewusst.79 Selbstrepräsenta- tionale „higher-order”-Theorien charakterisieren damit die Beziehung zwischen dem zu Bewusstsein kommenden mentalen Zustand und dem mentalen Zustand höherer Ordnung als konstitutiv oder intern.80
Eine Kritik dieser genannten - materialistischen - Spielarten der Theorien der höheren Ordnung knüpft in der Regel an an die im vorangegangenen Abschnitt beschriebene „ex- planatorische Lücke”: Auch eine noch so komplexe Anordnung sich gegenseitig oder sich selbst repräsentierender, über funktionale Rollen definierter „Zustände” kann den qualitativen Gehalt des phänomenalen Bewusstseins nicht erklären; zumindest so lange nicht, wie diesen eben jedes qualitative Bewusstsein fehlt. Hierzu passt, dass „higher-order”-Theorien häufig auf „conscious awareness” im Sinne von Zugangsbewusstsein abzielen.81 Der behaupteten Erklärung des Bewusstseins durch (Selbst-)Repräsentation liegt somit eine Verwechslung von psychologischem und phänomenalem Bewusstsein (in den Begriffen Chalmers’) bzw. ein „(phenomenal) consciousness neglect” (in den Worten Siewerts) zugrunde.82 Darüber hinaus lässt sich einwenden, dass die Theorien der höheren Ordnung hinsichtlich des Selbstbewusstseins an ihren eigenen Voraussetzungen scheitern: Sie setzen, in der fremd- wie in der selbstrepräsentationalen Variante, einen rudimentären Begriff des Selbstbewusstseins voraus, den sie in ihrem eigenen theoretischen Rahmen nicht einholen können.83 Dieser Kritik Rechnung tragend, sind daher auch nicht-reduktive Theorien der höheren Ordnung formuliert worden: David Chalmers hat mit Bezug auf Frege für einen „schmalen” Reprä- sentationalismus argumentiert, der eine Reduktion phänomenaler und intentionaler Eigenschaften jeweils aufeinander ablehnt.84
Eine konkrete empirische Theorie des Bewusstseins, die Elemente einer Theorie der höheren Ordnung aufweist und die ich hier ansprechen möchte, da sie auch philosophischerseits rezipiert wurde, ist die vor allem von Giulio Tononi formulierte „integrated information theory” (IIT). Gemäß der IIT bilden physische Systeme genau dann die Basis für die Entstehung von Bewusstsein, wenn sie ein Netzwerk darstellen, das funktionelle Spezialisierung mit funktioneller Integration verbindet. Information wird definiert als Reduktion von Unsicherheit, dem Unterscheiden zwischen (vielen) Alternativen; und das Ausmaß der so bestimmten Information, zusammen mit dem Ausmaß der Integration dieser Information (inwiefern die in einem Ganzen enthaltene Information über die seiner Teile hinaus geht) bestimmt den Grad an Bewusstsein.85
Tononis im einzelnen sehr technische Theorie entwickelt ein empirisch berechenbares Maß für die integrierte Information, 0, das eine Aussage sowohl über die Quantität als auch die Qualität der bewussten Erfahrung des betreffenden Systems zulässt. Glaubt man der IIT, können so sowohl bekannte, aber zunächst vielleicht unverständlich erscheinende Phänomene - etwa die Tatsache, dass das Kleinhirn trotz großer Quantität und Komplexität der Nervenzellen keinerlei Basis für bewusstes Erleben darzustellen scheint - erklärt, als auch konkrete Vorhersagen über uns unbekannte bewusste Phänomene - etwa über den geistigen Status Neugeborener oder von Patienten im Koma, sogar über mögliche Empfindungen von Maschinen - potentiell getroffen werden.
Die Theorie der integrierten Information, die einen Funktionalismus in der Leib-SeeleDebatte explizit abgelehnt und zugleich zumindest Sympathien für einen Panpsychismus erkennen lässt86, wird im folgenden Kapitel noch einmal aufgegriffen, und bildet die Brücke zum nächsten Abschnitt.
2.2 Panpsychistische Beiträge zum Verständnis von Bewusstsein und Selbstbewusstsein
Eventually one begins to realize that, to solve the puzzle of conscious experience, we may have to view the project as being more like trying to solve a sliding tile puzzle [...]. To fit the final pieces in place, one has to regress first and then rebuild the old order from a new direction [...]. The irony is that the hard-won old order would eventually reappear within a more completely ordered context, if only the puzzle solver could find the strength to first challenge it and, temporarily, relinquish it.
— Gregg Rosenberg, A Place for Consciousness
2.2.1 Die Würdigung des Mentalen
Welche Beiträge können panpsychistische Konzeptionen des Verhältnisses von Geist und Materie für ein adäquates Verständnis der Phänomene von Bewusstsein und Selbstbewusstsein leisten, und welche Vorstellung davon, wie sich geistige Attribute in die (natur-)wissen- schaftlich beschreibbaren materiellen Abläufe der Welt einfügen, bieten sie an? Das Versprechen des Panpsychismus umfasst nichts weniger, als dass, wie Gregg Rosenberg sagt, die „Ordnung” unserer Welt auf eine neue Basis gestellt wird, zugleich aber durch diese neue Basis die Erklärung der natürlichen Abläufe der Welt nach der „alten Ordnung” nicht aufgehoben wird.87 Rosenbergs Klassifikation seiner Position als liberalen Naturalismus bringt es zum Ausdruck: dass hier ein dem Anspruch nach vollständig naturalistischer Ansatz formuliert wird, der zugleich die Engführungen einer reduktionistischen Konzeption des Mentalen zu vermeiden sucht.
Eine erste, klare Antwort panpsychistischer Theorien auf die Frage nach ihrem Beitrag zum Verständnis von Bewusstsein und Selbstbewusstsein ist damit die folgende: Sie treten ein für eine maximale Wertschätzung oder Würdigung der zur Frage stehenden Phänomene. Ein realistisches, d.h. nicht-reduktives Verständnis des (phänomenalen) Bewusstseins ist geradezu der Ausgangspunkt panpsychistischer bzw. -experientialistischer Ansätze: Phänomenale Fakten gehören zu den grundlegenden Fakten unserer Welt; und alle Entitäten des Universums, bis hinunter zu den kleinsten Bausteinen, haben mentale - im Sinne: phänomenaler - Eigenschaften.
Galen Strawson nennt, wie ganz zu Beginn des Kapitels zitiert, das Faktum des Bewusstseins den „obligatorischen Startpunkt” einer jeden philosophischen Theorie, die sich nicht schon von vorne herein selbst widersprechen möchte; David Ray Griffin spricht von einem „Subjektivismus im guten Sinn”, der eine Anerkennung der Tatsache meint, dass stets unsere eigene subjektive Erfahrung am Beginn der Analyse dessen stehen sollte, was es gibt und „wie die Dinge wirklich sind”.88 Philip Goff spricht sich, im ähnlichen Sinn, für das qualitative Bewusstsein als „epistemologischen Startpunkt”, auf gleicher Höhe mit empirischem Wissen aus Versuch und Beobachtung, aus.89
Panpsychismen implizieren in ihrem realistischen Verständnis des Bewusstseins damit einen klaren Antiphysikalismus: Eine Beschreibung rein der physikalischen Gegebenheiten unserer Welt zeichnet kein vollständiges Bild von dem, was existiert; die Welt erschöpft sich nicht in den mikrophysikalischen Eigenschaften der kleinsten Teilchen und den makrophysikalischen ihrer Aggregate. (Dies gilt zumindest für das „typische” Verständnis des Physi- kalismusbegriffs - dieses abwandelnd sprechen Griffin und Strawson von ihrer, im obigen Sinn antiphysikalistischen, Position als „panexperientialistischem Physikalismus” bzw. „realistischem Physikalismus”.90 )
Wo werden in panpsychistischen Entwürfen also die geistigen Entitäten, Phänomene, „Gegenstände”, die als nicht rückführbar auf Physisches betrachtet werden, verortet? Das Bestreben, den angemessenen „Ort des Bewusstseins in der Natur” zu bestimmen, ist wesentlich für viele Panpsychismen; und die erste buchstäbliche Verortung des Geistigen wurde oben bereits angesprochen: Geistige Eigenschaften sind die inneren Träger, die intrinsischen Naturen der - in der Naturwissenschaft beschriebenen - formalen Struktur unserer Wirklichkeit.
Hier orientieren sich panpsychistische Ansätze an einer Grundidee, die, zurückgehend auf den Mathematiker und Philosophen Bertrand Russell, unter dem Prädikat des „Rus- sell’schen Monismus” firmiert: Die Physik, und die anderen Naturwissenschaften, hat und haben nur die funktionale Rolle zum Thema, die die physischen Eigenschaften im Wechselspiel ihrer komplexen Interaktionen erfüllen; sie studieren die Materie gewissermaßen von einem äußeren Standpunkt. Die sogenannten „quiddities” hingegen - „Was-heiten”, wenn man so möchte, im Gegensatz zu den Wie-heiten der funktionalen Rollen - sind kein Gegenstand der naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise. Diese nicht über ihre relationale Rolle, sondern eben intrinsisch definierten Eigenschaften der Materie bilden das „Was”, das Wesen, die innere Natur der Materie - und es ist naheliegend, dass entweder alle oder zumindest einige „quiddities” mentale Eigenschaften sind. Das Mentale wird also verortet an einem zentralen und fundamentalen Platz in der Welt; als Basis und Begründung der extrinsischen Eigenschaften der Materie, wie sie die Physik exploriert.
Gregg Rosenberg ist einer derer, die diesem Gedanken systematisch nachgehen. Er hat, wie oben bereits angesprochen, eine Verbindung hergestellt zwischen dem Problem des Bewusstseins und der Frage der Kausalität; phänomenale Eigenschaften, sagt er, sind die intrinsischen Träger eines jeden Verursachungsprozesses. Rosenberg entwirft so zunächst eine Theorie der Verursachung91: Er unterscheidet hierbei die „klassische“ Idee kausaler Verantwortlichkeit („responsibility”) von der - von ihm präferierten - Idee kausaler Bedeutsamkeit („significance”), und entwickelt so ein neues Paradigma von Kausalität. Verursachung sollte nicht primär als Wirkung produzierend gedacht werden, sondern als eine Beschränkung der möglichen Zustände der Welt. Die entscheidende Frage, dem Gedanken der kausalen Bedeutsamkeit folgend, lautet dann nicht mehr: Warum gibt es überhaupt etwas, und nicht vielmehr nichts?, sondern: Warum gibt es (nur) etwas, und nicht vielmehr alles?92 So sieht Rosenberg nicht etwa in dem häufig betrachteten Aufeinandertreffen zweier Billard-Bälle einen paradigmatischen Fall von Verursachung, sondern eher in zwei Münzen, die immer zusammen geworfen werden, und die immer beide die gleiche Seite zeigen müssen. Obwohl so jede Münze für sich genommen sowohl auf Kopf als auch auf Zahl landen kann, beschränken sie sich doch in dem Sinne gegenseitig, dass nicht eine Münze auf Kopf und die andere auf Zahl landen kann: „the state of each has causal significance for the other”.93
In seiner Analyse des kausalen Nexus unterscheidet Rosenberg weiterhin zwei Bestandteile, zwei Typen von Eigenschaften der beteiligten Individuen, die ihn ausmachen: effektive und rezeptive Eigenschaften. Effektive Eigenschaften sind verantwortlich für die Beschränkung, die ein Individuum im kausalen Nexus einem anderen auferlegt; rezeptive Eigenschaften sind das logische Gegenstück, das diese Auferlegung der Beschränkung möglich macht. Die Naturwissenschaft beschäftigt sich nach Rosenberg ausschließlich mit den effektiven Eigenschaften eines Individuums, nicht mit seinen rezeptiven. Die effektiven und rezeptiven Eigenschaften eines Individuums bilden zusammen seinen „nomischen Gehalt” - der allerdings von den Gesetzen der Naturwissenschaft nicht vollständig dargestellt wird. Der Träger dieses Gehalts, der der Physik extrinsisch und in sich intrinsisch sein muss, ist qualitativer Erlebnis-Gehalt. Hier trifft das Argument der intrinsischen Naturen auf Rosenbergs Theorie der Kausalität.94 Zusammenfassend findet bei Rosenberg also die fundamentale Bedeutung bewusster Phänomene für unser Alltagsempfinden ihre Entsprechung in ihrer fundamentalen Bedeutung als intrinsische Träger aller Wechselwirkungen, allen Geschehens in der Welt. Ohne Bewusstsein gäbe es, wie eingangs formuliert, nicht nur uns als erlebende Subjekte nicht, sondern die gesamte Struktur unserer Wirklichkeit entbehrte gewissermaßen ihres Inneren.
David Ray Griffin, um die Verortung von (phänomenalem) Bewusstsein in der Welt durch einen weiteren Proponenten eines Panpsychismus zu skizzieren, betrachtet, wie oben bereits gesehen, mit Whitehead Ereignisse als die grundlegenden Bausteine der Welt; Ereignisse, die je einen physischen und einen mentalen Pol aufweisen. Das Prädikat „physikalistisch” sieht er für seine Position gewahrt durch den Ausschluss rein mentaler Entitäten wie cartesischer Seelen; jede (raum-zeitliche) „aktuale Entität” hat einen physischen Aspekt, der zudem dem mentalen übergeordnet ist. Den - von sowohl Dualismus als auch Materialismus geteilten - cartesischen Materiebegriff ablehnend, macht sich Griffin für eine nicht-reduktive Naturalisierung des Geistes stark: Die beiden grundlegenden Eigenschaften des Geistes, Erfahrung und Spontaneität, sind, in abgestufter Form, bei allen Einheiten der Natur anzutreffen.95 Die Whitehead’sche Rede vom „Fehlschluss der falschen Konkretheit” aufgreifend, argumentiert Griffin dafür, dass das herkömmliche Bild der Materie als gänzlich geistlos - in Whiteheads Begriff: Materie als „vacuous actuality” - von einem Missverständnis des Abstraktheitsgrades dieser Vorstellung herrührt96: Jedes wirkliche konkrete Einzelding ist ein physisch-mentales Ereignis.
Zusammenfassend kommt also in der basalen Ontologie der panexperientialistischen Position Griffins -wie derjenigen Rosenbergs - die Würdigung bewusster Phänomene als Phänomene sui generis, als nicht weiter reduzierbare Bestandteile unserer Wirklichkeit zum Ausdruck. Im Panpsychismus wird das Mentale gewissermaßen als gleichursprünglich mit dem Physischen betrachtet; es gibt kein Physisches ohne zugleich geistigen Aspekt: als intrinsische Natur der Materie, bei Rosenberg, bzw. als mentaler Pol eines (physisch-mentalen) Ereignisses, bei Whitehead und Griffin.
Hierbei geben die panpsychistischen Vertreterinnen und Vertreter hinsichtlich des Verhältnisses von Natur und Geist nicht selten vor, die „wahre” Naturalisierung des Bewusstseins voranzutreiben: nicht indem dieses auf materielle, „nicht-experientielle” Bausteine der Welt reduzierend zurückgeführt wird, sondern indem bewusste Phänomene als eigene (aber nicht eigen-ständige), natürliche Bestandteile der Wirklichkeit aufgefasst werden. Im Rahmen panpsychistischer Ontologien wird so dem phänomenalen Bewusstsein ein zentraler Ort in der Wirklichkeit zugewiesen, der eine Verbindung der uneingeschränkten - nicht-reduktiven - Würdigung bewusster Phänomene mit einem ontologischen Naturalismus möglich macht.
Neben dem (phänomenalen) Bewusstsein kann auch der Aspekt des Selbstbewusstseins im Rahmen panpsychistischer Konzeptionen der Philosophie des Geistes explizit berücksichtigt werden.
Daniel Wehinger hat, wie oben bereits angesprochen, ein „präreflexives Selbstbewusstsein” als notwendigen Bestandteil jedes bewussten Erlebnisses ausgemacht; ich möchte die prinzipielle Struktur seines Arguments hier noch einmal darstellen und von dort aus versuchen deutlich zu machen, inwiefern panpsychistische Ontologien dem Phänomen des Selbstbewusstseins Rechnung tragen können.97
Wehinger entwickelt den Gedanken wie folgt. Wenn wir den Begriff des bewussten Erlebens, wie es eingangs beschrieben wurde, analysieren, dann treten zwei Aspekte dieses Erlebens heraus. Zum einen ist dies der etwa in Thomas Nagels berühmtem Aufsatz What is it like to be a bat? pointiert beschriebene Aspekt des „Wie-es-sich-anfühlt”: Eine bewusste Erfahrung, ein Erlebnis zu haben und zu machen fühlt sich für das erlebende Subjekt auf eine bestimmte Art und Weise an, und diese Art und Weise versperrt sich einer einfachen Reduktion auf „objektive”, naturwissenschaftlich beschreibbare Tatsachen. Aus diesem Eindruck der Irreduzibilität ergibt sich die häufig besprochene Frage nach dem ontologischen Status von Qualia.
Hinzu tritt ein zweiter Aspekt der subjektiven Erfahrung, der in der philosophischen Debatte nicht in gleichem Maße präsent, aber auch nicht gänzlich unberücksichtigt ist: der Aspekt des „Für-mich-seins”. Hiermit ist gemeint, dass bei jedem bewussten Erlebnis der phänomenale Gehalt nicht nur darin besteht, dass sich etwas auf eine bestimmte Art und Weise anfühlt, sondern auch darin, dass es sich für mich auf diese bestimmte Art und Weise anfühlt. Etwa Uriah Kriegel spricht in Bezug auf diesen zweiten Aspekt oder diese zweite Komponente phänomenaler Erfahrung vom subjektiven in Abgrenzung vom qualitativen Charakter.98
Über den subjektiven Aspekt des „Für-mich-seins”, so Wehinger, wird nun deutlich, dass mit dem Bewusstsein des phänomenalen Gehalts einer Erfahrung zugleich ein rudimentäres Bewusstsein von mir selbst gegeben ist: Es besteht ein innerer Zusammenhang zwischen dem bewussten Erleben und einem - zumindest präreflexiven, „minimalen” - Selbstbewusstsein; in jeder bewussten Erfahrung erfahre ich zugleich mich selbst als erfahrendes Subjekt.
Wehinger entwickelt, in Anknüpfung an Dan Zahavi, einen Begriff dieses minimalen Selbstbewusstseins. Dieses stellt materialistische Theorien des Geistes, und auch insbesondere die „higher-order”-Theorien, vor Schwierigkeiten: Sie treffen Voraussetzungen, die im Gegensatz zu ihrem reduktiven Anspruch stehen; denn implizit oder explizit wird Selbstbewusstsein vorausgesetzt, ohne dass dieses auf Beziehungen höherstufiger Repräsentation reduziert werden kann.99 Entweder nämlich, im Fall der nicht-selbstrepräsentationalen Theorien der höheren Ordnung, werden zwei numerisch verschiedene mentale Zustände als konstitutiv für das Bewusstsein angenommen, sodass die Genese eines Bewusstseins von sich selbst unklar bleibt, und dieses damit implizit anderweitig als gegeben angenommen werden muss. Oder es wird, bei den selbstrepräsentationalen Theorien, Selbstbewusstsein explizit bereits vorausgesetzt - damit die selbstrepräsentierende Entität sich in ihrer Repräsentation überhaupt selbst wiedererkennen kann.100 Die repräsentationalistisch-materialistischen Theorien scheitern daher für Wehinger nicht primär an der mangelnden Würdigung des phänomenalen Bewusstseins (im Sinne seiner qualitativen Komponente), sondern an dem Defizit, dem mit jedem bewussten Erleben gewissermaßen rudimentär mitlaufenden Selbstbewusstsein gerecht zu werden - an der subjektiven Komponente.
Welche alternativen Antworten können Panpsychismen hier also anbieten? Ein naheliegender Gedanke ist der folgende. Für panpsychistische Philosophien des Geistes ist Bewusstsein ein grundlegendes Merkmal der Wirklichkeit, das bis hinunter zu den kleinsten Bausteinen, in Vorstufen, anzutreffen ist. Mit dieser basalen Qualität all dessen, was existiert, mit diesem grundlegenden Bewusstsein geht notwendig eine grundlegende Perspektivität einher; wenn Bewusstsein das „Erleben der Welt aus einer Innenperspektive heraus” meint, dann ist jedes Erleben perspektivisches Erleben.
Diese Perspektivität wiederum beinhaltet, wenn wir den „Blick von nirgendwo”, eine Perspektive, die sich gewissermaßen selbst streicht, ausschließen möchten, eine rudimentäre Selbst-Wahrnehmung im Sinne einer Wahrnehmung dieser Perspektivität: In der Wahrnehmung, dass ich von einem bestimmten Standpunkt aus auf die Welt blicke, ist enthalten, dass ich diesen Standpunkt und nicht einen anderen inne habe - ohne dass hier natürlich ein Ich-Bewusstsein in einem reflexiven Sinn gegeben sein muss. Hiermit ist aber prinzipiell eine Anschlussfähigkeit etwa an die Konzeption Zahavis gegeben, der nicht von einem grundlegenden Selbst- Bewusstsein, aber von einer „minimalen oder dünnen Form der Selbst Wahrnehmung ” spricht, die jedes bewusste Erleben begleitet und seinen „subtilen Hintergrund” bildet.101
David Ray Griffin beispielsweise lehnt, im Rahmen seiner panexperientialistischen Prozessphilosophie, ein Selbstbewusstsein im vollen Sinn für alle aktualen Entitäten explizit ab102, spricht aber von einer „Selbst-Determination” bzw. „-Bestimmung”, zu der jede aktuale Entität fähig ist.
Im „panexperientialistischen Physikalismus” hat jedes konkrete Ereignis sowohl einen physischen als auch einen mentalen Aspekt; und dazu korrespondierend, wie Griffin sagt, eine objektive und eine subjektive „Phase”. Der objektiven Phase entspricht die Einwirkung vergangener Ereignisse auf das jetzige, dann folgt die subjektive Phase, in der die aktuale Entität eine „Selbst-Bestimmung”, in Form einer finalursächlich verstandenen Entscheidung zwischen verschiedenen Möglichkeiten als Reaktion auf die objektive Phase, vornimmt. Anschließend erfolgt wiederum eine objektive Phase der Wirkverursachung im Hinblick auf nachfolgende Ereignisse.103
Man wird sich diesen Prozess der Selbst-Determination bei Griffin, und Whitehead, nicht anders vorstellen können, als dass ein präreflexives, „minimales” Selbstbewusstsein bei allen aktualen Entitäten, also bei allen konkreten Einzelwesen, gegeben ist - jede „Bestimmung”, die sich selbst zum Objekt hat, muss ja von einem zumindest rudimentären Bewusstsein von ihrem Objekt, also von diesem Selbst begleitet sein. Hiermit wäre das Erfordernis der Berücksichtigung eines grundlegenden (Proto-)Selbstbewusstseins im prozessphilosophisch- panpsychistischen Rahmen bedient.
Galen Strawson, um die Behandlung des Selbstbewusstseins noch bei einem weiteren Vertreter eines modernen Panpsychismus anzusprechen, optiert kurz und explizit für die
Auffassung, dass jede Wahrnehmung für das Subjekt begleitet ist von einer grundlegenden Wahrnehmung seiner selbst (Strawson spricht, wie Zahavi, von „self-awareness”) - denn eine Wahrnehmung seiner selbst, zumindest im Sinne eines Wahrnehmens einiger seiner Eigenschaften, ist eine notwendige Vorbedingung für alles Wahrnehmen und Erfahren.104
Zusammenfassend, könnte damit das Selbstbewusstsein, als grundlegendes Explanandum „im Zentrum der Bewusstseinsproblematik”, wie von Wehinger gefordert, in panpsychisti- schen Philosophien des Geistes in rudimentärer Form auf der untersten Ebene angelegt sein, und wäre, gemeinsam mit dem (phänomenalen) Bewusstsein, ein ubiquitäres Phänomen unserer Wirklichkeit.
Ein weiteres „Phänomen” des Geistigen, das im Panpsychismus eine explizite Würdigung erfährt und das ich als dritten Punkt in diesem Abschnitt thematisieren möchte, ist das Subjekt. Das Subjekt einer Erfahrung, wie das einer Handlung, stellt zumindest reduktivmaterialistische Philosophien des Geistes vor Schwierigkeiten: Subjekte scheinen in ihrem ontologischen Repertoire nicht vorzukommen - aber dies kann nicht der richtige Weg sein, wenn nicht eine Theorie all dessen, was existiert, denjenigen oder diejenige von vorne herein ausschließen soll, die oder der diese Theorie überhaupt erst formuliert hat.
Das Phänomen des Subjekts knüpft an an den geschilderten Aspekt des „Für-mich-Seins” eines Erlebnisses: Die Tatsache, dass es für mich auf eine bestimmte Art ist oder sich anfühlt, ein Erlebnis zu haben, drückt ja gerade aus, dass es nicht einfach Erlebnisse gibt, sondern immer jemanden, der diese Erlebnisse hat.
Ähnlich wie bei den beiden behandelten Phänomenen Bewusstsein und Selbstbewusstsein kann man nun festhalten, dass sich für Panpsychismen nicht vordringlich das Problem der Integration von Subjekten in die ontologische Ausstattung der (panpsychistisch gedachten) Welt stellt - das Problem, wie es angesichts einer basalen, subjektlosen Ebene von „Teilchen” auf einer höheren Ebene überhaupt Subjekte geben kann -, sondern dass diese vielmehr bereits als grundlegende und ubiquitär vorkommende Bestandteile der Wirklichkeit betrachtet werden - und damit die zu klärende Frage weniger in der Integration des Phänomens der Subjektivität in unser Bild von der Welt als in der Kombination dieser Subjekte untereinander besteht.
Galen Strawson hält fest, dass wir in seinem „realistischen”, d.h. panpsychistischen Physi- kalismus „gleich von Beginn an eine recht große Anzahl von Subjekten an der Hand haben” - da jeder kleinste Baustein der Welt, jedes „ultimate” zugleich ein Subjekt von Erfahrung ist -, um gleich anzufügen, dass es sich hierbei für ihn um „kein ernstes Problem” handele.105
Strawson hat an mehreren Stellen seinen Begriff des Subjekts dahingehend erläutert, dass für ihn die adäquate Konzeption diejenige eines, wie er sagt, „dünnen” Subjekts ist: Es kann nicht nur Erfahrung nicht ohne Subjekt geben, sondern auch das Subjekt nicht ohne Erfahrung; zu einem gegebenen Zeitpunkt eine Erfahrung, ein Erlebnis zu machen und zu haben ist für die Existenz des Subjekts nach Strawson eine nicht nur hinreichende, sondern notwendige Bedingung.106 An anderer Stelle spricht er hinsichtlich des ontologischen Status des erfahrenden Subjekts davon, dass für ihn das Subjekt von Erfahrung nicht notwendig - kurz darauf sagt er: notwendig nicht - verschieden ist von seinem Erfahren, identifiziert also Erlebnis und Erlebenden.107
Die Konzeption „dünner” Subjekte steht natürlich in einem gewissen Spannungsverhältnis zu den grundlegenden Intuitionen, die uns beim Nachdenken über uns selbst als erlebende (und handelnde) Subjekte leiten. Wenn es ein Subjekt ohne Erleben nicht geben kann, hört das Subjekt auf zu existieren, sobald der Strom des Erlebens nur für einen kurzen Moment abreißt: In jeder Nacht, die eine Phase traumlosen Schlafs beinhaltet, verschwindet mit den - wirklichen oder erträumten - Erfahrungen auch das Subjekt, und mit und in dem Wiedereinsetzen eines Erlebnisses kommt ein neues Subjekt zur Existenz. Es gibt mich immer erst seit heute - seit das erste Glied in der Kette meiner Erlebnisse, die letztlich mit mir identisch sind, am Morgen eingesetzt hat.108
Im panexperientialistischen „liberalen Naturalismus” Gregg Rosenbergs, der hier auch hinsichtlich der Frage des Subjekts betrachtet werden soll, konstituieren sich Subjekte im Rahmen einer komplexen „Theorie natürlicher Individuen”. Zwei oder mehr Individuen können sich, wie Rosenberg sagt, ein „rezeptives Feld” teilen - d.h. sich wechselseitig Beschränkungen hinsichtlich ihrer möglichen Zustände auferlegen -, und so durch diese „Bindung” auf einer höheren Stufe ein neues Individuum, ein neues Subjekt entstehen lassen. So konstituiert sich für Rosenberg eine Individuenhierarchie, in der durch „geteilte Rezepti- vität” höherstufige Individuen entstehen, die, im Sinne der Idee der „kausalen Bedeutsamkeit”, durch ihre effektiven Eigenschaften wiederum Beschränkungen für andere Individuen - für Individuen gleicher Stufe, aber auch für die niederstufigen Individuen, die das Individuum selbst konstituieren - erwirken können. Jedes Individuum ist, für sich genommen, noch nicht auf einen seiner verschiedenen möglichen Zustände festgelegt; durch die Beschränkungen, die es im Rahmen der schrittweisen Einbindung der niederstufigen in höherstufige Individuen durch geteilte Rezeptivität erfährt, kommt es aber mehr und mehr dem vollständig festgelegten Zustand näher.109
Rosenbergs Panexperientialismus problematisiert die Frage des Subjekts weiterhin ausdrücklich in einem Paradoxon, das er als Abgrenzungsproblem erlebender Subjekte („bounda- ry problem”) bezeichnet. Wie kann es, über die Elementarpartikel der Physik hinaus, ein oder mehrere Individuen, Instantiierungen eines Ganzen, geben? Sobald man zugelassen hat, dass es sie geben kann - und dass es sie gibt, wissen wir aus buchstäblich erster Hand - scheint es äußerst schwer zu sein, auf der Leiter von den kleinsten zu den größten Entitäten des Universums gewissermaßen an der richtigen Stelle „Halt” zu machen, und ein kosmisches Individuum und Subjekt von Erfahrung auszuschließen. Gesucht wird also ein Schema, ein metaphysischer Rahmen, der die natürliche Individuierung erlebender und handelnder Subjekte auf einer Meso-Ebene ermöglicht und plausibel macht - und Rosenberg beansprucht, eine solche systematische Grundlage mit dem liberalen Naturalismus und seiner engen Verbindung von Bewusstsein und Verursachung, und mit seinem Begriff von Kausalität als „inhärenter, natürlicher Verbindung par excellence” bereitgestellt zu haben: Subjekte individuieren sich auf einer „mittleren” Ebene des Universums, etwa als Lebewesen, über Kausalverbindungen im oben beschriebenen, auf phänomenalen Eigenschaften als intrinsischen Trägern beruhenden Zusammenspiel effektiver und rezeptiver Eigenschaften.110
Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass im Rahmen panpsychistischer Theorien eine adäquate Würdigung des Phänomens des Subjekts vorgenommen und auch in dem Sinne sichergestellt werden kann, dass Panpsychismen für Subjekte einen natürlichen Platz in der ontologischen Hierarchie der Wirklichkeit vorhalten können - neben Bewusstsein und Selbstbewusstsein stellt auch die Subjektivität, in der Sache notwendig mit den beiden verbunden, eine grundlegende Eigenschaft der panpsychistisch verstandenen Wirklichkeit dar.
Der so verstandenen Würdigung des Phänomens des Subjekts steht hierbei das sogenannte Kombinationsproblem gegenüber: Wie entsteht aus den verschiedenen Perspektiven eine Perspektive, und aus den unterschiedlichen Subjekten ein Subjekt? Wie entstehe ich aus den vielen? Schon Thomas Nagel beschrieb die Zusammensetzung der Psyche ganzer Lebewesen aus ihren protopsychischen Bestandteilen als „vielleicht gar unverständlich”; und auch, wenn etwa Strawson meint, die Vielzahl der erlebenden (Mikro-)Subjekte sei für den Panpsychismus kein größeres Problem als es die Vielzahl der kleinsten materiellen Bausteine für den Physikalismus ist, ist doch womöglich das Kombinationsproblem, wie David Chalmers sagt, „der beste Grund, den Panpsychismus für falsch zu halten”.111
Die so vorläufig nachgezeichnete Einordnung geistiger Phänomene im und durch den Panpsychismus - als grundlegende und irreduzible, natürliche Bestandteile der Wirklichkeit - leitet über zu der Frage, wie panpsychistische Positionen im Koordinatenkreuz der konkurrierenden philosophischen Entwürfe, auf der sprichwörtlichen „Landkarte” der Philosophie des Geistes im Verhältnis zu den anderen Positionen zu verorten sind und sich auch selbst hinsichtlich dieser Verortung verstehen.
2.2.2 Panpsychismus als dritte Alternative zu Materialismus und Dualismus
Die heutigen panpsychistischen Theorien des Geistes beanspruchen häufig, die bis dato bestehende Dichotomie zwischen (materialistischem) Monismus und (Geist-/Materie-)Dua- lismus auf brechen, und andere Auswege aus den Aporien der Philosophie des Geistes aufzeigen zu können; Auswege, die die jeweiligen Stärken der beiden Ansätze miteinander verbinden, und sich möglichst wenige der jeweiligen Schwächen zu eigen machen. Die Idee des „dritten Wegs”, den der Panpsychismus darstelle, wird etwa von David Ray Griffin formuliert, der seinen Panexperientialismus Whitehead’scher Prägung als „dritte Form des Realismus” neben Materialismus und Dualismus verteidigt; David Chalmers spricht vom - von ihm zumindest mit intellektueller Sympathie bedachten - Panpsychismus als „Hegel’scher Synthese” aus der These des Materialismus und der Antithese des Dualismus.112
Wo genau also verortet sich der Panpsychismus zwischen den Polen von Materialismus und Dualismus, wo und wie fügen sich panpsychistisch verstandene mentale Eigenschaften in den (kausalen) Ablauf der Welt sein? Die Frage der mentalen Verursachung - die etwa Jaegwon Kim, neben der Frage nach dem Bewusstsein selbst, als zweites zentrales Problem der Philosophie des Geistes ausmacht -, scheint hierbei ein geeignetes Instrument zur Überprüfung und Einordnung einer Philosophie des Geistes in das Koordinatennetz reduktionis- tischer und antireduktionistischer Positionen zu sein: Welchen Intuitionen zum Geistigen und seiner Wirksamkeit oberste Priorität eingeräumt wird, und welche vielleicht nötigenfalls aufgegeben werden, bestimmt, ob das Pendel sich eher zur materialistischen oder zur dualistischen Seite neigt.
Peter Bieri hat für die mentale Verursachung folgende drei sich wechselseitig ausschließende Sätze formuliert:
(1) Mentale Phänomene sind nicht-physische Phänomene.
(2) Mentale Phänomene sind im Bereich physischer Phänomene kausal wirksam.
(3) Der Bereich physischer Phänomene ist kausal geschlossen.113
Satz (1) des Trilemmas drückt die (substanz- oder eigenschafts-)dualistische Prämisse aus, die sich aus den antireduktionistischen Argumenten ergibt. Satz (2) bezeichnet die Tatsache der mentalen Verursachung selbst; eine Tatsache, die nur schwer - wenn überhaupt konsistent - zu negieren ist. Satz (3) schließlich, die Geschlossenheit der physischen Welt, wird nicht nur etwa durch die Erhaltungssätze der Naturwissenschaften nahegelegt, sondern hat auch eine hohe systematische Plausibilität.
Alle drei von Bieri formulierten Sätze bringen starke Intuitionen zum Ausdruck; Intuitionen über uns selbst und über die Abläufe der Welt, in der wir leben, von denen wir uns nur ungern trennen möchten - aber es liegt in der Natur des Trilemmas, dass nicht alle drei Sätze zugleich wahr sein können. Für zwei von ihnen muss man sich entscheiden; oder umgekehrt zumindest einen auswählen, der aufgegeben wird. Verschiedene Philosophien des Geistes sind formuliert worden, die jede einzelne der Thesen, jedes „Horn” des Trilemmas jeweils adressiert haben: Satz (1) wird klassischerweise vom (reduktiven) Materialismus abgelehnt, während die Sätze (2) und (3) von dualistischen Positionen, dem Epiphänomenalismus bzw. dem interaktionistischen Dualismus, in Zweifel gezogen werden.
Welchen Weg gehen also die panpsychistischen Ansätze? Ich möchte die Antworten Gregg Rosenbergs und David Ray Griffins auf die Aporie der mentalen Verursachung im Rahmen ihres jeweiligen Panexperientialismus darlegen.114
Die im Zuge seiner Theorie ausgearbeitete und oben bereits nachgezeichnete enge Verbindung von Bewusstsein und Kausalität erlaubt es Rosenberg, einen Versuch zum Aufbrechen der Aporien der mentalen Verursachung zu unternehmen; der Versuch stützt sich auf seine Träger-Theorie der Verursachung im allgemeinen und ihr Verhältnis zur Naturwissenschaft im besonderen: „a complete theory of the causal nexus needs to go beyond physical theory.”115
Eine jede Kausalverbindung, jeder „kausale Nexus”, in Rosenbergs Worten, kann nicht allein im Vokabular der Physik beschrieben werden, denn die rezeptiven Eigenschaften der beteiligten Individuen entziehen sich der naturwissenschaftlichen Beschreibung. Träger der rezeptiven (und effektiven) Eigenschaften ist qualitativer Erlebnis-Gehalt, d.h. (phänomenales) Bewusstsein. Mentale Eigenschaften sind damit zugleich irreduzibel und konstitutiv für jede Kausalverbindung; Rosenbergs (buchstäblich meta-physische) Träger-Theorie sichert also eine genuine Rolle des Mentalen für jeden kausalen Nexus.
Das „komplexe Dilemma”, das etwa Kim für die mentale Verursachung konstatiert, und demzufolge entweder Reduktionismus, dualistischer Interaktionismus, Epiphänomenalis- mus oder eine Theorie der Abwärtsverursachung wahr sein muss, glaubt Rosenberg so als „falsches Dilemma” entlarven zu können: Die physischen Tatsachen allein bilden keine hinreichende Basis für höherstufige Individuen - dies ist Ausdruck der antireduktionistischen Prämisse -, sie tun dies „nur in Verbindung mit einer spezifischen Struktur rezeptiver Verbindungen”, die Schichten natürlicher Individuen generiert.116 Durch seine Eigenschaft, Träger jedes Verursachungsprozesses zu sein, ist auch eine Epiphänomenalität des Mentalen ausgeschlossen. Für interaktionistisch weiterhin hält Rosenberg seine Theorie nicht, da gemäß ihr das Mentale nicht als Wirkursache in die „physische Dynamik der Welt” eingreift.117 Die Abgrenzung vom Konzept der Abwärtsverursachung schließlich ist vielleicht die schwie- rigste für Rosenberg: Wie kann ein höherstufiges als Ganzes Kausalität ausüben, ohne dass diese auf ihre Bestandteile reduzierbar ist? Rosenberg setzt an seinem veränderten Kausalitätsbegriff an. Er beschreibt die kausale „Bedeutsamkeit” höherstufiger Individuen so, dass sie einen Kontext bereitstellen, der den niederstufigen Individuen die wechselseitige Auferlegung von Beschränkungen ermöglicht; höherstufige kausale Nexus wirken als „Möglichkeitsfilter”, durch die niedrig-stufigere Individuen festgelegt werden, ohne dass Abwärtsverursachung im klassischen Sinn ausgeübt wird.118
Rosenberg erläutert sein Konzept der mentalen Verursachung weiterhin unter Rückgriff auf die klassisch-aristotelischen Ursachen-Typen. Diese konkurrieren nicht miteinander; für die Rechtfertigung z.B. einer Finalursache bedarf es nicht einer „Lücke” im wirkursächlichen Geschehen. Während Szenarien der Abwärtsverursachung, so Rosenberg, Bewusstsein und Subjekt als wirkursächlich in das Mikrogeschehen eingreifend konzipieren, lässt seine Träger-Theorie der Verursachung den kausalen Zirkel des mikrophysikalischen Geschehens intakt: eine wirkursächliche Interaktion zwischen Individuen verschiedener Stufen findet nicht statt. Im Sinne einer „nicht-zeitlichen Teleologie” aber macht Rosenberg eine finalursächliche Wirkung höherstufiger Individuen auf niederstufige Individuen aus; letztere bilden hierbei die Materialursache für erstere.119
Bei welcher der Aussagen aus Bieris Trilemma setzt Rosenberg also an? Die Sätze (1) und (2), als Ausdruck der Zurückweisung von Reduktionismus und Epiphänomenalismus, bleiben klarerweise unangetastet. Da bleibt nur Satz (3), könnte man sagen, und in der Tat ist die Frage der kausalen Geschlossenheit der physischen Welt entscheidend. Es ist hier nötig zu differenzieren; denn Rosenberg distanziert sich, wie gesehen, von der Forderung mutmaßlich schwer intelligibel zu machender „Lücken” im mikrophysikalischen Kausalgeschehen. Vielmehr müssen, sagt er, verschiedene Arten von Kausalität unterschieden werden, und, wenn überhaupt, ist nur hinsichtlich einer dieser Arten - der Wirkursächlichkeit - die physische Welt geschlossen; mentale Ereignisse und bewusste Subjekte können als Finalursachen auf niederstufige Strukturen zurückwirken. Ohnehin ist aber die Rede von der Geschlossenheit der physischen Welt, auch bei Betrachtung der Wirkursachen, irreführend: Echte Geschlossenheit kann nur ein Bild von der Welt beanspruchen, das auch die Träger, die „kausale Infrastruktur” physischer Verursachung mit einbezieht, mithin die rezeptiven Verbindungen, die nicht allein im Vokabular der Physik, sondern nur mit Rückgriff auf mentale Prädikate beschrieben werden können.
Rosenberg kann so für sich beanspruchen, allen drei „Hörnern” des Trilemmas ausreichend gerecht zu werden; aber einige Punkte bleiben sicherlich offen. Die Rede von „nicht miteinander konkurrierenden” Kausalitätstypen, etwa von Wirk- und Finalursächlichkeit, steht zunächst einmal mutmaßlich im Konflikt mit dem u.a. von Kim so bezeichneten „Prinzip des explanatorischen Ausschlusses”: dass ein Ereignis nur eine vollständige und unabhängige Erklärung haben kann (dass also fraglich unintelligible Szenarien der Über-Determination ausgeschlossen werden).120 Zwar kann man im Sinne Rosenbergs erwidern, dass eine Beschreibung rein der (physikalischen) Wirkursachen ja gerade nicht die geforderte vollständige Beschreibung des Kausalgeschehens liefert - jeder auf den effektiven und rezeptiven Eigenschaften der beteiligten Individuen basierende kausale Nexus benötigt einen intrinsischen Träger, und dieser Träger sind phänomenale, und damit nicht-physische, Eigenschaften -, hier wird aber gewissermaßen der Preis offenbar, den die Auflösung des Trilemmas im (Rosenberg’schen) Panexperientialismus fordert: es muss angenommen werden, dass jeder Verursachungsprozess den Gegenstandsbereich der Naturwissenschaften übersteigt, dass bei jedem theoretisch scheinbar noch so unproblematischen Fall von „BillardBall-Verursachung”, wenn man so möchte, „verborgene” phänomenale Kräfte am Werk sind. Hier droht also - sollte die Verletzung von Kims „principle of explanatory exclusion” abgewendet sein - der Verstoß gegen ein anderes prominentes Prinzip: gegen „Ockhams Rasiermesser” oder die „lex parsimoniae”, d.h. gegen das Prinzip, dass bei mehreren gleichwertigen Erklärungen der einfachsten der Vorzug zu geben ist.121
Im folgenden Abschnitt möchte ich nun die panexperientialistische Konzeption der mentalen Verursachung bei David Ray Griffin thematisieren. Auch er bezieht sich auf die aristotelische Unterscheidung von Wirk- und Finalursachen; auch die kleinsten Einheiten der
Natur sind, im Rahmen der oben bereits angesprochenen Phase der „Selbst-Bestimmung”, zur Ausübung einer (rudimentären) Finalursächlichkeit fähig.
In gewisser Hinsicht ähnlich wie Rosenberg relativiert Griffin den Geltungsanspruch der Physik, ohne einen dualistischen Interaktionismus zu proklamieren. Whiteheads Gedanken vom „Fehlschluss der falschen Konkretheit” folgend, argumentiert Griffin, dass die Beschreibungen der Physik Abstraktionen einer reicheren - prozesstheoretisch zu verstehenden - Wirklichkeit darstellen; allein der physische Pol, die objektive Phase jedes Ereignisses, wird durch die Naturwissenschaften beschrieben. Diesen physischen Aspekt beschreibt Griffin als „wirkursächliche Einwirkung vorangegangener Ereignisse auf das betreffende Ereignis”122 ; wohingegen er im mentalen Pol eines Ereignisses die Finalursächlichkeit verortet. Auch hier werden Wirk- und Finalursächlichkeit nicht miteinander in Wettstreit tretend gedacht, sondern können, so zumindest der Anspruch, im panexperientialistisch-prozessphilosophischen Rahmen miteinander „verwoben” werden.123 Im Anschluss an die subjektive Phase oder „Reaktion” der finalursächlichen Selbst-Bestimmung eines Ereignisses folgt wiederum eine objektive Phase der Wirkverursachung im Hinblick auf nachfolgende Ereignisse. In jedem Ereignis, jeder „aktualen Entität”, vollzieht sich also ein Moment der mentalen Verursachung in Form einer Selbst-Bestimmung, das nicht durch vorangehende Ereignisse wirkursächlich festgelegt ist. Mentale Verursachung ist kein schwieriger Sonderfall ansonsten ohne sie konzipierbarer kausaler Wechselwirkung, sondern ein basales und ubiquitäres Merkmal der natürlichen Welt.
Griffin schlägt nun die Brücke zur „makroskopischen” Ebene; auch menschliche Individuen - die er, in einem gewissen begrifflichen Spannungsverhältnis, als zusammengesetzt, als „compound individuals” bezeichnet - sieht er „in fortwährender Oszillation zwischen Subjektivität und Objektivität, Finalverursachung und Wirkverursachung”, und glaubt so, die Möglichkeit einer genuinen mentalen Verursachung für sie sicherstellen zu können.124 Griffin lehnt, wie Rosenberg, einen dualistischen Interaktionismus ab, ist aber weniger zurückhaltend gegenüber dem Konzept der Abwärtsverursachung im Sinne einer „Selbst-Bestimmung” des Geistes; diese befürwortet er ausdrücklich und klassifiziert er seine Position als „nichtdualistischen Interaktionismus” und „interaktionistischen Panexperientialismus”.125
An welcher Stelle also setzt Griffin an, den von ihm mit Schopenhauer so bezeichneten „Weltknoten” zu entwirren, und das Trilemma der mentalen Verursachung zu lösen? Im Zentrum steht, wie auch bei Rosenberg, die Frage nach der kausalen Geschlossenheit der physischen Welt - der dritte Satz bei Bieri. Auch Griffin lehnt die Idee der Geschlossenheit des Physischen nicht rundheraus ab, im Sinne eines Postulats von „Lücken” im mikrophysikalischen Kausalgeschehen, sondern gibt ihr im panexperientialistischen Rahmen eine, wie er sagt, „abweichende Lesart”. Wie angesprochen weist er die (materialistische) Vorstellung zurück, alle Kausalität müsse sich auf einer von der Physik hinlänglich beschreibbaren Ebene vollziehen - dies wäre ein falsches Für-konkret-halten der Abstraktionen der Physik. Dennoch ist der Bereich des Physischen im „panexperientialistischen Physikalismus” kausal geschlossen: Alle Entitäten werden, in Abgrenzung von der Idee cartesischer Seelen, als (auch) physisch begriffen - als „physisch-mentale Ereignisse”. Damit gibt es keine nicht-physischen Entitäten, die auf die Welt und auf die Gegenstände der Physik auf nicht weiter verstehbare oder „übernatürliche” Art und Weise Einfluss nehmen könnten, wie es ein interaktionisti- scher Dualismus postulieren muss - und somit ist, in einer gewissen Lesart, der Satz von der Geschlossenheit der physischen Welt erfüllt. Ohne dualistisch zu sein, erschöpft sich im Panexperientialismus aber Verursachung nicht in physikalisch adäquat beschreibbaren Prozessen; die kausale Wirksamkeit eines (physisch-mentalen) Ereignisses kann nicht nur kraft seines physischen, sondern auch kraft seines geistigen Aspekts auftreten.126
Auch Griffins Ansatz zur Auflösung des Trilemmas um die mentale Verursachung bietet Ansatz zur Kritik. Zunächst steht sein Panexperientialismus, wie derjenige Rosenbergs, ebenfalls in fraglichem Konflikt mit der „lex parsimoniae”: Wenn jemand einen Lichtschalter betätigt, fließen nicht einfach Elektronen durch die Glühbirne und geben mechanistisch und wirkursächlich Licht und Wärme ab, sondern zur Wirkverursachung jeder ak- tualen Entität gesellt sich, soweit das panpsychistische Postulat, eine „Phase” der mentalen Verursachung in Form einer finalursächlichen Selbst-Bestimmung dieser aktualen Entität, die sie von der deterministischen kausalen Einflussnahme ihrer Umgebung ein Stück weit abkoppelt. Griffins panexperientialistische Prozessphilosophie ist metaphysisch voraussetzungsreich - er spricht selbst von einer „alternativen” Metaphysik mit „einem anderen Verständnis von sowohl Kausalität als auch (Natur-)Wissenschaft”.127 Griffins, und ähnlich auch Rosenbergs, panexperientialistischer Schachzug weiterhin, mentale Verursachung nicht als ein nur schwer intelligibel zu machendes, sozusagen nur ab und zu stattfindendes Einwirken des „Geistes” auf die sich ansonsten kausal selbst genügende „Welt” zu denken, sondern als im Rahmen einer prozessphilosophischen Ontologie permanent stattfindendes Geschehen der Selbst-Bestimmung jeder aktualen Entität, hat, verglichen mit interaktionistischen Dualismen, sicherlich einen systematischen Vorteil - aber prinzipiell, kann man erwidern, wird allein durch die systematische Einbettung einer mentalen „Mikro”-Verursachung auf Elementarebene die Frage, um die es ja eigentlich geht, nämlich die der mentalen „Makro”- Verursachung - menschliches Handeln in der Welt - noch nicht notwendig geklärt; das Erfordernis eines Rudiments von Aktivität, Handeln, „Spontaneität” und „Selbst-Bestimmung” auf niederster Stufe allein macht noch nicht die Einwirkung makroskopischer Subjekte auf ihre physische Umwelt, eine der uns vielleicht selbstverständlichsten Tatsachen, intelligibel. Nicht zuletzt droht hier ein „Makro-Epiphänomenalismus” des Mentalen.
Die Frage nach der Möglichkeit von Abwärtsverursachung und dem Zusammenhang mentaler Eigenschaften auf der Mikro- und der Makro-Ebene im Panpsychismus wird an späterer Stelle noch einmal aufgegriffen; zumindest ist bis hierher deutlich geworden, dass die Selbst- verortung panpsychistischer Philosophien des Geistes zwischen ihren materialistischen und dualistischen Alternativen mancherorts Entscheidungen in die eine oder die andere Richtung nötig macht - auch wenn von Seiten panpsychistischer Positionen häufig scharfe Negierungen physikalistischer und auch common sense -motivierter Prinzipien vermieden werden, etwa durch die Rede von einer „abweichenden Lesart” des Gedankens der Geschlossenheit der physischen Welt.
An dieser Stelle schließt sich ein Stück weit der Kreis im Hinblick auf die zu Beginn des Kapitels zitierte Passage aus Rosenbergs A Place for Consciousness: Naturwissenschaftliche Beschreibungen und Erkenntnisse werden im Panpsychismus nicht direkt in ihrem Anspruch auf Geschlossenheit in Frage gestellt, sondern mit einer neuen und anderen Basis unterlegt und, ausgehend von dieser neuen Basis, in ihrer vorbekannten „alten Ordnung” bewahrt.
Diesem Gedanken folgend, dass panpsychistische Theorien als metaphysische „Unterfütterung” und Brücke hin zu empirischen Theorien der Natur und des Geistes begriffen werden können, bezieht sich Rosenberg an anderer Stelle auf mehrere empirische Ansätze an der Schnittstelle von Naturwissenschaften und Informatik128 ; und ich möchte die Verbindung zu einer dieser empirischen Bewusstseinstheorien, zu der im vorangegangenen bereits angesprochene „Theorie der integrierten Information” (IIT) von Tononi, noch einmal zum Thema machen.
Tononi erkennt das von David Chalmers charakterisierte „harte” Problem des Bewusstseins umfänglich an129: Wenn wir von rein physikalischen Zusammenhängen das Auftreten geistiger Phänomene zu erklären versuchen, wenn wir, wie Tononi sagt, den Geist aus der Materie „destillieren” möchten - dann besteht in der Tat die viel zitierte und unüberwindlich scheinende „Lücke” zwischen physischen und geistigen Tatsachen. Hier handelt es sich um ein prinzipielles oder konzeptuelles Problem, und auch weiterer Fortschritt in den empirischen Wissenschaften, insoweit wir ihn uns jetzt vorstellen können, wird dies mutmaßlich nicht aufheben.
Ungleich zugänglicher stellt sich die Situation jedoch dar, wenn wir gewissermaßen den umgekehrten Weg gehen, und als gedanklichen Startpunkt die unzweifelhafte Existenz geistiger Eigenschaften, von Bewusstsein und Phänomenalität, wählen: dann geht es, aus empirischer Perspektive, vielmehr darum, „die wesentlichen Eigenschaften des Bewusstseins zu identifizieren, und dann zu fragen, welche Arten physischer Mechanismen sie erklären kön- nen”.130
Zu diesen wesentlichen Eigenschaften zählt für Tononi unter anderem, dass Bewusstsein intrinsisch ist, strukturiert und einheitlich, sowie Information enthält. Diese und weitere Eigenschaften wiederum korreliert die IIT mit hierzu strukturell ähnlichen Merkmalen physischer Prozesse, eben mit der schrittweisen Zunahme integrierter Information - zunächst im Rahmen neuronaler Netzwerke und Aktivität insbesondere des von Tononi und Edelmann so genannten „dynamischen Kerns” aus (wechselnden) hauptsächlich thalamischen und kortikalen Strukturen.131 Aber auch die Extrapolation auf andere - und einfachere - physische Systeme ist denkmöglich; und so kommt Tononi schließlich zu dem Fazit, der Panpsychismus decke sich zwar nicht mit allen Aspekten der IIT, es könnten aber umgekehrt einige seiner wesentlichen Intuitionen im Rahmen der Theorie der integrierten Information gewahrt und verteidigt werden - etwa die Konzeption des Bewusstseins als intrinsischem und fundamentalem Bestandteil unserer Wirklichkeit, der in Abstufungen bis hinunter zu den einfachsten Systemen zu finden ist.132
Tononis „IIT” ist daher mehrfach von panpsychistischer Seite aufgegriffen worden. Patrick Spät, der sich in seiner Dissertation für einen „graduellen” Panpsychismus ausspricht, findet in der Theorie der integrierten Information und ihrer Verbindung von Phänomenalität und Empirie den notwendigen naturwissenschaftlichen Anknüpfungspunkt, der, durch „eine panpsychistische Wirklichkeitsordnung [...] mit dem notwendigen metaphysischen Rüstzeug unterfüttert”, das Potential habe, das Leib-Seele-Problem zu lösen: Insbesondere die Abgestuftheit des geistigen Erlebens und der geistigen Entitäten, das Graduelle seines Panpsychismus, sieht Spät in Tononis Theorie um wichtige naturwissenschaftliche Evidenz ergänzt.133
Freilich betont Spät auch die Differenzen zur naturalistischen Grundausrichtung der IIT; auch in ihrem Rahmen kann - wie von Tononi in dem zitierten Artikel betont - die Entstehung des Geistigen aus dem rein Physischen nicht zwingend intelligibel gemacht und das „harte Problem” des Bewusstseins gelöst werden. Spät hingegen optiert für einen „revidierten Monismus”, der zwar den methodologischen Naturalismus der Naturwissenschaften und die Geltung ihrer Sätze nicht direkt in Frage stellt, der aber unter der Überschrift „Geist in der Natur statt naturalisierter Geist” einen ontologischen Naturalismus im Sinne eines reduktionistischen Anspruchs auf Universalerklärung aller Phänomene der Wirklichkeit ab- lehnt.134
Auch Gregg Rosenberg, wie bereits angesprochen, knüpft an die Theorie der integrierten Information an; sie ist Bestandteil der von ihm so genannten „synoptischen Pyramide”, die uns in Stand setzen soll, das Phänomen des Bewusstseins auf mehreren Ebenen zu verstehen. Rosenbergs panexperientialistische Theorie natürlicher Individuen, TNI - die die Trägertheorie der Verursachung und die Theorie des kausalen Bedeutsamkeit zusammenfasst -, bildet hierbei die unterste, „metaphysische” Schicht der Pyramide; Tononis IIT steht auf der darauf auf bauenden, „physischen” Stufe. Es folgt eine Schicht zur Erklärung des Bewusstseins auf der „kognitiven” Ebene (exemplifiziert durch die „Global Workspace”-Theorie von Baars). Das oberste der Level der synoptischen Pyramide des Bewusstseins, das seine Imple- mentierung auf der „biologischen” Ebene zum Inhalt hat, stellt die oben angesprochene, ebenfalls von Tononi (und Gerald Edelman) formulierte Theorie des „dynamischen Kerngefüges” thalamokortikaler neuronaler Netzwerke dar.135
Während die unterste Stufe der Pyramide, die (metaphysische) Theorie natürlicher Individuen, die Frage beantwortet, weshalb Bewusstsein überhaupt existiert, untersucht die Theorie der integrierten Information, auf der zweiten, physischen Ebene, wo und in wel- eher Quantität es Bewusstsein gibt - ausgedrückt in dem Maß für die integrierte Information, 0. Für Rosenberg stellt die IIT damit eine ganz wesentliche Unterstützung und Bestätigung seines gesamten panexperientialistischen „liberalen” Naturalismus mit Trägertheorie der Verursachung und Theorie der kausalen Bedeutsamkeit dar; sie sei der „fast perfekt strukturierte [...] physikalische Ausdruck der TNI-Metaphysik”.136 Gerade in der Verbindung von TNI und IIT, d.h. der beiden unteren Stufen der synoptischen Pyramide, von Physik und Metaphysik, kann eine vollständig naturalistische Antwort auf die Bewusstseinsfrage gegeben und dennoch das „harte Problem” - die selbst erklärte Leerstelle bei Tononi - gelöst werden.137
Schließlich hat insbesondere Hedda Hassel M0rch die Bedeutung der Theorie der integrierten Information für einen Panpsychismus Russell’scher Prägung - der Bewusstsein mit der intrinsischen Natur der materiellen Struktur identifiziert -, aber auch mögliche Spannungen zwischen den beiden Theorien, herausgearbeitet.138
Ich möchte an dieser Stelle, ausgehend von der beschriebenen, beidseitig gelegentlich proklamierten Nähe der (empirisch-neurowissenschaftlichen) Theorie der integrierten Information und der (philosophischen) Theorie des Panpsychismus aber noch einmal auf einige grundlegende Unterscheidungen und vielleicht auch Missverständnisse hinweisen, wenn es um die Bedeutung oder den systematischen Stellenwert empirischer Befunde und Theorien für philosophische, also begriffliche, Differenzierungen, Argumente und Positionen geht.
Ohne Zweifel ist, sofern eine metaphysische „Unterfütterung” einer empirischen Theorie für notwendig erachtet wird, die panpsychistische Position eine mögliche ontologische Interpretation der IIT - aber diese Interpretation wird natürlicherweise und in aller Regel von Philosophinnen und Philosophen bemüht, die, unabhängig von der IIT, aus systematischen philosophischen Gründen, dem Panpsychismus zuneigen. Ausgehend von „neutralem” metaphysischem Grund erscheint es prima facie gleichermaßen möglich, etwa eine materialistische Identitätstheorie mit genau den gleichen empirischen Befunden für vereinbar zu halten - hierzu passend spricht Tononi mehrfach davon, dass die IIT die „fundamentale Identität” einer qualitativen Erfahrung und einer konzeptuellen Struktur postuliere.139
Insbesondere ist die IIT aber eine neurowissenschaftlich nicht unumstrittene Theorie des Bewusstseins, von der manchmal etwas spitz angemerkt wird, sie habe „die aktiven Forscher [im Bereich der empirischen Bewusstseinstheorien] nicht in gleichem Maße beeindruckt wie die Laien auf diesem Gebiet”.140 In diesem Sinn wurde vor einer Verwechslung der „empirischen” und der „fundamentalen” Interpretation der IIT gewarnt: Während die erste das Maß der integrierten Information als einen Marker für Bewusstsein betrachtet (eine Interpretation, die hinsichtlich der genauen ontologischen Relation von Bewusstsein und physischen Substrat wesentlich neutral ist), postuliert die zweite eben eine Identität von Mustern integrierter Information und (bewussten) Erlebnissen - wobei es sich um eine philosophische These handelt, auf empirisch notwendig dünnem Boden.141
Es lässt sich hier, glaube ich, ein wesentlicher genereller Punkt zum Verhältnis von philosophischen und empirischen Theorien des Geistes veranschaulichen; und die mangelnde Abgrenzung zwischen beiden und willentliche oder unwillentliche konzeptuelle Ungenauigkeit - von Chalmers als „bait and switch” bezeichnet142 - hat zu falschen Annahmen im Hinblick auf die Fundierung und Entwicklung philosophischer Positionen beigetragen.143
Während empirische Theorien des Geistes ein immer detaillierteres Bild derjenigen physischen Prozesse zeichnen, die unserem bewussten Erleben zu Grunde liegen - die „neuronalen Korrelate” des Bewusstseins zu identifizieren versuchen; wobei hier explizit nicht nur korrelationale, sondern kausale Beziehungen im Fokus stehen144 - bildet die Frage nach der konzeptuellen oder ontologischen Relation von geistigen und materiellen Entitäten den Gegenstand philosophischer Theorien. Die Vielzahl der philosophischen Konzeptionen dieser Relation - die vielen „-Ismen”: Physikalismus und Dualismus, Reduktionismus und Funktionalismus, Epiphänomenalismus und Emergentismus, und eben auch der Panpsychismus - ist hierbei begrifflich sehr klar, empirisch in aller Regel aber nur schwer, unterscheidbar; derselbe empirische Datensatz ist mit vielen, wenn nicht allen145, ontologischen Grundannahmen zu vereinbaren.
Dieser Zusammenhang, oder eher das Fehlen eines reliablen Zusammenhangs, lässt sich vielleicht am einfachsten verdeutlichen, wenn man exemplarisch zwei sehr gegensätzliche Positionen zum Verhältnis von Geist und Materie (in allgemeiner Formulierung) betrachtet: Materialismus und Idealismus. Während der erste die Materie für grundlegend hält, und annimmt, dass sich geistige letztlich auf materielle Eigenschaften reduzieren lassen, argumentiert der zweite - der Idealismus - genau entgegengesetzt: das Geistige ist grundlegend, und materielle Eigenschaften lassen sich letztlich auf geistige reduzieren. Es fällt schwer zu sehen, wie selbst bei diesen gänzlich gegensätzlichen Positionen empirische Daten den Ausschlag in eine Richtung geben könnten - während materialistische Positionen argumentieren können, es sei empirisch naheliegend, dass geistige Eigenschaften materielle zur Grundlage hätten, kann andererseits argumentiert werden, dass sich gerade ein realistischer Idealismus aus der Empirie ergibt146 ; und auch ein anti-realistischer Idealismus wäre sicher ohne weiteres mit den empirischen Daten zu vereinbaren, da er eine These ja gerade über die Realität hinter den empirischen Daten (und nicht über diese selbst) enthält.
Kurz gesagt, genau dieselben empirischen Daten werden von Materialismus und Idealismus einfach anders eingeordnet - und wenn schon zwei so gegensätzliche Positionen in der Philosophie des Geistes empirisch nicht unterscheidbar sind, dann erscheint es plausibel anzunehmen, dass dies erst recht etwa für den reduktiven Materialismus und die Identitätstheorie, oder den für konstitutiven Panpsychismus und den konstitutiven Panprotoexperi- entialismus der Fall sein muss.
In diesem Sinn wird auch deutlich, dass die (aus dem philosophisch-neurowissenschaftlichen Grenzgebiet heraus) bisweilen am Panpsychismus geäußerte Kritik, dieser sei empirisch nicht überprüfbar147, auf einem prinzipiellen Missverständnis beruht. Als philosophische (konzeptuelle, begriffliche) Theorie ist der Panpsychismus gerade nicht empirisch belegoder widerlegbar - so wenig, wie sich die philosophischen Alternativen von Realismus und Antirealismus, Presentismus und Eternalismus, Kompatibilismus und Inkompatibilismus, oder Konsequentialismus und Deontologie empirisch entscheiden lassen -; sonst wäre er eine empirische, keine philosophische Theorie.
Es gibt darüber hinaus noch ein weiteres, eher „praktisches” Argument gegen einen (starken) Zusammenhang philosophischer und empirischer Theorien des Geistes oder des Be- wusstseins.148 Es zielt auf den (kollektiven) Fortschritt, der in einem bestimmten Gebiet über die Zeit hinweg erreicht wird. Unbestreitbar ist es in den vergangenen Jahrzehnten seitens der empirischen Forschung zu erheblichen Fortschritten in Bezug auf unser Verständnis der neuronalen Grundlage mentaler Funktionen (und Dysfunktionen) gekommen; zu Fortschritten, auf die ich hier nicht näher eingehen möchte. Eine enge Beziehung zwischen empirischen und philosophischen Theorien des Geistes würde nun aber nahelegen oder erwarten lassen, dass dieser empirische Fortschritt auch zumindest in gewissem Umfang zu einem philosophischen Fortschritt in Bezug etwa auf die Bewusstseinsfrage führt - und dies ist absehbar nicht der Fall.
Die Frage, ob es philosophischen Fortschritt gibt, und worin dieser besteht, ist natürlicherweise umstritten - mit Vertreterinnen und Vertretern sowohl der Position, dass es nennenswerten, und durchaus den empirischen Wissenschaften vergleichbaren, philosophischen Fortschritt gibt149, als auch der Gegenposition, dass es diesen nicht gibt150. Bezeichnenderweise ist bereits die Definition, worum es sich bei Fortschritt in der Philosophie handelt, umstritten, und Gegenstand eines „Gerrymandering” notwendiger und hinreichender Bedingungen für philosophischen Fortschritt, in dem Sinne, dass die jeweils eigene Position gestützt wird.151
Es ist nicht nötig, für das hier zu formulierende Argument einen eigenen philosophischen Fortschrittsbegriff zu entwickeln, sondern ich möchte einen pragmatisch naheliegenden Proxy für (philosophischen) Fortschritt zu wählen: die kollektive Konvergenz der Meinung von Expertinnen und Experten hin zu einer der verschiedenen möglichen Lösungen der betreffenden Frage.152 Die Konvergenz der Expertenmeinung hin zu einer dann gemeinsam geteilten Position kennzeichnet maßgeblich den naturwissenschaftlichen Fortschritt - während es vor einigen Jahrhunderten unklar war, wie das Blut im menschlichen Körper zirkuliert, ist der Blutkreislauf mittlerweile gut bekannt und akzeptiert; während es vor einigen Jahrzehnten kontrovers war, ob ein Informationsfluss von RNA zu DNA stattfinden kann, ist dies mittlerweile unbestritten; usw.
Gibt es eine solche kollektive Konvergenz hin zu einer Position (oder einer Klasse von Positionen), oder zumindest die Entwicklung hin zu einer Konvergenz, in der Philosophie des Geistes? Wahrscheinlich nicht; und in diesem Sinn gibt es keinen großen Fortschritt in der Philosophie des Geistes.153 Chalmers verweist auf eine 2009 durchgeführte Befragung unter rund 1000 Philosophinnen und Philosophen hauptsächlich analytischer Ausrichtung, der- zufolge 57% der Befragten eine physikalistische Philosophie des Geistes favorisieren, bei 27% für „Non-Physikalismus” und 16% für „anderes”.154 Dies fasst den Dissens zur ontologischen Einordnung des Geistes in Zahlen; zumal, wenn in Anrechnung gebracht wird, dass, erstens, vorwiegend analytische Philosophinnen und Philosophen befragt wurden (und unter den übrigen der Physikalismus mutmaßlich etwas weniger hoch im Kurs steht), und insbesondere, zweitens, der Begriff „Physikalismus” mehrere, mitunter sehr verschiedene Positionen unter sich gruppiert - vom eliminativen bis zum nicht-reduktiven Physikalismus, von den hier behandelten panpsychistischen Physikalismen nicht zu sprechen.
Um sicher zu beurteilen, ob nicht zumindest eine Entwicklung hin zu einer kollektiven Konvergenz in der Philosophie des Geistes vorliegt, fehlen natürlich regelmäßige Vergleichsstudien, die die gleichen Daten in einer vergleichbaren Population zu einem anderen Zeitpunkt erheben. Die 2020 durchgeführte Folgestudie von Bourget und Chalmers zeigt, in der 2009-2020 longitudinalen Vergleichsgruppe, keine relevante Befundänderung in der Einstellung zum Physikalismus in diesem Zeitraum.155 Vor allem aber erscheint es, auch bei fehlenden methodisch vergleichbaren Datenerhebungen zu früheren Zeitpunkten, keineswegs zu weit hergeholt anzunehmen, dass die Zustimmung zu einer physikalistischen Position in den angelsächsischen, analytisch geprägten philosophischen Departments etwa in den 1950er und 1960er Jahren zumindest genauso groß, wenn nicht erheblich größer, war.156 Damit hat die in den vergangenen 50 Jahren durch die empirische (Neuro-)Wissenschaft immer detaillierter erfolgte Beschreibung der physikalischen Grundlagen des bewussten Erlebens gerade nicht zu einer signifikanten Zunahme physikalistischer Positionen in der Philosophie des Geistes geführt.
Man könnte hier erwidern, dass gerade im Bereich der empirischen Bewusstseinstheorien ebenfalls ein erheblicher Dissens zwischen den Expertinnen und Experten besteht, sodass dies mit dem Dissens in der Philosophie des Geistes durchaus zur Deckung zu bringen sei. Tatsächlich gibt es rund eine Handvoll prominent vertretener empirischer Bewusstseinstheorien (neben der IIT und den „higher-order”-Theorien sind dies insbesondere die „global neuronal workspace”- und „recurrent processing”-Theorien), die sich in wesentlichen Punkten widersprechen (etwa in Bezug auf die anatomische Lokalisation der neuronalen Korrelate des Bewusstseins, manchmal auch in Bezug auf den Bewusstseinsbegriff an sich) und ohne dass absehbar wäre, dass sich einer der Ansätze oder ein gemeinsam geteilter Kompromiss durchsetzen könnte. Dieser Dissens ist sicherlich nicht zuletzt Ausdruck der Tatsache, dass es sich - entgegen dem Chalmers’schen wording - bei den Fragen der neurowissenschaftlichen Untersuchung des Bewusstseins gerade nicht um „einfache” Fragen handelt, und insbesondere die Abgrenzung der Korrelate des bewussten Erlebens an sich von Korrelaten der Aufmerksamkeitssteuerung, der Aktualisierung des Kurzzeitgedächtnisses und der Berichtbarkeit des Erlebten schwierig ist. Nicht ganz unähnlich philosophischen Debatten, werden so etwa Übersichtsarbeiten zum gegenwärtigen Stand der empirischen Bewusstseinsforschung häufig aus dem Blickwinkel einer Theorie geschrieben, und Studien, die mehrere Theorien miteinander vergleichen (anstatt Evidenz für eine, bereits vor Durchführung der Studie präferierte, Theorie zu sammeln), sind eher selten.157
Dennoch geht eine Gleichsetzung von Dissens in der Philosophie des Geistes und Dissens in der empirischen Bewusstseinsforschung fehl. Zum einen ist das Ausmaß an Dissens nicht zu vergleichen; es gibt zentrale Übereinstimmungen und durchaus das neurowissenschaftliche Detail betreffende, gemeinsam geteilte Grundannahmen der verschiedenen empirischen Theorien des Bewusstseins - etwa, dass sie alle in der einen oder anderen Form neuronale Feedbackmechanismen für wesentlich für Bewusstsein erachten158 -, für die sich keine Entsprechungen in den widerstreitenden Positionen der Philosophie des Geistes finden. Zum anderen gibt es konkrete Bestrebungen, im Rahmen einer Zusammenarbeit direkt Hypothesen der verschiedenen empirischen Theorien miteinander zu vergleichen, um Fortschritt zu erzielen.159
Es scheint hier zu gelten, was Peter van Inwagen in Bezug auf Philosophie und Physik auf den Punkt gebracht hat:
„Disagreement in philosophy is pervasive and irresoluble. There is almost no thesis in philosophy about which philosophers agree. If there is any philosophical thesis that all or most philosophers affirm, it is a negative thesis: that formalism is not the right philosophy of mathematics, for example, or that knowledge is not (simply) justified, true belief. [...] That is not how things are in the physical sciences. I concede that the ,cut- ting edge’ of elementary-particle physics looks a lot like philosophy in point of pervasive and fundamental disagreement among its respected practitioners. But there is in physics a large body of settled, usable, uncontroversial theory and of measurements known to be accurate within limits that have been specified. The cutting edge of philosophy, however, is pretty much the whole of it.”160
Damit ist der Dissens der gegenwärtigen empirischen Bewusstseinsforschung Ausdruck der Tatsache, dass diese gewissermaßen die wissenschaftliche Speerspitze darstellt, die, ungeachtet der Widersprüche im konkreten Detail, ein großes Maß gesichertes und gemeinsam ak- zeptiertes neurowissenschaftliches Wissen zur Basis hat - während diese gemeinsam geteilte und unkontroverse Basis in der Philosophie des Geistes keine Entsprechung hat.
Man könnte weiterhin kritisch gegen die hier präferierte Position argumentieren, dass die beschriebene Unabhängigkeit empirischer und philosophischer Theorien des Geistes nur einen trivialen Sachverhalt und „common sense” ausdrückt; aber dies würde den Tatsachen nicht gerecht. Zwar ist die zugrunde liegende Idee in gewissem Sinn trivial formulierbar - etwa, dass empirische Fragen mit empirischen Methoden beantwortet werden, und nichtempirische Fragen mit nicht-empirischen Methoden -, aber die Artikulation der Beziehung zwischen empirischen Daten und nicht (primär) empirischen Konzepten ist alles andere als trivial. Vor allem aber entspricht die Annahme einer Unabhängigkeit nicht dem philosophischen „common sense” in dem Sinn, dass sie von allen Beteiligten geteilt würde. Insbesondere Vertreterinnen und Vertreter etwa einer reduktionistischen Position verweisen explizit auf die Relevanz empirischer Befunde zur Klärung philosophischer Fragen.161 Ich möchte hier aber etwas detaillierter auf eine Stellungnahme von Philip Goff eingehen - der gerade einen prominent anti-reduktionistischen (panpsychistischen) Standpunkt vertritt. Er schreibt explizit, das Leib-Seele-Problem bestehe „in dem folgenden Dilemma”:
„1. There are strong empirical reasons for doubting dualism: If there were fundamental mental properties in or associated with the brain that regularly impacted on the physical processes that govern behaviour, then this would show up in our neuroscience. We would find physical changes in the brain that have no physical cause. The fact that we don’t find brain events that can’t be explained in terms of physical laws constitutes a strong and ever-growing inductive case against dualism [...].
2. There are strong philosophical reasons for doubting physicalism: The physical facts about my body and brain can wholly account for my conscious experience only if those physical facts necessitate the facts about my conscious experience. If the physical facts about my brain necessitate the facts about my conscious experience, then there is no possible world in which there is a functioning body and brain physically identical to my own but in which there is no consciousness. And yet there is good reason to think that such a world is conceivable, in the sense of being rationally coherent, and this gives us good reason to think that such a world is possible [...].”162
Für Goff folgt also eine Ablehnung des Dualismus aus den empirischen Befunden, während philosophisches Überlegen zu einer Skepsis gegenüber dem Physikalismus führe.
Diese Argumentation hat eine gewisse Plausibilität, und sie ist nicht im eigentlichen Sinn falsch; aber es lässt sich recht einfach deutlich machen, dass die „empirischen und philosophischen Gründe” jeweils keinen eindeutigen Befund erbringen: man kann leichterhand eine, ebenso plausible, Argumentation für einen Zusammenhang in genau entgegengesetzter Richtung formulieren.
Die empirische (Neuro-)Wissenschaft, lautet diese entgegengesetzte Einordnung, lässt das qualitative Erleben als Explanans außen vor, und beschreibt allein die neuronalen Prozesse, die unser Verhalten und auch unser Empfinden (hinreichend) erklären. Zwar verursachen diese Prozesse unser subjektives Erleben, aber sie sind von ihm verschieden. In diesem Verständnis steht die empirische Wissenschaft philosophisch einer dualistischen Position am nächsten - dem Epiphänomenalismus. Nun ist es umgekehrt das philosophische Überlegen, das sich, angesichts der systematischen Schwächen des Epiphänomenalismus (und anderer dualistischer Positionen), dem Monismus zuwendet und versucht, ein sparsames, einheitliches, und alle Phänomene integrierendes Bild der Welt zu entwerfen. Es sind, sagt die Gegenposition zu Goff, gerade nicht die empirischen Befunde, sondern die (schon zu Descartes’ Zeiten bekannten und diskutierten) systematischen Schwächen, die den Dualismus unattraktiv erscheinen lassen.
Ich möchte hier nicht urteilen, ob das Argument im Sinne Goffs oder dasjenige im eben vorgestellten Sinn das überzeugendere ist - allein die Tatsache, dass sich zwei gegensätzliche Positionen plausibel verteidigen lassen, unterstreicht, dass gerade kein zwingender Zusammenhang zwischen empirischen und philosophischen Theorien des Bewusstseins besteht.
Dies bedeutet nun allerdings nicht, dass empirische Befunde keinerlei Relevanz für das philosophische Nachdenken haben. Exemplarisch möchte ich hier Arbeiten hervorheben, die qualitatives Bewusstsein - Phänomenalität - unabhängig von seiner Berichtbarkeit (oder Erinnerung) versuchen dingfest zu machen. Die philosophische Debatte um Qualia hat natürlicherweise jenen Erlebnisaspekt zum Inhalt, über den wir sprechen und an den wir uns erinnern können. Unklar ist aber, ob wir sicher sein können, dass unser phänomenales Bewusstsein nicht viel reicher ist: vielleicht erinnern wir uns an einen Großteil unserer Erlebnisse nicht, und können so schlicht nicht über sie berichten und sie zum Inhalt des Nachdenkens machen. Andererseits ist es schwierig, die Existenz „nicht erinnerter” Erlebnisse zu überprüfen. Belegt aus der lebenspraktischen Erfahrung ist ein mehr oder minder alltägliches Vorkommnis: Nach Rauschmittelkonsum oder auch bei starker Müdigkeit kann es zum „Filmriss” kommen - die Außenstehenden haben keinen Zweifel, dass die betreffende Person die Situation auf die eine oder andere Weise bewusst erlebt, aber sie selbst kann sich im Nachhinein nicht mehr daran erinnern.
Neurowissenschaftliche Arbeiten können nun einen Hinweis darauf geben, dass dieses Phänomen nicht auf besondere Situationen beschränkt ist, sondern gewissermaßen fortlaufend unser bewusstes Erleben ausmacht: Wir „sehen viel mehr, als wir denken”, wie etwa Versuche zum visuellen Kurzzeitgedächtnis zeigen; der bewusste Inhalt unserer visuellen Wahrnehmung geht über das hinaus, was wir berichten können und wozu wir Zugang haben.163 Damit wird die Basis des Phänomens, über dessen ontologischen Status dann philosophisch nachgedacht wird, noch einmal wesentlich verbreitert.164
Ich möchte nun wieder zur (philosophischen) Theorie des Panpsychismus zurückkehren, und eine kurze Zusammenfassung des vorangegangenen Abschnitts formulieren. Panpsy- chistische Philosophien können, wie oben gesehen, in Anknüpfung an Theorien der höheren Ordnung und etwa auch an die Theorie der integrierten Information, im doppelten Sinn eine „Lücke” schließen: Zum einen bieten sie die notwendige metaphysische „Unterfütterung”, die es erlaubt, bewusste Phänomene nicht als bloße facta bruta neben physische zu stellen, sondern Bewusstsein als natürlichen Teil der Welt zu erklären und damit eine Antwort auf das „harte Problem” des Bewusstseins zu formulieren. Zum anderen können im Panpsychismus, wenn Geist und Bewusstsein sich nahtlos in den - gleichwohl „liberalen” - naturalistischen Rahmen einfügen, grundsätzliche Intuitionen über uns selbst als geistige Wesen gewahrt bleiben, und so auch die „Lücke” zwischen der Natur, wie sie uns als Objekt umgibt, und uns selbst, als handelnden und empfindenden Subjekten, überwunden werden.
Diesen letzten Aspekt noch einmal betonend, lässt sich, in einem Satz, ein wesentlicher Anspruch panpsychistischer Philosophien des Geistes festhalten, der für die ganze Sicht auf die Dinge aus panpsychistischer Perspektive, und für die vorliegende Arbeit, den Hintergrund bildet: Der Panpsychismus formuliert die Grundlage für eine Vereinbarkeit und Vereinbarung unseres Alltagsweltbildes - der Art und Weise, wir uns im alltäglichen Denken und Handeln notwendig selbst verstehen - mit dem (natur-)wissenschaftlichen Weltbild. Diese „Quadratur des Kreises”, die Beobachtetem und Beobachtendem gleichermaßen Rechnung trägt, die der nicht-reduktive Physikalismus versucht hat und an der er letztlich gescheitert ist, kann im Rahmen panpsychistischer Konzeptionen einer Philosophie des Geistes gelingen.
Es gibt nun allerdings innerhalb der panpsychistischen Ontologie wiederum eine Bandbreite verschiedener Positionen; der beschriebene Anspruch kann auf die eine oder andere Weise, mit Kompromissen in die eine oder die andere Richtung einzulösen versucht werden. Dies ist Thema des nächsten Abschnitts.
2.2.3 Welcher Panpsychismus? Konstitutive und emergente Varianten
Während im vorangegangen die (Selbst-)Verortung panpsychistischer Konzeptionen in der Philosophie des Geistes zwischen den Polen des (materialistischen) Monismus und des Dualismus besprochen wurde, soll hier nun eine nähere Fokussierung des Panpsychismus erfolgen, sodass die begriffliche Auflösung erhöht und Differenzen innerhalb der verschiedenen panpsychistischen Entwürfe sichtbar gemacht werden können.
Wie oben bereits angesprochen, liegt es in der Natur der Sache, dass die unterschiedlichen Positionen in der Philosophie des Geistes, auch die panpsychistischen Positionen, an der ein oder anderen Stelle Entscheidungen und Unterscheidungen treffen müssen; Entscheidungen, die, auch sofern behauptet wird, eine „dritte Alternative” zu vertreten, von ihrer Grundintuition eher in Richtung eines Materialismus oder eines Dualismus weisen. Bei gemeinsam geteiltem panpsychistischem Grundkonsens können verschiedene Philosophien des Geistes damit jeweils den Gedanken der Eigenständigkeit des Mentalen, oder jenen der strikt monistischen Weltauffassung stärker betonen, also der materialistischen oder der dualistischen Alternative näher stehen; und ich möchte die Intuitionen und Argumente, die jeweils hinter diesen verschiedenen Ausformulierungen der panpsychistischen Grundidee stehen, im vorliegenden Abschnitt nachzeichnen.
Diejenigen panpsychistischen Positionen, die im Zweifelsfall eher zum materialistischen Pol hin tendieren, finden sich unter dem Überbegriff des „constitutive panpsychism” (der manchmal auch als „compositional panpsychism” bezeichnet wird). Dem konstitutiven Panpsychismus zugrunde liegt die Vorstellung, dass die uns aus dem Alltag vertrauten geistigen Phänomene der Makro-Ebene vollständig aus denjenigen der Mikro-Ebene hervorgehen - eben von ihnen (und sozusagen ohne „explanatorischen Rest”) konstituiert werden:
„ Constitutive panpsychism is the thesis [...] that macroexperience is constituted by microexperience, or realized by microexperience. On this view, macrophenomenal truths obtain in virtue of microphenomenal truths, in roughly the same sense in which materialists hold that macrophenomenal truths obtain in virtue of microphysical truths. To put things intuitively, constitutive panpsychism holds that microexperiences somehow add up to yield macroexperience.”165
Der ontologische Aufbau der Welt im Sinne konstitutiver Panpsychismen wird hierbei ganz analog zur ontologischen Ordnung der klassischen physikalistischen Weltverständnisse begriffen: Die Art und Weise, wie es sich auf der untersten Stufe der Welt verhält, die Fakten über die Mikro-Ebene, legt oder legen mit Notwendigkeit fest, wie es sich auf der uns aus dem Alltag vertrauten Stufe aus „mittelgroßen” Gegenständen und Lebewesen verhält, bis hinauf zu größeren Systemen und schließlich zum gesamten Universum - wie es sich, mit einem Wort, auf der Makro-Ebene verhält. Etwa Rosenbergs Gedankenexperiment der zellulären Automaten und andere antireduktionistische Argumente aufgreifend, ergänzt der konstitutive Panpsychismus hierbei „nur” auf niederster Stufe phänomenale Fakten zusätzlich zu den physischen; physische und phänomenale Mikro-Fakten gemeinsam bestimmen alle weiteren Fakten.
So sehr der Panpsychismus also eine Reduktion phänomenaler auf physische Tatsachen ablehnt, besteht er, in seiner konstitutiven Spielart, auf einem „Intra-Attribut-Reduktionis- mus”: Die Empfindungen und Überzeugungen, Absichten und Handlungen einer Person etwa, und auch die Person selbst, können vollständig hergeleitet werden, bestehen letztlich aus mikrophänomenalen Fakten über die kleinsten Bausteine des Körpers dieser Person.
An dieser Stelle kommt nun wieder die systematisch wichtige Frage nach der Möglichkeit, Notwendigkeit oder Unmöglichkeit von Abwärtsverursachung ins Spiel, die oben bereits angesprochen wurde: Darf oder muss diese eine Rolle in panpsychistischen Philosophien des Geistes spielen? Was bedeutet es, wenn wir davon sprechen, dass eine Person als geistiges Subjekt der Makro-Ebene Urheberin einer Handlung ist?
Für konstitutive Varianten des Panpsychismus ist die Antwort klar; sie wird analog zur Frage der rein materiellen Abwärtsverursachung in physikalistischen Szenarien gegeben. Die wirkursächlichen Eigenschaften einer (handelnden) Person, eines Makro-Subjekts gehen vollständig in denjenigen der sie konstituierenden Mikro-Ebene auf - sie sind diese Eigenschaften; und für eine Abwärtsverursachung, die hierüber hinaus ginge, um gewissermaßen von außen und zusätzlich auf die Mikro- (und die Makro-)Ebene einzuwirken, kann prinzipiell kein Platz sein.
Das bedeutet, gemäß der konstitutiven Lesart, aber gerade nicht, dass es sich bei den (mentalen oder physischen) „Gegenständen” der Makro-Ebene und ihrer Wirksamkeit um Epiphänomene handelt: Die Kräfte, die ein Rad entwickelt, wenn es sich dreht, wirken natürlich auf seine Speichen zurück (und auf seine Umwelt ein); aber diese Kräfte sind eben vollständig durch die Gegebenheiten der Speichen und der weiteren Bestandteile der „unteren” Ebene bestimmt. Dass kausale Eigenschaften der Mikro-Ebene die kausalen Eigenschaften der Makro-Ebene konstituieren, macht letztere nicht wirkungslos, sondern stellt im Gegenteil gerade die Implementierung ihrer Wirksamkeit dar; wer wirkursächliche Kräfte außerhalb der sie konstituierenden Mikro-Ebene sucht, sucht sie gewissermaßen an der falschen Stelle. Die hohe intuitive Plausibilität der oben, bei Rosenberg - in kritischer Wertung -, angesprochenen „Mikrodeterminationsthese” gilt für Mikro-Ebenen mit und ohne (mikro-)mentalen Eigenschaften gleichermaßen.
Die kausale Wirksamkeit geistiger, genauer: phänomenaler Eigenschaften kann im konstitutiven Panpsychismus auch dann gewahrt werden, wenn der Zirkel der physischen Wirkverursachung vollständig intakt bleibt. Phänomenale Eigenschaften sind die intrinsischen Träger der am eigentlichen Verursachungsprozess beteiligten (physischen) Eigenschaften - unterschiedliche (proto-)mentale intrinsische Naturen bedingen unterschiedliche Effekte der an der Kausalverbindung beteiligten Ereignisse, ohne dass sie direkt als Argumente in die Kausalverbindung eintreten. Sofern unterschiedliche intrinsische mentale Eigenschaften eines Ereignisses vorliegen, handelt es sich schlicht um unterschiedliche Ereignisse.166
Der wesentliche Kritikpunkt an den konstitutiven Varianten panpsychistischer Entwürfe in der Philosophie des Geistes wurde im Grunde oben schon benannt: Sie bieten, so lautet die Kritik, bei aller theoretischen Geschlossenheit und Eleganz der Integration des Mentalen in die physikalisch beschreibbare Welt, eine nur unzureichende Erklärung und Begründung derjenigen Phänomene, um die es überhaupt primär ging und geht: eine Erklärung der Einbettung makroskopischer geistiger Subjekte in die (kausale) Struktur unserer Wirklichkeit, der genuinen kausalen Wirksamkeit höherstufiger Individuen wie Menschen und Tieren, von „agency”; kurz gesagt, des Phänomens, dass ich in meinem Handeln Einfluss auf den Gang der Dinge nehmen kann.
Dieser Gedanke bildet die Motivation für die nicht-konstitutiven oder emergenten Spielarten des Panpsychismus. Ihr Argument wird wie folgt formuliert: Wenn die Eigenschaften einer höheren, supervenienten Ebene, und damit auch ihre kausalen Kräfte, vollständig von der niederen, subvenienten Ebene „konstituiert” werden, wenn also das kausale Netz der Welt vollständig durch die vielen Interaktionen ihrer Mikrokonstituenten festgelegt wird, dann bleibt für die superveniente Ebene, für die höherstufigen Makro-Individuen, deren geistige Eigenschaften ja überhaupt der Ausgangspunkt der Debatte waren, als solche keine eigene Wirksamkeit übrig, keine eigene „kausale Arbeit” mehr zu tun - und es muss der oben schon bezeichnete „Makro-Epiphänomenalismus” geistiger Phänomene (von höherstufigen geistigen Subjekten etwa, oder propositionalen Einstellungen) konstatiert werden. Konstitutiv-panpsychistische Positionen, die alles kausale Geschehen in der Welt im Rahmen einer (psycho-physischen) Mikrodetermination erklären, können das im Englischen als „agency” bezeichnete Phänomen der Urheberschaft von Handlungen, also das genuine Ursächlich-werden handelnder makroskopischer Individuen, nicht befriedigend einholen.
Der nicht-konstitutive Panpsychismus zieht hieraus die notwendige Konsequenz, und zeichnet ein etwas anderes Bild des Verhältnisses von Mikro- und Makro-Ebene: Nicht der Begriff der Supervenienz ist hier angemessen, sondern der der Kausalität: Die Gegebenheiten der Mikro-Ebene verursachen die Gegebenheiten der Makro-Ebene; sie sind mithin nicht einfach im Sinne einer reduzierenden Rückführung und Erklärung letztlich mit ihnen identisch, sondern es kommt genau dann zur Ausbildung bestimmter Merkmale einer höheren Ebene, sobald die entsprechenden Bedingungen auf der darunter liegende Ebene erfüllt sind. Wenn die Gesetzmäßigkeiten dieser Verursachung weiterhin potentiell indeterministisch gedacht werden, kann der den konstitutiven Entwürfen - seien sie physikalistisch oder pan- psychistisch - inhärente Mikrodeterminismus mit seinen angesprochenen Konsequenzen vermieden werden.167
Nicht-konstitutive Panpsychismen beanspruchen hierbei einen stärkeren Begriff der Emer- genz, als allein die „schwache” Emergenz, die das Hervorgehen höherer Ebenen aus den sie konstituierenden niederen Ebenen beschreibt. Vielmehr müssen etwa makrophänomenale erlebende Subjekte in einem starken Sinn emergent gegenüber den mikrophänomenalen erlebenden Subjekten betrachtet werden, die ihre Basis bilden; es besteht keine logische Supervenienz-Be-ziehung etwa zwischen menschlichem Geist und seiner mikromentalen Grundlage.
Die Idee der starken Emergenz höherstufiger Subjekte beinhaltet nun eine grundsätzlich gegensätzliche Haltung nicht-konstitutiver gegenüber konstitutiven panpsychistischen Theorien in Bezug auf die Frage der (mentalen) Verursachung: Die kausalen Eigenschaften eines Individuums gehen über die Summe der kausalen Eigenschaften seiner Bestandteile hinaus - es entsteht eine neue geistige Entität mit genuinen kausalen Kräften, welche durch die mikrokausalen Wechselwirkungen der Konstituenten nicht vollständig festgelegt sind, und die das oben beschriebene Ursächlich-werden eines (makroskopischen) Subjekts im Rahmen von Handlungen oder Tätigkeiten erklären können. Die Idee der Abwärtsoder eben der „emergenten” Verursachung wird im nicht-konstitutiven Panpsychismus damit eindeutig bejaht, als notwendige Begründung unseres Selbstverständnisses als handelnde Subjekte.
An dieser Stelle stellt sich freilich die Rückfrage, wohin die Argumentation den Panpsychismus nun geführt hat: War nicht gerade das Bestreben, (unintelligible, starke) Emer- genz zu vermeiden, der Ausgangspunkt der panpsychistischen Theorien? Sollte, wenn schon so strittige Ideen wie die Möglichkeit von Abwärtsverursachung und nicht-konstitutiven Teil-Ganzes-Relationen für notwendig gehalten werden, nicht besser gleich ein (emergen- ter) Dualismus vertreten werden, der zumindest ohne die Postulate nicht weiter beschreib- und beweisbarer (proto-)mentaler Eigenschaften auf Elementarebene auskommt?
Im Sinne nicht-konstitutiver Panpsychismen kann man versuchen, auf diese Anfragen mit einer weiteren Differenzierung des Emergenzbegriffs zu antworten: Unterschieden wird nicht nur „schwache” von „starker” Emergenz, sondern - noch zu akzeptierende - starke Emergenz noch einmal von - nicht mehr zu akzeptierender - „super-starker” Emergenz. Die mittlere, „starke” Emergenz impliziert hierbei zwar den Ausschluss einer (starken) Super- venienz-Beziehung zwischen dem emergenten Phänomen und seiner Basis - es wird, wie beschrieben, eher von einem kausalen als einem supervenienten Zusammenhang gesprochen -, dennoch finden sich beide Phänomene im gleichen kategorialen Rahmen, etwa demjenigen geistiger Subjekte. In Instantiierungen hingegen des letzteren Emergenzbegriffs, dem der „super-starken” Emergenz, liegt ein kategorie-überschreitendes Hervorgehen des emergenten Phänomens aus seiner Basis vor: etwa im Fall der Emergenz von etwas aus nichts, von einem konkreten Gegenstand aus einem abstrakten Sachverhalt, oder eben von phänomenalen
Eigenschaften aus vollständig nicht-phänomenaler Grundlage. Der wesentliche Punkt der Unterscheidung zwischen „starker” und „super-starker” Emergenz ist die Unterscheidung zwischen Intra- und Inter- Attribut-Emergenz - und allein jeweils letztere ist, dem nichtkonstitutiven bzw. emergenten Panpsychismus gemäß, als unintelligibel zurückzuweisen.168
Zweifellos steht der nicht-konstitutive Panpsychismus im Spannungsfeld materialistischer und dualistischer Positionen, anders als die konstitutiven Varianten, dem dualistischen Pol näher. Dennoch macht die eben bezeichnete Unterscheidung zwischen Intra- und Inter- Attribut-Emergenz bereits ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal deutlich: Während der (emergente) Dualismus eine Inter- Attribut-Emergenz des phänomenalen Geistes aus gänzlich nicht-phänomenaler Grundlage postuliert, muss der (emergente) Panpsychismus nur eine, gleichwohl „starke”, Intra- Attribut-Emergenz zugestehen. Dies macht den Unterschied für die Beantwortung der Frage hinter dem „genetischen Argument”: dualistische Positionen können, je stärker sie die Eigenständigkeit des Mentalen betonen, hierauf keine überzeugende Antwort geben. Darüber hinaus haben nicht-konstitutive Panpsychismen auch hinsichtlich ihres zweiten zentralen Arguments, dem der „intrinsischen Naturen”, einen Vorteil der Erklärung gegenüber dualistischen Theorien: Der rein über ihre funktionale Rolle bestimmten Struktur der Materie fehlt in der dualistischen Ontologie, in der die radikal verschiedenen geistigen Entitäten erst ab einer hohen Komplexitätsstufe des Materiellen emergent hinzutreten, der intrinsische, nicht-relationale Träger. Nicht primär am Begriff des Mentalen scheitern die dualistischen Theorien, sondern an einem metaphysisch plausiblen Begriff der Materie.169
Abschließend, stellt sich bei den nicht-konstitutiven oder emergenten Panpsychismen im besonderen die Frage nach ihrem Verhältnis zur (natur-)wissenschaftlichen Beschreibungsebene - schließlich postulieren sie nicht nur, wie ihre konstitutiven Widerparte, mentale Eigenschaften oder Vorstufen hiervon bis hinunter zum „Ursprung der Dinge” - auf die es empirisch bekanntlich keine Hinweise gibt, was allerdings, unter Absehung von der Ersten- Person-Perspektive, auch für die Makro-Ebene gilt -, sondern es werden darüber hinaus, etwa in der Ablehnung der Mikrodeterminationsthese und der Befürwortung von Abwärtsverursachung, Thesen formuliert, die im Widerspruch zu manchen naturwissenschaftlichen Theorien zu stehen scheinen.
Neben Verweisen auf quantenphysikalische Phänomene wie die Quantenverschränkung zweier Zustände als Ausdruck emergenter holistischer Eigenschaften eines Systems - die in der klassischen Newton’schen Physik nicht eingeholt werden können -, kann hier von nicht-konstitutiv panpsychistischer Seite auch auf von der Mikrodeterminationsthese abweichende empirische Befunde, unter anderem wiederum aus Arbeitsgruppe von Giulio Tononi, Bezug genommen werden: In neurowissenschaftlich-computationalen Modellen der Quantifizierung von Kausaleffekten konnte gezeigt werden, dass die „effektive Information” einer Makro-Ebene höher sein kann als die summierte Information der entsprechenden Mikro-Ebene, sodass eine „genuine kausale Emergenz” der Makro-Ebene angenommen werden müsse.170 Damit wären nicht-konstitutive oder emergente Panpsychismen zumindest an einige empirische Theorien potentiell anschlussfähig.171
2.2.4 Fazit
Welcher Zwischenstand lässt sich zum Beitrag panpsychistischer Theorien für unser Verständnis von Bewusstsein und Selbstbewusstsein, und ihrer Verortung in der natürlichen Welt, erheben?
Panpsychistische Positionen stellen genuine Alternativen in der Philosophie des Geistes dar, die sich von Materialismus und Dualismus insbesondere dahingehend unterscheiden, dass sie geistige Prädikate für irreduzible und grundlegende Prädikate unserer Wirklichkeit halten: Ein Realismus in Bezug auf mentale Prädikate und ein Skeptizismus in Bezug auf (super-)starke Emergenz führen zum panpsychistischen Schluss.
Hinsichtlich der Erklärung geistiger Phänomene wie Bewusstsein und Selbstbewusstsein haben Panpsychismen so zunächst einen klaren Vorteil gegenüber den beiden großen konkurrierenden Positionen: Das Geistige wird nicht als ab einer gewissen Stufe ad hoc zum Materiellen von außen hinzustoßend gedacht, oder im Gegenteil als letztlich auf dieses reduzierbar betrachtet - vielmehr bilden geistige Eigenschaften, als sicherste und uns im Erkennen primäre Phänomene der Wirklichkeit, nicht nur den unverrückbaren epistemologischen Ausgangspunkt, sondern stellen gewissermaßen die Innenseite der Materie selbst, deren äußere Struktur wir physikalisch beschreiben können, dar. Sowohl unintelligible Brüche im Aufbau der Welt als auch ein letztlich nicht haltbarer Eliminativismus des Mentalen können gleichermaßen vermieden werden.
Diesem Vorteil gegenüber steht zum einen die Kontraintuitivität panpsychistischer Positionen, ihre „atemberaubende Implausibilität”, in Searles Worten; und mehr noch, könnte man sagen, es ist nicht einmal klar, was „geistige Eigenschaften” im Fall von Elementarpartikeln etwa überhaupt bedeuten soll. Zum anderen haben panpsychistische Theorien gewissermaßen ihre eigene explanatorische Lücke in Form des Kombinationsproblems: Wie entstehe ich aus den vielen, und was helfen uns Spekulationen über „mikromentale” Eigenschaften für das Verständnis „normalen”, das heißt menschlichen geistigen Erlebens?
Der Panpsychismus kommt in zwei verschiedenen Spielarten. Gemäß der Unterscheidung der beiden großen Positionen in der Philosophie des Geistes kann er, ohne jeweils in dieser Position aufzugehen, entweder der materialistischen oder der dualistischen Alternative näher stehen. Erstere Unterposition ist der konstitutive, letztere der nicht-konstitutive oder emergente Panpsychismus. Beide Ansätze erben jeweils einen Teil der Stärken sowie einen Teil der Schwächen der jeweiligen Richtung. Während der konstitutive Panpsychismus an die innere Geschlossenheit materialistischer Positionen anknüpfen kann, ohne ihre maßgeblichen reduktionistischen Schwierigkeiten zu übernehmen, beansprucht der emergente Panpsychismus, dass sein konstitutiver Widerpart zwar die mikro- nicht aber die makromentalen Qualitäten adäquat zur Geltung bringt, und dass nur in seinem, dem nichtkonstitutiven, Rahmen die eigentlich zur Debatte stehenden Phänomene ausreichend eingeholt werden können - und hierfür auf, wenngleich strittige, Konzepte der (starken) Emer- genz und der Abwärtsverursachung zurückgegriffen werden muss. Dennoch wird, in beiden Unterformen, der naturalistische Rahmen nicht verlassen: Der Physikalismus ist nicht falsch, aber inkomplett, und der (konstitutive oder emergente) Panpsychismus ist die beste Theorie, um gleichzeitig Naturalist zu sein und dennoch die in unserem Alltagsweltbild über uns selbst ausgedrückten Intuitionen aufrecht erhalten zu können.172
3 Hauptteil (B): Person und Würde
3.1 Überblick
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
— Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Artikel 1, Absätze 1 und 2
„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen. Jeder hat Anspruch auf alle in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten, ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand.”
— Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen, Artikel 1 und 2
3.1.1 Zwei Arten von Würde
Der Begriff der Würde ist einer der wichtigsten und zentralsten Begriffe, wenn es darum geht, unser menschliches Miteinander nach gemeinsamen Regeln zu gestalten und festzustellen, wie wir uns gegenüber uns selbst und unseren Mitmenschen verhalten wollen und sollen. Die Betonung der menschlichen Würde bildet daher häufig den Ausgangspunkt derjenigen politischen Dokumente, die die Bestimmungen für dieses Miteinander formulieren, etwa für das Deutsche Grundgesetz und für die Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948.173 Auch in unsere Alltagssprache hat der Begriff der Würde in vielfältigen Formulierungen Eingang gefunden, wenngleich, oder weswegen, eine gewisse Unschärfe seiner Bedeutung besteht. Es sollen daher hier in einem ersten Schritt die verschiedenen Aspekte der Bedeutung des Begriffs der menschlichen Würde, wie wir ihn im Alltag, aber auch in Rechtsdokumenten, verwenden, beleuchtet werden. Anschließend möchte ich die Möglichkeit einer Ausweitung des Würdebegriffs über den Menschen hinaus prüfen, und dann den Begriff der Person adressieren und versuchen, sein Verhältnis zur Würde, aber auch zu den behandelten Begriffen von Bewusstsein und Selbstbewusstsein, herauszuarbeiten.
Der erste Aspekt der Bedeutung des Begriffs der Würde, der beim Lesen etwa der ersten Artikel des Grundgesetzes und der Erklärung der Vereinten Nationen in den Sinn kommt, ist dieser: Würde ist zu verstehen als besondere Auszeichnung, als Eigenschaft, die jedem Menschen als Menschen zukommt, und die einen besonderen Wert des Menschen begründet. Dieser Wert begründet einen normativen Anspruch; er darf nicht missachtet werden, und stellt daher einen wichtigen, wenn nicht den wichtigsten Bezugspunkt für die Regeln unseres Miteinanders dar. Die Eigenschaft der Würde ist hierbei in gewisser Hinsicht unveräußerlich: Weder durch eigenes Verhalten, noch durch erfolgte oder nicht erfolgte Zuschreibung durch andere, etwa durch positives Recht, kann am Bestehen dieser Eigenschaft, und damit am besonderen Status des Menschen, etwas geändert werden. Dahinter steht die Intuition, dass alle Menschen, von Geburt an, gleichermaßen mit (Menschen-)Würde ausgestattet sind, und niemand - mag er auch noch so etwas Schlimmes getan haben, oder bei der Mehrheit seiner Mitmenschen in Ungnade gefallen sein - diese Würde, und die mit ihr einhergehenden und durch sie begründeten Rechte, verlieren oder verspielen kann.
Diesem Aspekt der Würde zufolge, oder dieser Lesart, steht die Idee der Würde also gewissermaßen am Anfang, und von ihr her werden die grundlegenden Rechte eines Menschen bestimmt, und aus ihr auch seine Pflichten, die in der Achtung der entsprechenden Rechte anderer bestehen, abgeleitet. Würde ist, in diesem Verständnis, also nicht etwas, das gegeben oder genommen, über das verfügt werden kann, und auch nicht etwas, das in Graden oder Abstufungen da sein kann, sondern etwas, das immer und bei jedem Menschen in gleicher Ausprägung vorhanden ist, das jeder hat, und das nicht zu- oder abgesprochen, sondern nur geachtet oder nicht geachtet werden kann.
Dieses Würdeverständnis, das mit Bezügen zu Cicero, zur jüdisch-christlichen Tradition und zu Kant formuliert werden kann, war und ist sicherlich für ethische Fachfragen und alltägliche Diskussionen gleichermaßen, und nicht zuletzt für Rechtsdokumente und ihre Auslegung, bedeutsam.174
Dieser ersten Lesart der Würde gegenüber steht eine zweite Lesart, die das beschriebene Verlieren oder Verspielen der Würde durchaus kennt: Würde - die hier dem Begriff der Würdigkeit sehr nahe kommt - wird nicht primär als eine (unveräußerliche) Eigenschaft verstanden, sondern als eine Art und Weise, sich zu verhalten, als Einstellung oder Haltung, die im Lebensvollzug an- bzw. eingenommen wird. Auch diese Lesart kann, ebenso wie das zuvor behandelte, erste Würdeverständnis, an grundlegende Intuitionen des Alltagsempfindens anknüpfen, wie sie in unserer alltäglichen Sprache und ihren Redewendungen zur Würde zum Ausdruck kommen.
Dem zweiten Verständnis folgend, ist die menschliche Würde kein unverlierbares oder unveräußerliches Wesensmerkmal, und auch nichts, das einer Entität entweder vollständig oder gar nicht zukommt, sondern in diesem Sinn ist Würde ein Gut, das durch unser eigenes Handeln, aber auch durch die Art und Weise, wie wir von anderen behandelt werden, erhalten oder verloren, geschützt oder beschädigt werden kann.
Während im ersteren Sinn Würde eine Eigenschaft ist, die Achtung gebietet oder erfordert, aber letztlich nicht verlierbar ist, kann im zweiteren Sinn durchaus davon gesprochen werden, dass die Art und Weise, in Würde zu leben, stärker, weniger stark oder auch gar nicht verwirklicht wird oder werden kann. Unsere Alltagssprache kennt etwa Sachverhalte, in denen man sich selbst „unwürdig” oder „würdelos” verhält oder auch von anderen „entwürdigend” behandelt wird. Es kann würdigere oder weniger würdige Arten des Umgangs mit einer Person oder Situation geben, und dieser Umgang kann die Würde der beteiligten Menschen - die weniger in einer Eigenschaft, sondern in einer Lebensweise, einer inneren Verfassung oder Haltung besteht - bewahren oder verletzen.
Die Idee der Würde, so verstanden, dient dann nicht der Begründung weiterer Rechte, etwa der Menschenrechte - wie im zitierten Abschnitt der Erklärung der UN, aber auch im Übergang vom ersten zum zweiten Absatz des ersten Artikels des Grundgesetzes insinuiert -, sondern ist vielmehr als Ziel menschlichen Handelns zu bestimmen, dessen Geboten-sein anderweitig begründet werden muss. In dieser Lesart leiten sich nicht etwa die Menschenrechte aus der Eigenschaft der Menschenwürde ab, sondern die Wahrung der Menschenrechte stellt die oder eine Bedingung dafür dar, dass ein Leben in Würde verwirklicht werden kann.175
Es ist, soweit ich sehen kann, nicht nötig oder sinnvoll, davon auszugehen, dass es sich bei den beiden Lesarten, den beiden Aspekten des Begriffs der Würde notwendig um konkurrierende Vorstellungen handelt, in dem Sinne, dass man sich zwischen beiden letztlich entscheiden müsste. Vielmehr spiegeln beide zwei Herangehensweisen an das Thema, eben zwei Aspekte der einen Sache, die nicht identisch sind, die aber dennoch beide ihre Berechtigung und ihre Verankerung in grundlegenden Intuitionen über uns selbst und über die Art und Weise, wie wir den Umgang mit uns selbst und anderen gestalten sollten, finden.
Dass sich die beiden Herangehensweisen, die beiden „Arten” von Würde nicht ausschließen, wird schon deutlich daran, wie sie jeweils in den alltäglichen Sprachgebrauch Eingang gefunden haben; für den gleichen oder einen sehr ähnlichen Sachverhalt können wir Redeweisen verwenden, die jeweils das eine oder das andere Verständnis des Begriffs der Würde zum Hintergrund haben.
Wenn wir etwa davon sprechen, dass jemand „entwürdigend” behandelt wird, klingt die Vorstellung von Würde als einem Gut an, das genommen werden kann und das vielleicht geschützt werden muss, und das in der konkreten Situation, in diesem Fall aufgrund des Verhaltens anderer, nur vermindert oder gar nicht verwirklicht werden kann; zugleich können wir aber einen sehr ähnlichen Sachverhalt damit beschreiben, dass die Würde des oder der Betreffenden „missachtet” oder „mit Füßen getreten” wird - hier scheint dann eher die Idee der Würde als an sich unveräußerlicher Eigenschaft, die der Person zu jeder Zeit gleichermaßen zukommt, der aber in der konkreten Situation durch die Mitmenschen nicht ausreichend Rechnung getragen, die nicht ausreichend be- und geachtet wird, Pate zu ste- hen.176
Eine gewisse Doppeldeutigkeit des Würdebegriffs, die etwa Eva Weber-Guskar sehr deutlich problematisiert, ist also zweifellos vorhanden; aber ich glaube nicht, dass es zielführend ist, sich hier gewissermaßen mit einer „Um-” oder „Wegdefinition” zu behelfen und in Anbetracht mancher Unschärfen und Widersprüchlichkeiten des Themas die Notwendigkeit, wie Weber-Guskar sagt, eines „progressiven” Ansatzes zu proklamieren, der mit wesentlichen Gedanken und Argumenten etwa zur Auslegung des ersten Artikels des Grundgesetzes bricht - mit den so ausgeschlossenen Bedeutungsaspekten des Begriffs ginge ein wichtiger Teil unserer Intuitionen zur Würde und damit zu unserem Selbstverständnis verloren. Hierzu gut passend spricht Peter Bieri davon, dass wir, wenn wir das „Geflecht von Erfahrungen” verstehen möchten, das wir mit dem Begriff der Würde verbinden, und wenn es um die „Vergegenwärtigung” dieser vertrauten Erfahrungen von und mit der Würde geht, es nicht Ziel sein könne, ihre „Risse und Sprünge, Unklarheiten und Unstimmigkeiten [...] zu übertünchen und wegzudeuten”, sondern sie „anzuerkennen und in ihrer unübersichtlichen Logik aufzuklären”.177
Ich möchte im folgenden also noch einmal die verschiedenen Bedeutungsaspekte für das Verständnis der Würde, wie es für die vorliegende Arbeit formuliert wird, etwas ausführlicher bezeichnen. Einen wichtigen Bedeutungsaspekt und eine sinnvolle Definition des Begriffs der Würde im ersten Sinn stellt, wie bereits angesprochen, Wilfried Härles, aus theologischer Perspektive vorgenommene, Reformulierung der Würde als Anrecht auf Achtung dar. Demzufolge meint die Rede von der Würde des Menschen, dass jede und jeder, vom Beginn des Lebens bis zu seinem Ende, einen begründeten Anspruch darauf hat, von ihren oder seinen Mitmenschen (und von sich selbst) geachtet, das heißt auf eine noch näher zu bestimmende, eben seine Würde respektierende Weise behandelt zu werden.178
Die Würde ist für Härle damit in einem doppelten - normativen und deskriptiven - Sinn unantastbar: Das Anrecht auf Achtung darf nicht angetastet werden, und in gewisser Hinsicht kann es auch nicht angetastet werden, da dieses Anrecht unabhängig von jeder Beschreibung oder Festlegung und jedem gesellschaftlichen Konsens besteht. Die Würde eines Menschen, sein Anrecht auf Achtung kann „nur” missachtet, ihm nur verwehrt, nicht aber genommen werden.179 Durch die Reformulierung der Würde als (An-)Recht liegen die Dinge hier parallel eben zu den verschiedenen Arten von Recht: Es gibt Rechte wie die allgemeinen
Menschenrechte (gegebenenfalls formuliert mit Rekurs auf den metaphysisch anspruchsvolleren Begriff des Naturrechts), die jedem Menschen vor aller positiven Rechtsgebung zustehen, und solche, die er erst dank der positiven Rechtsgebung innehat. Im ersteren Fall - der nach Härle dem Fall der Würde analog ist - kann man davon sprechen, dass ein Mensch an der Ausübung eines vor aller Gesetzgebung bestehenden Rechts, etwa auf körperliche Unversehrtheit, gehindert wird, nicht aber davon, dass es ihm genommen wird; im zweiteren Fall ergibt es hingegen keinen Sinn davon zu sprechen, dass ich etwa durch die Steuergesetzgebung an der Ausübung meines Rechts auf steuerliche Absetzbarkeit bestimmter Aufwendungen gehindert werde, dieses Recht an sich aber weiterhin „unangetastet” bestehen bleibt. Dass ein oder der Mensch Würde hat, bedeutet, dass er Träger eines ihm durch nichts abzusprechenden Wertes ist; und dieser Wert erfordert eben eine Wert-Schätzung, einen Umgang mit ihm, der ihn in seiner Würde respektiert: der sein Anrecht auf Achtung achtet.
Die genaue und praktische Ausbuchstabierung der Achtung dieses Anrechts im Einzelfall soll hier nicht Thema sein; über den Umgang mit und den richtigen Weg der Achtung der Würde in den bekannten Konfliktfällen - am Ende und Anfang eines Lebens, bei psychischen Leiden, bei Straftaten, in Fragen des Abwägens zwischen Freiheit und Sicherheit, beim Datenschutz, bei der Verteilung begrenzter Ressourcen, in den schwierigen Fällen der Austarierung zwischen den (An-)Rechten verschiedener Menschen und Menschengruppen - lässt sich, auch bei gemeinsam geteiltem theoretischen Grundkonsens zu diesem Aspekt des Würdeverständnisses, streiten. Es wird aber, glaube ich, prinzipiell deutlich, dass ein solcher Entwurf zur Würde einen wichtigen und grundlegenden Punkt zur Explikation unseres Selbstverständnisses beitragen kann.
Zusammenfassend, bietet Härles Konzeption des Würdebegriffs als „Anrecht auf Achtung” eine sinnvolle Ausbuchstabierung der Intuition von Würde als einer vor aller Setzung gegebenen, nicht verlierbaren Eigenschaft bzw. als einem mit dem Menschsein als Menschsein gegebenen Status, wie sie das Kernverständnis hinter den zitierten politischen Dokumenten darstellt, und die auch für den vorliegenden Kontext fruchtbar gemacht werden kann. Schwerer metaphysischer Ballast über Wesen und Natur des Menschen muss mit diesem Würdeverständnis nicht notwendig einhergehen, wenn die Rede vom Anrecht auf Achtung, wie Ludger Honnefelder an einer Stelle zur Würde schreibt, nicht als „deskriptiv beschreibbare metaphysische Eigenschaft” verstanden wird, sondern sich „auf das in der Grunderfahrung jeweils selbst wahrgenommene praktische Selbstverhältnis [bezieht]”.180 Honnefel- ders Einordnung der Würde als „anthropologische Grunderfahrung” ist prinzipiell auch anschlussfähig an Härles Beschreibung und Begründung der Menschenwürde im Rekurs auf den Begriff der Bestimmung des Menschen, die darin bestehe, „seine Verfassung (conditio humana) zu erkennen”, und die ihm eine Orientierung hin zu einer verantwortlichen Achtung der Würde anderer, und seiner eigenen, gebe.181
Härles Ansatz bringt es allerdings mit sich, dass die geläufige Rede von einer Verletzung, Beschädigung oder Beeinträchtigung der Würde als „irreführend” eingeordnet werden muss, und gleiches gilt für die verlorene und die verspielte Würde, sodass die Intuitionen, die hinter dieser Art des Sprechens und Denkens von Würde stehen, nicht eingeholt werden können.182
Peter Bieris Buch zur Würde, in dem er sich explizit auch von Ansätzen wie Härles absetzt, versucht hingegen, in einer begrifflichen Vergegenwärtigung der mit der Idee der Würde verbundenen Erfahrungen der Vielfältigkeit und damit auch der vielfältigen Verletzlichkeit menschlicher Würde nachzugehen. Mit der Ästhetik einer einfachen, aber genauen Sprache und phänomenologischer Reichhaltigkeit entwickelt Bieri anhand von fiktiven oder realen Geschichten und Personen die Idee und den Begriff von Würde als einer Lebensform, die sich, wie er nach und nach entfaltet, in einer bestimmten Art der Begegnung mit anderen und mit sich selbst zeigt, im Umgang mit Intimität und Endlichkeit, und in Haltungen der Selbstständigkeit und Wahrhaftigkeit Ausdruck finden kann.183 Das Kaleidoskop der Würde, das Bieri entwirft, spiegelt in der Vielfältigkeit seines Gegenstandes dabei zugleich die ganze Bandbreite unseres Erlebens, wird zu einer „weitläufige[n] Landkarte der menschlichen Existenz”, wie ein Zitat zu Beginn des Buchs ausdrückt.
Über die vielfältigen Erfahrungen der Würde, die Bieri schildert, wird deutlich, dass er den Begriff und das Phänomen der Würde eng an die Themen bindet, die ich in der vorliegenden Arbeit im ersten Hauptteil behandelt habe: Würde hat zu tun mit unserem Status als Subjekte; und die Erfahrungen, die wir von und mit der Würde machen, sind eng verknüpft mit den Erfahrungen, die wir mit uns als Subjekten machen.184 Subjekte spielen ihre Rolle dabei in dem doppelten Sinn, der oben beschrieben wurde; als (passive) Zentren eines Erlebens, wie Bieri sagt, und als (aktive) Urheber von Handlungen - von Verhalten, das Ausdruck eines Erlebens ist.
Die Idee menschlicher Würde eng an unsere Subjektivität, an Bewusstsein zu binden - die Erfahrung der Würde von Erfahrungsfähigkeit im allgemeinen her zu verstehen -, heißt nicht, Würde als etwas zu bestimmen, das in jeder konkreten Situation vom Bewusstsein abhängt - auch die Würde bewusstloser Menschen, sogar diejenige Verstorbener, kann verletzt werden. Aber es bedeutet, einen prinzipiellen konstitutiven Zusammenhang anzunehmen zwischen dem Phänomen der Würde, das wir uns als wesentlichen Bestandteil unseres Menschenbildes selbst zuschreiben, und der Grundtatsache des Bewusstseins, dessen Wirklichkeit ebenso zentraler Bestandteil und gewissermaßen die Basis unseres Selbstbildes ist: Ohne die prinzipielle Voraussetzung des Bewusstseins ist das Phänomen der Würde nicht denkbar; in einer gänzlich geistlosen Welt aus cartesischen Teilchen im Raum wüssten wir nicht, wo wir die Würde suchen sollten.
Ich möchte diese Verbindung, das Verstehen der Würde (auch) vom Bewusstsein her im nächsten Teil näher ausführen, da es für den vorliegenden Kontext einen neuen Blick auf die Begründung dieses Aspekts des menschlichen Selbstverständnisses erlaubt. Zunächst soll aber die Möglichkeit anderer Formen als der bisher beschriebenen menschlichen Würde, die Möglichkeit nicht-menschlicher Würde, untersucht werden.
3.1.2 Nicht-menschliche Würde
Während es im Vorangegangenen um Annahmen und Intuitionen hinsichtlich unserer selbst, also unseres eigenen (menschlichen) Selbstverständnisses ging, soll in diesem Abschnitt der Blick für einen Moment weg vom Menschen und seinen Eigenschaften, und hin zu den Merkmalen der nicht-menschlichen Natur gelenkt und gefragt werden, welcher Sinn der Rede von der Würde hier gegeben werden kann.
Ich glaube, dass unsere Intuitionen hier, ähnlich der Frage des Bewusstseins, in Richtung der Idee eines Kontinuums der Würde weisen, einer Idee also, die einen „weichen” Übergang zwischen Mensch und nicht-menschlicher Natur einem schroffen Bruch vorzieht. Dies gilt zumindest in Bezug auf das erste Würdeverständnis: Würde als Anrecht auf Achtung.
So, wie wir auch Tieren Bewusstsein, manchen sogar Selbstbewusstsein zuschreiben, fordern wir auch für sie eine bestimmte Form des Umgangs ein und sanktionieren entsprechende Verstöße, erkennen wir auch ihnen, in abgestufter Form, ein Anrecht auf Achtung zu. Ob wir dies tatsächlich „Würde des Tiers” nennen, ist an dieser Stelle nicht bedeutsam - es sollen hier Phänomene und Intuitionen unseres Empfindens und Handelns beschrieben werden; und diese schließen mit Sicherheit Gebote der Rücksichtnahme und Achtung gegenüber der nicht-menschlichen Natur ein, etwa das Gebot, einem höher entwickelten Tier nicht ohne Grund Schmerzen zuzufügen. Auch diese Grundempfindungen und -annahmen darüber, wie es sich in der Welt verhält und verhalten sollte, finden in Rechtsdokumenten Niederschlag, etwa in den Tierschutzgesetzen.
Auf der anderen Seite wird man auch festhalten, dass das - so tatsächlich bereits geäußerte - Postulat eines genuinen Lebensrechtes z.B. der Pockenviren, das eine Vernichtung der letzten verbliebenen Stämme (aus Sicherheitsgründen) kategorisch verbiete, für unser normales moralisches Empfinden wohl zumeist Kopfschütteln hervorruft, und ein gewisses achselzuckendes Abwerten einer solchen, ganz offenkundig unplausiblen „Ökophilosophie”.185
Dennoch liegt ein, zumindest implizites, stufenweises Würdeverständnis, das vom Menschen zu den höher und dann den niedriger entwickelten Tieren absteigt, unserer „natürlichen” Sicht auf die Welt ganz unzweifelhaft zugrunde; und es stellt sich dann im wesentlichen (nur) die Frage, wie weit hinabreichend wir eine solche (Vor-)Form der Würde konzipieren sollten.
Patrick Spät hat in seiner Arbeit zum Panpsychismus die Idee einer „Würde des Lebendigen” formuliert und verteidigt, die, ausgehend von der „Zweckhaftigkeit” alles Lebendigen, einen (gestuften) Anspruch auf Rücksichtnahme und Bewahrung schließlich des gesamten Ökosystems begründet (einen Anspruch, der über eine letztlich rein opportunistische und egoistische Bewahrung der eigenen, menschlichen Existenzgrundlage hinaus geht), ausgedrückt im „kategorischen Imperativ der Würde des Lebendigen”.186
Hans Jonas hat mit seinem Hauptwerk „Prinzip Verantwortung” eine prominente und einflussreiche Verteidigung der Idee eines Eigenwerts und einer inneren Zweckhaftigkeit der Natur vorgelegt. In Anknüpfung an die aristotelische Tradition - und in Abgrenzung vom „positivistisch-analytischen Verzicht der zeitgenössischen Philosophie” - formuliert er eine dezidiert metaphysische Theorie der Natur, die eine ökologisch orientierte Ethik vor dem Hintergrund der technologischen Möglichkeiten und Risiken der Moderne begründen soll, und die letztlich für die ganze Biosphäre „so etwas wie einen moralischen Anspruch [...] um ihrer selbst willen und aus eigenem Recht” gewissermaßen als ökologischen Imperativ verankert.187 Insbesondere mit Blick auf die Klimakrise erscheinen die Ideen einer „Würde des Lebendigen” und eines „moralischen Anspruchs der Biosphäre” wichtige Beiträge und auch praktische Gestaltungspostulate hinsichtlich unseres weiteren Verhältnisses zur Natur zu sein.
Auch bei Härle und Bieri finden sich übrigens, auch wenn sie jeweils eine Konzeption explizit menschlicher Würde formulieren, Abschnitte zur Würde nicht-menschlicher Lebewesen. Härle weitet, bei klarer Abgrenzung zur Menschenwürde, sein Verständnis von Würde als Anrecht auf Achtung unter dem Begriff der „Kreaturenwürde” insbesondere auf höher entwickelte Tiere, aber letztlich auch auf die ganze Schöpfung aus; Bieri beschreibt in einem kurzen Absatz, dass es - sofern Tiere, anders als Haustiere oder Tiere in der Natur, ausschließlich als Mittel behandelt werden - „auch bei Tieren eine Behandlung gibt, die man als würdelos empfinden kann”.188
Zusammenfassend, findet die intuitive Plausibilität der Idee einer kontinuierlichen Würde, die sich in Abstufungen auf alle Formen des Lebendigen erstreckt - „die im moralischen Alltagsbewußtsein verankerte Wertabstufung der Naturwesen nach ihrer Organisationshöhe”, wie Birnbacher sagt189 -, bei verschiedenen Autorinnen und Autoren Ausdruck. Es gibt unzweifelhaft ein Bedürfnis, Formen auch nicht-menschlicher Würde konzeptionell Rechnung zu tragen; wenngleich die praktische Ausbuchstabierung im einzelnen ausstehend ist. Die angesprochene Bindung des Würdebegriffs an den Bewusstseinsbegriff erscheint an diese Idee der kontinuierlichen Würde - und vice versa - prinzipiell gut anschlussfähig; dies möchte ich im nächsten Kapitel zum Thema machen. Zunächst soll aber der Begriff der Person Gegenstand sein.
3.1.3 Personalität
In diesem Abschnitt soll nun ein Begriff untersucht werden, der eng mit dem der (Men- schen-)Würde verknüpft ist: der der Person, bzw. der der entsprechenden Eigenschaft, der Personalität. Beide beschreiben ebenfalls einen wesentlichen Aspekt des menschlichen Selbstverständnisses. Der Begriff der Person wird manchmal mit dem Begriff der Würde im ersten Verständnis verbunden: aufgrund unseres Status als Personen kommt uns die Eigenschaft der Würde zu. Hieran knüpft die juristische Bestimmung des Personenbegriffs an: Natürliche Personen sind als Rechtssubjekte Träger von Rechten und Pflichten.
Philosophisch stellt sich die Frage, was genau mit „Personalität” gemeint ist, welche Eigenschaften wir also einem Subjekt zusprechen möchten, oder zusprechen können müssen, um es als „Person” zu bezeichnen: Vernunft, Autonomie, Selbstbewusstsein, und Handlungsund Argumentationsfähigkeit im „Raum der Gründe” etwa sind typische Attribute, die wir mit dem Begriff der Person verbinden.190 Eine alternative Charakterisierung schließt an Harry Frankfurts Definition der Person als Inhaberin von Volitionen „zweiter Ordnung” an: Personsein konstituiert sich in diesem Verständnis dadurch, dass zu dem Wollen der ersten Stufe ein Wünschen oder Wollen zweiter Stufe hinzutritt, das dieses zum Gegenstand hat - dass ich mich zu meinem eigenen Wollen verhalte.191 Auf der anderen Seite wird dieser oder jener Rahmen häufig überschritten; es ist intuitiv nahe- und unserem Rechtsempfinden grundliegend, etwa auch Menschen, die die genannten Eigenschaften noch nicht, nicht mehr, oder aktuell und vorübergehend nicht innehaben, dennoch den Status als Personen zuzuschreiben. Moralphilosophisch bleibt insbesondere kontrovers, inwieweit die Begriffe der Person und des Menschen in ihrer Extension deckungsgleich sind: Gibt es Menschen, die keine Personen sind, oder sogar Personen, die keine Menschen sind?
Soweit sich also die Frage nach der Person an den Eigenschaften festmacht, die den Status des Personseins festlegen sollen, an Eigenschaften, die in Graden und Abstufungen vorhanden sein können, besteht eine ganz ähnliche Ausgangslage wie im Fall der Würde; man könnte sagen: die Möglichkeit, als Person ein von vernünftigen Gründen geleitetes, selbstbestimmtes Leben zu führen, ist eine ganz wesentliche Bedingung dafür, dieses Leben in Würde, im zweiten Sinn verstanden, führen zu können. Wird ein Mensch nicht als Subjekt, nicht als Person behandelt - sondern etwa ausschließlich für eigene Zwecke instrumentalisiert -, wird auch seine Würde verletzt. Viele unserer Intuitionen und Assoziationen zum Begriff der Person hängen eng mit unseren Intuitionen und Assoziationen zum Begriff der Würde, im ersten wie im zweiten Sinn, zusammen.
Es gibt aber einen weiteren Punkt, der essentiell ist für unser Verständnis von Personalität, und der bei der Diskussion der Würde noch nicht zur Sprache gekommen ist: Wir fassen uns als Personen so auf, dass wir über die Zeit hinweg mit uns selbst identisch sind. Wenn ich auf mich als Person Bezug nehme, dann ist es für diese Bezugnahme wesentlich, dass sie sich nicht nur auf den unmittelbaren - gewissermaßen, ähnlich einem mathematischen Punkt, zeitlich ausdehnungslosen - Augenblick erstreckt; sondern unser jeweiliges Selbstverständnis als Person impliziert, dass wir als diese Person über die Zeit hinweg fortexistieren und es uns somit zu verschiedenen Zeitpunkten als ebendiese, transtemporal mit sich identische Person gibt.
Dass etwas oder jemand „mit sich selbst identisch” ist, klingt trivial, vielleicht tautologisch; tatsächlich ist aber die Frage der (transtemporalen) personalen Identität ein vertracktes philosophisches Problem, das sich, ähnlich der Frage nach dem Bewusstsein, der mentalen Verursachung oder nach der Möglichkeit von Freiheit, einer einfachen Antwort entzieht, weil die verschiedenen zugrunde liegenden Intuitionen sich nicht ohne weiteres miteinander vereinbaren lassen. Denn was ist es, das hier mit sich über die Zeit identisch ist? Gleichzeitig zur behaupteten (numerischen) Identität unterstellen wir ja die Möglichkeit zur (qualitativen) Veränderung; in etwas holzschnittartig aristotelischem Vokabular könnte man sagen, wir gehen davon aus, dass einer (in sich in relevanter Hinsicht gleich bleibenden) Substanz über die Zeit hinweg unterschiedliche Akzidenzien zukommen können - ohne dass klar wäre, was eine Substanz ohne Akzidenzien sein könnte, und wie der Unterschied zwischen substantiellen und akzidentellen Eigenschaften sicher zu bestimmen ist.
Wenn ich davon spreche, dass „ich mich verändert habe”, kommen darin genau diese beiden Aspekte von Identität und Veränderung zum Ausdruck: Ich habe mich verändert; aber ich habe mich auch verändert - überhaupt ist es dem Begriff der Veränderung wesentlich, dass es in irgendeiner Form ein Substrat gibt, an dem diese sich vollzieht, und das demzufolge gleich, mit sich numerisch identisch, bleiben muss. Zwar können wir auch davon sprechen, jemand sei „ein anderer Mensch” geworden; aber diese Formulierung hat im wesentlichen metaphorischen Charakter bzw. bezieht sich ausschließlich auf den qualitativen Identitätsbegriff - zumal eine Aussage wie „er oder sie hat sich völlig verändert” einen sehr ähnlichen Sachverhalt bezeichnet.
Eine adäquate theoretische Begründung der transtemporalen personalen Identität, also eine Explikation der Faktoren oder Kriterien, die eine Bestimmung der Identität einer Person über die Zeit hinweg erlauben, ist nicht einfach. Ein erster auf der Hand liegender Versuch legt das körperliche Kriterium zu Grunde: Eine Person zu einem Zeitpunkt t1 ist mit einer Person zu einem Zeitpunkt t2 genau dann identisch, wenn beide denselben Körper - oder dasselbe relevante Körperteil, d.i. dasselbe Gehirn - haben (gegeben die stetige Veränderung des Körpers: wenn eine hinreichende Kontinuität zwischen beiden Körpern besteht). „Naheliegende” Science-Fiction-Einwände über (halbe) Gehirn-Transplantationen führen im Fall des körperlichen Kriteriums jedoch zu potentiellen Verdopplungsfällen, die in Identitätsfragen ja eigentlich begrifflich ausgeschlossen sind.
Alternativ kann die personale Identität am psychologischen Kriterium festgemacht werden: Eine Person ist zu einem Zeitpunkt t1 mit einer Person zu einem Zeitpunkt t2 genau dann identisch, wenn beide durch eine kontinuierliche Kette psychologischer Inhalte, etwa von Erinnerungen, miteinander verbunden sind. Das bedeutet nicht, dass ich mich an alles erinnern können müsste, was ich zu einem früheren Zeitpunkt getan habe; aber ich muss mich an einen Zeitpunkt erinnern können, an dem ich mich an den vorvergangenen Zeitpunkt erinnern konnte - es muss eben eine psychologische Kontinuität geben. Eine Person ist dann nicht so sehr etwas, das über die Zeit andauert (sodass das potentiell problematische Konzept einer im Kern unveränderlichen Substanz bemüht werden muss), sondern sie ist gewissermaßen die Summe ihrer zeitlichen Stadien. Auch im Fall der psychologischen Kontinuität kann es jedoch zum Verdopplungsproblem kommen; es besteht die logische Möglichkeit, dass ich eines Morgens mit den Gedanken und Erinnerungen einer anderen Person erwache, diese Person aber weiterhin existiert - von futuresken Konstrukten wie „mind uploading”, und dem damit einhergehenden Vervielfältigungspotential, nicht zu sprechen.
In Anbetracht einerseits der intuitiven Verständlichkeit sowohl des körperlichen als auch des psychologischen Kriteriums der personalen Identität und andererseits ihrer systematischen Schwierigkeiten in (konstruierten) Grenzfällen, liegt es nahe, die beiden Kriterien nicht so sehr als Identität mit logischer Notwendigkeit bestimmend, sondern gewissermaßen als Anzeichen für vorliegende transtemporale (personale) Identität zu betrachten. Dieser Idee folgend, wären die empirischen Kriterien körperlicher oder psychologischer Kontinuität nur (in den allermeisten Fällen allerdings sehr brauchbare) Hinweise auf personale Identität, die selbst, obwohl sie unabhängig von aller Zuschreibung vollständig real ist, empirisch schlicht nicht (sicher) bestimmt werden kann. Ein solcher Ansatz, der auch als Theorie des „einfachen” Kriteriums der personalen Identität firmiert, ist jedoch metaphysisch voraussetzungsreich; er postuliert die Existenz irreduzibler, nicht-empirischer Substanzen, von denen wir nicht wissen, wie sie mit der Welt, wie wir sie kennen, mit der empirischen Welt, in Wechselwirkung treten können.
Die Aporien der genannten Positionen haben einen Skeptizismus motiviert, mit dem insbesondere Derek Parfit verbunden wird. Parfit hat gegen die Möglichkeit einer eindeutigen Bestimmung der personalen Identität argumentiert: Ob ich mit einer bestimmten Person in der Vergangenheit oder Zukunft identisch bin, ist ganz einfach eine, wie er sagt, „leere” Frage; alle Fakten, die es über unsere Welt zu wissen gibt, legen eine (eindeutige) Antwort auf sie nicht fest. Wir müssen uns letztlich einfach nur entscheiden, wie wir die Begriffe der Person und der personalen Identität verwenden wollen (und in den allermeisten Fällen wollen wir sie natürlich so verwenden, wie es uns das intuitive Alltagsempfinden nahelegt). Ohnehin aber kommt es, sagt Parfit, auf Identität nicht an, sondern (nur) auf psychologische Kontinuität - zwar fallen, in realen Fällen, unsere Intuitionen zu personaler Identität und psychologischer Kontinuität zumeist in eins, aber Gedankenexperimente etwa über futuristische Teletransporter können uns helfen, die Schwächen des intuitiven Konzepts der personalen Identität offen zu legen und zu verstehen, dass allein psychologische Kontinuität das und alles ist, „was zählt”.192
Für ein adäquates Verständnis der Problematik der personalen Identität ist es wichtig, in den Blick zu nehmen, was diesem „Streit um die Person” zugrunde liegt: Es geht letztlich um die Frage, was für ein „Ding” wir sind, auf welche Entität wir eigentlich Bezug nehmen, wenn wir aus der Perspektive der ersten Person heraus „ich” sagen. Der Frage nach der Identität einer Person über die Zeit hinweg liegt die Frage nach der ontologischen Einordnung des erlebenden Subjekts, nach der Ontologie der Person zugrunde. Je näher wir einer realistischen Auffassung transtemporaler personaler Identität kommen, desto voraussetzungsreichere metaphysische Vorannahmen über die Ontologie der Person müssen getroffen werden, und desto schwieriger wird mutmaßlich die Formulierung einer Theorie dessen, was es in der Welt gibt und wie es miteinander in Wechselwirkung steht.
Dennoch, ungeachtet aller Schwierigkeit der Verteidigung einer realistischen Theorie der personalen Identität bildet die Annahme der Identität mit uns selbst über die Zeit eine ganz wesentliche Grundlage unseres Selbstverständnisses, ohne die unsere täglich gelebte und fundamental als richtig empfundene Praxis - etwa, dass wir uns durch frühere Zusagen gebunden fühlen, oder dass wir Straftäter auch nach Jahren, im Fall schwerer Verbrechen manchmal nach Jahrzehnten, der Gerichtsbarkeit zuführen - nicht denkbar wäre.
Antworten auf die Frage, ob und inwiefern panpsychistische Positionen Beiträge zu einer theoretischen Begründung von Personalität und personaler Identität leisten können, sollen im späteren entwickelt werden. Bevor der genuine Beitrag des Panpsychismus zur Sprache kommt, möchte ich zunächst einer weiteren Frage nachgehen: Ob es so etwas wie „Werte” in der Natur gibt, oder ob diese rein durch die (menschliche) Betrachtung in die Natur hineingelegt werden - ob es sie nur für uns gibt.
3.1.4 Werte in der Natur
Gibt es Werte in der Natur? Bei dieser Frage, die es einem Philosophen der Antike vielleicht gar nicht wert gewesen wäre, gestellt zu werden, da sie ganz selbstverständlich positiv zu beantworten sei, liegt im modernen Denken eher die gegenteilige Antwort als selbstverständlich nah: die Antwort, dass in der Natur an sich kein Wert liege, sondern dieser ihr erst durch (eine) menschliche Zuschreibung zukomme.193
Diese Auffassung der Natur als wert-frei sieht sich aber mit einem Dilemma konfrontiert: Wenn aller Wert nicht aus der Natur, sondern allein aus der menschlichen Beschreibung kommt, kann diese selbst wiederum nicht (vollständig) Teil der Natur sein - anderenfalls wären die „Werte in der Natur” ja wieder durch die Hintertür eingeführt. Sofern ein Eliminativismus in Bezug auf Werte vermieden werden soll, muss also entweder die Naturalisierung des Menschen aufgegeben, oder eben doch die Existenz von Werten innerhalb des Reichs der Natur eingeräumt werden.
Die Frage nach Werten in der Natur knüpft dabei eng an die im Abschnitt über nichtmenschliche Würde besprochenen Fragen an: Ist der Erhalt etwa des Ökosystems oder der Artenvielfalt ein Wert an sich, oder liegt er sozusagen nur „im Auge des Betrachters”, ist nur ein Wert für uns ? Man kann Gedankenexperimente anstellen über Welten ohne jeden menschlichen Geist und sich fragen, ob dort nun ein Wert in der Artenvielfalt liegt oder nicht; aber diese gedanklichen Experimente scheitern schon daran, dass allein im Nachdenken über solche Welten unser Geist ins Spiel kommt.
Strukturell ganz verwandt mit dem Problem von Werten in der Natur ist die Frage nach Zwecken in der Natur. Gewöhnlich betrachten wir die (nicht-menschliche) Natur als vollständig zweckfrei. Wenn wir etwa die Vorgänge in einer Bakterienzelle zur Reparatur ihres Erbguts untersuchen, so versuchen wir, diese in Begriffen reiner Wirkursächlichkeit zu beschreiben: Die Vorgänge finden nicht statt, um die entsprechenden Schäden zu beheben und einen Zelluntergang zu vermeiden, sondern sie folgen einfach aufgrund wirkursächlicher Notwendigkeit aus vorangegangenen Vorgängen. Ein bestimmter Schaden an der Erbsubstanz führt dazu, dass ein Enzym aktiviert wird, das ihn behebt - ganz so, wie eine bestimmte Temperatur dazu führt, dass Wasser friert oder siedet; nur auf komplexere Art und Weise. Von einem Zweck kann hier nicht die Rede sein, allenfalls im Sinne einer „Als-ob- Teleologie”: Auf den ersten Blick mag es so aussehen, als ob hier etwas bezweckt würde, tatsächlich aber spielen sich nur in sich gänzlich zweckfreie mechanistische Prozesse ab.194
Das Dilemma der Zwecke ist ähnlich dem der Werte: Wenn sich in der Bakterienzelle nur zweckfreie, rein wirkursächliche Vorgänge abspielen, warum sollte es in unseren Körperzellen anders sein? Und wenn es in allen unseren menschlichen Zellen so ist, wie kann dann unser Organismus, der ja aus diesen Zellen besteht, Quelle von Zwecksetzungen sein? Wieder steht ein Realismus in Bezug auf (menschliche) Zwecke vor der Wahl, entweder einen Bruch zwischen Mensch und Natur zu postulieren, oder doch die Möglichkeit von Zwecken in der Natur zuzugeben.
Ich möchte nun noch einmal auf die Frage der Werte an sich und ihre Beziehung zum Begriff der Würde zurückkommen. Im ersten oben behandelten Würdeverständnis - Würde als Eigenschaft und Status des Menschen, als Anrecht auf Achtung - meint Würde eindeutig einen Wert an sich, der jedem Menschen gerade unabhängig von aller Beschreibung und Zuschreibung zukommt. Zwar kann die Anerkenntnis dieses Wertes verweigert, das entsprechende Anrecht missachtet werden, aber das hebt eben das prinzipielle Bestehen dieses Anrechts, den an sich bestehenden Wert der (menschlichen) Würde, nicht auf.
Sofern wir die Würde gemäß dem zweiten oben eingeführten Verständnis betrachten, ist die Lage nicht ganz so eindeutig. Liegt die Antwort auf die Frage, ob eine bestimmte Geisteshaltung, eine bestimmte Art und Weise der Lebensführung würdevoll ist oder nicht, in den Dingen selbst, oder doch eher im sprichwörtlichen „Auge des Betrachters”, das heißt, in den Maßstäben, die wir im Beschreiben und Bewerten - und das bedeutet hier insbesondere: im Beschreiben und Bewerten der eigenen Art, zu leben, im Entwerfen eines (eigenen) Selbstbildes - anlegen?
Peter Bieri schreibt hierzu an einer Stelle, dass nichts, was jemand tue, „in dieser Lesart von Würde in sich würdelos” sei; es gebe schlicht „keinen objektiven, von Selbstbildern unabhängigen Standpunkt”, von dem aus über Wert und Würde einer Handlung an sich entschieden werden könne: „[d]er Gedanke eines solchen Standpunkts wäre nicht stimmig zu entwickeln.”195
Sicherlich: Die kulturelle Prägung, die wir als Kollektiv erfahren, auf der einen, und die Selbst-Setzung des Individuums, auf der anderen Seite, sind hinsichtlich der verschiedenen Vorstellungen davon, welches Verhalten würdig oder würdevoll ist, und welches nicht, in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen; und man kann - wie Eva Weber-Guskar es tut - den Gedanken der Würde ja gerade als Stimmigkeit mit dem eigenen Selbstbild entwickeln.
Dennoch bleibt die Frage, ob der Wert der Würde vollständig in der (Selbst-)Zuschrei- bung aufgehen kann oder zumindest ein Rest an objektiver Werthaftigkeit postuliert werden sollte. Etwa Bieri selbst schreibt an anderer Stelle zur Moral und ihrer Geltung - einem konkreten Fall von Werten „an sich”-, dass hier im letzten ein Absolutheitsanspruch nicht ganz zu vermeiden sei; im Fall der moralischen Identität sei es „sowohl gedanklich als auch vom Empfinden her” unmöglich, sich „auf die historische Zufälligkeit [der] kulturellen Identität zurückzuziehen [...]. Ich weiß von der historischen Bedingtheit meiner Anschauungen und also von ihrer Relativität, und doch kann ich nicht anders, als sie absolut zu setzen, denn sonst ginge die Ernsthaftigkeit meiner Überzeugungen verloren”.196 Ein solcher zumindest umschriebener Realismus, der in den tiefsten Annahmen über uns selbst und über die Welt, in der wir leben, auf eine Art und Weise verankert ist, die wir nicht ohne fundamentale Revision unserer alltäglichen Praxis aufgeben könnten, kommt aber nicht ohne die Idee zumindest manchmal gegebener „Werte an sich” - d.h. unabhängig von einem relativen Beschreibungskontext gegebener Werte - aus.
Die Haltungen der Moral und der Würde nun sind strukturell verwandt, wenn auch sicherlich nicht deckungsgleich: Man könnte etwa sagen, dass man einem im Innersten moralischen Menschen - der moralische Gesetze nicht nur aus oberflächlichem Opportunismus befolgt - wohl nur schwer eine Form der Würde absprechen kann; und andererseits kann einem gänzlich unmoralischen Menschen nicht eigentlich eine würdevolle Verfassung zugeschrieben werden.197 Das bedeutet aber im Umkehrschluss, dass, wenn etwa eine vollständig unmoralische Haltung nicht mit der Haltung der Würde (im zweiten Sinn) vereinbar ist, und wir im Fall der Moral beschreibungsunabhängige Werte an sich annehmen, dies - in manchen Fällen - auch für die Würde gelten muss.
Zusammenfassend, ist in beiden Würdeverständnissen - im ersten notwendigerweise und im zweiten potentiell - der Gedanke eines in oder an sich bestehenden Wertes angelegt, eines Wertes unabhängig von (menschlicher) Zuschreibung, der buchstäblich in der Natur der
Sache liegt. Ein solcher „Wert in der Natur” führt zu der Frage, was der Begriff „Natur” hier überhaupt bedeutet und beinhaltet, und schlägt damit die Brücke zum Panpsychismus und zum nächsten Abschnitt.
3.2 Panpsychistische Beiträge zum Verständnis von Würde und Personalität
Panpsychism [...] leads to a more integrated, compassionate, and sympathetic cosmos [...]. It leads to positive, sustaining values for humanity. It stands in stark contrast to the cynical, isolating, manipulative values of mechanistic materialism. To the extent that these mechanistic values have contributed to our current environmental and social crises, panpsychist values may begin to reverse this process and heal the damage.
— David Skrbina, Panpsychism in the West
3.2.1 Würde, Bewusstsein und Kontinuität
Im vorliegenden Abschnitt möchte ich eine Idee formulieren, die die Grundlage für einen panpsychistischen Blick auf Begriff und Konzeption der Würde bilden kann: die Idee, dass ein innerer Zusammenhang zwischen dem Phänomen der Würde und dem Phänomen des Bewusstseins besteht. (Unsere) Würde gründet in der Fähigkeit zum bewussten Erleben und im Status als - aktive oder passive - Subjekte. Anders als Ansätze kantischer Prägung, die den Gedanken der Würde eher mit dem Vernunftbegriff verbinden, soll hier also ein Stück weit „tiefer” angesetzt und der Möglichkeit nachgegangen werden, dass jeder Instantiierung von Bewusstsein, gewissermaßen jedem „Flackern” bewussten Erlebens ein Wert innewohnt, den es auf eine Art und Weise zu achten gilt. Schließlich steht hinter der Frage nach einer genuin panpsychistischen Perspektive auf den Begriff der Würde die Hoffnung, dass der Panpsychismus - wie im Zitat von David Skrbina zum Ausdruck gebracht - eine neue Begründung unseres ethischen Selbstverhältnisses, und auch einen wesentlichen Impuls für einen wert- schätzenderen Umgang mit unserer natürlichen Umwelt bieten könne.198
Wie lässt sich der Gedanke entfalten und begründen? Die Verbindung von Bewusstsein und Würde auf der einen Seite, und dann der Brückenschlag hin zu einem panpsychistischen Bewusstseinsbegriff und damit in gewisser Weise hin zu einer Art „Pan-Würde” auf der anderen Seite, entspringen, glaube ich, in wesentlicher Hinsicht einer intuitiven Einsicht, einer Erfahrung der Welt und mit der Welt, in der theoretische und praktische Aspekte - wie es sich in der Welt verhält, und wie es sich verhalten sollte - zusammen kommen.
Die australische Philosophin Freya Mathews hat einen Panpsychismus verteidigt, der ganz und explizit von einer solchen Erfahrung Ausgang nimmt: Sie schildert eine tiefe, bereits mit der Kindheit gewissermaßen aufgesogene Empfindung der Achtung und des Respekts, der „Ehrfurcht” für die sie umgebende Natur außerhalb der Vororte Melbournes, die ganz natürlich eine „animistische” Sicht der Welt, eine Sicht der Welt als in sich würdig, zweckhaft und bedeutungsvoll einschließe.199 Ausgehend von dieser Grundlage wird der Panpsychismus auch in der Sprache und mit den Mitteln der analytischen Philosophie gerechtfertigt. Mathews rückt, wenngleich sie nicht direkt die Nähe zu den traditionellen Religionen sucht, ihre grundlegende Erfahrung doch explizit auch in die Nähe einer spirituellen Erfahrung.
Nun steht zwar nicht spirituelle Erfahrung an sich, aber doch eine solche, animistische Auffassung der Natur zweifellos in diametralem Kontrast zum (natur-)wissenschaftlichen, mechanistisch-materialistischen Paradigma der Moderne. Dieses Paradigma, das nicht nur eine große interne Kohärenz, sondern im technischen Fortschritt unseres Umgangs mit der Natur insbesondere auch einen ungeheuren praktischen Erfolg aufweist, wird, wenn überhaupt, nur durch das nicht ganz erklärbare Auftreten des menschlichen Geistes und seine Einordnung in die sonst so vertraute, physische Welt - durch das sich einer befriedigenden materialistischen Lösung entziehende „Leib-Seele-Problem” - herausgefordert. Wenn aber, wie bei Mathews, von einer „reanimierten” Welt und einer „(Rück-)verzauberung” gesprochen wird200, scheint der Boden des Vernünftigen verlassen.
Mathews weiß natürlich um die Sperrigkeit ihrer Begriffe und spricht selbst von der Gefahr, dass der Panpsychismus nicht mehr als eine „atavistische Fantasie” bleibe, wenn er keinen Anschluss an die Sprache des (natur-)wissenschaftlich-westlichen Diskurses der Moderne finde.201 Sie entwickelt ihre Version eines panpsychistischen Weltbildes, in dessen Zentrum unsere „liebende Begegnung” mit der Welt steht, anhand eben einer durchweg analytischen Auseinandersetzung mit den Argumenten des (materialistischen) Reduktionismus. Nur im panpsychistischen Rahmen, so Mathews, der der Materie selbst eine Innerlichkeit, einen eigenen subjektiven Standpunkt zubillige, könne der Unterschied zwischen einem echten Objekt und seiner bloßen Erscheinung verständlich gemacht werden, also eine realistische Haltung in Bezug auf die Existenz der äußeren Welt - eine „unabdingbare Voraussetzung” unseres Alltagsempfindens -, begründet werden. Neben diesem „Argument aus dem Realismus” macht Mathews, ähnlich der oben betrachteten Argumentation anderer Panpsychistinnen und Panpsychisten, deutlich, dass der materialistische Monismus im Kern weiterhin einem (cartesisch-) dualistischen Weltbild verhaftet sei, da er dessen Konzeption der Materie als vollständig geistlos einfach übernommen habe; ein „wirklich nicht-dualistischer” Blick auf die Materie könne nur einer sein, der alles Physische mit einem inneren psychischen „Prinzip” ausstatte, d.h. ein Panpsychismus.202
Ich möchte an dieser Stelle nicht weiter auf die eigentlichen pro-panpsychistischen Argumente bei Mathews und ihren Stellenwert im gegenwärtigen Diskurs der analytischen Philosophie eingehen, da die wesentlichen Argumente für eine panpsychistische Ontologie des Geistes in den obigen Abschnitten bereits vorgestellt wurden. Ich möchte aber noch einmal den Blick auf das lenken, was vor und hinter diesen Argumenten steht, und zwar bei Mathews ganz explizit und in dieser Reihenfolge vorgetragen: grundlegende und gewissermaßen vor-vernünftige Intuitionen darüber, wie es sich in der Welt verhält. Auch das vermeintlich nüchterne und neutrale Argument der analytischen Philosophie, könnte man sagen, ist letztlich ein Ausbuchstabieren impliziter Grundannahmen, von bereits vor diesem Ausbuchstabieren in irgendeiner Form bestehenden Intuitionen über die Welt und über uns selbst. (Hiermit ist natürlich die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass Annahmen und Intuitionen im Verlauf dieses Ausbuchstabierens besser verstanden und zumindest verändert, unter Umständen auch ganz revidiert werden können.)
Wenn also Mathews bereits ganz zu Anfang von einer „Welt-inklusiven Spiritualität” und einer „re-animierten” Natur spricht, und explizit den Anspruch formuliert, diesen Blick auf die Welt philosophisch einholen zu wollen, mag sich zunächst eine gewisse Skepsis hinsichtlich der dann folgenden Argumente einstellen, da das Ziel ja schon vorgezeichnet scheint. Es sollte aber klar sein, dass die Explizierung der Intuitionen, die uns beim Nachdenken über ein Thema leiten, keine argumentative Verengung bedeutet; ganz im Gegenteil, es sind gerade die nicht explizit gemachten Grund- und Vorannahmen, die einen Argumentationsgang in die falsche Richtung lenken können.
Ohnehin könnte man sagen: Intuitionen sind - als Neigung oder Disposition, einen bestimmten Sachverhalt für wahr zu halten - zwar nicht selbst mit logischer Sicherheit ableitbar, umgekehrt aber sind sie in gewisser Hinsicht das stärkste argumentative Fundament, das wir haben: Der Entscheid darüber, welchem Argument wir den höheren Stellenwert einräumen, welchem der vielen gut begründeten philosophischen Entwürfe wir am ehesten folgen, kann manchmal nicht anders als auf Basis dieser grundlegenden intellektuellen Dispositionen vorgenommen werden. Nicht zuletzt sind etwa selbst mit scheinbar vollständiger Sicherheit hergeleitete mathematische Sätze von ebensolchen Vorannahmen abhängig, etwa der der Widerspruchsfreiheit. Umso mehr gilt dies für philosophische Sätze: Die Frage etwa, ob wir eher einer utilitaristischen, einer deontologischen oder einer tugendethischen Moralphilosophie zuneigen wird maßgeblich von der Anwendung der jeweiligen Theorie auf eine konkrete Situation und unseren moralischen Intuitionen zu ebendieser Situation abhängen; und auch in der Philosophie des Geistes - zur Frage der Möglichkeit philosophischer Zombies, zur transtemporalen Identität und zum Empfinden nicht-menschlicher Wesen - spielen unsere Intuitionen eine wesentliche Rolle.
Zwar wird es Intuitionen geben, die sich beim näheren Betrachten eines Sachverhalts oder eines Themas „auflösen”, wenn man so möchte; die verändert oder revidiert werden müssen. Man würde dann in etwa sagen: Ich hatte im ersten Moment den Eindruck, es müsste so sein - aber je mehr ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir, dass dieser erste Eindruck trügt. Auf der anderen Seite aber wird es auch Intuitionen geben, die sich gewissermaßen hartnäckig halten, die auch und gerade dann weiterhin Bestand haben, wenn wir uns beim Nachdenken über das Thema der gewichtigen vernünftigen Gründe bewusst werden, die gegen die Wahrheit dieser Intuition sprechen. Am stärksten ist dies bei denjenigen Intuitionen der Fall, deren Wahrheit wir tatsächlich notwendigerweise, in irgendeiner Form, in unserer alltäglichen Praxis des Handelns voraussetzen (müssen); Intuitionen, die tief in unserem Denken verwurzelt und in gewisser Weise unaufgebbar sind. Dazu zählen Intuitionen zu vielen der im Rahmen der vorliegenden Arbeit behandelten Themen: zu Bewusstsein, Selbstbewusstsein und Freiheit, zu personaler Identität - und wahrscheinlich auch zu einer Ausprägung dessen, was mit dem Begriff der Würde gemeint ist (der wiederum die Grundlage für unsere unabstreitbaren moralischen Intuitionen bildet).203
Worin liegt nun das Potential einer möglichen panpsychistischen Verbindung der Ideen des Bewusstseins und der Würde? Es liegt darin, dass grundlegende unserer Intuitionen sowohl zum Bewusstsein als auch zur Würde im panpsychistischen Rahmen mutmaßlich besser bedient werden können als im Rahmen konkurrierender Entwürfe. Die Zuschreibung von Würde als „Anrecht auf Achtung”, wie bei Härle formuliert, muss nicht auf vernunftbegabte Wesen - auf eine Teilklasse von uns Menschen - beschränkt werden, sondern schließt, in Abstufungen, alle Menschen und dann auch weitere Lebewesen ein. Ebenso wie kein „Bruch” in der natürlichen Welt hinsichtlich des Auftretens mentaler oder phänomenaler Eigenschaften postuliert werden muss, kommt auch das Merkmal der Würde nicht ab einer bestimmten Stufe mit einem Mal einfach hinzu. Die panpsychistische Sicht vorausgesetzt, besteht ein Kontinuum der Würde und des Bewusstseins; es besteht ein Kontinuum der Würde, weil ein Kontinuum des Bewusstseins besteht. Jedem Auftreten geistiger Eigenschaften wohnt ein Moment der Würde, oder: der Würdigkeit, inne.
Hinsichtlich einer so bezeichneten „ökologischen Ethik”, die - mit unserem Alltagsempfinden - eine (graduelle) „Würde des Lebendigen” annimmt, ergeben sich damit im Rahmen panpsychistischer Ontologien Ansatzpunkte für eine systematische Entfaltung und Begründung; und es sollen hier im folgenden noch einmal einige der Parallelen nachgezeichnet werden, die sich zwischen dem Thema der Würde und dem des Bewusstseins ergeben, sofern man die Idee eines inneren Zusammenhangs zwischen beiden zugrunde legt.
Zunächst wird für beides, Bewusstsein und Würde, eben eine graduelle Abstufung postuliert. Sowohl Bewusstsein als auch Würde sind Phänomene, die auf der Ebene von uns Menschen am stärksten, sozusagen in einer „Vollform”, ausgeprägt sind, die aber, in Graden und Vorformen, bis hinunter zu den kleinsten Bausteinen der Welt zu finden sind. Genauso wenig aber wie das „Pan” in „Panpsychismus” bedeutet, dass alles Bewusstsein hat (auch nicht in abgestufter Form), hat gemäß der Idee der kontinuierlichen Würde alles eine Würde. Bewusstsein und Würde kommen (nur) natürlichen Individuen zu. Für eine „ökologische Ethik” bedeutet dies: Es gibt eine gestufte Würde des Lebendigen; ökologischen reinen Aggregaten - etwa Wäldern, Flüssen oder Gebirgen - kommt aber als solchen keine eigene Würde zu, da sie keine natürlichen Individuen, sondern eben Aggregate sind. (Allerdings können Wald und Fluss freilich eine indirekte Bedeutung für natürliche Individuen wie Menschen und Tiere haben, und daher schützenswert sein.)
Wodurch aber wird bestimmt, dass etwas ein natürliches, oder „echtes”, Individuum ist - was macht den Unterschied zum „bloßen” Aggregat? Hier schließt sich der Kreis zum Bewusstsein: Ein natürliches Individuum ist als solches ein Subjekt von Erfahrung; es ist nicht einfach nur die Summe der Erfahrungen seiner (elementaren) Bestandteile. Natürliche Individuen sind ausgezeichnet und bestimmt durch eine (bei Aggregaten nicht gegebene) „Einheit des Erlebens”, wie David Ray Griffin sagt, bzw. durch eine „geteilte Rezeptivität” phä- nomenalen Erlebens, bei Gregg Rosenberg, die die Entstehung höherstufiger Subjekte von Erfahrung möglich macht.204
Eine wichtige Frage ist nun, inwiefern es solche „echten” Individuen auch auf höherer Ebene etwa als der eines menschlichen Subjekts geben kann. Während Griffin dies negativ bescheidet und Rosenberg es für „unbekannt” hält, entwickelt Freya Mathews explizit den Gedanken eines maximal höherstufigen, sozusagen „kosmischen” Subjekts, das sie als das (unbegrenzte) „Eine” den „Vielen”, den begrenzten Subjekten, die etwa wir Menschen sind, gegenüberstellt.205 Das Eine charakterisiert sie als selbst-organisierendes System, das sich selbst „realisiert” und in den Vielen „ausdifferenziert”.
Essentiell ist die Verbindung, in die das Eine mit den Vielen treten kann: Im Rahmen einer von Mathews so genannten „kommunikativen Ordnung” kann das kosmische Eine den Vielen einen Sinn etwa für einen respektvollen Umgang mit dem Kosmos vermitteln und so auf panpsychistisch-theoretischer Grundlage direkt einen praktischen Anspruch formu- lieren.206 Unter den Begriffen von „eros” und „encounter” beschreibt Mathews diese Verbindung und Begegnung des menschlichen Subjekts mit dem kosmischen - der Welt, der Natur oder eben dem Einen -, die die Grundlage für eine gewissermaßen beidseitigwertschätzende „Ko”-Existenz liefern soll.
Mathews’ Ansatz steht hier, mit der expliziten Anerkenntnis eines „Welt-Subjekts”, in einer Linie mit einer Unterklasse panpsychistischer Positionen, die man als „kosmopsychis- tisch” bezeichnen kann: Positionen, die die Idee verfolgen, dass der ganze Kosmos geistige (oder protogeistige) Eigenschaften instantiiert. Wird der Kosmopsychismus genauer als „ priority cosmopsychism” konzipiert, ist gemeint, dass die kosmischen geistigen Eigenschaften, das kosmische Bewusstsein eben ontologisch primär sind bzw. ist, und dass sich die geistigen Eigenschaften der vielen „sub-kosmischen” Individuen, etwa von uns Menschen, von diesem kosmischen Bewusstsein her ableiten.207 Der Kosmopsychismus stellt die Weltordnung „normaler” Panpsychismen damit gewissermaßen auf den Kopf: Primärer Gegenstand des Interesses zur Erklärung und Herleitung unseres eigenen Geistes sind nicht die geistigen Eigenschaften der kleinsten Bausteine der Welt, der „ultimates”, sondern die fundamentale (Vor-)Form des Bewusstseins, die der Kosmos als ganzer instantiiert; das Auftreten geistiger
Eigenschaften wird nicht von unten nach oben, sondern eben von oben nach unten nach- vollzogen.208 Im Vergleich zum „bottom-up panpsychism” ist der Kosmopsychismus damit, was die prima-facie-Kontraintuitivität und den „lex-parsimoniae-Verstoß” anbelangt, in einer ähnlichen Ausgangslage, während sich ihm im Gegensatz zu diesem etwa das Kombinationsproblem nicht stellt - was freilich ersetzt wird durch eine Art „Derivationsproblem” der Beziehung zwischen kosmischen und sub-kosmischen geistigen Attributen.209
Philip Goff hat ein Argument für den (konstitutiven) Kosmopsychismus, in Abgrenzung hier nicht zum Materialismus oder Dualismus, sondern zum (konstitutiven) Mikropsychismus, wie folgt formuliert.210 Kosmopsychismus und Mikropsychismus unterscheiden sich wesentlich in der Art und Weise, wie sie das Auftreten der uns vertrauten „normalen” geistigen Eigenschaften, von Menschen und Tieren, begründen - in der „grounding relation”, wie Goff sagt, die zwischen diesen Eigenschaften und der im jeweiligen panpsychistischen Modell postulierten Basis besteht. Diese Begründungsbeziehung - die nicht-kausale, erklärende Funktion hat - liegt für den Mikropsychismus darin, dass makroskopische mentale Attribute letztlich in „nichts weiter” als mikroskopischen mentalen Attributen bestehen - makromentale Eigenschaften sind (aufsummierte) mikromentale Eigenschaften. Dies führt für Goff letztlich zu einer „deflationären” (und damit für ihn inakzeptablen) Auffassung der makroskopischen mentalen Attribute - der Art von Bewusstsein, die wir aus dem Alltag kennen, und die wir überhaupt erst für erklärungsbedürftig halten -, da die genannte (asymmetrische) Begründungsbeziehung impliziert, dass nicht-fundamentale Entitäten oder Eigenschaften nicht in gleichem Maße metaphysisch real sind wie fundamentale Entitäten oder Eigenschaften.211 Der Kosmopsychismus hingegen kann ein „grounding by subsumption” bemühen, das die Deflation makroskopischer mentaler Attribute vermeidet: Diese sind als Teile oder als Aspekte übergeordneter kosmischer mentaler Eigenschaften zu verstehen; und dieses Verständnis führt, anders als beim Mikropsychismus, gerade nicht zu einer „metaphysischen Abwertung” der makroskopischen („normalen”) mentalen Eigenschaften, da die Aspekte eines Ganzen gleichermaßen wie dieses Teil der Realität und metaphysisch wertgleich sind.212
Für den vorliegenden Kontext der möglichen Begründung einer ökologischen Ethik durch eine panpsychistische Philosophie des Geistes relevant ist die kosmopsychistische Idee eines übergeordneten Trägers geistiger Eigenschaften, gewissermaßen eines „Welt-Bewusstseins”, aus folgendem Grund: In dem Moment, in dem ein solches kosmisches Subjekt zugestanden wird, wird auch die Idee einer Würde dieses Subjekts bzw. einer Verantwortung unsererseits gegenüber diesem Subjekt - dem „Einen”, der Welt, der „Natur” - möglich.
Der Gedanke der Würde der Welt schließt hierbei ein, dass ihr in gewisser Hinsicht ähnlich wie einem menschlichen (oder tierischen) Subjekt zu begegnen ist. Mathews grenzt zwei verschiedene Arten des In-Kontakt-tretens mit der Welt voneinander ab: die des Wissens von der der (eigentlichen) Begegnung. Im klassischen materialistischen (und dualistischen) Paradigma treten wir der Welt mit dem Anspruch des Wissens bzw. des Wissen-wollens gegenüber: Wir wollen die Mechanismen kennenlernen und verstehen, die den Abläufen der Welt unterliegen, wir wollen sie untersuchen und transparent machen; nicht zuletzt, um sie berechnen, vorhersagen und nötigenfalls auch in unserem Sinn verändern zu können. Wir behandeln die Welt hierbei als reines Objekt unseres Interesses und unseres Handelns.
Dem gegenüber steht die Begegnung etwa mit einem anderen Menschen: Es geht hier gerade nicht darum, den anderen in seinem Handeln und Empfinden, im komplexen Räderwerk seiner psychologischen Abläufe und Mechanismen vollständig offenzulegen oder gar für eigene Zwecke zu verändern - hierfür gibt es ein eigenes, sehr negativ besetztes Wort: zu manipulieren -, sondern es geht darum, eine Beziehung zu ihm oder zu ihr aufzubauen, eine Beziehung der Wechselseitigkeit, in der die oder der andere eine Antwort geben kann. Wir behandeln einen anderen Menschen als Subjekt, als Zentrum eines Erlebens und Ursprung eines Tuns.
Wenn wir also im pan(kosmo-)psychistischen Rahmen eine Konzeption der Welt als dem „Einen”, als kosmisches Subjekt, zulassen, dann ist auch für unsere Art und Weise des Umgangs mit der Welt oder der Natur ein „Vorrang der Begegnung vor dem Wissen”, wie Mathews formuliert, zu fordern.213
Hieran könnte also eine ökologische Ethik, die einen Wert und eine Würde des Natürlichen an sich - unabhängig von seinem Wert für uns Menschen - verständlich machen möchte, unmittelbar systematisch anknüpfen: Wenn die Welt als ganze als Subjekt - analog, wenn auch in einem ganz schwachen und vielleicht nicht immer überhaupt verständlichen Sinn, zu menschlichen und tierischen Subjekten - gedacht wird, kann eine moralische Verpflichtung ihr gegenüber begründet werden. Einen, nicht wünschenswerten und nicht möglichen, Verzicht auf eigene Interessen bedeutet eine solche Philosophie der „Begegnung” nicht: Mathews führt explizit beide Aspekte an, beide Richtungen des Interesses - des Eigeninteresses und des Interesses für andere -, die als das „Autoische” und das „Alterische” in einer „Komplementarität” neben- und miteinander bestünden.214
Neben der bei Freya Mathews detailliert ausgearbeiteten Verbindung von Panpsychismus und (Pan-)Würde ist in den vergangenen Jahren, unabhängig von der panpsychistischen Position an sich, die begriffliche Beziehung von Bewusstsein und Wert in der analytischen Philosophie des Geistes in den Blick genommen worden. Uriah Kriegel etwa hat ein dreifaches Verständnis formuliert, in dem Bewusstsein - jeweils intrinsisch oder instrumentell - einen Wert haben kann: im epistemischen, ethischen und ästhetischen Sinn.215 Für alle drei, sagt er, kann ein intrinsischer Wert des Bewusstseins gerechtfertigt werden. Der epistemische Wert des Bewusstseins ergibt sich aus dem (experientiell verstanden) Erfassen („grasping”), das dem Verstehen zugrunde liegt216 ; der ästhetische Wert des Bewusstseins folgt aus der Ehrfurcht oder dem Erstaunen, das die Tatsache des bewussten Erlebens selbst (unabhängig von seinem vielleicht ebenfalls ästhetisch wertvollen Inhalt) hervorruft. Für den vorliegenden Kontext relevant ist aber insbesondere der ethische Wert des Bewusstseins - annehmend, dass der ethische oder moralische Wert einer Entität durch ihre Würde begründet wird. Ich möchte diesen Gedankengang hier nachvollziehen. Kriegel schreibt:
„For our purposes, the key question here is: What gives some things dignity and not others? Presumably, dignity is not a brute, inexplicable attribute that arbitrarily attaches itself to some entities and not others. More plausibly, things have certain empirical properties that ground their dignity - be these genetic, psychological or other empirical (i.e., non-evaluative) properties. We have duties to other people, but not to rocks - and this must have to do with the factual differences between people and rocks. This opens up the possibility [...] that the ground of dignity is precisely phenomenal consciousness. In broad strokes, the argument is this: to describe someone as having dignity is to ascribe to her a certain inviolability; and such inviolability attaches to conscious creatures precisely in virtue of the fact that the conscious experiences of each conscious creature can only be experienced by them [...]. On the emerging view, an entity exacts respect and merits treatment as an end just if it is a phenomenally conscious creature.”217
An anderer Stelle hat Kriegel das Verhältnis von (phänomenalem) Bewusstsein und Würde ebenfalls nachgezeichnet.218 Er stellt zunächst eine „primitivistische” Auffassung der Würde zur Diskussion, dergemäß Würde als fundamentaler Begriff nicht weiter aufgespalten oder analysiert werden kann. Selbst wenn dies zutrifft, sagt er, können wir die Erfahrung der Würde aber noch genauer ausbuchstabieren: als Erfahrung einer bestimmten Form von Respekt, namentlich als „anerkennenden Respekt” („recognition-respect”). Dieser bezeichnet, im Gegensatz zu durch Verdienste oder Leistungen bedingtem Respekt, eine Form des Respekts, die unterschiedslos jeder Person zuzugestehen ist - und die damit der oben beschrieben Vorstellung von Würde als „Anrecht auf Achtung” sehr ähnlich ist.
Die Verbindung zum Bewusstsein ergibt sich für Kriegel aus der Unverfügbarkeit oder Unverletzbarkeit („inviolability”) des phänomenalen Bewusstseins: Mein Bewusstsein ist, im Sinne meines Erlebens der Welt aus einer Innenperspektive heraus, nur mir zugänglich. Diese Unverfügbarkeit ist zunächst einmal eine empirische Tatsache; aber aus der empirischen ergibt sich eine normative Unverfügbarkeit: wir sollten das phänomenale Erleben (anderer) nicht verletzen. Damit wird das Bewusstsein selbst (und die Träger von Bewusstsein, die bewusst erlebenden Subjekte) zum Gegenstand von Achtung und „recognition-respect”: Bewusstsein ist die Voraussetzung für (die Zuschreibung von) Würde.219
Charles Siewert hat, in ähnlicher Stoßrichtung, mit mehreren Gedankenexperimenten überzeugend dafür argumentiert, dass wir das phänomenale Bewusstsein um seiner selbst willen wertschätzen - unabhängig von seinen etwaigen „nicht-phänomenalen” positiven Folgen -, und damit unweigerlich einen intrinsischen Wert des Bewusstseins voraussetzen.220
Die Argumente Kriegels und Siewerts wurden kürzlich etwa von Marybel Menzies aufgegriffen, und im panpsychistischen Sinn entwickelt: Aus der Annahme eines intrinsischen Werts des (phänomenalen) Bewusstseins und dem panpsychistischen Postulat grundlegender und ubiquitärer phänomenaler Eigenschaften folgt eine Werthaftigkeit oder Würde von allem, was existiert - von den kleinsten Partikeln hin zu kosmischen Entitäten.221 Auch hier wird aber natürlich keine unterschiedslose Werthaftigkeit natürlicher Gegenstände postuliert - Wert und Würde ergeben sich aus der Kombination bewusster (Mikro-)Subjekte zu höherstufigen oder „makroskopischen” Subjekten, und sind damit graduell ausgeprägt.222
Ich möchte hiermit zu einer kurzen Zusammenfassung dieses Abschnitts kommen. Eine Bindung des Begriffs der Würde an den des Bewusstseins, wie sie im panpsychistischen Rahmen naheliegend, aber auch unabhängig von ihm systematisch zu rechtfertigen ist, kann ein Einholen einiger unserer wesentlichen Intuitionen zur Würde möglich machen. Insbesondere die Idee eines Kontinuums der Würde - einer Würde, die nicht abrupt an der Schwelle vom Menschen zur nicht-menschlichen Natur endet, sondern sich, in Abstufungen, auf die ganze Natur erstreckt - kann in Analogie zur panpsychistischen Vorstellung einer graduellen Kontinuität des Bewusstseins in der Natur gut verständlich gemacht werden. Werden weiterhin - was im panpsychistischen Rahmen möglich, aber nicht zwingend ist - mentale Attribute auch auf einer höheren Ebene als dem Menschen, typischerweise auf der Ebene der Welt oder des Kosmos als ganzer bzw. ganzem, akzeptiert, können auch eine eigene Zweck- haftigkeit oder ein eigener und unmittelbarer (nicht von menschlicher Würde abgeleiteter) moralischer Anspruch der Natur systematisch fundiert werden.
Gegeben diesen systematischen Mehrwert, die Einholung einiger unserer wesentlichen Intuitionen zur Würde betreffend, tun sich bei der Verbindung und dem „Festmachen” der Würde am Bewusstsein aber auch mögliche Kritik- oder Schwachpunkte an dieser Konzeption auf.
Ein erster betrifft die Frage, wie es sich denn bei fehlendem Bewusstsein verhält, ob hier auch von einer Verminderung der Würde ausgegangen werden muss. Es ist kaum sinnvoll, einem bewusstlosen Menschen die Würde abzusprechen; es gibt wohl wenige Fälle, in denen unsere Intuitionen zur Würde so klar sind: dass auch ein (traumlos) schlafender oder in Narkose befindlicher Mensch eine Würde hat. Dies gilt zunächst für das erste oben vorgestellte Würde-Verständnis: für Würde als Anrecht auf Achtung. Aber auch für das zweite behandelte Verständnis, demzufolge Würde eine Haltung, eine Art und Weise zu leben meint, ist nicht ersichtlich, inwiefern ein Bewusstseinsverlust notwendig mit einer Verletzung der Würde oder einer Würdelosigkeit einhergehen muss. Zwar mag man Beispiele finden, in denen ein Bewusstseinsverlust oder eine Bewusstseinsminderung in der Tat mit einem Moment der Würdelosigkeit einhergehen, zum Beispiel wenn dieser Zustand im Rahmen von Rauschmittelkonsum selbst herbeigeführt wurde; aber dieser empfundene Verlust der Würde macht sich doch eher an dem Verhalten fest, das zu dem Bewusstseinsverlust geführt hat, und nicht am Bewusstseinsverlust als solchem.
Ein zweiter Punkt betrifft im besonderen den Begriff der Würde im ersten Verständnis. Ein ganz wesentlicher Aspekt dieses Verständnisses - der auch ganz klar etwa im ersten Artikel des Grundgesetzes und in der zitierten Erklärung der Vereinten Nationen zum Ausdruck kommt - besteht darin, dass alle Menschen gleichermaßen Träger der Eigenschaft der Würde, des Anrechts auf Achtung, sind. Es gibt keine Unterschiede an Würde, und damit auch nicht an Wert zwischen den Menschen; und wenn von einer „Gleichheit” aller Menschen gesprochen wird, dann ist damit ja nicht gemeint, dass sie in allen ihren Merkmalen identisch sind, sondern es ist genau dieser Gedanke der Gleichheit an Wert und Würde gemeint: dass „alle Menschen”, wie die UN-Erklärung sagt, „frei und gleich an Würde und Rechten geboren” sind.
Wie ist dies nun vereinbar mit der offensichtlichen Tatsache, dass wir Menschen in unseren geistigen Eigenschaften ganz verschieden sind? Unterschiedliche Menschen machen unterschiedliche bewusste Erfahrungen - und zwar nicht einfach andere, aber gleichwertige Erfahrungen; sondern man kann buchstäblich von einem ganz anderen und reichhaltigeren Bewusstsein sprechen, etwa wenn eine Weinkennerin einen Wein verkostet oder ein Musikliebhaber Musik hört.
Wenn wir die Würde also am Bewusstsein festmachen, wie können wir vermeiden, dass es Abstufungen und Nuancierungen auch an Würde zwischen den Menschen gibt? Erst recht gilt das Gesagte für behinderte Menschen, für kleine Kinder und Ungeborene: Selbstverständlich haben sie ein ganz anderes Spektrum an bewusstem Erleben als gesunde Erwachsene, aber ihnen kommt doch der gleiche Wert, die gleiche Würde zu. Mehr noch, könnte man sagen, Erklärungen wie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte oder der erste Artikel des Grundgesetzes sind doch gerade und überhaupt erst für die schwächeren Glieder der Gesellschaft verfasst; wenn nur die ganz reichhaltig und differenziert Erlebenden - eine Eigenschaft, die nicht immer, aber doch in der Tendenz, mit Eigenschaften wie Macht und Stärke korreliert - eine Würde und ein Anrecht auf Achtung hätten, bräuchten wir den ganzen Begriff nicht.
Wie kann es also gelingen, von einem Kontinuum, von Abstufungen - sowohl des Bewusstseins als auch der Würde - zu sprechen, und dennoch allen Menschen das gleiche Recht auf Achtung zuzuerkennen? Um beide Intuitionen zu wahren, die der gestuften Würde etwa von Menschen im Verhältnis zu Tieren und die der gleichen Würde für alle Menschen, ist in der Tat eine bestimmte Doppelbedeutung der Würde, gewissermaßen eine doppelte Ebene, in der die Würde jeweils verortet wird, zu postulieren. Man könnte sie so begründen: Es geht nicht um die tatsächliche Fähigkeit, etwa zum bewussten Erleben, die ein konkretes (menschliches) Individuum gegenwärtig in der ein oder anderen Ausprägung hat, sondern um die prinzipielle Möglichkeit und Fähigkeit des Menschen zu solchem Erleben, die ihm seine Würde - dann in gleicher Ausprägung für jedes Individuum - verleiht. Nicht die in gewisser Hinsicht Zufälligkeiten unterliegende gegenwärtige Situation wäre dann entscheidend, sondern die generelle Zugehörigkeit zu einer Gattung mit bestimmten Eigenschaften, und damit einem bestimmten Wert oder einem bestimmten Anrecht.
Für diesen Sachverhalt ist der Begriff der Potentialität geprägt worden: (Menschliche) Würde kommt jemandem zu, wenn er oder sie potentiell zu einem voll differenzierten bewussten Erleben, wie es im allgemeinen für Menschen charakteristisch ist, in der Lage ist.223
Mit dem Begriff der Potentialität könnten beide hier angesprochen kritischen Punkte hinsichtlich der Verbindung von Würde und Bewusstsein zumindest versuchsweise adressiert werden. Im Fall der Bewusstlosigkeit ist nicht notwendig von einer Würdelosigkeit zu sprechen, da der betreffenden Person das bewusste Erleben ja potentiell möglich ist. Auch bei den faktisch zwischen verschiedenen Menschen verschieden ausgeprägten Graden an Bewusstsein, an buchstäblich unterschiedlichen Spektren des Erlebens liegt eine Potentialität des jeweils reicheren und „vollen” bewussten Erlebens vor, die einen generellen, immer gleichen Anspruch aller Menschen auf Würde begründet. Zusammengefasst, man kann versuchen, von einer abgestuften Würde etwa vom Menschen im Verhältnis zur nicht-menschlichen Natur zu sprechen, die aber zugleich innerhalb einer Ebene, etwa der menschlichen, trotz unterschiedlicher Ausprägung des bewussten Erlebens nicht abgestuft ist.
Man könnte diesen Rekurs auf die Potentialität als ad hoc -Manöver werten, das zwar die ganz grundlegende Intuition einer gleichen Würde für alle Menschen einholen soll, ohne dass dies im gegebenen Rahmen der Verbindung von Würde und Bewusstsein aber überhaupt möglich und plausibel wäre. Ich glaube aber, dass auch im Rahmen anderer Begründungen der (Menschen-)Würde die Sache ähnlich liegt; wenn die Würde etwa an der Vernünftigkeit des Menschen festgemacht wird - im Gefolge Kants oder bei Pufendorf - stellt sich das Problem von Abstufungen an Vernunftfähigkeit und demzufolge an Würde natürlich ganz analog. Auch im Fall metaphysischer oder religiöser Begründungen der Menschenwürde, etwa im Rahmen des christlichen Gedankens der Gottesebenbildlichkeit des Menschen, ist nicht unmittelbar klar, warum die faktisch gegebene Unterschiedlichkeit im Denken und Handeln und damit im Ausmaß an Gottesebenbildlichkeit nicht in einem unterschiedlichen Ausmaß an Würde resultiert - wenn die Würde nicht an einer generellen Eigenschaft „des” Menschen festgemacht werden soll, die im einzelnen Fall jeweils unterschiedlich realisiert, und eben nur potentiell in voller Ausprägung vorhanden ist.
Die Frage, inwiefern diese Würde in einem panpsychistischen Rahmen als Wert in der Natur selbst zu verorten ist, möchte ich im übernächsten Abschnitt wieder aufgreifen; zunächst will ich einer Thematik nachgehen, die unserer (Selbst-)Zuschreibung von menschlicher Würde zugrunde liegt: dass wir uns als Personen, als Träger dieser Würde verstehen, deren Existenz sich nicht nur auf einen zeitlich ausdehnungslosen Augenblick erstreckt, sondern die über eine gewisse Zeit hinweg mit sich identisch fortexistieren.
3.2.2 Personalität und Panpsychismus
Welche Impulse können von panpsychistischen Theorien des Geistes für unser (Selbst-)Ver- ständnis von und als Personen ausgehen? Wer und was sind wir, in den Augen des Panpsychismus?
Zunächst einmal ist die Verbindung auch von Personalität und Bewusstsein wesentlich; bewusstes Erleben ist in ganz grundlegender Weise unabdingbar dafür, dass wir überhaupt von Personen sprechen können. Charles Siewert nimmt an einer Stelle in seinem Buch über die „Signifikanz” des Bewusstseins auf die Personalitätsfrage Bezug: Ohne Bewusstsein, sagt er, „gibt” es überhaupt niemanden, kein Subjekt und damit keine Person; philosophische „Zombies” - von außen nicht unterscheidbar von uns Menschen, aber ohne jedes bewusste Innenleben - sind das, was sie sind: Zombies, und eben gerade keine Personen.224 Diese innere Verbindung von Bewusstsein und Personalität ist der Verbindung von Bewusstsein und Würde analog.
Ganz ähnlich wie bei der Frage nach der Würde kann man hier einwenden, dass bei allem gegebenen inneren Zusammenhang von Personalität und Bewusstsein aber auch Situationen Rechnung getragen werden muss, in denen das bewusste Erleben eines Menschen noch nicht, nicht mehr oder vorübergehend nicht (voll) ausgeprägt ist. Auch hier möchten wir nicht von verminderter oder gar ganz fehlender Personalität sprechen: Auch und gerade in diesen Fällen handelt es sich um Personen, die auch bei aktuell veränderter Qualität des bewussten Erlebens Subjekte der mit diesem Status verbunden Rechte und Pflichten bleiben.
Wie bei der Würde ist es auch im Fall der Personalität möglich, diese Intuition in gewisser Form mit dem Begriff der Potentialität zu rechtfertigen: Weil die (prinzipielle) Möglichkeit zu (voll) bewusstem Erleben besteht, ist es gerechtfertigt, von einer Person zu sprechen (und ihr die damit verbundenen Privilegien zuzusprechen). Dieses Argument aus der Potentialität gibt alleine noch keine eineindeutigen Antworten auf die Grundfragen komplexer ethischer Debatten zum Status von Personen in manchen Grenzfällen; aber sich über die grundlegenden Begriffe und Intuitionen klar zu werden, die unserem alltäglichen Erleben, unserem Umgang mit den Nicht- Grenzfällen zugrunde liegen, hilft besser zu verstehen, was eine Antwort auch in den schwierigen Grenzfällen dann überhaupt bedeuten würde.
Welchen Beitrag kann aber nun eine explizit panpsychistische Ontologie des menschlichen Geistes zu der Thematik leisten? Freya Mathews kommt an einer Stelle dezidiert auf die „alten, dualistischen, Probleme” rund um die Frage nach personaler Identität und der Ontologie der Person zurück. Ihrem panpsychistischen Ansatz zufolge ist die Person nicht so sehr (materieller) Körper oder (immaterielles) Selbst, sondern der Prozess eines selbstorganisierenden Systems „im dynamischen Gleichgewicht mit seiner Umgebung”. Geistige Attribute bestehen nicht unabhängig von materiellen; dennoch kommt materiellen Systemen ihr Status als Subjekt und Person nur dank ihrer Möglichkeit zu zweckhafter Selbstbezüglichkeit („purposive reflexiveness”) zu, und diese ist „in einem gewissen Sinn” immateriell. Die Aktivität selbst konstituiert das (personale) Selbst.225
Wenn Geist und Materie nicht als disparate Gegensätze, sondern als „zwei Seiten der Medaille” - oder eher: als innere und äußere Seite der Medaille - verstanden werden, dann ist es weniger die Vorstellung einer (geistigen oder körperlichen) Substanz, die unser Personsein angemessen beschreibt, sondern wir sind, prozessphilosophisch gesagt, eher als Aktivität und Ereignis, eben als dynamischer Prozess zu verstehen. Die Frage nach der personalen Identität verliert hierbei in gewisser Weise schon dadurch an Dringlichkeit, dass sich eine Aktivität oder ein Prozess ja notwendig über eine bestimmte Zeit erstrecken, ohne dass deshalb außer Frage stünde, dass es sich bei verschiedenen, zeitlich versetzten, Abschnitten des Prozesses doch um denselben Prozess handelt. Die richtige Frage im Hinblick auf die personale Identität, wenn wir den panpsychistisch-prozessphilosophischen Rahmen voraussetzen, ist dann also nicht so sehr, wie eine Substanz über die Zeit andauern, sich verändern und dabei doch dieselbe bleiben kann, sondern eher, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit wir einen Prozess oder ein Ereignis als Einheit betrachten können, eben als eine Aktivität, die sich über mehrere Zeitpunkte erstreckt.
David Ray Griffin, der explizit eine panexperientialistische Prozessphilosophie im Anschluss an Whitehead vertritt, gibt folgende kurze Antwort auf die Frage nach dem Bezug des Wörtchens „ich” und damit auf die Frage nach dem ontologischen Status der Person: „I [am] the prehensive unification of the relevant activities in my brain at the moment”.226
Hierin kommen zunächst beide Aspekte der panexperientialistischen Ontologie - der geistige und der physische - zum Ausdruck. Der Begriff der „erfassenden Vereinigung”, wenn man es so übersetzen möchte, zielt auf den (proto-)mentalen Aspekt; die „Prehension” bezeichnet bei Griffin (und Whitehead) ja eine Art vor-bewusster Wahrnehmung, die von der „Apprehension”, der (voll) bewussten Wahrnehmung, abgeleitet ist. Dass sich diese Vereinigung auf die relevanten Aktivitäten im Gehirn bezieht, bringt den physischen Aspekt zum Ausdruck; bei der Vorstellung einer vom Körperlichen losgelösten geistigen Aktivität handelt es sich - ebenso wie bei der Vorstellung einer gänzlich geistlosen materiellen Entität - nach Griffin um eine Abstraktion: jedes wirkliche konkrete Einzelding ist ein physischmentales Ereignis.
Hinsichtlich der Identität der so bestimmten Person stellt sich dann die Frage, wie diese über die Zeit hinweg bestehen kann - Griffin spricht ja zunächst nur von dem (gegenwärtigen) „Moment”, in dem die Person durch die erfassende Vereinigung der Hirnaktivität konstituiert wird (in der sie, genauer gesagt, besteht). Dennoch ist eine personale Identität über die Zeit hinweg im gegebenen Rahmen systematisch plausibel: Hintergrund von Griffins Panexperientialismus ist ja die Prozessphilosophie Whiteheads; grundlegende Einheiten der Welt sind dort die von Whitehead so genannten „actual entities” oder „actual occasions”, also Ereignisse, anders gesagt: „Gestalten, die raumzeitlich ausgedehnt sind und Kreativität besitzen”227. Wenn also die zeitliche - genauso wie die räumliche - Ausdehnung bereits den grundlegenden Einheiten, den kleinsten wirklichen „Bausteinen” (wenn man diese räumliche Metapher bemühen möchte), zugesprochen wird, dann ist klar, dass auch die letztlich aus diesen kleinsten Einheiten bestehenden oder zusammengesetzten „größeren” Einheiten, wie menschliche Personen, zeitlich (und räumlich) ausgedehnt sind.
Whitehead selbst nimmt an einigen Stellen von Process and Reality auf den Begriff der Person Bezug. Unter den vielen Ereignissen, die unsere Körper bilden, gibt es einige, die von ihm als „dominant” oder „herrschend” bezeichnet werden: Ereignisse, denen eine übergeordnete Rolle bei der Konstituierung unseres mentalen Erlebens und der Koordination unseres Handelns zukommt. Die zeitlich „andauernde Personalität” eines Menschen, wie Whitehead schreibt, besteht nun „in dem historischen Verlauf lebendiger Ereignisse”, die zu verschiedenen, aufeinander folgenden Zeitpunkten eben solche „dominanten” Ereignisse dargestellt haben.228 An anderer Stelle schreibt er, die (über die Zeit andauernde) Personalität sei „ein Verlauf von Ereignissen, in denen nachfolgende Ereignisse [...] die vorangehenden Ereignisse aufsummieren”.229
In anderen Worten, und mit weniger Eigenbegriffen formuliert, könnte man sagen: Der Gedanke der Person zielt in Whiteheads Prozessphilosophie auf eine Serie sich kontinuierlich entwickelnder Prozesse; eine Serie, die explizit nicht-substanzialistisch gedacht wird und eben eine Vielzahl von Ereignissen einschließt und bezeichnet. Diese Vielzahl von Ereignissen bildet wiederum eine Einheit, da sie in einem neuen Ereignis zusammengefasst werden - „viele werden eines, und noch eines mehr”. Whitehead und Griffin sprechen daher statt von der „Vielzahl” häufig von einer Gesellschaft oder Gemeinschaft von Ereignissen oder Prozessen. Person und Personalität kommen durch den Begriff der personalen Ordnung ins Spiel - dies ist die „besondere Form”, die eine Gesellschaft annimmt, sofern es sich um eine „andauernde Kreatur” handelt.230
Wenn wir mögliche Konzepte von Personalität und personaler Identität im panpsychisti- schen, prozessphilosophischen Rahmen zusammenfassen, lässt sich also festhalten, dass diese durch eine prinzipiell gegebene zeitliche Ausdehnung schon der kleinsten Einheiten der Wirklichkeit - die nicht als Substanzen, sondern als Ereignisse verstanden werden - charakterisiert sind. Personen werden verstanden als Summe mehrerer oder vieler, zeitlich aufeinander folgender Ereignisse, die dann zugleich ein weiteres Ereignis bilden.
An diesem Punkt, spätestens, stellt sich allerdings die Frage: Was macht einen Prozess überhaupt zu einer Einheit, zu einem Prozess? Wann ist es richtig, von verschiedenen Prozessen zu sprechen, die ineinander übergehen oder aneinander anschließen, und wann von verschiedenen Abschnitten - oder „Unterprozessen” - eines Prozesses? Wodurch kommt der von Whitehead ja markant beschriebene Sachverhalt zustande, dass eine Reihe von Ereignissen ein neues, zusätzliches Ereignis bildet, und nicht nur - eine Reihe von Ereignissen? Der Verweis auf eine arbiträre Festlegung, auf eine einfache Entscheidung darüber, ob es sich um eine prozessuale Einheit, um einen Prozess oder ein Ereignis, handelt oder nicht, ohne jede realistische Verankerung in den Dingen, wie sie unabhängig von dieser Entscheidung und Beschreibung sind, kann keine Lösung hinsichtlich Personalität und personaler Identität sein - zu sehr klingt dieser Vorschlag nach dem Diktum Parfits, dass Fragen nach transtemporaler Identität „leere Fragen” seien, auf die die Tatsachen unserer Welt keine Antwort festlegten, und es letztlich nicht um Fakten über die Welt gehe, sondern um Fakten und Entscheidungen über unseren begrifflichen Umgang mit ihr.
Wenn wir einen Realismus in Bezug auf mentale Prädikate voraussetzen, wie er für pan- psychistische - aber nicht nur für panpsychistische - Positionen typisch ist, liegt eine Antwort auf die Frage nach der Einheit eines Prozesses auf der Hand: es ist das Bewusstsein, das diese Einheit gewährleistet. Mehrere Prozesse oder mehrere Ereignisse stellen genau dann gemeinsam einen weiteren Prozess oder ein weiteres Ereignis dar, wenn diese Serie von Prozessen oder Ereignissen als solche selbst ein - man könnte dann sagen: höherstufiges - Bewusstsein hat. Durch dieses Prädikat des höherstufigen bewussten Erlebens ist die Konstitution als echtes Individuum, als ein Ganzes sichergestellt, wie sie für Personalität wesentlich ist.
Martine Nida-Rümelin hat, von einem dualistischen Standpunkt aus, diese Rolle des Bewusstseins für die Rechtfertigung einer realistischen Auffassung transtemporaler personaler Identität beschrieben. Worin besteht der Unterschied zwischen dem Fall, dass ich mit der Person identisch bin, die sich aus meinem zukünftigen, vielleicht in all seinen materiellen Bestandteilen veränderten, Körper entwickeln wird, und dem Fall, dass ich nicht mit ihr identisch bin? Der Unterschied ist, aus der Perspektive der ersten Person eines bewusstseinsfähigen Wesens heraus, größtmöglich: Entweder es gibt mich noch, oder es gibt mich nicht mehr; es ist, wie Nida-Rümelin an einer anderen Stelle zu kontrafaktischen Aussagen über erlebende Subjekte sagt, „der Unterschied zwischen ,ewigem Nichts’ und Leben”.231 Betrachten wir dagegen ein Objekt ohne Bewusstsein, beispielsweise ein Schiff, dessen sämtliche Teile im Verlauf der Jahre ausgetauscht wurden - handelt es sich hierbei noch um dasselbe Schiff, oder nicht? Die Antwort auf diese Frage scheint nicht festzustehen, sondern einer gewissen Vagheit oder Unschärfe zu unterliegen und von der Willkür des oder der Antwortenden abzuhängen; ohne das Vorhandensein einer subjektiven Perspektive wüssten wir nicht anzugeben, worin überhaupt der Unterschied zwischen den beiden möglichen Antworten - es handelt sich um dasselbe Schiff, oder es handelt sich um ein anderes Schiff - bestehen sollte. Es ist nur eine Frage der Festlegung, ob wir von demselben Schiff sprechen möchten, oder nicht. Das Verständnis des Unterschieds zwischen den beiden von Nida-Rümelin genannten Optionen - weiter zu leben, oder nicht mehr zu existieren -, das die Grundlage für unseren Begriff der personalen Identität über die Zeit hinweg bildet, ist nur möglich vor dem Hintergrund der Perspektive der ersten Person, d.h. im Fall bewusstseinsfähiger We- sen.232 Bei Wolken und Wellen, Tischen oder Schiffen, und auch bei sozialen Konstrukten wie einem Verein oder einem Café handelt es sich bei Fragen nach transtemporaler Identität tatsächlich um „leere” Fragen - um Fragen, die unterbestimmte Antworten zulassen und bei denen somit von einer echten, d.h. unabhängig von unserer Auffassung und Klassifizierung bestehenden Identität über die Zeit hinweg nicht gesprochen werden kann.233
Was lässt sich, einen panpsychistischen Rahmen voraussetzend, hierzu sagen? Es kann zunächst den Anschein haben, die strikte Dichotomie von bewussten und nicht-bewussten Entitäten sei im Panpsychismus hinfällig; schließlich wird, wie der Name sagt, „allem” ein Rudiment an Bewusstsein zugeschrieben. Dann wäre auch die auf einem realistischen Bewusstseinsbegriff basierende Unterscheidung zwischen der echten transtemporalen Identität bewusstseinsfähiger Wesen und der zuschreibungsabhängigen oder „unscharfen” Identität der übrigen Entitäten, wie sie Nida-Rümelin vorschlägt, obsolet. Tatsächlich kennen die meisten Panpsychismen aber ebenfalls eine strikte Dichotomie makroskopischer Objekte: die Dichotomie von „echten” Individuen und „bloßen” Aggregaten. Geistige Attribute werden in den allermeisten panpsychistischen Entwürfen ja nur den Individuen zugeschrieben; das bedeutet: den kleinsten individuellen Bausteinen unserer Welt, sowie höherstufigen Individuen, also Subjekten wie Menschen und Tieren. Demgegenüber stehen „bloße Aggregate” wie Steine und Tische, die zwar aus diesen Bausteinen mit rudimentärer (Proto-)Mentalität zusammengesetzt sind, die aber selbst als solche - als Aggregate - keine (höherstufigen) geistigen Eigenschaften instantiieren. Griffin etwa spricht von der „organisatorischen Dualität” aus nicht (höherstufig) bewussten Aggregaten und (höherstufig) bewussten Individuen.234 An anderer Stelle macht er noch eine weitere Unterscheidung zwischen den von ihm so genannten „mere aggregates”, wie einem nicht näher eingrenzbaren Sandhaufen, und „ag- gregational societies”, wie einem Stein oder einer Billardkugel, die zumindest eine zusammenhängende Einheit verkörpern235 ; diese letzte Unterscheidung ist aber im vorliegenden Kontext weniger relevant - entscheidend ist, dass beiden, den „mere aggregates” und den „aggregational societies” im Gegensatz zu den „echten Individuen” kein Bewusstsein zugesprochen wird. Ähnliche Positionierungen finden sich auch bei Gregg Rosenberg, Galen Strawson und Philip Goff.236
In Bezug auf die Frage der personalen Identität lässt sich damit also für panpsychistische Philosophien des Geistes, ganz ähnlich wie bei Voraussetzung einer (substanz-)dualistischen Position, die Auffassung formulieren, dass von einer echten - d.h. unabhängig von aller Zuschreibung und Klassifizierung bestehenden - transtemporalen Identität nur bei Vorliegen einer Innenperspektive des bewussten Erlebens gesprochen werden kann. Eine solche Innenperspektive ist (nur) den Individuen zu eigen; im Fall von Aggregaten - seien sie eher willkürlich herausgegriffen, wie bei einer Wolke, oder weniger willkürlich, wie bei einem Schiff - gibt es offene oder unterbestimmte Fälle transtemporaler Identität, d.h. Fälle, in denen die unabhängig von unserer Zuschreibung bestehende, objektive Beschaffenheit der Welt nicht festlegt, wie die korrekte Antwort auf die betreffende Identitätsfrage lautet.
Panpsychistische Ansätze in der Philosophie des Geistes besetzen damit eine Art Mittelposition in der Debatte um die personale Identität. Zum einen versuchen sie zumeist, den Begriff der Person in einem prozesstheoretischen Rahmen einzuholen, eine Person also als eine Folge von Prozessen oder Ereignissen verstehen, die nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich ausgedehnt ist - wenn bereits die kleinsten Einheiten der Welt prozesshaften Charakter haben, muss dies auch für alles gelten, das aus diesen kleinsten Einheiten zusammengesetzt ist. Diese Position steht dem Perdurantismus nahe: der Idee, dass wir nicht so sehr Substanzen sind, die über die Zeit „andauern”, sondern gewissermaßen vierdimensionale Entitäten, die eben mit ihrer vierten Dimension die Zeit „durchdauern”.
Auf der anderen Seite aber kann der Panpsychismus wie beschrieben anknüpfen an die dualistischerseits formulierte Idee, dass echte transtemporale Identität einen Realismus in Bezug auf das Vorliegen und Fortbestehen einer subjektiven Perspektive - das bedeutet: überhaupt eine „erste Person” - voraussetzt; einer Perspektive also, die bei echten Subjekten wie Menschen und Tieren, nicht aber bei Aggregaten gegeben ist. Diese Position wird zumeist mit einem Endurantismus verbunden: der Idee numerisch mit sich über die Zeit hinweg identischer („dreidimensionaler”) Substanzen.
Wenn man den panpsychistischen „Mittelweg” zwischen Per- und Endurantismus mit einem Schlagwort versehen möchte, könnte man einen prozessphilosophischen Panpsychismus als „3,5-Dimensionalismus” formulieren: als eine Position, die über eine vierdimensionale (prozesstheoretisch verstandene) Basis hinaus dreidimensionale, über die Zeit hinweg andauernde Substanzen als geist-abhängige Abstraktionen zulässt, und so der (systematisch intelligiblen) Idee einer prozesshaften Wirklichkeit und zugleich den tief verwurzelten Intuitionen über uns selbst als zeit-invariante Substanzen Rechnung trägt.237
Ludwig Jaskolla hat einen solchen Entwurf einer Theorie der personalen Identität formuliert, der, im panpsychistischen oder panexperientialistischen Rahmen, sowohl einer vierdimensionalen (Stadien-)Ontologie der Person als auch einer realistischen Auffassung von uns selbst als über die Zeit andauernde Subjekte gerecht zu werden versucht.238 Der entscheidende kritische Punkt einer perdurantistischen Theorie der personalen Identität besteht, in einem Satz formuliert, in der Frage nach der Grundlage der Verbindung zwischen den verschiedenen zeitlichen „Teilen” der, vierdimensional verstandenen, Person: Was macht die verschiedenen Teile zu Teilen einer Person? Die panpsychistische Position bietet hier die folgende Antwort: Die richtige „Verbindung” der zeitlichen Teile oder Stadien der Person ist gewährleistet durch die geistige Entscheidung, durch die ein vorangehendes Stadium der Per- son das folgende oder die folgenden hervorbringt.239 Anders gesagt, in einer Art Selbstdeutungsakt erschafft das erlebende Subjekt sich selbst als (über die Zeit andauernde) Substanz. Damit „gibt” es Substanzen nicht ohne diese Zuschreibung; aber sie ist robust genug, um ein realistisches Verständnis unserer selbst als über die Zeit hinweg fortexistierender Personen hinreichend zu begründen.
Eine Schlüsselidee der panpsychistischen Identitätskonzeption ist es hierbei, dass der geistige Akt der Selbstdeutung, der Identität über die Zeit hinweg ermöglicht, ein prinzipielles Merkmal aller Ebenen der Natur ist: Nicht nur menschliche Individuen, sondern alle „echten Individuen” - das bedeutet: Individuen, die Subjekte eines Erlebens und eines Tuns sind, und sei es in einer ganz rudimentären Form - sind zu einer (rudimentären Form der) Entscheidung fähig, die spätere Stadien zu ihren Stadien macht. Wiederum ist es damit das Leitmotiv einer panpsychistischen Konzeption der Welt, einen unintelligiblen Bruch in ihrem Aufbau, durch die Verortung der zur Frage stehenden Qualität auf den verschiedenen Ebenen der Natur, zu vermeiden.
Es gibt eine weitere Rücksicht, unter der sich ein Blick auf den Begriff der Person aus pan- psychistischer Perspektive lohnt.
Ausgangspunkt hier ist die potentielle Nähe personalistischer - das Personsein des Menschen als Grundlage und Ansatz philosophischer Reflexion betrachtender - und prozesstheoretischer Standpunkte. Der Personalismus ist eher eine heterogene Gruppe unterschiedlicher philosophischer Schulen und „eklektische Bewegung” als eine scharf umschriebene Position240 ; und verschiedene Vertreter verstehen nicht nur den Begriff des Personalismus jeweils anders, sondern unterscheiden sich mitunter auch grundlegend in philosophischem Stil und weltanschaulichem Hintergrund.
Eine mögliche Ausformulierung des personalistischen Standpunktes zielt auf die Verbindung mit einer prozessontologischen Metaphysik: Der etwa bei E.S. Brightman formulierte amerikanische Personalismus des frühen 20. Jahrhunderts versteht die Person als „einen komplexen und kontinuierlichen bewussten Prozess” im Rahmen zumeist einer idealistischen Grundausrichtung.241
Ein prozessontologisches Verständnis der Wirklichkeit wiederum kann, wie oben mit Blick auf Whitehead beschrieben - unter dessen Eindruck Brightman explizit stand242 -, Anschluss an einen Panpsychismus finden. Insbesondere folgender Zusammenhang lässt sich, anknüpfend an die zitierte Charakterisierung der Person als kontinuierlicher bewusster Prozess, formulieren: Wenn das Bewusstsein der Schlüssel zum Verständnis der Personalität ist, und es zugleich in Graden oder Abstufungen auf verschiedenen Ebenen der Wirklichkeit anzutreffen ist, kann auch davon gesprochen werden, dass eine (graduelle) Personalität auf verschiedenen Stufen der Natur instantiiert wird. In diesem Sinne kann der Panpsychismus und Panentheismus etwa bei Charles Harthshorne dezidiert als eine Form Personalismus verstanden werden.243
William James, der ein wesentlicher Bezugspunkt für viele heutige Panpsychistinnen und Panpsychisten ist, wird ebenfalls eine explizit personalistische Position zugeschrieben. Richard Hall hat, in einer Gegenüberstellung mit dem indischen Philosophen und Dichter Tagore, James’ Personalismus, wie dieser ihn insbesondere in The Varieties of Religious Experience formuliert, herausgearbeitet.244 Demnach ist James (wie Tagore) insofern Personalist, als er Personen als „ontologisch primär und letztgültig”, und „epistemologisch unverzichtbar” betrachtet.245 In The Principles of Psychology spricht James selbst von der Person als dem „unmittelbaren Datum” der Psychologie.246 Insbesondere, und für den vorliegenden Kontext relevant, wird bei James der Gedanke hinter dem Argument der intrinsischen Naturen für den Panpsychismus mit dem Begriff der Person verknüpft:
„James, though himself an accomplished scientist, an experimental psychologist who helped put psychology on a scientific footing, nevertheless set his face against this positivist reductionism of science [...]. For James, science’s description of reality is superfi- cial and incomplete since it deals only with the symbols of reality, not the reality itself, which is constituted by persons.”247
Die „Symbole der Wirklichkeit” zielen auf die extrinsischen, relational und im (natur-)wis- senschaftlichen Vokabular beschreibbaren Eigenschaften der Welt, während für die „Wirklichkeit selbst”, intrinsisch, Personalität grundlegend ist. Damit ist das Erleben der Welt aus einer Innenperspektive heraus, das das Bewusstsein, wie im ersten Teil der Arbeit charakterisiert, kennzeichnet, wesentlich das Erleben aus einer personalen Perspektive heraus; der Begriff der Person wird in die Nähe des Begriffs des erlebenden Subjekts gerückt.
Systematisch ist ein Zusammenhang von Personalismus, Panpsychismus und der im vorliegenden Kapitel zur Frage stehenden Möglichkeit einer „Würde der Natur” wie folgt entwickelt worden. Wenn Personalität das primäre Datum und ein ontologischer Grundzug der Wirklichkeit ist, ist sie nicht auf menschliches Personsein beschränkt, sondern es ist ein „Spektrum personaler Substanzen”, von höher entwickelten Tieren über Insekten bis hin zum Einzeller, anzunehmen.248 Gegeben den moralischen Status der Person, ist damit die Klasse moralischer „Patienten”, d.h. der Rezipienten moralischen Handelns oder Träger moralischer Ansprüche, erheblich ausgeweitet, und der Grundstein für die Rechtfertigung einer „Würde der Natur” gelegt. John Lavely schreibt hierzu:
„[F]or personalists, persons is an ontologically generic concept not confined to human beings. And such person-like beings or beings characterized by personhood in some sense are subject to moral categories not by virtue of being human but in virtue of being centers of being with structure and function of their own. It follows then that the metaphysical foundation of the moral dichotomy between person and thing [...] is in principle undermined [...]. Personalism supports the dignity of nature because the personal experient or experients who comprise ,nature’ occupy a peer status in the economy of the world as a whole.”249
Lavely hält weiterhin fest, der Personalismus „überschreite” den cartesischen Dualismus von Körper und Geist250 - dieser Anspruch wird, wie oben gesehen, bei Panpsychistinnen und Panpsychisten häufig ganz ähnlich formuliert; und Lavely zieht abschließend das Fazit, dass die „Übereinstimmungen und gemeinsam geteilten Motive von Personalismus und Panpsychismus” so ausgeprägt seien, dass beide Positionen sich wechselseitig „stärken”, und nicht widerlegen, sollten.251
Der nun folgende Abschnitt knüpft an diese Frage nach der Würde und Wertigkeit der Natur an, und nimmt Status und Ort der Werte aus panpsychistischer Sicht in den Blick. Die oben angesprochene Frage nach der Möglichkeit der Entscheidung oder Selbstdetermination panpsychistischer Subjekte hingegen wird im Rahmen des dritten Hauptteils, zu Vernunft und Freiheit, noch einmal Thema sein.
3.2.3 Panpsychistischer Wert-Realismus
Im vorangegangenen wurde zu der Frage nach „Werten in der Natur” ein Dilemma formuliert, das sich in Kürze etwa so darstellen lässt: Entweder man verortet einen Wert - etwa, dass etwas schön oder richtig ist - in der Natur; also in demjenigen, das schön oder richtig ist. Dies scheint aber unserem (nicht nur natur-)wissenschaftlichen Bild von den Dingen in der Welt zu widersprechen: nichts ist, so scheint es, an sich schön oder hässlich; wenn überhaupt hat es „an sich” bestehende physikalische Eigenschaften, die dann von uns mit einer gewissen Konstanz als schön oder hässlich empfunden werden. Oder aber man verortet den oder einen Wert eines Dinges, eines Sachverhaltes oder einer Situation eben in der (menschlichen) Wahrnehmung - im sprichwörtlichen Auge des Betrachters. Dann stellt sich die Frage, was mit diesem (geistigen) „Auge des Betrachters” genau gemeint ist, und in welchem Verhältnis es zur Natur steht - die Verortung der (menschlichen) Wahrnehmung oder Betrachtung außerhalb der Natur führt zu einem, potentiell auch unwissenschaftlichen, Dualismus; eine Verortung innerhalb der Natur führt die „Werte in der Natur” nun doch wieder, sozusagen über die Hintertür, ein.
Konkret scheint es hinsichtlich des Begriffs der Würde weiterhin - im ersten wie im zweiten oben spezifizierten Sinn - so zu sein, dass der Wert einer Person oder einer Handlung nicht immer und vollständig in der äußeren Zuschreibung aufgehen kann; wir verstehen Würde zumindest zum Teil als etwas, das in oder an sich besteht.
Welche Perspektive auf das Problem kann eine panpsychistische Philosophie hier also einnehmen? Es erscheint klar, dass mit der Annahme eines geistigen Aspekts als fundamentalem Bestandteil der Welt, wie sie der Panpsychismus proklamiert, der Weg hin zur Idee von Werten in der Natur nicht mehr weit ist: Timothy L.S. Sprigge etwa hat einen dem Idealismus nahen Panpsychismus vertreten und festgehalten, er sehe nicht, „welcher andere metaphysische Standpunkt [als der Panpsychismus] der Vorstellung eines der Natur inhärentes Wertes hinreichend Sinn geben könnte”.252 Patrick Spät schreibt, eine panpsychistische Konzeption der Wirklichkeit stelle „die künstliche Aufspaltung zwischen einer sinn- und zwecklosen Wirklichkeit einerseits und den allein vom Menschen ,erdachten’ Moralvorstellungen andererseits” in Frage, und könne durch die Verortung von Werten und Zwecken in der Natur ein vollständiges und widerspruchsfreies Bild der Wirklichkeit zeichnen.253 Auch Philip Goff spricht - im Positiven - von einer „Rückverzauberung” der ansonsten bedeutungsund zwecklosen Welt durch den Panpsychismus.254
Man kann also versuchen, eine Antwort auf die Frage nach den „Werten in der Natur” aus panpsychistischer Sicht wie folgt zu geben: Wert- und Zwecksetzungen255 sind fundamentaler Bestandteil unserer alltäglichen Praxis; und ein Eliminativismus in Bezug auf Werte ist zumindest erheblich kontraintuitiv, wenn nicht nur um den Preis des performativen Selbstwiderspruchs vertretbar. Ein Dualismus, der Werte strikt außerhalb der Natur allein in der menschlichen Zuschreibung verortet, führt zu einem künstlichen und unintelligiblen Gegenüber von Mensch und Natur, das den Menschen nicht selbst als Naturwesen verstehen kann. Ein Panpsychismus hingegen, der geistige, und damit potentiell werthaltige, Attribute als fundamentale Komponente der Wirklichkeit insgesamt akzeptiert, kann ein einheitliches Bild der Welt zeichnen: Wir als Menschen, unsere menschliche Betrachtung und Bewertung stehen nicht außerhalb der Natur, sondern sind ein (besonders ausdifferenzierter) Teil von ihr; Werte liegen in der Natur und damit - potentiell - in den Dingen selbst.
Eine solche, realistische Sicht ist zweifellos nicht darauf festgelegt, Werte allein an und in den Dingen - an Sachverhalten und Handlungen - festzumachen; die menschliche Wahrnehmung und Klassifizierung spielt eine, je nach Fall, (alles) entscheidende Rolle. Schon an unserem Begriff der „Be-wertung” wird ja deutlich, dass es bei der Frage nach den Werten (auch) darum geht, welchen Wert wir einem Gegenstand, einem Sachverhalt, einem Lebewesen beimessen; der Wert von etwas wird dadurch bestimmt, dass es bewertet wird. Dass ein Eisbärbaby süß ist und eine Spinne eklig, um ein Beispiel zu geben, hat sicherlich fast nichts mit diesen beiden Tieren zu tun und fast alles mit ihrer Wahrnehmung und Einordnung durch uns - eben mit unseren Begriffen davon, was es überhaupt heißt, dass etwas süß oder eklig ist. In Fällen jedoch, in denen unsere Intuitionen, wie bei der Würde und bei der Moral, auch einen Wert in der Sache selbst - in der Handlung, in der Person - nahelegen, kann in der panpsychistischen Perspektive eine systematische Begründung potentiell intelligibel gemacht werden.
Nun stellt sich aber die Frage: Was heißt es genau, dass ein Wert - etwa die Würde im ersten Verständnis, als Eigenschaft eines Menschen -, der unabhängig von aller Zuschreibung und menschlichen Bewertung besteht oder bestehen soll, durch die panpsychistische Annahme ubiquitärer (Proto-)Mentalität begründet werden kann? Wie verhalten sich die geistigen, potentiell werthaltigen Eigenschaften der Elementarebene zu dem „makroskopischen” Wert, der Bestandteil unseres täglichen Erlebens ist und um dessen Begründung es ja eigentlich geht? Ganz ähnlich wie rudimentäres bewusstes Erleben (oder eine Vorstufe hiervon) nicht ohne weiteres - vielleicht, wenn man das Kombinationsproblem für nicht lösbar hält: überhaupt nicht - das komplexe menschliche oder tierische Bewusstsein erklärt, wie wir es kennen, tut sich auch bei der Idee auf rudimentärer Werthaftigkeit der kleinsten Bausteine der Natur basierender „makroskopischer” Werte - einer Person oder Situation, eines konkreten Sachverhalts oder einer abstrakten Entität wie der Artenvielfalt - eine dem Panpsychismus in diesem Fall eigene „explanatorische Lücke” auf.
Gleiches gilt, mutatis mutandis, für die Zwe>Es müsste, wenn der oder ein Panpsychismus als buchstäbliche Be-gründung menschlicher Wert- und Zwecksetzung als natürliches und, in rudimentärer Form, ubiquitäres Phänomen in Betracht gezogen werden soll, ein plausibles Modell einer geschichteten panpsychis- tischen Wirklichkeit entworfen werden, in dem jede Schicht aus der oder den nächstunteren hervorgeht, und die lange und komplexe Verschränkung dieser vielen Schichten schließlich die Werte und Zwecke der „makroskopischen” Ebene ermöglicht.
Wie ist das Verhältnis dieser verschiedenen Schichten zueinander genau zu verstehen? Verschiedene eine panpsychistische Ontologie voraussetzende Modelle sind hier formuliert worden. Es ist zum einen möglich, eine Koexistenz höherstufiger und niederstufiger Schichten anzunehmen: Die Werte und Zwecke der Makro-Ebene, beispielsweise, existierten dann neben den Werten und Zwecken auf dem „Weg” dahin, etwa auf der Ebene von Makromolekülen oder Zellverbänden, und natürlich neben den Werten und Zwecken der Elementarebene. Einem solchen Ansatz nahestehend sind die oben bereits angesprochen Varianten eines „liberalen Naturalismus” von Gregg Rosenberg und Godehard Brüntrup.
Alternativ könnte man eine eher „fusionistische” Sicht der Beziehung der verschiedenen Schichten der Wirklichkeit annehmen: Die niederstufigeren Schichten hören gewissermaßen auf zu existieren, wenn sie in eine höherstufige Schicht eingehen; sie fusionieren eben zu einer neuen Schicht, ohne dass es sie nach Abschluss dieser Fusion noch als Teile der neuen, höherstufigen Schicht gäbe. Etwa William Seager hat einen solchen Standpunkt vertreten, ähnlich auch Hedda Hassel M0rch.84 Vielleicht ist dann der Begriff der „Schicht” nicht mehr so sehr zutreffend - da das Bild einer „geschichteten” Wirklichkeit nahe legt, dass die einzelnen Schichten auch in der höherstufigen, „fusionierten” Entität noch abgrenzbar sind -, und man sollte eher von Stadien oder Zuständen sprechen; aber auch diese Begriffe erzeugen Bilder, die mit Blick auf einen bestimmten Aspekt mehr oder weniger adäquat sein können.
Beide genannten Standpunkte jedenfalls, der eines (im engeren Sinn) „geschichteten” Panpsychismus und der eines „fusionistischen”, sind nicht-konstitutive Formen des Panpsychismus, bei denen die höherstufigen Individuen - Schichten oder Zustände - eine gewisse kausale Eigenständigkeit behalten; ihre Werte und Zwecke wären damit nicht einfach aus elementaren Werten oder Zwecken im Sinne einer letztlich reduktiven Erklärung herleitbar und über ihnen (stark) supervenierend, sondern - stark, aber nicht „super-stark” - emergent.
Diese letztere Prämisse verneinend, könnte ein konstitutiver Panpsychismus eine vollständige Geschlossenheit der Welt auf der Mikro-Ebene, elementare Werte und Zwecke eingeschlossen, annehmen: Unsere menschlichen, „makroskopischen” Werte und Zwecke sind dann nichts, das im engeren Sinn über die Werte und Zwecke der Elementarebene hinaus ginge - vielmehr, könnte man sagen, ist etwa mein Zweck, den Laptop zum Arbeiten mitzunehmen, nicht nur erklärbar durch, sondern besteht letztlich in niedergeordneten Zwecken. Einer Verwunderung hierüber, oder dem Gefühl, dass hier etwas „fehlt” - nämlich meine, „makroskopische” Zwecksetzung, die nicht einfach der Summe der vielen „Proto-Zwecke” der Elementar-Ebene, was immer hierunter zu verstehen sein soll, entsprechen kann -, liegt, konstitutiv-panpsychistisch gedacht, eine Art Kategorienfehler zugrunde: Wer Werte und Zwecke außerhalb und zusätzlich zum komplexen Geflecht der Werte und Zwecke der untersten Ebene vermutet, sucht schlicht an der falschen Stelle - ein solcher Gedanke wäre systematisch nicht stimmig zu entwickeln.
84Vgl. Seager (2016), insbes. 238ff., sowie M0rch (2014), i69ff.; vgl. auch Goff/Seager/Aiien-Hermanson (2001/2017), 13f.
In jedem Fall handelt es sich bei der Ausformulierung des Verhältnisses von panpsychis- tisch gedachten Werten und Zwecken der Elementarebene und solchen der Makro-Ebene - sei es unter der konstitutiven oder unter der (intra-attributiv-)emergenten Prämisse - um recht spekulative Metaphysik, mit den entsprechenden Schwierigkeiten. Vielleicht könnte man daher, anstatt einen ausformulierten positiven Entwurf dieses Verhältnisses zu geben, zunächst versuchen, eine primär negative Position stark zu machen: Ohne eine in irgendeiner Form auf niederster Stufe grundgelegte Möglichkeit zu Wert- und Zwecksetzungen ist eine Wirklichkeit mit (makroskopischen) Werten und Zwecken nicht darstellbar - denn die Vorstellung, dass diese ab einer bestimmten Stufe der Entwicklung oder der Komplexität einfach unvermittelt „dazustoßen”, kann nur schwer intelligibel gemacht werden. Dass aber Werte und Zwecke zu unserer Welt gehören, ist unbestreitbare Voraussetzung unserer alltäglichen Praxis.256 Zusammengefasst: Den Intuitionen, die dieser alltäglichen Praxis zugrunde liegen, zusammen mit der Idee einer bruchlosen Wirklichkeit ohne unintelligible „Sprünge”, kann ein panpsychistischer Wert-Realismus - welche Ausprägung er dann im einzelnen auch immer annimmt -, der Werte und Zwecke in den kleinsten Bausteinen der Natur selbst verankert, am besten gerecht werden.
Welche kritischen Punkte lassen sich hinsichtlich eines panpsychistisch motivierten Verständnisses von Würde, Wert und Person formulieren? Nicht zuletzt stehen ja hinter den pan- psychistischen Ansätzen die Hoffnung und auch der so vorgetragene Anspruch, dem Wert und der Würde der Natur und auch der menschlichen Person im Rahmen einer panpsy- chistischen Metaphysik besser gerecht werden zu können als im Rahmen konkurrierenden metaphysischer Entwürfe - diesen Anspruch teilen von den hier zitierten Autorinnen und Autoren explizit zumindest Goff, Mathews, Skrbina, Spät und Sprigge. Kann der Panpsychismus der Erwartung wünschenswerter ethischer Konsequenzen für unseren Umgang mit der Natur und der Rechtfertigung einer „Würde des Lebendigen” also gerecht werden?
Positiv wird man panpsychistischen Modellen zunächst anrechnen, dass sie in der Tat eine systematisch-theoretische Grundlage bereitstellen, die einen Wert in der Natur selbst verorten kann und die möglicherweise auch ein kosmisches Subjekt, das uns mit einem begründeten Anspruch auf eine Form von Achtung, als Träger gewisser Rechte gegenüber tritt und das dann mit der Natur oder der Welt identifiziert werden kann, rechtfertigt - wie oben beschrieben.
Allerdings muss die Frage gestellt werden, wie konkret der Einfluss dieses metaphysischen „Unterbaus” auf die tatsächliche menschliche Praxis im einzelnen dann ist.257 Generell wird man sagen, dass die Idee, etwa in animistischen Naturvölkern liege dem dort praktizierten pfleglicheren Umgang mit der Natur primär ein selbst gewählter, sich aus dem entsprechenden metaphysischen - der belebten, vielleicht sogar der unbelebten Umwelt Geist und Wert zuschreibenden - Naturverständnis ergebender Verhaltenskodex zugrunde, und nicht die mangelnde technische Möglichkeit zur Umweltzerstörung, wohl im wesentlichen einem romantisierenden Zerrbild entspringt. Hier wird die Rolle einer systematischen Weltdeutung gegenüber dem „Primat der Praxis” (oder dem Primat des Möglichen) mutmaßlich überschätzt.
Sobald die technischen Möglichkeiten verfügbar sind, kann man sagen, ist die Gefahr groß, dass im Zweifelsfall eher ein bestimmtes metaphysisches Naturverständnis aufgegeben oder zumindest entsprechend modifiziert wird, als dass längerfristig auf die mit der Realisierung dieser Möglichkeiten verbundene Bedürfnisbefriedigung verzichtet wird - ein zu wesentliches Charakteristikum des Menschen scheint das Streben nach Weiterentwicklung, nach Fortschritt, und nach Wachstum im weiteren Sinn zu sein.
Dennoch wird von panpsychistischer Seite, etwa bei Freya Mathews, mehrfach positiv und verweisend auf eine mögliche Vorbildfunktion für moderne Gesellschaften auf das Welt- und Naturverhältnis indigener Völker Bezug genommen.258 Der Ökophilosoph Bill Devall, der in seinem Artikel über die „deep ecology”-Bewegung bei den intellektuellen „Quellen der Tiefenökologie” explizit auch auf Whitehead Bezug nimmt, schreibt, eine „neue philosophische Anthropologie” werde „Erkenntnisse über Jäger- und Sammlergesellschaften auswerten, um daraus Prinzipien für eine gesunde und ökologisch überlebensfähige Gesellschaft zu gewinnen”.259 Mir scheint eher plausibel, dass die heutige (westliche) Gesellschaft, die von „ökophilosophischer” Seite mitunter zurecht kritisiert wird, einfach eine im wesentlichen mehr oder weniger folgerichtige Weiterentwicklung früherer, technisch primitiverer Gesellschaften ist, und dass ihr fragwürdiger Umgang mit natürlichen Ressourcen (oder auch mit Mitmenschen) weniger im modernen materialistischen Paradigma begründet ist - gegenüber den „animistischen” Modellen mancher indigener Gemeinschaften -, sondern eher in der Verfügbarkeit oder schlichten technischen Möglichkeit zur Ausübung eines bereits zuvor angelegten Verhaltens.
Man muss weiterhin auch nüchtern festhalten, dass, in der westlichen Welt, die Bedeutung der Idee z.B. der Menschenwürde in den letzten Jahrhunderten mit einem dominierenden materialistisch-mechanistisch geprägten Weltbild eher gewachsen ist als dass sie abgenommen hätte. In Rechtsdokumenten etwa kommt vor dem 20. Jahrhundert der Begriff der Würde des Menschen oder der Würde der Person überhaupt nicht vor.260
Ohne jeden Zweifel wurde etwa das deutsche Grundgesetz vor dem Hintergrund des jüdisch-christlichen Erbes formuliert - und auch der Gottesbezug wurde explizit aufgenommen -, aber, so scheint es, es waren doch nicht so sehr abstrakte metaphysische Weltbilder - seien sie aus einer dualistischen oder aus einer panpsychistischen Haltung heraus dem Materialismus gegenüber kritisch eingestellt -, sondern der ganz konkrete Schrecken der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, der wesentliche Passagen des Grundgesetzes, und unter ihnen insbesondere diejenigen zur Menschenwürde, motiviert hat.
Zusammenfassend, die Formulierung einer Metaphysik, die die Ideen etwa einer Würde oder eines Wertes der uns umgebenden Mit- und Umwelt systematisch einzuholen versucht, ist eine wichtige und notwendige Aufgabe; und sicherlich hat ein bestimmtes Weltbild oder Naturverständnis einen Einfluss auf unser Handeln. Man sollte diesen Einfluss nicht unterschätzen. Man sollte ihn aber auch nicht überschätzen: Ein detailliert ausformuliertes, systematisch in sich stimmiges Weltbild, das die Erkenntnisse und Gegenstände der Naturwissenschaft genauso integriert wie die Begriffe der Würde, der Freiheit oder des personalen Subjekts ist ganz offenbar keine notwendige Voraussetzung dafür, unserer (Um-)Welt handelnd gegenüber- und entgegentreten zu können. Der Zusammenhang von theoretischem Natur- oder Weltverständnis und praktischem Handeln ist außerdem kein einseitiger: Nicht nur das Weltverständnis bestimmt unser Handeln, sondern das tatsächlich praktizierte Handeln nimmt seinerseits einen Einfluss auf das dann vertretene oder favorisierte theoretische Verständnis der Welt.
3.2.4 Fazit
Was lässt sich hinsichtlich des Beitrags einer genuin panpsychistischen Philosophie des Geistes für die Begriffe von Person und Würde zusammenfassend festhalten?
Würde und Bewusstsein, so kann man die panpsychistische Position entwickeln, hängen eng zusammen: Geistige Eigenschaften bedingen ein Moment der Würde, einen (begründeten) Anspruch auf Achtung. Einem Wesen oder einer Entität kommt Würde zu, weil es oder sie (auch) Geist hat. Das Festmachen der Würde am Bewusstsein, das Verstehen der Momente der Würde oder Würdigkeit von Momenten des bewussten Erlebens her, sagt die panpsychistische Argumentation, ist systematisch deshalb so ansprechend, weil grundlegende unserer Intuitionen zur Würde, aber auch zu einer „bruchfreien” Verfassung der Wirklichkeit bedient werden können.
Würde ist, eine Bindung an bewusstes Erleben und einen Panpsychismus vorausgesetzt, nicht auf im vollen Verständnis vernünftige Wesen beschränkt, sondern - in gleichem Maße, wie geistige Eigenschaften in gestufter Form in der gesamten Wirklichkeit zu finden sind - in kontinuierlicher Abstufung bei allen Lebewesen, und vielleicht sogar bei der unbelebten Natur, vorhanden. Ein „Bruch” zwischen verschiedenen Stufen der Natur durch das unvermittelte Auftreten einer gänzlich neuen Qualität kann so vermieden werden. Ebenso wie das Bewusstsein ist Würde nichts, das auf oder ab einer bestimmten Stufe der Entwicklung oder Komplexität auf einmal hinzutritt, sondern sie ist zusammen mit, oder eher: in, den Eigenschaften des bewussten Erlebens bis hinunter zu den kleinsten Bausteinen der Natur grundgelegt.
Für Werte, Ziele und Zwecke lässt sich ein ganz ähnlicher Gedankengang formulieren: Die Annahme etwa einer gänzlich zweckfreien untersten Ebene der Wirklichkeit würde es erfordern, Zwecke ab einer bestimmten Stufe plötzlich hinzutreten zu lassen, sodass die Wirklichkeit in eine grundlegend zweckfreie Natur einerseits und zweckhaftes menschliches Handeln andererseits (das dann selbst außerhalb der Natur verortet wird) aufgespalten werden müsste. Alternativ zu diesem gespaltenen oder „brüchigen” Bild der Welt - schließt man die hier geprüfte panpsychistische Position aus - könnte, ganz analog zur Bewusstseinsfrage, nur ein Eliminativismus vertreten werden, demzufolge es Werte und Zwecke weder auf unterster Ebene noch auf irgendeiner anderen Ebene gibt - aber diese Position kann nicht überzeugen.
Kurz gesagt, ein realistischer, panpsychistischer Ansatz, der Wert- und Zweckhaftigkeit als Grundmerkmal der Wirklichkeit versteht und damit, anders als in Wittgensteins Diktum, Sinn und Wert nicht außerhalb, sondern in der natürlichen Welt liegend auffasst, kann der Idee einer Vereinbarkeit der unhintergehbaren Voraussetzungen unserer alltäglichen Praxis mit einem einheitlichen Bild der Wirklichkeit näher kommen als konkurrierende philosophische Positionen.
Hinsichtlich der Frage nach Personalität und personaler Identität können vom Panpsychismus Impulse in Richtung eines prozessphilosophischen Verständnisses der Person ausgehen: Whitehead, Griffin und Rosenberg folgend, wird eine Person dann weniger als Substanz verstanden, sondern als Aktivität oder Ereignis, die oder das sich selbst wiederum aus einer Serie sich kontinuierlich entwickelnder Aktivitäten oder Ereignisse zusammensetzt. Für die Debatte um die personale Identität bedeutet eine prozessphilosophische Ausrichtung eine gewisse Nähe zum Perdurantismus; dennoch kann der Panpsychismus durch seine dezidiert realistische Auffassung mentaler Prädikate und Entitäten eine Art Mittelposition zwischen Per- und Endurantismus einnehmen, und als „Real Fourdimensionalism” oder als „3,5-Dimensionalismus” formuliert werden. Wichtige Parallelen weiterhin ergeben sich zwischen panpsychistischen und personalistischen - Personalität als grundlegend betrachtenden - Positionen; und wesentliche historische Vertreter des Panpsychismus, etwa James und Hartshorne, werden zugleich dem Personalismus zugerechnet.
Kritisch an der panpsychistischen Position kann unter anderem angemerkt werden, dass, bei aller potentiellen Relevanz der Idee einer „Würde des Lebendigen” oder der „Natur”, der Blick für die Tatsachen nicht verloren gehen darf: Weder sollten der ethische Gehalt und die tatsächlichen praktischen Konsequenzen animistischer Weltdeutungen naiv überhöht werden, noch darf übersehen werden, dass auch im Rahmen des neuzeitlichen, überwiegend strikt materialistischen Paradigmas etwa der Begriff der Menschenwürde substantiell an Bedeutung gewonnen hat. Darüber hinaus weist ein „Kosmopsychismus”, der einen Wert der Welt oder der Natur im ganzen zu begründen sucht, gegenüber „herkömmlichen” (Mikro-)Panpsychismen sicherlich noch ein Stück mehr an Kontraintuitivität auf.
4 Hauptteil (C): Vernunft und Freiheit
4.1 Überblick
Freiheit ist nichts als die Möglichkeit, unter allen Bedingungen das Vernünftige zu tun.
— Johann Wolfgang von Goethe, Unterhaltungen mit dem Kanzler Friedrich von Müller
4.1.1 Freiheit als vernunftgeleitete Orientierung an Gründen
Die Selbstzuschreibung freier, durch vernünftige Gründe motivierter Handlungen und Entscheidungen ist eine der wesentlichen Grundlagen unseres menschlichen Miteinanders. Dies gilt nicht nur in dem Sinne, dass ohne sie unsere tatsächlich praktizierte, eben auf der wechselseitigen Zuschreibung von prinzipieller Verantwortlichkeit für das eigene Handeln basierende gesellschaftliche Verfasstheit - etwa in unserem Rechtssystem - nicht denkbar wäre. Es gilt in einem stärkeren Sinn: Selbst wenn wir es anders wollten, wir könnten auf die gegenseitige Zuschreibung von Vernunft und Freiheit gar nicht systematisch verzichten. Schon die Fragestellung, ob und in welchem Umfang oder in welchen Fällen sie gerechtfertigt ist oder nicht, setzt bei der Gesprächspartnerin (und beim Fragenden selbst) ein vernünftiges Abwägen von Gründen und Alternativen, und die Möglichkeit zu einer freien Entscheidung für oder gegen eine oder mehrere dieser Alternativen voraus. Wir können gar nicht anders, muss man sagen, als uns aus der Perspektive des handelnden Subjekts heraus als frei und verantwortlich zu verstehen - nicht immer und überall, aber doch zumindest manchmal und prinzipiell -; und ein (Selbst-)Verständnis aus einer anderen Perspektive heraus ist nicht möglich.
Wie ist der Begriff der Freiheit zu verstehen und wie kann man sein Verhältnis zum Begriff der Vernunft, wie es etwa der Satz Goethes darstellt261, genauer bestimmen?
In einem wenig kontroversen Sinn kann Freiheit zunächst einmal als negative Freiheit verstanden werden; als Freiheit von etwas - von einem Zwang, einer Verpflichtung oder einer Beschränkung. Viele der Freiheiten, die uns gesellschaftlich und politisch wichtig sind, fallen in diese Kategorie der negativen Freiheit: Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit, die Freiheit der politischen Entscheidung oder des Lebensstils meinen zunächst einmal die Abwesenheit einer Vorgabe, was wir zu sagen und zu glauben, wie wir unser Leben zu führen haben; eben, dass wir frei entscheiden können, wie wir die Dinge gestalten möchten. Man könnte sagen: Wir werden nicht daran gehindert - sei es durch offensichtliche Repression wie den buchstäblichen Freiheitsentzug, oder eher durch subtilere Sanktionen des sozialen Lebens -, uns nach unseren eigenen Vorstellungen, nach einem selbst gewählten Lebensmodell zu entfalten. In Bezug auf die philosophische Debatte um den Freiheitsbegriff kann man diese Freiheiten vielleicht als „oberflächliche” Freiheiten einordnen262 ; dies betrifft aber nur ihr Potential eben an philosophischer Kontroverse, nicht die politische und gesellschaftliche Bedeutung, die diese Freiheiten für unser Leben haben.
Diesem „negativen” Aspekt der Freiheit - für den manchmal auch der Begriff der Handlungsfreiheit verwendet wird: dass wir frei sind, so zu handeln wie es unserem Willen entspricht - steht ein anderer Freiheitsbegriff gegenüber, der eher im Mittelpunkt der philosophischen Debatte steht: der der Willensfreiheit. Er meint in gewisser Weise eine „positive” Art Freiheit, eine Freiheit zu etwas. Hierfür, kann man sagen, reicht die Abwesenheit einer äußeren Beschränkung allein nicht aus, sondern es ist erforderlich, dass ich, gewissermaßen „von innen”, meinen Willen auf die richtige Art bilden oder entwickeln kann. Was sind die wichtigsten Merkmale dieses freien Willens?
Auch für die Willensfreiheit ist es zunächst einmal wichtig, dass der Wille nicht unter Zwang steht: in diesem Fall zumeist unter einem inneren Zwang. Dies kann bei dem buchstäblich zwanghaften Willen der Fall sein, bei dem mir mein Wollen und Handeln zwar nicht von außen aufgezwungen wird, ich es aber dennoch als nicht mir zugehörig und vor allem als nicht durch mich beeinflussbar erlebe: Der zwanghafte Wille entspringt keinem kontrollierten Überlegen, sondern einer dem vernünftigen Abwägen schwer zugänglichen und sich abrupt Geltung verschaffenden, krankhaften Disposition. Ähnliches gilt etwa für das Verlangen eines Süchtigen nach dem Suchtmittel: Zwar mag hier der Wille nicht in gleichem Maße fremd und sich abrupt einstellend erlebt werden wie im Fall des zwanghaften Willens; aber auch hier ist die Freiheit der Willensbildung durch eine innere Ursache - die Suchterkrankung - eingeschränkt. Es kann weiterhin auch Formen der Beeinflussung des Willens „von außen” geben, auch wenn diese, sieht man von Extremfällen wie Hypnose ab, vermittels einer inneren Disposition für die äußere Einflussnahme stattfinden. Hierzu zählt etwa politisches oder weltanschauliches „Mitläufertum” in seinen vielen Facetten - von der starken Einflussnahme auf die freie Willensbildung in sektenähnlichen Gemeinschaften bis hin zur wechselseitigen Einflussnahme auf den Willen des anderen in jeder normalen Paarbeziehung, in der die Grenzen zwischen einer vollständig freien, die Position und Ansicht des oder der anderen berücksichtigenden Willensbildung auf der einen Seite, und einer subtilen Form der manipulativen Einflussnahme, die die Freiheit gefährden kann, auf der anderen Seite, verschwimmen.263
Dies ist zunächst eine Beschreibung ex negativo, die die Willensfreiheit über Beispiele ihrer Beeinträchtigung auf den Begriff zu bringen versucht; es soll hier darüber hinaus aber der Versuch einer positiven Definition, das Herausarbeiten positiver Merkmale der Willensfreiheit unternommen werden: Was gehört also zu ihr dazu, und wie lässt sich die Herausbildung einer freien Willensentscheidung am besten beschreiben?
In einen Satz gefasst könnte man sagen, dass eine Entscheidung dann aus freiem Willen getroffen wird, wenn sie aus einem Prozess des vernünftigen Abwägens von Gründen hervorgeht; aus einem Prozess des Abwägens, der, wenn man es plastisch ausdrücken möchte, das Wollen bestimmt und ihm eine Richtung gibt. Dieser Prozess ist kein subjektloses Geschehen, in dem eine bestimmte Ausgangslage an für und wider streitenden Gründen einfach in eine Entscheidung mündet: Ich als handelndes oder entscheidendes Subjekt bin ganz wesentlich an dieser Entscheidung beteiligt, ich bin ihr Urheber, und ich treffe sie, könnte man sagen, angesichts dieser verschiedenen für und wider streitenden Argumente oder vernünftigen Gründe.
Ein prototypisches positives Beispiel einer freien Willensbildung könnte so aussehen: Eine junge Frau steht nach dem Abschluss ihres Medizinstudiums vor der Frage, wie sie ihren weiteren beruflichen Weg gestalten möchte. Im Rahmen der Entscheidungsfindung wird sie ihr Interesse und ihre Präferenzen bezüglich der Weiterbildung in Ruhe prüfen; etwa, ob ein konservatives oder ein operatives Fach eher ihrer Neigung entspricht. Neben dem „reinen” Interesse werden auch praktische Erwägungen eine Rolle spielen: die eher kurzfristig zu erwartenden Arbeitsbedingungen und Fragen der Vereinbarkeit mit dem Privatleben, sowie eher längerfristige Überlegungen hinsichtlich Niederlassung oder Teilzeitarbeit. Schließlich stellt sich die Frage nach dem richtigen Ort für die Weiterbildung, bei der ebenfalls fachliche und private Aspekte Berücksichtigung finden. Oder ist die klinisch-ärztliche Tätigkeit überhaupt nicht das richtige, und eine Arbeit in der Industrie oder im Journalismus würde eher zu ihr passen?
Es ist wichtig, sich bei der Frage nach der Freiheit solche „echten” Beispiele vor Augen zu führen, um sich nicht in artefiziellen (Labor- und Gedanken-)Experimenten zur „Willensfreiheit” zu verlieren. Zwar schaffen solche Experimente durch einen einfachen und standardisierten Aufbau eine gewisse apparative Untersuchbarkeit und auch Vergleichbarkeit, aber das kann leicht darüber hinweg täuschen, dass das eigentlich zu untersuchende Phänomen - die Ausübung des freien Willens als Abwägen zwischen verschiedenen Alternativen auf Basis vernünftiger Gründe über einen ausreichend langen Zeitraum, eingebettet in weiterreichende Ziele und ihrerseits Handlungsalternativen - hier gar nicht richtig abgebildet wird und es, wenn überhaupt, nur in einem, eben unter sehr artefiziellen Bedingungen erfassten, Teilaspekt zur Darstellung kommt.
Welche Merkmale der freien Willensbildung kann man also anhand dieses Beispiels herausarbeiten? Ein erstes Merkmal besteht in dem Zusammenhang von Entscheidung und Überlegung: All die gedanklichen Erwägungen und Überlegungen, die die junge Ärztin anstellt, müssen einen Einfluss auf ihre Entscheidung nehmen - besser gesagt: sie müssen in ihre Entscheidung münden (denn es ist schwer anzugeben, was sonst einen Einfluss auf ihre freie Entscheidung nehmen könnte außer ihren Überlegungen264 ). Die Freiheit des Willens liegt also in (der richtigen Art) seiner Bedingtheit: Eine freie Entscheidung ist durch mich und mein Überlegen bedingt und bestimmt.
Wie lässt sich der genaue Modus dieses Bestimmens oder Sich-Bestimmen-Lassens durch Überlegungen und Gründe begrifflich und phänomenologisch ausbuchstabieren? Hierbei ist es wichtig, wie sich die Begriffe des Grundes und der Ursache zueinander verhalten. Die Begriffsbestimmung der Freiheit mithilfe der Idee der Bedingtheit lässt eine Nähe der beiden vermuten: mein Überlegen und die (guten) Gründe, die es leiten, bestimmen oder legen fest, welchen Gang die Entscheidung nimmt. Wenn man Gründe und Ursachen vollends in einem Atemzug nennen möchte, könnte man dann sagen: Das, was mir beim Überlegen, sozusagen von „innen”, als Gründe imponiert, ist nichts anderes als das, was wir, von „außen” betrachtet, als Ursachen beschreiben.
Gegen diese faktische Identifizierung von Gründen und Ursachen lassen sich phänomenologische und begriffliche Beobachtungen ins Feld führen. Gründe, kann man dem Versuch der Gleichsetzung entgegenhalten, legen anders als Ursachen nicht einfach fest, was passieren wird, sondern vielmehr entscheide ich mich im Vollzug meiner freien Willensbildung für die einen oder die anderen Gründe, besser gesagt: ich entscheide mich für die eine oder die andere Handlungsoption angesichts der (besten) Gründe. Zwar üben Gründe eine bedingende, d.i. in irgendeiner Form eine kausale Rolle aus; aber es scheint sich hier um einen anderen und komplexeren Zusammenhang zu handeln als um eine einfache UrsacheWirkungs-Beziehung. Insbesondere schließt dieser Zusammenhang das handelnde Subjekt explizit mit ein, das im Modell von Gründen-als-Ursachen keinen direkten Ort zu haben scheint. Ein weiterer naheliegender Gedanke, der gegen eine vorschnelle Gleichsetzung von Gründen und Ursachen spricht, wurde implizit schon angesprochen: Es gibt gute und weniger gute Gründe für eine Sache oder eine Haltung; aber es gibt keine guten oder schlechten Ursachen. Wie im obigen Beispiel deutlich wurde, werden (Willens-)Entscheidungen in die eine oder andere Richtung durch das relative Gewicht widerstreitender Gründe motiviert; ihr Charakteristikum ist gerade ein Abwägen zwischen verschiedenen, potentiell gleichgewichtigen Motiven.265 Diese Kennzeichnung scheint schlecht zum kausal determinierenden Charakter von Ursachen zu passen.
Ein weiteres Merkmal des freien Willens knüpft hieran an (und ist oben implizit schon angesprochen worden, beim Beispiel des zwanghaften Willens, der nicht als der eigene erlebt wird): das der Urheberschaft. Es geht bei der Willensfreiheit nicht nur um die richtige Art der Bedingtheit meines Wollens durch meine (vernünftigen) Überlegungen, sondern auch darum, dass ich der Urheber meiner Willensentscheidung bin. Zu diesem Gedanken gehört es, dass ich den Willen als zu mir zugehörig empfinde und mich mit ihm identifizieren kann (und mich gegebenenfalls aber auch von Inhalten meines Wollens distanzieren kann).
Es ist nicht ganz einfach, das Merkmal der Urheberschaft eindeutig, ohne Unschärfen oder potentielle Widersprüche in den verschiedenen Aspekten seiner Bedeutung, auf den Begriff zu bringen. In einer schwächeren Lesart fügt es wenig zum Begriff des bedingten Willens hinzu: Dass ich Urheberin oder Urheber meines Willens bin, heißt nicht viel mehr, als dass dieser eben auf eine Art und Weise durch mich und mein Überlegen bedingt ist, die es mir erlaubt, mich mit ihm zu identifizieren und ihn voll und ganz als meinen Willen zu empfinden.
Es gibt eine stärkere Lesart, die eher Anlass zur Kontroverse gibt. Ihr zufolge schließt das Merkmal der Urheberschaft eine Art „ultimative” Urheberschaft ein: ich als handelndes Subjekt bin in gewisser Weise letzter Urheber meiner Willensentscheidung; eine Art „unbewegter Beweger”, der durch Willensentscheidungen eine eigene Kausalkette initiieren kann, ohne - wie in der schwächeren Lesart der Urheberschaft - nur Teil einer bereits in der Vergangenheit initiierten Kausalkette zu sein. Intuitiv gesagt: Wir können einfach so wollen, entscheiden und handeln, aus eigenem Antrieb heraus, ohne dass vergangene Geschehnisse hier eine bedingende Rolle spielen müssen.
Diese zweite Lesart hat phänomenologisch ganz unzweifelhaft eine Verankerung in der Art und Weise, wie wir Entscheidungssituationen und -prozesse von innen heraus erleben: Wir haben in der Tat das Gefühl, dass wir ganz „von selbst” Entscheidungen initiieren können; dass es eine Art Lücke gibt zwischen den vergangenen Ereignissen - selbst dem eigenen Überlegen - und der Willensentscheidung; eine Lücke, die das handelnde Subjekt durch einen spontanen, nicht durch die Vergangenheit vorbestimmten Akt der Festlegung auf einen der verschiedenen möglichen Willen schließt.
Dieser Aspekt der Phänomenologie des Entscheidens ist also nicht abzustreiten; und dennoch ist auch ein anderer Sachverhalt schwer abzustreiten: dass wir zugleich wissen, dass eine Handlung oder schon eine Willensentscheidung ohne Bezug und Verbindung zu Vorangegangenem nicht möglich ist. (Der Versuch, etwas ganz ohne Grund zu tun, scheitert schon daran, dass es eben ein Grund ist, etwas zu tun, um etwas ohne Grund zu tun.) Und selbst wenn es möglich wäre: Es wäre gerade kein Ausweis einer freien Entscheidung, wenn sie ganz unvermittelt, ohne Bezug zu vorangegangenen Ereignissen und Bedingung durch vorangegangenes Überlegen einträte und wie anfallsartig über uns käme. In Anbetracht eines solchen unvermittelten Willens würde man vermutlich erschrecken, und wir könnten uns gerade nicht als sein Urheber oder seine Urheberin erkennen.
Ein weiteres Merkmal des freien Willens geht aus dem oben geschilderten Beispiel hervor, und es ist in gewisser Hinsicht das wichtigste Merkmal und vielleicht auch dasjenige, das den meisten Anlass zur philosophischen Diskussion gegeben hat. Die junge Medizinerin ist frei in dem Sinn, dass sie sich zwischen verschiedenen Möglichkeiten der Gestaltung ihres weiteren beruflichen Wegs entscheiden kann; es liegt an ihr, eine Wahl zu treffen und den weiteren Fortgang der Dinge, soweit sie sie betreffen, zu bestimmen - einen Fortgang, der prinzipiell offen ist für verschiedene, gleichermaßen mögliche Alternativen. Gegeben ihren bisherigen persönlichen und beruflichen Werdegang, kann sich ihr weiterer Weg, gemäß ihrer freien Entscheidung, ebenso in die eine oder in die andere Richtung entwickeln. Sie sieht sich einer offenen Zukunft gegenüber.
Dass es an uns liegt, wie sich die Dinge entwickeln, zumindest soweit es uns selbst und unser Handeln betrifft, und dass es offen ist, wie sie sich entwickeln, bis wir uns für eine der verschiedenen Alternativen entschieden haben, ist unserer Freiheitserfahrung ganz wesentlich - vielleicht ist es sogar ihr eigentlicher Kern. Aber was bedeutet es genau, dass die Zukunft offen ist und wir uns jeweils anders (hätten) entscheiden können? Es ist wiederum nicht ganz einfach, den Gehalt der Idee in seinen verschiedenen Facetten stimmig auf den Begriff zu bringen.
In einer ersten Lesart bedeutet die Idee der alternativen Handlungsmöglichkeiten (oder Entscheidungsmöglichkeiten) in etwa folgendes: Verschiedene Alternativen zu handeln oder zu entscheiden stehen mir offen; aber jede Variation des Handelns oder des Entscheidens geht mit einer Variation des vorangegangenen Überlegens einher. Einfacher gesagt, es gibt keinen unbedingten, sondern nur einen bedingten Sinn der alternativen Handlungsmöglichkeiten: Sie hätte anders handeln können, wenn sie anders gewollt hätte; sie hätte anders wollen können, wenn sie sich anders entschieden hätte; sie hätte sich anders entscheiden können, wenn sie anders überlegt hätte. Streng genommen, folgt hier aus einer bestimmten Vergangenheit also genau eine mögliche Zukunft; gegeben eine bestimmte Vorgeschichte des Erfahrens und Überlegens, werde ich mich schlussendlich auf eine bestimmte Handlungsdisposition festlegen.
Der zweiten Lesart des Prinzips der alternativen Handlungsmöglichkeiten gemäß ist genau diese Konsequenz abzulehnen: Es macht doch gerade unsere Freiheitserfahrung aus, kann man in ihrem Sinne sagen, dass es der Handelnden im Moment ihres Handelns frei steht, so oder anders zu handeln; gegeben eine bestimmte Vergangenheit, wie sie nun einmal gewesen ist, kann ich mich als Handelnder dennoch zwischen verschiedenen Alternativen des Handelns oder zu handeln entscheiden, und gerade hierin liegt meine Freiheit. Die Vergangenheit steht fest, aber die Zukunft ist offen: diese Annahme ist eine nur schwer hintergehbare Grundvoraussetzung unseres Denkens darüber, was Begriffe wie „Vergangenheit”, „Zukunft” und „Handeln” überhaupt bedeuten.
So sicher diese Intuition also ist, dass sich bei einer gegebenen, festen Vergangenheit die Zukunft dennoch in verschiedene Richtungen entwickeln kann - und dass wir als Handelnde diese Richtung mitbestimmen können -, ist sie doch bei genauem Hinsehen nicht ganz einfach verständlich zu machen: Denn sie bedeutet ja, dass bei genau gleicher Vergangenheit - meine eigenen Motive, mein eigenes Überlegen eingeschlossen - verschiedene zukünftige Verläufe möglich sind. Und was sollte es hier heißen, wenn etwa die junge Medizinerin aus dem obigen Beispiel bei genau dem gleichen Überlegen zu einem anderen Entschluss bezüglich ihrer beruflichen Zukunft käme, oder bei genau dem gleichen Entschluss anders handeln würde? Selbst wenn es möglich wäre: es wäre gerade keine typische Freiheitserfahrung, sondern eher eine Erfahrung der Unfreiheit.
Es besteht damit ein in dieser Hinsicht doppelter Aspekt unseres Freiheitserlebens: So unabstreitbar auf der einen Seite die Intuition einer offenen Zukunft und echter, d.h. im nicht-konditionalen Sinn zu verstehender alternativer Handlungsmöglichkeiten ist, so ist es auf der anderen Seite gleichermaßen Bestandteil der Phänomenologie des (freien) Entscheidens, dass mich mein Überlegen letztlich auf einen Entschluss festlegt, und dass dieser nicht unabhängig von meinen Überlegungen und Motiven - also: von der Vergangenheit - variieren kann.
Es soll hier noch keine Entscheidung bezüglich der verschiedenen Lesarten oder der verschiedenen Versuche des Ausbuchstabierens des Freiheitsbegriffs getroffen werden - sei es hinsichtlich der Urheberschaft oder hinsichtlich der alternativen Handlungsmöglichkeiten; sicher ist, dass jede systematische Konzeption den genannten Merkmalen unseres Freiheitserlebens in einer oder der anderen Form Rechnung tragen muss.
Willensfreiheit soll daher, im Sinne einer den verschiedenen philosophischen Freiheitskonzepten gegenüber prinzipiell offenen Begriffsbestimmung, wie folgt verstanden werden: als die Fähigkeit, im Denken und Handeln vernünftig verantwortete, d.h. durch vernünftige Gründe motivierte und in einem normativen Zusammenhang vernünftig zu rechtfertigende Entscheidungen treffen zu können - man kann von Willensfreiheit als „Modus der Selbstbindung des Willens” durch „einleuchtende Gründe” sprechen266 -; dies beinhaltet auch die Fähigkeit zur Distanzierung von Inhalten des eigenen Wollens, sowie die Abwesenheit von (innerem und äußerem) Zwang.267 Hierin sind die verschiedenen Aspekte eingeschlossen: die Bedingtheit der Willensentscheidung durch vernunftgeleitetes Überlegen, die Urheberschaft, d.h. die Fähigkeit des Subjekts, Handlungen und Entscheidungen initiieren zu können, und die Annahme, dass dem oder der Entscheidenden in diesem Prozess verschiedene Alternativen zur Gestaltung der Zukunft gleichermaßen offen stehen.
Man kann die Beziehung zwischen der Fähigkeit zur freien Willensbildung und der Fähigkeit zum vernünftigen Entscheiden noch etwas genauer beschreiben. Wenn freies Entscheiden, wie oben gesagt, eine vernünftige oder vernunftgeleitete Orientierung an Gründen und Argumenten voraussetzt, bedeutet das zunächst: ohne Vernunft keine Freiheit; besser gesagt: ohne prinzipielle Möglichkeit zum vernünftigen Entscheiden keine freie Willensbildung.
Der Schluss auf den Einzelfall trifft nämlich nicht ohne weiteres zu: Nicht jede freie Entscheidung ist vernünftig; natürlich sind unvernünftige, aber vollständig freie Entscheidungen oder Formen der Willensbildung möglich (und alltäglich). Wie passt das mit der beschriebenen, grundsätzlich positiven Verbindung von Freiheit und Vernunft zusammen?
Man kann, ganz ähnlich wie bei der Frage nach der Würde oder der Person, eine Antwort unter Rückgriff auf den Begriff der Potentialität versuchen: Voraussetzung für freies Handeln und Entscheiden ist, dass ich potentiell oder prinzipiell in der Lage bin, Gründe und Argumente in einem Prozess des vernünftigen Überlegens gegeneinander abzuwägen - nicht, dass ich dies bei jeder einzelnen Entscheidung notwendig im ausreichenden Maß tue. (Richtig betrachtet, setzt eine „unvernünftige” Handlung oder Entscheidung prinzipielle Vernünftigkeit voraus.)
Aber ganz grundsätzlich wächst in dem Maße die Freiheit, in dem jedem einzelnen Individuum die Möglichkeit zur Vernunft gegeben ist; typischerweise etwa beim Heranwachsen eines gesunden Menschen. Umgekehrt würden wir einem nicht-vernünftigen Wesen - einem kleinen Kind oder einem Tier - Freiheit wenn dann nur in einer sehr schwachen Form, oder Vor-Form, vielleicht als eine Art „Spontaneität”, zuschreiben.
Der Rekurs auf die Potentialität unterscheidet sich im Fall unseres Verständnisses von Vernunft und Freiheit etwas von der weiter oben betrachteten Thematik der Person oder der Würde: Während etwa für die Personalität, wie wir gesagt haben, nicht das Potential oder die Möglichkeit des einzelnen (menschlichen) Individuums maßgebend ist, sondern gewissermaßen die Möglichkeit der „Art” Mensch - auch einen Menschen, der etwa aufgrund einer Behinderung prinzipiell nicht zu Selbstbewusstsein oder Selbstbestimmung im vollem Sinn in der Lage ist, betrachten wir voll und ganz als Person -, ist es für die Zuschreibung von Freiheit erforderlich, dass dasselbe Subjekt zu vernünftigem Abwägen und Entscheiden prinzipiell in der Lage ist. Selbst eine vorübergehende Einschränkung der Vernunft, durch einen Rausch oder durch eine Krankheit, beeinträchtigt unsere Freiheit. Genauer gesagt: Im Moment einer Entscheidung - auch wenn sie unvernünftig ist - muss die Möglichkeit zu einer vernünftigen Entscheidung bestehen; sonst kann von einer freien Entscheidung, im vollen Sinn freier menschlicher Entscheidungen oder Handlungen, nicht die Rede sein.
Zusammenfassend, Freiheit und Vernunft verweisen aufeinander; auch wenn unvernünftige, aber vollständig freie Handlungen und Entscheidungen möglich sind, bildet die Fähigkeit zum vernünftigen Abwägen von Gründen doch den Hintergrund, vor dem Freiheit überhaupt erst möglich wird - gewissermaßen impliziert schon die Zuschreibung der Unvernünftigkeit die (Zuschreibung der) Fähigkeit zur Vernunft.268
In den folgenden Abschnitten möchte ich nun näher auf die verschiedenen Verständnisse des Begriffs der (Willens-)Freiheit eingehen - je nachdem, in Richtung welcher der oben angesprochenen Alternativen oder verschiedenen „Lesarten” der Freiheitsmerkmale dieser jeweils ausbuchstabiert wird.
4.1.2 Freiheit und Bestimmtheit I: Inkompatibilismus
Es gibt zwei grundsätzlich gegensätzliche Ansätze, das Verhältnis von Freiheit und Bestimmtheit zu verstehen: Bestimmtheit - dass etwas festgelegt wird oder festgelegt ist - kann die Freiheit entweder gefährden (oder auch ganz verunmöglichen), oder aber mit ihr ohne weiteres verträglich sein (oder, um es stärker zu sagen: sie überhaupt erst ermöglichen). Die Idee der Bestimmtheit führt, konsequent und gewissermaßen „global” betrachtet, zur Idee des Determinismus: Der gegenwärtige Zustand der Welt, zusammen mit ihren Gesetzen, bestimmt - oder „legt fest” -, wie der nächste und jeder zukünftige Zustand der Welt sein wird.
Der Determinismus erscheint bei erster Betrachtung ganz sicher unverträglich mit unserem Selbstverständnis als frei handelnde und entscheidende Personen. Denn er impliziert folgendes: Jeder Zustand oder jeder Prozess - meine Entscheidungen und Handlungen eingeschlossen - ist alternativlos und im Vorhinein festgelegt durch den jeweils vorhergehenden Zustand oder Prozess, und dieser wiederum durch seinen Vor-Zustand oder Vor-Prozess, und so weiter (gegeben die Naturgesetze, d.h. die Regelmäßigkeiten gemäß derer sich ein Zustand oder Prozess aus dem vorangehenden entwickelt). Im Vorhinein durch Umstände, die selbst wiederum meinem Einfluss entzogen sind, im Handeln und Entscheiden vollständig festgelegt zu sein: das ist das Gegenteil von Freiheit. Die philosophische Position, die diese Intuitionen über die Unverträglichkeit von Freiheit und Determinismus ernst nimmt, ist der Inkompatibilismus.
Mindestens zwei der oben behandelten Merkmale der (Willens-)Freiheit sind durch den Determinismus gefährdet: das der Urheberschaft und das der alternativen Handlungsmöglichkeiten. Das Merkmal der Urheberschaft besagte, dass ich der oder die letztlich Verantwortliche, eben Urheberin und Urheber meiner Willensentscheidung bin. Die Idee der Urheberschaft bröckelt, je mehr der Gedanke des Konsequenzarguments nachvollzogen wird: Wenn immer der jeweilige Vorzustand - und damit letztlich: der Ausgangszustand der Welt, wenn es einen solchen gibt - zusammen mit den Naturgesetzen eindeutig festlegt, was passieren wird, dann ist alles, was passiert - meine eigenen Handlungen und Entscheidungen eingeschlossen - meiner Kontrolle und damit meiner Urheberschaft entzogen: denn weder den Ausgangszustand der Welt noch ihre Gesetze kann ich beeinflussen. Zwar spielt etwa mein Überlegen eine Rolle in der Form, dass es gewissermaßen Teil einer ewigen Kausalkette ist; aber das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Faktoren, die mein Handeln und Entscheiden alternativlos festlegen, meinem Zugriff vollständig unzugänglich sind und damit überhaupt nicht sinnvoll von meinen Handlungen und Entscheidungen gesprochen werden kann. Die phänomenologisch so greifbare „Lücke” zwischen Überlegung und Entscheidung, zwischen Entscheidung und Handlung, die ich durch einen Akt der freien Selbstbestimmung überbrücke und damit zum Urheber dieser meiner Entscheidung oder Handlung werde, wird so zum Trugbild eines, gewissermaßen hinter meinen Rücken immer schon entschiedenen, urheberlosen Geschehens.
Das Merkmal der alternativen Handlungsmöglichkeiten scheint ebenfalls diametral entgegengesetzt zur Idee einer deterministisch verfassten Welt zu stehen. Es besagte, dass mir für mein Handeln und Entscheiden verschiedene Alternativen offen stehen; als der Mensch, der ich bin, kann ich in einer bestimmten Situation das eine oder das andere tun oder lassen. Wenn der Determinismus wahr ist, dann ist das ein Irrglaube: Eine bestimmte Vergangenheit legt eine bestimmte Zukunft fest; und wenn es uns anders vorkommt, dann nur, weil wir nur einen kleinen Bruchteil der Fakten über die Vergangenheit oder die Gegenwart kennen und kennen können (und selbst wenn wir alles wüssten: dieses Wissen selbst wäre dann Bestandteil der Gegenwart und würde die Zukunft verändern). Tatsächlich gibt es „alternative Handlungsmöglichkeiten” nur hypothetisch (und damit nur in An- und Abführung): Wenn ich ein anderer Mensch wäre, der eine andere Vergangenheit gehabt hätte, könnte und würde ich anders handeln. Dies kann für einen adäquaten Freiheitsbegriff aber nicht ausreichen. Denn meine faktisch bestehenden Merkmale und meine Vergangenheit als Person lassen mir nun gerade keine Wahl, anders zu handeln als ich es tue. Die für unser Freiheitsempfinden so fundamentale Idee der offenen Zukunft wird damit gegenstandslos: Im Fall der Ärztin aus dem obigen Beispiel stand, gegeben den Determinismus, etwa schon als sie ein kleines Kind war, und natürlich noch viel früher, alternativlos und im Detail fest, welches Studium sie aufnehmen, welchen Beruf sie einmal ergreifen würde - eine beklemmende Vorstellung, die an die schlimmsten Gesellschaftsdystopien erinnert und Freiheit systematisch auszuschließen scheint.
Was das Merkmal der Bedingtheit unseres Wollens, Entscheidens und Handelns durch unser Überlegen betrifft, so ist die Verträglichkeit oder Unverträglichkeit mit dem Determinismus fraglich. Man könnte sagen: Die Bedingtheit des Entscheidens durch das Überlegen und des Handelns durch das Entscheiden ist ohne weiteres mit dem Determinismus verträglich oder sie erfordert ihn sogar - Determinismus meint ja nichts anderes, als dass ein vorangehender Zustand, etwa des Überlegens, einen nachfolgenden Zustand, etwa des Entscheidens, bestimmt oder festlegt. Unsere Intuitionen können aber auch in die gegenteilige Richtung führen: Ein freier Wille oder eine freie Entscheidung kann sich natürlich durch gute Gründe, durch Überlegen binden oder festlegen lassen - aber es macht doch gerade einen Aspekt der Freiheit des Willens oder der Entscheidung aus, sich allen guten Gründen und Argumenten auch widersetzen zu können. Das ist die bei der Urheberschaft angesprochene „Lücke”: dass es eine Art letzten Spielraum des handelnden Subjekts zwischen den (möglichen) Gründen oder Motiven für eine Handlung und der eigentlichen Handlung gibt. Der freie Wille kann sich binden und festlegen lassen; aber er muss es nicht.
Der Inkompatibilismus also schließt aus diesen Beobachtungen, dass Freiheit und Determinismus unverträglich sind: Wenn der Gang der Dinge in unserer Welt deterministisch verfasst ist, ist Freiheit nicht möglich; und wenn sie möglich sein soll, muss die Welt indeterministisch verfasst sein. Prinzipiell kann der Inkompatibilismus damit in zwei Richtungen ausformuliert werden: als Freiheitsskepsis (der Determinismus ist wahr, daher sind freie Handlungen prinzipiell nicht möglich), oder als positive inkompatibilistische Freiheitskonzeption, als Libertarismus (der Determinismus ist falsch, daher sind freie Handlungen prinzipiell möglich). Tatsächlich scheint eine echte Freiheitsskepsis die Minderheitsposition zu sein - sie wird eher versuchsweise eingenommen, etwa um einen bestimmten Freiheitsbegriff zu kritisieren -; viele inkompatibilistische Argumente stammen von libertarischer Seite.
Der Libertarismus muss hierbei über die inkompatibilistische These hinaus eine positive Konzeption der (Willens-)Freiheit formulieren. Insbesondere der Begriff eines „Dritten” jenseits von Notwendigkeit und Zufall - einer Art nicht-determinierter, aber auch nichtzufälliger, „Selbstbestimmung aus (guten) Gründen” - muss systematisch stimmig entwickelt werden. Inwiefern seitens panpsychistischer Ontologien hier Lösungsansätze möglich sind, wird im weiteren Thema sein; zunächst möchte ich den Gegenentwurf zum Inkompa- tibilismus, den Kompatibilismus von Freiheit und Determinismus, besprechen.269
4.1.3 Freiheit und Bestimmtheit II: Kompatibilismus
Kompatibilistische Positionen plädieren für eine Vereinbarkeit von Freiheit und Determinismus - manchmal sogar dafür, dass die Freiheit den Determinismus erfordert. Gelegentlich wird der Begriff des Determinismus vermieden, und von „Bedingtheit” oder „Bestimmtheit” gesprochen; die Idee ist aber dieselbe: dass die Fakten der Vergangenheit, zusammen mit den Naturgesetzen, die Fakten der Gegenwart und der Zukunft festlegen, und dass dies unserer Freiheit, recht verstanden, nicht nur nicht im Weg steht, sondern diese, gewissermaßen durch eine richtige Art der Bedingtheit, überhaupt erst ermöglicht.
Was für den Inkompatibilismus das Konsequenzargument ist, ist für den Kompatibilis- mus ein Argument - manchmal, nach der Zeitschrift Mind, als „Mind-Argument” bezeichnet -, das auf die innere Inkonsistenz des inkompatibilistischen bzw. libertarischen Freiheitsbegriffs abzielt. Man kann es wie folgt formulieren. Ein wesentliches Merkmal des inkom- patibilistischen Freiheitsbegriffs ist die Idee der offenen Zukunft: Jetzt, in diesem Moment, stehen mir verschiedene Handlungsalternativen gleichermaßen offen; ich bin nicht festgelegt, wie ich handle und entscheide. Die Idee der offenen Zukunft - sagt der Kompatibilismus - ist nun ohne jeden Zweifel Bestandteil unseres Freiheitsempfindens; aber sie wird in der li- bertarischen Auslegung ganz wesentlich falsch verstanden. Denn sie kann nicht bedeuten, dass unterschiedliche Entwicklungen der Zukunft möglich sind, gegeben genau die gleiche Vergangenheit. Das führte zu absurden Konsequenzen: Nehmen wir an, die junge Medizinerin habe sich nach einigem Überlegen für eine Weiterbildung in der Hals-Nasen-Ohren- Heilkunde entschieden; für ein kleineres operatives Fach mit späterer Möglichkeit zur Niederlassung. Setzt man Indeterminismus und libertarischen Freiheitsbegriff voraus, könnten genau die gleichen Überlegungen und Präferenzen dazu führen, dass sie sich für die Labormedizin entscheidet, oder nach ihrer Entscheidung für die Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde Bewerbungen in die Rechtsmedizin schickt. Solche Handlungen und Entscheidungen, folgert die kompatibilistische Position, haben nichts mit Freiheit zu tun; sie sind allenfalls Ausdruck erratischer Sprunghaftigkeit und Willkür oder aber bloßer Zufälligkeit, und damit ist ein auf sie auf bauender Freiheitsbegriff einfach nicht intelligibel.
Das Prinzip der alternativen Handlungsmöglichkeiten, recht verstanden, ist konditional: Wenn sie anders überlegt hätte, hätte sie anders entschieden, und wenn sie anders entschieden hätte, hätte sie anders gehandelt. Selbstverständlich kann die Zukunft variieren; aber sie tut es jeweils nicht ohne Variation der Vergangenheit. Weiter oben haben wir zwei „Lesarten” der Idee der alternativen Handlungsmöglichkeiten unterschieden, und der Kompati- bilismus optiert klar für die erste Lesart, die alternative Handlungsmöglichkeiten im bedingten Sinn versteht. Die Idee der alternativen Handlungsmöglichkeiten im unbedingten Sinn, sagt er, ist nicht nur sachlich falsch (da der Determinismus, zumindest auf der relevanten, „makroskopischen” Ebene, wahr ist), sondern schlicht nicht sinnvoll formulierbar: wir können uns überhaupt nur im Rahmen umfassender Bedingtheit der Abläufe unserer Welt einen verständlichen Begriff von ihr machen - und auch eine indeterministische Verfassung der Welt würde für einen intelligiblen Freiheitsbegriff nicht helfen. Zwar ist es eine auf den ersten Blick unabstreitbare Erfahrung, dass mir bei einer gegebenen, feststehenden Vergangenheit verschiedene Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten für Gegenwart und Zukunft offen stehen; aber ein präziser Blick, der diese Erfahrung begrifflich genau und systematisch stimmig ausformuliert, kann die Inkonsistenz der Idee unbedingt verstandener alternativer Handlungsmöglichkeiten aufdecken und deutlich machen, dass eine leicht abweichende Idee - nämlich die Auslegung des Prinzips der alternativen Handlungsmöglichkeiten als Konditional - der wahre Gehalt der Erfahrung ist.270
Ein strukturell ganz ähnlicher Gedankengang lässt sich in einem Absatz auch für das Merkmal der Urheberschaft formulieren. Die Idee der Urheberschaft bröckelt, wurde im Abschnitt zum Inkompatibilismus gesagt, wenn wir die Vorstellung der Bedingtheit und (Vorher-)Bestimmtheit allen Entscheidens und Handelns ernst nehmen. Tatsächlich, sagt der Kompatibilismus, ist das Gegenteil der Fall: Die Idee einer „ultimativen” Urheberschaft, die, gewissermaßen aus dem Nichts heraus, ohne Rückbindung an Motive und Präferenzen einfach so Handlungen initiieren kann, ist in sich nicht stimmig; sie wäre vollständig unvermittelt und uns fremd, vom Zufall nicht zu unterscheiden. Ein „unbewegter Beweger”, ganz abgesehen davon, dass wir faktisch nicht sehen, wie er in die Welt, wie wir sie kennen, passen könnte, würde uns für die Freiheit nicht helfen. Ganz analog zur Frage der alternativen Handlungsmöglichkeiten lässt sich also bei genauerer begrifflicher Analyse die Urheberschaft als Merkmal freien Handelns und Entscheidens sinnvoll nur im Rahmen umfassender Bedingtheit verständlich machen.271
Wenn der Kompatibilismus also manchen Intuitionen zu alternativen Handlungsmöglichkeiten und Urheberschaft als Merkmalen freien Handelns und Entscheidens auf den ersten Blick widerspricht, kann er umgekehrt auch einige unserer Intuitionen zur Freiheit einholen. Insbesondere steht eine starke Intuition hinter dem kompatibilistischen Argument, dass wir den logischen Ort der Willensfreiheit richtig bestimmen, gewissermaßen „an der richtigen Stelle suchen” müssen: Es kann nicht darum gehen, sagt das Argument, im kausalen Netz der Welt und unserer Psychologie auf unvermittelte Lücken der Unbedingtheit zu hoffen (die für die Erklärung der Freiheit aus den benannten Gründen ohnehin keinen Dienst tun können), sondern es geht vielmehr darum, die Freiheit als die richtige Art der Bedingtheit unseres Wollens, Entscheidens und Handelns zu verstehen.
Sobald der Unterschied zwischen Freiheit und Unfreiheit, wie es im Rahmen einer umfassenden Bedingtheit der Abläufe unserer Welt auch nicht anders denkbar ist, eben als Unterschied in der Art der Bedingtheit bestimmt wird, wird deutlich, dass Festlegungen oder Vorbedingungen unsere Freiheit nicht per se aufheben oder gefährden können: eine Entscheidung wird etwa nicht dadurch unfreier, dass erdrückend gute Gründe für sie sprechen - ganz im Gegenteil. Das kann nur nicht erkennen, wer Freiheit mit Willkür verwechselt; und der inkompatibilistische Freiheitsbegriff befindet sich in einem beständigen und un- intelligiblen Rückzugsgefecht hinsichtlich der biologischen, psychologischen, sozialen und historischen Vorbedingungen unseres Handelns und Entscheidens.
Nicht nur hinsichtlich der Vorherbestimmtheit, sondern auch hinsichtlich der Vorhersagbarkeit von Handlungen und Entscheidungen besteht für den Kompatibilismus kein prinzipieller Konflikt mit der Freiheit. Auch dies ist eine starke Intuition: Eine Handlung wird nicht dadurch unfreier, dass sie vorhersagbar ist; wir können uns mit ein wenig Phantasie Situationen vorstellen, in denen mit guter Näherung eine einhundertprozentig sichere Vorhersage über Handeln und Entscheiden einer Person möglich ist - ohne, dass dies ihrer Freiheit entgegenstünde. Wiederum sind Vorbedingungen und Gründe, die uns im Handeln festlegen und dieses damit womöglich, in Kenntnis der Vorbedingungen, vorhersagbar machen, kein Widerspruch zur Freiheit.
Die Ablehnung der Notwendigkeit libertarisch „echter” alternativer Handlungsmöglichkeiten (im starken, unbedingten Sinn) kann, so verstanden, sogar ein Punkt für den Kom- patibilismus sein: Das Luther in den Mund gelegte „Hier stehe ich, ich kann nicht anders” ist gerade der Ausweis seines freien Entschlusses; die (guten) Gründe, die für seine Position sprechen, lassen ihm keine andere Wahl - in einem Sinn, der die Freiheit nicht aufhebt, sondern bestätigt. Pointiert könnte man sagen, dass für den Inkompatibilismus eine - systematisch wenig überzeugende - Art „Bierkasten-Situation” den paradigmatischen Fall freien Handelns darstellt: wähle eine Flasche aus 24 exakt gleichen. Für den Inkompatibilismus steht nämlich jede in Richtung einer möglichen Handlungsoption weisende argumentative Ausgangslage als Vorbedingung in Verdacht, den Freiheitsspielraum des Individuums ein- zuengen. Dieser unplausiblen Konsequenz kann der Kompatibilismus etwas entgegensetzen: Willkürliche Entscheidungssituationen ohne Bestimmung und Bedingung durch Vorangehendes, Handlungen „einfach so”, sind bestenfalls ein Grenzfall der Freiheit.
Zusammenfassend, der Kompatibilismus von Freiheit und Determinismus ist bei erster Betrachtung eine in jedem Fall kontraintuitive Position. Ein genauerer Blick kann aber die Schwächen dieser (inkompatibilistischen) Intuition aufdecken: Sie ist nur schwer positiv auszubuchstabieren. Darüber hinaus kann der Kompatibilismus seinerseits einigen Intuitionen und Aspekten der Phänomenologie unseres freien Handelns und Entscheidens gerecht werden. Er steht weniger als der Inkompatibilismus in Verdacht, unintelligible „Rückzugsgefechte” mit den vielfältigen Vorbedingungen unserer Freiheit einzugehen.272
4.1.4 Der ontologische Status des frei handelnden Subjekts
Es gibt also zwei mögliche Positionen zur Vereinbarkeit von Freiheit und Bestimmtheit. Der Inkompatibilismus ist intuitiv naheliegend: Eine gegebene Vergangenheit legt nicht fest, wie und wofür ich mich jetzt oder zukünftig entscheide; die Zukunft ist - in einem starken oder unbedingten Sinn - offen. Der Gegenentwurf ist der Kompatibilismus: Freiheit und Determinismus sind kein Widerspruch, im Gegenteil: wir können uns von Freiheit nur im Rahmen einer umfassenden Bedingtheit der Gegenwart durch die Vergangenheit sinnvoll einen Begriff machen.
Wie ist der Konflikt zu bewerten, und welche philosophischen Vorannahmen oder Positionen liegen hier zugrunde? Man könnte vielleicht sagen, dass unterschiedliche Konzeptionen oder Begriffe von Freiheit zugrunde liegen: die Konzeption „bedingter” Freiheit auf der einen Seite - die Vorstellung, dass unser freies Handeln und Entscheiden vollständig in die kausalen Abläufe der Welt eingebettet (und damit auch durch die Vergangenheit bestimmt) ist -, und die Konzeption „unbedingter” Freiheit auf der anderen Seite - die Vorstellung, dass unsere Willensentscheidungen zwar nicht völlig unabhängig von Vergangenem getroffen werden, aber durch dieses nicht erzwungen, sondern mit ihm über eine Art „Lücke” der freien (Selbst-)Bestimmung verbunden sind.
Tatsächlich aber ist es weniger, oder zumindest nicht primär, ein Dissens über den Freiheitsbegriff an sich, der dem Disput zwischen Kompatibilismus und Inkompatibilismus zugrunde liegt, sondern im wesentlichen und zuerst ein Dissens über den Träger der Willensfreiheit; ein Dissens über das (frei) handelnde Subjekt. Wie ist dieser Punkt zu verstehen?
Die Idee, dass die Kette der vergangenen Ereignisse festlegt, welchen Gang die Dinge - unser Handeln und Entscheiden eingeschlossen - in Gegenwart und Zukunft nehmen, wird umso bedrohlicher für die Freiheit, je eher wir uns als Subjekt außerhalb dieser Kette der Ereignisse verorten. Wenn wir als Subjekt außerhalb des natürlichen Geschehens stehen und in dieses über eine Art Substanz-, Akteurs- oder „immanente” Verursachung eingreifen können, wenn weiterhin aber unser Handeln und Entscheiden durch dieses Geschehen (vorher-) bestimmt oder festgelegt ist, dann müssen wir unsere eigene Willens- und Entscheidungsfindung buchstäblich als etwas von außen Auferlegtes, als vollständige Verhinderung aller Freiheit, verstehen; und uns bleibt als Subjekt gewissermaßen nur die Rolle eines Zuschauers vor der Leinwand des eigenen Handelns (und Empfindens). Je dualistischer also eine Philosophie des Geistes die Ontologie des Subjekts formuliert, desto eher wird sie zur inkompati- bilistischen Konzeption von Freiheit und Determinismus neigen.
Sehen wir uns als handelnde und entscheidende Subjekte hingegen als integralen Teil des natürlichen Kausalgeflechts der Welt, wird die Bestimmung durch dieses Kausalgeflecht weniger bedrohlich. Sie kann, so verstanden, dann nichts sein, oder ist zumindest nicht notwendig etwas, das uns von außen auferlegt wird; wir selbst sind ja Teil dieses „Außen”, und es geht vielmehr um die richtige Art und Weise, wie wir selbst Teil der Kette der Ereignisse sind. Es gibt hier das Bild des Knotens in einem Bindfaden, das diesen Zusammenhang veranschaulicht: In gewisser Hinsicht ist der Faden durch den Knoten, durch uns und unsere freien Willensentscheidungen, unterbrochen - aber zugleich ist der Knoten doch ganz wesentlich Teil des Fadens. Man könnte auch sagen: Es gibt keinen Standpunkt, von dem aus ich mich als unbeteiligtes und damit unfreies Objekt meines eigenen seelischen Geschehens beschreiben könnte - des Geschehens, das in einem Prozess des vernünftigen Abwägens von Gründen meine Freiheit ausmacht. Es gibt kein Subjekt vor der Leinwand; allenfalls ist das Subjekt die Leinwand. Je monistischer die Ontologie des Subjekts also formuliert und je eher das Subjekt als Summe von natürlichen Ereignissen konzipiert wird, desto näher liegt ein Kompatibilismus von Freiheit und Determinismus.
Hieran anknüpfend, lässt sich ganz ähnlich auch der Zusammenhang der ontologischen Grundausrichtung mit dem Verhältnis von Mikro- zu Makro-Ebene formulieren. Monistisch-materialistische Positionen, wie weiter oben beschrieben, neigen der Vorstellung der „Mikro-Determination” zu: dass die Eigenschaften einer Entität auf der Makro-Ebene prinzipiell durch ihre Eigenschaften auf der Mikro-Ebene festgelegt werden. Diese „bottom-up”- Determination lässt sich mit der Idee des Determinismus - dass, gegeben die Naturgesetze, jeder Zustand der Welt genau einen möglichen Folgezustand hat - recht gut vereinbaren: Wenn ich als Person oder als Subjekt letztlich die Summe meiner Mikro-Konstituenten bin (wenn Tatsachen über mich vollständig in Tatsachen über die kleinsten Bausteine meines Körpers aufgehen), dann muss die Bedingtheit meines Handelns und Entscheidens durch Vorangegangenes - die nichts anderes als die Einbettung meiner kleinsten Konstituenten, meine Einbettung, in das kausale Geflecht der Welt bedeutet -, nichts sein, das meine Freiheit negativ beeinträchtigt.
Dualistische Positionen hingegen tendieren zur Skepsis gegenüber der Mikrodeterminationsthese: Es ist eine Kernaussage etwa emergent dualistischer Philosophien des Geistes, dass das erlebende und handelnde Subjekt gerade nicht vollständig durch seine materiellen Konstituenten bestimmt wird und in ihnen „aufgeht”, sondern vielmehr zu dieser materiellen Basis zwar zweifellos eine enge Beziehung (etwa der Verursachung) hat, aber über sie hinausgeht, eben „emergent” ist. Den emergenten Subjekten wird im interaktionistischen Dualismus dann - im Gegensatz zur „Aufwärtsdetermination” der Mikro-Ebene - die Möglichkeit zur Abwärtsverursachung zugeschrieben: Makroskopische Entitäten sind durch die Fakten der Mikro-Ebene nicht (vollständig) festgelegt, sondern können auf die Mikro-Ebene zurückwirken und diese ihrerseits festlegen. Wenn also dualistischerseits schon eine „Mikro- Indetermination” - die These, dass nicht alle Fakten der Makro-Ebene durch die MikroEbene festgelegt sind - vertreten wird, dann liegt erst recht ein Indeterminismus - die These, dass nicht alle zukünftigen Fakten durch die vergangenen Fakten festgelegt sind - nahe; gewissermaßen ist der (diachrone) Indeterminismus eine Voraussetzung für (die Möglichkeit von) Abwärtsverursachung. (Umgekehrt wäre aber ein diachroner Indeterminismus der Mikro-Ebene - der etwa aufgrund von Mittelungseffekten auf höheren Ebenen überhaupt nicht mehr relevant ist -, gepaart mit strikter bottom-up-Determination, prinzipiell gut vor- stellbar.)273
Auch die Frage nach dem Verhältnis von Ursachen und Gründen in Kompatibilismus und Inkompatibilismus hängt mit der Frage nach der Ontologie des handelnden Subjekts zusammen. Kompatibilismus und Monismus optieren für eine unkomplizierte Gleichsetzung von Ursachen und Gründen: Wenn ich Teil der Kette der Ereignisse bin, dann werde ich in meinem Entscheidungsprozess durch Gründe beeinflusst, ganz so wie verschiedene Ursachen (manchmal sich widerstreitend) Zusammenwirken - Gründe sind eine besondere Form, oder eine bestimmte Konstellation, von Ursachen. Inkompatibilismus und Dualismus hingegen bestehen auf dem prinzipiellen Unterschied von Ursachen und Gründen: Während Ursachen eben „verursachen”, und damit ihre Wirkung in gewisser Hinsicht erzwingen, muss sich das handelnde Subjekt im Fall von Gründen für diese entscheiden; ich werde als Subjekt nicht von (guten) Gründen festgelegt oder bestimmt, sondern ich entscheide mich für eine Handlungsoption (angesichts der guten Gründe).
Zusammenfassend lassen sich demnach zwei Pole im Verhältnis von ontologischer Einordnung des Subjekts und Freiheitskonzeption unterscheiden: Je monistischer und „aufwärtsdeterminierender” eine Philosophie des Geistes konzipiert wird, desto eher liegt der Kompatibilismus nahe; umgekehrt finden sich inkompatibilistische bzw. libertarische Positionen vermehrt im Umfeld dualistischer Entwürfe, die emergente und mit der einer Form der Abwärtsverursachung ausgestattete handelnde Subjekte annehmen.274
Auf dieser Basis kann nun eine Bewertung der beiden Positionen zur fraglichen Vereinbarkeit von Freiheit und Determinismus erfolgen.
Der Kompatibilismus hat gute Argumente auf seiner Seite; das wesentliche lautet: Wir suchen die Freiheit des Willens an der falschen Stelle, wenn wir sie in der Abwesenheit von Vorbedingungen für diesen Willen suchen; es ist ein Irrweg, unseren Willen bestimmende Faktoren per se als Bedrohung der Freiheit zu sehen - ein Irrweg, der unintelligible und nicht zu gewinnende Rückzugsgefechte mit diesen, empirisch immer besser ermittelbaren, Vorbedingungen unseres Handelns und Entscheidens zur Folge hat. Darüber hinaus ist es schwierig, den Inkompatibilismus in seiner libertarischen Variante positiv zu formulieren.
Was spricht gegen den Kompatibilismus und für die libertarische Freiheitskonzeption? Analog zur Frage nach dem qualitativen Bewusstsein und der Debatte um Dualismus und Reduktionismus ist es die Perspektive der ersten Person, aus der heraus der Kompatibilis- mus an Überzeugungskraft verliert. Die Verortung des Unterschieds zwischen Freiheit und Unfreiheit innerhalb umfassender Bedingtheit ist so lange plausibel, wie der Entscheidungsprozess aus einer Außenperspektive beobachtet und beschrieben wird - auch etwa im Fall der retrospektiven Beschreibung eigener Entscheidungen -; ein Ernstnehmen der Innenperspektive der ersten Person kommt aber nur schwerlich an der Anerkenntnis einer nicht hintergehbaren „Lücke” zwischen Überlegung und Entscheidung, zwischen Entscheidung und Handlung, die eine offene Zukunft im Sinne echter Handlungsalternativen voraussetzt, vorbei. Die Schwierigkeit, ein „Drittes” zwischen Zufall und Notwendigkeit zu finden, könnte man sagen, ist eine Schwierigkeit der Perspektive der dritten Person: aus der Perspektive der ersten Person heraus ist der Modus der Selbst-Bestimmung oder der Selbst-Bindung durch vernünftige Gründe als „via media” völlig evident und uns unmittelbar vertraut.
Etwas salopp formuliert könnte man also sagen: Die Vereinbarkeit von Freiheit und Determinismus, wie sie der Kompatibilismus propagiert, ist bestenfalls in der Perspektive der dritten Person - in der Außen- oder Beobachterperspektive - wahr.275
Das ist freilich aber mehr, als es zunächst klingt. Denn gerade in der Diskussion mit den empirischen Wissenschaften, deren Resultate ja ausschließlich in der Außenperspektive formuliert werden, bietet der Kompatibilismus eine sinnvolle, intelligente und mit stichhaltigen Argumenten zu artikulierende Konzeption menschlicher Willensfreiheit. Man könnte sagen: Mit dem Kompatibilismus kommt man ein gutes Stück weit; aus der Außenperspektive kann Freiheit als vernünftige Orientierung an Gründen sinnvoll auch und gerade im Rahmen umfassender Bedingtheit beschrieben und verständlich gemacht werden.- Allein, es können im kompatibilistischen Paradigma nicht alle aus der Innenperspektive zugänglichen Intuitionen zur Freiheit ausreichend eingeholt werden: Ganz wie bei der Frage nach dem qualitativen Bewusstsein ist die Perspektive der ersten Person nicht ohne „Rest” auf die Perspektive der dritten Person reduzierbar.
Zusammenfassend, die Frage nach der Vereinbarkeit von Freiheit und Determinismus ist weniger eine Frage des Freiheits- als des Subjektbegriffs; die jeweils vertretene Freiheitskonzeption wird maßgeblich mitbestimmt durch den jeweils vertretenen ontologischen Status des (frei) handelnden Subjekts. Wenn man den Zusammenhang von der anderen Seite her formulieren möchte: Das favorisierte Freiheitskonzept kann die Motivation bilden für das dann vertretene ontologische Verständnis der Person oder des handelnden Subjekts, im weiteren Sinne: für die vertretene Philosophie des Geistes.
Dieser Gedanke leitet über zu der Frage, welchen Standpunkt panpsychistische Philosophien des Geistes in der Freiheitsdebatte einnehmen können oder sollten - im Hinblick auf welches Freiheitskonzept eine panpsychistische Ontologie anschlussfähig ist. Dies möchte ich im nächsten Abschnitt behandeln.276
4.2 Panpsychistische Beiträge zum Verständnis von Freiheit, Vernunft und Handeln
Whereas itis now widely recognized by dualists and materialists alike that human consciousness creates a serious, perhaps intractable, mind-body problem for modern philosophy and science, the fact that human freedom is part of that problem is much less widely recognized [...]. Nevertheless, I will argue, we all inevitably presuppose that we have not only consciousness but also (a significant degree of) freedom, so that any acceptable solution to the mind-body problem must also be able to account for our freedom.
— David Ray Griffin, Unsnarling the World-Knot
4.2.1 Rudimentäre Vernunft - rudimentäre Freiheit
Die Frage nach der der Freiheit, im vorliegenden Rahmen verstanden als an vernünftigen Gründen orientiertes Handeln, hängt eng mit den anderen Fragen und Themen der Philosophie des Geistes zusammen: David Ray Griffin etwa betrachtet die Freiheitsfrage, wie im obigen Zitat ausgedrückt, als genuinen - wenn auch nicht von allen Autorinnen und Autoren so eingeordneten - Teil des Leib-Seele-Problems.277 Welche Impulse können von Griffins Panexperientialismus und anderen panpsychistischen Entwürfen hier ausgehen?
Panpsychistische Theorien vertreten ein gestuftes Auftreten geistiger Eigenschaften bis hinunter zur niedersten Ebene. Dies bedeutet nicht, dass die geistigen Eigenschaften der höheren Stufen denen der niedrigeren Stufen ähnlich sein müssten; die Ähnlichkeitsrelation ist, wie weiter oben gesehen, nicht transitiv. Es bedeutet aber, dass Vor-Formen, sozusagen „Spuren” unserer geistigen Attribute auf niedrigeren Stufen der Natur zu finden sind.
Der erste Schritt der panpsychistischen Antwort ist also naheliegend: Freies menschliches Handeln wird verständlich vor dem Hintergrund einer rudimentären Form von Vernünftigkeit, Freiheit und Ursächlich-werden handelnder Subjekte (von „agency”), die auf allen Ebenen der Natur anzutreffen ist. Auch so etwas wie Gründe muss es in einer Vor-Form auf der untersten Stufe geben - vielleicht sollte man die Begriffe aber besser in An- und Abführung setzen, um die Verschiedenheit im Vergleich zu den uns bekannten, „makroskopischen” Phänomenen deutlich zu machen: rudimentäres „Handeln” aus „Gründen”.
Vernunft und Kognition werden auch im Rahmen panpsychistischer Entwürfe in aller Regel als höherstufe geistige Eigenschaften eingeordnet, die nur bei uns Menschen vorkommen; Griffin etwa spricht von „Oberflächen”-Eigenschaften, die von den, sozusagen tiefer liegenden, (proto-)mentalen Eigenschaften der niederen Stufen „abgeleitet” sind.278 Bei Josiah Royce, einem Zeitgenossen von William James, wird „jeder Tatsache der Natur” eine gewisse Vernünftigkeit zugesprochen279 ; aber dies ist sicherlich eine Minderheitsposition.
Matthias Rugel schlägt in seiner Ausarbeitung einer panpsychistischen Metaphysik vor, die höherstufige (menschliche) „Vernunftdetermination” auf den niedrigeren Ebenen, etwa auf der Ebene der Biologie, durch die Idee „natürliche[r] Zwecke für spontane Tätigkeiten” zu ersetzen.280 Tatsächlich wird der Begriff der Spontaneität häufig verwendet, um die Idee einer basalen Vor-Form von Freiheit oder Handeln auszudrücken. Insbesondere Griffin bezeichnet, im Anschluss an Whitehead, die Spontaneität, nach der Erfahrung, als die zweite basale Eigenschaft des Geistes - hieraus ergeben sich dann die eingangs angesprochenen beiden „Dimensionen” des Leib-Seele-Problems -, die, sofern das Prinzip einer echten Naturalisierung des Geistes verfolgt wird, allen Einheiten der Natur zugesprochen werden müsse.281
Der Begriff der Spontaneität als einer basalen Vor-Form von Handeln ist vielleicht nicht in jeder Hinsicht glücklich: so, wie wir den Begriff alltagssprachlich verwenden, wird das zur Frage stehende Phänomen nicht ganz eingeholt. Die „spontane” Entscheidung etwa zu einer Urlaubsreise bezeichnet häufig nur die Kurzfristigkeit des Vorhabens, im Sinne einer kurzen Zeitspanne zwischen Planung und Umsetzung; und ein „spontaner” Knochenbruch bedeutet nur, dass keine äußere Ursache wie ein Sturz vorlag. Eine gänzlich „unspontane” Reise ist aber natürlich im gleichen Maß eine Handlung, und im Fall des Knochenbruchs gibt es gar keine Handlung.
Vielleicht sollte man also anstatt von Spontaneität eher von „Selbst-Bestimmung”, „SelbstEntwurf” oder einfach von „rudimentärem Handeln” sprechen; auch wenn diese Begriffe jeweils ihrerseits Angriffsfläche bieten. Ein anderer Begriff, der dem des Selbst-Entwurfs ähnlich ist und der auch an Whitehead anknüpft, ist der der „Kreativität”. Alternativ könnte man, auch für sehr basale Ebenen, den Begriff einer (rudimentären) „Wahl” bemühen; Ru- gel spricht von einem „Auswählen kleinster physikalischer Entitäten, beispielsweise wenn ein radioaktives Teilchen seine Zerfallszeit bestimmt oder ein Elektron im Doppelspaltversuch auf den Detektor trifft”.282 Ein weiterer manchmal verwendeter Begriff ist der der „Entscheidung”.
Unabhängig von der jeweils verwendeten Begrifflichkeit besteht der hier hervorzuhebende Punkt aber darin, dass es panpsychistischen Theorien des Geistes wesentlich ist, nicht nur die gewissermaßen „passiven” geistigen Attribute, insbesondere die des phänomenalen Erlebens, auf allen Ebenen der Wirklichkeit in gestufter Ausprägung anzunehmen, sondern auch „aktive” geistige Eigenschaften in Form eines grundlegenden Tätigseins oder rudimentären Handelns. Ähnlich wie die phänomenalen Mikro-Fakten die Basis bilden für unser makroskopisches phänomenales Erleben, bildet auch die rudimentäre Tätigkeit der Individuen auf der Mikro-Ebene die Grundlage für unsere Fähigkeit zu an vernünftigen Gründen orientiertem, potentiell freiem Handeln.
Dieser allgemein formulierte und prinzipiell auch nur postulierte Zusammenhang ist natürlich, analog zum Fall der „passiven” geistigen Attribute des phänomenalen Erlebens, mit dem Kombinationsproblem konfrontiert: Was haben die „aktiven” geistigen Eigenschaften der Mikro-Ebene, von denen wir uns wahrscheinlich noch nicht einmal eine adäquate Vorstellung machen können, mit den makroskopischen Tatsachen unseres alltäglichen Handelns zu tun?
Panpsychistische Philosophien des Geistes müssen also versuchen, eine Antwort zu geben, wie dieses Rudiment des Handelns aus vernünftigen Gründen, das auf der MikroEbene postuliert wird, zumindest in seinen Grundzügen zu verstehen sein soll - ob die „Gründe” der niederen Ebenen etwa zu physikalisch beschreibbaren Ursachen naturalisiert werden können, und wie sich das panpsychistisch verstandene handelnde Subjekt zu ihnen verhält. Eine Vorentscheidung ist durch die panpsychistische Prämisse im allgemeinen noch nicht getroffen; es kommt darauf an, welche der möglichen panpsychistischen Varianten im einzelnen vertreten wird. Für den konstitutiven und den nicht-konstitutiven (emergenten) Panpsychismus soll dies in den nächsten beiden Abschnitten untersucht werden.
4.2.2 Konstitutiver Panpsychismus und Kompatibilismus
Welchen Beitrag kann der konstitutive Panpsychismus zu unserem Verständnis von freiem Handeln und Entscheiden leisten?
Der konstitutive Panpsychismus ist bestimmt durch die Annahme, dass die - physischen und mentalen - Tatsachen der Mikro-Ebene alle weiteren Tatsachen bestimmen; die physischphänomenale Mikro-Ebene konstituiert die physisch-phänomenale Makro-Ebene. Das gilt auch für mich als Handelnden oder als Handelnde: Ich bin letztlich die Summe meiner (gleichermaßen körperlichen und geistigen) Mikro-Konstituenten, oder, prozesstheoretisch gedacht, die Summe (oder „Gemeinschaft”) von gleichermaßen körperlichen und geistigen Ereignissen. Meine Empfindungen und Überzeugungen, Wünsche und Motive können, zumindest theoretisch, ohne weiteres hergeleitet werden aus jeweils niedrig-stufigeren mentalen Attributen - aus „Proto-Wünschen” und „-Motiven”, wenn man es so ausdrücken möchte -; und damit letztlich aus dem Set der (proto-)mentalen Attribute der Elementarebene. Der konstitutive Panpsychismus bekräftigt damit, wie weiter oben schon gesehen, die Idee der Mikrodetermination - die Idee, dass die Makro-Eigenschaften eines Systems durch seine Mikro-Eigenschaften bestimmt werden; dass, übersetzt auf die konstitutiv- panpsychistische Perspektive, das (physisch-mentale) Kausalgeflecht der niedersten Ebene eindeutig festlegt, was auf der Makro-Ebene unseres geistigen Erlebens geschieht - etwa, wie sich unsere Überzeugungen und Gründe zu unseren (freien) Handlungen und Entscheidungen verhalten.
Damit schlägt der konstitutive Panpsychismus die Brücke zu einer der im vorherigen Abschnitt betrachteten Auffassungen über das Verhältnis von Ursachen und Gründen: Wenn das Geflecht der unsere („makroskopischen”) Gründe konstituierenden protomentalen Mikro-Eigenschaften unsere Handlungsdispositionen bestimmt, dann liegt es nahe, Gründe als Ursachen - oder als eine besondere Form oder Konstellation von Ursachen - zu verstehen. Gründe, könnte man sagen, sind die Innenseite von außen als ursächlich zu beschreibender natürlicher Prozesse, ganz so wie das Mentale die Innenseite der Materie ist.
Die Stärke des konstitutiven Panpsychismus in der Erklärung und Fundierung unseres (freien) Handelns liegt darin, dass er gewissermaßen den goldenen Mittelweg zur Lösung des Überdeterminierungs- oder „kausalen Exklusionsproblems” darstellt: Wie Philip Goff argumentiert, muss für das konstitutiv-panpsychistische Modell handelnder (makroskopischer) Subjekte weder die Annahme einer kausalen Geschlossenheit auf der Elementarebene, noch die genuine kausale Wirksamkeit des „makroskopischen” Bewusstseins (von Goff als
„o-consciousness”, für „ordinary”, bezeichnet) oder „makroskopisch” bewusst handelnder Subjekte aufgegeben werden - und der Russell’sche Monismus in konstitutiv-panpsychis- tischer Ausführung ist damit, so Goff, die „elegante Lösung” gleich mehrerer Dilemmata der Philosophie des Geistes: (Phänomenales) Bewusstsein ist gleichermaßen irreduzibel, für unser Handeln kausal wirksam, und bruchlos in die von unten nach oben zu verstehenden natürlichen Abläufe unserer Welt eingebettet.283
Matthias Rugel hat im Rahmen der Ausarbeitung eines panpsychistischen Modells, in einer kurzen Bezugnahme auf die Freiheitsfrage, zwei mögliche diesbezügliche Positionen oder Alternativen aus panpsychistischer Sicht genannt: Die (metaphysisch voraussetzungsreichere) Annahme einer, wie auch immer dann im einzelnen auszubuchstabierenden, Akteurskausalität - oder die (schwächere oder voraussetzungsärmere) Position eines „Vernunftdeterminismus”, der mit der Idee aus Finalkausalität frei handelnder Subjekte vereinbar ist: auch wenn eine physikalisch determinierte Welt (und ihre Vereinbarkeit mit dem freien Willen) abgelehnt wird, bedeutet das nicht, dass es keine panpsychistisch determinierte Welt geben könnte, in der echte Freiheit möglich ist.284
Wenn man diese Alternative einer panpsychistischen Freiheitskonzeption auf die Alternative der beiden „Spielarten” der panpsychistischen Ontologie überträgt, wird man sagen, dass der konstitutive Panpsychismus in der Freiheitsfrage naheliegenderweise für die letztere der beiden Positionen optiert - für einen panpsychistischen Determinismus, der freie Handlungen und Entscheidungen als (Selbst-)Bindung an bestimmte und bestimmende vernünftige Gründe modelliert. Die (besten) vernünftigen Gründe sind damit Ursachen, die die Entscheidungen des handelnden Subjekts notwendig machen oder „determinieren”; aber diese Determination ist keine „bösartige” im Sinne eines die Freiheit gefährdenden Zwangs, sondern einfach ein Bestimmtsein des Willens durch vernünftige Gründe. Nicht in der Abwesenheit von Bedingtheit liegt die Freiheit, sondern in (der richtigen Art) ihrer Anwesenheit. Ein solcher Begriff der Freiheit und ihres Verhältnisses zu vernünftigen Gründen schließt an das Verständnis an, das in dem diesem Kapitel vorangestellten Zitat Goethes zum Ausdruck kommt - Freiheit sei „nichts als die Möglichkeit, unter allen Bedingungen das Vernünftige zu tun” -, das sich damit als gewissermaßen lupenrein kompatibilistisch erweist.
Im vorangegangenen wurde geltend gemacht, dass der Dissens zwischen Kompatibilis- mus und Inkompatibilismus nicht primär, oder zumindest nur abgeleitet, ein Dissens über das Freiheitsverständnis an sich sei, sondern zuvorderst ein Dissens über das frei handelnde Subjekt: Je monistischer die Philosophie des Geistes formuliert und je „reduktionistischer” - etwa als Summe seiner mikro-psychophysischen Konstituenten - das Subjekt verstanden wird, desto näher liegt ein Kompatibilismus von Freiheit und Determinismus.
Von hier her wird verständlich, warum der konstitutive Panpsychismus mit der kompa- tibilistischen Freiheitskonzeption so gut verträglich ist - der konstitutive Panpsychismus ist diejenige der beiden Spielarten panpsychistischer Positionen, deren Pendel im Zweifelsfall in Richtung eines reduktionistischen Monismus ausschlägt. Zwar lehnt auch der konstitutive Panpsychismus eine Reduktion mentaler auf physische Prädikate entschieden ab, aber er besteht doch, wie oben gesehen, auf einer Art „Intra-Attribut-Reduktionismus”: Mentale Makro-Fakten, handelnde Subjekte mit ihren Wünschen, Überzeugungen und Entscheidungen eingeschlossen, sind auf mentale Mikro-Fakten reduzierbar; letztlich bin ich die Summe der (oder einiger der), sowohl mit physischen als auch phänomenalen Eigenschaften versehenen, kleinsten Bausteine meines Körpers. Dies gegeben, greift eines der wesentlichen pro-kompatibilistischen Argumente: Es gibt keinen Standpunkt, von dem aus ich die Bestimmtheit des Stroms des natürlichen Geschehens, dessen Teil ich bin, als prinzipiell meine Freiheit verunmöglichend begreifen könnte.
So wie im Panpsychismus eine stufenweise Entwicklung geistiger Eigenschaften von den unteren zu den oberen Ebenen im allgemeinen angenommen wird, muss dies auch für die Freiheit im speziellen gelten. Auf der untersten Ebene liegen ein Rudiment an „Spontaneität” und „Selbst-Bestimmung”, und eine Art von „Proto-Entscheiden”, vor - im kompati- bilistischen Paradigma verstanden nicht als indeterministischer Zufallsprozess, sondern als richtige Art des Bestimmtseins durch Vorbedingungen -; und von Freiheit im vollen Sinn kann man, wie beim Begriff der Vernunft, vielleicht nur auf der Ebene des (erwachsenen, psychisch gesunden) Menschen sprechen.
Neben dieser gewissermaßen „vertikalen” Stufung der Freiheit kann das konstitutiv-pan- psychistische Modell aber auch der Tatsache einer „horizontalen” Stufung gerecht werden: Die Freiheit des Handelns und Entscheidens kann, auch auf der Ebene des menschlichen Subjekts, im Einzelfall mehr oder weniger verwirklicht sein - je mehr oder weniger die Kriterien etwa der Urheberschaft, der alternativen Handlungsmöglichkeiten und des Zusammenhangs von Entscheidung und Überlegung erfüllt sind. Es ist ein Spezifikum kompatibilistischer im Gegensatz zu inkompatibilistischen Positionen, Freiheit nicht binär - als entweder abwesend oder vollständig vorhanden - zu modellieren, sondern eine Graduierung vorzusehen, bei der Freiheit in ihrer vollkommenen Ausprägung ein Stück weit als ein Ideal zu verstehen ist, das unter Umständen nie ganz erreicht wird.285
Zusammenfassend, der konstitutive Panpsychismus kann eine gewissermaßen natürliche Verbindung mit dem kompatibilistischen Modell von Freiheit und Determinismus eingehen. Freie Handlungen und Entscheidungen sind gekennzeichnet durch eine bestimmte Art und Weise der Bedingtheit durch Gründe, die sich letztlich auf eine Bedingtheit durch ein Zusammenspiel oder eine Konstellation von Ursachen reduzieren lässt. Vor-Formen von durch vernünftige Gründe bestimmten Entscheidungen, für die durchgängige, wirkursächlich verstandene Bedingtheit - sei sie streng deterministisch oder probabilistisch - nicht Gegensatz, sondern Voraussetzung ist, finden sich auf allen Ebenen der Natur. Freiheit entwickelt sich kontinuierlich von der untersten (Mikro-) bis zur uns vertrauten Makro-Ebene, und bindet sich naht- oder bruchlos in die natürliche Welt ein. So, wie alle natürlichen Attribute in Schattierungen auftreten und in ihrer Reinform eher als Idee oder als Abstraktion zu verstehen sind, ist auch die Freiheit menschlicher Handlungen und Entscheidungen nicht in dichotomer Klassifizierung zuschreibbar, sondern kann immer mehr oder weniger verwirklicht und entfaltet werden.
Ein Stück weit liegt hier allerdings eine Kritik aus physikalistischer Perspektive nahe, die nicht auf das (prinzipiell gut zu vertretende) kompatibilistische Freiheitsverständnis, sondern auf die Notwendigkeit seiner (konstitutiv-)panpsychistischen Einbettung abzielt. Alyssa Ney hat in diesem Sinn eine Replik auf Philip Goffs Versuch, den Panpsychismus als privilegierte Position in der Philosophie des Geistes zur Fundierung unter anderem von freiem Handeln und Entscheiden zu beschreiben, formuliert.286 Ney bezieht sich hier freilich nicht explizit auf Goffs panlibertarisches Konzept, das dieser gewissermaßen als konditionales Argument verteidigt und das ich im nächsten Abschnitt diskutieren möchte287, sondern auf seine an anderer Stelle288 vorgenommene Charakterisierung des freien Willens als an Gründen orientiert bzw. „reasons-responsive”, die ja gerade ein typisches Merkmal kompatibilis- tischer Positionen ist. Die so verstandene panpsychistische Freiheitsidee, so Ney, fügt gerade nichts sinnvolles, metaphysisch neues (aber einige erheblich problematische zusätzliche Annahmen) zu einem physikalistischen Kompatibilismus - der die vielleicht am häufigsten vertretene Kombination in der Freiheitsfrage in der Philosophie des Geistes darstellt - hinzu, da die als geschlossen beschreibbaren physischen Kausalstrukturen auch im (konstitutiven) Panpsychismus intakt bleiben. Ähnlich wie bei der Frage nach objektiven Werten oder dem Streben nach einer „besseren Welt” kommt Ney zu dem Schluss, der Panpsychismus biete auch hier keinerlei relativen Benefit über (aus systematischen Gründen für plausibler zu haltende) physikalistische Entwürfe.
Eine Entgegnung hierauf lässt sich aus pro-panpsychistischer Sicht vielleicht wie folgt formulieren. Dass der konstitutive (Mikro-)Panpsychismus Parallelen zum Physikalismus aufweist, ist kein Zufall; er teilt mit diesem gerade das Bestreben nach einem einheitlichen, ontologisch sparsamen und gewissermaßen „eleganten” Bild der Welt - mit dem gewichtigen Unterschied, dass dem wichtigsten und unserem Bild der Welt überhaupt grundlegenden Phänomen, dem bewussten Erleben, im Panpsychismus ausreichend Rechnung getragen wird. Die kompatibilistische Freiheitsposition, die freies Handeln und Entscheiden als ein durch vernünftige Gründe bedingtes Geschehen modelliert, scheint hierbei aber nur auf den ersten Blick mit dem Physikalismus nahtlos zu vereinbaren. Es lassen sich nämlich zwar auch für den konstitutiven Panpsychismus Gründe letztlich zu Ursachen „naturalisieren”, aber eben nur unter der Prämisse des „liberalen Naturalismus”, der qualitative, irreduzible mentale Qualitäten als integralen Teil des Natürlichen begreift. Damit ist der Begriff der Orientierung an Gründen aber seinerseits im physikalistischen Rahmen nicht adäquat einzuholen, da jener eine potentiell bewusste Einsicht in die (guten) Gründe voraussetzt. Tatsächlich, kann man im Sinn der panpsychistischen Position sagen, besteht der Unterschied zwischen Gründen und Ursachen gerade darin, dass Gründe sich nicht als sozusagen vollständig anonymes Geschehen vollziehen, sondern im Gegensatz zu Ursachen die Einsicht durch ein (geistiges) Subjekt begrifflich voraussetzen. So verstanden, kann es im physikalistischen Rahmen zwar Ursachen, aber nicht eigentlich Gründe geben - und damit ist einem (kompatibilistischen) Freiheitsverständnis, das Freiheit als Orientierung an vernünftigen Gründen versteht, der Boden entzogen.
4.2.3 Nicht-konstitutiver Panpsychismus und Inkompatibilismus
Während sich die konstitutiv-panpsychistische Ontologie also relativ gut mit einem kompa- tibilistischen Freiheitsverständnis verbinden lässt, ist für den nicht-konstitutiven oder emer- genten Panpsychismus eher die inkompatibilistische Konzeption der Freiheit - in der liber- tarischen Auslegung - naheliegend. Dies möchte ich im folgenden ausführen.
Es ist das Proprium der emergent-panpsychistischen Position gegenüber ihrem konstitutiven Widerpart, etwa menschliche Subjekte und ihre mentalen Attribute eben nicht als konstituiert durch die mentalen Eigenschaften der Mikro-Ebene anzusehen, sondern - möglicherweise indeterministischen Gesetzmäßigkeiten folgend - als durch sie verursacht, und damit als im Verhältnis zur Mikro-Ebene - stark, aber nicht „super-stark” - emergent. Man könnte auch sagen: Während der konstitutive Panpsychismus keinen Inter-, wohl aber einen Intra-Attribut-Reduktionismus zulässt, gibt es für den nicht-konstitutiven bzw. emergenten Panpsychismus keine Inter-, wohl aber eine Intra-Attribut-Emergenz.
Der emergente Panpsychismus lehnt damit die Mikrodeterminationsthese ab: Höherstufige Subjekte wie Menschen und Tiere sind etwa in ihrem Verhalten und ihren Entscheidungen nicht durch die Gegebenheiten der Mikro-Ebene festgelegt, sondern können vielmehr selbst, durch eine Form der Abwärtsverursachung, auf diese zurückwirken. Wenn weiter oben gesagt wurde, dass es - für das kompatibilistische Freiheitsparadigma - keinen Standpunkt gibt, von dem aus sich die durchgängige Bedingtheit allen Geschehens (freie Handlungen und Entscheidungen eingeschlossen) als prinzipiell problematisch erweisen könnte, so wird man aus nicht-konstitutiv-panpsychistischer Perspektive sagen: diesen Standpunkt gibt es; es ist der Standpunkt des emergenten Subjekts. Je unabhängiger, je emergenter das erlebende und handelnde Subjekt von seiner - mikrophysischen und mikropsychischen - Basis verstanden wird, desto eher wird man das libertarische Freiheitsmodell favorisieren.
Es gibt ein Argument für den Inkompatibilismus, das über die Prämissen und über die Intuitionen hinter dem oben behandelten Konsequenzargument hinaus geht. Es ist kein explizit panpsychistisches Argument; aber es ist mit einer (emergent-)panpsychistischen Perspektive natürlicherweise verträglich, sodass es hier vorgestellt werden soll. Sein Grundgedanke ist folgender: Das Konsequenzargument ist unvollständig, wenn nicht sogar falsch; denn während seine Vertreterinnen und Vertreter - zurecht - annehmen, dass es freie Handlungen in einer vollständig determinierten Welt nicht geben könnte, nehmen sie doch - zuunrecht - an, dass es unfreie Handlungen in einer vollständig determinierten Welt durchaus geben könnte. Zur Diskussion stehen nämlich immer nur die Bedingungen der Möglichkeit der Freiheit einer Handlung - und nicht die Bedingungen der Möglichkeit der Handlung selbst. Das Konsequenzargument geht damit von einer falschen Voraussetzung aus: Die Konfliktlinie verläuft nicht (erst) zwischen Determinismus und Freiheit, sondern schon der Begriff einer - nicht notwendig freien - Handlung, abstrakter gesprochen: von menschlicher (und auch tierischer) Handlungsfähigkeit, von „agency”, kann im deterministischen Rahmen nicht adäquat verständlich gemacht werden.
Dieses Argument für den Inkompatibilismus, der hier nicht (primär) ein Inkompatibi- lismus von Determinismus und Freiheit, sondern von Determinismus und Handeln - oder: von Determinismus und Tätigsein - ist, geht von der begrifflichen Beobachtung aus, dass es unserem Handeln wesentlich ist, dass es an uns liegt, ob und wie wir handeln. Das Attribut des An-uns-liegens ähnelt dem weiter oben besprochenen Merkmal der Urheberschaft freier Handlungen und Entscheidungen; aber es sind doch nicht nur die freien Handlungen - sagt das Argument -, die „an uns” als Urheberinnen und Urhebern liegen, sondern es ist in der Bestimmung, dass etwas meine Handlung ist, bereits enthalten, dass die Ausführung dieser - freien oder unfreien - Handlung an mir liegt. Wenn aber - wie es der universale Determinismus postuliert - der Urzustand der Welt zusammen mit den geltenden Naturgesetzen eindeutig festlegt oder festgelegt hat, wie es sich für alle Zeit verhält, dann kann es nichts mehr geben, das „an mir” läge - und damit auch keine Handlung.
Wenn wir weiterhin, einem liberalen Verständnis des Handlungsbegriffs folgend, diesen eben sehr weit fassen und zum Begriff der Tätigkeit nicht mehr scharf abgrenzen, und so etwa auch das Springen eines Eichhörnchens oder das Röhren eines Hirschs darunter fassen, dann kann die (ohnehin wahrscheinlich systematisch zumindest fragliche) Idee eines allzu scharfen Übergangs, eines Bruchs zwischen der - deterministischen Gesetzen folgenden und Freiheit und Handlungsfähigkeit ausschließenden - nicht-menschlichen Natur und uns - frei handelnden und entscheidenden - Menschen zurückgewiesen werden. Schon der Begriff eines tätig-seienden Subjekts - und damit, könnte man sagen, eigentlich der Begriff des Subjekts überhaupt - erweist sich als nicht mit dem Determinismus vereinbar.
Helen Steward hat dieses Argument ausformuliert, und so einen möglichen metaphysischen Rahmen einer (inkompatibilistischen) Freiheitskonzeption abgesteckt.289
Sie geht von einer Analyse des Begriffs des Handelns aus, das sie als „settling of matters” charakterisiert: Es ist konstitutiver Bestandteil unseres Handlungsverständnisses, dass wir im Handeln Dinge oder Sachverhalte festlegen, die zuvor - in einem substantiellen oder echten Sinn - offen waren.290 Den oben besprochenen Aspekt des „an uns”- oder „an mir”-Liegens bringt sie darin eindeutig zum Ausdruck: „action is tobe thought of as an input into the course of events such that it is essentially up to its agent whether or not it occurs”.291 Das Adverb „essentially” zielt auf den Unterschied zu einer möglichen deterministischen bzw. kompati- bilistischen Lesart der Urheberschaft: Es geht nicht einfach nur darum, dass ich, gewissermaßen durch die richtige Art der Verbindung zwischen Überlegen, Entscheiden und Tun, an der Ausführung meiner Handlung beteiligt bin - dass ich mit meiner Entscheidung, im Tugendhat’schen Bild, der „Knoten” im Bindfaden der Ereignisse bin -, sondern es geht darum, dass ich als eine Art letzter oder „wesentlicher” Urheber meine Handlung verursache oder ausführe.292
Dieser Inkompatibilismus von Handeln und Determinismus hat allerdings - auch wenn Steward, wie sie sagt, eine „resolut nicht-dualistische” Position vertritt293 - einige voraussetzungsreiche systematische Implikationen.
Der beschriebene „Eingriff in den Verlauf der Ereignisse” setzt voraus, dass das handelnde Subjekt von diesen Ereignissen verschieden ist und von höherer Ebene auf sie einwirken kann; und das bedeutet eine Form sowohl der Akteurs- als auch der Abwärtsverursachung. Steward unterscheidet hierbei zwei gleichermaßen umstrittene, aus ihrer Sicht aber unterschiedlich problematische Fragen: Die der bloßen Existenz oder Intelligibilität von Akteursverursachung, oder Substanzverursachung allgemein, und die der kausalen Wirksamkeit einer „großen” Substanz (wie die eines handelnden Subjekts) über die Kausalität der vielen (kleinen) Substanzen, die ihre Teile bilden, hinaus. Während sie ersteres, Substanz- und Akteurskausalität, für gleichermaßen omnipräsent wie unproblematisch hält, ist das zweite - die Möglichkeit und Intelligibilität von Abwärtsverursachung - die ungleich schwierigere philosophische Frage.
Substanzverursachung beschränkt sich nach Steward nicht auf den eng abgegrenzten Bereich menschlichen und tierischen Handelns; auch ganz unkontrovers als unbelebt angesehene Objekte wie ein Ball oder ein Fluss üben regelhaft Substanzverursachung aus, die damit ubiquitärer Bestandteil unserer Wirklichkeit ist. Verursachung, sagt sie, sollten wir nicht als eineindeutigen Begriff, etwa im Sinn der Ereigniskausalität, verstehen, sondern eher als Kategorie eines ontologisch flexiblen (Dach-)Konzepts.294 Im Sinne eines solch pluralen Konzepts charakterisiert Steward eine dreifache kausale Ontologie aus „movers” - den Dingen oder Substanzen -, „matterers” - den (kausal relevanten) Fakten - und „makers-happen” - den einzelnen Ereignissen, die eine Substanz zur Verursachung veranlassen.295 Die verschiedenen Typen von Ursachen sind, obwohl miteinander verwandt und manchmal überlappend, nicht aufeinander reduzierbar.
Eine stimmige Idee der Möglichkeit von Abwärtsverursachung dagegen, d.h. eine Vorstellung davon, wie ein Ganzes - ein handelndes menschliches oder tierisches Subjekt - eine eigene kausale Wirksamkeit über diejenige seiner Teile hinaus ausüben kann, ist weit schwieriger zu entwickeln. Im Kern geht es um die Frage, ob und wie sich ein handelndes Subjekt von einem rein mechanistisch über das Zusammenspiel seiner Teile erklärbaren materiellen Konglomerat unterscheidet; Steward nennt das Beispiel der Waschmaschine, „deren Aktivitäten wirklich die Summe aller verbundenen Aktivitäten ihrer Teile sind ” - sodass es hier nichts gibt, was buchstäblich an ihr, an der Waschmaschine (als solcher) läge.296
Wenn das Subjekt als ein Ganzes, über die Effekte seiner Teile hinaus, einen Unterschied machen soll, so lautet der naheliegende Einwand, dann müssten hierfür unplausiblerweise die Gesetze der Physik auf der unteren Ebene - durch den abwärtsverursachenden Eingriff von „oben” - verletzt werden. Steward weist dies zurück: Die Gesetze der Physik seien keine strikten Vorgaben, die auf der und für die Elementarebene eindeutig festlegten, wie es sich verhält, sondern eher Beschränkungen, innerhalb derer sich physische Objekte - und Subjekte - bewegen können. Steward unterscheidet, ein Zitat von Anscombe aufgreifend, zwei Lesarten des Begriffs der „hinreichenden Bedingung”: die stärkere Lesart als notwendig machende (erzwingende) Bedingung, und die schwächere Lesart als ausreichende (aber nicht erzwingende) Bedingung. Übertragen auf die (physischen) kausalen Verhältnisse der Elementarebene bedeutet dies: Eine Verallgemeinerung der ersten, stärkeren Lesart setzt den - in dem gegebenen Fall ja erst zur Frage stehenden - Determinismus bereits voraus. Ein Verständnis der elementaren Kausalprozesse im Sinn der zweiten Lesart aber ist prinzipiell offen für andere kausale Einflüsse - etwa diejenigen höherstufiger Subjekte.297 Die Ablehnung von Abwärtsverursachung als Verletzung der Gesetze der Physik erscheint nur sinnvoll, wenn wir - in einer petitio principii - den Determinismus bereits vorausgesetzt haben; und damit kann eine prinzipielle Möglichkeit des genuinen Ursächlich-werdens handelnder Subjekte als solcher nicht ausgeschlossen werden.
Für den vorliegenden Kontext wichtig ist, dass Stewards Entwurf prinzipiell in Richtung einer panpsychistischen Konzeption weiterentwickelt werden könnte. Handlungsfähigkeit - und auch eine (schwache) Form von Freiheit - lokalisiert sie explizit, in abgestufter Weise, auch in der nicht-menschlichen Natur. Diese „animal agency” ist intuitiv naheliegend für die höher entwickelten Tiere; Säugetieren etwa schreiben wir ganz natürlich einen Freiheitsspielraum, eine Wahl zwischen verschiedenen Möglichkeiten bei der Fortbewegung, der Jagd auf Beute oder dem Paarungsverhalten zu. Wenn wir die „Leiter” der Lebewesen dann weiter hinabsteigen, so Steward, werden unsere Intuitionen hinsichtlich der Handlungsfähigkeit weniger klar: unbestritten scheint, dass diese nach und nach schwindet - und vermutlich an irgendeinem Punkt, auch wenn wir ihn nicht genau bestimmen können, ganz endet. Das Bewegungs- und Jagdverhalten einer Spinne etwa spricht eindeutig dafür, diese noch als „Handelnde” - im oben beschriebenen sehr weiten Sinn - zu klassifizieren; den Regenwurm hingegen nennt sie als ein Beispiel, für das die Einordnung weniger klar scheint.298 Im Fall des Pantoffeltierchens wiederum ist es eindeutig, dass dieses nicht zu Handlungen, Urheberschaft oder Freiheit fähig ist.299
Steward vertritt damit zwar dezidiert keinen „Pan-”, aber doch, wenn man es so sagen möchte, einen „Polypsychismus”, der geistige Eigenschaften und Fähigkeiten wie Absichten, Handlungen und das Wählen zwischen verschiedenen Alternativen auf mehreren Ebenen der Natur zulässt - und der letztlich ähnlichen Intuitionen wie denjenigen hinter dem panpsychistischen Argument folgt: dass die Annahme eines scharfen Bruchs zwischen nichtmenschlicher und menschlicher Natur vermieden und eine graduelle Stufung der natürlichen Welt - und der geistigen Attribute als integralem Bestandteil der natürlichen Welt - angenommen werden muss.
Man könnte sagen: Aus panpsychistischer Sicht geht Steward nicht weit genug. Es ist richtig, geistige Eigenschaften als nicht reduzierbare, aber vollständig natürliche Bestandteile der Wirklichkeit aufzufassen; und es ist richtig, hier eine Stufung von den einfacheren hin zu den komplexeren Entitäten anzunehmen. Wenn wir aber, wie bei Steward, einen Punkt postulieren - auch wenn wir seine genaue Lokalisation in der Hierarchie der Individuen nicht angeben können -, an dem gewissermaßen ein Umsprung stattfindet und zu einem eben noch ausschließlich materiell charakterisierten und hinlänglich mechanistisch erklärbarem Prozess geistige Eigenschaften hinzutreten, die diese mechanistische Erklärung dann ad absurdum führen, dann muss wieder ein, wenn auch „weicher” doch mutmaßlich unintelligibler, Bruch konstatiert werden. Wenn - beispielsweise - der Regenwurm den Scheidepunkt markiert, muss also angenommen werden, dass die Lebewesen knapp darunter vollständig mechanistisch (per „Algorithmus”, wie Steward sagt) verstanden werden können; knapp darüber aber nicht mehr. Auch für die (Onto-)Genese jedes höheren Lebewesens muss gelten: Es gibt einen Punkt, an dem das sich entwickelnde Gehirn von einem gänzlich geistlosen, aufwärts-determinierenden Gesetzen folgenden materiellen Konglomerat unvermittelt auf ein im Rahmen einer indeterministischen Ontologie abwärtsverursachendes „Ganzes” umspringt.
Diese aus konstitutiv-panpsychistischer Sicht schwer zu akzeptierende Emergenz wird auch zu nicht-konstitutiv- bzw. emergent-panpsychistischen Entwürfen in einem potentiellen Spannungsverhältnis stehen; aber hieran ist sie, glaube ich, eher anschlussfähig. Ich möchte daher im folgenden die hieran anknüpfende Ausarbeitung möglicher emergent-pan- psychistischer Positionen hinsichtlich Handlungsfähigkeit und (libertarischer) Freiheit darstellen.
David Ray Griffin, auf dessen panexperientialistischen Ansatz oben bereits Bezug genommen wurde, räumt der Freiheitsfrage einen zentralen Stellenwert ein. Sie stellt für ihn, neben dem „harten Problem” des Bewusstseins, die zweite „Dimension” des Leib-Seele-Problems dar.300 Direkt zu Beginn macht er deutlich, dass es ihm hierbei um inkompatibilistisch-liber- tarisch verstandene Freiheit geht - diejenige Freiheit, die wir „unvermeidbar in unserer alltäg- lichen Praxis voraussetzen”.301 Die Idee kompatibilistisch verstandener, d.h. mit dem Determinismus prinzipiell zu vereinbarender Freiheit, so Griffin, sei nicht einfach unzureichend, sondern falle letztlich mit einem Freiheits-Eliminativismus in eins.
Griffin entwickelt seine panexperientialistische Metaphysik der Freiheit ausgehend von fünf physikalistischen Prinzipien - fünf Prinzipien, die für ihn vollständig zurückzuweisen sind:
„1. The behavior of physical entities, such as atoms and molecules, is entirely determined by the laws of physics and chemistry and is therefore fully deterministic. [...]
2. The human body is composed entirely of atoms and their subatomic constituents.
3. There is no ,mind’ distinct from the brain.
4. Even if (per impossibile) there were a mind distinct from the brain, it would not be capable of self-determining freedom. [...]
5. Even if (per impossibile) there were a distinct mind capable of self-determining freedom, it would be capable of determining only some of its one states, not those of the body. [...]”302
Griffins so (zunächst negativ) beschriebener Panexperientialismus weist prima facie eine Nähe zu dualistischen Positionen aus, und ist sicherlich als nicht-konstitutiver Panpsychismus zu klassifizieren. Ich möchte seine Argumente für die Zurückweisung der fünf Prinzipien diskutieren.
Das erste Prinzip drückt die Ideen der (synchronen) Aufwärtsdetermination und des (diachronen) Determinismus aus: Die Ebenen der Chemie und der Physik bestimmen, wie es sich auf allen anderen Ebenen verhält, und sind ihrerseits diachron über deterministische Gesetze miteinander verbunden. Griffin hält dem die Auffassung entgegen, dass die Naturgesetze weniger als Präskriptiva zu verstehen seien, die in einem deterministischen Sinn festlegten, dass und wie sich ein Zustand der Welt aus seinem jeweiligen Vorzustand entwickelt, sondern eher als „Angewohnheiten” der Natur, sozusagen als die Beschreibung gewisser Regelmäßigkeiten im Verhalten natürlicher Substanzen, das aber prinzipiell einer möglichen freien (oder „proto-freien”) Variation unterliegt.303
Das zweite und das dritte Prinzip drücken noch einmal die physikalistische Grundannahme aus: Wir als Menschen bestehen vollständig aus Partikeln von Materie, und einen „Geist”, der über diese hinaus ginge, gibt es nicht. Das vierte und das fünfte Prinzip stellen die aus physikalistischer Perspektive vorgenommene reductio ad absurdum der dualistischen Position dar: Selbst wenn es so etwas wie einen vom Gehirn verschiedenen Geist gäbe, könnte er keinen Einfluss auf die (materielle) Welt haben - und die Idee einer Entität, die keinen Einfluss auf die Welt hat, ist wahrscheinlich inkohärent (denn schon dem Erkennen, dass es eine solche Entität gibt, liegt eine basale Einflussnahme zugrunde); zumindest aber ist die Annahme ihrer Existenz unintelligibel.
Der Kern der Gegenthese zu diesen Prinzipien, wie sie Griffin formuliert, ist die Annahme eines von seiner materiellen Basis (numerisch) verschiedenen Geistes. Im Sinne des nichtkonstitutiven Panexperientialismus wird hier häufig der Satz Whiteheads von den „vielen, die eines werden, und (wiederum) um eines vermehrt werden” aufgegriffen.304 305 Griffin entwickelt das Konzept des Geistes als „distinct actuality” ausgehend von der Einheit des phänomenalen Erlebens: Diese Einheit scheint der Reduktion geistiger Attribute auf ihre materielle Basis angesichts des vollständig aggregationalen Charakters etwa neuronaler Strukturen entgegen zu stehen. Zugleich handelt es sich nicht nur um eine Einheit des Erlebens, sondern auch um eine Einheit des Tuns: Als handelnde Subjekte erleben wir uns als einheitliche Urheberinnen und Urheber unseres Handelns und Entscheidens; und umgekehrt ist es gerade die Tatsache, dass unser qualitatives Erleben handlungswirksam werden kann, die es uns als einheitlich erfahren lässt.306
Den wesentlichen Grund dafür, den Geist als etwas numerisch Verschiedenes von der Materie aufzufassen, arbeitet Griffin im Anschluss an die Whitehead’sche Metaphysik hierbei wie folgt heraus: Materialismus und Dualismus gleichermaßen legten den falschen „Maßstab der Wirklichkeit” („standard of actuality”) an - indem sie nämlich rein räumliche, geistlose „Teilchen” als paradigmatische wirkliche Einheiten ansehen. Dieses wurde weiter oben bereits als von Whitehead so genannten „Fehlschluss der falschen Konkretheit” - als das fälschliche Für-wirklich-halten eines abstrahierenden Konzepts - charakterisiert. Vielmehr, argumentiert Griffin, würde ein Ansatz, der sich eine im echten Sinn empirische Herange- hensweise zueigen machte, es erfordern, ein Moment unserer eigenen Erfahrung als „Maßstab der Wirklichkeit” zugrunde zu legen: „our own subjective experience is what is most immediatley given to us and as such should be the starting point of our analysis of what actual things are really like”.307
Griffin führt nun seinen Entwurf eines nicht-konstitutiven Panexperientialismus entlang der Linien der Whitehead’schen Metaphysik weiter und detaillierter aus. Letztlich ist, gewissermaßen als Hintergrund aller systematischen Ausarbeitung, sein wesentliches - und bestes - Argument gegen die fünf physikalistischen Prinzipien, und für die panexperientialistische Variante einer libertarischen Freiheitskonzeption, das folgende: Wir können nicht anders, als uns selbst als, zumindest potentiell, in einer indeterministischen Welt frei handelnde und entscheidende Akteure zu verstehen - es handelt sich um eine nicht hintergehbare Grundvoraussetzung unseres alltäglichen Handelns, um eine, wie Griffin sagt, „hard-core common sense notion”. Ähnlich wie Whitehead, der an einer Stelle - wie weiter oben angesprochen - etwas ironisch auf den (hypothetischen) Wissenschaftler Bezug nimmt, der ein Experiment entwirft mit dem Zweck zu zeigen, dass es keine Zwecke in der Natur gibt, schildert Griffin die (tatsächliche) Konversation mit einem Wissenschaftler, der die fünf genannten Prinzipien klar bejaht, aber dem nun der Widerspruch zu seinem eigenen Selbstverständnis, das ja überhaupt die Basis für seine wissenschaftliche Tätigkeit darstellt, deutlich wird:
„,You assume, don’t you’, I asked, ,that the physical processes you study are fully determined by antecedent causes?’ [...] He replied that that indeed is what he assumed. I then said that I presumed he was not a dualist, that he did not believe in a nonphysical soul or mind. He said that absolutely he was not a dualist. ,Does the combination of those two principles’, I concluded, ,not imply that your own behavior is as fully determined as that of the physical processes you study?’ At this point he turned white, saying that he had never thought of that [...].”308
Griffin kommt damit zu dem Schluss, dass „ein auf dem Panexperientialismus basierender Identismus” - und dies lässt sich wohl als Umschreibung der hier als konstitutiv-panpsychis- tisch bezeichneten Position verstehen - zwar sicherlich nicht alle Probleme der materialistischen Identitätstheorie übernehme - namentlich stellen sich ihm die mit der reduktionis- tischen These verbunden Probleme nicht -; aber ein solcher (konstitutiver) Panpsychismus könne doch „weder der Einheit unseres Erlebens und unseres Verhaltens, noch [...] unserer Freiheit gerecht werden”.309
Manuel Zorzi hat in seiner Dissertation ein Konzept der Willensfreiheit verteidigt, das auf der libertarischen Position Robert Kanes basiert und diese in den panexperientialistischen Rahmen der Whitehead’schen Metaphysik einordnet310 ; es schließt damit an die emergent- panpsychistischen und libertarischen Überlegungen bei Griffin an.
Ausgangspunkt ist die - jeder libertarischen Konzeption in der einen oder anderen Form wesentliche - Idee eines „Tertiums” zwischen Zufall und Notwendigkeit, eines Moments von nicht-determinierter, aber (gut) begründeter Selbst-Bestimmung. Kane prägt hier die Begriffe der „self-forming actions” und „self-forming willings”, die von Zorzi als „charakterformende (Willens-)Handlungen” übersetzt werden.
Den charakterformenden Handlungen ist wesentlich, dass sie eine ultimative Urheberschaft des Handelnden über sein Wollen erlauben: Im Rahmen eines von Kane so bezeichneten inneren „Konflikts” formt sich der Wille und damit auch der oder die Handelnde letztlich selbst - ohne dass der Ausgang dieses Konflikts im Vorhinein festgelegt wäre. Man könnte auch sagen, dass es sich bei den charakterformenden Handlungen um eine Art unableitbarer Entscheidungen handelt - Entscheidungen also, die nicht mit Notwendigkeit durch vergangene Ereignisse bestimmt und aus ihnen abgeleitet oder vorhergesagt werden können, aber doch eben Entscheidungen sind, die mithin aus einem vernünftigen Prozess des Abwägens von Gründen nicht-zufällig hervorgehen und als solche in eine sich aus der Vergangenheit des handelnden Subjekts ergebende Struktur an Zielen und Motiven eingebettet und von hier aus auch prinzipiell erklärbar sind.311
Folgt man dem Ansatz Kanes, führt die Freiheit der im libertarischen Paradigma prinzipiell indeterministisch konzipierten charakterformenden Handlungen potentiell zu einer, gewissermaßen abgeleiteten, Freiheit auch dann als deterministisch begriffener Handlungen oder Entscheidungen: Es kann sein, dass die Gesamtheit meiner Präferenzen und Motive, eben mein Charakter, in einer bestimmten Handlungssituation gar keine andere Möglichkeit zulässt, als diejenige Entscheidung zu treffen, die ich tatsächlich treffe - und der Ausspruch „Ich stehe hier, ich kann nicht anders” dann, ganz wie im kompatibilistischen Paradigma, Ausdruck eines (im substantiellen Sinn alternativlosen) Bestimmtseins des Handelns und Entscheidens durch (gute) Gründe ist. Wenn hierbei der Tatsache, so Kane, dass gerade diese und nicht andere meine Gründe, Motive und Präferenzen sind, eine vergangene charakterformende (oder „selbstformende”) Handlung zugrunde liegt, dann kann eine Handelnde oder ein Handelnder auch im Fall (zum Zeitpunkt der Handlung) determinierter Handlungen oder Entscheidungen Willensfreiheit ausüben.312
Manuel Zorzi verbindet nun die Position Kanes mit den Panexperientialismen von Whitehead und Gregg Rosenberg, und versucht so zu zeigen, wie libertarisch verstandene Selbstdetermination in der natürlichen Welt verankert sein könnte. Unter Rückgriff auf die Quantentheorie wird die Zustandsreduktion eines physikalischen Teilchens - das, in seiner Wellennatur, eine Superposition seiner verschiedenen möglichen Zustände darstellt - zu einer Art paradigmatischem Fall von Selbstbestimmung auf der Mikro-Ebene: Im und durch den Messvorgang werden die möglichen Zustände des Teilchens auf einen (tatsächlichen) Zustand reduziert - ohne, dass im Rahmen der, aus der Perspektive der dritten Person formulierten, physikalischen Theorie eine hinreichende Ursache für diese Zustandsreduktion angegeben werden könnte.313
Zorzi nimmt auf Rosenbergs Begriff des natürlichen Individuums Bezug, und verbindet ihn mit Whiteheads Konzeption der aktualen Entität zur Idee des „dynamischen Individuums”: Dynamische Individuen sind Superpositionen ihrer möglichen Zustände; sie strukturieren auf verschiedenen Ebenen das kausale Netz der Wirklichkeit. Ähnlich den natürlichen Individuen bei Rosenberg beschränken sich die dynamischen Individuen derselben Ebene wirkursächlich, während sie für die dynamischen Individuen der jeweils niedrigeren Ebenen die Formursache, und für die dynamischen Individuen der jeweils höheren Ebenen die Materialursache darstellen.314
Der Schritt hin zur libertarischen Freiheitskonzeption ergibt sich daraus, dass das dynamische Individuum im Vorgang der Integration vergangener Individuen zu einem neuen Individuum (der „Konkreszenz”, wie Zorzi mit Whitehead sagt) unter den verschiedenen möglichen den schließlich tatsächlichen Zustand wählt, wobei es in dem angesichts prinzipiell indeterministischer Kausalzusammenhänge gegebenen Entscheidungsspielraum (oder „Möglichkeitsraum”) als formale Ursache seiner selbst, als causa sui wirken kann.315
Nach Zorzi folgt nun aus diesem libertarischen Moment der Mikro-Ebene ein potentieller Libertarismus der Makro-Ebene: Auf der Basis superpositionierter Mikro-Individuen ergeben sich mehrere mögliche Zustände für die Makro-Individuen, wobei hier die MakroIndividuen durch mentale Verursachung - verstanden als intentionale Selbstdetermination - den Mikro-Individuen formalursächliche Beschränkungen auferlegen.316
Zusammengefasst, auch wenn Rosenbergs und Whiteheads Panexperientialismen nicht per se auf ein libertarisches Freiheitsmodell festgelegt sind, können sie doch so verstanden und ausformuliert werden, dass die von ihnen postulierte komplexe Hierarchie von (auf allen Ebenen) erlebenden Individuen einen Möglichkeitsraum eröffnet, innerhalb dessen höherstufige Individuen als strukturierende Formalursache selbst-determinierende, und damit libertarisch-freie Entscheidungen prinzipiell treffen können. Der Panpsychismus begegnet uns hier als Panlibertarismus: Die Zustandsreduktion des Elementarteilchens ist, so verstanden, selbst ein (proto-)geistiger Akt.
Godehard Brüntrup hat ebenfalls ein metaphysisches Modell skizziert, das, auf Basis eines emergent-panpsychistischen „liberalen Naturalismus”, eine Freiheitskonzeption in liberta- rischer Prägung in der Ordnung der natürlichen Welt verankert.317
Leitmotiv hierbei ist die Integration libertarischer Handlungsverursachung in ein umfassendes Kausalitätskonzept, das die Einordnung von Akteurskausalität als eine Art Sonderfall „neben” Ereigniskausalität vermeidet. Eine Handlung wird verstanden als die Reduktion von Möglichkeiten im Rahmen eines (geistigen) Auswählens, als das physische Realisieren oder Konkretisieren einer Möglichkeit, die bislang, zusammen mit verschiedenen anderen Möglichkeiten, nur abstrakt und gewissermaßen als „offene” Möglichkeit gegeben war.
Dem Modell der kausalen Bedeutsamkeit oder kausalen „Signifikanz” folgend, wie es auch Rosenberg vorgeschlagen hat, kann ein auf der unteren Ebene postulierter Indeterminismus hierbei eine genuin eigene kausale Wirksamkeit der jeweils höheren Ebene sicherstellen, die aber eben nicht - einem mechanischen Hervorbringen analog - als Wirkursächlichkeit oder kausale Verantwortlichkeit interpretiert wird, sondern als „structuring cause” über eine Beschränkung der möglichen Zustände der Welt (auf der unteren Ebene) kausale Bedeutsamkeit ausübt.
Das Modell des kausalen Hervorbringens, das als Paradigma zum Verständnis der metaphysischen Grundstruktur von Kausalität abgelehnt wird - oder eher: als Sonderfall einer allgemeineren oder fundamentaleren Konzeption von Kausalität untergeordnet wird -, wird in mehrerlei Hinsicht durch das Modell der kausalen Bedeutsamkeit korrigiert: Kausalität, und damit auch die Kausalität höherstufiger, potentiell im libertarischen Sinn frei handelnder Subjekte, ist nicht (notwendig) asymmetrisch, hat keine zeitliche Richtung und kann prinzipiell non-lokal wirken.318 Damit wird die Idee von uns als libertarisch frei handelnden Personen verständlicher: Wir wählen unter mehreren, im Hinblick sowohl auf die Fakten der Vergangenheit als auch auf die Fakten der Mikro-Ebene gleichermaßen bestehenden Möglichkeiten, ohne dabei als „triggering cause” auf niedrigstufigerer - etwa neuronaler - Ebene im Sinne eines kausalen Hervorbringens einzugreifen.
Der oben geschilderten Argumentation Helen Stewards folgend, wird dabei das Konsequenzargument in einer Art erweiterten Fassung vertreten: Der Determinismus ist nicht nur mit freien Handlungen nicht vereinbar, sondern schon der Begriff einer Handlung im allgemeinen - ob frei oder nicht - lässt sich auf dem Boden einer deterministischen Auffassung nicht stichhaltig entwickeln. Das (Aus-)Wählen unter verschieden echten, durch Mikro-Ebene und Vergangenheit nicht eindeutig festgelegten Alternativen - wie durch das Modell der kausalen Signifikanz postuliert - begründet damit die Möglichkeit, überhaupt sinnvoll von „Handeln” (im Gegensatz zum bloßen Geschehen) sprechen zu können.
Der zugrunde gelegte „liberal-naturalistische” Panexperientialismus Whitehead’scher Prägung wiederum sichert die Verankerung in einer natürlichen Ordnung, die den so verstandenen Handlungsbegriff - und explizit auch eine Vor-Form libertarischer Freiheit - in abgestufter Weise auf allen Ebenen der Wirklichkeit realisiert sieht: Wir sind als (frei) handelnde Personen gewissermaßen das prominente Beispiel einer prinzipielle Handlungsfähigkeit auf allen Ebenen exemplifizierenden Natur; die „metaphysischen Grundelemente der Akteursverursachung in jeweils abgeschwächter Form” können auf „allen Stufen des Natürlichen aufgefunden werden”.319
An dieser Stelle wird noch einmal ein prinzipieller Gedanke und gewissermaßen ein Muster des Intelligibel-machens seitens panpsychistischer Positionen deutlich: Geistiges, hier li- bertarische Handlungsverursachung, wird konzipiert nicht als eine Art seltener Spezialfall im natürlichen Ablauf der Ereignisse, der zu dem sich sonst gänzlich ohne dieses geistige Element vollziehenden Ablauf noch irgendwie hinzutritt - eine solche, ad hoc anmutende Konzeption geistiger Eigenschaften ist ja ein wesentlicher Schwachpunkt etwa dualistischer Positionen -, sondern als grundlegende und in gewisser Hinsicht ubiquitäre Struktur oder Form der Wirklichkeit.
Diesen Punkt hat Philip Goff aufgegriffen, und das Argument für einen panpsychisti- schen Libertarismus gewissermaßen von der anderen Seite her aufgebaut: Wenn, sagt er, man einen Libertarismus vertreten möchte - dann ist der Pan libertarismus diejenige Position, die mit den plausibelsten (oder am wenigsten unplausiblen) Begleitannahmen einhergeht, da sie libertarische Entscheidungssituationen in ein kohärentes Gesamtbild der - libertarisches Auswählen in einer Vor-Form schon auf der untersten Stufe enthaltende - Wirklichkeit einzuordnen versucht.320
Goff spricht sich, gegeben die Vorentscheidung für eine libertarische Freiheitskonzeption, explizit für einen nicht-konstitutiven, also emergenten Panpsychismus aus, demgemäß handelnde (Makro-)Subjekte fundamentale - das bedeutet, letztlich nicht weiter reduzierbare - Entitäten sind.
Damit ergibt sich eine Art „Schichtung” der Wirklichkeit mit emergenten und potentiell libertarisch (proto-)freien Subjekten auf den verschiedenen Ebenen, und also eine metaphysisch sicherlich ein Stück weit voraussetzungsreiche Gesamtkonzeption. Dennoch ist der panlibertarische Entwurf, verglichen etwa mit dualistisch-libertarischen Positionen, systematisch erheblich stimmiger: Die Ausübung libertarischer Freiheit durch emergente Subjekte ist keine erst ab einer hohen Entwicklungs- und Komplexitätsstufe zum ansonsten durchgängig determinierten Naturgeschehen hinzutretende, rein menschliche Eigenschaft, sondern ein prinzipielles und ubiquitär anzutreffendes Merkmal der Natur.321
Vielleicht kann, abschließend, auch explizit von empirischer Seite Anschluss an die Vorstellung gestufter, libertarisch verstandener Freiheit gefunden, und freies Handeln als spontanes und „genuin neues” Entscheiden bereits in wirbellosen Tieren verortet werden - und dieses als gänzlich „biologisches Merkmal” allein im (natur-)wissenschaftlichen Bezugsrahmen verstanden werden322 ; wenngleich die Bemühung, einen Begriff vollständig „von seiner metaphysischen Herkunft zu lösen”, wie dort befürwortet, in aller Regel natürlich nicht zu einer fehlenden, sondern nur zu einer qualitativ schlechten Metaphysik führt.
Damit ist die Darstellung emergent-panpsychistischer Entwürfen libertarischer Freiheitskonzeptionen zu Ende geführt; ein kurzes Fazit zu Vernunft, Freiheit und Panpsychismus bildet den Abschluss des Kapitels.323
4.2.4 Fazit
Welches Fazit lässt sich zum Ende des Kapitels ziehen?
Freies Handeln und Entscheiden wurde in einem ersten Schritt verstanden als vernunftgeleitete Orientierung an Gründen - als „Selbstbindung” des Willens durch Gründe im Rahmen einer urheberschaftlichen Festlegung auf eine der verschiedenen möglichen Alternativen -, wobei zunächst offen blieb, ob diese Orientierung mit einem deterministischen Ablauf der Welt, das heißt einer eindeutig bestimmenden Beziehung von der individuellen Vorgeschichte der handelnden Person über ihre Gründe und Motive bis hin zu Entscheidung und eigentlicher Handlung, vereinbar ist, oder ob sie ein nicht-deterministisches - li- bertarisches - Auswählen zwischen verschiedenen echten, bis zum Zeitpunkt der Entscheidung metaphysisch gleichermaßen realen, Möglichkeiten voraussetzt.
Der Kompatibilismus optiert für die erste der beiden Positionen, und es sind einige unserer Intuitionen zur Bedingtheit unseres Entscheidens durch unser Überlegen, aber auch und insbesondere die aus der Außenperspektive formulierten Zuschreibungen der (empirischen) Wissenschaften, die diese Annahme der Verträglichkeit von Freiheit und Determinismus motivieren und sich den Kompatibilismus elegant in ein einheitliches und verhältnismäßig sparsames Weltbilds einfügen lassen. Nicht ohne Grund bietet der konstitutive Panpsychismus - gegeben die Offenheit gegenüber einem panpsychistischen Standpunkt - eine Art natürliche Ausformulierung der kompatibilistischen Idee: Er fügt sich ebenso elegant in das unsere Wirklichkeit prinzipiell von der Mikro- hin zu Makro-Ebene entwerfende (natur-)wissenschaftliche Verständnis ein, ohne deshalb die Existenz unseres reichhaltigen phänomenalen Erlebens in Frage stellen zu müssen.
Aus der Innenperspektive des handelnden Subjekts hingegen erfährt die zweite Position, der Libertarismus, seine Rechtfertigung: Wir können tatsächlich gar nicht anders, als im Moment und im Prozess des Entscheidens und Handelns die Zukunft für offen und die zur Disposition stehende Entscheidung für noch nicht getroffen zu halten; der Blick aus der Innenperspektive motiviert klar und gewissermaßen unumstößlich die Einschätzung Stewards, und auch etwa Griffins, der Indeterminismus sei eine unumgängliche oder unhintergehbare Grundvoraussetzung unseres Weltbilds. (Ohne Zweifel ist es möglich, auch die eigenen Entscheidungen rückblickend als vollständig bedingt durch das vorangegangene Überlegen, durch unsere Motive und Präferenzen zu verstehen - aber dies ist eben ein rückblickendes Verständnis, das die betreffende Entscheidung gerade nicht aus der Innen-, sondern aus der Außenperspektive nachvollzieht.) Wenn wir, so könnte man es formulieren, das Erleben unseres eigenen Handelns und Entscheidens aus der Innenperspektive heraus ernst nehmen, dann müssen wir ein libertarisches Freiheitsbild entwerfen - und dann ist, wie Philip Goff herausgestellt hat, der nicht- konstitutive Panpsychismus bzw. Panlibertarismus die vielleicht systematisch kohärenteste, in jedem Fall aber eine prinzipiell bedenkenswerte Position.
Offen bleibt, inwiefern eine Integration der Innen- und der Außenperspektive möglich ist. Manuel Zorzi etwa spricht davon, dass „in einer panpsychistischen Ontologie ein freier Wille durchaus mit beiden Perspektiven zu vereinbaren” sei: „[w]enn bei einer Beschreibung der Welt durch die Außenperspektive klar ist, dass ihr zur Erklärung einer freien Handlung etwas fehlt, das nur durch die Innenperspektive beschrieben werden kann, dann kann durch eine Integration beider Perspektiven eine freie Handlung verständlich gemacht werden.”324
Ich bin hier skeptisch: Innen- und Außenperspektive stellen zwei voneinander verschiedene und wahrscheinlich letztlich nicht zur Deckung oder zu einer Art widerspruchsfreiem Nebeneinander zu bringende Zugänge zur Welt dar - die nicht einfach dergestalt verstanden werden können, dass die eine Perspektive die explanatorischen Lücken der jeweils anderen füllt (das setzte ja gerade wieder eine Art Meta-Außenperspektive voraus).
Im nächsten und abschließenden Kapitel möchte ich ein Resume der behandelten Themen und Begriffe, und ihrer Einbettung in die verschiedenen panpsychistischen Ontologien des Geistes, formulieren.
5 Schluss
Ein verwandtes Gefallen fand er an Eisblumen, und halbe Stunden lang konnte er sich an Wintertagen, wenn diese kristallischen Niederschläge die bäuerlich kleinen Fenster des Buchelhauses bedeckten, mit bloßem Auge und durch sein Vergrößerungsglas in ihre Struktur vertiefen. Ich möchte sagen: alles wäre gut gewesen, und man hätte darüber zur Tagesordnung übergehen können, wenn die Erzeugnisse sich, wie es ihnen zukam, im Symmetrisch-Figürlichen, streng Mathematischen und Regelmäßigen gehalten hätten. Aber daß sie mit einer gewissen gaukelnden Unverschämtheit Pflanzliches nachahmten, aufs wunderhübscheste Farnwedel, Gräser, die Becher und Sterne von Blüten vortäuschten, daß sie mit ihren eisigen Mitteln im Organischen dilettierten, das war es, worüber Jonathan nicht hinwegkam, und worüber seines gewissermaßen mißbilligenden, aber auch bewunderungsvollen Kopfschüttelns kein Ende war. Bildeten, so lautete seine Frage, diese Phantasmagorien die Formen des Vegetativen vor, oder bildeten sie sie nach ? Keines von beidem, antwortete er wohl sich selbst; es waren Parallelbildungen. Die schöpferisch träumende Natur träumte hier und dort dasselbe, und durfte von Nachahmung die Rede sein, so gewiß nur von wechselseitiger [...]. Verstand ich unseren Gastfreund recht, so war, was ihn beschäftigte, die Einheit der belebten und der sogenannten unbelebten Natur, es war der Gedanke, daß wir uns an dieser versündigen, wenn wir die Grenze zwischen beiden Gebieten allzu scharf ziehen, da sie doch in Wirklichkeit durchlässig ist und es eigentlich keine elementare Fähigkeit gibt, die durchaus den Lebewesen vorbehalten wäre [...].
„Und dabei sind sie tot”, sagte Jonathan und bekam Tränen in die Augen, während Adrian, wie ich wohl sah, von unterdrücktem Lachen geschüttelt wurde.
— Thomas Mann, Doktor Faustus
Das menschliche Selbstverständnis umfasst verschiedene, für uns ganz wesentliche Attribute: Selbstbewusstsein und Freiheit, Vernünftigkeit und Würde sind Eigenschaften, die wir uns, zumindest prinzipiell, zuschreiben wollen - da sie das ausdrücken, was uns als Menschen ausmacht -, die wir uns in manchen Fällen aber auch zuschreiben müssen, da ein Nachdenken über die Angemessenheit ihrer Zuschreibung diese Zuschreibung schon voraussetzt.
Die vorliegende Arbeit hat die Frage nach dem durch diese Attribute bestimmten Menschenbild mit der Frage nach einem bestimmten Weltbild - nämlich dem einer panpsychis- tischen Ontologie - verknüpft. Wie lässt sich unser Menschenbild in ein systematisch kohärentes Weltbild einbetten, und welchen explikatorischen Mehrwert bieten panpsychistische oder panexperientialistische Theorien (des Geistes und der Welt) für das menschliche Selbstverständnis? Unter welchen begrifflichen und systematischen Voraussetzungen können sie die Begriffe von Freiheit, Vernunft, Personalität, Würde und Selbstbewusstsein integrieren?
Der Panpsychismus wurde hierbei allgemein durch die folgende Hypothese charakterisiert: Das Mentale ist, genauso wie das Physische, eine grundlegende Eigenschaft aller Entitäten; alles Physische, bis hinein in seine kleinsten Bausteine, hat zugleich eine mentale Komponente. Dieses zwar nicht als Aufheben, aber doch als Durchlässig-machen der Grenze zwischen der bewussten und der unbewussten Natur zu beschreibende Weltverständnis hat eine lange und auch einflussreiche Tradition in der Denk- und Philosophiegeschichte; aber gleichermaßen wohnt ihm auch etwas ausgesprochen Kontraintuitives und Befremdliches inne - in Thomas Manns Doktor Faustus literarisch überspitzt zu einer Art diabolischen Anziehungskraft der Idee der Einheit der organischen und anorganischen Natur, wie in dem „unterdrückten Lachen” des sich dem Teufel verschreibenden Komponisten Adrian Leverkühn angedeutet ist.325
Der erste Hauptteil der vorliegenden Arbeit hatte das (Selbst-)Bewusstsein zum Thema, und seine Einbettung in die natürliche Welt, wie sie die verschiedenen panpsychistischen Positionen in der Philosophie des Geistes formulieren. Damit ist das klassische Thema des LeibSeele-Problems, oder das „harte Problem” des Bewusstseins, benannt: Wie fügen sich geistige Eigenschaften oder „Entitäten”, wie fügt sich die selbstverständliche und in gewisser Weise unhintergehbare Tatsache unseres bewussten Erlebens ein in die (materielle) Welt, wie wir sie kennen, und wie wir sie so genau beschreiben und auch so erfolgreich beherrschen oder manipulieren können?
Der Alternative von Materialismus einerseits - der eine elegante und kohärente Beschreibung der Phänomene der Wirklichkeit, von der Elementarphysik über Chemie und Biologie bis hin zur Astronomie, bietet, der aber das Subjektive und das Qualitative unseres Erlebens, und überhaupt handelnde und erlebende Subjekte, nicht integrieren kann - und Dualismus andererseits - der der eigenständigen Realität der geistigen Phänomene durch ontologische Absetzung vom Materiellen gerecht wird, der aber damit eine fraglich unintelligible Spaltung der Welt postulieren muss - versucht der Panpsychismus eine integrierende Perspektive auf Geist und Materie entgegenzusetzen, die die geistigen Phänomene als irreduzibel und sui generis einordnet, zugleich aber nicht von der physischen Welt ablöst: das Geistige ist ein Aspekt der Materie selbst.
Das Argument der intrinsischen Naturen führt hier den Grundgedanken des Doppelaspekt-Monismus weiter aus, und verbindet gewissermaßen die Antwort auf zwei zentrale Fragen oder auf zwei zentrale Leerstellen der Physik: die Antwort auf die Frage nach dem inneren Wesen oder der „intrinsischen Natur” derjenigen Prozesse, die die Naturwissenschaft rein relational - in ihrer Wirkung auf jeweils andere Prozesse, in ihren extrinsischen Eigenschaften - beschreibt, und die Antwort auf die Frage nach dem Ort geistiger Phänomene und Eigenschaften, kurz: des Bewusstseins, in der Natur. Wir kennen, so sagt es das Argument, das innere Wesen der Materie: Es ist Bewusstsein, Erfahrung, qualitativer (Erlebnis-)Gehalt - das Geistige ist der innere Träger der natürlichen Prozesse, wie wir sie in der Physik und in den anderen Naturwissenschaften beschreiben. Der Panpsychismus antwortet so auf die Frage nach dem Bewusstsein und seinem Ort in der Natur mit einer maximalen Wertschätzung geistiger Phänomene: Sie sind nicht nur unhintergehbare Voraussetzung unseres Zugangs zur Welt, sondern stehen als inneres Wesen sowohl der belebten als auch der unbelebten Natur buchstäblich im Zentrum der Welt.
Hiermit schafft der Panpsychismus freilich eine ihm eigene Leerstelle: Gegeben selbst, wir wüssten, was mit der Rede von „geistigen Eigenschaften” im Fall von Elementarpartikeln überhaupt gemeint sein könnte - was würde uns dieses Verständnis helfen für das Verständnis derjenigen Phänomene, um die es eigentlich ging und geht: für das Verständnis menschlicher, „makroskopischer” geistiger Eigenschaften? Der Panpsychismus muss erklären, wie sich unser alltägliches geistiges Erleben aus den postulierten mentalen Attributen der untersten Ebene ergibt - wie sich mikromentale zu makromentalen Eigenschaften und Subjekten kombinieren.
Es gibt zwei Spielarten, zwei „Geschmacksrichtungen” panpsychistischer Positionen, die diesen Zusammenhang von Mikro- und Makro-Ebene je unterschiedlich konzipieren. Der konstitutive Panpsychismus, der sich methodisch ein Stück weit am reduktiven Materialismus orientiert, versteht das Verhältnis von Mikro- und Makro-Ebene ganz analog zur Ordnung des klassisch-physikalistischen Weltverständnisses: Wie es sich - mental und physisch - auf der Mikro-Ebene verhält, legt mit Notwendigkeit fest, wie es sich - mental und physisch - auf der Makro-Ebene verhält; tatsächlich bestehen makromentale Attribute - etwa mein (geistiges) Erleben, und überhaupt erlebende Subjekte - letztlich in und aus mikromentalen Attributen: sie sind eben durch sie konstituiert. Verkürzt gesagt: Der konstitutive Panpsychismus ergänzt zum reduktiven Materialismus „lediglich” geistige Fakten (zusätzlich zu den physischen Fakten) auf der niedersten Stufe; physische und mentale Mikro-Fakten gemeinsam bestimmen alle weiteren Fakten. Zwar wird, im konstitutiv-panpsychistischen Paradigma, ein Reduktionismus geistiger Prädikate auf physische abgelehnt; aber innerhalb des Mentalen sind die uns alltäglich vertrauten, „makroskopischen” geistigen Phänomene, zumindest prinzipiell, restlos reduktiv durch die geistigen Phänomene der Mikro-Ebene zu erklären (ganz so, wie der reduktive Materialismus für eine prinzipielle Reduzierbarkeit materieller Makro- auf materielle Mikro-Phänomene eintritt).
Der nicht-konstitutive oder emergente Panpsychismus hingegen steht der dualistischen Position näher: Zwar setzen die geistigen Attribute der Makro-Ebene die geistigen Attribute der Mikro-Ebene voraus (dies ist Bestandteil der panpsychistischen Grundthese); aber sie sind eben nicht durch sie im eigentlichen Sinn konstituiert (und damit auf sie reduzierbar). Vielmehr besteht der emergente Panpsychismus auf einer, gegebenenfalls indeterministischen, Verursachung der Makro- durch die Mikro-Ebene, die Raum für eine emergente, genuin eigene Wirksamkeit oder „kausale Arbeit” der Subjekte der Makro-Ebene zulässt. Der emergente Panpsychismus nimmt hierfür eine weitere Differenzierung des Emer- genzbegriffs vor, und unterscheidet (zulässige) „starke” von (unzulässiger) „super-starker” Emergenz. Während eine Inter -Attribut-Emergenz abzulehnen ist (Mentales kann nicht aus Nicht-Mentalem entstehen), tritt er aber für eine (starke, nicht super-starke) Intra -Attribut- Emergenz des Mentalen, und damit des erlebenden und handelnden Subjekts, ein - in gewisser Verwandtschaft zum (emergenten) Substanz-Dualismus.
Gegeben die (konstitutiv- oder emergent-)panpsychistische Kartierung der natürlichen Welt - was kann hieraus für unser Selbstverständnis mit Blick auf die Begriffe der Würde und der Person folgen? Das dritte Kapitel der vorliegenden Arbeit hat versucht, Ideen und Argumentationslinien nachzuzeichnen, anhand derer sich Würde und Personalität aus panpsychisti- scher Sicht einordnen und ausbuchstabieren lassen.
Ein zentraler Gedanke ist hierbei die begriffliche Verknüpfung von Würde und Bewusstsein: In einem sehr prinzipiellen Sinn ist das Phänomen des Bewusstseins für das der Würde konstitutiv; das Maß an (potentiellem) Bewusstsein korreliert mit dem und bestimmt das Maß an Würde. Damit schließt ein gestufter Panpsychismus eine (gestufte) „Pan-Würde” ein; ein Kontinuum der Würde, das sich, in Abstufungen, auf die ganze Natur erstreckt: jedem Auftreten geistiger Eigenschaften wohnt ein Moment der Würde inne.
Es gibt zwei verschiedene, aber gleichermaßen wichtige Begriffe der Würde, zwei „Arten” von Würde, die sich in einem gewissen Sinn komplementär zu einander verhalten: der Begriff der Würde als (unveräußerlicher) Eigenschaft des Menschen, oder auch anderer Lebewesen, und der Begriff der Würde - oder der Würdigkeit - als Haltung oder Art, zu leben. Beide Lesarten des Würdebegriffs habe ihre Daseinsberechtigung, und beide drücken jeweils wesentliche Erfahrungen von und mit der Würde aus. Beide sind auch einer Interpretation im Rahmen einer panpsychistischen Konzeption der Philosophie des Geistes zugänglich: Wird Würde als Eigenschaft verstanden, die einen Wert ihres Trägers und damit das Gebot, ihm eine Form der Achtung entgegenzubringen, begründet, dann kann die pan- psychistische Idee eines Kontinuums der Würde - vom Menschen über die vielen Formen nicht-menschlichen Lebens bis hin zur unbelebten Natur - zur Ausformulierung der argumentativen Grundlage einer sogenannten „ökologischen Ethik” beitragen. Und auch und gerade, wenn wir Würde nicht als Eigenschaft, sondern als (innere) Haltung verstehen, ist ein abstufendes Fest-machen der Würde an ubiquitären mentalen Attributen im Rahmen einer panpsychistischen Ontologie der Welt sinnvoll.
Systematisch ausbuchstabiert hat den Gedanken einer „Pan-Würde”, wenn man es so nennen möchte, insbesondere Freya Mathews. In ihrer pan(kosmo-)psychistischen Metaphysik stellt sie den „Vielen”, etwa den menschlichen Subjekten, das „Eine”, eine Art WeltSubjekt, gegenüber. Beide können einander im Rahmen einer von ihr so genannten „kommunikativen Ordnung” begegnen; und wir als begrenzte Subjekte können so ein Verständnis oder einen, wenn auch vorläufigen, Begriff für die Würde des „Einen” - der Welt, der Natur - entwickeln. Das konsequente Einnehmen der Perspektive der Begegnung, so Mathews, hätte einen gänzlich anderen Blick auf die uns umgebende Natur, und ein gänzlich anderes Verhalten ihr gegenüber, zur Folge.
Für die Idee einer Würde der Natur, oder einer „Würde des Lebendigen”, wie Patrick Spät sagt, kann der Panpsychismus insbesondere deshalb eine systematisch- theoretische Grundlage bereitstellen, weil es die panpsychistische Ontologie erlaubt, einen Wert oder Werte in der Natur selbst zu verorten - und nicht nur in der menschlichen Zuschreibung: Geistige, und damit potentiell werthaltige, Attribute sind eine fundamentale Komponente der Wirklichkeit insgesamt; die mit dem heutigen (naturwissenschaftlichen) Weltverständnis auf den ersten Blick über Kreuz liegende Rede von den „Werten in der Natur” kann im panpsychis- tischen Rahmen systematisch eingeholt und mit der modernen Wissenschaft verträglich gemacht werden, sodass sowohl ein - im mindesten erheblich kontraintuitiver - Eliminativis- mus in Bezug auf Werte, als auch ein Dualismus - der Wert und Werte strikt außerhalb der Natur, allein in der menschlichen Zuschreibung verortet - vermieden werden können. Ein panpsychistischer Wertrealismus kann so zur Rechtfertigung einer Würde des Natürlichen, verstanden als Anrecht auf eine Form von Achtung, beitragen.
Synergien ergeben sich hier zwischen den Positionen des Panpsychismus und des Personalismus: Wenn dieser, wie von verschiedenen personalistischen Vertreterinnen und Vertretern erklärt, das Personsein nicht auf menschliche Personen beschränkt, sondern als ein ontologisch primäres Merkmal der gesamten Wirklichkeit betrachtet, das graduell oder als ein „Spektrum” auf verschiedenen Stufen instantiiert ist, kann eine auch panpsychistischerseits proklamierte „Würde der Natur” gerechtfertigt werden.
In Bezug auf die Frage nach der personalen Identität kann, vom Standpunkt panpsychis- tischer Positionen aus, ein Stück weit eine „Mittelposition” zwischen Endurantismus und Perdurantismus formuliert werden: Panpsychistisch-prozessphilosophische Ontologien im Gefolge Whiteheads verstehen die Person zumeist als eine Art Folge von Prozessen oder Ereignissen, die nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich - „vierdimensional” - ausgedehnt ist; ganz ähnlich der perdurantistischen Position. Andererseits ist der Panpsychismus aber auch anschlussfähig an die (natürlicherweise mit einem Dualismus verbundene) enduran- tistische Position, die Personen mit numerisch mit sich über die Zeit hinweg identischen („dreidimensionalen”) Substanzen identifiziert, wobei deren transtemporale Identität durch das realistisch verstandene Fortbestehen ihrer subjektiven Perspektive gegeben ist.
Man kann diesen panpsychistischen Mittelweg entsprechend als „3,5-Dimensionalismus” bezeichnen: Zu Grunde liegt eine perdurantistische, vierdimensionale Prozessontologie; aber darüber hinaus sind endurantistisch verstandene, dreidimensionale Substanzen als geist-abhängige Abstraktionen zulässig. Ludwig Jaskolla hat einen solchen Entwurf formuliert: Die adäquate Verbindung zwischen den verschiedenen zeitlichen „Teilen” der vierdimensional verstandenen Person wird gewährleistet durch ein dezisionistisches Moment, eine Art geistiger Selbst-Setzung, durch die eine vorangehende zeitliche „Scheibe” einer Person ihre folgenden - und damit: sich selbst als über die Zeit andauernde Substanz - hervorbringt. Das endurantistische Moment ist hier gewissermaßen abgeleitet, da es durch eine Zuschreibung entsteht, zugleich aber robust genug, eine Substanzontologie zu stützen, da es sich um eine Selbst-Zuschreibung geistig erlebender Subjekte handelt.
Damit bietet der Panpsychismus auch in Bezug auf die Frage der transtemporalen Identität zumindest prinzipiell die Möglichkeit einer „bruchlosen” Einordnung des Menschen in die übrige Natur: Die angeführte (Selbst-)Zuschreibung, die das Auftreten mit sich selbst über die Zeit hinweg identischer Substanzen gewährleistet, ist nicht auf die menschliche Ebene beschränkt, sondern findet sich bis hinunter zur niedrigsten Stufe; der Selbstdeutungsakt, der Substanzen erschafft, ist ein Grundzug der Natur.
In der Freiheitsfrage, die den Gegenstand des dritten Hauptteils der vorliegenden Arbeit bildet, sind panpsychistische Entwürfe als solche nicht festgelegt. Ansätze, die einen Kom- patibilismus in Bezug auf Freiheit und Determinismus vertreten, und genauso libertarische Positionen, die einen Indeterminismus voraussetzen, erscheinen im panpsychistischen Rahmen gleichermaßen möglich, ebenso etwa wie freiheitsskeptische Ansätze.
Freiheit meint die Orientierung unseres Handelns und Entscheidens an vernünftigen Gründen, als eine Art „Selbstbindung” des Willens durch diese Gründe im Rahmen und im Prozess eines Auswählens zwischen verschiedenen möglichen Alternativen. Der Kompatibi- lismus optiert hierbei für eine konditionale Lesart des Prinzips der alternativen Handlungsmöglichkeiten: Freiheit bedeutet, anders zu handeln, gegeben ein anderes Entscheiden und ein anderes Überlegen. Diese Bedingtheit ist keine Einschränkung unserer Freiheit, sondern ihre grundlegende Voraussetzung. Der Libertarismus hingegen besteht auf nicht-konditionalen oder echten, d.h. metaphysisch gleichermaßen realen, alternativen Handlungsmöglichkeiten. Die Vergangenheit, auch die des eigenen Überlegens, legt uns nicht fest; vor uns liegt eine offene Zukunft - und ein „Garten” sich verzweigender potentieller Weltverläufe. Ein Akt der unbedingten Selbstdetermination des Subjekts überbrückt die „Lücke” zwischen Überlegen, Entscheiden und Handeln.
Die erstere Position zur Freiheit, der Kompatibilismus, lässt sich im ontologischen Rahmen der ersten oben besprochenen Unterform des Panpsychismus - dem konstitutiven Panpsychismus - formulieren: Die „Aufwärtsdetermination” höherstufiger geistiger Subjekte durch die (geistige) Mikro-Ebene verbindet sich mit einem diachronen Determinismus des jeweiligen Zustands der Welt durch den vorherigen. Ich als erlebendes und handelndes Subjekt bin letztlich konstituiert durch die geistigen Eigenschaften der niederen Stufen, und damit ganz Teil der durch umfassende Bedingtheit gekennzeichneten - und auch gar nicht anders verständlichen - Natur. Genauso, wie man die Freiheit des Willens an der falschen Stelle sucht, wenn man sie in der Abwesenheit von Bedingtheit vermutet, sucht man auch erlebende und handelnde (makroskopische) Subjekte an der falschen Stelle, wenn man sie zusätzlich zu den niederstufigen geistigen Entitäten, die sie konstituieren, und gewissermaßen an ihnen „vorbei”, konzipiert.
Dem nicht-konstitutiven Panpsychismus hingegen ist genau die Idee eines solchen, über seine (psycho-physischen) Konstituenten hinausgehenden, d.h. als emergent zu verstehenden, handelnden Subjekts wesentlich; und er positioniert sich damit in der Freiheitsdebatte in Richtung des inkompatibilistisch-libertarischen Pols. Die etwa von Robert Kane postulierten „self-forming actions” ausübend, wählt das handelnde Subjekt in einer Art unableitbaren Entscheidung zwischen verschiedenen echten Möglichkeiten. Mit Rückgriff auf quantenphysikalisches Vokabular formuliert: Verschiedene, metaphysisch gleichermaßen reale Möglichkeiten „kollabieren” in die eine, die tatsächlich verwirklicht wird. Diesen Kollaps als einen sich auf allen Ebenen der Natur abspielenden geistigen Akt zu verstehen, könnte man sagen, „geht” nur mit einem Panpsychismus. Umgekehrt also, wenn man von der liber- tarischen Prämisse ausgeht: dann ist der (nicht-konstitutive) Panlibertarismus vielleicht die systematisch plausibelste Gesamtkonzeption der Wirklichkeit.
Über die behandelten Themenbereiche hinweg bildet der folgende Gedanke die Klammer, die die Herangehensweisen von einem - konstitutiv oder emergent ausformulierten - pan- psychistischen Standpunkt miteinander verbindet: Der Panpsychismus bietet eine potentielle Vereinbarkeit unseres Alltagsweltbildes - der Art und Weise wie wir uns im Denken und Handeln tatsächlich verstehen, wie wir uns verstehen möchten und mitunter auch verstehen müssen - mit dem (natur-)wissenschaftlichen Weltbild. Diese sprichwörtliche „Quadratur des Kreises”, wie sie etwa der nicht-reduktive Physikalismus versucht hat - und an ihr wahrscheinlich letztlich gescheitert ist -, rückt im Rahmen der panpsychistischen Vorstellung des ubiquitären Auftretens mentaler Attribute als innere „Natur” der Materie in Reichweite.
In Abwandlung der „Vietnam-Metapher” von Jaegwon Kim könnte man sagen, der Panpsychismus erlaube gerade das - dem nicht-reduktivem Physikalismus nicht gelungene - „saving without destroying”: Mentale Attribute können im panpsychistischen Rahmen naturalisiert und damit in ein (natur-)wissenschaftliches Weltbild hinein „gerettet” werden, zugleich aber bewahrt sie der Panpsychismus vor der „Zerstörung” einer szientistischen (eli- minativen) Reduktion. Der Physikalismus wäre damit nicht im engeren Sinne falsch, aber gewissermaßen inkomplett: Er übersieht die genuine Stellung mentaler Eigenschaften als (innerem) Aspekt des Physischen. Der oder ein Panpsychismus, im Gegenzug, ist die beste Theorie, um gleichzeitig Naturalist zu sein und dennoch die in unserem Alltagsweltbild ausgedrückten Intuitionen aufrecht zu erhalten.
In diesem Sinn als Antwort, oder gewissermaßen als eine Art „Lösung” zentraler Grundfragen der Philosophie des Geistes wird der Panpsychismus bisweilen auch mit einer autobiographischen Note der persönlichen Erkenntnis beschrieben. Philip Goff etwa hält fest:
„I cannot exaggerate the profound effect learning about panpsychism had on me. Here was a way of accepting the reality of consciousness - real, subjective, qualitative consciousness - which was entirely consistent with the facts of empirical science. Finally, I could resolve the intellectual tension between my scientific understanding and my selfunderstanding. In panpsychism I found intellectual peace; I could live comfortably in my own skin.”326
Der „intellektuelle Frieden” ergibt sich also genau aus der in dieser Arbeit nachgezeichneten potentiellen Vereinbarkeit und Vereinbarung von Alltagswelt- und -selbstbild und wissenschaftlicher Perspektive im und durch den Panpsychismus. Unser Selbst- und Menschenbild wird gewissermaßen auf neue Füße gestellt: Es wird eingebettet in eine systematisch stimmige Konzeption der gesamten Wirklichkeit, die weder nicht hintergehbare Merkmale dieses unseres Selbstverständnisses, noch die vollständige Zugehörigkeit des Menschen zur natürlichen Welt aufkündigt.
Hierzu wird man generell allerdings sagen, dass es eine Lösung wesentlicher Aporien der Philosophie des Geistes durch „den” Panpsychismus nicht gibt - panpsychistische Ansätze sind im einzelnen vielmehr unterschiedlich artikulierbar und bilden in ihren verschiedenen Spielarten eine gewisse Bandbreite philosophischer Positionen ab, von eher reduktiv- physikalistisch bis hin zu dualistisch orientierten Entwürfen.
Der Panpsychismus kann daher die Alternative zwischen „Scylla und Charybdis” der Philosophie des Geistes, zwischen tendenziell reduktionistischem „Bottom-up-Determinismus” und tendenziell dualistischer „Makro-(Abwärts-)Verursachung”, nicht aufheben. Hierfür sind die beschriebenen Aporien, etwa in der Frage der mentalen Verursachung, zu „hartnäckig”; ihnen entsprechen nicht einfach (nur) falsche begriffliche Vorannahmen, die sich etwa durch eine panpsychistische Neufassung des Materiebegriffs leicht korrigieren ließen.
Vielleicht kann der Panpsychismus die bezeichnete Alternative aber ein wenig abschwächen: Weder ist der konstitutive Panpsychismus so reduktionistisch, dass ein Eliminativis- mus droht, noch ist der nicht-konstitutive oder emergente Panpsychismus in gleichem Maße mit den Plausibilitätsproblemen des „klassischen” (Substanz-)Dualismus behaftet.
Dennoch erben der konstitutive und der emergente Panpsychismus natürlich ein Stück weit, in einer Art abgeschwächten Form, die Schwierigkeiten des jeweiligen - reduktionis- tischen oder dualistischen - „Pols”. Hieran anknüpfend lässt sich in einem Satz auch eine wesentliche Kritik an der panpsychistischen Alternative in der Philosophie des Geistes formulieren: Aus „dem Panpsychismus”, so lautet sie, folgt erst einmal wenig; alles oder fast alles hängt von den metaphysischen Vorannahmen ab, die zusätzlich zum Panpsychismus mit in die jeweilige Theorie hinein gegeben werden. In diesem Sinne könnte man ein geflügeltes Wort Simon Blackburns zur Supervenienzthese - das besagt, dass die Supervenienz etwa des Geistigen über dem Körperlichen Teil des Problems, nicht der Lösung sei327 - auf den Panpsychismus selbst wenden: dass geistige Eigenschaften eine Form von „Protomentalität” oder eine graduelle Stufung des Mentalen voraussetzen, liegt nahe; aber dies allein trägt zu ihrer Erklärung noch nicht ausreichend bei.
Andererseits sind partikuläre metaphysische Vorannahmen notwendiger Bestandteil jeder philosophischen Konzeption (des Geistes); und vielleicht lässt sich daher abschließend positiv sagen: Der konstitutive Panpsychismus ist die beste und eleganteste Ausformulierung einer rückführenden Erklärung des Geistes, und zwar durch (mikro-)mentale Eigenschaften als (innerem) Aspekt der Materie selbst. Der emergente Panpsychismus hingegen ist die beste Alternative, um die Intuitionen hinter den Begriffen der „starken” mentalen Verursachung, als eigenständiger Kausalität „makroskopischer” handelnder Subjekte, und der liber- tarischen Freiheitskonzeption systematisch intelligibel zu machen.
Gewissermaßen ein methodisches Ziel der vorliegenden Arbeit schließlich war es, die gesetzten Themen mit den prinzipiellen Mitteln der analytischen Philosophie des Geistes zu behandeln, aber dabei die an unser Alltagserleben anknüpfende und in allgemeinverständlicher Sprache einzuholende systematische Perspektive zu erhalten.
Peter Janich hat einmal die Verengung der modernen analytischen Philosophie des Geistes kritisiert, die keine „brauchbare[n] Definitionen” für Begriffe wie Willensfreiheit, Kognition, Selbstbewusstsein oder Intentionalität liefere, sondern stattdessen „die Kunst perfektioniert” habe, „die eigenen Probleme selbst zu erzeugen und hermetisch gegen den Druck zur Praxisrelevanz abzuschirmen”.328
Ich habe in der vorliegenden Arbeit auch versucht zu zeigen, dass dies nicht immer zutrifft: Gerade in dem analytischen Gewand, in dem die panpsychistische These gegenwärtig nun reevaluiert und verteidigt wird, versucht sie, ganz wesentliche und unmittelbar für unser alltägliches Selbstverständnis relevante Fragen, und die hinter diesen Fragen stehenden und möglicherweise an einigen Stellen widerstreitenden Intuitionen, zu behandeln.
Die hier beschriebenen „wesentlichen Aspekte des menschlichen Selbstverständnisses” knüpfen dabei nicht zufällig an die „hard core common sense notions” an, die etwa David Ray Griffin formuliert und die er im Rahmen seines Panexperientialismus einzuholen versucht: Überzeugungen wie die der Realität des bewussten Erlebens, der genuinen mentalen Verursachung und der Freiheit des eigenen Handelns und Entscheidens - Überzeugungen, die wir „unausweichlich in der Praxis voraussetzen, auch wenn wir sie in unseren Theorien bestreiten”.329 Es ist ein Verdienst der panpsychistischen Philosophinnen und Philosophen, diese Fragen überhaupt zu problematisieren - und zumindest den Versuch zu unternehmen, eine systematisch stimmige und ohne performativen (Selbst-)Widerspruch formulierbare Antwort zu geben.
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[...]
1 Die zitierte Stelle aus Manns Roman beschreibt eines der vielen, und zunehmend heftiger geführten, intellektuellen Streitgespräche zwischen dem italienischen Humanisten Settembrini und dem zum Katholizismus konvertierten Juden Naphta - Streitgespräche, die schließlich, unter zunehmender Zeichnung durch die Krankheit und als Sinnbild für das Europa am Vorabend des Ersten Weltkriegs, in ein Pistolenduell der beiden münden. Die Stelle findet sich in Mann (1924/1974), 519f.
2 Man könnte vertreten, dass „Bild vom Menschen” weiter gefasst sei als „Menschenbild”: Neue wissenschaftliche Erkenntnisse zum Beispiel, könnte man sagen, ändern unser Bild über die physiologischen Abläufe im Körper und damit unser Bild vom Menschen - aber in der Regel nicht gleich unser Menschenbild. Ich möchte „Bild vom Menschen” dennoch enger gefasst verstehen (dafür sprechen auch mögliche Übersetzungen von „Menschenbild” in andere europäische Sprachen, etwa als „idea of man” oder „conception de l’homme”).
3 Vgl. hierzu z.B. Pauen (2007), 9f. und 33ff.
4 Vgl. Griffin (1998), 15ff.
5 James (1890/1931), 149.
6 Vgl. Skrbina (2005).
7 Vgl. Nagel (1979/2008); ähnlich Brüntrup (2012).
8 Nagel (1979/2008), 251.
9 Vgl. Brüntrup (2011), 36.
10 Vgl. Rosenberg (2004), 96; Kursivierung im Original. Seine Position klassifiziert er als „a dilution of traditional panpsychism” (ebd.). Ähnlich äußert sich etwa Philip Goff (Goff (2019), 113); vgl. auch Griffin (1998), 78 und Strawson (2006a), 26.
11 Vgl. Strawson (2006a); vgl. zum folgenden auch Wagner-Altendorf (2014), 11ff.
12 Godehard Brüntrup spricht zur besseren Unterscheidung von (zur Erklärung beitragender) schwacher und (gerade nicht zur Erklärung beitragender) starker Emergenz von „ Intra -Attribut-Emergenz” im Gegensatz zu „ Inter -Attribut-Emergenz”. Während es sich bei ersterer „immer nur um Zunahme von funktionaler Komplexität innerhalb eines homogenen ontologischen Rahmens [handelt]”, tauchen bei letzterer „plötzlich und übergangslos Eigenschaften, die einer ganz anderen Attributklasse zugehören, auf” - qualitative Eigenschaften, statt vormals nur „rein funktional bestimmte physische Entitäten” (Brüntrup (2011), 30).
13 Vgl. Rosenberg (2004), 14ff.
14 Russell (1956/1995), 153. Manchmal wird auch Kant als Proponent des Arguments der intrinsischen Naturen angeführt. In der ersten Kritik schreibt er: „Als Objekt des reinen Verstandes muß jede Substanz [...] innere Bestimmungen und Kräfte haben, die auf die innere Realität gehen. Allein, was kann ich mir für innere Akzidenzen denken, als diejenigen, so mein innerer Sinn mir darbietet? nämlich das, was entweder selbst ein Denken,oder mit diesem analogisch ist.” (Kant (1781/1998), B321; Kursivierung und Sperrdruck im Original.)
15 Vgl. die Darstellung bei Seager (2006), 134f.
16 Vgl. Rosenberg (2004), 236ff.
17 Vgl. M0rch (2020).
18 Vgl. ebd., 276.
19 Vgl. ebd., 277ff.
20 Vgl. Seager & Allen-Hermanson (2001/2010), 21. (Alle Seitenangaben der in der vorliegenden Arbeit zitierten Artikel aus der Stanford Encyclopedia of Philosophy beziehen sich auf die pdf-Version des jeweiligen Artikels.)
21 Vgl. Rosenberg (2004), 218ff. Dies bedeutet freilich, dass bei Rosenberg Kausalität, auch Fälle vermeintlich unkontroverser „Billard-Ball-Verursachung”, nicht mit den Mitteln der Physik allein erklärt werden kann, sondern buchstäblich metaphysisch verstanden werden muss: „[A] complete theory of the causal nexus needs to go beyond physical theory” (ebd., 9).
22 Vgl. Rosenberg (2004), 10.
23 Vgl. Griffin (1998).
24 Vgl. Kim (1999).
25 Vgl. Whitehead (1929/1978), 18.
26 „This fallacy [of misplaced concreteness] consists in neglecting the degree of abstraction involved when an actual entity is considered merely so far as it exemplifies certain categories of thought” (ebd., 7f.).
27 ebd., 248. Vgl. auch Skrbina (2005), 176.
28 Whitehead (1929/1978), 18; Kursivierung von mir.
29 Vgl. Whitehead (1929/1978), 20.
30 Vgl. ebd., 244.
31 Griffin (1997); Griffin (1998); Griffin (1999).
32 Vgl. Griffin (1998), 218 bzw. 78.
33 Vgl. Griffin (1998), 1.
34 Brüntrup (2018), 153.
35 Vgl.Griffin (1998), 117ff. und Mathews (2003), 26f.
36 Goff (2019).
37 Vgl. Strawson (2006a), 5, mit FN.
38 Strawson (2006b).
39 Bruntrup (2018), 159#".
40 Vgl. Searle (1995), 220 bzw. Searle (1992/1996), 41.
41 Searle (1997), 48.
42 Vgl. Goff (2006).
43 Vgl. Kim (1999), 32.
44 Strawson (2006a), 3f.
45 Conradi et al. (2004a).
46 Schöndorf (2010).
47 Conradi et al. (2004b).
48 Vgl. Chalmers (1996) und Block (1995).
49 Dieses Argument hat etwa Charles Siewert formuliert, vgl. Siewert (1998), 274ff.; auch John Searle spricht davon, dass „jedes intentionale Phänomen [...] eine Aspektgestalt [hat]”, die sich aufgrund ihres phänomenalen Charakters „allein mit Hilfe von Dritte-Person-Prädikaten [...] nicht erschöpfend oder vollständig charakterisieren” ließe (Searle (1992/1996), 180f.).
50 Vgl. Chalmers (1996), 4.
51 Block (1978), 281; er schreibt dies, wie er selbst sagt, „nur halb im Scherz”.
52 Vgl. Strawson (2016a).
53 Vgl. z.B. Siewert (1998), 263ff., für das Denken, und Horgan (2011), 78ff., für das Handeln.
54 Vgl. Rödl (2007/2011), 8.
55 Vgl. Wehinger (2016).
56 Vgl. Nida-Rümelin (2010).
57 Edelman & Tononi (2000/2002), 300 bzw. Pauen (2007), 126.
58 Vgl. Pauen (2007), 10; ähnlich Edelman & Tononi (2000/2002), 300ff. Für materialistische Positionen in der Philosophie des Geistes vgl. etwa auch Lycan (1996), Papineau (2002), Kim (2005).
59 Nagel (1974), Jackson (1982).
60 Levine (1983).
61 Vgl. Chalmers (1996), 94ff.
62 Vgl. Rosenberg (2004), 18.
63 Vgl. Kim (1995), 194 bzw. Kim (1993), 367.
64 „There is only one way in the end that I can see to escape this dilemma [of the explanatory gap] and remain a materialist. One must either deny, or dissolve, the intuition which lies at the foundation of the argument. This would involve, I believe, taking more of an eliminationist line with respect to qualia than many materialist philosophers are prepared to take.” (Levine (1983), 360f.)
65 Kim (2005).
66 Vgl. Brüntrup (2018), 11ff.
67 Vgl. Nida-Rümelin (2006), 171ff. und Nida-Rümelin (2012).
68 Vgl. Nida-Rümelin (2012), 48ff.
69 Vgl. Habermas (2006).
70 Vgl. Meixner (2009), 16ff.
71 Vgl. Nida-Rümelin (2006), 319.
72 Für weitere Darstellungen dualistischer Philosophien des Geistes vgl. auch Popper & Eccles (1977/1982); Lowe (1996); und Meixner (2004).
73 Descartes 1643 im Brief an Elisabeth von Böhmen, zitiert nach Beckermann (2001), 53.
74 Vgl. z.B. Beck & Eccles (1992), Georgiev & Glazebrook (2014).
75 Vgl. hierzu Kim (2005), 8.
76 Vgl. z.B. Lau & Rosenthal (2011). Für eine rezente Übersicht über die verschiedenen empirischen Theorien des Bewusstseins, die nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind, vgl. z.B. Seth & Bayne (2022).
77 Vgl. Rosenthal (1986).
78 Vgl. Armstrong (1997), ähnlich Lycan (1996), 13ff.
79 Vgl. z.B. Kriegel (2009), Carruthers (2001/2016), 30ff.
80 Vgl. Carruthers (2001/2016), 31.
81 Vgl. z.B. Lau & Rosenthal (2011).
82 Vgl. Chalmers (1996), 25ff. bzw. Siewert (1998), 101ff. und 187ff.
83 Vgl. Wehinger (2016), 45ff.; s.u.
84 Vgl. Chalmers (2004).
85 Vgl. Tononi (2008); Tononi et al. (2016).
86 Vgl. Tononi & Koch (2015).
87 Rosenberg (2004), 11f.
88 „... of what actual things are really like”, vgl. Griffin (1998), 175.
89 Vgl. Goff (2019), 173.
90 Für eine explizite Diskussion des Physikalismus- bzw. Materialismusbegriffs in diesem Sinne vgl. Strawson (2022).
91 Vgl. zum folgenden auch Wagner-Altendorf (2014), 41f. bzw. 30f.
92 Vgl. Rosenberg (2004), 146ff.
93 ebd., 152; Kursivierung im Original.
94 Vgl. Rosenberg (2004), 230ff.
95 Vgl. Griffin (1998), 78.
96 Vgl. ebd., 150.
97 Vgl. Wehinger (2016), insbes. 128ff.
98 Vgl. Kriegel (2009), 1.
99 Vgl. Wehinger (2016), 194.
100 Vgl. ebd., 105.
101 Zahavi spricht von „self-awareness”, vgl. Zahavi (2005), 16 bzw. 124; vgl. Wehinger (2016), 129f.
102 Vgl. Griffin (1997), 255.
103 Vgl. Griffin (1998), 157ff.
104 Vgl. Strawson (2010), 279ff. und Strawson (2017), 14f.
105 Vgl. Strawson (2006a), 26.
106 Vgl. Strawson (2010), 276f.
107 Vgl. Strawson (2006b), 193.
108 Strawson betont, hiermit nicht eine Bündeltheorie Hume’scher Prägung vertreten zu wollen, derzufolge es keine Objekte oder Substanzen, sondern nur die Bündel ihrer Eigenschaften gibt: Es könnten weder Objekte ohne Eigenschaften, noch Eigenschaften ohne Objekte existieren, sondern „konkrete Objekte sind nichts anderes als konkrete Instantiierungen von Eigenschaften” (vgl. ebd., 195).
109 Vgl. Rosenberg (2004), 141ff., sowie die Darstellungen in Watzka (2011), 304ff. und Rugel (2013), 201ff.
110 Vgl. Rosenberg (2004), 88ff., vgl. auch Rosenberg (2016), 156f.
111 Nagel (1979/2008), 267; vgl. Strawson (2006a), 26, Strawson (2006b), 193; vgl. Chalmers (2016), 20. Neben Strawson hat auch etwa Angela Mendelovici argumentiert, dass das Kombinationsproblem nicht den Panpsychismus allein, sondern tatsächlich die meisten Positionen in der Philosophie des Geistes, sofern sie etwa mentale Struktur und die Einheit unseres Erlebens zu erklären versuchen, betreffe; vgl. Mende- lovici (2020).
112 Vgl. Griffin (1998), 7; Chalmers (2016), 20ff.
113 Bieri (1997), 5.
114 Vgl. Wagner-Altendorf (2014), 49ff. und 54ff.
115 Rosenberg (2004), 9.
116 Vgl. ebd., 266f.
117 Vgl. ebd., 276f. In einer Metapher sieht Rosenberg die rezeptiven Verbindungen als „kausale Infrastruktur”, auf denen sich die effektiven Eigenschaften gewissermaßen wie Fahrzeuge auf Straßen bewegen; Wirkverursachungen entsprechen damit „Autounfällen” (vgl. ebd., 309, FN). Rezeptive Verbindungen - die nicht in der Physik enthalten sind - ermöglichen also nur die eigentliche Wirkverursachung (die durch die effektiven Eigenschaften vollzogen wird, und damit von der Physik beschrieben werden kann).
118 Vgl. Rosenberg (2004), 196 bzw. 277. An anderer Stelle spricht er anstatt von „possibility filter” von „po- tentiality filter”, vgl. Rosenberg (2016), 159. Mit dem Konzept der Möglichkeit der Auferlegung von Beschränkungen durch höherstufe Individuen geht eine Ablehnung der häufig geteilten und auch intuitiv ansprechenden, von Rosenberg so genannten „Mikrodeterminationsthese” einher: dass die Eigenschaften eines (physischen) Systems auf der Makro-Ebene durch seine Eigenschaften auf der Mikro-Ebene festgelegt werden. Vgl. ebd., 160f.
119 „The explanation that fits best the situation is one in which the determinate state of the higher level individual acts as a final cause or telos for the otherwise indeterminate lower levels individuals, which have the role of being material causes, and the phenomenal properties play a role in establishing this telos.” (Rosenberg (2004), 280; Kursivierungen im Original.) Vgl. auch Rosenberg (2016), 165f.
120 Vgl. Kim (1989), 79.
121 Strawson allerdings führt „Ockhams Rasiermesser” explizit für einen Panpsychismus ins Feld, vgl. Strawson (2006a), 19 und Strawson (2016b), 101f.; aber das hebt die erhebliche intuitive Plausibilität physika- listischer Erklärungen für Kausalzusammenhänge vom Billard-Ball-Typ nicht auf.
122 Vgl. Griffin (1997), 261.
123 „The idea that our stream of experience is really composed of momentary occasions of experience, each of which begins with physical experience and ends with a mental reaction thereto, explains how efficient and final causation can be interwoven.” (Griffin (1998), 158; Kursivierungen im Original.)
124 Vgl. ebd., 159.
125 „Panexperientialist physicalism, accordingly, rejects the view of materialist physicalism [...], according to which all the mind’s experiences are fully determined by the brain. The self-determination [...] brings about effects in the brain.” (Griffin (1998), 236.) Vgl. ebd., 155 und 181.
126 Vgl. Griffin (1998), 236f. Exemplarisch deutlich wird die von Griffin im Gefolge Whiteheads vertretene Sicht auf den Status der Physik als Abstraktion etwa darin, dass er den Begriff der (physikalischen) Energie als eine Abstraktion des Begriffs der (geistig-physischen) Kreativität auffasst, vgl. ebd., 182.
127 Vgl. Griffin (1998), 239.
128 Vgl. Rosenberg (2016), 166ff.
129 Vgl. Chalmers (1995)
130 Vgl. Tononi & Koch (2015), 5.
131 Vgl. Edelman & Tononi (2000/2002), 190ff.
132 Vgl. Tononi & Koch (2015), 10ff.
133 Spät (2010), 194.
134 ebd., 222 und 106ff.
135 Vgl. Rosenberg (2016), 168.
136 Vgl. ebd., 171.
137 „By joining TNI and IIT, one gets both a metaphysics and a physics for understanding the presence of consciousness in our world: why is it present; where is it present; and how much is present. TNI adds to IIT a deeper but still naturalistic explanation of why integrated information is experiential.” (ebd.; Kursivierun- gen im Original.)
138 Vgl. M0rch (2017); M0rch (2019a); M0rch (2019b).
139 Vgl. Tononi et al. (2016).
140 Vgl. Michel & Lau (2020), 4; vgl. Michel et al. (2018).
141 Vgl. Michel & Lau (2020).
142 Chalmers (1995), 202.
143 Vgl. hierzu auch Wagner-Altendorf (2023a) und Wagner-Altendorf (2023b).
144 Vgl. Crick & Koch (1998) und Koch et al. (2016).
145 Das häufig angeführte Beispiel einer philosophischen Position, die im mutmaßlichen Konflikt mit der empirischen (Neuro-)Wissenschaft steht, ist der interaktionistische Dualismus - denn Hinweise auf eine solche Interaktion in psycho-physischer Richtung, als Einwirken nicht-materieller Ursachen auf neuronale Prozesse, finden sich empirisch nicht. Selbst wenn man diesen Punkt zugibt, betrifft dies aber nicht die dualistische Position an sich, sondern nur ihre interaktionistische Unterform (den „Typ-D Dualismus”), und der epiphänomenalistische Dualismus („Typ-E Dualismus”) wäre mit einem Fehlen empirischer Hinweise auf eine psycho-physische Interaktion vollständig kohärent. Allerdings kann schon die These der Unvereinbarkeit von Interaktionismus und empirischem Wissensstand, mit zumindest prinzipiell validen Argumenten, in Frage gestellt werden (vgl. z.B. Lowe (2006)), und Chalmers ist im Recht, wenn er auf die „Ironie” verweist, dass der Interaktionismus nicht selten von philosophischer Seite mit Verweis auf die Physik, von physikalischer Seite aber mit Verweis auf die Philosophie zurückgewiesen wird (vgl. Chalmers (2003), 126), sodass auch im Fall des interaktionistischen Dualismus kein zweifelsfreier Ausschluss auf Basis der Empirie möglich ist.
146 Vgl. Chalmers (2021).
147 Vgl. z.B. Seth (2022).
148 Vgl. hierzu auch Wagner-Altendorf (2024).
149 Vgl. z.B. Brock (2017) und Stoljar (2017).
150 Vgl. z.B. Dietrich (2011); ähnlich van Inwagen (2004) und Chalmers (2015).
151 Vgl. Deiisfn/Lawier/Norton (2021) für diesen Begriff in diesem Zusammenhang.
152 Vgl. Chalmers (2015) für dieses Maß des Fortschritts.
153 Es gibt Verständnisse, in denen es philosophischen Fortschritt in der Philosophie des Geistes durchaus gibt: Einzelne (Teil-)Probleme werden besser formuliert und besser verstanden; maßgebliche Gedankenexperimente wurden formuliert, ohne die keine Diskussion des Themas mehr auskommen kann; vielleicht konnten sogar einzelne (Unter-)Positionen nahezu ganz ausgeschlossen werden; usw. Wenn man als philosophischen Fortschritt bereits zählt, dass „in gewisser Weise gerechtfertigte” philosophische Theorien zu einem bestimmten philosophischen Thema formuliert werden, ist der philosophische Fortschritt trivial - vgl. den epistemischen Fortschrittsbegriff, den Deiisfn/Lawier/Norton (2021) als einen von vier möglichen vorstellen: „[...] an epistemic account p, according to which philosophy progresses between t1 and t2 just in case more philosophical theories are known at t2 than at t1 . The most distinctive feature of such an account is that it would require philosophical theories to be justified in some sense [...] in order for our coming to believe them to constitute progress.” (Ebd., 13; Kursivierung im Original.)
154 Bourget & Chalmers (2014); vgl. Chalmers (2015).
155 Bourget & Chalmers (2023).
156 Rosenberg etwa spricht davon, wie viele andere akademisch in der „physikalistischen Orthodoxie” sozialisiert worden zu sein (vgl. Rosenberg (2004), ix); Chalmers ordnet den 1950er und 1960er Jahren den Materialismus, den 1980er und 1990er Jahren den Dualismus, und dem neuen Jahrtausend panpsychisti- sche und idealistische Positionen zu (vgl. Chalmers (2021), 591).
157 Vgl. Yaron et al. (2022).
158 Vgl. ebd..
159 Vgl. z.B. Melloni et al. (2021).
160 van Inwagen (2004), 334f.
161 Z.B. Churchland (1988) und Churchland (2008), sowie Metzinger (2009).
162 Goff (2020a), 144f.; Kursivierung im Original.
163 Vgl. u.a. Landman/Spekreijse/Lamme (2003), Landman/Spekreijse/Lamme (2004), Sligte/ Scholte/Lamme (2008), Lamme (2010).
164 Die Annahme, dass unser bewusstes Erleben über das hinaus geht, was im Nachhinein erinnerlich und berichtbar ist, ist freilich systematisch nicht vollständig voraussetzungslos. Sie setzt, philosophisch, einen Realismus in Bezug auf Qualia voraus: Für den eliminativen Materialismus, der die Existenz des qualitativen Erlebens negiert, ergibt es einfach keinen Sinn, von bewussten Erlebnissen unabhängig von ihrer Bericht- barkeit zu sprechen - solche wären von unbewussten Prozessen nicht zu unterscheiden. Diese Behauptung ist für eine Vertreterin des realistischen Standpunkts natürlich unannehmbar: Ob wir oder ob wir nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt qualitativ erleben, macht - unabhängig von den Folgen - einen großen, vielleicht maximalen Unterschied.
165 Chalmers (2016), 25; Kursivierung im Original.
166 Vgl. Brüntrup (2016), 6of.
167 Vgl. Brüntrup (2016), 65ff.
168 Vgl. Brüntrup (2016), 67ff. und Brüntrup (2011), 30.
169 Vgl. Brüntrup (2016), 68.
170 Vgl. Hoel/Albantakis/Tononi (2013).
171 Die in diesem Abschnitt aus nicht-konstitutiv bzw. emergent-panpsychistischer Perspektive formulierte Kritik am konstitutiven Panpsychismus - dass dieser die eigentlich zu erklärenden Phänomene, nämlich unsere („Makro-”) Mentalität, nicht adäquat einhole - trifft möglicherweise nicht auf alle konstitutiv- panpsychistischen Spielarten zu, sondern nur auf die „klassische” Position des Mikropsychismus. Der Kosmopsychismus hingegen, der ebenfalls im konstitutiven Sinn formuliert werden kann, versteht die makromentalen Eigenschaften nicht von den mikromentalen her, sondern umgekehrt als Teile oder als Aspekte kosmischer mentaler Eigenschaften. Hierdurch sind die „normalen” mentalen Phänomene gleichermaßen real, und ihre metaphysische „Deflation”, wie sie der Mikropsychismus vertreten muss, kann vermieden werden; vgl. Goff (2020a). Der Mikropsychismus oder „bottom-up panpsychism” ist aber die StandardSichtweise im konstitutiven Panpsychismus, sodass diese Position hier den größten Raum einnimmt.
172 Vgl. Brüntrup (2016), 68.
173 Zitiert nach: Deutscher Bundestag (1949) und Vereinte Nationen (1948).
174 In diesem Sinn hat etwa Wilfried Härle sein Buch über die Würde geschrieben, vgl. Härle (2010); für die Unterscheidung verschiedener Aspekte des Begriffs vgl. insbes. ebd., 11ff. Für dieses erste Würdeverständnis vgl. auch Brieskorn (2010). Ein früher einflussreicher Kommentar zum Deutschen Grundgesetz und zur Würde in diesem Sinne stammt von Günter Dürig, vgl. Dürig (1958/2003).
175 Die Idee, Würde nicht als (unveräußerliche) Eigenschaft, sondern als Art und Weise, zu leben und als Haltung zu verstehen, wird u.a. ausbuchstabiert von Peter Bieri und Eva Weber-Guskar, vgl. Bieri (2013) und Weber-Guskar (2016). Für die Unterscheidung der beiden Verständnisse des Begriffs vgl. hier insbes. Bieri (2013), 11f. und Weber-Guskar (2016), 25ff.; für die Charakterisierung von Würde als Ziel (guten) menschlichen Handelns vgl. ebd., 254ff.
176 Auch bei Härle und Bieri übrigens finden sich jeweils, auch wenn sie dezidiert eine Konzeption der Würde im ersten bzw. zweiten Sinn formulieren, Passagen, die in Richtung der je anderen Lesart weisen. Härle spricht an einer Stelle davon, dass ein Arzt im Idealfall „die Würde seiner Patienten [achtet]” und so selbst „als Arzt eigene Würde [gewinnt]” (Härle (2010), 132) - hier sind beide Würdeverständnisse in einem Satz gewissermaßen exemplarisch nebeneinander gestellt. Bieri versteht Würde primär als eine Art zu leben, aber eben auch und an verschiedenen Stellen explizit als „das Recht, nicht gedemütigt zu werden” bzw. „das Recht [...], in seinem Selbstbild und dessen Autorität respektiert zu werden” (Bieri (2013), 172 bzw. 139).
177 Bieri (2013), 14ff.
178 Vgl. Härle (2010), 9ff.
179 Vgl. ebd., 50ff.
180 Honnefelder (2014), 114.
181 Härle (2010), 73; vgl. ebd., 72ff.
182 Vgl. Härle (2010), 51.
183 Bieri (2013); für den Bezug zu Härle vgl. ebd., 375.
184 Vgl. Bieri (2013), 20ff.
185 Vgl. Birnbacher (1997), 7f.
186 Vgl. Spät (2010), 229ff.
187 Jonas (1979/1984), 8 und 29.
188 Vgl. Härle (2010), 134ff. und Bieri (2013), 28f.
189 Birnbacher (1997), 7.
190 Vgl. Sturma (2005).
191 „Someone has a desire of the second order either when he wants simply to have a certain desire or when he wants a certain desire to be his will. In situations of the latter kind, I shall call his second-order desires ,second-order volitions’ oder ,volitions of the second order.’ Now it is having second-order volitions [...] that I regard as essential to being a person.” (Frankfurt (1971), 10.)
192 Vgl. Parfit (1984), 213ff. Das „einfache” Kriterium der personalen Identität wird, entsprechend seinem metaphysischem Voraussetzungsreichtum, am ehesten im Rahmen substanzdualistischer Theorien vertreten, vgl. Swinburne (1984) und Nida-Rümelin (2006). Das körperliche Kriterium entspricht wahrscheinlich am ehestem dem common sense; ein Vertreter des geistigen Kriteriums ist, neben Locke, etwa David Lewis. Vgl. zur Zusammenfassung auch Brüntrup & Gillitzer (1997).
193 Vgl. Mutschler (2006), 69.
194 Allerdings ist es schon in der Formulierung des Sachverhalts nicht ganz einfach, eine zweckhaft besetzte Sprache vollständig zu vermeiden; dies betrifft etwa die Begriffe „Schaden” und „beheben”.
195 Bieri (2013), 244f.; Kursivierung im Original.
196 Bieri (2011), /öf.
197 Vgl. Weber-Guskar (2016), 158ff.
198 Skrbina (2005), 268.
199 Vgl. Mathews (2003), 1ff.
200 Vgl. ebd., 4 und 18.
201 Vgl. ebd., 22.
202 Vgl. Mathews (2003), 29 und 27.
203 Martine Nida-Rümelin hat einen aufschlussreichen Abschnitt zur Rolle der Intuitionen in der Philosophie des Geistes in ihr Buch aufgenommen, vgl. Nida-Rümelin (2006), 54ff. David Ray Griffin bezieht sich mit dem Begriff „hard-core common sense notions” auf die praktische Unaufgebbarkeit einiger unserer Intuitionen, vgl. Griffin (1997), 258ff. und Griffin (1998), 15ff. Vgl. auch die Darstellung in Pust (2012/2017). Ich habe von Intuitionen als „Neigung” oder „Disposition” gesprochen, etwas für wahr zu halten. Man könnte auch sagen: Wenn man eine Intuition hat, so scheint der betreffende Sachverhalt wahr zu sein (was nicht bedeutet, dass man glauben muss, dass er wahr ist), vgl. Bealer (1998).
204 Vgl. Griffin (1998), 186 und Rosenberg (2004), 241.
205 Vgl. Griffin (1998), 187; Rosenberg (2004), 253; und Mathews (2003), 45ff.
206 „So, perhaps, the world, if we are open to it, communicates with us via a poetic order, seeking to remind us that, though we do indeed enjoy the gift of individual existence, we are also part of the indivisible One, and that our self-increase should accordingly be entwined with and tributary to its.” (Mathews (2003), 67.)
207 Vgl. Nagasawa & Wager (2016).
208 Die hierzu gegensätzliche - aber von vielen physikalistischen gleichermaßen wie panpsychistischen Entwürfen geteilte - Auffassung, dass es (die Fakten über) die kleinsten Dinge sind, die die übrigen Fakten und Dinge bestimmen, wird, auf einen Kommentar Sam Colemans zu Strawson zurückgehend, manchmal als „smallism” bezeichnet; vgl. Coleman (2006).
209 Vgl. Nagasawa & Wager (2016), 120ff.
210 Vgl. Goff (2020a); vgl. auch Goff (2017), 220ff.
211 Vgl. Goff (2020a), 149. Der Mikropsychismus, so Goff, muss ein „grounding by truthmaking” voraussetzen, das mit einem metaphysischen „Elitarismus” gepaart ist: Die Entitäten der nicht-fundamentalen Ebene sind natürlich real in dem trivialen Sinn, wie es die Dinge „gibt”, die uns im Alltag umgeben und auf die wir uns sprachlich beziehen können; aber in einem ganz grundlegenden und eigentlichen Sinn - so, wie die Realität an sich oder in sich ist, unabhängig vom sprachlichen Herausgreifen abgegrenzter Teile - sind nur die Konstituenten der Fundamentalebene real, die in diesem Sinn metaphysisch „privilegiert” sind.
212 Vgl. Goff (2020a), 152.
213 Vgl. Mathews (2003), 73ff.
214 Vgl. Mathews (2003), 60.
215 Vgl. Kriegel (2019).
216 Vgl. hierzu auch Bourget (2017).
217 Kriegel (2019), 514; Hervorhebung von mir.
218 Vgl. Kriegel (2017).
219 Vgl. ebd., 132f.
220 Vgl. Siewert (1998), 310ff.
221 Menzies (2022).
222 Vgl. ebd., 50. Menzies spricht, einen Term von Roelofs & Buchanan (2019) übernehmend, von der „Great Chain of Beings intuition” - der intuitiv naheliegenden Annahme einer stufenweisen Abnahme des Bewusstseins vom Menschen über komplexe und einfachere Tiere hin zu etwa pflanzlichen Lebensformen.
223 Der Begriff der Potentialität ist aus sich heraus zunächst einmal nicht hinreichend klar und in der bioethischen Debatte naturgemäß umstritten; insbesondere ist unklar, wo die Grenze zwischen (mutmaßlich eine Form der Würde bedingender) „aktiver” Potentialität - etwa der eines schlafenden Menschen - und (mutmaßlich Würde nicht notwendig bedingender) „passiver” Potentialität - etwa der der Materie der Keimzellen, aus denen sich vielleicht irgendwann ein Menschen entwickeln wird - zu ziehen ist. Vgl. für einen Überblick z.B. Knoepffler (2004), 66ff. und Wagner-Westerhausen (2008), 131ff.
224 Vgl. Siewert (1998), 331.
225 Vgl. Mathews (2003), 54. „In sum, subjectivity is, from the present point of view, a function of the reflexive activity of self-realization. Though the subject is not dependent for its identity on any particular material constitution or form, the activity of self-realization cannot take place in the absence of either matter or form. This ,metamateriality’ of the subject, which is not however an independence of materiality, accounts for some of the classical puzzles around the notion of personal identity.” (ebd., 55.)
226 Griffin (1998), 139.
227 Klose (2011), 171.
228 Vgl. Whitehead (1929/1978), 119. Statt von „dominant” oder „regnant” spricht Whitehead an dieser Stelle auch von „central occasions”.
229 Vgl. ebd., 350.
230 Vgl. ebd., 21 und 34f. Vgl. auch Yong (1998). Griffin (1998), 186 schreibt: „Out of the activities of billions of neurons arises that temporal society of dominant occasions of experience that is the mind or soul of the animal”; in Bezug auf uns Menschen lässt sich dies aber sicherlich nicht nur auf Geist und Seele, sondern auch auf den Begriff der Person beziehen.
231 Vgl. Nida-Rümelin (2012), 50.
232 Der Begriff der „Perspektive der ersten Person” meint im vorliegenden Kontext das subjektive Erleben aus einer Innenperspektive heraus - im Gegensatz zur „perspektivlosen Perspektive” der dritten Person -; dies impliziert keinen anspruchsvollen Personenbegriff, wie oben skizziert, für alle Subjekte.
233 Vgl. Nida-Rümelin (2006), 39ff. und 98ff.
234 Vgl. Griffin (1997), 266.
235 Vgl. Griffin (1998), 186.
236 Vgl. Rosenberg (2004), 96; Strawson (2006a), 26; und Goff (2019), 113.
237 Vgl. Brüntrup (2010).
238 Jaskolla (2017).
239 „It is our decisions - the plans about life we make and their respective causal relevance - that is the deepest source for personal persistence [...]. The basic intuition is that decisions (via structuring mental causation) of [...] individuals constrain the possible developments of the respective individuals in a way that allows for an adequate model of persistence within an overall panpsychistic worldview [...]. The basic intuition of the theory of persistence purported here seeks middle-ground between those accounts of the self that picture persistence as the having of an unchanging inner self and those accounts that qualify the human belief in persistence as an illusion [...].” (Jaskolla (2017), 208f.; vgl. auch ebd., 216ff.)
240 Vgl. Williams & Bengtsson (2009/2022), 2.
241 Vgl. Loemker (1993), 12; vgl. auch Williams & Bengtsson (2009/2022), 18ff.
242 Vgl. Auxier (2005), 84.
243 „Hartshorne’s panentheism commits him to the existence of increasing degrees of consciousness at each level. If, as Brightman holds, the phenomenon of consciousness is really the key to understanding ,persons’, and the presence of consciousness can be identified with the presence of personhood, then Hartshorne is certainly a personalist [...].” (Auxier (1998), 177.)
244 Hall (2009).
245 Vgl. ebd., 66.
246 „[...] the personal self rather than the thought might be treated as the immediate datum in psychology.” (James (1890/1931), 226.)
247 Hall (2009), 73.
248 Vgl. Lavely (1986), 35f.
249 ebd., 32f.
250 Vgl. ebd., 34.
251 Vgl. Laveiy (1986), 37.
252 Sprigge (1987/1997), 71.
253 Spät (2010), 233.
254 Vgl. Goff (2019), 216f.
255 Ich habe Werte und Zwecke häufig in einem Atemzug genannt; wie hängen sie zusammen? Man könnte sagen: Zwecke setzen in gewisser Hinsicht Werte voraus, oder repräsentieren einen Wert; es gehört zum Begriff des Zwecks, dass sein Erreichen durch den Zwecksetzenden oder die Zwecksetzende für gut befunden wird. Umgekehrt, wenn man intrinsischen Werten kritisch gegenübersteht, könnte man versuchen, Werte relational durch Zwecke zu definieren: etwas ist gut nur hinsichtlich eines Zwecks. Vgl. Jonas (1979/1984), 153ff.; Mutschler (2006), 69f.; Spät (2010), 232f.; und Schroeder (2008/2016), 7f. Ich glaube, die erstere Sicht trifft einige der Grundannahmen hinter unserem alltäglichen (und wissenschaftlichen) Denken und Handeln besser; das hier beschriebene Problem der Integration von Zwecken in die „Natur” stellt sich aber ohnehin.
256 Bei Whitehead findet sich ein schönes Zitat, in dem er mit ironischem Tonfall den performativen Selbstwiderspruch eines Wissenschaftlers, der alle Natur als vollständig zweckfrei beschreiben möchte, darstellt: „Many a scientist has patiently designed experiments for the purpose of substantiating his belief that animal operations are motivated by no purposes. He has perhaps spent his spare time in writing articles to prove that human beings are as other animals so that ,purpose’ is a category irrelevant for the explanation of their bodily activities, his own activities included. Scientists animated by the purpose of proving that they are purposeless constitute an interesting subject for study.” (Whitehead (1929), 12; Kursivierung im Original.)
257 Für eine konkrete Kritik an der Einschätzung Philip Goffs, der Panpsychismus könne, verglichen mit konkurrierenden Positionen, eine überzeugendere Rechtfertigung für objektive Werte oder für einen besseren Umgang mit der Natur bereitstellen, vgl. - aus physikalistischer Sicht - Ney (2022).
258 Vgl. z.B. Mathews (2003), 79.
259 Devall (1980/1997), 34.
260 Vgl. Tiedemann (2012), 9.
261 von Goethe (1827/1870), 113.
262 Vgl. Kane (2005), 2 und 14.
263 Insbesondere Peter Bieri hat die verschiedenen Formen der Beeinträchtigung der freien Willensbildung plastisch herausgearbeitet, vgl. Bieri (2001), 84ff.
264 Bieri nennt die Phantasie, vgl. Bieri (2001), 161; aber Phantasieren und Überlegen sind sicherlich unscharf voneinander abgegrenzt. Sicherlich nehmen darüber hinaus auch viele gedanklich nicht oder nur teilweise artikulierte und unbewusste Motive Einfluss auf unser Entscheiden: dies berührt aber nicht das Verständnis einer freien Entscheidung als Ausdruck eines vorangegangenen vernünftigen Überlegens.
265 Vgl. Habermas (2006), 670ff.
266 Habermas (2006), 675.
267 Vgl. für eine grundlegende, den verschiedenen Freiheitskonzeptionen gegenüber gewissermaßen agnosti- sche Definition der Willensfreiheit auch Brüntrup (2017), 264f.
268 Man kann den Zusammenhang von Vernunft und Freiheit natürlich auch anders formulieren, als es hier erfolgt ist. Etwa in der antiken Tradition findet sich der Gedanke, dass eine Handlung umso freier ist, je mehr sie der Maxime der Vernunft folgt. Eine gänzlich unvernünftige Handlung ist damit unfrei; und gleiches gilt womöglich für Handlungen aus Willensschwäche. Eine solche Konzeption liegt allerdings mit einigen unserer Intuitionen zu Freiheit und Verantwortlichkeit über Kreuz (und impliziert entsprechend einen anderen Freiheitsbegriff).
269 Das Konsequenzargument für den Inkompatibilismus wird insbesondere mit Peter van Inwagen verbunden, der eine libertarische Theorie der Willensfreiheit vertreten hat, vgl. van Inwagen (1983). Tatsächlich wurden die Überlegungen hinter dem Konsequenzargument schon in der Scholastik diskutiert, vgl. Jäger (2013). Einen Überblick über libertarische Positionen bietet z.B. Clarke (2003); vgl. auch Kane (2005), 23ff. Peter Bieri vertritt einen Kompatibilismus, hat aber auch die Intuitionen hinter dem in- kompatibilistischen Freiheitsbegriff (im zweiten Abschnitt seines Buchs über die Freiheit) gut zum Ausdruck gebracht, vgl. Bieri (2001), 163ff. Zum Begriff des schwierigen „Dritten” zwischen Notwendigkeit und Zufall vgl. Brüntrup (2000); der Gedanke geht zurück u.a. auf Roderick Chisholm, der von einer „via media” spricht, vgl. Chisholm (1964), 10.
270 Man kann den kompatibilistischen Ansatz bei der Frage nach den alternativen Handlungsmöglichkeiten vereinfacht vielleicht auch mit einer Unterscheidung zwischen äußeren und inneren Umständen beschreiben: Was wir tatsächlich meinen, wenn wir von den alternativen Handlungsmöglichkeiten sprechen, die für die Freiheit gefordert sind, ist die Möglichkeit, dass eine Person unter den gleichen äußeren Umständen auch anders hätte handeln können. Es lag, anders gesagt, an ihr, wie sie gehandelt hat. Die Vorstellung dagegen, dass sie auch unter den gleichen inneren Umständen - mit den gleichen Überlegungen, Vorstellungen und Präferenzen - anders hätte handeln können, lässt sich nicht zu einem sinnvollen Freiheitsbegriff ausbuchstabieren.
271 Einflussreiche fiktive Szenarien zur Rechtfertigung eines Kompatibilismus von Freiheit und Determinismus gehen zurück insbesondere auf Harry G. Frankfurt, der das (libertarisch verstandene) „Prinzip der alternativen Handlungsmöglichkeiten” - dass Freiheit und moralische Verantwortung nur möglich sind, wenn der oder die Handelnde anders hätte handeln können - zu widerlegen versucht hat: Wenn eine Person sich nach Abwägen vernünftiger Gründe für eine Handlungsoption entscheidet, ist sie auch dann als frei und verantwortlich anzusehen, wenn faktisch gar keine andere Handlungsoption bestanden hat - etwa, weil eine zweite Person im Fall einer anderen Entscheidung eingeschritten wäre und, auf welche Art und Weise auch immer, die Entscheidung der ersten Person dahingehend manipuliert hätte, dass die erste (und damit einzige) Handlungsoption realisiert wird. Mit dieser Klasse von Gedankenexperimenten wird die prinzipielle oder theoretische Fähigkeit, anders zu handeln, von der tatsächlichen Möglichkeit hierzu entkoppelt - und damit Freiheit und Verantwortlichkeit von (metaphysisch echten) alternativen Handlungsmöglichkeiten. Vgl. Frankfurts grundlegende Darstellung in Frankfurt (1969), die Anlass zu umfangreicher Sekundärliteratur gegeben hat.
272 Der Grundgedanke kompatibilistischer Positionen wird häufig bis zu Locke und Hume zurückverfolgt. In der jüngeren Zeit sind, neben Harry Frankfurt, z.B. Watson (1975) und Dennett (1984) als Vertreter eines Kompatibilismus von Freiheit und Determinismus zu nennen; vgl. auch Kane (2005), 12ff. und 80ff. Für den deutschen Sprachraum vgl. insbesondere Bieri (2001); ähnlich Pauen (2004) und Beckermann (2008).
273 Der geschilderte Zusammenhang - dass dualistischen Positionen natürlicherweise eine Ablehnung der Mikrodeterminationsthese inhärent ist - trifft auf manche (nicht-interaktionistische) dualistische Spielarten, wie etwa den Epiphänomenalismus, nicht notwendig zu; hier könnte man durchaus von einer Festlegung (emergenter) Makro-Fakten durch die (materiellen) Mikro-Fakten sprechen. Tatsächlich wird der Epiphä- nomenalismus aber selten positiv vertreten, sondern dient eher als negative Schablone oder StrohmannPosition, deren Konsequenz man vermeiden möchte. Insofern stellen die interaktionistischen Dualismen - die versuchen, eine Art von Abwärtsverursachung an Stelle einer „Aufwärtsdetermination” intelligibel zu machen - sicherlich die relevantere Untergruppe dar.
274 Für die Ausformulierung der kompatibilistischen Idee, dass es bei der Festlegung des Willens kein „reines Subjekt”, kein von mir als Subjekt sinnvoll zu unterscheidendes natürliches Geschehen und damit keinen Standpunkt gibt, von dem aus ich seine Bedingtheit als Zwang oder Ohnmacht erleben könnte, vgl. Bieri (2001), insbes. 257ff. und 311ff. Die Vorstellung des Knotens als Bild des freien Entscheidens stammt von Ernst Tugendhat, vgl. Tugendhat (2007), 69. Die Unterscheidung „immanenter” (Akteurs-) von „transeunter” (Ereignis-)Kausalität im Rahmen einer libertarischen Freiheitskonzeption findet sich bei Roderick Chisholm, vgl. Chisholm (1964). Ein typisches Beispiel für einen Kompatibilismus dezidiert materialistischer Prägung ist Dennett (1984); ein explizit dualistisch-libertarischer Ansatz findet sich in Swinburne (2013).
275 Etwa Jürgen Habermas schreibt in diesem Sinne, die Vereinbarkeit von Determinismus und Freiheitsbewusstsein bleibe „bestenfalls eine kompatibilistische Wahrheit über [und nicht: für ] handelnde Personen” und verweist auf den „stillschweigend vorgenommenen Perspektiven-Wechsel [...], den kompatibilistische Argumente immer wieder ausnutzen”: „Nur der unbemerkte Wechsel von der Teilnehmer- zur Beobachterperspektive kann den Eindruck hervorrufen, dass die Handlungsmotivation durch verständliche Gründe eine Brücke zur Handlungsdetermination durch beobachtbare Ursachen baut.” (Habermas (2006), 685 und 687f. bzw. Habermas (2004), 876; Kursivierung jeweils im Original.)
276 Im vorliegenden Kapitel nicht behandelt wurde die freiheitsskeptische Position: dass wir Willensfreiheit zu keiner Zeit besitzen; entweder, weil unsere Welt dafür anders beschaffen sein müsste, als sie es tatsächlich ist, oder aber, weil echte Freiheit prinzipiell und aus begrifflichen Gründen nicht möglich ist.- Die freiheitsskeptische Position kann nicht überzeugen, im wesentlichen aus folgendem Grund: Wie eingangs angeführt, ist die wechselseitige Zuschreibung von (prinzipieller) Freiheit und Verantwortlichkeit für das eigene Handeln und Entscheiden Grundvoraussetzung unseres alltäglichen Miteinanders, aber auch jeder philosophischen Diskussion. Die Freiheitsskeptikerin begibt sich damit mutmaßlich in einen performati- ven Selbstwiderspruch - sie bestreitet auf der lokutionären Ebene, was sie auf der illokutionären Ebene vollzieht.
277 Griffin (1998), 2. Er spricht auch von Bewusstsein und Freiheit als den beiden „Dimensionen” des LeibSeele-Problems; vgl. ebd., 163.
278 Vgl. Griffin (1998), 131.
279 „[W]e have no sort of right to speak in any way as if the inner experience behind any fact of nature were of a grade lower than ours, or less conscious, or less rational [...]. The reality is, like that of our own experience, conscious, organic, full of clear contrasts, rational, definite.” (Royce (1898/1915), 230; zitiert nach Skrbina (2005), 151.)
280 Rugel (2013), 92f.
281 Vgl. Griffin (1998), 78. Auch Manuel Zorzi nimmt in seiner Dissertation zu Panexperientialismus und Willensfreiheit, die im weiteren noch besprochen wird, maßgeblich auf den Begriff der Spontaneität Bezug, vgl. Zorzi (2011).
282 Rugel (2013), 93.
283 Vgl. Goff (2017), 135ff. Goff spricht im Hinblick auf die kausale Wirksamkeit des (O-)Bewusstseins und die kausale Geschlossenheit der Mikro-Ebene von einer „Win-Win-Situation”, mit der die - „geschichteten” oder „fusionistischen” - emergenten Panpsychismen nicht aufwarten könnten. Aus Sicht des nichtkonstitutiven Panpsychismus freilich ist die genuine Wirksamkeit „makroskopisch” bewusster Subjekte im konstitutiven Modell gerade in Frage zu stellen.
284 Vgl. Rugel (2013), 92f.
285 Vgl. Bieri (2001), 408ff.
286 Ney (2022), 188f.
287 Goff (2020b).
288 Vgl. Goff (2019), 195ff.
289 Vgl. Steward (2012).
290 „The concept of ,settling a matter’ is evidently central to the argument [...]. I want to insist that as I move through the world, performing the various activities of which my life consists, I am constantly settling the answers to a variety of questions whose answers are (therefore) not already settled long before the time at which my actions take place [...]. The core idea at the heart of this notion of settling a matter is that of a question that is capable of being resolved in different ways at all times up until a certain moment - the moment of settling - at which point something that happens causes it to become resolved in one particular way.” (Steward (2012), 39; Kursivierung im Original.)
291 ebd., xi; Kursivierungen von mir.
292 Steward verwehrt sich gegen die aus ihrer Sicht irreführende Formulierung, dass eine Handelnde ihre Handlung verursacht - Handlungen, sagt sie, sind vielmehr einfach Instantiierungen des Handelns, und die Handelnde verursacht nicht ihre Handlung, sondern gewisse Umstände durch ihre Handlung. Vgl. ebd., 38 und 199f.
293 Vgl. ebd., i.
294 „[...] a large and ontologically flexible umbrella concept under which we bring a wider diversity of ontologically various relations and relationships, unified only by their connections to our interest in the explanation, prediction, and control of phenomena.” (Steward (2012), 210.)
295 Vgl. ebd., 212ff.
296 Vgl. ebd., 228; Kursivierung im Original.
297 „It is only if one is operating with the stronger concept of a causality sufficient condition as a necessitating condition, one might think, that one is entitled to the supposition that once we have causally sufficient conditions there could be nothing more to be said about the metaphysical aspects of the causality by means of which some particular effect came to be. Perhaps if there truly were necessitating microphysical conditions in existence for the next global state of the universe at every stage, it really would be true that there was nothing more to be said about the causal metaphysics of any matter once the proximal sufficient conditions were given [...]. Here one can indeed see no gap into which a phenomenon like top-down causation might be fitted. But to suppose that this is so is precisely to insist upon the thesis of determinism [...].” (Steward (2012), 240; Kursivierung im Original.)
298 Vgl. ebd., 107ff.
299 Vgl. ebd., 91f.
300 Vgl. Griffin (1998), 163.
301 Vgl. Griffin (1998), 166.
302 ebd., 166f.; Kursivierung im Original.
303 „Once that [...] we see laws of nature instead as habits, then the idea that laws fully dictate the behavior of molecules will be seen to be as groundless as the idea that human habits fully determine human behavior [...]. The idea that the feelings and purposes radiating from our minds into our bodies affect the activities of our bodies’ ultimate constituents, therefore, violates no laws of physics, only a materialist dogma
304 about such laws. An interactionist form of panexperientialism, accordingly, is able, while being consistent with our best scientific knowledge, to do justice to what we all presuppose about human mentality [...].” (Griffin (1998), 192f.)
305 Vgl. Whitehead (1929/1978), 21.
306 Vgl. Griffin (1998), 172f.
307 Griffin (1998), 175.
308 ebd., 170f.
309 Vgl. Griffin (1998), 181.
310 Zorzi (2011).
311 Vgl. Kane (1996), 124ff.; vgl. Zorzi (2011), 76ff.
312Vgl. Kane (1996), 77ff.
313 Vgl. Zorzi (2011), 199.
314 Vgl. ebd., 158.
315 Vgl. ebd., 166.
316 Vgl. Zorzi (2011), 175f.
317 Brüntrup (2019).
318 Vgl. Brüntrup (2019), 138.
319 ebd., 143.
320 „Clearly the free choices of humans are very different from those of particles. I believe, however, that the panlibertarian can tell a story as to how the kind of ,choice’ humans have arises from the kind of ,choice’ particles have [...]. Of course, this story is, to an extent, subject to empirical confirmation/ disconfirmation, but it seems no less empirically plausible than the kind of story of development that a non-libertarian might tell. By adopting this story, the panlibertarian can plausibly hold that adult human choice intelligibly arises from something not dissimilar to particle choice (although of much greater complexity).” (Goff (2020b), 17.)
321 „Hence, the panlibertarian will probably adopt a strong emergentist form of panpsychism, according to which the part of the brain associated with human consciousness is a fundamental entity and the states of the brain associated with human choice are fundamental properties. Reality, for the panlibertarian, is layered rather than flat. Despite this, the panlibertarian picture is significantly more simple, elegant and unified than that of the dualist” - „[h]uman persons are simply a highly evolved form of what we find in nature more generally”. (ebd., 18.)
322 Vgl. Brembs (2011).
323 Man muss festhalten, dass die in diesem Abschnitt geäußerte Kritik an dualistischen Positionen - dass diese einfach ad hoc einen wenig nachvollziehbaren Bruch zwischen dem menschlichen und dem nichtmenschlichen Bereich postulieren - nur auf einen Teil von ihnen, wahrscheinlich nur auf eine Minderheit, zutrifft, und dass die Kritik bisweilen stark auf „Strohmann”-Positionen - auf fiktionale, zur Unintel- ligibilität überspitzte Positionen, die tatsächlich von niemandem vertreten werden - zielt. Martine Nida- Rümelin etwa spricht sich, ähnlich wie Helen Steward, aber von einem dezidiert dualistischen Standpunkt aus, für einen „Kompromiss” zwischen Libertarismus und Kompatibilismus aus, der die Unverträglichkeit von (mikrophysischem) Determinismus und freiem Handeln schon an der Möglichkeit zum „aktiven Verhalten” eines Lebewesens festmacht - und somit, durchaus analog zu den hier behandelten emergent-pan- psychistischen Entwürfen, Vorstufen libertarischen Entscheidens auf niedrigeren Stufen der Natur postuliert: „According to the view here proposed, the capacity to behave in an active manner is not restricted to the human domain and might already have occurred with the emergence of simple forms of consciousness in early stages of biological evolution.” (Nida-Rümelin (2018), 61.)
324 Zorzi (2011), 291.
325 Mann (1947/1974), 28ff.
326 Goff (2019), 116.
327 Vgl. Blackburn (1985), 66.
328 Janich (2009), 120f.
329 Vgl. Griffin (1997), 258.
- Citation du texte
- Tobias Wagner-Altendorf (Auteur), 2023, Geist, Materie, Menschenbild. Implikationen panpsychistischer Konzeptionen in der Philosophie des Geistes für wesentliche Aspekte des menschlichen Selbstverständnisses, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1453304
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