»Da es nicht ohne Bücher geht, so existiert eins, das meiner Meinung nach die beste Abhandlung über natürliche Erziehung enthält. Das ist das erste Buch, das Emil liest. Für lange Zeit macht es seine ganze Bibliothek aus und wird später immer einen besonderen Platz einnehmen.[...] Welches ist nun dieses wunderbare Buch? Ist es Aristoteles oder Plinius oder Buffon? Nein! Es ist Robinson Crusoe.«
Rousseaus fiktiver Schüler Emil, dessen Erziehung in ›Emil oder Über die Erziehung‹ aus dem Jahre 1762 im Vordergrund steht, soll ohne Bücher heranreifen. Er soll lernen, seinen Körper und seine Wahrnehmung zu beherrschen und die Dinge zu beurteilen, die auf ihn zukommen. Er soll keine abstrakten Dinge erlernen, sondern nur solche, deren Nützlichkeit er auch begreift. Der Unterricht beruht auf der Prüfung der Dinge je nach den realen Umständen, in denen sie erscheinen. Und obwohl Rousseau in seinem Werk zudem offen bekennt, dass er Bücher hasse , da sie nur »lehren […], von dem zu reden, was man nicht weiß« , macht er – wie das Eingangszitat zeigt – eine Ausnahme von dieser Aversion, nämlich das erste Buch, welches sein Emil lesen soll : Daniel Defoes ›Robinson Crusoe‹. Dieser Abenteuerroman aus dem Jahre 1719 soll Emil beides, »Unterhaltung und Belehrung« sein.
Doch nicht nur Rousseau ist bekennender Freund von Defoes Roman, auch Goethe, Hesse und viele andere äußerten sich begeistert, und bis in die jetzige Zeit ist ›Robinson Crusoe‹ ein Klassiker, welcher Alt und Jung gleichermaßen anspricht und der heute noch so bekannt ist wie zu Lebzeiten Defoes.
Doch was genau ist das Besondere an Defoes Klassiker und was macht ihn, obwohl er ursprünglich für Erwachsene konzipiert wurde, zu einem Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur (KJL)? Ziel dieser Arbeit soll es sein, sich nach eingehender Betrachtung des Werkes mit eben jenen Fragen auseinanderzusetzen.
Um die Frage nach den Qualitäten des ›Robinson Crusoe‹ als KJL-Klassiker hinreichend beantworten zu können, werden zu Beginn der Arbeit Kümmerling-Meibauers Klassikerkriterien vorgestellt und anhand dieser ihre Definition eines Klassikers der KJL näher erläutert. Daraufhin steht eine kurze Biographie des Autors, gefolgt von einer ausführlichen Werksbetrachtung. Im Anschluss daran soll dann die Frage geklärt werden, ob Defoes Roman nach den genannten Kriterien ein Klassiker der KJL ist, bevor eine Würdigung des Werkes die Arbeit beschließt.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
I. Einleitung
II. Was ist ein Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur? Die Kriterien nach Kümmerling-Meibauer
III. Daniel Defoes ›Robinson Crusoe‹
1. Der Autor
2. Das Werk
2.1 Entstehung
2.2 Inhalt
2.3 Interpretationsansatz
IV. Ist ›Robinson Crusoe‹ ein Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur?
V. Abschließende Würdigung des Werkes
Literaturverzeichnis
Primärliteratur
Sekundärliteratur
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
I. Einleitung
»Da es nicht ohne Bücher geht, so existiert eins, das meiner Meinung nach die beste Abhandlung über natürliche Erziehung enthält. Das ist das erste Buch, das Emil liest. Für lange Zeit macht es seine ganze Bibliothek aus und wird später immer einen besonderen Platz einnehmen. Es ist der Text, zu dem alle unsere Unterhaltungen über die Naturwissenschaften nur als Kommentar dienen. Es wird der Prüfstein im Fortschritt zur Urteilsfähigkeit sein und, solange unser Geschmack noch nicht verdorben ist, wird uns seine Lektüre immer erfreuen. Welches ist nun dieses wunderbare Buch? Ist es Aristoteles oder Plinius oder Buffon? Nein! Es ist Robinson Crusoe.«[1]
Rousseaus fiktiver Schüler Emil, dessen Erziehung in ›Emil oder Über die Erziehung‹ (frz. Originaltitel: ›Émile ou De l’éducation‹) aus dem Jahre 1762 im Vordergrund steht, soll ohne Bücher heranreifen. Er soll lernen, seinen Körper und seine Wahrnehmung zu beherrschen und die Dinge zu beurteilen, die auf ihn zukommen. Er soll keine abstrakten Dinge erlernen, sondern nur solche, deren Nützlichkeit er auch begreift. Der Unterricht beruht auf der Prüfung der Dinge je nach den realen Umständen, in denen sie erscheinen.[2] Und obwohl Rousseau in seinem Werk zudem offen bekennt, dass er Bücher hasse[3], da sie nur »lehren […], von dem zu reden, was man nicht weiß«[4], macht er – wie das Eingangszitat zeigt – eine Ausnahme von dieser Aversion, nämlich das erste Buch, welches sein Emil lesen soll[5]: Daniel Defoes ›Robinson Crusoe‹. Dieser Abenteuerroman aus dem Jahre 1719 soll Emil beides, »Unterhaltung und Belehrung«[6] sein.
Doch nicht nur Rousseau ist bekennender Freund von Defoes Roman, auch Goethe, Hesse und viele andere äußerten sich begeistert, und bis in die jetzige Zeit ist ›Robinson Crusoe‹ ein Klassiker, welcher Alt und Jung gleichermaßen anspricht und der heute noch so bekannt ist wie zu Lebzeiten Defoes.
Doch was genau ist das Besondere an Defoes Klassiker und was macht ihn, obwohl er ursprünglich für Erwachsene konzipiert wurde, zu einem Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur (KJL)? Ziel dieser Arbeit soll es sein, sich nach eingehender Betrachtung des Werkes mit eben jenen Fragen auseinanderzusetzen.
Um die Frage nach den Qualitäten des ›Robinson Crusoe‹ als KJL-Klassiker hinreichend beantworten zu können, werden zu Beginn der Arbeit Kümmerling-Meibauers Klassikerkriterien vorgestellt und anhand dieser ihre Definition eines Klassikers der KJL näher erläutert. Daraufhin steht eine kurze Biographie des Autors, gefolgt von einer ausführlichen Werksbetrachtung. Im Anschluss daran soll dann die Frage geklärt werden, ob Defoes Roman nach den genannten Kriterien ein Klassiker der KJL ist, bevor eine Würdigung des Werkes die Arbeit beschließt.
II. Was ist ein Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur? – Die Kriterien nach Kümmerling-Meibauer
Ohne Frage handelt es sich bei Defoes Roman um einen Klassiker der Weltliteratur, doch ist er auch ein Klassiker der KJL? Dieser Frage soll in diesem Kapitel mithilfe von Kümmerling-Meibauers Klassikerdefinition nachgegangen werden, welche wie folgt lautet:
»[…] [A]ls Kinderklassiker gelten diejenigen Werke, die in der Kinderliteratur eines Landes oder eines Sprachraums eine herausragende Rolle spielen bzw. gespielt haben und sich hinsichtlich ihrer literarisch-ästhetischen Qualität durch eine besondere Innovationsleistung und Repräsentativität für ihre Epoche auszeichen.«[7]
Nun bedarf hier der Begriff der literarisch-ästhetischen Qualität einer genaueren Erläuterung. Kümmerling-Meibauer versucht dies anhand verschiedener Kriterien, die im Folgenden vorgestellt werden.[8]
Das Kriterium der Innovativität, welches häufig auch mit dem Aspekt der Originalität in Verbindung gebracht wird, umfasst jegliche literarischen Merkmale eines Textes (Inhalt, Motive, Genre, Erzählweise, Sprache usw.) und besagt, »daß der betreffende Text ein oder mehrere dieser Merkmale in die Kinderliteratur eingeführt hat und in vorbildlicher Weise literarisch verarbeitet hat.«[9] Der Innovativitätsbegriff ist hierbei relational zur Entwicklung der jeweiligen nationalen KJL einzustufen.[10] Das heißt, dass ein Kinder- oder Jugendbuch für die Nationalliteratur eines bestimmten Landes durchaus innovativ sein kann, wohingegen es in anderen literarischen Kontexten vielleicht nicht dieselbe Bedeutung erlangt hätte.
Mit dem Kriterium der Repräsentativität wird darauf hingewiesen, dass ein Kinder- oder Jugendbuch als »bedeutendster Repräsentant für die Etablierung eines literarischen Merkmals oder als herausragender Vertreter einer kinderliterarischen Entwicklung innerhalb eines Epochenabschnitts«[11] angesehen wird.
Ästhetische Gestaltung der Sprache bedeutet vor allem angemessene sprachliche Gestaltung, welche mit dem jeweiligen Genre, dem Thema und der Erzählstruktur korreliert.[12] Die Verbindung verschiedener Sprachstile oder die Erfindung neuer sprachlicher Formen können hierbei herausragende Merkmale sein.
Die Eigenschaft der »graduellen, dem Entwicklungsstand der angestrebten Altersgruppe angepassten«[13] Einfachheit resultiert aus der Rücksichtnahme auf das begrenzte Weltwissen und Sprachvermögen des Kindes sowie auf dessen noch fehlende Erfahrung mit Literatur.
Die Tatsache, dass in Kinder- oder Jugendbüchern in der Regel auch Kinder und Jugendliche im Mittelpunkt des Geschehens stehen und sich somit die Aufmerksamkeit auf die Darstellung ihres Alltags sowie ihrer Gefühls- und Erlebniswelt richtet (z.B. Enid Blytons ›Five on a Treasue Island‹, Charles Dickens ›Oliver Twist‹, Erich Kästners ›Emil und die Detektive‹ oder Otfried Preußlers ›Krabat‹ uvm.), wird unter dem Kriterium der Darstellung der kindlichen Erlebniswelt summiert. Außer Acht wird hierbei allerdings gelassen, dass diese Literatur von Erwachsenen geschrieben wird, welchen der unmittelbare Zugang zu dieser kindlichen Erfahrungs- und Denkweise aufgrund der zeitlichen Distanz zu ihrer eigenen Kindheit bzw. Jugend verwehrt ist.[14]
Das Kriterium der Phantasie weist auf die Fähigkeit hin, disparate Elemente, wie beispielsweise das Miteinander realistischer und phantastischer Elemente, sinnvoll zu vereinen (z.B. Pamela Travers ›Mary Poppins‹).[15]
Erstaunlich viele Kinder- und Jugendbuchklassiker zeichnen sich durch Mehrdeutigkeit aus, »die sich durch die bewußt konzipierte Offenheit ambig dargestellter Handlungen und Figuren, die Ambivalenz des Schlusses oder die Integration metafiktionaler Passagen ergibt«[16]. Hier spricht Kümmerling-Meibauer vom Kriterium der Polyvalenz.
Der Begriff des Cross-Writing, welcher das letzte Kriterium Kümmerling-Meibauers darstellt, kann in Bezug auf KJL drei Aspekte bezeichnen: erstens, die Tatsache, dass Kinder- oder Jugendbuchautoren auch häufig Erwachsenenliteratur schreiben, zweitens, die Tatsache, dass ein kinderliterarischer Text sich sowohl an kindliche als auch an erwachsene Leser richtet (rezipientenübergreifendes Schreiben) und drittens, das Phänomen, dass ein zunächst als Erwachsenenliteratur konzipiertes Werk von demselben Autor in ein Kinderbuch umgeschrieben wird oder umgekehrt.[17]
Obwohl es eine große Anzahl von Werken gibt, die all diese Kriterien erfüllen (z.B. Hodgon Burnetts ›The Secret Garden‹, Norman Lindsays ›The Magic Pudding‹ oder Otfried Preußlers ›Krabat‹), müssen nach Kümmerling-Maibauer nicht alle Klassiker der KJL sämtliche Kriterien vorweisen um als solche zu gelten.[18] Die in ihrem Lexikon als Kinder- und Jugendbuchklassiker aufgenommenen Werke müssen allerdings mindestens drei der oben genannten Kriterien erfüllen.[19]
III. Daniel Defoes ›Robinson Crusoe‹
1. Der Autor
Daniel Foe oder Defoe[20], wie er sich später selbst nennt, wird 1660 oder 1661[21] in London als Sohn des Metzgers und Kerzenmachers James Foe und dessen Frau Alice geboren. Er wird von seinen Eltern im puritanischen Glauben erzogen und besucht in den Jahren 1674-1679 die ›Dissenting Academy‹ in Stoke Newington, um, dem Wunsch seines Vaters folgend, Geistlicher zu werden.[22] Defoe entscheidet sich dann jedoch für den Beruf des Kaufmannes und betreibt seit 1683 einen Strumpfwaren-, Wein- und Tabakhandel.[23]
Im Jahre 1684 heiratet er Mary Tuffley, die Tochter eines Weinhändlers, mit der er im Laufe der Ehe sieben Kinder zeugt.[24]
1685 ist Defoe in die Monmouth Revolution gegen den englischen König James II. verwickelt. Er kämpft auf der Seite der Verlierer und musst nach Spanien und Frankreich fliehen. 1688 schließt er sich dann den Truppen um Willhelm von Oranien (später William III.) an und nimmt an deren triumphalen Einzug in London teil.[25]
Zurück in London muss Defoe im Jahre 1692 Konkurs anmelden, kann allerdings einige Jahre darauf mit dem Erwerb einer Ziegelei erneut Fuß fassen.
Seit seinem Bankrott beschäftigt Defoe sich intensiv mit den politischen und wirtschaftlichen Fragen seiner Zeit und betätigt sich zunehmend journalistisch.[26] So veröffentlicht er etwa zahlreiche politische Essays und Pamphlete und gibt später die Zeitung ›The Review‹ (1704-1713) heraus.[27]
[...]
[1] Rousseau, Jean-Jacques: Emil oder Über die Erziehung, 13., unveränderte Auflage, Paderborn/ München/ Wien/ Zürich 1998, S.180.
[2] Vgl. Saariluoma, Lisa: Hinaus aus der Zivilisation. Tourniers Vendredi und Rousseaus Zivilisationskritik, in: Wiedemann, Conrad (Hrsg.): GRM, Neue Folge, Bd. 47, Heidelberg 1997, S.138.
[3] Rousseau, S.179.
[4] Ebd.
[5] Ebd., S.180.
[6] Ebd., S.181.
[7] Kümmerling-Meibauer, Bettina: Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur. Ein internationales Lexikon. Band 1: A – K, Stuttgart/ Weimar 1999, S.XI.
[8] Vgl. ebd., S.XII.
[9] Ebd.
[10] Vgl. ebd.
[11] Ebd.
[12] Vgl. ebd.
[13] Ebd., S.XIII.
[14] Vgl. ebd.
[15] Vgl. ebd., S.XIV.
[16] Ebd., S.XV.
[17] Vgl. ebd.
[18] Vgl. ebd., S.XVI.
[19] Vgl. ebd.
[20] Defoe stellte seinem Nachnamen das französische Adelsprädikat ›de‹ voran, was zu ›de Foe‹ führte. Dies wiederum wurde mit den Jahren durch Zusammenschreibung zu ›Defoe‹.
[21] Das genaue Geburtsdatum ist nicht bekannt, vgl. Richetti, John: The Life of Daniel Defoe, Malden/ Oxford/ Victoria 2005 (Blackwell critical biographies), S.1 und Kümmerling-Meibauer, S.274.
[22] Vgl. Kümmerling-Meibauer, S.274.
[23] Vgl. ebd.
[24] Vgl. ebd.
[25] Vgl. ebd.
[26] Vgl. Altmüller, Karl: Einbandtext von: Defoe, Daniel: Robinson Crusoe. Aus dem Englischen von Karl Altmüller. Mit 27 Illustrationen von Grandville, Köln 2008, Einband vorne.
[27] Vgl. ebd.
- Quote paper
- Nadine Heinkel (Author), 2008, Daniel Defoes "Robinson Crusoe" - ein Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/145089
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