„In der Kirche lesen die immer die halbe Bibel vor. Das ist so langweilig.“
Diese und ähnliche Äußerungen sind häufig von Kindern meines ersten Schuljahres zu vernehmen, wenn das Thema „Kirche“ in irgendeiner Form zur Sprache kommt. Sie spiegeln die zunehmende Distanz der Schüler zu Kirche und christlichen Glaubensinhalten wider. Die in der Regel seltenen Besuche der Schulgottesdienste scheinen für viele eine reine Pflichterfüllung zu sein und der Kirchenraum in den Augen der Kinder vorrangig ein Ort, „an dem man leise sein muss“ . Dabei ist jedoch stärker die Aufforderung zu angemessenem Verhalten von Seiten der Lehrer und Eltern als die Ehrfurcht vor dem sakralen Raum herauszuhören. Es fehlt den Kindern heute vermehrt an kirchlicher und religiöser Sozialisation und familiären Vorbildern, die Religiosität vermitteln und ihren Glauben im Alltag leben. Den meisten dieser Erstklässler fehlt nahezu jeglicher Bezug zur Kirche, der heilige Ort „bewegt“ sie nicht. Eine allgemein festzustellende religiöse Erfahrungsarmut der Schüler bewirkt daher, dass sich Religionsunterricht immer weniger auf Erfahrungen mit gelebter und gestalteter Religion stützen kann. Die Entwicklung einer religiösen Sozialisation und das „Vertraut-machen“ mit Formen und Institutionen gelebten Glaubens sind daher zentrale Aufgaben des katholischen Religionsunterrichts. Der Kirchenraum scheint diesbezüglich als außerschulischer Lern- und Erfahrungsort zahlreiche Chancen zu eröffnen und bietet die Möglichkeit, Leben und Schule, Religionsunterricht und religiösen Alltag miteinander zu verbinden. Ich als bekennende Religionslehrerin sehe es als wichtiges Erziehungsziel an, gelebten Glauben für die Schüler erfahrbar werden zu lassen und ihre positive Einstellung und innere Bindung an die Kirche zu stärken. So stellt sich mir die Frage, inwieweit es möglich ist, mit Schülern dieses ersten Schuljahres den Kirchenraum als Ort gelebten Glaubens zu erkunden. Kann die Bewegung in ihm im physischen Sinne sie auch innerlich bewegen und dadurch die Beziehung des Einzelnen zur Kirche und zum eigenen Glauben gestärkt werden? Vor dem Hintergrund dieser Frage entwickelte ich die Idee zu einem Unterrichtsvorhaben, in dessen Mittelpunkt die Erkundung der Pfarrkirche St. Konrad in Hilden als Ort gelebten Glaubens steht.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Die Kirche – ein „Ort gelebten Glaubens“
2.2 Zu dem Begriff „Kirchenpädagogik“
2.2.1 Ansätze und Ziele der Kirchenpädagogik
2.2.2 Prinzipien der Kirchenpädagogik
3 Rahmenbedingungen für eine Kirchenraumerkundung in Hilden
3.1 Die Pfarrkirche St. Konrad
3.2 Bedingungsanalyse: Die Lernvoraussetzungen der Schüler
4 Planung und Vorbereitung des Unterrichtsvorhabens
4.1 Zielsetzung und Intention einer Kirchenraumerkundung in Hilden
4.2 Organisatorische Maßnahmen
4.3 Vorbereitungen der Kirchenraumerkundung im Unterricht
4.4 Didaktisch-methodische Überlegungen
5 Konzeption des Unterrichtsvorhabens zur Erkundung der Pfarrkirche St. Konrad
5.1 Gestaltung der Kirchenraumerkundung
5.1.1 „Begegnung mit dem Kirchenraum“ – Die erste Erkundung der Kirche St. Konrad
5.1.2 „Der Innenraumgestaltung und ihrer Bedeutung auf die Spur kommen“ - Die zweite Erkundung der Kirche St. Konrad
5.1.3 Nachbereitung der Kirchenraumerkundung im Unterricht
6 Durchführung der Kirchenraumerkundung
7 Gestaltung der Gottesdienstfeier in der Pfarrkirche St. Konrad
8 Auswertung des Unterrichtsvorhabens
9 Fazit und Ausblick
10 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
„In der Kirche lesen die immer die halbe Bibel vor. Das ist so langweilig.“[1]
Diese und ähnliche Äußerungen sind häufig von Kindern meines ersten Schuljahres zu vernehmen, wenn das Thema „Kirche“ in irgendeiner Form zur Sprache kommt. Sie spiegeln die zunehmende Distanz der Schüler[2] zu Kirche und christlichen Glaubensinhalten wider. Die in der Regel seltenen Besuche der Schulgottesdienste scheinen für viele eine reine Pflichterfüllung zu sein und der Kirchenraum in den Augen der Kinder vorrangig ein Ort, „an dem man leise sein muss“[3]. Dabei ist jedoch stärker die Aufforderung zu angemessenem Verhalten von Seiten der Lehrer und Eltern als die Ehrfurcht vor dem sakralen Raum herauszuhören. Es fehlt den Kindern heute vermehrt an kirchlicher und religiöser Sozialisation und familiären Vorbildern, die Religiosität vermitteln und ihren Glauben im Alltag leben. Den meisten dieser Erstklässler fehlt nahezu jeglicher Bezug zur Kirche, der heilige Ort „bewegt“ sie nicht. Eine allgemein festzustellende religiöse Erfahrungsarmut der Schüler bewirkt daher, dass sich Religionsunterricht immer weniger auf Erfahrungen mit gelebter und gestalteter Religion stützen kann. Die Entwicklung einer religiösen Sozialisation und das „Vertraut-machen“ mit Formen und Institutionen gelebten Glaubens sind daher zentrale Aufgaben des katholischen Religionsunterrichts. Der Kirchenraum scheint diesbezüglich als außerschulischer Lern- und Erfahrungsort zahlreiche Chancen zu eröffnen und bietet die Möglichkeit, Leben und Schule, Religionsunterricht und religiösen Alltag miteinander zu verbinden. Ich als bekennende Religionslehrerin sehe es als wichtiges Erziehungsziel an, gelebten Glauben für die Schüler erfahrbar werden zu lassen und ihre positive Einstellung und innere Bindung an die Kirche zu stärken. So stellt sich mir die Frage, inwieweit es möglich ist, mit Schülern dieses ersten Schuljahres den Kirchenraum als Ort gelebten Glaubens zu erkunden. Kann die Bewegung in ihm im physischen Sinne sie auch innerlich bewegen und dadurch die Beziehung des Einzelnen zur Kirche und zum eigenen Glauben gestärkt werden? Vor dem Hintergrund dieser Frage entwickelte ich die Idee zu einem Unterrichtsvorhaben, in dessen Mittelpunkt die Erkundung der Pfarrkirche St. Konrad in Hilden als Ort gelebten Glaubens steht.
Zur besseren Übersicht werde ich im Folgenden den Aufbau der vorliegenden Arbeit beleuchten, sowie die in der Planung, Durchführung und Evaluation des Unterrichtsvorhabens erfüllten Lehrerfunktionen benennen und kurz erläutern.
Einleitend wird der Leser in die theoretischen Grundlagen eingeführt, die das Fundament für die Planung und Umsetzung des Konzeptes zur Kirchenraumerkundung bilden. Beginnend mit Ausführungen zum Lernort Kirche als Ort gelebten Glaubens wird anschließend der Begriff der „Kirchenpädagogik“ erläutert und Ansätze, Ziele, sowie Prinzipien der Kirchenpädagogik dargestellt. In Kapitel 3 folgen die Rahmenbedingungen für eine Kirchenraumerkundung in Hilden. Nach einer kurzen Erläuterung zur Pfarrkirche St. Konrad werden die Lernvorrausetzungen der Kinder dieses ersten Schuljahres dargestellt. Entsprechend der Ergebnisse lassen sich Ziele und Intentionen für eine Kirchenraumerkundung in Hilden formulieren, die in die Planung und Vorbereitung des Unterrichtsvorhabens einfließen. Zu berücksichtigende organisatorische Maßnahmen werden genannt, die notwendige Vorbereitung im Unterricht wird erläutert und didaktische und methodische Überlegungen zur Kirchenraumerkundung werden angestellt. Es folgen die Darstellung der Konzeption, Erläuterungen zur unterrichtlichen Nachbereitung und eine Dokumentation der Durchführung des Unterrichtsvorhabens. Auch die Gestaltung und Feier eines Gottesdienstes tragen maßgeblich zur Realisierung der zuvor genannten Ziele bei und werden in Kapitel 6 näher erläutert. Diese Ziele werden in der Evaluation des Unterrichtsvorhabens auf ihren Erfolg hin geprüft, bevor die Arbeit mit einem Fazit und Ausblick auf die Weiterarbeit schließt.
Innerhalb der Auseinandersetzung mit der vorliegenden Thematik, d.h. bei der Vorbereitung, Planung, Durchführung und Auswertung der Kirchenraumerkundung, werden folgende Lehrerfunktionen besonders gefordert[4].
- Erziehen
Eine religiöse Erziehung trägt maßgeblich zur Bildung ethischer Grundwerte bei. So fordert die Erkundung des sakralen Raumes fordert von den Erstklässlern z.B. respekt- und achtvolles Verhalten im Raum. Dies gilt es nicht nur durch Wissensvermittlung zu erreichen, sondern durch das Anbahnen von Wertebewusstsein und das eigene, vorbildhafte Verhalten.
- Organisieren und Verwalten
Da es sich um den Besuch eines außerschulischen Lernortes handelt, sind viele organisatorische Aspekte im Voraus zu beachten. Hierzu zählen bspw. die frühzeitige Erhebung zum Kenntnisstand der Schüler bzgl. des Themas, das fristgerechte Informieren der Eltern sowie das Absichern des Schulweges. Auch die Gestaltung der Kirchenraumerkundung selbst (Bereitstellung von Materialien, Wahl der Methodik etc.) ist ausführlich und mit fundiertem Hintergrundwissen zu planen und zu organisieren. Die Absprache mit zahlreichen Beteiligten, wie Schulleitung, Kollegium und Eltern, aber auch schulexternen Partnern wie dem Pastor und einzelnen Gemeindemitgliedern, erfordert nicht nur intensive Organisation, sondern auch die Fähigkeit zur Kooperation.
- Unterrichten
Bei der Planung des Konzeptes müssen Entscheidungen über geeignete Inhalte und Methoden getroffen werden, die innerhalb der Kirchenraumerkundung realisierbar sind und die Lernvoraussetzungen der Kinder angemessen berücksichtigen. Gleichzeitig dürfen die Anforderungen des Lehrplans und der aktuellen Religionsdidaktik nicht außer Acht gelassen werden. Für eine ertragreiche Durchführung der Kirchenraumerkundung ist zudem eine gezielte Vorbereitung und Nachbereitung im Unterricht erforderlich.
2 Theoretische Grundlagen
Die im Folgenden dargestellten theoretischen Bezugspunkte bilden die Grundlage für die Planung eines Konzeptes zur Kirchenraumerkundung mit Schülern eines ersten Schuljahres. Diese basieren vor allem auf Ausführungen zur Kirchenpädagogik[5], einem Bereich innerhalb der Praktischen Theologie.
2.1 Die Kirche – ein „Ort gelebten Glaubens“
„Kirchen sind Stein gewordene Zeugnisse religiöser Tradition und gelebten Gottesglaubens“[6], sie sind „Texte vergangenen Lebens und geronnene Form von Glauben und Gottesdiensten oft unterschiedlicher Zeiten“[7]. Solche und ähnliche Zitate beschreiben metaphorisch, wie ein jedes Kirchengebäude die Glaubensvorstellungen und die damit verbundenen Hoffnungen und Sehnsüchte der Menschen sichtbar werden lässt. Oft bewahren Kirchenräume über viele Jahrhunderte hinweg die Erfahrungen der Menschen mit ihrem Glauben. Sie können geradezu als „Glaubensdenkmäler“[8] bezeichnet werden. So erzählt etwa die Architektur, aber auch die Innenraumausstattung vom Glauben vergangener Generationen.[9] Die „Gebrauchsspuren“[10] vieler Generationen stellen eine Verbindung zur Geschichte des Glaubens in der Zeit her und machen so auch einen selbst „zu einem Teil dieser Geschichte“[11]. Demnach bleiben Kirchen eben nicht nur Orte vergangener Geschichte, zu jeder Zeit finden hier Gottesbegegnungen statt. Die Kirche ist ein Ort, an dem die Gemeinde sowohl besondere Feste im Kirchenjahr und den sonntäglichen Gottesdienst feiert, als auch Grenzsituationen des Lebens (wie Taufe, Kommunion, Hochzeit oder Tod) in der Dimension Gottes begeht.[12] Eine besondere Bedeutung gewinnt der Kirchenraum außerdem in seiner Eigenschaft als Versammlungs- und Erfahrungsraum für und von Christen, die hier ihren Glauben feiern. Er erzählt von einer gläubigen Gemeinschaft oder auch vom Zusammenleben Gottes mit den Menschen. Neben den im Kirchenraum anwesenden betenden Gläubigen ist das Glaubensleben der Gemeinde auch durch Ausstattungsstücke wie Taufbecken, Altar, Kerzen und Gebetbücher präsent.[13] Diese Präsenz macht Kirchen zu „Lernorte[n] gelebter Religion“[14]. In ihnen kann man „wahrnehmen, wie sich religiöse Praxis vollzieht“[15].
2.2 Zu dem Begriff „Kirchenpädagogik“
Die Kirchenpädagogik gilt als Teildisziplin der Praktischen Theologie und integriert seit Anfang der neunziger Jahre Kirchengebäude als außerschulische Lernorte wieder verstärkt in die religionspädagogische Praxis.[16] Wesentlich zur ihrer Entstehung beigetragen hat die Tatsache, dass Symbole, Riten und Bekenntnisse sowie Vorstellungen und Lehren des christlichen Glaubens von vielen Menschen nicht mehr gelesen und verstanden werden können. Neben dem sogenannten „Traditionsabbruch“[17] trägt außerdem das Interesse an Räumen mit einer bestimmten emotionalen Wirkung, aber auch das Bedürfnis nach Rückzugsmöglichkeiten, nach Orten der Stille und der Besinnung zur verstärkten Auseinandersetzung mit der Kirchenpädagogik bei.[18]
Der Begriff „Kirchenpädagogik“ ist von dem der „Museumspädagogik“ abgeleitet.[19] Anders aber als der nüchtere Charakter von Museumsbesuchen, soll die Kirchenpädagogik die persönliche Begegnung einer Person mit dem Kirchenraum ermöglichen und dieser als Ort „gelebter Religiosität“[20] erschlossen werden.
Angeregt von der Museumspädagogik finden sich in der kirchenpädagogischen Praxis vielgestaltete Arten von Kirchenraumerkundungen, die herkömmliche Führungsstile durchbrechen und Kindern und Erwachsenen das Haus Gottes als Orte inszenierter Religion näherbringen sollen. Hierbei kann zwischen verschiedenen Erkundungstypen[21] unterschieden werden, die von je anderen Schwerpunktsetzungen bestimmt sind.[22] Nimmt man die verschiedenen Typisierungen in den Blick, erscheint es mir fragwürdig, sich für die schulische Praxis auf eines dieser Modelle festzulegen. Dagegen halte ich es für vorteilhafter, ein eigenes Konzept zu entwickeln, verschiedene Elemente miteinander zu kombinieren und die Vorteile und den Ideenreichtum der verschiedenen Typen zu nutzen. Unter Berücksichtigung der Lernvoraussetzungen der Schüler können dabei handlungsorientierte und symboldidaktische ebenso wie neu gestaltende und baukundliche Elemente integriert werden.
2.2.1 Ansätze und Ziele der Kirchenpädagogik
Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass die christliche Kirche mit ihren Inhalten und Gebräuchen immer mehr Christen fremd geworden ist und der Kirchenraum mit seiner Geschichte, Überlieferung, Symbolsprache und dem Inventar zunehmend erklärungsbedürftiger wird. Die wachsende religiöse Erfahrungsarmut hat daher zu dem Bestreben geführt, Lernende wieder stärker mit gelebtem und gestaltetem Glauben bekannt zu machen. Neben dem Gebet und dem Gottesdienst gehören dazu auch der Kirchenraum und seine sakrale Kunst.
An diesem Punkt setzt die Kirchenpädagogik an. Sie will „persönliche Erfahrungen mit Formen überlieferten Glaubens“[23] ermöglichen und die individuelle Entwicklung von Spiritualität fördern. Eine Kirche soll als zentraler Ort entdeckt werden, der auch für die Lernenden selbst „religiöse Heimat“[24] sein könnte. Die Fremdheit gegenüber dem Raum kann dabei als Chance betrachtet werden, Staunen und Begeisterung hervorzurufen und schließlich einen Erkenntnisgewinn über den Raum und die mit ihm eng verbundenen christlichen Glaubensinhalte in Gang zu setzen. Hauptsächlich im Kirchenraum wird Religion und Glaube erfahrbar, wird Stille erlebbar. Er ist Versammlungsort der christlichen Gemeinde, hier wird Kirchengeschichte lebendig und unzählige Symbole wollen uns etwas mitteilen. Bei einer Kirchenraumerkundung sollten eben diese Aspekte berücksichtigt werden und Funktion, Kunst, Geschichte und Bauform der Kirche zum Gegenstand kirchenpädagogischer Arbeit werden.
2.2.2 Prinzipien der Kirchenpädagogik
Obwohl in der Fachliteratur zur Kirchenpädagogik keine verbindlichen Standards zur Erkundung von Kirchenräumen vorgegeben werden, sind dennoch allgemeine Prinzipien erkennbar, die bei der Planung einer Kirchenraumerkundung der Orientierung dienen.[25]
Das Prinzip der Verlangsamung
In einer Zeit der Beschleunigung und Mobilität fordert eine gelingende Kirchenraumerkundung Elemente des Innehaltens und des Stillwerdens. Die Verlangsamung soll helfen, Erfahrungen zu intensivieren und die genaue Wahrnehmung anzuregen. Da sakrale Räume auf Einkehr, Ruhe und Besinnung ausgerichtet sind, erfordert ihre Erschließung viel Zeit und verbleibendes Betrachten.[26] Es geht also dabei nicht „um ein Erleben [nicht] von Quantität, sondern von Qualität und Intensität“[27].
Das Prinzip der Versinnlichung
Die vielen Besonderheiten des Kirchenraums wie Größe, Temperatur, Lichtverhältnisse und Klang tragen dazu bei, dass beim Begehen des Raumes verschiedene Sinne angesprochen werden. Die Kirchenpädagogik kann dazu verhelfen, dies deutlicher wahrzunehmen und entsprechende Sinneserlebnisse zu intensivieren. Durch entdeckendes Lernen und Spurensuche sollen Teile des Kirchenraums „be-griffen“ werden, wo man sie „er-greifen“ kann.[28]
Das Prinzip der Elementarisierung
Da sich aufgrund der Fülle der historischen, politischen, theologischen und kulturellen Fragekomplexe häufig die Schwierigkeit stellt, eine Auswahl an Informationen für eine Kirchenführung zu treffen, soll sich diese an den Gegebenheiten des konkreten Raumes orientieren.[29]
Prinzip der Inszenierung
Die Kirchenpädagogik empfiehlt eine Kirchenraumerkundung im Sinne einer Inszenierung, bei der sich die wechselseitige Erschließung in verschiedene Phasen unterteilt. Die Phasen dienen dazu, einen Spannungsbogen aufzubauen und diesen bewusst zu gestalten. Ein mögliches Inszenierungsmuster, nach dem sich eine Kirchenraumerkundung gestalten lässt, ist durch die vier folgenden Phasen gekennzeichnet[30]:
1. Phase: Sich sammeln und annähern
Zur Annäherung an den Kirchenraum eignet es sich, bereits den Weg und die Betrachtung des Gebäudes von außen bewusst zu gestalten. Durch eine bewusste Hinführung zum Kirchenraum soll Abstand zum Alltag gewonnen werden. Indem der Kirchenraum durch die Vorbereitung auf den Eintritt stärker „erwartet“ wird, ist diese Phase bereits eine Form der Verlangsamung.
2. Phase: Sich einlassen und entdecken
Aus kirchenpädagogischer Sicht soll die Begegnung mit dem Kirchenraum in einer Kombination aus eigenem Entdecken und der Weitergabe grundlegender Informationen geschehen. Hierzu eignen sich bspw. das Innehalten an einem eigens ausgesuchten „Lieblingsplatz“ oder aber ein Suchspiel, bei dem fotografierte Gegenstände und Bilder von den Kindern oder auch Erwachsenen im Kirchenraum gefunden werden sollen. Entsprechende Methoden dienen dazu, dass die Teilnehmer den Raum intensiv wahrnehmen, sich auf ihn einlassen und dadurch Fragen und Assoziationen ausgelöst werden.
3. Phase: Vertiefen
In dieser Phase wird der thematische Schwerpunkt einer Kirchenraumerkundung dicht und intensiv bearbeitet. Hat die Erkundung kein spezielles Thema, dient sie dazu, sich mit Inventarstücken (z.B. dem Altar) und Orten im Raum (z.B. der Kapelle) näher auseinanderzusetzen.
4. Phase: Ablösen und Beenden
Ein bewusst gestalteter Abschluss bildet das Ende der Erkundung. Hier können Elemente der Eröffnungsphase (wie bspw. das Singen oder gemeinsame Anzünden von Kerzen) wiederholt werden.
Diese Phasen dienen der strukturierten Planung und Durchführung einer Kirchenraumerkundung. Es handelt sich dabei jedoch nicht um eine zwangsweise lineare Abfolge. Die jeweilige Inszenierung orientiert sich immer an den Lernenden einerseits und am Kirchenraum und seiner Ausgestaltung andererseits. Da diese Faktoren sehr unterschiedlich sein können, muss jede Kirchenraumerkundung individuell ausgestaltet werden.
3 Rahmenbedingungen für eine Kirchenraumerkundung in Hilden
3.1 Die Pfarrkirche St. Konrad
Im Mittelpunkt steht die katholische Pfarrkirche St. Konrad in Hilden.[31] Die Kirche ist Teil des Pfarrverbandes Hilden, einer Stadt im Kreis Mettmann mit über 50.000 Einwohnern. Die katholische Astrid-Lindgren-Schule pflegt eine gute Zusammenarbeit mit der Gemeinde der Kirche St. Konrad. Dies kommt besonders in den für die Klassen 3 und 4 wöchentlich stattfindenden Schulgottesdiensten und dem Seelsorgeunterricht durch den Pastoralreferent zur Ausdruck.
Die Kirche St. Konrad wurde 1937 gebaut und weist keine kunstgeschichtlich wertvolle Architektur auf.[32] Eine Besonderheit der Kirche besteht darin, dass Altar und Bankreihen des früher bestehenden, kleineren Kirchengebäudes erhalten geblieben sind. Durch die zwei Altäre kann der Eindruck eines zweifachen Kirchenraums entstehen. Sieht man von dem älteren Teil der Kirche ab, erinnert ihr Grundriss an ein Kreuz. Die dominierende Längsachse trägt dazu bei, dass ein langer Weg vom Kircheneingang zum Altar führt. Der Altar findet seine Aufstellung aufgrund seiner Funktion und besonderen Bedeutung an einem erhöhten und damit hervorgehobenen Ort im Kircheninneren. An prominenter Position im Altarraum befindet sich ein ausgeleuchtetes, farbintensives Wandgemälde im hell-dunkel- Kontrast, auf dem Jesus Christus dargestellt ist. Auch der Tabernakel erstrahlt im Licht und wird darüber hinaus durch seinen zentralen Standpunkt nahe dem Altar besonders akzentuiert.
Das Taufbecken ist in der Nähe des Eingangsportals aufgestellt und soll „die Eintretenden an die errettende und Sünden vergebende Kraft der Taufe erinnern“[33]. Die Kirchenfenster sind schlicht und in dreifarbiger Kombination gehalten, ohne biblische Erzählungen darzustellen. Biblische Überlieferungen und Glaubensaussagen finden dagegen in Marienstatuen und Kreuzwegdarstellungen ihren Ausdruck.
[...]
[1] Äußerung von Anna, 7 Jahre.
[2] Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wird bei der Bezeichnung der Kinder auf die Nennung beider Geschlechter verzichtet und so die männliche Form verwendet.
[3] Äußerung von Tim, 7 Jahre.
[4] An dieser Stelle beschränke ich mich auf die Lehrerfunktionen, die unmittelbar in Verbindung mit dem Konzept zum Tragen kommen. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass viele weitere Lehrerfunktionen aus den mit der Kirchenraumerkundung im Zusammenhang stehenden längerfristigen Überlegungen resultieren.
[5] Die Begriffe „Kirchenpädagogik“ und „Kirchenraumpädagogik“ können synonym verwendet werden.
[6] Hilger, G.: Lernortwechsel. In: Hilger, G.; Ritter W. H.: Religionsdidaktik Grundschule. S. 376f.
[7] Degen, R.: „Echt stark hier!“. In: Degen, R.; Hansen, I. (Hrsg.): Lernort Kirchenraum. S. 7.
[8] Eggenberger, H.: Peter, M.: Damit die Kirche im Dorf bleibt. In: Degen, R.; Hansen, I. (Hrsg.): Lernort Kirchenraum. S. 108.
[9] Vgl. Sauter, L.: In Kirchenräumen inszenierter Glaube.
[10] Meyer-Blank, M.: Spiel oder Ernst?
[11] Ebd.
[12] Vgl. ebd.
[13] Vgl. Sauter, L.: In Kirchenräumen inszenierter Glaube.
[14] Rupp, H.: Kirchenpädagogik und Religionsunterricht – ein erfolgreiches Gespann. S. 3.
[15] Ebd., S. 3.
[16] Vgl. Rupp, H.: Handbuch der Kirchenpädagogik. S. 10.
[17] Ebd., S. 10.
[18] Vgl. ebd., S. 10.
[19] Vgl. ebd., S. 14.
[20] Prokopf, A.; Ziebertz, H.-G.: Wo wird gelernt? In: Hilger, G. u.a. (Hrsg.): Religionsdidaktik Grundschule. S. 242.
[21] Die Einteilung der verschiedenen Erkundungstypen ist abhängig vom jeweiligen Autor. Degen bspw. unterscheidet vier Typen: den Baukunde-Typ, den katechetischen Typ, den handlungsorientierten Typ und den symboldidaktischen Typ. (Vgl. Degen, R.: „Echt stark hier!“. In: Degen, R., Hansen, I. (Hrsg.): Lernort Kirchenraum. S. 10ff.)
[22] Vgl. Degen, R.: „Echt stark hier!“. In: Degen, R.; Hansen, I. (Hrsg.): Lernort Kirchenraum. S. 10ff.
[23] Rupp, H.: Handbuch der Kirchenpädagogik. S. 18.
[24] Goecke- Seischab, M. L.; Harz, F.: Komm, wir entdecken eine Kirche. S. 12.
[25] Die Auswahl der dargestellten Prinzipien wurde in Folge der Sichtung von Fachliteratur getroffen und ist nicht bindend.
[26] Vgl. Rupp, H.: Handbuch der Kirchenpädagogik. S. 233.
[27] Neumann, B.; Rösener, A.: Kirchenpädagogik. S.68.
[28] Vgl. Degen, R.: Religion begreifen. In: Grundschule Religion: Orte gelebter Religion. S. 4f.
[29] Vgl. Neumann, B.; Rösener, A.: Kirchenpädagogik. S. 71.
[30] Vgl. ebd., S. 64ff.
[31] Da bisher kaum Informationen über den Bau und die Innenraumgestaltung der Kirche verschriftlicht wurden, basieren die Beschreibungen auf persönlicher Betrachtung und Gesprächen mit Gemeindemitgliedern.
[32] Dennoch eignet sie sich im besonderen Maße für einen Erkundungsgang. Oftmals ist es hier einfacher, Grundbegriffe zu verdeutlichen, bevor ein Besuch von Kirchen, die durch eine Vielzahl an Kunstwerken, Bauformen und Ornamenten hervorstechen, unternommen wird.
[33] Goecke-Seischab, M. L.; Ohlemacher, J.: Kirchen erkunden, Kirchen erschließen. S. 32.
- Citation du texte
- Anonyme,, 2009, Die Kirche als Ort gelebten Glaubens für Schüler des ersten Schuljahres, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/144934
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