Im Herbst 1949 erklärten sowohl die BRD als auch die DDR unterschiedliche Wege, auf denen sie den Faschismus und Militarismus bekämpfen wollten. Diese Wege gründeten in den unterschiedlichen politischen Zielen und Grundsätzen der jeweils herrschenden Macht. Die CDU unter Konrad Adenauer forcierte eine demokratisch liberale Grundordnung im System der Marktwirtschaft und des Kapitalismus sowie eine rechtsstaatliche Ordnung. In der SBZ wurde bereits 1946 die Einheitspartei SED durch eine Zwangsvereinigung von KPD und SPD gegründet, die den Anspruch vertrat, den ersten sozialistischen deutschen Staat zu gründen. In Abhängigkeit zur Sowjetunion zielte die ostdeutsche Politik auf den Aufbau des Sozialismus und die Planwirtschaft sowie die Ausrottung des faschistischen Gedankengutes. Insbesondere in der SBZ/DDR wurde dem Rechtssystem, wegen seiner Durchdringung mit den politischen Zielen, die Grundlage entzogen. Die proklamierte Rechtsstaatlichkeit wurde unter den Maximen der „sozialistischen Gesetzlichkeit“ betrieben. Neben der Verurteilung von NS- und Kriegsverbrechern wurden auch politisch Andersdenkende zu Unrecht als NS – Täter verdächtigt, denunziert und verfolgt. Zum Einen fungierte die ostdeutsche Justiz zur Festigung der Macht und der Monopolstellung der SED. Zum Anderen wurden die politischen Auseinandersetzungen mit dem Westen stets von ihrer Instrumentalisierbarkeit überschattet. Beispielhaft in Wirkung und Ausmaß waren die Waldheimer Prozesse im Frühsommer 1950.
Ausgehend von der Strafverfolgung deutscher Kriegsverbrecher in der Sowjetunion soll sich diese Arbeit mit dem juristischen Teilaspekt der Ahndung und Aufarbeitung von NS – Verbrechen in der SBZ/DDR befassen. Insofern werden zu Beginn dieser Analyse die Voraussetzungen für eine justitielle Ahndung in der SBZ/DDR aufgezeigt. Hierbei sind auch die Grundzüge der sowjetischen Rechtspraxis von Bedeutung. Für die weitere Analyse werden die rechtlichen Grundlagen der Alliierten beleuchtet. Im Anschluss daran muss zwingend der Gründungsmythos der DDR betrachtet werden, um die Vorgehensweise der politischen Funktionäre aufzuzeigen. Daraus ergibt sich der Vorwurf der Instrumentalisierbarkeit des Antifaschismus für politische Zwecke und zudem die These der Kollektivschuld.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Verfolgung von deutschen Kriegs- und NS - Verbrechern in der Sowjetunion und in der SBZ/DDR
2.1 Verfahren nach stalinistischem Vorbild
2.2 Zwischen Rechtsstaatlichkeit und Willkür
3 Rechtliche Grundlagen der Waldheimer Prozesse
3.1 Der Ukas 43
3.2 Gesetz Nr. 10 des Alliierten Kontrollrates
3.3 Direktive Nr. 38 des Alliierten Kontrollrates
3.4 Der SMAD - Befehl Nr. 201
4 Bodenreform und Enteignungen
5 Entstehung und Funktion der Rechtsauffassung in der SBZ/DDR
6 Waldheimer Prozesse - Juristischer Exzess oder Modellfall ostdeutscher Strafjustiz?
6.1 Historische Einordnung
6.2 Verfahrensvorbereitende Maßnahmen
6.3 Anklagevorbereitung und Verfahren
6.4 Verfahrensdauer und Urteile
6.5 Repatriierung und Amnestien
7 Bewertung und Wahrnehmung der Waldheim - Prozesse
8 Fazit
Abkürzungsverzeichnis
Anlagenverzeichnis
Literatur- und Quellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Quellenverzeichnis
1 Einleitung
Im Herbst 1949 erklärten sowohl die BRD als auch die DDR unterschiedliche Wege, auf denen sie den Faschismus und Militarismus bekämpfen wollten. Diese Wege gründeten in den unterschiedlichen politischen Zielen und Grundsätzen der jeweils herrschenden Macht. Die CDU unter Konrad Adenauer forcierte eine demokratisch liberale Grundordnung im System der Marktwirtschaft und des Kapitalismus sowie eine rechtsstaatliche Ordnung. In der SBZ wurde bereits 1946 die Einheitspartei SED durch eine Zwangsvereinigung von KPD und SPD gegründet, die den Anspruch vertrat, den ersten sozialistischen deutschen Staat zu gründen. In Abhängigkeit zur Sowjetunion zielte die ostdeutsche Politik auf den Aufbau des Sozialismus und die Planwirtschaft sowie die Ausrottung des faschistischen Gedankengutes.
Insbesondere in der SBZ/DDR wurde dem Rechtssystem, wegen seiner Durchdringung mit den politischen Zielen, die Grundlage entzogen. Die proklamierte Rechtsstaatlichkeit wurde unter den Maximen der „sozialistischen Gesetzlichkeit“ betrieben. Neben der Verurteilung von NS- und Kriegsverbrechern wurden auch politisch Andersdenkende zu Unrecht als NS - Täter verdächtigt, denunziert und verfolgt. Zum Einen fungierte die ostdeutsche Justiz zur Festigung der Macht und der Monopolstellung der SED. Zum Anderen wurden die politischen Auseinandersetzungen mit dem Westen stets von ihrer Instrumentalisierbarkeit überschattet. Beispielhaft in Wirkung und Ausmaß waren die Waldheimer Prozesse im Frühsommer 1950.
Wolfgang Eisert veröffentlichte 1993 ein erstes Gesamtwerk zu den Waldheimer Prozessen und blieb damit bis heute allein. Auch Wilfriede Otto und Falco Werkentin engagieren sich mit ihren zahlreichen Veröffentlichungen in Zeitschriften stark für eine Aufarbeitung des DDR - Unrechts, haben aber bisher noch keine Monographie als Gesamtüberblick publiziert. Beide Historiker stehen sich jedoch in der Bewertung der Waldheimer Prozesse gegenüber.
Wilfriede Otto vertritt die These vom „ juristischen Exzess “, wonach dieser Fall bezüglich der Verfahren und Verurteilungen einmalig sei. Waldheim sei absolut untypisch für die Verfahren nach dem Befehl Nr. 201 der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD). Vielmehr habe es der Legitimierung des Antifaschismus gedient und sei von der Sowjetunion diktiert worden.1 Dieser These widersprechen vor allem Karl - Wilhelm Fricke2 und Falco Werkentin3. Es sei absolut unmöglich, die Waldheimer Verfahren isoliert zu betrachten. Sie müssen eher in einen historischen Kontext eingebettet werden: Nachkriegs- und Besatzungszeit sowie die Zeit des Kalten Krieges. Insoweit seien die Prozesse absolut typisch für die nachfolgende DDR - Strafjustiz gewesen. Christian Meyer - Seitz4 geht sogar davon aus, dass diese Prozesse überhaupt keine Berücksichtigung in der Gesamtbewertung der ostdeutschen Strafjustiz finden sollten. Die Waldheimer Prozesse hätten in erster Linie der Verfolgung von politisch Andersdenkenden gedient und sich gegen die Feinde des Aufbaus des Sozialismus gerichtet. Mithin ist zu berücksichtigen, dass sowohl Otto als auch Meyer - Seitz ihre Typologie auf der Verfolgung von NS - Verbrechen gründen. Sie beschäftigen sich also beide mit der Frage der justitiellen Aufarbeitung von Kriegs- und NS - Verbrechen in der SBZ/DDR. Im Gegensatz dazu versuchen Fricke und Werkentin, die Vorgänge in den gesamten Kontext der NS - Aufarbeitung einzubetten. Hierbei muss darauf hingewiesen werden, dass sich beide Autoren bisher eher mit der ostdeutschen Strafjustiz als mit der Verfolgung und Ahndung der NS - Verbrechen in der SBZ auseinander gesetzt haben. Insbesondere Werkentin betrachtet die Waldheimer Verfahren in Verbindung mit der politischen Entwicklung in der SBZ/DDR, sondern sieht diese als „Startschuss“ für eine entstehende willkürliche ostdeutsche Strafjustiz, die den politischen Vorgaben entsprach.
Ausgehend von der Strafverfolgung deutscher Kriegsverbrecher in der Sowjetunion soll sich diese Arbeit mit dem juristischen Teilaspekt der Ahndung und Aufarbeitung von NS - Verbrechen in der SBZ/DDR befassen. Insofern werden zu Beginn dieser Analyse die Voraussetzungen für eine justitielle Ahndung in der SBZ/DDR aufgezeigt. Hierbei sind auch die Grundzüge der sowjetischen Rechtspraxis von Bedeutung. Für die weitere Analyse werden die rechtlichen Grundlagen der Alliierten beleuchtet. Im Anschluss daran muss zwingend der Gründungsmythos der DDR betrachtet werden, um die Vorgehensweise der politischen Funktionäre aufzuzeigen. Daraus ergibt sich der Vorwurf der Instrumentalisierbarkeit des Antifaschismus für politische Zwecke und zudem die These der Kollektivschuld.
Aus der ideologischen Sicht sowjetischer Funktionäre ging das feindliche Hitler - Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg in ein Feindbild des Kapitalismus über. Sie selbst versuchten das kommunistische Idealbild der Gesellschaft zu konstruieren, was wiederum mit ihrem totalitären Führungsanspruch zusammenhing. Dieses ehrgeizige „Projekt Stalins“ fungierte verstärkt zur Säuberung des Staates von Feinden und „ Fremdk ö pern “.5 Auch die gewaltvolle Problemlösung der neuen Herausforderungen war ein unabdingbarer Bestandteil der stalinistischen Weltanschauung. Daher spielen die systemimmanenten Eigenheiten des Stalinismus auch eine entscheidende Rolle bei der juristischen Strafverfolgung von NS - Verbrechern.6
Der Zugang zu den historischen Quellen in der Sowjetunion ist immer noch beschränkt. Der anfänglichen Offenheit zu Beginn der 1990er Jahre wurde mit der Machtübernahme Wladimir Putins ein Riegel vorgeschoben. Die personenbezogenen Ermittlungsakten in den Moskauer Archiven sind bis heute größtenteils unzugänglich. Daher können sowohl die Angaben der DDR als auch die Angaben der Sowjetunion bezüglich der Verurteilungen nicht überprüft werden; gleichwohl sind wir aber über die Verfahren in der SBZ/DDR besser informiert als über jene in der UdSSR.7 Dieser Tatsache ist es geschuldet, dass ein Gesamtüberblick bis heute schwierig bleibt und daher nur ansatzweise aus historischer und justitieller Sicht aufgearbeitet wurde. Die Akten der DDR - Justiz sind heute vor allem im Bundesarchiv (BArch) zugänglich, aber auch in der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR (SAPMO) sowie im Zentralen Parteiarchiv (ZPA) der SED in Potsdam. Einige verfahrens- und personenbezogene Akten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) können bei der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) zu Forschungszwecken eingesehen werden. Unterlagen zu Personen, die länger als 30 Jahre tot sind, stehen uneingeschränkt zur Verfügung.
2 Verfolgung von deutschen Kriegs- und NS - Verbrechern in der Sowjetunion und in der SBZ/DDR
Die Situation in der SBZ war von der unmittelbaren Nachkriegszeit stark beeinflusst. Die Justiz war völlig zerstört und Gerichte arbeiteten nicht mehr.8 Die SBZ begann bereits im Mai 1945 mit schnellen Entnazifizierungsmaßnahmen. Man war bestrebt, das stalinistische Gesellschaftsmodell zu implantieren.9 Die Internierungslager in der SBZ unterschieden sich stark von jenen in den westlichen Besatzungszonen. In diesen Arbeitslagern wurden nicht nur Nationalsozialisten inhaftiert, sondern auch willkürlich sämtliche Gegner der gesellschaftlichen Umwälzung, ohne eine rechtliche Grundlage.10 Im Grunde kann man daher in der SBZ/DDR kaum von einer fundamental anderen Arbeitsweise in Politik und Justiz als in der Sowjetunion bei der Verfolgung von Kriegs- und NS - Verbrechern sprechen.11 Dies erscheint auch nicht verwunderlich, ging die DDR aus der sowjetischen Besatzungszone hervor.
Die Politik der SMAD zielte darauf ab, grundlegend die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu ändern, um eine nach sowjetischem Vorbild geschaffene, kommunistische Regierung zu bilden.12 Die SBZ verfolgte im Gegensatz zu den westlichen Besatzungszonen eine zentralistisch gesteuerte Reorganisation der staatlichen Verwaltung. Ab 1950 wurde die SED zu einem kommunistischen Herrschaftsinstrument, das sämtliche Funktionen im Staat übernahm.13
2.1 Verfahren nach stalinistischem Vorbild
Die Kernelemente der stalinistischen Schauprozesse der 1930er Jahre blieben auch in den sowjetischen Nachkriegsprozessen erhalten. Allerdings musste für die deutschen NS - Prozesse kein eigener Straftatbestand geschaffen werden, so dass zwar die Fülle deutscher Verbrechen gezeigt werden konnte, aber der politische Nutzen für die UdSSR, den Kampf gegen Oppositionelle bzw. „ Vaterlandsverr ä ter “, erhalten blieb. Die Plausibilität der Anklage und ihres Urteils waren zweitrangig.14 Der Sowjetunion ging es, wie später auch der SBZ, weniger „ um die Feststellung der individuellen Schuld “, als um Verurteilungen, „ die geeignet waren, zur innergesellschaftlichen Umgestaltung beizutragen “15. Zur Verurteilung reichten nur die geringfügige Zugehörigkeit zu einer nationalsozialistischen Organisation und die negative Einstellung gegenüber dem politischen und ideologischen System der Sowjetunion aus.16 Diesen Verfahren fielen sowohl Faschisten als auch Antifaschisten zum Opfer, „ wenn sie den Weg in die Stalinisierung nicht mitgehen wollten “.17
Nicht - öffentliche Verfahren unterschieden sich daher kaum von den öffentlichen „ Demonstrationsprozessen “18. Verfahrensgegenstände wurden nur unzureichend übersetzt und in merklich kurzer Zeit abgeschlossen.19 Im Grunde erwarteten die Richter ohnehin die Wiederholung des Geständnisses, welches der Angeklagte bereits im Ermittlungsverfahren abgelegt hatte.20 Damit wird deutlich, dass die Prozesse nicht der Wahrheitsfindung dienten, sondern der kollektiven Bestrafung und Verurteilung sowie den politischen Ziele der UdSSR.21
In diesem Zusammenhang erfolgten kollektive Schuldzuweisungen ohne eine konkrete Ermittlung des Straftatbestandes oder gar des Täters. Die sowjetische Rechtspflege hatte lediglich die Aufgabe, Verbrechen festzustellen und diese gemäß den politisch - ideologischen Zielen des Staates zu bestrafen. Daher war es unerheblich, ob der jeweilige Angeklagte tatsächlich ein Verbrechen begangen hatte. Grundlegend war nur der Generalverdacht bei deutschen Kriegsgefangenen.22 Insofern „ konnte der stalinistischen Justiz weder eine wirkliche Aufkl ä rung noch die angemessene Ahndung von Verbrechen gelingen [ … ] “23. Die Sowjetunion konnte damit keinen stabilen Beitrag im Rahmen einer juristischen Ahndung von nationalsozialistischen Gewaltverbrechen leisten. Die justitielle Aufarbeitung erfolgte unter den repressiven Maßnahmen des Stalinismus und stellt vielmehr eine politische Säuberungspolitik von Oppositionellen dar.24
Die Sowjetunion verschwendete keinen Gedanken an die Möglichkeit der „Unrechtsstaatlichkeit“, sondern legitimierte die Verfahren und ihre Urteile mit ihrer kommunistisch - stalinistischen Weltanschauung. Dies verstärkte sich noch im offenen Kalten Krieg, als die Politik der Westalliierten eine Kontinuität vom Faschismus zum „anglo - amerikanischen Imperialismus“ darstellen sollte.
2.2 Zwischen Rechtsstaatlichkeit und Willkür
Die sowjetische Rechtspflege und ihre Gesetze enthielten eine inhärente Doppelfunktion. Zum Einen ermöglichten diese Rechtsvorschriften eine strenge Ahndung von Kriegs- und NS - Verbrechen. Zum Anderen drückten sie die stalinistischen Interpretationen aus, wonach einerseits der Schutz des Staates grundsätzlich vor dem individuellen Bedürfnis von Ahndung und Vergeltung Vorrang hatte, andererseits aber die sowjetische Justiz bewusst politisch instrumentalisiert wurde.25 Die russische Rechtsprechung wurde „ politisch - ideologisch verformt “26 . Die sowjetische Justiz konnte nie zu einer „ rechtsstaatlich ü berzeugenden justitiellen Aufarbeitung, Wahrheitsfindung und Aufkl ä rung kommen “.27 Anders als in den westlichen Besatzungszonen wurden keine Historiker zu Rate gezogen, um den zeitgeschichtlichen Kontext abzubilden, Zeugen wurden kaum vernommen, eine Verteidigung der Angeklagten nur selten zugelassen. Die Fixierung auf die erzwungenen Geständnisse sollte die Ermittlungslücken kaschieren.28 Außerdem drängte Stalin auf einen schnellen Abschluss der Entnazifizierung und der Verfahren wegen Kriegsverbrechen, um die Vorreiterrolle der Alliierten übernehmen zu können. „ Von Beginn an hatte Stalin die kriegsbezogene Strafverfolgung deutscher Kriegsgefangener mit eigenen Vorzeichen versehen. “29
Die brutale Mischung von staatlicher Vergeltung mit politischen Überlegungen der Nachkriegszeit ging ebenso auf die sowjetische Aufarbeitung in der SBZ über. Sowohl in der UdSSR als auch in der SBZ/DDR vermieden die Urteile jegliche Charakterisierungen der Angeklagten. Die Täter selbst blieben oftmals ohne Konturen und über die verbrecherischen Motive und dem tatsächlichen Ausmaß der Verbrechen blieb man oft im Dunkeln.30
Alle sowjetischen Verfahren wurden stark von der sowjetischen Spionageabwehr und den Geheimdiensten beeinflusst. Sie ermittelten gegen Deutsche und arbeiteten eng mit der stalinistischen Führungsriege zusammen. Letztendlich determinierten sie den Ausgang der Verfahren, sofern dies nicht ohnehin schon von den Moskauer Spitzenfunktionären erfolgte. Bereits im November 1942 gründete die Sowjetunion die TschGK, die die „ Gr ä uel der deutsch - faschistischen Eindringlinge “ feststellen und untersuchen sollte. Sie wurde als Gegenreaktion auf die westliche UN Commission for the Investigation of War Crimes gegründet und hatte die Aufgabe, institutionelle Verantwortlichkeiten transparent zu machen, ohne jedoch den Täter einwandfrei zu identifizieren und ihm ein potenzielles Verbrechen zuzuschreiben.31 Dazu gehörten nicht nur die „ verdeckte operative Arbeit “ der Ermittler, sondern auch Erpressungs- und Foltermethoden der Vernehmenden.32 Mit diesem System der zentralistischen Kontrolle und Lenkung ging das russische Strafgesetzbuch einher. Es spiegelte die ideologisierte Instrumentalisierung der Justiz wider.33
3 Rechtliche Grundlagen der Waldheimer Prozesse
Bereits vor der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches waren sich die Alliierten über eine völlige Entnazifizierung einig.34 Die alliierten Bestrebungen, eine Bestrafung der NS - Verbrechen auf der Basis einer gemeinsamen Entscheidung vorzunehmen, waren ein „ komplizierter transnationaler Abstimmungs- und Aushandlungsprozess “.35 Der Begriff der Entnazifizierung wird definiert durch Maßnahmen wie die „ Ausschaltung aus dem ö ffentlichen Leben “36 von ehemaligen Nationalsozialisten. Er meint aber auch „ die politische T ä tigkeit [ … ] eines ehemaligen Nationalsozialisten [zu] ü berpr ü fen und ihn [zu] bestrafen bzw. durch S ü hnema ß nahmen [zu] entlasten. “37 Grundlegend für die Verfolgung von NS - Verbrechen waren das Internationale Militärtribunal (IMT), in dem die vier Besatzungsmächte vertreten waren, und das Kontrollratsgesetz (KRG) Nr. 10 vom 20.10.1945. Die oberste Staatsgewalt nach dem Ende des Krieges oblag den Alliierten.38 Mit der Potsdamer Konferenz legten sie ihre Ziele zur Entnazifizierung und Entmilitarisierung Deutschlands fest:
„ Völlige Abr ü stung und Entmilitarisierung; [ … ] Die Nationalsozialistische Partei mit ihren angeschlossenen Gliederungen und Unterorganisationen ist zu vernichten; [ … ] Alle nazistischen Gesetze, welche die Grundlage f ü r das Hitlerregime geliefert haben oder eine Diskriminierung auf Grund der Rasse, Religion oder politischer Ü berzeugung errichteten, m ü ssen abgeschafft werden; [ … ] Kriegsverbrecher [ … ] sind zu verhaften und dem Gericht zu ü bergeben; [ … ] Alle Mitglieder der nazistischen Partei, welche mehr als nominell an ihrer T ä tigkeit teilgenommen haben, [ … ] sind aus den ö ffentlichen oder halb ö ffentlichen Ä mtern und von den verantwortlichen Posten in wichtigen Privatunternehmen zu entfernen; [ … ] Das Gerichtswesen wird entsprechend den Grunds ä tzen der Demokratie und Gerechtigkeit auf der Grundlage der Gesetzlichkeit und der Gleichheit aller B ü rger vor dem Gesetz ohne Unterschied der Rasse, der Nationalit ä t und der Religion reorganisiert werden. “ 39
Obwohl die Alliierten in ihrer antifaschistischen Haltung und Vorgehensweise Gemeinsamkeiten aufwiesen, erfolgte in der Ausführung der Gesetze und Direktiven eine unterschiedliche Herangehensweise. Während sich die alliierten Beschlüsse auf die Entfernung der aktiven NSDAP - Mitglieder aus dem Dienst konzentrierten, konstatierten sowjetische Beschlüsse und Ausführungsbefehle die Ausschaltung aller NSDAP - Mitglieder.
Um eigene Maßnahmen als international verankert anzusehen, wurde in der SBZ verstärkt das KRG 10 angewandt. Es bot „ eindeutige Vorteile f ü r die Selbstdarstellung der UdSSR “40 , als einzige Besatzungsmacht die alliierten Vereinbarungen wirklich einzuhalten. Daher kam dem SMAD - Befehl Nr. 201 vom 16.08.1947 (SMAD 201) eine besondere Bedeutung zu. Im Rahmen der alliierten Entnazifizierungsmaßnahmen, die jede Zone individuell gestalten konnte, zielte der SMAD 201 auf einen schnellen Abschluss der Verfahren.41 Er enthielt Richtlinien und Ausführungsbestimmungen für die Kontrollratsdirektive (KRD) Nr. 38, die die beschuldigten Personenkreise definierte und sie auf der Grundlage des KRG 10 wegen Kriegs- und NS - Verbrechen anklagte und verurteilte.42
3.1 Der Ukas 43
Mit dem Ukas (Erlass) 43 schuf die Sowjetunion bereits im Frühjahr 1943 ihr eigenes Gesetz gegen Kriegsverbrecher.43 Der Erlass war Ausdruck der selbsternannten „Siegerjustiz“ und demonstrierte den immer stärker werdenden Siegeswillen Stalins.44 Die bisher bestehenden Gesetze seien nach Stalin nicht mehr angemessen gewesen, die „ Bluttaten gegen die friedliche Bev ö lkerung und gefangenen Rotarmisten “ zu ahnden. Dies war auch die Rechtfertigung für die rückwirkende Anwendung des Ukas 43, dem „ wichtigsten Instrument der Bestrafung deutscher Kriegs- und Besatzungsverbrechen “.45 Insofern konstatierte die Sowjetunion, dass die Rückwirkung von Strafgesetzen grundsätzlich immer dann statthaft sei, wenn die Interessen des Staates dabei berührt werden.46 Er enthielt keine Spezifizierung in seiner Formulierung, sondern reagierte in stark vereinfachender Weise auf politische Oppositionen jeglicher Art, sei es Kriegsverbrecher, die auf Grund ihrer faschistischen Weltanschauung politisch Oppositionelle waren, oder Demokraten und Liberale, die auf Grund ihrer kapitalistischen Grundausrichtung zur politischen Opposition gehörten.47
[...]
1 Vgl. OTTO, Wilfriede: Die Waldheimer Prozesse, in: MIRONENKO, Sergej; NIETHAMMER, Lutz; PLATO, Alexander von: Sowjetische Speziallager in Deutschland 1945 bis 1950, 2 Bände, Bd. 1: Studien und Berichte, Berlin 1998, S. 55 0 - 553. Vgl. OTTO, Wilfriede: Entnazifizierung der Justiz in der SBZ, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.): Materialien der Enquete - Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED - Diktatur in Deutschland“, 12. Wahlperiode, 9 Bände, Bd. 4: Recht, Justiz und Polizei im SED - Staat, Baden - Baden 1995, S. 28 - 37.
2 Vgl. FRICKE, Karl - Wilhelm: Bilanz der politischen Verfolgung seit 1945, Ahndung von NS - Verbrechen und Klassenkampf - Justiz, in: SBZ Archiv 7 (1965), Dokumente, Berichte, Kommentare zu gesamtdeutschen Fragen S. 98 - 102. Vgl. FRICKE, Karl - Wilhelm: Das justitielle Unrecht der Waldheimer Prozesse, in: NJ 5 (1991), S. 209 - 210. Vgl. FRICKE, Karl - Wilhelm: Geschichte und Legende der Waldheimer Prozesse, in: Deutschland Archiv 11 (1980), S. 1172 - 1183.
3 Vgl. WERKENTIN, Falco: Die Waldheimer Prozesse, Ein Experimentierfeld für die künftige Scheinjustiz unter Kontrolle der SED, in: HAASE, Norbert; PAMPEL, Bert (Hrsg.): Die Waldheimer Prozesse, Fünfzig Jahre danach, Dokumentation der Tagung der Stiftung Sächsische Gedenkstätten am 28. und 29. September 2000 in Waldheim, Baden - Baden 2001, S. 26. Vgl. WERKENTIN, Falco: Gelenkte Rechtsprechung, Zur Strafjustiz in den frühen Jahren der DDR, in: NJ 11 (1991), S. 479 - 483. Vgl. WERKENTIN, Falco: Die Waldheimer Prozesse der Jahre 1950/52, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.): Materialien der Enquete - Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED - Diktatur in Deutschland“, 12. Wahlperiode, 9 Bände, Bd. 4: Recht, Justiz und Polizei im SED - Staat, Baden - Baden 1995, S. 849 - 879. Vgl. WERKENTIN, Falco: Politische Strafjustiz in der Ära Ulbricht, Berlin 1995.
4 Vgl. MEYER - SEITZ, Christian: Die Verfolgung von NS - Straftaten in der Sowjetischen Besatzungszone, Berlin 1998, S. 232 - 234.
5 HILGER, Andreas: Die Gerechtigkeit nehme ihren Lauf?, Die Bestrafung deutscher Kriegs- und Gewaltverbrecher in der Sowjetunion und der SBZ/DDR, in: FREI, Norbert (Hrsg.): Transnationale Vergangenheitspolitik, Der Umgang mit deutschen Kriegsverbrechern in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, Göttingen 2006, S. 187.
6 Vgl. wie vor, S. 188.
7 Vgl. wie vor, S. 189/190.
8 Vgl. OTTO, Wilfriede: Entnazifizierung der Justiz in der SBZ, S. 31.
9 Vgl. wie vor 34.
10 Vgl. BENZ, Wolfgang: Entnazifizierung und Strafjustiz, Zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit, S. 116.
11 Vgl. HILGER, Andreas: Die Gerechtigkeit nehme ihren Lauf?, S. 230.
12 Vgl. FROTSCHER, Werner, PIEROTH, Bodo: Verfassungsgeschichte, München 2008, S. 353.
13 Vgl. EISENHARDT, Ulrich: Deutsche Rechtsgeschichte, München 2008, S. 494.
14 Vgl. HILGER, Andreas: Die Gerechtigkeit nehme ihren Lauf?, S. 215.
15 FREI, Norbert: Nach der Tat, Die Ahndung deutscher Kriegs- und NS - Verbrechen in Europa, Eine Bilanz, in: FREI, Norbert (Hrsg.): Transnationale Vergangenheitspolitik, Der Umgang mit deutschen Kriegsverbrechern in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, Göttingen 2006, S. 20.
16 Vgl. wie vor.
17 HENKE, Klaus - Dieter: Aus der Geschichte lernen?, Politische Säuberung in historischer Sicht, in: WEBER, Jürgen; PIAZOLO, Michael (Hrsg.): Eine Diktatur vor Gericht, Aufarbeitung von SED - Unrecht durch die Justiz, München 1995, S. 44.
18 HILGER, Andreas: Die Gerechtigkeit nehme ihren Lauf?, S. 215.
19 Vgl. wie vor, S. 216.
20 Vgl. wie vor, S. 217.
21 Vgl. JESKE, Natalja; Schmidt, Ute: Zur Verfolgung von Kriegs- und NS - Verbrechen durch sowjetische Militärtribunale in der SBZ, in: HILGER, Andreas; SCHMEITZNER, Mike; SCHMIDT, Ute (Hrsg.): Sowjetische Militärtribunale, 2 Bände, Bd. 2: Die Verurteilungen deutscher Zivilisten 1945 - 1955, Köln 2003, S. 192.
22 Vgl. HILGER, Andreas: Die Gerechtigkeit nehme ihren Lauf?, S. 245.
23 Wie vor.
24 Vgl. wie vor.
25 Vgl. wie vor, S. 205.
26 Wie vor, S. 217.
27 Wie vor, S. 229.
28 Vgl. HILGER, Andreas: Sowjetische Justiz und Kriegsverbrechen, Dokumente zu den Verurteilungen deutscher Kriegsgefangener, 1941 - 1949, in: VfZ 3 (2006), S. 470.
29 Wie vor, S. 473.
30 Vgl. HILGER, Andreas: Die Gerechtigkeit nehme ihren Lauf?, S. 221, 235.
31 Vgl. HILGER, Andreas: Sowjetische Justiz und Kriegsverbrechen, S. 467.
32 Vgl. HILGER, Andreas: Die Gerechtigkeit nehme ihren Lauf?, S. 209/211.
33 Vgl. HILGER, Andreas: Sowjetische Justiz und Kriegsverbrechen, S. 466.
34 Vgl. OTTO, Wilfriede: Entnazifizierung der Justiz in der SBZ, S. 28.
35 FREI, Norbert: Nach der Tat, S. 7.
36 EITZ, Thorsten; STÖTZEL, Georg: Wörterbuch der Vergangenheitsbewältigung, Die NS - Vergangenheit im öffentlichen Sprachgebrauch, Hildesheim 2007, 197.
37 Wie vor.
38 Vgl. EISENHARDT, Ulrich: Deutsche Rechtsgeschichte, S. 453.
39 VIII. Mitteilung über die Dreimächtekonferenz von Berlin vom 02.08.1945, in: Amtsblatt des Kontrollrates in Deutschland, Ergänzungsblatt Nr. 1, S. 14/15.
40 HILGER, Andreas: Die Gerechtigkeit nehme ihren Lauf?, S. 206/208.
41 Vgl. wie vor, S. 206.
42 Vgl. OTTO, Wilfriede: Die Waldheimer Prozesse, Altes Erbe und neue Sichten, in: NJ 8 (1991), S. 355.
43 Vgl. HILGER, Andreas: Die Gerechtigkeit nehme ihren Lauf?, S. 195.
44 Vgl. HILGER, Andreas: Sowjetische Justiz und Kriegsverbrechen, S. 468.
45 HILGER, Andreas: Die Gerechtigkeit nehme ihren Lauf?, S. 200.
46 Vgl. SCHROEDER, Friedrich - Christian: Das Sowjetrecht als Grundlage der Prozesse gegen deutsche Kriegsgefangene, in: HILGER, Andreas; SCHMIDT, Ute; WAGENLEHNER, Günther (Hrsg.): Sowjetische Militärtribunale, 2 Bände, Bd. 1: Die Verurteilung deutscher Kriegsgefangener 1941 - 1953, Köln 2001, S. 77.
47 Vgl. HILGER, Andreas: Die Gerechtigkeit nehme ihren Lauf?, S. 201.
- Quote paper
- Laura Schiffner (Author), 2010, Die Verfolgung von NS–Verbrechern in der SBZ/DDR am Beispiel der Waldheimer Prozesse 1950, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/144907
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