Bestimmt die Individualität das Bewusstsein – oder ist es genau umgekehrt? Wenn das Bewusstsein, wie Hegel erklärt, sich wesentlich im Selbst-Bewusstsein ausprägt, gehen Individualität und Bewusstsein im Ich-Bewusstsein ineinander über. Ist damit das Verhältnis der beiden Faktoren zueinander geklärt? Oder handelt es sich hier nur um eine Frage der Begrifflichkeit?
Vergleicht man die Begriffe ‚Individualpsychologie‘ und ‚Bewusstseins-Philosophie‘, wird ersichtlich, dass sie sich teilweise überschneiden, im Bedeutungs-Umfang aber erheblich voneinander abweichen. Während die Individualpsychologie das Seelenleben des Einzelmenschen betrifft, eröffnen sich in der Bewusstseins-Philosophie die weiten Horizonte der umfassenden, dialektischen Subjekt-Objekt-Beziehungen. Die beiden Disziplinen mögen sich im "Ich-Bewusstsein" treffen, können aber trotzdem nicht "ineinander übergehen", weil im Bewusstsein nicht nur die Psyche, sondern auch der Körper und der Geist des Menschen repräsentiert werden.
Alfred Adler versucht, den relativ engen Rahmen der Individualpsychologie zu erweitern, indem er die Gemeinschaftlichkeit, speziell "das Gemeinschaftsgefühl" des Individuums betont. (Was ja schon Aristoteles erkannt hat, als er den Menschen als ‚zoon politikon‘, als Gemeinschaftswesen, definierte.) Adler geht so weit, zu behaupten, seine Individualpsychologie sei im Grunde zugleich "Sozialpsychologie". Aber schon dadurch, dass er die Gemeinschaftlichkeit so stark hervorhebt, fasst er den Menschen nicht mehr nur als Individuum, sondern als Person auf. Dies jedoch ohne dieses Faktum zu thematisieren, d.h. ohne sich mit dem philosophischen Personalismus auseinanderzusetzen. Anders als z.B. die Personalisten Emmanuel Mounier oder William Stern begnügt Adler sich nicht mit kommunitarischen Tugenden wie Kooperation, Teamgeist und Gemeinschaftssinn, sondern pointiert den Drang des Einzelmenschen nach Überlegenheit, Herrschen-Wollen und Willen zur Macht; Letzteres wohl unter dem Einfluss von Darwin und Nietzsche.
Klaus Robra Individualpsychologie oder Bewusstseins-Philosophie? Mit einem Rückblick auf Alfred Adler
Bestimmt die Individualität das Bewusstsein – oder ist es genau umgekehrt? Wenn das Bewusstsein, wieHegelerklärt, sich wesentlich im Selbst-Bewusstsein ausprägt, gehen Individualität und Bewusstsein im Ich-Bewusstsein ineinander über. Ist damit das Verhältnis der beiden Faktoren zu einander geklärt? Oder handelt es sich hier nur um eine Frage der Begrifflichkeit? Beide Fragen werden sich im Folgenden beantworten lassen, zunächst im Hinblick auf
Alfred Adlers Individualpsychologie
Alfred Adler (1870-1937) entwickelte seine Theorien hauptsächlich seit dem frühen 20. Jahr-hundert, teilweise in Auseinandersetzung mit denjenigen vonSigmund Freud. Dessen Libido-Theorie, derzufolge demSexualtriebeine umfassend determinierende Funktion zukomme, lehnt Adler entschieden ab, und zwar mit folgender Begründung:
„Biologisch wäre die Auffassung nicht zu halten, daß jeder Trieb eine sexuelle Komponente habe, also auch der Freßtrieb, der Schautrieb, der Tasttrieb usw. Man muß vielmehr annehmen, daß die Evolution im organischen Reich zur Ausgestaltung geführt hat, die wir uns als Differenzierung ursprünglich vorhandener Zellfähigkeiten zu denken haben. So ist dem Willen und der Not zur Assimilation ein Nahrungsorgan gefolgt, ein Tast-, Gehör-, Gesichtsorgan dem Willen und Zwang zum Fühlen, Hören, Sehen, ein Zeugungsorgan dem Willen und Zwang zur Nachkommenschaft“.1
Diese Organe werden, so Adler, durch drei Instanzen gesichert: durch Schmerz- und Lust-empfindung sowie durch das Gehirn, das Adler auch als „Organ der Voraussicht“ bezeichnet. Diesen Instanzen untergeordnet seien „alle peripheren Funktionen, der Sexus eingeschlossen“ (ebd.). Demgemäß könne die Libido nicht mehr als allseits determinierende, sondern nur noch als „relative“ Kraft gelten. Erkennbar schon an der Tatsache, dass sich das psychische Leben des Säuglings schon im ersten Lebensjahr reichhaltig entwickelt, und zwarfrüherals die ersten Anzeichen eines Sexualtriebs (a.a.O. S. 76). Überdies seien Trieb und Triebbefrie-digung keine messbaren, sondern jederzeit variable Größen. (Freud selbst hatte ja die Triebe als „großartig in ihrer Unbestimmtheit“ eingestuft!)
Weitere Freudsche Begriffe, die Adler kritisiert, sind die Verdrängung, der Ich-Trieb, das Lustprinzip und die Rückwärtsorientierung. Freuds „Verdrängung“ beruhe auf zahlreichen unklaren und unbewiesenen Hilfsvorstellungen – ein Dilemma, das verschärft werde durch Freuds biologistische Ambition, möglichst „jegliche Psychologie auf die Physiologie und die Chemie“ zurückzuführen.2Wohingegen Adler die Notwendigkeit betont, nicht die Naturwis-senschaft, sondern dieSeeleund diePersönlichkeitin den Mittelpunkt der Psychologie zu stellen. Zumal Freuds Begriff „Ich-Trieb“ vermutlich „pleonastisch“ und „inhaltslos“ sei (a.a.O. S. 78). Das Ich sei nicht in erster Linie durch einen „Trieb“ bestimmt, sondern vor allem durchGeltungsbedürfnisundMachtstreben. Womit Adler Beobachtungen verknüpft, die durch die aktuelle Neurowissenschaft großenteils bestätigt werden: „1. Das Geltenwollen kann auf gewisse Triebe hemmend, verdrängend, modifizierend einwirken. 2. Es muß vor allem steigernd einwirken.“ Nicht dem Freudschen Unbewussten, sondern demBewusstseinkommt demnach eine Vorrangstellung zu. Außerdem spielen für Adler nicht Lust-befriedigung, sondernGefühlswertevon frühester Kindheit an eine entscheidende Rolle.
Dieser Gegenzug Adlers, der schon 1911 zum endgültigen Bruch mit Freud führte, wird erst ganz verständlich, wenn man AdlersMenschenbildberücksichtigt. Demnach ist jeder Mensch ein einzigartiges Wesen, eine einmalige Person und zugleich stets einsozialesWesen, das allerdings – auch in der Gemeinschaft – nicht nur nach Selbstverwirklichung, sondern auch nach Überlegenheit strebt. Entscheidend sei dennoch stets dasGemeinschaftsgefühl.3Wozu Adler erklärt:
„Die Individualpsychologie steht auf dem Standpunkt der völligen Einheit des Indivi-duums, das sie als sozial eingeordnet betrachtet und untersucht …Wir lehnen es ab, einen isolierten Menschen anzuerkennen und zu untersuchen.“(a.a.O. S. 134)
Vielmehr nennt Adler die Individualpsychologie auch
„… die folgerichtigste Lehre von der Stellungnahme des Individuums zu den Fragen des Gemeinschaftslebens, im selben Sinne deshalb Sozialpsychologie.“(ebd.)
Was nahezu der Quadratur des Kreises gleichzukommen scheint. Adler begründet seine Auffassung folgendermaßen:
„Um zu verstehen, was in einem Menschen vorgeht, ist es notwendig, dessen Haltung zu seinen Mitmenschen einer Betrachtung zu unterziehen. Die Beziehungen der Menschen untereinander sind zum Teil naturgegeben und als solche Veränderungen unterworfen, teils entstehen hieraus planmäßige Beziehungen, wie sie besonders im politischen Leben der Völker, bei der Staatenbildung, im Gemeinwesen beobachtet werden können. Das menschliche Seelenleben kann nicht verstanden werden, ohne daß man diese Zusammenhänge gleichzeitig mitbetrachtet.“ (S. 135)
Die Bedingungen der Selbsterhaltung seien dem Menschen erst durch „das Gruppenleben“ geschaffen worden (S. 137). Das, wozu der Einzelmensch allein nicht imstande war, habe ihm die Arbeitsteilung und das Leben in der Gemeinschaft ermöglicht. Denn:
„Vom Standpunkt der Natur aus gesehen ist der Mensch ein minderwertiges Wesen. Aber diese Minderwertigkeit, die ihm anhaftet, die ihm als ein Gefühl des Verkürzt-seins und der Unsicherheit zum Bewußtsein kommt, wirkt als ein fortwährender Reiz, einen Weg ausfindig zu machen, um die Anpassung an dieses Leben zu bewerkstelli-gen, vorzusorgen, sich Situationen zu schaffen, wo die Nachteile der menschlichen Stellung in der Natur ausgeglichen erscheinen. Und da bei diesen Hilfen, bei diesen Anpassungsbestrebungen auch die Gesellschaft eine wesentliche Rolle spielte, mußte das seelische Organ von Anfang an mit den Bedingungen der Gemeinschaft rechnen. Alle seine Fähigkeiten sind auf einer Grundlage entwickelt, die den Einschlag eines gesellschaftlichen Lebens in sich tragen. Jeder Gedanke des Menschen muß so beschaffen sein, daß er einer Gemeinschaft gerecht werden konnte.“ (S. 137)
Als allgemeine soziale Bindungen nennt Adler zudem Beruf, Gesellschaft und Liebe.4
Was nun Adler über den auch von ihm als zentral wichtig eingestuften BegriffBewusstseintatsächlich denkt, geht aus seinem folgenden Text über‚Das Unbewusste‘hervor, wo es heißt:
„Bei unseren Schilderungen wird es bereits aufgefallen sein, daß es sich oft um Vorgänge und Erscheinungen handelt, über die deren Träger meist nicht viel aussagen kann. Ein aufmerksamer Mensch wird selten sagen können, warum er z. B. sofort alles sehe. Es gibt also Fähigkeiten des seelischen Organs, die nicht im Bereich des Bewußtseins zu suchen sind. Obwohl auch eine bewußte Aufmerksamkeit bis zu einem gewissen Grade zu erzwingen ist, sitzt doch die Anregung für die Aufmerksamkeit nicht im Bewußtsein, sondern im Interesse und dieses wieder liegt zum größten Teil in der Sphäre des Unbewußten. Dieses ist in seinem ganzen Umkreis eine Leistung des seelischen Organs und zugleich der stärkste Faktor im seelischen Leben. Dort sind die Kräfte zu suchen und zu finden, die die Bewegungslinie eines Menschen, seinen (unbewußten) Lebensplan ausgestalten. Im Bewußtsein ist nur ein Abglanz, manchmal sogar das Gegenteil davon vorhanden.“5
In krassem Gegensatz zu seiner Kritik an Freuds Trieb-Begriff (s.o.) räumt Adler hier dem Bewusstsein nur eine untergeordnete Stellung – zumal gegenüber dem Unbewussten – ein, was durch aktuelle Forschungsergebnisse eindeutig widerlegt wird.6Und schon hierdurch wird ersichtlich, dass der Bewusstseinsbegriff bzw. die Bewusstseins-Philosophie anders begründet werden muss, als es Adler vorschwebte.
Hinzu kommt die massive Kritik dieErnst Blochan Adler geübt hat, so als er schrieb:
„Adler setzt, kapitalistisch schlechthin, über einer bisexuellen Grundlage den Willen zur Macht als menschlichen Grundtrieb: der Mensch will primär herrschen und über-wältigen. Er will von unten nach oben gelangen, will oben liegen, von der weiblichen Linie in ihm zur männlichen übertreten, sich als Sieger individuell bestätigt fühlen. Eitelkeit, Ehrgeiz, >männlicher Protest< sind danach die Affekte, worin dieser Grund-trieb am sichtbarsten erscheint, verletzte Eitelkeit, gescheiterter Ehrgeiz sind der Quell der meisten Neurosen. Sexus ist selber nur ein Mittel fürs Endziel, die Machtgewin-nung.: >Diesem Leitgedanken ordnen sich auch Libido, Sexualtrieb und Perversions-neigung, wo immer sie hergekommen sein mögen, ein< (Adler…1922).“7
Und:
„Teils durch Masken und Fiktionen: Wille zur Macht wird dann Wille zum Schein; teils aber auch durch erhöhte Leistungen: Wille zur Macht hält sich dann schadlos, gegebenenfalls in einer schönen, einer Phantasiewelt. … Der Einzelmensch baut sich selber auf, mittels eines Leitbilds, oder auch nur mittels Schauspielerei und Fiktion.“ (a.a.O. S. 63 f.)
Und ferner:
„Grundsätzlich wird so bei Adler alles Persönliche von Anfang an gemacht und gezüchtet, durch einen zwar weithin unbewußten, doch keineswegs mehr naiven Zweckwillen. Grundsätzlich regiere so die causa finalis, ordne das biologische Moment dem kapitalistisch interessierten Ziel unter, welches auf Sicherung der Persönlichkeit, auf Erhöhung des Persönlichkeitsgefühls abgestellt ist. Indem Adler derart aus der Libido das Geschlecht austreibt, die individuelle Macht einsetzt, ist seine Triebbestimmung den immer verschärfter kapitalistischen Weg von Schopen-hauer zu Nietzsche gegangen und reflektiert diesen Weg ideologisch-psycho-analytisch.“ (a.a.O. S. 64)
Leider übersieht Bloch dabei völlig den hohen Stellenwert, den Adler dem „Gemein-schaftsgefühl“ bzw. der Gemeinschaft überhaupt einräumt. Dass dies nicht einfach als „kapi-talistisch schlechthin“ zu werten ist, bedarf wohl keiner näheren Begründung. –
Andererseits ist Bloch insofern im Recht, als Adler Individuum und Gesellschaft in Einklang zu bringen versucht, ohne jedoch die Soziale Frage, insbesondere in ihren für das Individuum bedrohlichen Aspekten, je zu berücksichtigen, so dass er auch keinerlei Ansätze zu der – zwingend notwendigen –Kritischen Theorie der Gesellschafterkennen lässt.
All dies führt zu der Notwendigkeit, dieBewusstseins-Philosophie– und dabei auch die Individualpsychologie – anders als Adler zu analysieren und zu begründen.
1. Sprache und Bewusstsein
Spätestens bei diesem Thema rückt die Frage nach einerEthik der Sprachein den Vorder-grund. Zumal in einer Zeit, in der immer wieder von Hassrede, Verrohung der Sprache, Fake News usw. die Rede ist. Es ist eben nicht gleichgültig, wovon wir uns „berieseln“ lassen, was wir von uns geben und wie wir es in Worte oder Wörter kleiden. Auch beim Verstehen von Sprache schlafen Ethik und Moral nicht, im Gegenteil. Dagegen sind Hassrede und Sprachverrohung nur dann möglich, wenn nicht mehr auf die Innere Stimme des Gewissens gehört wird. Sprache kann hintergangen werden, Lüge und Unwahrhaftigkeit an die Stelle von Wahrheitsliebe, Anstand und Ehrlichkeit treten. Was natürlich auch für Politiker-, Jugend-, Kiffer-, Ganoven-Sprachen usw. gilt. – Und umgekehrt kann das treffende Wort zur rechten Zeit Wunder bewirken, seelische Wunden heilen, therapeutisch wirken nicht nur im Sinne der Psychotherapie. Sprache kann besänftigen, Missverstehen beseitigen, Mut machen, positives Handeln bewirken. In derDichtungkann Sprache die Tiefen, Geheimnisse, Düsternisse und feinsten Regungen des Seelenlebens ausleuchten. Ohne Sprache hätten wir keinen adäquaten Zugang zur Welt – einschließlich der Gefühls-, Wahrnehmungs- und Vorstellungs-Welten –, zum Denken und zu jeglicher Erkenntnis.
Sprache ist stets ein Produkt, ein Ausdruck des Bewusstseins – und doch müssen wir uns unsere sprachliche Ausdrucksweise immer wieder auch bewusst machen. Wir müssen überprüfen, was und wie wir reden oder schreiben. Dennwirsind diejenigen, die sprachlich handeln, nicht irgendein ominöses „Es“.
Sprache wird von Anfang an erlernt, erscheint im Bewusstsein, ehe sie ins Gedächtnis und damit ins Unbewusste eingeht. Und genau dieser Vorgang ist von höchstem moralischem und ethischem Belang und Interesse. Das sprachliche Bewusste bestimmt das Unbewusste in jedem Gedächtnis, jedem Gehirn. Und umgekehrt kann das Unbewusste – nicht zuletzt auf Grund seiner ursprünglichen Konstitution und Formung durch das Bewusstsein – ent-scheidenden Einfluss auf unsere spontanen Reaktionen ausüben, aber auch auf unser gesamtes sprachliches und nicht-sprachliches Handeln. Jede Form von Hassrede muss daher entschlossen und nachhaltig bekämpft werden. Zumal der Missbrauch verbaler Sprache auch zu Rechtsbrüchen führen kann, z.B. in Form von Beleidigung, Verleumdung und übler Nachrede. Wobei es Vorstufen hierzu schon im Alltäglichen gibt. Wer sich abfällig über seine Mitmenschen äußert, steht in der Gefahr des Rechtsbruchs.
Und ein nicht weniger schädlicher Einfluss kann von unreflektiertem Medien-Konsum ausgehen. Wer das eigene Bewusstsein immer wieder von Gewaltszenen, Pornografie, rasend schnellem Bildwechsel in Video-Clips, plumpen Werbetricks usw. in Beschlag nehmen lässt, läuft Gefahr, schweren psychischen Schaden bis hin zum Verlust der Selbstkontrolle zu erleiden. – Umso mehr kommt es darauf an, sich über das Wechselverhältnis von Sprache und Bewusstsein Klarheit zu verschaffen.
Sprache und Bewusstsein bedingen und beeinflussen sich gegenseitig. Beide entstammen wahrscheinlich dem gleichen Ur-Grund: der in der Ur-Materie enthaltenen In-formation oder In-Form-Setzung. Aus diesem Ursprung bezieht die der Sprache zu Grunde liegendeSprachkraftanscheinend ihre spezielle Funktion: die der Herstellung von Bedeutungen.Bewusstsein ist zunächstbewusstes Sein, d.h.zum Wissen gebrachtes Sein. Wie Sprache im Bewusstsein funktioniert und sich auswirkt, lässt sich an Hand tiefschürfender Unter-suchungen z.B. vonH.-G. GadamerundB. Liebrucksdarstellen. „Religiös“ wäre die Wechselwirkung von Bewusstsein und Sprache nur dann, wenn ein „universelles“ Bewusstsein anzunehmen wäre; wofür es jedoch keine wissenschaftlichen Belege oder An-haltspunkte gibt. – In derWesensbestimmunggehen Sprache, Denken und Bewusstsein in-einander über. Umstritten ist, ob esBewusstseinserweiterung durch Drogengibt.8
2. Zur Bewusstseins-Philosophie
Die Bewusstseins-Frage ist, wahrscheinlich von existenzieller Bedeutung für die Zukunft der Menschheit. Werden die Menschen ihre Kontrolle über die „Geschöpfe des Prometheus“ – einschließlich der superintelligenten KI-Roboter – behalten können? Diese Frage stellen sich alle, die nachdenken. Umso wichtiger wird es, sich auf das zu besinnen, was unser Mensch-Sein ausmacht und auszeichnet – wozu zweifellos alles Bewusste und Unbewusste wesentlich gehört.
Aber was ist das Bewusstsein? Es istdas im und dem Menschen bewusste Sein, das sich in Empfindungen, Gefühlen, Wahrnehmungen, Vorstellungen, Sprache, Denken, Wissen, Ver-stand, Vernunft, Geist, Bewegung, Handeln, Arbeit, Kreativität, Phantasie, Kunst, Religion, Philosophie u.a.m. manifestiert.
Die neuen Erkenntnisse zu diesem Themenkomplex betreffen unmittelbar nicht nur die Philosophie im Allgemeinen, sondern auch die bei Experten und Nicht-Experten gängigen Auffassungen. Es kann nicht gleichgültig sein, ob wir in unserem ganzen Sein, Handeln und Verhalten von dunklen, undurchschauten Mächten und „Dämonen“ beherrscht werden, von Trieben, dieFreudals „großartig in ihrer Unbestimmtheit“ bezeichnete, – oder ob und wie weit wir uns von unserem freien Willen leiten lassen und „Herr im eigenen Haus“ sein und bleiben können. Eine Frage, die nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis z.B. von Psychoanalyse, Psychotherapie und Psychiatrie von höchster Relevanz und Bedeutung ist. Gibt es eineNeuorientierung der Bewusstseins-Philosophie, wird dies auch der psychologischen und sonstigen Praxis neue Impulse geben können.
Wenn das Unbewusste in hohem Maße vom Bewusstsein beeinflusst und sogar gesteuert wird, möchte man hierüber Genaueres erfahren. In einer Studie aus dem Jahr 2015 heißt es dazu:
„Unser Wille ist freier als gedacht
Sind wir Sklaven unseres Unbewussten und können nichts dagegen tun? Hirnforscher sagen: Nein! Unser Bewusstsein kontrolliert unbewusste Prozesse im Gehirn.Der Wille und die automatische Verarbeitung arbeiten Hand in Hand, nicht gegeneinander.Das hat eine Forschergruppe an der Universität Ulm herausgefunden.
<http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24954512>. …
Unbewusste Prozesse, die im Widerspruch zu unseren Absichten stehen, werden weitgehend von unserem Bewusstsein blockiert."Unser Wille ist freier als gedacht", sagtMarkus Kiefer, Wissenschafter an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Uni Ulm. Seine Forschungsgruppe konnte mit Messungen der Hirnaktivität im Magnetreso-nanztomographen (MRT) zeigen, dass bewusste Vorsätze die Arbeit unserer automa- tischen Systeme im Gehirn steuern. Die Forscher wiesen erstmals nach, dass solche Vorsätze für eine gewisse Zeit Netzwerke von Bereichen im Gehirn etablieren, die den unbewussten Informationsfluss im Gehirn steuern. … Seit den Arbeiten des Begründers der Psychoanalyse Sigmund Freund wurdeunhinterfragt angenommen, dass unser Unbewusstes autonom und nicht vom Bewusstsein kontrollierbar ist. "Die Vorstellung des chaotischen und unkontrollierbaren Unbewussten prägt bis heute auch die akademische Psychologie und Kognitionsforschung. DiesesDogma wurde in der Vergangenheit kaum kritisch hinterfragt", sagt Kiefer. Die neuen Befunde widerlegen diese Lehrmeinung. Sie zeigen eindeutig, dassunser Bewusstsein zu den Absichten passende unbewusste Vorgänge in unserem Gehirn verstärkt, nicht passende dagegen abschwächt.Dadurch werde gewährleistet, dass unser bewusstes "Ich" Herr im Haus bleibt und nicht durch eine Vielzahl unbewusster Tendenzen beeinflusst wird, erklärt Kiefer: "Wir sind also keinesfalls Sklaven unseres Unbewussten, wie lange Zeit angenommen." … Die bewussten Absichten und Einstellungen entscheiden somit darüber, ob ein unbewusster Prozess in unserem Gehirn überhaupt ablaufen kann.“[9]
Diese Ergebnisse stimmen weitgehend mit denjenigen von Benjamin Libet (2005) überein. Dass sie allerdings nicht für die epigenetischen und sonstigen unbewussten Körperfunktionen gelten können, liegt auf der Hand. Frappierend ist dennoch a) das hohe Ausmaß der Kontrolle durch das Bewusstsein, b) die Vielfalt der Kooperation zwischen Bewusstem und Unbewuss-tem. Ohne die weit gefassten Begriffe für beide Sphären wäre es nicht möglich, den genannten Befunden und Erkenntnissen gerecht zu werden. Mit erheblichen Folgen für die komplexen Fragen von Ethik, Lebensführung, Gesundheitsfürsorge, Psychohygiene usw.
Außerdem: Nicht zu bestreiten ist, dass die Kontrolle durch das Bewusstsein nicht immer gelingt. Man denke nur an die relativ häufigen Fälle von krankhaften Veränderungen, Ungeschicklichkeiten, Bosheit, Kriminalität und sonstigen angeborenen und/oder erworbenen Beeinträchtigungen (darüber hinaus auch die durch Unfälle, Naturkatastrophen usw. verursachten Schäden). – Die Macht des Unbewussten ist – wie die des Bewussten – nicht zu überschätzen, aber auch nicht zu unterschätzen.Anscheinend aber müssen und können Balance und Maß individuell herausgefunden und hergestellt werden.Auch wenn unklar zu sein scheint, wo innerhalb einerKlassengesellschaftdie Grenzen des freien Willens liegen.
Weiter hilft hier Ernst BlochsVeränderungsethik. Diese soll dazu dienen,reale Freiheitzu erkämpfen, wozu er in seinenPolitischen Messungen(1977, S. 252) schreibt: „Einzig diese Veränderungs-Ethik hebt so die bloße Wandelgalerie der bisherigen Ethik-Geschichte auf.“ Wodurch nicht alle vorherige Ethik obsolet, sondernkritisch beerbbarwird, und zwar nicht zuletzt auch zu Gunsten konkreter politischer Praxis, wozu Bloch anmerkt: „Eine wirklich ermunternde Ethik kann so anfangen, gegen Entmenschung gerichtet, mit Theorie-Praxis hin zum Citoyen. Vermutet man mit Kant, die wahre Politik könne keinen Schritt tun, ohne vorher der Moral gehuldigt zu haben, so ist das richtig, aber nur, weil auch die wahre Moral in dieser unserer Zeit keinen Schritt tun kann, ohne Politik zu sein, revolutionäre.“ (ebd.) Was nicht bedeutet, dass Moral endgültig in Politik aufzugehen habe, denn: „Politik löst weder die Individualkonflikte unterhalb ihrer vollständig auf (etwa das >kommunistische Vergißmeinnicht< der Geschlechtsliebe) noch erläutert und erhellt sie das Wozu, das Summum bonum und gar das Dunkel des Todes.“ (a.a.O. S. 253). Auch und gerade in derVeränderungsethikverleiht erst die Moral der Einzelperson ihre Würde, und zwar sowohl in der Klassengesellschaft als auch in einem zukünftigen Reich der Freiheit einer Klassenlosen Gesellschaft: „Man stirbt nicht für ein durchorganisiertes Produktionsbudget; unsere Totalität ist keine nur politisch abmachbare, geschweige bloß ein Rat- und Lehrinhalt der Politik.Dem Kämpfer fürs Reich der Freiheit fällt die Sittlichkeit von selber zu, doch daß er ein Kämpfer sei, dies steht nicht in der kommunistischen Politik, sondern nur in der kommunistischen Moral geschrieben.“ (ebd. Hervorhebungen durch mich.)
Was den Kampf für das Reich der Freiheit beflügelt, ist nicht nur revolutionäres Bewusstsein, sondern auch „Glaube, Liebe, Hoffnung in der Beziehung der Menschen“, dies sogar als „das letzte moralische Agens der Revolution“! (ebd.)
Wenn Bloch vonVeränderungspricht, meint er das Heranrücken an die „Wahrheit des Sozialen“ = Sozialismus, an Marxens Reich der Freiheit bzw. „die Verwirklichung der sozialen Utopie als Vorbedingung zur Realisierung des metaphysisch höchsten Gutes“ (H.-E. Schiller), und damit ein Desiderat, das auch im 21. Jahrhundert nichts von seiner brisanten Aktualität verloren hat.
Wie aber soll die Veränderung möglich sein? Zweifellos nicht ohne konkrete Analysen der konkreten Situationen, mit denen wir heute – eminent spürbar – nicht nur durch den globalen Kapitalismus, sondern, in dessen Gefolge, immer mehr auch durch dieschleichendeÖko-Katastrophekonfrontiert sind. Da türmen sich Probleme – nicht zuletzt auch psychologischer bzw. „seelsorgerischer“ Art – auf, die ohne philosophische Orientierung anscheinend nicht zu bewältigen sind.
Blochs Ethik hilft auch hier weiter. Für ihn gibt es keine Moral ohne Naturrecht, aber dieses reicht nicht aus, um jene zu begründen. Vielmehr geht Bloch davon aus, dass „große Moral“ dem Naturrecht sogar überlegen, „übergeordnet“ ist. Dabei handelt es sich allerdings um eineunvollendeteMoral, die auf die Utopie des Reichs der Freiheit verpflichtet bleibt und sich nur dortvollständigwird verwirklichen lassen. Und damit zugleich als sogar dem Naturrecht übergeordneter Maßstab dient, und zwar nicht nur für die Zukunft, sondern auch für jegliche Praxis im Hier und Jetzt. Dem entspricht die Tatsache, dass Blochgenuin ökologischdenkt und argumentiert; dies schon auf Grund seines Natur-Begriffs, wonach Natur zunächst als ‚natura naturans‘, d.h. als schöpferische Macht und (mögliches) „Natursubjekt“ zu begreifen ist, als eine Macht, von derSchellingerklärt, sie sei „ihre eigene Gesetzgeberin“, die als solche keineswegs bloß naturwissenschaftlich, z.B. durch Atom-, Quanten- und Feldtheorien, adäquat zu verstehen ist.
In Anerkennung dieser Qualitäten entwickelt Bloch eine neueAllianztechnikmit der Natur, in der diese nicht mehr in kapitalistischer Manier rücksichtslos ausbeuterisch missbraucht, sondern alsmögliches (hypothetisches) Subjektgeachtet wird, wobei stets auch dasWiedes Umgangs mit den Naturschätzen, z.B. bei der Rohstoffgewinnung und -verarbeitung, kritisch zu überprüfen ist, wozu Bloch erläutert: „All das ist dem Mechanismus verschlossen; das wirkliche Problem des Agens, das den Umsatz wie dialektischen Umschlag der Naturerscheinungen betreibt, ist eine auch quantitativ vorhandene, aber quantitativ nicht verfolgbare Implikation.“[10] – Ganz anders stellen sichNaturallianzundAllianztechnikdar, wozu Bloch voraussetzt: „Marxismus der Technik, wenn er einmal durchdacht sein wird, ist keine Philanthropie für mißhandelte Metalle, wohl aber das Ende der naiven Übertragung des Ausbeuter- und Tierbändigerstandpunktes auf die Natur.“ Und: „Naturströmung als Freund, Technik als Entbindung und Vermittlung der im Schoß der Natur schlummernden Schöpfungen, das gehört zum Konkretesten an konkrerter Utopie.“ (a.a.O. S. 813).
Voll zu verwirklichen zwar erst in einer klassenlosen Gesellschaft, d.h. nicht ohne „soziale Revolution“; zuvor aber als Kompass und Leitstern jeglicher emanzipatorischer Praxis – und damit möglicherweise auch als Grundlage jeglicherÖko-Ethik.[11] –
MeineEthik der Verhaltenssteuerungsteht in vollem Einklang mit den hier behandelten Aspekten des Bewussten und des Unbewussten. Ich habe sie (2020) u.a. in Anlehnung an Kant und Bloch erarbeitet. Kant hielt es bekanntlich für ausgeschlossen, Ethik auf Neigungen gründen zu können. Es gibt keinerlei Garantie dafür, dass die tief im Unterbewussten und Körperlichen verankerten Neigungen automatisch das Gute bewirken, für das wir normalerweise schon aus Gründen der Selbsterhaltung – spontan oder nach mehr oder weniger reiflicher Überlegung – uns zu entscheiden bereit sind. Wobei es natürlich nicht nur um uns selbst, um unser eigenes Person-Sein geht, sondern ebenso um dasjenige unserer Mitmenschen So dass hier nicht nur das „radikal Böse“, sondern auch die Frage nach dem Person-Sein eine Rolle spielt. Es sind existenziell bedeutsame ethische Probleme, die Kant vor allem im Zusammenhang mit seinen Erörterungen des Kategorischen Imperativs behandelt hat, den ich allerdings zu einerlegitimen Forderungumformuliere – so dass der Kat. Imp. – auch unter Verzicht auf das „Ding an sich“ und die absolute Transzendenz – zwar weitgehend seine Gültigkeit behält, jedoch nicht als Pflicht- und Sollensethik mit Absolutheitsanspruch, sondern alspersonale Wertethik. Meinelegitime Forderunglautet:
Achte bei allem, was Du tust, darauf, Dich selbst und Deine Mit-Menschen als Rechtspersonen und Persönlichkeiten zu respektieren und möglichst stets das Sittengesetz zu befolgen.
„Möglichst“ deshalb, weil es Ausnahmesituationen gibt, wie z.B. die derNotwehr, in denen die Rechte der eigenen Person gegen existenzielle Bedrohungen und Rechtsbrüche jeder Art zu verteidigen sind.
Unter diesen Voraussetzungen halte ich es für möglich, die Ethik der Person durch eineEthik der Naturzu ergänzen, wofür ich eineNaturformeldes Kategorischen Imperativsvorgeschlagen habe, in der die Tatsache berücksichtigt wird, dass im Umgang mit der Naturlegitime Interessenabwägungenerforderlich sein können. Es ist eine Formel, die nicht die noch im Gange befindlichen Diskussionen über (mögliche) Rechte der Natur, der Umwelt, der Tier- und Pflanzenwelt (Natur-, Öko-, Tierrechte) präjudizieren kann oder soll. Sie lautet:
Verhalte Dich so, dass Du die Natur in jeder Person und in jeder anderen Erscheinungsform stets als Zweck – und als Mittel nur zu ethisch begründbaren und moralisch vertretbaren Zwecken – behandelst.
Wenn nun zu klären ist, welche konkreten Rechte und Pflichten sich mit dieser neuen Formel begründen lassen, stellt sich die Frage nach der Legitimierung entsprechender gesetzgeberischer Maßnahmen. Was ist legitim? Rechtspositivistisch zweifellos das aktuelle geschriebene und gesprochene Recht. Und in Fällen staatlicher Willkür? Oder gar in Unrechtsstaaten? Da hilft zunächst wohl nur die naturrechtliche Anerkennung desEigenwerts der Naturund desSelbstzwecks der Person, die auch in Kants Zweckformel des Kategorischen Imperativs enthalten ist, wozu meineNaturformellediglich alsErgänzungdient.
Wenn mit Schelling die schöpferische Natur (‚natura naturans‘) als ihre „eigene Gesetzgeberin“ anzunehmen ist, gilt dies sowohl für die Natur im Menschen als auch für die außermenschliche Natur. „Was „legitim“ ist, muss ethisch und moralisch überprüft und begründet werden. Es sindallgemeine, naturrechtlich verankerte Grundrechte(wie z.B. die Menschenwürde, die Freiheit der Person, die Natur- und Umweltrechte), die jedem Öffentlichen Recht vorzuordnen sind.“[12] – Den Anspruch der Inhalte dieser Zitate aus dem Jahre 2015 kann ich nur erneut bekräftigen. Mögen sie zu beherzigen sein!
3. Bewusstseinserweiterung?
Was heißt Bewusstseinserweiterung?Eine allgemein akzeptable Definition scheint unmöglich zu sein, wenn über den Grundbegriff ‚Bewusstsein‘ Unklarheit und Uneinigkeit besteht. In der Forschung hierzu gibt es bemerkenswerte Fortschritte, eingeleitet durch die Libet-Experimente der 1980er Jahre[13], verstärkt durch neuere Ergebnisse, in denen eine klare Vorrangstellung des Bewusstseins gegenüber dem Unbewussten erkennbar ist.[14] Diesem Stand entsprechen am ehesten die folgenden Definitionen
a) vonAndreas Kalus(2020):
„Ganz allgemein heißt Bewusstseinserweiterung, einen außeralltäglichen Bewusstseins-zustand zu durchleben und dadurch zu neuen Sichtweisen und Standpunkten gelangen zu können.“ (Kalus a.a.O.)
b) Genauer beiUlrich Ott(2011), der die beiden folgenden Bedeutungen herausstellt: Bewusstseinserweiterung ist
1. „eine über das alltägliche Bewusstsein hinausgehende Erfahrung, die aus einer Veränderung des Bewusstseinszustandes oder dem Erleben einer größeren Einsichts- oder Wahrnehmungsfähigkeit besteht.“,
2. „eine Veränderung der eigenen Wahrnehmung, Standpunkte und Einschätzungen durch Lernprozesse und Selbstreflexion.“ (Ott a.a.O.)
So dass zu fragen ist: Was ist ein “außeralltäglicher Bewusstseinszustand“, was ist „eine über das alltägliche Bewusstsein hinausgehende Erfahrung“? Dazu nennt Ott folgende „Methoden“:
„Denken, das gewohnte Bahnen verlässt
Meditation und andere spirituelle Übungen
Psychoaktive Substanzen
Körpereigene Botenstoffe (Sport, Tanzen etc.)
Atemtechniken (Hyperventilation)
Reizdeprivation (Dunkelheit und Stille)
Bewusstes Träumen (Klarträume)“ (Ott a.a.O.)
Letzteres ist wohl identisch mit dem, wasErnst BlochalsTagtraumbezeichnet hat.
Jedenfalls kommen mit diesen „Methoden“ weite Sphären geistiger und körperlicher Tätigkeit – vor allem von Meditation, Erfindungsgeist, Wissenschaft, Kunst, Religion und Philosophie – ins Spiel. Und damit möglicherweise auch das religiöse „universelle“ Bewusstsein oder fragwürdige philosophische Konzepte wie die des Deutschen Idealismus (der Glauben und Wissen vermischt) oder des „Transzendentalismus“ (in dem plötzlich Kant, Emerson, Nietzsche und William James in einem Atemzug genannt werden, obwohl die meisten dieser Autoren mehr trennt als vereint). Hier Klarheit im Zusammenhang mit der Frage nach der Bewusstseinserweiterung zu gewinnen, scheint ausgeschlossen, solange nicht eineNeubegründung der Bewusstseins-Philosophieberücksichtigt wird (s. Robra 2023 a)).
Bei den „Psychoaktiven Substanzen“ unterscheidet Ott zwischen den Substanz-Klassen Beru-higungsmittel und Stimulanzien, wobei er zu den Ersteren u.a. Alkohol, Valium, Opium, Heroin und Methadon zählt, zu den Stimulanzien u.a. Koffein, Nikotin, Kokain, Cannabis, Marihuana und Haschisch, davon getrennt die Halluzinogene LSD, Meskalin u.a. – Direkt im Anschluss an seine Auflistung weist Ott dankenswerterweise auf möglichenegative Folgendes Drogen-Konsums hin, darunter: Abhängigkeit, unangenehme Reaktionen auf Entzug, Zwanghaftigkeit bei Beschaffung und Einnahme, schwerwiegende gesundheitliche, soziale und kognitive Beeinträchtigungen bis hin zu Gewalttätigkeit, Apathie, Kontrollverlust und Erkrankungen aller Art.
Wie sehr unser Bewusstsein – und zwar nicht im Sinne einer Erweiterung! – von solchen negativen Folgen des Drogen-Missbrauchs in Mitleidenschaft gezogen werden kann, geht aus einem Internet-Artikel hervor, der im Mai 2018 erschienen ist unter dem Titel:Halluzinogene rütteln am Fundament unseres Bewusstseins.[15] Darin heißt es:
„sie wachsen im vorgarten, auf der kuhweide oder werden künstlich hergestellt. es gibt eine vielzahl an substanzen, die eine halluzinogene wirkung haben. gemeinsam ist ihnen eine außergewöhnliche psychoaktive wirkung, die vielleicht als traumähnlich beschrieben werden kann. für manche der konsumierenden wird der trip ins wunderland allerdings zum albtraum.
Pflanzen und Pilze mit halluzinogener Wirkung kennt die Menschheit vermutlich seit Tausenden von Jahren. Aufgrund ihrer außergewöhnlichen Wirkung haben die frühen Menschen den Halluzinogenen vermutlich göttliche oder spirituelle Eigenschaften zugesprochen.
Das Besondere an Halluzinogenen ist, dass unterschiedliche Substanzen teils sehr ähnliche Wirkungen erzeugen. Darunter finden sich neben Meskalin noch eine Reihe anderer Halluzinogene aus der Natur wie Psilocybin-haltige Pilze, die gerne auf Kuhfladen wachsen oder der mexikanische Zaubersalbei Salvia Divinorum, der als einer der stärksten natürlichen Halluzinogene gilt.
Einige pflanzliche Halluzinogene aus der Familie der Nachtschattengewächse wie Stechapfel, Engelstrompete oder Tollkirsche wachsen schon mal als Zierpflanzen im Vorgarten. Werden sie konsumiert, können sie aufgrund ihrer Wirkung auf das vegetative Nervensystem schwere Vergiftungen nach sich ziehen. Im Extremfall sind lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen und Atemlähmung möglich.“ (a.a.O.)
Was wohl auch für „harte“ Drogen wie LSD, Haschisch und Marihuana zutrifft. Zu dieser Wirkung heißt es ferner:
„Allen Halluzinogenen ist gemeinsam, dass sie am Fundament unseres Bewusstseins zu rütteln scheinen. Denken und Fühlen sowie die Wahrnehmung werden massiv beeinflusst. Nach Analyse von Trip-Berichten kommt ein Forschungsteam zu der Feststellung, dass der durch Halluzinogene hervorgerufene Rauschzustand am ehesten zu vergleichen sei mit dem Zustand des Träumens.
Ähnlich wie beim Träumen werden eingefahrene Denkstrukturen durchbrochen und abgelöst von assoziativen Gedankenketten. Auch die Verarbeitung der Wahrnehmungen gerät in Unordnung. Farben erscheinen viel intensiver als sonst. Dinge, die sich normalerweise nicht bewegen, fangen plötzlich an zu fließen oder bilden wabernde Strukturen.“ (Internet-Artikel a.a.O.)
Wobei anscheinend auch die Selbst-Wahrnehmung in Mitleidenschaft gezogen wird; d.h. es findet eineBewusstseinsveränderungstatt, aber nicht durchweg positiver Art. So erklärte z.B. der NeurowissenschaftlerSalomon Snyder, nachdem er im Selbstversuch LSD eingenommen hatte:
„Die Grenzen zwischen dem Ich und dem Nicht-Ich lösen sich auf und machen dem heiter-gelassenen Gefühl Platz, eins mit dem Universum zu sein. Ich erinnere mich noch, wie ich immer wieder vor mir hin murmelte: ‚Alles ist eins, alles ist eins.“
Der Grund hierfür liegt wohl darin, dass die normalerweise im Gehirn getrennt stattfindenden Informations-Verarbeitungen unter dem Einfluss von Drogen nicht mehr richtig funktionie-ren. Unvorhersehbar scheint, wie und in welcher Richtung sich die Drogen-Wirkung ausbrei-tet. Wozu Snyder berichtet:
„In meinen Fall folgte dem mächtigen Gefühl, mit dem Universum eine Einheit zu bilden, ein Verlust des Ich-Bewusstseins. Ich begann zu rufen: ‚Wer bin ich? Wo ist die Welt?‘ Auf dem Höhepunkt dieser Auflösung geriet ich in Entsetzen. Ich versuchte mich mit aller Gewalt an meinen Namen zu erinnern - in der Hoffnung, so zur Realität zurückzufinden -, doch ich schaffte es nicht.“ (a.a.O.)
Offensichtlich hat Snyder einenHorror-Triperlebt, der statt Euphorie „starke Angst“ bzw. „Entsetzen“ auslöst. Wodurch, wenn auch eher selten, sogar Psychosen, Paranoia und Schizo-phrenie verursacht werden können. Das Fazit des Artikels lautet:
„Halluzinogene greifen tief in unser Bewusstsein ein. Das Denken, die Gefühle und die Wahrnehmung werden massiv beeinflusst. Anders als bei den meisten anderen psychoaktiven Substanzen ist die Wirkung von Halluzinogenen kaum vorhersehbar. Sie kann von einer euphorischen Stimmung getragen oder von Todesangst geprägt sein. Das Experimentieren mit Halluzinogenen birgt daher unkalkulierbare Risiken für Konsumierende. Bestimmte halluzinogen wirkende Substanzen wie Nachschatten-gewächse können durch ihre Wirkung auf das vegetative Nervensystem zudem lebensbedrohliche Zustände erzeugen.“ (a.a.O.)
Allerdings: Widerspruch hiergegen ließ nicht lange auf sich warten. In einem Leserbrief vom 26.8.2023 heißt es:
„Es stimmt einfach nicht, dass die Wirkung psychedelischer Substanzen "kaum vorhersagbar" sei. Seit vielen Jahrzehnten wird LSD erfolgreich zur Behandlung von Suchtkrankheiten wie Alkoholismus eingesetzt, weltweit laufen unzählige klinische Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit von Psilocybin bei therapieresistenter unipolarer Depression und zahlreichen anderen Pathologien. Das Einhalten einiger weniger Safer-Use-Regeln sorgt dafür, dass diese Behandlungsmethode wesentlich nebenwirkungsärmer und sicherer ist als konventionelle pharmakologische Interventionen.
Natürlich gilt das nicht für alle Substanzen gleichermaßen. PCP und Bromo Dragonfly sind nicht nur gefährlich, sondern teilweise auch tödlich. LSD und Psilocybin kann man dagegen praktisch nicht überdosieren, sie machen nicht abhängig und sind nicht neurotoxisch, und ihre Wirkweise ist im klinischen Alltag sehr gut beherrschbar.
Dieser Artikel wiederkäut die Schreckgespinste aus der "War on drugs"-Zeit, einschließlich "Horrortrips" und "Flashbacks". Die letzteren sind praktisch ein Mythos, denn tatsächlich treten diese gerade mal bei 10% der Nutzer auf, fast immer in der ersten Woche, sie dauern nur wenige Sekunden und werden meist als angenehm erlebt.“ (a.a.O.)
Bestimmte halluzinogene Substanzen dienen also offenbar erfolgreich therapeutischen Zwecken – oder sogar zur „Persönlichkeitsentwickliung“.[16] Fraglich ist jedoch, ob dies problemlos zu irgendeiner Form von positiver Bewusstseins-Erweiterung – und nicht nur-Veränderung – führt. Hierzu bemerkt ein anderer Leser:
„Vor allen Dingen hält sich hartnäckig die Behauptung, es gäbe Bewusstseins-erweiternde Drogen. Das ist vollkommener Mumpitz. Diese Drogen erweitern das Bewusstsein nicht, sondern sie verändern es. Das geschieht dadurch, dass sie alle geordneten Prozesse durcheinander bringen. Gäbe es Bewusstseinerweiternde Drogen, gäbe es nicht so viele Blitzbirnen in der Szene, die viel mit derartigen Stoffen experimentieren.“ (a.a.O.)
Dieser Leser hat anscheinend den Nagel auf den Kopf getroffen (oder zumindest nachvollziehbar Bedenkenswertes erkannt). Man kann das eigene Bewusstsein nicht positiv erweitern, wenn man sich dabei selbst gefährdet. Unabweisbar stellt sich daher die Frage nach Alternativen.
Möglichkeiten der Bewusstseins-Erweiterung
Die meisten der von Ulrich Ott genannten „Methoden“ (s.o. S. 1) bedürfen, abgesehen von den „Psychoaktiven Substanzen“, keiner ausführlichen Diskussion. Zum Tagtraum hat Ernst Bloch inDas Prinzip Hoffnung(S. 96-128) gründliche Analysen vorgelegt, die sogar geeignet sind, zwischen dem Bewusstsein und dem Unbewussten zu vermitteln.[17] Meditations-techniken – z.B. auch in Verbindung mit Yoga – werden in großer Vielzahl angeboten. Bei ‚amazon‘ verspricht die Yoga-LehrerinGuru Jagat:
„Kreativität und geistige Klarheit zu fördern, Stimmung und Energie deutlich zu steigern, Stress und Angst zu reduzieren, unseren Stoffwechsel zu verbessern, die yogischen Schönheitsgeheimnisse zu entdecken, den Alterungsprozess zu verlang-samen.“
Durch ihr Buch "Unbesiegbar leben" werde man „in einen einfachen und doch tiefgreifenden Entwicklungsprozess geführt, der uns die ganze Fülle unseres Lebens schenkt“. –
Ähnliches gilt anscheinend auch für das, was man unter „Flow“ versteht. Voll zum Tragen kommt darin dasspielerischeElement, das z.B. Kinder ihre Umwelt vergessen lässt. Wenn, wieSchillersagt, der Mensch nur dort „ganz Mensch ist, wo er spielt“, vermittelt der Flow nicht-alltägliche Glücksgefühle, von denen nur nicht-entfremdete Tätigkeiten begleitet sein können. Von „Flow am Fließband“ kann keine Rede sein.
Zur „Reizdeprivation“ bemerkt Andreas Kalus:
„Das bedeutet, man versucht die Sinnesreize, welche auf einen einwirken, zu minimieren. Dies kann etwa mittels Ohrstöpseln und einer präparierten Schwimmbrille geschehen, die Stille und absolute Dunkelheit ermöglichen. Längere intensive Reizabschottung führt jedoch zu Halluzinationen und wird auch als Folter eingesetzt.“ (a.a.O.)
Fast wie bei den Psychoaktiven Substanzen ist bei der Reizdeprivation also Vorsicht geboten. Kalus empfiehlt auch:
„Fasten: Auch der gezielte, längere Verzicht auf Nahrung bringt den Körper in einen Ausnahmezustand. Dies schlägt sich auch in der Psyche nieder. Nach einigen Tagen oder Wochen des Nahrungsentzugs erleben Fastende unter Umständen neuartige und erhellende Bewusstseinszustände.“ (ebd.)
Zunächst eher belanglos wirkt hingegen das, was Kalus zumDenkenanmerkt:
„Denken oder Nachdenken: Das klingt banal, jedoch kann bloßes Gedankenwälzen durchaus den Rahmen des Bewusstseins weiten. Anstoß für tiefgreifende Gedanken-bewegungen sind oft Krisen: Die Konfrontation mit Verlust beispielsweise oder das Leiden unter Sinnlosigkeitsgefühlen. Denken kann dazu führen, eine neue Haltung zu den Dingen einnehmen zu können.“
Und aber auch viel mehr als das: Da dem Bewusstsein nachweislich eine Vorrangstellung sogar gegenüber dem Unbewussten zukommt, sind die dialektischen Subjekt-Objekt-Beziehungen – und damit insbesondere das Denken – von höchster Relevanz und Bedeutung.SchonHegelhebt in derPhänomenologie des Geistesmit seinen Definitionen des Bewusst-seins die herausragende und zugleich exponierte Stellung des Menschen alsIndividuum und Personhervor. Kraft seines Selbst-Bewusstseins verfügt der Mensch nicht nur über Wahrneh-mung, Vorstellung und Verstand, sondern auch über Vernunft und Geist. Als Person ist das Individuum stets Teil einer Gemeinschaft und deren zeitlicher Konstitution in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Wer darüber nachdenkt, kann nicht umhin, das Bestehende in Frage zu stellen, zumal dann nicht, wenn es sich als unzuträglich oder gar unerträglich erweist. Platz greifen dann Bewusstseinserweiterungen bis hin zur Gelehrten Hoffnung und zur Konkreten Utopie (Bloch).
Unmittelbar betrifft dies das Nachdenken über aktuell herrschende Wirtschafts- und Gesell-schafts-Systeme. Es führt unweigerlich zu einer Bewusstseinserweiterung schon in der Re-flexion über eines der gravierendsten ungelösten Probleme überhaupt: die Tatsache, dass die weithin ungelöste, im globalisierten Neoliberalismus zunehmend verschärfte Soziale Frage durch eine weitere Herausforderung zusätzlich belastet wird, nämlich die allseits beängstigen-de Umwelt- und Klima-Krise. Beide Probleme gleichzeitig zu lösen, scheint eine Herkules-Aufgabe, wenn nicht ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Auch wenn die Umwelt-Krise seit mehr als einem halben Jahrhundert als solche erkannt und vordringlich zu behandeln gilt. Pio-nierarbeit haben hier u.a. der Schweizer ÖkonomHans Christoph Binswangerund der öste-reichische Politiker und ÖkonomJosef Rieglergeleistet, und zwar schon in den 1970er bzw. 1980er Jahren mit Vorschlägen zu einerÖko-sozialen Marktwirtschaft. Dazu heißt es in einem Internet-Artikel:
„In den 1980er Jahren erkannte Josef Riegler, dass das Erfolgs-Konzept der Sozialen Marktwirtschaft um die Umweltkomponente erweitert werden müsse. Aus seinen Überlegungen formulierte er 1989 eine gesellschaftspolitische Vision: die Ökosoziale Marktwirtschaft. Das Neue am Modell der Ökosozialen Marktwirtschaft bestand darin, für den Umweltschutz vor allem die Dynamik des Marktes zu nutzen, indem durch ökologische Kostenwahrheit, Verursacherprinzip und eine ökosoziale Steuerreform auf dem Markt die richtigen Signale für eine nachhaltige Entwicklung gegeben werden. Wenn es der Politik gelingt, auf allen Ebenen dieses anspruchsvolle Ziel durchzusetzen, wird Umwelt- und Klimaschutz zum Selbstläufer!“[18]
Angeblich ist dieses Konzept inzwischen zu einer „Leitlinie“ europäischer Politik geworden.–
Ein durchgreifender Systemwandel ist allerdings eher von den Modellen einesDemokrati-schen Ökosozialismusbzw.Humanen Sozialismuszu erwarten, die ich mehrfach dargestellt habe.[19] Langfristig geht es um dasReich der Freiheit, das Karl Marx postuliert hat. In einer Klassenlosen Gesellschaft wird es möglich sein, eine freie Assoziation freier Individuen zu bilden, in der jeder Mensch gemäß seinen Bedürfnissen und Fähigkeiten leben und arbeiten kann. – Eine noch stärkere Bewusstseins-Erweiterung dürfte kaum denkbar sein, es sei denn religiös.
Folgerungen
Vergleicht man die Begriffe ‚Individualpsychologie‘ und ‚Bewusstseins-Philosophie‘, wird ersichtlich, dass sie sich teilweise überschneiden, im Bedeutungs-Umfang aber erheblich von einander abweichen. Während die Individualpsychologie das Seelenleben des Einzel-Menschen betrifft, eröffnen sich in der Bewusstseins-Philosophie die weiten Horizonte der umfassenden, dialektischen Subjekt-Objekt-Beziehungen. Die beiden Disziplinen mögen sich im „Ich-Bewusstsein“ treffen, können aber trotzdem nicht „ineinander übergehen“ (s.o.), weil im Bewusstsein nicht nur die Psyche, sondern auch der Körper und der Geist des Menschen repräsentiert sind.
Alfred Adler versucht, den relativ engen Rahmen der Individualpsychologie zu erweitern, indem er die Gemeinschaftlichkeit, speziell „das Gemeinschaftsgefühl“ des Individuums be-tont. (Was ja schonAristotelesvorbereitet hat, als er den Menschen als ‚zoon politikon‘, als Gemeinschaftswesen, definierte.) Adler geht so weit, zu behaupten, seine Individualpsycho-logie sei im Grunde zugleich „Sozialpsychologie“. Aber schon dadurch, dass er die Gemein-schaftlichkeit so stark hervorhebt, fasst er den Menschen nicht mehr nur als Individuum, sondern alsPersonauf. Dies jedoch ohne dieses Faktum zu thematisieren, d.h. ohne sich mit dem philosophischenPersonalismusauseinanderzusetzen. Anders als z.B. die Personalisten Emmanuel Mounier oder William Stern begnügt Adler sich nicht mit kommunitarischen Tugenden wie Kooperation, Teamgeist und Gemeinschaftssinn, sondern pointiert denDrang des Einzelmenschen nach Überlegenheit, Herrschen-Wollen und Willen zur Macht; Letzteres wohl unter dem Einfluss von Darwin und Nietzsche.
Ernst Bloch interpretiert dies als „kapitalistisch schlechthin“, und zwar wohl zu Recht, weil Adlers Gesellschaftsanalyse schwerwiegende Mängel aufweist: Nirgendwo präsentiert er Ansätze zu einerKritischen Theorie der Klassen-Gesellschaft, obwohl diese dringend notwendig ist. Daher verfehlt er auch die weiten Horizonte der Bewusstseins-Philosophie, in die sich u.a. Ernst BlochsVeränderungsethikproblemlos einreihen lässt. In lockerem Anschluss an Kant und Marx anerkennt Bloch die Einzelperson alsRechtsperson, und zwar sogar im Hinblick auf Revolutionäre, wie es die Kämpfer für den Sozialismus bzw. Kommunismus sind. Hierzu zitiere ich von Seite 9 dieser Abhandlung:
„Auch und gerade in derVeränderungsethikverleiht erst die Moral der Einzelperson ihre Würde, und zwar sowohl in der Klassengesellschaft als auch in einem zukünftigen Reich der Freiheit einer Klassenlosen Gesellschaft: „Man stirbt nicht für ein durchorganisiertes Produktionsbudget; unsere Totalität ist keine nur politisch abmachbare, geschweige bloß ein Rat- und Lehrinhalt der Politik.Dem Kämpfer fürs Reich der Freiheit fällt die Sittlichkeit von selber zu, doch daß er ein Kämpfer sei, dies steht nicht in der kommunistischen Politik, sondern nur in der kommunistischen Moral geschrieben.“ (ebd., Hervorhebungen durch mich.) Was den Kampf für das Reich der Freiheit beflügelt, ist nicht nur revolutionäres Bewusstsein, sondern auch „Glaube, Liebe, Hoffnung in der Beziehung der Menschen“, dies sogar als „das letzte moralische Agens der Revolution“!“
Auch als Revolutionär*in ist die Einzelperson also Rechtsperson; für Bloch sogar mit quasi theologischer Begründung, indem er letztlich auf „Glaube, Liebe, Hoffnung“ abhebt.
Ergänzen kann ich Blochs Ethik durch meineEthik der Verhaltenssteuerung(2020), in der die akute ökologische Komponente voll zum Tragen kommt, und zwar nicht zuletzt in dem Kon-zept eines Humanen, Demokratischen Öko-Sozialismus.
Alles in allem: Die Ergebnisse der Individualpsychologie können in die Bewusstseins-Philo-sophie aufgenommen und dort fruchtbar gemacht werden. Dabei kann und muss die Individualpsychologie zwar nicht in dieser Philosophie aufgehen, ist aber wohl auf Gedeih und Verderb darauf angewiesen, sich an dieser Philosophie zu orientieren – schon, um effek-tiv sein zu können, d.h. den Menschen stets als eine Ganzheit im Auge zu behalten und zu behandeln, als Individuum, das zugleich Person, Rechtsperson und Gemeinschaftswesen ist. Mit der langfristigen Perspektive einesReichs der Freiheitin einer Klassenlosen Gesellschaft – u.a. auf Grund von Konkreter Utopie und Gelehrter Hoffnung.
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Literaturhinweise
Adler, Alfred 1972:Individualpsychologie. Eine systematische Darstellung seiner Lehre in Auszügen aus seinen Schriften, München / Basel
Adler, Alfred 2008(1933):Der Sinn des Lebens, Köln
Adler, Alfredo.J.:Das Unbewusste, https://www.textlog.de/adler-psychologie-unbewusste.html
Bloch, Ernst 1959:Das Prinzip Hoffnung, Frankfurt a.M.
Bloch, Ernst 1977:Politische Messungen, Pestzeit, Vormärz,Frankfurt a.M.
Halluzinogene rütteln am Fundament unseres Bewusstseins.In: https://www.drugcom.de/ newsuebersicht/topthemen/halluzinogene-ruetteln-am-fundament-unseres-bewusstseins/
Kalus, Andreas 2020:Bewusstsein erweitern ohne Drogen: Das steckt dahinter,https://praxistipps.focus.de/bewusstsein-erweitern-ohne-drogen-das-steckt-dahinter_116919
Libet, Benjamin 2005:Mind Time. Wie das Gehirn Bewusstsein produziert,Frankfurt a.M.
Ott, Ulrich 2011:Bewusstseinserweiterung ohne Drogen – mit Meditation, https://www.psi-online.de>getfile
Robra, Klaus 2015:Wege zum Sinn, Hamburg
Robra, Klaus o. J.:Ethische Grundlagen eines demokratischen Öko-Sozialismus, München, https://www.grin.com/document/1252701?/lang.de
Robra, Klaus 2018:Neue Wege zu einem Demokratischen Öko-Sozialismus, München, https://www.grin.com/document/453321
Robra, Klaus o.J. (2020):Ethik der Verhaltenssteuerung. Eine Neubegründung, München, https://www.grin.com/document/923015
Robra, Klaus 2023:Was kann das Unbewusste bedeuten? Ein alternativer Lösungsversuch, München, https://www.grin.com/document/1418328
Robra, Klaus 2023 a):Das Bewusste und das Unbewusste. Neubegründung einer Bewusstseins-Philosophie, München, https://www.grin.com/document/1435836
Robra, Klaus 2024:Bewusstsein und Sprache–ein quasi religiöses Wechselverhältnis?, München, https://www.grin.com/document/1437910
Studie: Unser Wille ist freier als gedacht(2015) https://www.derstandard.at/story/ 2000011387060/studie-unser-wille…
Robra, Klaus 2023 a):Das Bewusste und das Unbewusste. Neubegründung einer Bewusstseins-Philosophie, München, https://www.grin.com/document/1435836
[...]
1Adler 1972, S. 74
2Demgegenüber fällt die Freud-Kritik der Gegenwart wesentlich heftiger und detaillierter aus! Hierzu auch: Robra 2023, S. 57 ff.
3An das Adler sogar denSinn des Lebensknüpft, so wenn er feststellt: „Alle unsere körperlichen und seelischen Funktionen sind richtig, normal, gesund entwickelt, sofern sie genügend Gemeinschaftsgefühl in sich tragen und zur Mitarbeit geeignet sind.“ (In: Adler 2008, S. 199)
4Weitere Einzelheiten zu Adlers Individualpsychologie in: Adler 1972
5In: A. Adler:Das Unbewusste, https://www.textlog.de/adler-psychologie-unbewusste.html
6Hierzu: Robra 2023, S. 33-35, 41 ff.
7Bloch 1959, S. 63
8Vgl. Robra 2024
9 Studie: Unser Wille ist freier als gedacht(2015), S. 1, Hervorhebungen KR
10Bloch in:Das Prinzip Hoffnung, S. 805
11Vgl. Robra o.J. (2020), S. 175-177
12Vgl. Robra 2015, S. 518
13Libet 2005
14s. Robra 2023 und 2023 a)
15In: https://www.drugcom.de/newsuebersicht/topthemen/halluzinogene-ruetteln-am-fundament-unseres-bewusstseins/
16s. hierzu auch: Ann-Carolin Helmreich:Psychedelics zur Persönlichkeitsentwicklung,
file:///E:/Psychedelics%20zur%20Pers%C3%B6nlichkeitsentwicklung.htm 30. März 2020
17s. auch Robra 2023, S. 53 ff.
18In: <https://oekosozial.at/unsere-themen/oekosoziale-marktwirtschaft/wegweiser-fur-die-generation-klimawandel/>
19 s. Robra o. J. bzw. 2018
- Quote paper
- Klaus Robra (Author), 2024, Individualpsychologie oder Bewusstseins-Philosophie? Mit einem Rückblick auf Alfred Adler, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1449008
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