. Einleitung: Problemstellung
Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben;
niemand kommt zum Vater außer durch mich.
Joh 14,6
Oft ist im Zusammenhang eines christlichen Absolutheitsanspruchs dieses Wort Jesu angeführt worden. Wie aber ist dieser Satz zu verstehen? Wird hier der Wert und die Authentizität anderer Religionen geleugnet? Was bedeutet dieser Ausspruch Jesu für den Dialog mit den nichtchristlichen Religionen? Gehört es gar zum Wesen des Christentums, auch bzw. gerade angesichts eines Pluralismus der Religionen eine Art Absolutsheitsanspruch aufrechtzuerhalten, wie er in diesem Johannes-Zitat begründet scheint? Was bedeutet es, wenn das renommierte Lexikon für Theologie und Kirche schreibt, ein Absolutheitsanspruch sei „von der Sache des Christentums her faktisch nicht zu leugnen“(1) ? Gibt es in anderen Religionen ähnliche Ansprüche und was folgt daraus für den interreligiösen Dialog?
In dieser Arbeit soll der Schwerpunkt vornehmlich auf Judentum und Christentum liegen, ihrem jeweiligen Selbstverständnis und somit auch der Thematik des Absolutheitsanspruchs. Schließlich wird nach den Konsequenzen für die christlich-jüdische Beziehung gefragt. Andere nicht-christliche Religionen werden nur am Rande erwähnt.
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(1) H. WADENFELS, Art. „Absolutheitsanspruch des Christentums“, in: W. Kasper (Hrsg.), LThK3 , Bd. I, Freiburg u. a. 1993, Sp. 80 82, hier: Sp. 80.
Inhalt
1. Einleitung: Problemstellung
2. Absolutheitsanspruch und Auserwähltheit? - Aspekte des jüdischen Glaubens
3. Das II. Vaticanum und die Erklärung „Nostra Aetate“
4. Christlich-jüdischer Dialog
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung: Problemstellung
Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben;
niemand kommt zum Vater außer durch mich.
Joh 14,6
Oft ist im Zusammenhang eines christlichen Absolutheitsanspruchs dieses Wort Jesu angeführt worden. Wie aber ist dieser Satz zu verstehen? Wird hier der Wert und die Authentizität anderer Religionen geleugnet? Was bedeutet dieser Ausspruch Jesu für den Dialog mit den nichtchristlichen Religionen? Gehört es gar zum Wesen des Christentums, auch bzw. gerade angesichts eines Pluralismus der Religionen eine Art Absolutsheitsanspruch aufrechtzuerhalten, wie er in diesem Johannes-Zitat begründet scheint? Was bedeutet es, wenn das renommierte Lexikon für Theologie und Kirche schreibt, ein Absolutheitsanspruch sei „von der Sache des Christentums her faktisch nicht zu leugnen“[1] ? Gibt es in anderen Religionen ähnliche Ansprüche und was folgt daraus für den interreligiösen Dialog?
In dieser Arbeit soll der Schwerpunkt vornehmlich auf Judentum und Christentum liegen, ihrem jeweiligen Selbstverständnis und somit auch der Thematik des Absolutheitsanspruchs. Schließlich wird nach den Konsequenzen für die christlich-jüdische Beziehung gefragt. Andere nicht-christliche Religionen werden nur am Rande erwähnt. Die Konzentration auf das Judentum erscheint mir deshalb gerechtfertigt, weil dessen Verhältnis zum Christentum aufgrund der historischen Rivalität, die sich bis hin zu Haß und Verfolgung entwickelte, ein sehr sensibles ist. Interessant erscheint in diesem Zusammenhang auch die Berufung des Christentums auf jüdische Traditionen und eine möglicherweise daraus folgende Tendenz zur Vereinnahmung, wenn z. B. Paulus im Galaterbrief die Christen als Nachkommen Abrahams bezeichnet und so das jüdische Erbe beansprucht.[2]
2. Absolutheitsanspruchund Erwählung im Judentum? – Aspekte des jüdischen Glaubens
Grundlegend für den jüdischen Glauben sind die Worte Ex 20,3 „Du sollst neben mir keine anderen Götter haben“. Hier wird ein monotheistischer Glaube etabliert, inmitten einer heidnischen Umwelt, die traditionell vielen Göttern dient. Daraus folgt notwendigerweise eine Abgrenzung: auf der einen Seite Israel, das Jahwe, dem wahren Gott dient, und auf der anderen Seite die Völker, die in den Augen der Juden Götzendienst verrichten. Diese historische Situation fördert also Erwählungsgedanken und Absolutheitsansprüche[3].
In der biblischen Tradition finden sich allerdings auch Tendenzen einer offeneren, toleranteren Sichtweise. Mi 4,5 scheint eine friedliche Koexistenz der Religionen zu befürworten. Mal 1,11 sieht in Kulten heidnischer Völker gar eine Verehrung des einen Gottes.
Eine sehr liberale Sichtweise findet sich auch im talmudischen Zeitalter, also den ersten fünf nachchrsitlichen Jahrhunderten, bei Rabbi Jochanan: „Die Nichtjuden außerhalb Palästinas sind keine Götzendiener, sie halten sich vielmehr an das Brauchtum ihrer Vorfahren.“[4] Hier wird also nüchtern ein Pluralismus der Religionen festgestellt und ohne chauvinistische Attitüde anerkannt.
Ein anderer rabbinischer Gedanke besagt, daß die Rechtschaffenen aller Nationen einen Anteil an der kommenden Welt haben werden. Das Kriterium dieser Rechtschaffenheit sind die sogenannten Noachitischen Gebote, zu denen die Verbote von Götzendienst, geschlechtlicher Unsittlichkeit, Mord, Gotteslästerung, Diebstahl und Grausamkeit gegenüber Tieren, sowie das positiv formulierte Gebot zur Einsetzung von Gerichtshöfen gezählt werden. Sie gehen auf den Bund Noahs mit Gott zurück, sind also älter als die Gebote vom Sinai. Sie gelten in der jüdischen Sichtweise für alle Menschen, nicht nur für die Juden, denen neben den Zehn Geboten noch zahlreiche, ausführlichere Ge- und Verbote auferlegt wurden.[5] Der Weg zu Gottes Gegenwart steht nach jüdischer Überzeugung grundsätzlich jedem offen; Nicht-Juden haben es jedoch leichter, da sie nicht die erwähnte Vielzahl von Geboten befolgen müssen. Für sie gelten zwingend nur die oben erwähnten sieben Noachitischen Gebote. Später wurde das Verbot des Götzendienstes dahingehend erweitert, daß es Nicht-Juden nicht verboten sei, Gott einen „Beisassen“[6] zur Seite zu stellen. Die Intention dieser Regel besteht darin, die Christen, die ja einen trinitarischen Gott anbeten, vom Verdacht der Vielgötterei auszunehmen und so zu befähigen, die Gebote, die Noah gegeben wurden, zu erfüllen.
Der jüdische Religionsphilosoph Franz Rosenzweig (1886‑1829) sprach sogar die Vermutung aus, daß das Christentum das Instrument sei, durch das die ganze Welt, außer dem jüdischen Volk natürlich, zu Gott geführt werden sollte. Diese Monopolstellung, die den Christen hier zugewiesen wird, ist im Judentum allerdings heftig umstritten.
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[1] H. Wadenfels, Art. „Absolutheitsanspruch des Christentums“, in: W. Kasper (Hrsg.), LThK3 , Bd. I, Freiburg u. a. 1993, Sp. 80‑82, hier: Sp. 80.
[2] Vgl. Gal 3,29.
[3] Die Grundlage für das Kapitel bildete: Petuchowski/Thoma, Lexikon der jüdisch-christlichen Begegnung, Freiburg/Basel/Wien 1989.
[4] Zit. nach: ebda., S. 12.
[5] Insgesamt finden sich im Pentateuch 248 Ge- und 365 Verbote.
[6] Zit. nach: Petuchowski/Thoma, S. 12.
- Citation du texte
- Martin Rödiger (Auteur), 1999, Aspekte christlicher und jüdischer Theologie zur Fragestellung des Absolutheitsanspruchs, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/14487
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