Ziel meiner Arbeit ist es, die gesellschaftstheoretischen Begriffe von Elias und Weber gegenüberzustellen, Unterschiede wie auch Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten und aufzuzeigen, ob aus deren jeweiliger Sicht die Differenzierung der Gesellschaft zu einer Individualisierung der Menschen führt.
Eine Gesellschaft ist ein Gebilde aus unterschiedlichen Formen des menschlichen Zusammenlebens. Das Verhältnis der Individuen einer Gesellschaft zueinander ist durch die soziale Ordnung, wie beispielweise Normen, Regeln und Gesetze, geprägt. Das Individuum möchte seine Freiheit gegen die Fremdbestimmung durch die soziale Ordnung verteidigen. Daraus lässt sich folgern, dass die sozialen Strukturen notwendig für die Ausbildung individueller Strukturen sind. Je differenzierter also eine Gesellschaft ist, desto stärker kann der Einzelne individuelle Strukturen ausprägen, so meine These. Mittels der Theorie zum Prozess der Zivilisation von Norbert Elias und dem Werk „Wirtschaft und Gesellschaft“ von Max Weber beleuchte ich aus den unterschiedlichen Blickwinkeln der Autoren das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft. Dabei wird sowohl die Vorstellung, die beide vom Individuum haben als auch ihr Blick auf die gesellschaftliche Entwicklung betrachtet. Mit diesem Ansatz gehe ich der Frage nach, welche Gemeinsamkeiten die Soziologen im Hinblick auf ihre Betrachtungen von Individuum und Gesellschaft aufweisen und worin sich ihre Konzepte der Individualisierung unterscheiden.
1. Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung...3
2. Vergleich des Gesellschaftsbegriffs...4
2.1 Norbert Elias...4
2.1.1 Gesellschaft in Figurationen und als Prozess...4
2.1.2 Machtbalance...6
2.2 Max Weber...7
2.2.1 Soziales Handeln...8
2.2.2 Idealtypus...8
2.2.3 Macht und Herrschaft...9
2.3 Zusammenfassung...10
3. Individualisierung und Rationalisierung der Individuen...12
3.1 Norbert Elias...12
3.1.1 Die Gesellschaft der Individuen...12
3.2 Max Weber...13
3.2.1 Differenzierung als Ergebnis der Rationalisierung...13
3.3 Zusammenfassung...14
4. Fazit...15
5. Literaturverzeichnis...18
1. Einleitung
Eine Gesellschaft ist ein Gebilde aus unterschiedlichen Formen des menschlichen Zusammenlebens. Das Verhältnis der Individuen einer Gesellschaft zueinander ist durch die soziale Ordnung, wie beispielweise Normen, Regeln und Gesetze, geprägt. Das Individuum möchte seine Freiheit gegen die Fremdbestimmung durch die soziale Ordnung verteidigen. Daraus lässt sich folgern, dass die sozialen Strukturen notwendig für die Ausbildung individueller Strukturen sind. Je differenzierter also eine Gesellschaft ist, desto stärker kann der Einzelne individuelle Strukturen ausprägen, so meine These. Mittels der Theorie zum Prozess der Zivilisation von Norbert Elias und dem Werk „Wirtschaft und Gesellschaft“ von Max Weber beleuchte ich aus den unterschiedlichen Blickwinkeln der Autoren das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft. Dabei wird sowohl die Vorstellung, die beide vom Individuum haben als auch ihr Blick auf die gesellschaftliche Entwicklung betrachtet. Mit diesem Ansatz gehe ich der Frage nach, welche Gemeinsamkeiten die Soziologen im Hinblick auf ihre Betrachtungen von Individuum und Gesellschaft aufweisen und worin sich ihre Konzepte der Individualisierung unterscheiden. Ziel meiner Arbeit ist es, die gesellschaftstheoretischen Begriffe von Elias und Weber gegenüberzustellen, Unterschiede wie auch Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten und aufzuzeigen, ob aus deren jeweiliger Sicht die Differenzierung der Gesellschaft zu einer Individualisierung der Menschen führt.
Im darauffolgenden Abschnitt erläutere ich die zentralen Begriffe „Prozess“ und „Figuration“ der allgemeinen menschenwissenschaftlichen Theorie von Elias. Außerdem lege ich die zentralen Begriffe und Methoden Webers dar, welche für den Vergleich der Gesellschaftskonzepte von Bedeutung sind, am Schluss des Abschnitts stelle ich meine Ergebnisse vergleichend gegenüber. Im nächsten Kapitel behandle ich die Auseinandersetzungen beider Autoren mit dem „zivilisierten Individuum“ und betrachte anschließend ihre Konzepte zur „Individualisierung und Rationalisierung“ vergleichend. Im letzten Kapitel fasse ich die Ergebnisse zusammen und gebe einen Überblick über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Gesellschaftskonzepte. Außerdem wird der Frage nachgegangen, ob die Konzepte von Weber und Elias aufzeigen, dass eine Differenzierung der Gesellschaft zu einer Individualisierung der Menschen führt. Aufgrund der Komplexität der Werke beider Autoren versteht sich meine Arbeit nicht als allumfassender Vergleich der Konzepte.
Für die Ausarbeitung werde ich Primär- und Sekundärliteratur verwenden, die Bände der Arbeit „Über den Prozeß [sic]der Zivilisation“ kennzeichne ich in der Arbeit mit „a“ für Band 1 und „b“ für Band 2.
2. Vergleich des Gesellschaftsbegriffs
2.1 Norbert Elias
Das Fundament seiner „Prozess- und Figurationstheorie“ legte Elias in seinem Werk „Über den Prozeß [sic] der Zivilisation“. Seine allgemeine menschenwissenschaftliche Theorie lässt sich auf alle gesellschaftlichen Prozesse und Phänomene anwenden. Im ursprünglich als dritten Band geplanten Werk „die Gesellschaft der Individuen“ stellt Elias den strukturalistischen und individualistischen Strömungen seine Figurationstheorie entgegen, die den Menschen zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen macht. Er lehnt die Idee, dass Gesellschaftsprozesse auf das Wirken „anonymer Mächte“ zurückzuführen sind, so wie sie etwa strukturalistische Ansätze postulieren, ab (vgl. Baumgart/Eichener 1997: 101 ff.). Ebenfalls kritisch steht er der individualistischen Sichtweise gegenüber, die Gesellschaftsprozesse auf das Wirken von Einzelpersonen zurückführt. Sie ist abzulehnen, da langfristige Gesellschaftsprozesse für Elias Regelmäßigkeiten aufweisen, die nicht durch Einzelpersonen herbeigeführt wurden, egal welche Macht diese besaßen (vgl. ebd.). Strukturalistische Theorien stellen für Elias Ideologien dar, weil sie unter anderem „Geschichte“ als Fortschritt in eine bestimmte „ideale“ Richtung deuten. Um den ungeplanten, aber strukturierten Gesellschaftsprozess, der aus den Handlungen der Individuen entsteht, zu erklären, nutzt Elias den Begriff der „Figurationen“. Wenn Menschen nur in der Mehrzahl vorkommen, müssen Figurationen der Ausgangspunkt von sozialwissenschaftlichen Analysen sein (vgl. Baumgart/Eichener 1997: 108).
2.1.1 Gesellschaft in Figurationen und als Prozess
Für Elias ist die Gesellschaft etwas Wandelbares, für ihn existieren nur permanente Veränderungsprozesse und keine feststehenden Strukturen. So beschreibt etwa der Zivilisationsprozess die langfristige Veränderung von menschlichem Verhalten und Figurationen. Er ist ein ungeplanter, aber strukturierter, von den Menschen ausgehender Prozess, dessen Verlauf durch das Individuum nicht verändert werden kann. Der Mensch durchläuft nach Elias nicht nur einen Prozess, er ist selbst ein Prozess (vgl. Elias 2004: 127).
Figurationen beschreibt Elias als soziale Prozessmodelle, welche sich im Laufe der Zeit zu geschichtlichen Prozessen verfestigen (Elias 1997b: 325 ff.). Der Begriff „Figuration“ ist ein Konzept aus seiner Prozesssoziologie, der auf den Terminus der „Verflechtungsfigur“ aus seinen früheren Werken zurückgeht (vgl. Elias 2004: 139 ff.). Mit dem Figurationsbegriff möchte er die Dichotomie von Individuum und Gesellschaft überwinden und die wechselseitige Abhängigkeit wie auch die Entwicklung beider Parameter aufzeigen, welche dem geschichtlichen Wandel zu Grunde liegen. Dies erreicht er, indem er den Figurationsbegriff mit dem des Individuums und der Gesellschaft verbindet und dadurch Gruppen- und individuelle Verhaltensstrukturen verknüpft. Nach Elias ist der Mensch im Singular zwar von den Menschen im Plural zu unterscheiden, aber nicht zu trennen. Der Einzelne wird von seiner Umgebung beeinflusst und ist keine starre, beziehungslose Einheit, die „niemals ein Kind war“ (Elias 2004: 125). Aufgrund dieses Gedankens ersetzt Elias das Menschenbild des „ich im verschlossenen Gehäuse“ des „homo clausus“ durch das des „offenen“, durch gesellschaftliche Umstände formbaren „homines aperti“ (Elias 2004: 135 ff.).
Die Mitglieder einer Gesellschaft sieht er als aneinandergebunden. Diese Interdependenzen können zum Beispiel affektive Valenzen, soziale oder ökonomische Interdependenzen und räumliche Verflechtungen sein (vgl.: Elias 2004: 146 ff). Von diesen ist abhängig, wie ein Mensch sozialisiert wird und welche Persönlichkeit er entwickelt, da er in sie hineingeboren wird. Sie bestimmen die Ziele seines Handelns und die Restriktionen (vgl. Baumgart/Eichener 1997: 109 ff.). Diese Interdependenzen entstehen nach Elias wie folgt: Durch sich verkettende interdependente Beziehungen entstehen Interdependenzketten, die wiederum zu Figurationen werden. Letztere sind also Verflechtungszusammenhänge, die auf das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft hinweisen. Der Begriff der Figuration beschreibt somit die Verflechtung von interdependenten Individuen, die eine Gesellschaft bilden. Diese hat dabei keinen besonderen Zweck, außer den Menschen das Leben in ihr selbst zu ermöglichen. Eine Zweierbeziehung stellt die kleinste, die Menschheit die größte Figuration dar (Elias 2004: 143). Je größer sie ist, desto länger und differenzierter sind die Interdependenzketten. Für Elias ist die Gesellschaft also nicht um das Individuum zentriert, da beide Parameter nicht klar voneinander getrennte mechanische Einheiten sind (Elias 1997a: 70-71). Individuum und Gesellschaft sind somit keine verschiedenen Abstrakten und antagonistischen Begriffe.
Zusammenfassend sind es also Figurationen, die erklären, warum Menschen in einer bestimmten Weise handeln. Sie geben den Handlungsrahmen vor und zeigen gleichzeitig auf, dass sich Menschen nicht völlig frei verhalten können. Das Individuum ist nicht gänzlich autonom, aber auch nicht gänzlich abhängig von der Gesellschaft, beide befinden sich in einer wechselseitigen Abhängigkeit. Elias beschreibt Gesellschaften also als Konstrukte, die sich aus Figurationen bilden, welche sich aus interdependenten Individuen zusammensetzen. Figurationen sind keine statischen Gebilde, sondern Interdependenzgeflechte, die sich in einem ständigen Prozess des Wandels befinden, aber dennoch Regelmäßigkeiten aufzeigen. Die zunehmende gesellschaftliche Differenzierung ist der Grund für die Abhängigkeiten der Menschen untereinander. Für Elias ist die Gesellschaft wandelbar und befindet sich in einem permanenten Prozess. Überzeitlich feststehende Strukturen existieren nicht, dem historischen Wandel liegen Figurationen zu Grunde.
2.1.2 Machtbalance
Für Elias ist „Macht“ ein Schlüsselkonzept bei der Figurationsanalyse. Er geht davon aus, dass sie eine „Struktureigentümlichkeit“ menschlicher Beziehungen und weder gut noch schlecht ist (vgl. Elias 2004: 97). Aufgrund der Annahme, dass „Macht“ kein Attribut eines Einzelnen, kein „Ding“, das man besitzen kann, ist, wandelt Elias sie von einem „Substanzbegriff“ in einen „Beziehungsbegriff“ um (Elias 2004: 142). Da Beziehungen immer auch wechselseitige Abhängigkeit bedeuten, gehört zur „Macht“ des einen auch die „Gegenmacht“ des anderen. Aufgrund dieses Verhältnisses prägte Elias den Begriff der „Machtbalance“, die für ihn der „Kern zwischenmenschlicher Beziehungen“ ist (Treibel 2008: 77). Sie ist wie eine Waage vorstellbar und die Gewichte darauf veränderlich. Letztere sind das, was Elias als „Machtressourcen“ bezeichnet. Diese können sich beispielsweise in finanziellen Mitteln oder einem Gewaltmonopol ausdrücken. Das Bild der Waage verdeutlicht, dass Macht nicht symmetrisch sein muss, da selbst der vermeintlich Schwächere sie besitzt (vgl. Treibel 2008: 75). Machtressourcen können sich verschieben und Figurationen, welche einem ständigen Wandel unterworfen sind, können sich verändern. Wer heute mächtig ist, kann schon morgen machtlos sein. Daran wird deutlich, dass Macht kein Attribut einer Person oder statisch ist und verdinglicht werden kann, sondern sie sich durch Dynamik und Veränderbarkeit auszeichnet. Ist ein Mensch von jemandem abhängig, kann er von ihm oder ihr dazu gebracht werden, in eine bestimmte Richtung oder einer bestimmten Weise zu handeln, in der er ohne diese Abhängigkeit nicht handeln würde. Abhängigkeitsbeziehungen sind somit auch immer Machtbeziehungen. Solange der Schwächere für den Stärkeren einen Wert besitzt, ist der Stärkere auch in einer Weise von dem Schwächeren abhängig.
Zusammenfassend stellt die Machtbalance also das Abhängigkeits- und Stärkeverhältnis in Figurationen dar. Mit dem Begriff der Machtbalance werden die eigendynamischen Veränderungen von sozialen Beziehungsverflechtungen wie auch kurz und langfristige Veränderungen von Verhaltensweisen erklärt.
2.2 Max Weber
Weber verwendet den Begriff „Gesellschaft“ nur formal, sie ist für ihn kein eigenständiges Subjekt. Um ihre Dynamik auszudrücken, bevorzugt er das Begriffspaar ,,Vergemeinschaftung“ und ,,Vergesellschaftung“. Letztere bezieht sich auf den Prozess, der aus Individuen Mitglieder einer rational motivierten Gesellschaft macht, indem soziales Handeln zu einem rationalen Interessenausgleich führt. Tauschbeziehungen, zweckrational motivierte Verbände und wertrational motivierte Gesinnungsverbände sind hier inbegriffen. Vergemeinschaftung hingegen bedeutet eine soziale Beziehung, deren soziales Handeln auf affektuelle oder traditionelle Zusammengehörigkeit ausgerichtet ist, also auf der „gefühlten“ Zusammengehörigkeit beruht.
Grundlage für Webers Vorstellung von Gesellschaft ist die Gesamtheit aller Individuen und ihr sinnhaftes, aufeinander bezogenes „soziales Handeln“. Seine „Gesellschaft" ist ein Aggregat aus sozialen Handlungsbezügen, die von Individuen ausgehen. Staat und Institutionen sieht er als der Gesellschaft übergeordnete Mächte, die zur Gesellschaftsbildung und Gesellschaftsordnung beitragen.
2.2.1 Soziales Handeln
Mittelpunkt der Weberschen Arbeit ist das auf andere bezogene Handeln von Individuen. Den Objektbereich seiner „verstehenden Soziologie“ grenzt er auf das „soziale Handeln“ ein, wobei das Individuum „primärer Träger des Handelns“ ist (vgl. Käsler 1979: 154 ff.). Das „soziale Handeln“ bildet den „Tatbestand“ von Webers Soziologie (ebd.). Damit meint er „Handeln“ in Beziehungen, welches sich, dem Sinn nach, auf das Verhalten anderer Individuen bezieht und sich in seinem Ablauf daran ausrichtet (vgl. Weber 2006: 30). Es ist am vergangenen, künftigen und gegenwärtigen Verhalten anderer orientiert (vgl. ebd.). Folgende Beispiele sollen dies verdeutlichen:
1. Person A fühlt sich von Person B aufgrund einer Aussage ungerecht behandelt und möchte nun Rache ausüben/oder auch nicht. Gleich, ob A Rache ausübt oder auch nicht, die Handlung ist auf das Verhalten von B bezogen und somit „soziales Handeln“.
2. Person A schlägt Person B. Die darauffolgende Handlung von Person B ist „soziales Handeln“ (zurückschlagen oder auch nicht).
„Soziales Handeln“ kann wie jedes Handeln „bestimmt“ sein (vgl. Weber 2006: 32 ff.). Es kann „zweckrational“, „wertrational“, „affektuell“ und „traditionell“ bestimmt sein, jedoch geht Weber nicht davon aus, dass einer der Bestimmungsgründe in der Realität in Reinform anzutreffen ist (ebd.).
Er betrachtet die Gesellschaft aus der Mikroperspektive. Sein Ziel ist es, den Sinn einer Handlung und dessen ursächliche Erklärung zu verstehen. Der Soziologe betrachtet also eher eine Momentaufnahme. Die Kommunikation einer Gesellschaft basiert folglich darauf, dass das Gegenüber den Sinn von Gestik und Mimik versteht. Aus diesem Sinn wird die Motivation zum Handeln erschlossen.
2.2.2 Idealtypus
Mit der Methode des „Idealtypus“ erklärt Weber soziales Handeln ursächlich und nutzt sie, um sozialwissenschaftliche Erkenntnis zu erlangen (vgl. Müller 2007: 65). Er stellt dar, wie das Individuum handeln soll, wenn es völlig rationell vorgeht, nicht wie es in der Wirklichkeit handelt. Mit diesem Idealbild soll die Realität verglichen und an ihm gemessen werden. Zur Konstruktion des „Idealtypus“ werden möglichst viele Teile zweckrationell ausführbaren Handelns des Subjekts (Individuum), das man analysieren möchte, darin zusammengefasst (vgl. Müller 2007: 66). Der „Idealtyp“ ist dabei aber keine Definition, sondern eine rein logische Gedankenkonstruktion, die in der Wirklichkeit so nicht anzutreffen ist. Weber analysiert mit der „Idealtypkonstruktion“ Entwicklungen und Kausalitäten. Mit der Methode des „Idealtyps“ wird die soziale Wirklichkeit nicht „direkt“ erfasst, sondern die Erkenntnisse indirekt aus der Abweichung der Wirklichkeit vom „Idealtyp“ gezogen. Zur Untersuchung des Handelns unterstellt Weber im Zusammenhang mit diesem „streng zweckrationelles Handeln“. Die irrationellen Teile werden dann als „Abweichung“ vom rationellen Handeln betrachtet. Das Verstehen des „Realtyps“ wird durch diese Methode erleichtert. Aus seinen Beobachtungen schließt Weber dadurch vom sozialen Handeln auf einzelne Theorien und Regeln. Empirische Phänomene können mittels des „Idealtypus“ verglichen und hinsichtlich eventueller Abweichungen charakterisiert werden, wobei er kein moralisches Ideal abbildet.
2.2.3 Macht und Herrschaft
Weber führt die Begriffe „Macht“ und „Herrschaft“ als soziologische Grundbegriffe ein. Ersteres ist nach Weber „jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht“ (Weber 2003: 62). Jedoch ist aufgrund aller denkbaren „Konstellationen“ und „Qualitäten eines Menschen“ der Machtbegriff für Weber „soziologisch amorph“, wodurch er sich zu einer akkuraten soziologischen Analyse nicht eignet (vgl. ebd). Weber wählt zu ihrem Zweck den präziseren Herrschaftsbegriff.
Herrschaft beschreibt nach Weber die „Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden“ (ebd.). Die „Herrschaft“ hat einen „erfolgreich andern Befehlenden“ zur Voraussetzung, wodurch sie von Gehorsam und dem Bestehen einer legitimierten Ordnung ausgeht (vgl. Neuenhaus 1993: 13). Die Motive für die Fügsamkeit des Gegenübers können unterschiedlich sein, sie reichen „von dumpfer Gewöhnung [...] bis zu rein zweckrationalen Erwägungen“ (vgl. Weber, 2006: 214). Mit der „Herrschaft“ beschreibt Weber die Stabilisierung des Sozialen und das damit verknüpfte Verschwinden des subjektiven Sinns aus dem sozialen Handeln (vgl. Neuhaus 1993: 13). Sie ist eines der wichtigsten Elemente des „Gemeinschaftshandelns“, da dieses durch die Struktur der „Herrschaft“ das „Gemeinschaftshandeln“ formt und die rationelle „Vergesellschaftung“ entstehen lässt (vgl. Weber 2006: 975 ff.).
Weber unterscheidet drei reine Herrschaftstypen legitimer Herrschaft, wobei ihr Legitimitätscharakter rational, traditionell oder charismatisch begründet sein kann (vgl. Weber 2006: 218). Er führt „die Legitimation der Herrschaft auf das Bedürfnis der Herrschenden nach Selbstrechtfertigung“ zurück, wodurch der Glaube der Beteiligten an ihre Legitimität und Rechtmäßigkeit die Grundlage der „Herrschaft“ wird (vgl. Neuenhaus: 1993: 19). Auf unterschiedlichen Grundlagen behaupten die Herrschenden ihren Legitimitätsanspruch mit der Rechtmäßigkeit. Dieser „Glaube“ hat zur Voraussetzung, dass die „Herrschaftsgewalt“ der Herrschenden „in irgendeinem Sinn legitim“ sei (vgl. Weber 2003: 46). Der Sinn, welcher der Legitimität zugeschrieben wird, muss dabei nicht der rationellen Ordnung entsprechen, weil sich die individuellen Gründe des „Glaubens“ auf das „Charisma eines Führers“ oder auf die Wahrung der „Tradition“ beziehen (vgl. Neuenhaus 1993: 20).
2.3 Zusammenfassung
Für Elias stehen Individuum und Gesellschaft in einer Wechselbeziehung zueinander und beeinflussen sich gegenseitig. Gesellschaftsprozesse entstehen laut ihm durch Handlungen der Individuen, jedoch kann der Einzelne diese Prozesse nicht beeinflussen, wodurch der einzelne Mensch für ihn nicht überlebensfähig ist (Elias 2004: 131). Ganz anders betrachtet Weber den Sachverhalt, der im methodologischen Individualismus - also im Handeln des Einzelnen und den daran beteiligten Personen - die kausale Begründung sozialer Phänomene sieht. Um auf die Gesellschaft zu schließen, analysiert er das Handeln von Individuen in Interaktion mit anderen. Für Weber sind Beziehungen soziale Ordnungen, die aus menschlichen Handlungen entstehen, sie sind kein Zustand, sondern ein Prozess. Die gesteigerte Handlungslogik baut auf dieser Ordnung auf, alles beginnt mit dem sozialen Handeln und breitet sich aus. Das autonome Individuum existiert für Weber nicht, er spricht stattdessen etwas kryptisch von einem „Dämon (…), der seines Lebens Fäden hält“ (Weber 1922: 555).
Elias wie auch Weber deuten Macht als „Scharnier“ zwischen der Strukturebene und der Handlungsebene (Bogner 1989: 36). Für beide Autoren stellt „Macht“ eine Eigenschaft sozialer Beziehungen dar, welche sich der Dimension des Potentials, nicht der Realisierung zuschreiben lässt. Für Elias‘ Analysen sind Machtbeziehungen zwischen Individuen von Interesse. Mit der „Machtbalance“ beschreibt er das Machtverhältnis zwischen Individuen, weniger das in Organisationen. Sie steht im Zentrum des Figurationsprozesses und ist dessen Struktureigentümlichkeit. Hiermit steht er im Gegensatz zu Weber, der sich für die gefestigte Machtform der Herrschaft, welche sich als Verwaltung manifestiert, interessiert (Weber 2006: 982 ff)
Für Elias sind die Ähnlichkeiten der Menschen und Gesellschaften, die vom Beobachter verglichen werden, keine „Idealtypen“, die erst durch ihn konstruiert werden müssen, sondern in der Realität anzutreffende Verwandtschaften der gesellschaftlichen Struktur. Aus diesem Grund hält Elias den Begriff des „Realtyps“ für angemessener (Elias 1997b: 468). Weber möchte mit der idealtypischen Konstruktion trennscharf empirische Phänomena vergleichen und ordnen. Sein Ziel ist dabei nicht die Beschreibung des sozialen Geschehens, vielmehr nutzt er den „Idealtyp“ als Nullpunkt, an welchem er die vorgefundene Realität misst. Mit seinem „Idealtyp“ lassen sich mehr Unterscheidungen herausarbeiten und vergleichen als mit dem „Realtyp“ Elias‘. Weber erfasst und ordnet Ausschnitte der sozialen Wirklichkeit, indem er ihre Aspekte hervorhebt und absichtlich überzeichnet. Dadurch unterscheidet er sich vom empirisch vorfindbaren „Realtyp“.
Für Weber besteht die Gesellschaft aus Ordnungen, welche sich in Organisationen manifestieren, für Elias hingegen aus Figurationen, die sich in einem ständigen Wandel befinden. Die soziale Ordnung bildet sich für ihn durch die Art und Weise, wie Menschen miteinander verbunden sind.
3. Individualisierung und Rationalisierung der Individuen
3.1 Norbert Elias
3.1.1 Die Gesellschaft der Individuen
Individuum und Gesellschaft sind für Elias nicht als „getrennte Objekte" zu verstehen. In seinem Band "Was ist Soziologie" stellt er die gängigen Vorstellungen beider Begriffe gegenüber. In der allgemeinen Vorstellung steht das Individuum als "Homo Clausus" im Mittelpunkt (Elias 2004: 128). Um diesen zentrieren sich dann beispielweise Familie, Vereine und Gesellschaft als ebenfalls "abgeschlossene" Einheiten.
Elias‘ Vorstellung der Gesellschaft und des Individuums ist eine andere, er denkt sie in Figurationen, welche sich aufgrund der unterschiedlichen Interdependenzen bilden. Diese können sich wandeln, wie auch Menschen sich in ihrem Entwicklungsprozess verändern. Das Individuum muss sich ständig an anderen ausrichten, wodurch es nur bedingt frei sein kann. Es ist aufgrund seines Bedürfnisses nach sozialen Kontakten von anderen Menschen abhängig und muss permanent seine Affekte regulieren und kontrollieren, um in einer sozialen Gruppe zu bestehen. Dies ist notwendig, um Erwartungssicherheit für die in wechselseitiger Abhängigkeit zum Individuum stehende Umgebung zu generieren. Diese Affektregulierung bezeichnet Elias als „Selbstzwang“, welcher aus den im Sozialisationsprozess erlernten „Fremdzwängen“ hervorgeht (Elias 1997a: 265).
Eine bestimmte Form der Verbindung von gesellschaftlichen Veränderungen einerseits und individuellen Veränderungen andererseits (von der Fremd- zur Selbstkontrolle) ist der Zivilisationsprozess, welcher in Kapitel 2.1.1 bereits kurz dargestellt wurde.
Da der Mensch einen Prozess nicht nur durchläuft, sondern selbst Prozess ist, hält Elias es für angemessener, sich den Menschen als Prozess vorzustellen und ihn nicht nur in einem Prozess zu sehen (vgl. Elias 2004: 127). Für den Soziologen ist der Mensch als offenes, durch die Gesellschaft formbares Wesen zu betrachten (vgl. Baumgart/Eichener 1997: 105). Je größer die Trieb- und Affektkontrolle, welche mit zunehmender Differenzierung steigt, desto länger dauert der sich ständig wiederholende Sozialisationsprozess des Individuums (Baumgart/Eichener 1997: 107).
3.2 Max Weber
3.2.1 Differenzierung als Ergebnis der Rationalisierung
Für Weber ist der Kapitalismus als Teilerscheinung des „okzidentalen Rationalismus“ der Bedingungsrahmen der modernen Existenz. Er hat, wie auch der Rationalismus im Allgemeinen, seine Wurzeln in den Religionen (vgl. Kruse/Barrelmeyer 2012: 111). Das Handeln löst sich im Laufe der Zeit von der Religion, die bis dahin die „einzige gültige Werte generierende Instanz“ ist (vgl. Kruse/Barrelmeyer 2012: 117). Durch das Loslösen werden neue Werte hervorgebracht und neue Wertsphären generiert. Diese sind: Wirtschaft, Staat, Recht, Wissenschaft, Kunst und Erotik (vgl. ebd.). Sie differenzieren sich aufgrund der Verbindung zwischen kapitalistischen und religiösen Elementen und bilden spezifische Rationalitäten heraus (vgl. Kruse/Barrelmeyer 2012: 117 ff.). Die Rationalität der Wirtschaft ist beispielweise das Streben nach Gewinn (vgl. ebd.). Für Weber ist eine zunehmende Rationalisierung und Differenzierung in den verschiedenen Wertsphären kennzeichnend für die moderne Welt, wobei der Prozess der Differenzierung einen Ausdruck der Rationalisierung darstellt.
Diese ist für Weber die Fähigkeit, durch Berechnung alle Dinge zu beherrschen (Weber 1922: 535 ff.). Der Rationalismus hat zum Ziel, die irrationale Welt zu verbessern und zu ordnen. Aufgrund der leistungsmäßigen Überlegenheit der Bürokratie gegenüber anderen Gesellschaftsformen wird die Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft durch die zunehmende Bürokratie gesteigert (vgl. Kruse/Barrelmeyer 2012: 133). Das hat zum einen Auswirkung auf das Individuum, welches zum Rädchen im Getriebe wird, zum anderen wird die Welt dadurch unberechenbar und irrational, da das Eingreifen von gestern, heute ein erneutes und morgen ein wieder neues erfordert. Webers Blick in die Zukunft ist pessimistisch, wenn er in seinem Aufsatz „Die protestantische Ethik“ metaphorisch vom „stahlharten Gehäuse“ spricht. Er thematisiert die „unentrinnbare Gebanntheit unserer ganzen Existenz in das Gehäuse einer fachgeschulten Beamtenorganisation“ (Weber 1947: 3). „[D]er Einzelne wird in der Moderne in das faktische unabänderliche Gehäuse, in dem er zu leben hat, hinein geboren“ (vgl. Weber 1947: 37). Auch zeigt sich seine wenig hoffnungsvolle Betrachtungsweise, wenn er davon spricht, dass sich ein „stahlhartes Gehäuse“ um die Menschen im Zeichen des Kapitalismus gelegt habe (vgl. Weber 1947: 203).
Zusammenfassend betrachtet, hat rationales Eingreifen nicht unbedingt ein rationales Ergebnis zur Folge. Die mögliche individuelle Lebensführung wird durch die Rationalität ersetzt und durch die Disziplin unnötig gemacht. Nach Weber differenziert sich die Gesellschaft des Okzidents, als Folge des Rationalismus, in Wertsphären, die sich aus der Verbindung von religiösen und kapitalistischen Strukturen bilden.
3.3 Zusammenfassung
Für beide Autoren gilt die Individualität als ein Zeichen der Moderne. Weber wie auch Elias gehen davon aus, dass persönliche Beziehungen in dieser Epoche verschwinden und sehen eine Komplexitätssteigerung und eine Verlängerung der Interdependenzketten. Die Moderne geht mit einer Versachlichung und zunehmenden Anonymisierung einher, welche eine jeweilige Gesellschaft zur Anpassung zwingt. Für Elias geht die Individualisierung mit der Zivilisierung einher, während sie für Weber aufgrund der Rationalisierung verloren geht.
Da Elias in seinem Figurationskonzept von einer Wechselseitigkeit ausgeht, ist der isolierte Mensch nicht vorgesehen. Er stellt fest:
„Mehr und mehr Menschen lebten in wachsender Abhängigkeit voneinander, während jeder Einzelne zugleich verschiedener von allen anderen wurde“ (Elias 1988: 185).
Die Vorstellung des völlig freien Individuums ist im Konzept von Elias eine Illusion, da die „eigenen“ Gedanken des Einzelnen durch den Selbstzwang eine bestimmte Form haben. Sie entstehen nicht „von innen heraus“, sondern weil der Mensch gelernt hat, was „gut“ und „schlecht“ ist. Seine Gedanken bestehen aus Worten, welche er in der jeweiligen Gesellschaft, in der er lebt, im Entwicklungsprozess erlernt hat. Dadurch kann das Individuum nur bedingt frei sein. Es denkt und handelt im Rahmen von „Fremdzwängen“, die ihm durch sein Umfeld anerzogen wurden und sich zu „Selbstzwängen“ manifestierten. Dennoch gestaltet das Individuum seine Umwelt mit, da es sich mit dieser in wechselseitiger Abhängigkeit befindet.
Auch bei Weber ist das Individuum nicht frei, er sieht die Individualisierung als einen problematischen Prozess an. Freiheit und Eigenständigkeit des Individuums treten aufgrund der Rationalisierung und Differenzierung in den Hintergrund. In der normativ von Regeln geprägten Gesellschaft ist kein Platz für eine individuelle Lebensführung. Das Individuum muss sich einer Abflachung des Alltags hingeben, wenn es sich den gesellschaftlichen Bedingungen und Widersprüchen nicht bewusst ist, sondern diese als „naturgegeben“ hinnimmt.
4. Fazit
Das Ziel meiner Arbeit war, die Gesellschaftskonzepte von Elias und Weber im Verhältnis von „Individuum und Gesellschaft“ gegenüberzustellen und zu vergleichen. Außerdem ging ich der Frage nach, ob der Einzelne stärker individuelle Strukturen ausprägen kann, je mehr sich eine Gesellschaft differenziert.
Das Ziel der Arbeit von Norbert Elias war es, der vorherrschenden Meinung, es existiere ein von der Gesellschaft abgekoppeltes Individuum, entgegenzutreten. Individualistischen und strukturalistischen Theorien stellt er seinen figurationstheoretischen Ansatz entgegen, der Individuum und Gesellschaft vereint und Ausgangspunkt seiner soziologischen Analysen ist. Er trennt nicht zwischen Individuum und Gesellschaft, da sich diese in wechselseitiger Abhängigkeit befinden. Das Individuum kann für Elias ohne die Gesellschaft nicht existieren und umgekehrt. Auch die Persönlichkeit eines Menschen stellt für den Soziologen ein Anzeichen für eine Rückwirkung der Gesellschaft auf den Einzelnen dar, wenn er von Fremdzwängen spricht, die sich zu Selbstzwängen verfestigen. Dadurch zeigt er auf, dass ein „völlig freies Individuum“ nicht existiert.
Die Figurationen, also die Art und Weise wie Menschen miteinander in Verbindung stehen und miteinander konkurrieren, ändern sich im Laufe des Zivilisationsprozess so, dass sie gezwungen sind, sich immer stärker zu individualisieren. Elias betrachtet diese Entwicklung aber nicht als durchweg positiv. Er sieht unterschiedliche Phänomene wie „Entfremdung“, „Vereinsamung“ der Individuen und den Verlust von traditionellen Bindungen (Elias 1988: 203) als Kehrseite der Medaille.
Weber dagegen meidet den Gesellschaftsbegriff und nutzt die Begriffe ,,Vergemeinschaftung“ und ,,Vergesellschaftung. Er denkt die Gesellschaft vom Individuum aus, welches sie formt. Die Organisation fasst die arbeitsteilig differenzierten Individuen, welche rationell handeln, in sich zusammen. Die ausdifferenzierte und komplexe Gesellschaft sieht er als Konsequenz sozialer Handlungen von Individuen. Der „Idealtyp“ ist dabei der Maßstab, an dem Weber die Rationalität des Einzelnen misst. Die ideale Herrschaftsform ist für den Autor die „rationale Herrschaft“. Sie birgt aber die Gefahren der Entmenschlichung und einem Übermaß an Regeln, welche, wie oben aufgezeigt, zu erneuten Irrationalitäten führen und dadurch zum Selbstzweck werden.
Um die Bedingungen der Existenz, des Fortbestehens und die Entwicklung der Menschen zu erklären, nutzt Elias die Begriffe „Individualisierung“ und „Zivilisierung“, während Weber mit dem Begriff der „Rationalisierung“ arbeitet. Die Differenzierung der gesellschaftlichen Funktionen ist für Weber ein Ergebnis der Rationalisierung, während für Elias die Differenzierung Voraussetzung zur Individualisierung und der gesellschaftlichen Entwicklung ist. Er betrachtet also das Verhältnis zwischen den Menschen, während Weber seine Analysen vom sinnbehafteten Handeln des Einzelnen aus beginnt. Beide Autoren gehen davon aus, dass die Gesellschaft, in welcher der Einzelne lebt, das Individuum von außen zur Kontrolle des eigenen Handelns zwingt, durch Selbstzwang bei Elias und durch rationelle Disziplin bei Weber. Die „Macht“ ist bei beiden die Triebkraft der Rationalisierungs- und Zivilisierungsprozesse. Sie sehen diese als dynamische Abläufe, welche der Beherrschung der Umwelt dienen.
Die Frage vom Verhältnis der Differenzierung zur Ausprägung von individuellen Strukturen lässt sich wie folgt beantworten. Im Konzept von Weber wird die individuelle Lebensführung durch die Rationalität ausgetauscht, die Disziplin macht es dem Individuum in seinem Konzept nicht möglich, aus dem „stahlharten Gehäuse“ herauszutreten. Die rationelle Herrschaft entmenschlicht es und macht es zum austauschbaren Zahnrad im Getriebe. Weber gesteht dem Individuum eigenes Denken zu und sieht es als fähig, sich der Zwänge bewusst zu werden in denen es lebt. Dennoch ist eine Flucht aus dem “Gehäuse“ nicht möglich, wenn es in der kapitalistischen Gesellschaftsmaschine existieren möchte. Diese ist bestückt mit den Zahnrädern der rationalen Herrschaft: Rationalität, Differenzierung der Funktionen, administrativ geprägte Normen. Nur mit einem Austreten aus der Gesellschaftsmaschine scheint ein unabhängiges Leben möglich.
Für Elias wiederum ist die Differenzierung der Funktionen eine Voraussetzung zur Individualisierung. Das Individuum kann durch Differenzierung eine individuelle Funktion in der Gesellschaft erlangen, das Augenmerkt liegt dabei auf der Funktion. „Individualität“ meint nicht, dass das Individuum gänzlich frei ist, da es sich in wechselseitiger Abhängigkeit mit der Gesellschaft befindet. Elias´ „homines aperti“ ist ein offenes, durch die Gesellschaft formbares Wesen, die Herausbildung eigener individueller Strukturen ist somit nur unter Berücksichtigung des Selbstzwangs möglich. Das bedeutet, dass das Individuum nur bedingt frei handeln kann, da die Handlungen durch eventuelle Restriktionen der Umgebung eingeschränkt werden. Zudem hat es beispielweise zwar eigene Gedanken, kann diese aber nur mit den ihm zu Verfügung stehenden Worten denken, die es von der jeweiligen Gesellschaft, in der es lebt, erlernt hat. Dadurch werden die individuellen Gedanken durch die Sprache der Gesellschaft geformt und können nicht frei von dieser sein. Da sich die Gesellschaft und das Individuum bei Elias in wechselseitiger Abhängigkeit befinden, sind eine Individualisierung und ein individuelles Denken und Handeln nur bedingt möglich. Einerseits möchte das Individuum subjektiv entscheiden, anderseits möchte es ganz zur Gesellschaft gehören. Folglich ist eine „äußere“ Individualisierung zwar möglich, die Option der „inneren“ Individualisierung bleibt aber begrenzt.
5. Literaturverzeichnis
Bogner, Artur (1989): Zivilisation und Rationalisierung. Die Zivilisationstheorien Max Webers, Norbert Elias’ und der Frankfurter Schule im Vergleich. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Eichener, Volker/Baumgart, Ralf (1997): Norbert Elias zur Einführung. Hamburg: JUNIUS Verlag.
Elias, Norbert (1988): Die Gesellschaft der Individuen. Memmingen: MZ- Verlagsdruckerei.
Elias, Norbert (1996): Was ist Soziologie? Weinheim: Juventa.
Elias, Norbert (1997): Über den Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Erster Band: Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Elias, Norbert (1997): Über den Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Zweiter Band: Wandlungen der Gesellschaft. Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Heins, Volker (1990): Max Weber zur Einführung. Hamburg: Junius Verlag.
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Treibel, Annette (2008): Die Soziologie von Norbert Elias. Eine Einführung in ihre Geschichte, Systematik und Perspektiven. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
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- Citation du texte
- Mel Lorek (Auteur), 2022, Das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft. Norbert Elias und Max Weber im Vergleich, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1447017
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