Die zweite Moderne beinhaltet eine Radikalisierung der Prinzipien der Moderne und gerät in Konflikt mit den grundlegenden Institutionen der ersten Moderne. Der expandierende Westen fordert das Individuum stärker, denn es entstand eine unruhige Übergangsgesellschaft mit mehr Chancen, aber auch mehr Risiken für das Individuum. Es hat sich eine Weltgesellschaft ohne gesicherten Sozialstaat gebildet. Diese Weltgesellschaft ist charakterisiert von einem Wechsel aus Zerstörung und Innovation, gepaart mit einem Wertewandel.
Die reflexive (enttraditionalisierte) Moderne
Demographische Verschiebungen und normative Umbrüche
Der Beginn der ersten Moderne ist im 18. Jahrhundert zu finden und die erste Moderne wird auch „Zeitalter der Verheißungen“ genannt. Sie gilt als eine Epoche des Sozialstaates, wobei die Politik das Zentrum bildete. Die tragende Säule der Gesellschaft war die Familie, die aufgrund gesicherter beruflicher Karrieren relativ gut finanziell gefestigt war. Es gab einen Expansionszuwachs, der zur Sicherung der Wirtschaft und des Wohlstandes der Gesellschaft beitrug. Die erste Moderne ist die Zeit der Industrialisierung mit voranschreitender Bürokratisierung. Das führte zu einem Umbruch in der Gesellschaft und bedeutete für das Individuum Veränderungen in der Biographie.
Die zweite, also die reflexive Moderne, deren Beginn Ende des 20. Jahrhunderts anzusiedeln ist, beinhaltet eine Radikalisierung der Prinzipien der Moderne (wie beispielsweise Autonomie des Individuums, Rationalisierung und Rückgang der Erwerbsarbeit). Die zweite Moderne gerät in Konflikt mit den grundlegenden Institutionen der ersten Moderne (Nationalstaat). Der expandierende Westen, in dem Neues entsteht, fordert das Individuum stärker, denn es entstand eine unruhige Übergangsgesellschaft mit mehr Chancen, aber auch mehr Risiken für das Individuum. Es hat sich eine Weltgesellschaft ohne gesicherten Sozialstaat gebildet. Diese Weltgesellschaft ist charakterisiert von einem Wechsel aus Zerstörung und Innovation, gepaart mit einem Wertewandel, der allerdings nicht gleichbedeutend mit einem Werteverlust ist.
Die Zukunft wurde im Zuge dessen für die jüngeren Generationen[1] zu einem offeneren Feld, welches sogleich selbstverantwortlich und individuell gestaltet werden kann und muss. Die Fremdbestimmung nahm ab und die Selbstbestimmung bzw. der Zwang zur Selbstbestimmung nahm zu (vgl. TAYLOR 1995, S. 8; HONDRICH 2004, S. 10). Diese schnellen Veränderungen, die letztendlich zu einer Enttraditionalisierung der Gesellschaft führten, sind nicht grundsätzlich positiv oder negativ zu bewerten. Es herrscht (nach wie vor) Verunsicherung der Individuen. Die neu gewonnenen Freiheiten und die vielen Wahlmöglichkeiten genauso wie der Zwang zum individuellen Lebensentwurf überfordern viele (vgl. dazu BECK 1986, 2007; BELL 1985, 1991; GIDDENS 1995, 2003).
Die Grundannahme der Theorie reflexiver Modernisierung ist, dass ein Grundlagenwandel vonstatten ging, der zeitlich nach der Epoche der industriegesellschaftlichen Moderne nach dem Zweiten Weltkrieg, also etwa ab den 1970er Jahren eingeleitet wurde. Der Wandel der Institutionen ist bis heute noch nicht vollständig abgeschlossen – und dies ist auch gar nicht möglich – , denn die Gesellschaft unterliegt ständig sozialen Veränderungen. Der Wandel betrifft nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche, insbesondere die Familie, den Umgang mit der Natur, die Veränderungen bei der Arbeitsorganisation bis zu neuen Formen von Staatlichkeit (vgl. BECK/BONSS 2009).[2]
Werfen wir aber nochmals einen Blick genauer zurück, um die demographischen Verschiebungen und die daraus entstandenen neuen Zeithorizonte der Lebensplanung mit einigen ihrer Herausforderungen bzw. Schwierigkeiten für den Einzelnen und für die Gesamtgesellschaft verstehen zu können.
Betrachtet man die Lebensbäume, dann fällt zunächst auf, dass die Bevölkerung früher in Form einer Pyramidenstruktur abgebildet war; das heißt, es gab viele junge und weniger alte Menschen (vgl. KAUFMANN 2008). Die Ursache war das zunehmende Wachstum der Bevölkerung, denn es gab kaum eine Möglichkeit der Geburtenkontrolle und sexuelle Aufklärung war ein Tabu-Thema. Die Kindersterblichkeit allerdings war aufgrund mangelnder Hygiene und medizinischer Diagnose- bzw. Hilfsmöglichkeiten hoch, was sich auf die Statistik der Lebenserwartung auswirkte. Aufgrund der schlechten medizinischen Versorgung und der damit verbundenen geringen Lebenserwartung war auch die Altersphase kürzer.
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[1] Unter einer Generation versteht man zunächst eine Personengruppe, die aufgrund gleicher Zeitumstände eine Altersgruppe bildet. Ein zweites Kriterium sind damit verbunden die davon geprägten Lebensverhältnisse. Wie lange eine Generation dauert ist nicht eindeutig definiert, aber man kann davon ausgehen, dass sie eine Zeitspanne von etwa 15 bis 30 Jahren umfasst. Die Übergänge sind dabei fließend und die Generationenzeiten werden aufgrund einer länger andauernden Kindheits- bzw. Jugendphase und immer älter werdender Eltern länger. Der Begriff der Generation unterstellt, dass die Lebensläufe dieser Menschen ähnliche Lebensereignisse enthalten, welche diese miteinander verbinden. Außerdem wird eine Generation von diesen Umständen in ihren Vorstellungen und Verhaltensweisen beeinflusst.
[2] Steigt man tiefer in die Materie ein, dann lässt sich erkennen, dass mit dem Konzept der reflexiven Modernisierung abgegrenzt von den bisherigen Theorien der industriellen Modernisierung ein Versuch der veränderten Sichtweise der gesellschaftlichen Entwicklung in der modernen Gesellschaft unternommen wird (vgl. BECK 1997). Obwohl BECK und GIDDENS ähnliche Ansätze haben zeigen sich doch auch Differenzen, denn GIDDENS spricht von reflexiver Modernisierung, wenn es um Wissen oder Reflexion geht. BECK hingegen thematisiert die Nebenfolgen der Modernisierung (vgl. BECK 1996, S. 289ff.). Einig sind sich BECK und GIDDENS in Bezug auf die inhaltlich eng zusammenhängenden Grundbegriffe der reflexiven Modernisierung, nämlich „Individualisierung“ und „Globalisierung“ und beschreiben ihre gesellschaftlichen Auswirkungen.
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- Sonja Deml (Author), 2010, Die reflexive (enttraditionalisierte) Moderne, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/144476
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