Interkulturelle Kompetenz ist der zentrale Begriff der vorliegenden Arbeit. Um ihn erfolgreich mit der Erlernbarkeit in einen Zusammenhang zu stellen, wird im nächsten Teil der Arbeit der Begriff der ‚Kultur‘ betrachtet. Weiterhin wird in diesem Teil der Arbeit auf Hofstedes Untersuchungen zu Kulturebenen eingegangen.
Im dritten Kapitel der Arbeit werden verschiedene Interpretationen, die das Zusammentreffen von Kulturen erklären möchten, vorgestellt.
Im vierten Kapitel wird dann der Kernbegriff ‚interkulturelle Kompetenz‘ näher betrachtet. Im Mittelpunkt dieses Arbeitsschrittes steht der Versuch eine Definition des Begriffes zu erarbeiten, die es hilft die Frage zu beantworten, ob es sich bei der interkulturellen Kompetenz um eine einzeln zu erlernende Kompetenz handelt oder eher um eine Teilkompetenz, die nur in Verbindung mit weiteren sozialen Fähigkeiten erlangt werden kann. Weiterhin wird der Frage nachgegangen, ob interkulturelle Fähigkeiten im Erwachsenenalter für alle Menschen gleichermaßen erlernbar sind.
Im fünften Abschnitt wird dann auf ein Beispiel eingegangen – an die globalen Unternehmen, in denen die modischen Trainingsprogramme angeboten werden. Hier wird der Frage nachgegangen, inwieweit und unter welchen Bedingungen diese Trainingsprogramme auch nützlich sein können. Hiermit soll das hergestellte Konstrukt der interkulturellen Kompetenz in der Praxis angewendet werden.
Auch andere Bereiche mit welchen die ‚interkulturelle Kompetenz‘ in Zusammenhang gebracht wird dürfen aber nicht vergessen werden. Deshalb werden im letzen Kapitel drei Bereiche ausgewählt und näher betrachtet, um eine kurze Einsicht in die Komplexität (und Aktualität) des Themas ‚interkulturelle Zusammenarbeit und interkulturelle Kompetenz‘ zu leisten.
Um den Anspruch der Arbeit gerecht zu werden, bedient sich diese einer interdisziplinären Betrachtungsweise. Dies ist notwendig, da das Thema der vorliegenden Arbeit neben der Soziologie auch in den Fachrichtungen Psychologie, Pädagogik und Wirtschaftswissenschaften verortet ist.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Themeneinführung
1.2 Fragestellung
1.3 Aufbau der Arbeit
2. Einflussfaktor Kultur
2.1 Annährung an dem Untersuchungsgegenstand
2.2 Definitionen von Kultur
2.3 Kulturelle Programmierung
2.4 Wertesysteme
2.5 Kultur und Kommunikation
2.5.1 Der Begriff der Kommunikation
2.5.2 Interkulturelle Kommunikation
2.5.3 Kommunikation und Humor
2.6 Kulturinterpretationen
2.6.1 Das Konzept der Kulturstandards
2.6.2 Das Konzept der Kulturdimensionen nach Hofstede
2.6.3 Das Konzept der Kulturdimensionen nach Fons Trompenaars
2.6.4 Nutzen der Kulturinterpretationen
3. Zusammentreffen von Kulturen
3.1 Interpretationen
3.1.1 Das Eigene und das Fremde - Überschneidungssituationen
3.1.2 Kulturshock
4. Interkulturelle Kompetenz
4.1 Die Begrifferklärung
4.2 Dimensionen interkultureller Kompetenz
4.2.1 Kognitive Dimension
4.2.2 Affektive Dimension
4.2.3 Verhaltensbezogene Dimension
4.3 Interkulturelle Sensibilität
4.4 Entwicklungsprozess interkultureller Kompetenz
4.5 Internationale Handlungskompetenz
4.6 Interkulturelle Kompetenz als Teilkomponente der Handlungskompetenz
4.6.1 Sachkompetenz
4.6.2 Sozialkompetenz
4.6.3 Selbstkompetenz
4.7 Zwischenfazit
5. Globale Unternehmen
5.1 Unternehmensebene
5.1.1 Unternehmenskultur
5.1.2 Begrifferklärung
5.1.3 Die Unternehmenskultur im Kontext der Internationalisierung
5.2 Interkulturelle Kompetenzen als Inhalt der interkulturellen
Trainingsmaßnahmen
5.2.1 Möglichkeiten der Messung interkultureller Kompetenz
5.2.2 Interkulturelle Kompetenz als Gegenstand internationaler Personalentwicklung
5.2.3 Interkulturelle Trainings
5.2.4 Evaluation interkultureller Trainings - Forschungsstand
6. Anwendungsgebiete
6.1 Internationaler Marketing
6.2 Tourismus
6.3 Entwicklungszusammenarbeit
7. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Drei Ebenen der mentalen Programmierung
Abbildung 2: Marionettenmodell der Kultur
Abbildung 3: Eisbergmodell der Kultur
Abbildung 4: Die Dynamik der kulturellen Überschneidungssituation
Abbildung 5: Kulturshockmodell
Abbildung 6: Interkulturalitätsstrategien
Abbildung 7: Modell interkultureller Kompetenz
Abbildung 8: Dimensionen der interkulturellen Kompetenz
Abbildung 9: Faktoren interkultureller Kompetenz: bisher erreichter Erkenntnisstand
Abbildung 10: Developmental Model of intercultural Sensitivity
Abbildung 11: Entwicklungsprozess interkultureller Kompetenz
Abbildung 12: Bestandteile interkultureller Kompetenz
Abbildung 13: Teilkomponenten der Handlungskompetenz: 3-S-Modell
Abbildung 14: Teilkomponenten der interkulturellen Kompetenz im Zusammenhang
mit den Teilkomponenten der Sachkompetenz der allgemeinen Handlungskompetenz
Abbildung 15: Teilkomponenten der interkulturellen Kompetenz im Zusammenhang
mit den Teilkomponenten der Sozialkompetenz der allgemeinen Handlungskompetenz
Abbildung 16: Teilkomponenten der interkulturellen Kompetenz im Zusammenhang
mit den Teilkomponenten der Selbstkompetenz der allgemeinen Handlungskompetenz
Abbildung 17: Zusammenhang zwischen den Teilkomponenten der
Handlungskompetenz und der interkulturellen Kompetenz
Abbildung 18: Das-drei-Ebenen-Modell der Unternehmenskultur
Abbildung 19: Internationalkulturelle Ebenen
Abbildung 20: Messung interkultureller Kompetenz beim Mitarbeiter
1. Einleitung
1.1 Themeneinführung
Die Globalisierung der Welt erfordert heute mehr denn je das Schauen über den Tellerrand der eigenen Sprache, Kultur und Nation.
Die Welt ist ein globales Dorf geworden. Neue Kommunikationstechnologien ermöglichen es, blitzschnell Verbindung bis in die „hintersten Ecken“ der Erde aufzunehmen. Die Sozialnetzwerke im Internet – wie z.B. Facebook, oder auf dem deutschem Raum StudiVZ - ermöglichen einwandfreien schnellen Kontakt zwischen verschiedensten sozialen Gruppen auf der ganzen Welt. Wirtschaftsunternehmen agieren als „global player“ weltweit. In der Nachbarschaft, insbesondere der Großstädte, ist die große weite Welt im Kleinen abgebildet: Migranten gruppen bringen verschiedene Sprachen, kulturelle und religiöse Gewohnheiten mit und verändern die Gesellschaft.
So führt die zunehmende Globalisierung und Internationalisierung zu einer sich stetig erhöhenden Anzahl an zwischenkulturellen Begegnungen, innerhalb und außerhalb der Europäischen Union. Die Auseinandersetzung mit kultureller Andersartigkeit beginnt dann zum Beispiel bereits bei einem Einkauf bei türkischem Gemüsehändler und endet noch lange nicht bei der Arbeitsbesprechung mit dem japanischen Kollegen.
Die Erweiterung der Europäischen Union lässt Begegnungen von Menschen aus verschiedenen Kulturen, Religionen sowie ethnischen Gruppen immer häufiger werden. Der interkulturelle Kontakt bietet dabei einerseits viele Vorteile, wie zum Beispiel vielschichtige Perspektiven und eine größere Offenheit gegenüber neuen Ideen, eine erhöhte Flexibilität, Kreativität sowie Problemlösefähigkeit. Andererseits kann eine multikulturelle Interaktionssituation auch Schwierigkeiten mit sich bringen, wenn ein zu hoher Grad an Komplexität, ein zu hohes Maß an Ambiguität, eine niedrige Gruppenkohäsion oder gegenseitiges Misstrauen vorliegt oder wenn es Kommunikationsprobleme zwischen den Mitglieder gibt. Interkulturelle Begegnungen bergen somit nicht nur Chancen, sondern auch Risiken (vgl. Tjaya & Ehret, 2008, S. 123).
Die Kriterien erfolgreichen und angemessenen Handelns in interkulturellen Interaktionssituationen werden häufig unter dem Begriff „interkulturelle Kompetenz“ zusammengefasst. Es wird behauptet, dass diese eine „[…] Fähigkeit eines Individuums zur Bewältigung unterschiedlicher und neuartiger Situationen, die durch kulturelle Differenz gekennzeichnet sind“ (Hößler, 2008, S. 36), ist.
Interkulturelle Kompetenz ist in diesem Zusammenhang zu einem inflationär gebrauchten Modewort verkommen (vgl. Bolten, 2003, S. 5), das in einer großen Anzahl von Stellenanzeigen das Anforderungsprofil an die Bewerber bestimmt (vgl. Thomas, 2003b, S. 13). Die Forderung nach interkultureller Kompetenz findet sich heute nicht nur im internationalen Top-Management, sondern in Folge zunehmender Mobilität großer Teile der Gesellschaft in einer immer größer werdenden Anzahl von Berufen (vgl. Thomas, 2003b, S. 435). Diese reichen vom Mitarbeiter einer Fluggesellschaft, Ärzten, Soldaten, Entwicklungshelfern, international agierenden Callcenter Agents, Politikern, Lehrern an Schulen mit einem großen Ausländeranteil bis zum Web-Designer und werbetexter (vgl. Maletzke, 1996, S. 11f).
1.2 Fragestellung
Interkulturelle Kompetenz ist in der Vergangenheit zu einem oft verwendeten Schlagwort zur Bezeichnung der benötigten Fähigkeiten eines im Ausland erfolgreich tätigen Mitarbeiters geworden. Interkulturelle Kompetenz soll demnach die Effektivität und Angemessenheit des Handelns bei der interkulturellen Zusammenarbeit sichern. Firmen, die unter den Kosten interkultureller Missverständnisse leiden, gehen zunehmend dazu über, von ihren Angestellten nicht nur interkulturelle Kompetenz zu verlangen, sondern diese auch in interkulturellen Trainings gezielt zu fördern (vgl. Maletzke, 1996, S. 11f).
Aber ist interkulturelle Kompetenz eine separate Kompetenz, über die man verfügt, bzw. die man erlernen kann?
In diesem Zusammenhang wird der Kernfrage dieser Arbeit nachgegangen: Ist die interkulturelle Kompetenz erlernbar? Oder handelt es sich eher um persönliche Merkmale? Damit sind natürlich mehrere Fragen, wie ‚Ist interkulturelle Kompetenz für alle gleichermaßen erlernbar?‘ oder ‚Was sind die Grundlagen für den Erwerb der interkulturellen Kompetenz?‘ und letztendlich auch die Frage: ‚Was ist überhaupt interkulturelle Kompetenz?‘ verbunden und diese sollen am Ende dieser Arbeit zusammen mit der Kernfrage beantwortet werden.
Diese Fragen sollen anhand der wissenschaftlichen Literatur zu diesem Thema theoretisch erörtert werden.
1.3 Aufbau der Arbeit
Interkulturelle Kompetenz ist der zentrale Begriff der vorliegenden Arbeit. Um ihn erfolgreich mit der Erlernbarkeit in einen Zusammenhang zu stellen, wird im nächsten Teil der Arbeit der Begriff der ‚Kultur‘ betrachtet. Weiterhin wird in diesem Teil der Arbeit auf Hofstedes Untersuchungen zu Kulturebenen eingegangen.
Im dritten Kapitel der Arbeit werden verschiedene Interpretationen, die das Zusammen-treffen von Kulturen erklären möchten, vorgestellt.
Im vierten Kapitel wird dann der Kernbegriff ‚interkulturelle Kompetenz‘ näher betrachtet. Im Mittelpunkt dieses Arbeitsschrittes steht der Versuch eine Definition des Begriffes zu erarbeiten, die es hilft die Frage zu beantworten, ob es sich bei der interkulturellen Kompetenz um eine einzeln zu erlernende Kompetenz handelt oder eher um eine Teilkompetenz, die nur in Verbindung mit weiteren sozialen Fähigkeiten erlangt werden kann. Weiterhin wird der Frage nachgegangen, ob interkulturelle Fähigkeiten im Erwachsenenalter für alle Menschen gleichermaßen erlernbar sind.
Im fünften Abschnitt wird dann auf ein Beispiel eingegangen – an die globalen Unternehmen, in denen die modischen Trainingsprogramme angeboten werden. Hier wird der Frage nachgegangen, inwieweit und unter welchen Bedingungen diese Trainings-programme auch nützlich sein können. Hiermit soll das hergestellte Konstrukt der interkulturellen Kompetenz in der Praxis angewendet werden.
Auch andere Bereiche mit welchen die ‚interkulturelle Kompetenz‘ in Zusammenhang gebracht wird dürfen aber nicht vergessen werden. Deshalb werden im letzen Kapitel drei Bereiche ausgewählt und näher betrachtet, um eine kurze Einsicht in die Komplexität (und Aktualität) des Themas ‚interkulturelle Zusammenarbeit und interkulturelle Kompetenz‘ zu leisten.
Um den Anspruch der Arbeit gerecht zu werden, bedient sich diese einer interdisziplinären Betrachtungsweise. Dies ist notwendig, da das Thema der vorliegenden Arbeit neben der Soziologie auch in den Fachrichtungen Psychologie, Pädagogik und Wirtschafts-wissenschaften verortet ist.
2. Einflussfaktor Kultur
2.1 Annährung an dem Untersuchungsgegenstand
„Was diesseits der Pyrenäen Wahrheit ist,
ist jenseits der Pyrenäen Irrtum“
(Blaise Pascal (Hofstede, 2006, S.382)
Der vorliegende Teil der Arbeit gibt einen Überblick über die relevanten Aspekte interkultureller Begegnungen und interkultureller Kommunikation.
Die Analyse der interkultureller Kommunikation und später der interkultureller Kompetenz setzt logisch und methodologisch die Klärung des Verhältnisses von Kultur und Kommunikation voraus.
Im Folgenden werden deshalb Definitionen von ‚Kultur‘ und ‚Kommunikation‘ erläutert und die Grundlagen der interkulturellen Kommunikation behandelt.
2.2 Definitionen von Kultur
In der wissenschaftlichen Literatur findet sich keine allgemein akzeptierte Definition von Kultur. Für das bessere Kulturverständnis ergibt sich aber Notwendigkeit Definitionen und Konzeptionen des Begriffs ´Kultur´ zu erörtern.
Die Ursprünge von ‚Kultur‘ kommen vom lateinischen ‚cultus‘, bzw. vom Verbum ‚colore‘ und bedeuten ‚Bebauung‘, ‚Pflege‘ (des Körpers und Geistes), ‚Ausbildung‘ (vgl. Fischer, 1996, S. 19). Kultur gilt im weitesten Sinne als Inbegriff für all das, was der Mensch geschaffen hat – im Unterschied zum Naturgegeben.
Es finden sich weite und enge Definitionen des Kulturbegriffes in großer Anzahl, die je nach wissenschaftlichem Forschungsgebiet verschiedene Schwerpunkte setzen.
Dies wurde bereits in den fünfziger Jahren von den amerikanischen Forschern Kroeber und Kluckhohn dokumentiert, die 1952 eine Sammlung von über 100 verschiedenen Kulturdefinitionen veröffentlichten. Nachdem sie diese systematisiert und analysiert hatten, schlugen sie folgende umfassende Kulturdefinition vor, die häufig zitiert wird und auch im Rahmen dieser Arbeit gelten soll, da sie den für das interkulturelle Lernen wesentlichen Zusammenhang zwischen Kultur und menschlichem Verhalten einschließt:
“Culture consists of patterns, explicit and implicit, of and for behavior acquired and transmitted by symbols, constituting the distinctive achievements of human groups, including their embodiments in artefacts; the essential core of culture consists of traditional (i.e. historical derived and selected) ideas and especially their attached values, culture systems may, on the one hand, be considered as products of action, on the other as conditioning elements of further action”.
(Kroeber & Kluckhohn, 1952, zitiert nach Ehnert, 2004, S. 8)
In der Kulturanthropologie ist Kultur im wesentlichen als ein System von Konzepten, Überzeugungen, Einstellungen, Wertorientierungen und der Inbegriffen wie Wissen, Glauben, Kunst, Moral, Gesetz, Sitte zu verstehen, die sowohl im Verhalten und Handeln der Menschen als auch in ihren geistigen und materiellen Produkten sichtbar werden (vgl. Fischer, 1996, S. 19ff).
Alexander Thomas (Thomas, 2003b, S. 36) definiert Kultur, bzw. Nationalkultur als ein „Orientierungssystem“ (vgl. auch Geistmann, 2003, S. 74), das in der jeweiligen Gesellschaft tradiert, „…das Wahrnehmen, Denken, Werten und Handeln aller Mitglieder [beeinflusst] und definiert somit deren Zugehörigkeit zur Gesellschaft…[und]…strukturiert ein für die sich der Gesellschaft zugehörig fühlenden Individuen spezifisches Handlungsfeld“ (Thomas, 2003b, S.36). Es umfasst sämtliche kollektiv geteilte, implizite oder explizite Verhaltensnormen, Verhaltensmuster, Verhaltensäußerungen und Verhaltensresultaten und verbindet mittels von Symbolen die Generationen (vgl. Fischer, 1996, S. 20; Geistmann, 2003, S.61).
In der Kulturanthropologie ist der Mensch als „kulturschaffendes und von der Kultur geprägtes Wesen in seiner Geschichtlichkeit“ (Fischer, 1996, S. 28) zu verstehen, wo die Kultur von der Sichtweise abhängig sowohl abhängige, als auch unabhängige Variable trifft. Die Kulturpsychologie sieht die Kultur nicht als unabhängige Variable, sondern definiert sie als integralen Bestandteil psychischer Strukturen, Funktionen und Prozesse (vgl. Thomas, 2003b, S.19). Für diese Arbeit ist relevant die Kultur und bestimmte kulturelle Bedingungen und wie sich diese auf menschliches Verhalten und auf die interkulturelle Kommunikation auswirken.
In Anlehnung an Kroeber und Kluckhohn machen Straub und Thomas (Straub & Thomas, 2003, S.35) in sieben Gruppen sortierte Definitionen von der Kultur aus, von denen zwei die Vorstellung von den Problemfeldern der interkulturellen Kommunikation und interkultureller Begegnungen untermauern: normative (Regeln und Werte) und strukturalistische (Muster, Symbole, Verhaltensweise).
Auch nach Matoba sind kulturelle, soziokulturelle und psychokulturelle Filter entscheidend, wie Menschen Nachrichten von Fremden interpretieren und was für Vorhersagen sie über deren Verhalten machen (vgl. Matoba, 2000, S. 64).
Da gerade der kulturelle Hintergrund maßgebend für unser Verhalten und unsere Wahrnehmung der Welt ist, wird deutlich, dass Verhaltensabweichungen aus der vertrauten, nationalen Umgebung während der Kommunikation bereits zu Irritationen bei den Beteiligten führen und es in der Folge zu Problemen bei der Interaktion kommen kann.
Die oben ausgeführten Überlegungen lassen erkennen, wie sich kulturelle Grundannahmen in Werten und Normen manifestieren, die sich wiederum auf Symbole und Verhaltensweisen übertragen und damit den gesamten Prozess der kulturgeprägten Interaktionen und der Kulturgeprägten Kommunikation beeinflussen können.
2.3 Kulturelle Programmierung
Jeder Mensch verinnerlicht im Laufe seines Lebens „Kultur“. Diese Kultur, die nach der obigen Definition Muster des Denkens und Verhaltens beinhaltet, wird im Rahmen der Sozialisation jedes Menschen von seinem Umfeld (seiner Familie, Nachbarschaft, Schule, Jugendgruppen usw.) übernommen (vgl. Hofstede, 2001, S. 2ff; Lustig & Koester, 1999, S. 30) und bestimmt in weiterem Verlauf des Lebens die äußeren Grenzen, innerhalb derer die eigenen Handlungen vollzogen werden. Dieser Vorgang, in dem ein heranwachsendes Individuum nicht nur die Sprache, sondern auch die Denk- und Verhaltensweisen seines sozialen Umfeldes übernimmt, wird von Hofstede, analog zur Programmierung eines Computers, mentale Programmierung genannt (vgl. Hofstede, 2001, S. 2ff). Jeder Mensch trägt diese mentale Programmierung in sich.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass das menschliche Verhalten durch diese grundsätzlich vorherbestimmt ist:
„…er [der Mensch] hat grundsätzlich die Möglichkeit, von ihnen [den mentalen Programmen] abzuweichen und auf eine neue, kreative, destruktive oder unerwartete Weise zu reagieren.“
(Hofstede, 2001, S. 3)
Dies sei anhand des sog. „Drei-Ebenen-Modells“ von Hofstede verdeutlicht:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Drei Ebenen der mentalen Programmierung
(Quelle: Hofstede, 2001, S. 5)
Auf der unteren Stufe des Models befindet sich die menschliche Natur, die allen Menschen gleich ist. Sie soll verstanden werden als genetisch vererbt und beinhaltet menschliche Fähigkeiten wie das Empfinden von Angst, Zorn, Liebe, Freude oder Trauer.
Auf der mittleren Stufe befindet sich die Kultur. Sie wird von jedem Menschen erlernt und legt fest, wie die oben genannte menschliche Natur Ausdruck findet. Kultur wird von Kollektiven geteilt und beinhaltet Ausprägungen wie Sprache, allgemein akzeptierte Ziele, Religion, aber auch die Gestaltung alltäglicher Aktivitäten wie Grüßen, Essen, Hygiene usw. In diesem Sinne ist Kultur die Gesamtheit der Denk- und der Verhaltensweisen einer Gesellschaft. Sie ist das von einer sozialen Gruppe verwendete Deutungs- und Handlungsmuster zur Bewältigung von Anpassungsproblemen im Umgang des Menschen mit seiner Umwelt.
Auf der Grundlage dieser allen Menschen einer Gesellschaft ähnlichen Kultur bilden Menschen durch ihre Erfahrungen im Leben eine individuelle Persönlichkeit aus (obere Modellebene). Bei der Verwendung des Kulturbegriffes ist daher darauf zu achten, dass dieser nicht als das Handeln und Denken determinierend verwendet wird. Dieses Verständnis des Kulturbegriffes, das nicht nur in Alltagsdiskusionen immer wieder auftritt, lässt sich anhand des von Leiprecht entwickelten sog. Marionettenmodells erläutern:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Marionettenmodell der Kultur
(Quelle: Leiprecht, 2001, S. 31)
In diesem Modell erscheinen Menschen, die der Kultur xy zugerechnet werden, als Marionetten, die wie an einem Draht an ihrer Kultur hängen und durch diese gesteuert werden. Ihre Handlungen und ihr Denken werden als durch die Kultur vollständig determiniert wahrgenommen. Ihre Lebensäußerungen werden durch den Filter der Kultur xy wahrgenommen und hierauf reduziert (vgl. Leiprecht, 2001, S. 31f). Die menschliche Individualität, die auf der Entwicklung unterschiedlicher Persönlichkeiten basiert, wird nicht berücksichtigt.
Das sog. Marionettenmodell stellt somit die weit verbreitete falsche Sichtweise von Kultur dar, in der Kultur als statische, homogene Größe wahrgenommen wird, die das Verhalten ihrer Angehörigen vollständig determiniert, ohne dass diese wiederum Einfluss auf ihre Kultur ausüben können. Diese Sichtweise bedient sich einer Reduktion von Kultur und führt dazu, dass Entwicklungen, Konflikte, gegensätzliche Standpunkte sowie letztlich die Individualität jedes Menschen ausgeklammert wird. Ebenso wird verkannt, dass sich Kulturen überlagern und jeder Mensch Mitglied mehrerer (Sub-) Kulturen ist (vgl. Leiprecht, 2001, S. 31).
2.4 Wertesysteme
Wie im vorangehenden Abschnitt dargestellt, wird Kultur erlernt. Sie ermöglicht es den Menschen, Alltagssituationen routiniert zu meistern. Kultur ist demnach kollektiv geteiltes Wissen, welches die Situationen vorstrukturiert, Komplexität abbat und den Bezugsrahmen für „richtiges“ Denken, Fühlen und Handeln in typischen Situationen bildet (vgl. Esser, 2001, S. 1).
Werte bilden den Kern jeder Kultur und definieren in dieser die Bedeutung von böse und gut, schmutzig und sauber, hässlich und schön, unnatürlich und natürlich, anomal und normal, paradox und logisch, irrational und rational (vgl. Hofstede, 2001, S. 9ff).
Sie werden im Rahmen der Sozialisation vom sozialen Umfeld übernommen und im weiteren Leben stabil und weitgehend unveränderlich. Werte sind den Menschen häufig nicht bewusst und dennoch leiten sie das menschliche Handeln (vgl. Hofstede, 2001, S. 10).
Die Werte einer Gesellschaft, verinnerlicht vom Individuum, finden Ausdruck in Ritualen, Helden und Symbolen. Sie bestimmen, was in einer Gesellschaft als positiv bewertet wird und lassen die Mitglieder der jeweiligen Gesellschaft hiernach streben.
Die Unterscheidung zwischen den unsichtbaren Werten einer Kultur und ihren sichtbaren Ausprägungen wird häufig am sog. Eisbergmodell veranschaulicht:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: Eisbergmodell der Kultur
(Quelle: Bolten, 2003, S. 17)
Das Modell verdeutlicht, dass Kultur sowohl eine für jedermann sichtbare Komponente beinhaltet, die oberhalb der „Wasserlinie“ liegt, als auch eine unsichtbare, die Wertvorstellungen, die den sichtbaren Ausprägungen der Kultur zugrunde liegen und im Modell verborgen unterhalb der „Wasserlinie“ liegen.
2.5 Kultur und Kommunikation
2.5.1 Der Begriff der Kommunikation
Der Begriff der Kommunikation ist mehrdeutig. Maletzke (Maletzke, 1998, S. 37) betont, dass Merton in seiner Studie auf 160 Definitionen oder definitorische Sätze kam. Die Kurzdefinition bezeichnet Kommunikation als: „Prozess der Zeichenübertragung“ (Maletzke, 1998, S. 37f). Die Übertragung erfolgt dabei in verbaler[1], para-verbaler[2] sowie in non-verbaler[3] Kommunikation (vgl. Jahnke, 1996, S. 35). Ein wichtiges Element der Kommunikation stellt die Sprache dar: die Aussage von Wilhelm von Humboldt kann das Problemfeld präziser veranschaulichen: „Die Verschiedenheit der Sprachen ist nicht eine Verschiedenheit an Schällen und Zeichen, sondern eine Verschiedenheit der Weltansichten“ (zitiert nach Maletzke, 1996, S. 73). Die Sprache ist ein Bestandteil der Kultur und damit wächst die Wahrscheinlichkeit einer Fehlinterpretation zwischen den Gruppen, wenn eine entsprechend große kulturelle Entfernung vorliegt (vgl. Caspary, 2000, S. 76).
Menschliche Kommunikation, so Maletzke, liegt erst dann vor, wenn die kommunikativen Handlungen zwischen den Individuen nicht einfach wechselseitig aufeinander ausgerichtet sind, sondern wenn es die Möglichkeit für die Verwirklichung der allgemeinen Intention ihrer Handlungen gibt und damit „das konstante Ziel … jeder kommunikativen Aktivitäten“ (Maletzke, 1998, S. 38), d.h. Verständigung erreicht werden kann. „Dies ist eben nur der Fall, wenn beide Kommunikationspartner die zu vermittelnden Bedeutungen auch tatsächlich (!) miteinander teilen“ (Maletzke, 1998, S. 38). Gerade das ist der ‚springende Punkt‘, bei der Kommunikation zwischen den Interaktionspartnern aus den verschiedenen Kulturen. Auf die Aspekte der interkulturellen Kommunikation wird im folgenden Kapitel näher eingegangen.
2.5.2 Interkulturelle Kommunikation
Der Begriff „interkulturelle Kommunikation“ (‚intercultural communication‘) wurde von Edward T. Hall in seiner klassischen Schrift The Silent Language zum ersten Mal verwendet und er simulierte damit die Erforschung dieses mehrere Disziplinen umfassenden Feldes (vgl. Laviziano, 2005, S. 8).[4]
Definitionen von „Interaktion“ und „Kommunikation“ werden häufig in der sozialwissenschaftlichen Literatur als Synonyme benutzt. Dabei bezieht sich Kommunikation aber eher auf Verständigung, während es bei der Interaktion mehr um soziales Handeln geht (vgl. Maletzke, 1998, S. 43). D.h., die interkulturelle Kommunikation erfasst notwendiger-weise die Anerkennung unterschiedlichen Verhaltens, das aus der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Kulturen resultiert.
„Interkulturelle Kommunikation bedeutet Kommunikation (Formen, Vermittlungs-möglichkeiten und Störungen) unter kulturellen Überschneidungsbedingungen, wobei die kulturellen Unterschiede der Partner maßgeblich das Kommunikationsgeschehen sowohl hinsichtlich der Ablaufprozesse als auch der Resultate beeinflussen“
(Thomas, 1996, S.101f)
Demgemäß wird von der interkulturellen Kommunikation gesprochen, wenn die Begegnungspartner verschiedenen Kulturen angehören und wenn den Partnern die Tatsache bewusst ist, dass der jeweils andere ‚anders‘ ist (vgl. Müller-Jacquir, 1991, S. 42).
„Als interkulturell werden die Beziehungen verstanden, in denen die Beteiligten nicht ausschließlich auf ihre eigenen Kodes, Konventionen, Einstellungen und Verhaltensformen zurückgreifen, sondern in denen andere Kodes, Konventionen, Einstellungen und Alltagsverhaltensweisen erfahren werden“
(Maletzke, 1996, S. 37)
Daraus folgt, dass das Grundproblem interkultureller Kommunikation die Tatsache ist, dass die Bedeutungen der Dinge, über die Kommunikationspartner referieren, kulturgebunden sind. Zwar ist diese Kulturgebundenheit den Kommunikationspartnern nicht immer bewusst; und wenn sie ihnen bewusst ist, müssen die Anstrengungen unternehmen, um zu zeigen, wie sie Bedeutungen verwendet und verstanden haben (vgl. Müller-Jacquir, 1991, S. 43).
2.5.3 Kommunikation und Humor
Was als lustig gilt, ist auch kulturspezifisch. Diese Wirklichkeit möchte ich an einem Beispiel demonstrieren, der die unterschiedliche Auffassung von indonesischem und holländischem Humor analysiert:
„Es war ein ganz normaler Morgen […]. Alle saßen um den Besprechungstisch herum und stellten fest, dass ein Stuhl fehlte. Markus, einer der indonesischen Manager, ging durch die Verbindungstür in das Büro nebenan, um nachzuschauen, ob dort ein freier Stuhl war. Dieses Büro gehörte Frans, einem holländischem Manager. Er war nicht da, aber er würde nichts dagegen haben, einen Stuhl auszuleihen. Die ganzen Möbel gehörten sowieso der Firma. Markus schob gerade einen Stuhl aus Frans‘ Büro durch die Verbindungstür, als Frans von der anderen Seite hereinkam. Frans war gut aufgelegt. […] Im Vorbeigehen warf er Markus ein freundliches Grinsen zu und rief ihm über die Schulter zu: „Du bist mir ja reizender Dieb, Markus“. Er ging hinaus, ohne eine Antwort abzuwarten.
Als Frans nach dem Mittagsessen in sein Büro zurückkam, wartete Markus schon auf ihn. Frans fiel auf, dass Markus eine Krawatte angezogen hatte, was ungewöhnlich war. „Markus, mein Lieber, was kann ich für dich tun?“, fragte er. Markus schaute ihn bedrückt an, saß kerzengerade auf seinem Stuhl und sagte mit fester und ernster Stimme: „Frans, ich erkläre hiermit, dass ich kein Dieb bin“. Verdutzt fragte Frans, was zum Teufel er ihm da erzähle. Er brauchte dann weitere fünfundvierzig Minuten, um das Missverständnis zu klären.“[5]
In der holländischen Kultur ist die „freundlich gemeinte Beleidigung“ unter Freunden im Spaß durchaus gängig. Wörter wie „du Schurke“ oder „du bist doof“ sind, wenn sie richtig betont werden, Ausdruck echter Sympathie. In Indonesien, wo der Status heilig ist, wird eine Beleidigung immer wörtlich aufgenommen. Frans hätte dies wissen müssen (vgl. Hofstede, 2006, S. 452f).
2.6 Kulturinterpretationen
Wie sich interkulturelle Begegnungen aufbauen und wie interkulturelle Überschneidungs-situationen aussehen, ist (auch) davon abhängig, zu welchen Kulturen die Interaktions-partner gehören
Die Abgrenzung verschiedener Kulturen voneinander ist aufgrund des stetigen Wandels von Kulturen, der Verortung von Individuen in mehreren (Sub-) Kulturen sowie der im Zuge der Internationalisierung zunehmenden menschlichen Mobilität schwierig. Dennoch ist eine Kategorisierung der Kulturen notwendig, um Kulturunterschiede auf dieser Grundlage diskutieren zu können.
Um mit Begriffen kulturelle Unterschiede systematischer umgehen zu können, wird in der wissenschaftlichen Literatur auf die Kulturdistanz bezogen: Je mehr Gemeinsamkeiten, umso geringer die Kulturdistanz, und je weniger Gemeinsamkeiten, umso größer die Kulturdistanz. Je geringer also diese Distanz, umso einfacher und wahrscheinlicher ergibt sich ein adäquates Verstehen der anderen Seite. Bei einer größeren Distanz dagegen kommt es leicht zu einem Missverstehen oder Nicht-Verstehen. Jahnke charakterisiert die Kulturdivergenz als den „Grad des Nicht-Verstehen-Könnens“ (Jahnke, 1996, S. 60) einer anderen Kultur.
Um Unterschiede zwischen verschiedenen Kulturen beschreiben und vergleichen zu können, wurden verschiedene Konzepte entwickelt. Im Rahmen der „kulturellen Kompetenz“ ist die Kenntnis der Modelle unumgänglich, da sie differenzierbare, real existierende soziale Gemeinschaften benennen, diese strukturieren und durch die reduzierte Komplexität überschaubarer machen. Kulturelle Auswirkungen auf das Verhalten werden nachvollziehbar, sodass eigene und fremdkulturelle Verhaltensmuster richtig gedeutet werden können. Die Autoren der verschiedenen Ansätze zur Kulturbeschreibung legen unterschiedliche Schwerpunkte. Ausführlicher werden im Folgenden v.a. zwei Konzepte: Das Konzept der Kulturstandards und die Kulturdimensionen von Hofstede. Auf diese beiden wird häufig bei dem interkulturellen Lernen zurückgegriffen.
2.6.1 Das Konzept der Kulturstandards
Das Konzept der Kulturstandards kann folgendermaßen erklärt werden: Der Mensch erlernt während seiner Sozialisation Kultur, welche seine Handlungen und sein Verhalten beeinflusst, indem sie ein Orientierungssystem über die Werteausprägungen bereitstellt.
Als „zentrale Merkmale des Kulturspezifischen Orientierungssystems lassen sich […] „Kulturstandards“ definieren. Unter Kulturstandards werden alle Arten des Wahrnehmens, Denkens, Wertens und Handelns verstanden, die von der Mehrzahl der Mitglieder einer bestimmten Kultur für sich persönlich und andere als normal, selbstverständlich, typisch und verbindlich angesehen werden“ (Thomas, 1996, S. 112).
Das Konzept ist somit kulturrelativistisch. Der Begriff „Standard“ ist hierbei jedoch nicht als Festschreibung einer unveränderlichen Norm, die keine Individualität zulässt zu verstehen.
„Kulturstandards werden interpretiert als die in einer Gruppe geteilten Orientierungs-regeln, auf deren Basis wir unsere Individualität erst entfalten können“
(Kammhuber, 1998, S. 47)
Als Beispiel für einen deutschen Kulturstandard kann die Pünktlichkeit bei Verabredungen dienen. Pünktlichkeit wird im Allgemeinen von der Mehrzahl der Mitglieder der deutschen Kultur bei Verabredungen privat wie beruflich verlangt und eingehalten. Sie wird unhinterfragt als normal empfunden. In anderen Kulturen wird dieser Kulturstandard jedoch nicht geteilt. Da werden Verabredungen als grobe Absichtserklärung empfunden, die eine weite Auslegung des „Termins“ zulässt. Abweichungen vom „Termin“ können Stunden, Tage oder Wochen beinhalten, ohne dass dies als unnormal empfunden wird (vgl. Scheitza, Otten & Keller, 2002, S. 10f).
Abweichungen vom Kulturstandard werden innerhalb des Kulturkreises sanktioniert, wenn sie einen gewissen Toleranzbereich überschreiten (vgl. Thomas, 1996b, S. 112). Die Kulturstandards wirken innerhalb einer Kultur auf alle Mitglieder der Kultur ähnlich, sind jedoch abhängig vom Handlungsfeld, da unterschiedliche Situationen unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten herbeiführen.
Eigenes und fremdes Verhalten wird also auf der Grundlage der Kulturstandards beurteilt und reguliert: „so legt ein Kulturstandard den Maßstab dafür fest, wie Mitglieder einer bestimmten Kultur sich zu verhalten haben, wie man Objekte, Personen und Ereignisabläufe zu sehen, zu bewerten und zu behandeln hat“ (Thomas, 1991, S. 5). Thomas unterscheidet zwischen den ‚zentralen‘ und den ‚bereichsspezifischen‘ Kulturstandards. Erstgenannte werden in sehr unterschiedlichen Situationen wirksam und regulieren weite Bereiche der Wahrnehmung, des Denkens, Wertens und Handelns. Letztere werden nur in einem sehr speziellen Handlungsfeld wirksam – wie z.B. bei der Begrüßung (vgl. Thomas, 1991, S. 61). Wie oben erwähnt, können zentrale Kulturstandards in einer anderen Kultur völlig fehlen und nur von geringer Bedeutung sein.
2.6.2 Das Konzept der Kulturdimensionen nach Hofstede
In folgendem werden einzelne Kulturdimensionen von Geert Hofstede vorgestellt, die dazu dienen, Merkmale der nationalen Kulturen zu identifizieren, anhand derer dann Differenzierungen von Kulturräumen ermöglicht werden.
Um dieses vier(später fünf)-Dimensionen-Modell zu entwickeln, befragte Hofstede in seiner empirischen Untersuchung in 50 Ländern Mitarbeiter des multinationalen Konzerns IBM. Die Grundannahme Hofstedes ist, dass die Befragung der IBM-Mitarbeiter es ermöglicht, die „… Unterschiede zwischen den nationalen Wertesystemen herauszufinden“ (Hofstede, 2006, S. 17). Dies begründet er damit, dass „… diese Mitarbeiter […] fast perfekt zusammengesetzte Stichproben in dem jeweiligen Land darstellen: sie ähneln einander in jeder Hinsicht außer der Staatsangehörigkeit; und dies führt dazu, dass sich die durch die Staatsangehörigkeit bedingten Unterschiede bei ihren Antworten ungewöhnlich deutlich bemerkbar machen“ (Hofstede, 2006, S. 17).
Als wichtige Klassifikationsvariable zur Unterscheidung von Kulturen haben sich die von Hofstede erforschte Dimensionen: Individualismus-Kollektivismus, Machtdistanz, Maskulinität-Femininität und Unsicherheitsvermeidung, später auch Zeitorientierung (kurzfristige-langfristige) herausgestellt, die im Folgenden dargestellt werden sollen.
Individualismus-Kollektivismus
Diese Dimension hat sich in vielen kulturvergleichenden Untersuchungen als eine wichtige Unterscheidungsvariable herausgestellt. In kollektivistischen Kulturen ist man im Vergleich zu individualistischen Kulturen stärker Personen- als Aufgabenorientiert (vgl. Hofstede, 2006, S. 100) und die Aufrechterhaltung sozialer Harmonie wird den eigenen Bedürfnissen vorangestellt. Bei vertikal kollektivistischen Kulturen muss eine rangniedrige Person einer ranghöheren gegenüber Respekt beweisen, darf gleichzeitig aber auch starke Unterstützung erwarten (vgl. Helfrich, 2003, S. 397).
In kollektivistischen Kulturen wird eigene Meinung zurückgehalten, stellen Höflichkeit und Bescheidenheit wichtige Verhaltensmaxime dar und es wird ein eher indirekter einem direktem Sprachstil vorgezogen (vgl. Hofstede, 2006, S. 130).
Hofstede definiert diese Kulturdimension fogendermaßen:
„Individualismus beschreibt Gesellschaften, in denen die Bindungen zwischen den Individuen locker sind: man erwartet von jedem, dass er für sich selbst und seine unmittelbare Familie sorgt. Sein Gegenstück, der Kollektivismus, beschreibt Gesellschaften, in denen der Mensch von Geburt an in starke, geschlossene Wir-Gruppen integriert ist, die ihn ein Leben lang schützen und dafür bedingungslose Loyalität verlangen“
(Hofstede, 2006, S. 66f)
Machtdistanz
Die Machtdistanz innerhalb einer Gesellschaft gibt Auskunft über die Ungleichheit in der Gesellschaft sowie die Abhängigkeit von Beziehungen. In Kulturen mit hoher Machtdistanz sind vertikale, hierarchisch strukturierte Beziehungen wichtiger als horizontale, also Beziehungen unter gleichrangigen Partner (vgl. Hofstede, 2006, S. 58). So akzeptieren Gesellschaften mit hoher Machtdistanz hierarchische Unterschiede und in diesem Rahmen verstößt Kritik gegenüber hierarchisch Höhergestellter gegen die Kultur. In einem Land mit geringer Machtdistanz ist es z.B. für einen Angestellten möglich, seinem Vorgesetzten zu widersprechen; die emotionale Distanz ist gering.
Zwar unterscheidet sich die erste Dimension von der Machtdistanz, es gibt aber trotzdem eine Korrelation zwischen beiden: Kollektivistische Kulturen neigen tendenziell eher zu höherer und individualistische Kulturen eher zu geringer Machtdistanz (vgl. Hofstede, 2006, S. 111).
Maskulinität / Femnininität
Diese Dimension wird von Hofstede folgendermaßen definiert:
„Maskulinität kennzeichnet eine Gesellschaft, in der die Rollen der Geschlechter klar gegeneinander abgegrenzt sind: Männer haben bestimmt, hart und materiell orientiert zu sein, Frauen müssen bescheidener, sensibler sein und Wert auf Lebensqualität legen. Femininität kennzeichnet eine Gesellschaft, in der sich die Rollen der Geschlechter überschneiden: sowohl Frauen als auch Männer sollten bescheiden und feinfühlig sein und Wert auf Lebensqualität legen“
(Hofstede, 2006, S. 115)
Als veranschaulichendes Beispiel für diese Kulturdimension nennt Hofstede die Prioritäten in den nationalen politischen Diskursen. Hier stehen Ausprägungen wie Belohnung der Starken, Fokussierung auf Förderung des Wirtschaftswachstums und hohe Rüstungsausgaben für eher maskulin geprägten Gesellschaften, während im Gegensatz hierzu eher feminin geprägte Gesellschaften ihre Prioritäten auf Solidarität mit Schwachen, Umweltschutz und Entwicklungshilfe legen (vgl. Hofstede, 2006, S. 138).
Unsicherheitsvermeidung
Auf der Grundlage der Dimension Unsicherheitsvermeidung lässt sich abbilden, dass die Kulturen mit starker Tendenz zur Unsicherheitsvermeidung sich durch ein hohes Regelungsbedürfnis, durch das Streben nach Sicherheit am Arbeitsplatz, und durch die Neigung der Geschäftigkeit, Präzision und Pünktlichkeit auszeichnen. Daher reagieren sie auf unklare Verhältnisse mit Desorientierung oder sogar Aggression. Unsicherheitsvermeidung entspricht dem Grad, in dem Mitglieder einer Kultur sich durch ungewisse oder unbekannte Situationen bedroht fühlen[6] (vgl. Hofstede, 2006, S. 228ff).
Mitglieder aus Kulturen mit niedriger Unsicherheitsvermeidung (Skandinavien, die englischsprachigen Länder) haben eher einen Widerwillen gegen formelle Regeln. Man legt Wert auf spontane, kreative und innovative Problemlösung (vgl. Hofstede, 2006, S. 253).
Kurzzeit- und Langzeitorientierung
Mitglieder aus Kulturen mit Langzeit-Orientierung richten ihr Handeln stark an langfristigen Zielen und Perspektiven aus, während umgekehrt Mitglieder aus Kulturen mit Kurzzeit-Orientierung ihr Handeln vor allem am Hier und Jetzt ausrichten.
Weiterhin sollen kurz die Kulturdimensionen von Fons Trompenaars, die als Ergänzung zu Hofstedes Arbeiten verstanden werden können, skizziert werden.
2.6.3 Das Konzept der Kulturdimensionen nach Fons Trompenaars
Trompenaars hat mittels empirischer Datensammlungen sieben Kulturdimensionen benannt, anhand derer sich Kulturen voneinander abheben. Fünf Orientierungen beziehen sich nach Trompenaars auf die Art und Weise, wie Menschen miteinander umgehen. Die Kulturdimensionen, die jeweils zwei Pole möglicher Ausprägungen darstellen, werden folgenderweise definiert:
Individualismus und Kollektivismus: Diese Dimension lehnt sich an die gleichnamige Dimension Hofstedes an
Universalismus und Partikularismus: in universalistischen Kulturen werden allgemeingültige Gesetze und Regeln für wichtiger gehalten als situations- und personalabhängige Ausnahmen von der Regel. Die Gewichtung von Beziehungen und Freundschaften verblasst, wenn allgemeine Gesetze ihre Gültigkeit einfordern (vgl. Geng, 2006, S. 35). In partikularistischen Kulturen sind dagegen Beziehungen, etwa zu Freunden und Familienangehörigen wichtiger, als abstrakte Regelwerke.
Neutral und emotional: neutrale Kulturen sind emotional distanziert gegenüber wichtigen Themen. In affektiven Kulturen hingegen zeigen die Menschen ihre Gefühle sehr oft und offen. Trompenaars Untersuchung verlief anhand der Frage nach Bereitschaft, Emotionen am Arbeitsplatz zum Ausdruck zu bringen.
Spezialität und Diffusität: Es handelt sich um die Frage, wie klar getrennt werden kann zwischen persönlichem und beruflichem Leben. Spezifische Kulturen trennen das Geschäftliche und das Öffentliche, diffuse nicht.
Leistung und Zugehörigkeitsstatus: Bei der Beurteilung einer Person wird in leistungsorientierten Kulturen auf die individuelle Befähigung geachtet, in Status-Kulturen dagegen auf den Namen.
2.6.4 Nutzen der Kulturinterpretationen
Die Modelle schaffen die Möglichkeit, die eigene Kultur, aufgrund des Vergleichs mit anderen, besser zu reflektieren. Ein Beispiel veranschaulicht, wie die deutsche Kultur mit Hilfe der Dimensionen beschreiben werden kann:
„Deutsche sind sach-, ziel- und wenig personenorientiert […] Ihr Bedürfnis nach Machtdistanz (Hofstede) ist nicht stark, doch sie vermeiden, verunsichert zu werden. Sie sind sehr individualistisch und als wenig feminin einzuordnen. Sie lieben Regeln und Gesetzt (Trompenaars), an denen sich Individualisten orientieren, Gefühle halten sie ziemlich zurück, und unter all den Kulturen gelten sie als das Volk, das scheinbar Kritik offen anspricht. Deutsche verfolgen ein Egalitätsprinzip, genießen dennoch Status wegen ihrer Leistungen, und sind in engen Zeitvorgaben zu erledigen. Wie alle Industrienationen versuchen auch Deutsche die Natur zu beherrschen“
(Hecht, 2003, S. 116)
Das Konzept der Kulturstandards könnte zu der Annahme verleiten, Kulturen ließen sich umfassend beschreiben und jedes Verhalten wäre dadurch bestimmbar. Dass dem nicht so ist, zeigt Trompenaars, indem er Kultur als Regelfall bezeichnet. Der Spielraum um eine Norm wird als das durchschnittlichste Verhalten gesehen (vgl. Trompenaars, 1993, S. 43f). Die Beschreibung dieses Regelfalls ermöglicht es, den Kern kulturell bedingter Probleme zu erfassen. Kennt man die Werte der betreffenden Kulturen, kann man einschätzen, wo in der interkulturellen Zusammenarbeit Konflikte wahrscheinlich sind. Die Modelle bieten eine kognitive Struktur, die als Referenzsystem für die Orientierung in einer fremden Kultur genutzt werden können. Sie stellen ein grundlegendes, analytisches Instrument dar, das auf viele Kulturen angewendet werden kann. Außerdem erleichtern die Modelle die Kulturgebundenheit des Verhaltens zu verstehen und fremdkulturelle Verhaltensweisen zu akzeptieren. Die interkulturelle Sensibilität wird geweckt, wodurch die Basis für interkulturelles Lernen geschaffen ist (vgl. Herbrands, 2002, S. 68f).
[...]
[1] Beinhaltet den gesprochenen Bestandteil einer Nachricht
[2] Intonation, Betonung, Pausen, Lautstärke
[3] Gestik und Mimik, d.h. Körpersprache
[4] ‚The Silent Language‘ wurde 1959 veröffentlicht. Zentrale These des Buches war wie Kultur die menschliche Verhaltensweise unbewusst beeinflusst und damit auf die Kommunikation wirkt.
[5] Aus dem Vortrag von R.M. Hadjiwibowo, September 1983. Übersetzung aus dem Niederländischen von G.Hofstede mit Vorschlägen des Autors.
[6] Mitglieder mit hoher Unsicherheitsvermeidung (Japan, Südeuropa, deutschsprachige Länder) scheuen uneindeutige Situationen; sie suchen in Institutionen nach ausgesprochenen oder nach unausgesprochenen Regeln und einer Struktur, mit der sich Ergebnisse interpretieren oder vorhersehen lassen. In Gesellschaften mit starker Unsicherheitsvermeidung gibt es zahlreiche, formelle Gesetze und informelle Regeln, die die Rechte und Pflichten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern festlegen (vgl. Hofstede, 2006, S. 252).
- Citation du texte
- Erika Flegrova (Auteur), 2009, Interkulturelle Kompetenz, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/143789
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