[...] Den Inhalt des Beschlusses darzustellen und ihn in Verbindung mit der damaligen Zeit zu setzen ist Aufgabe des ersten Kapitels. Das bis dahin praktizierte Verfahren, Bewerber für den öffentlichen Dienst nach der beamtenrechtlich festgeschriebenen „Bestenauslese“ zu betreiben, wodurch auch Mitglieder der DKP in den Staatsdienst aufgenommen wurden, wurde in Frage gestellt. Gerade Lehrer, denen Möglichkeiten zur politischen Beeinflussung der ihnen Schutzbefohlene unterstellt wurden, sollten gewissenhafter ausgesucht werden.
Hierfür kam vor allem in Frage, was der Bewerber in der Zeit seines Studiums an politischer Betätigung gezeigt hatte, für welchen Verband er zu öffentlichen Ämtern kandidierte, welche Petitionen er unterschrieben hatte usw.
Der Beschluss kann nicht isoliert betrachtet werden, er entstammt einer kritischen Phase der Geschichte der BRD und reiht sich ein in Maßnahmen die durch die Notstandsgesetzgebung begannen und in einen durch den Terrorismus in allen Bereichen des Lebens immer
präsenter werdenden Staat enden. Gerade durch die vielen
Herausforderungen an den Staat und darauf folgenden staatlichen Maßnahmen kann ein in dieser Arbeit notwendigerweise zu erstellender Abriss des Zeitgeschehens keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebe.
Es reicht aus, die Befürchtungen der Bevölkerungsmehrheit
darzustellen. Um die staatliche Reaktion in Bezug auf die
hauptsächliche Zielgruppe, die von Berufsverboten betroffenen linken Studierenden1, kritisch reflektieren zu können, müssen die Ziele der APO kurz benannt werden. Auch der Frage, wie viele „Kommunisten“ bereits im Staatsdienst gearbeitet haben, ob also Handlungsbedarf, wie von konservativer Seite propagiert, bestand, wird nachgegangen.
Einen zweiten Teil bildet der Versuch zu klären, welche gesetzlichen Vorstellungen von Meinungsfreiheit bestanden, ob - und wenn ja - welche Einschränkungen im Rahmen der geltenden Gesetze getroffen werden durften.
Der dritte Teil beleuchtet die politische Komponente. Gab es
Unterschiede in der Behandlung von potentiellen Staatsfeinden durch die Parteien, vielleicht wegen unterschiedlicher Auffassungen über den linken Extremismus? Über Beispiele soll ein Einblick in den Alltag der Berufsverbotsverfahren gegeben werden, um abschließend im Fazit zu einer Beurteilung zu kommen, welche auch einen Ausblick in die Gegenwart gewährt.
1 In dieser Gruppe sind natürlich Unterschiede zu machen. Mitglieder der Jusos waren z.B. kaum betroffen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der „Radikalenerlaß“
2.1. Inhalt und Intention
2.2. Vorlauf
3. Gesetzliche Vorgaben
3.1 Meinungsfreiheit aus juristischer Sicht
3.2. Einschränkung des Grundrechts
4. Praxis der Berufsverbote
4.1 Begründung und Auslegung des Beschlusses durch die Politik
4.2. Fallbeispiele
5. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Der Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz über „Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentlichen Dienst“ markierte 1972 einen Einschnitt in die politische Meinungsfreiheit von Beamten, zumindest ausgehend von den Reaktionen. Den Inhalt des Beschlusses darzustellen und ihn in Verbindung mit der damaligen Zeit zu setzen ist Aufgabe des ersten Kapitels.
Das bis dahin praktizierte Verfahren, Bewerber für den öffentlichen Dienst nach der beamtenrechtlich festgeschriebenen „Bestenauslese“ zu betreiben, wodurch auch Mitglieder der DKP in den Staatsdienst aufgenommen wurden, wurde in Frage gestellt. Gerade Lehrer, denen Möglichkeiten zur politischen Beeinflussung der ihnen Schutzbefohlen unterstellt wurden, sollten gewissenhafter ausgesucht werden.
Hierfür kam vor allem in Frage, was der Bewerber in der Zeit seines Studiums an politischer Betätigung gezeigt hatte, für welchen Verband er zu öffentlichen Ämtern kandidierte, welche Petitionen er unterschrieben hatte usw.
Der Beschluss kann nicht isoliert betrachtet werden, er entstammt einer kritischen Phase der Geschichte der BRD und reiht sich ein in Maßnahmen die durch die Notstandsgesetzgebung begannen und in einen durch den Terrorismus in allen Bereichen des Lebens immer präsenter werdenden Staat enden. Gerade durch die vielen Herausforderungen an den Staat und darauf folgenden staatlichen Maßnahmen kann ein in dieser Arbeit notwendigerweise zu erstellender Abriss des Zeitgeschehens keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebe.
Es reicht aus, die Befürchtungen der Bevölkerungsmehrheit darzustellen. Um die staatliche Reaktion in Bezug auf die hauptsächliche Zielgruppe, die von Berufsverboten betroffenen linken Studierenden[1], kritisch reflektieren zu können, müssen die Ziele der APO kurz benannt werden. Auch der Frage, wie viele „Kommunisten“ bereits im Staatsdienst gearbeitet haben, ob also Handlungsbedarf, wie von konservativer Seite propagiert, bestand, wird nachgegangen.
Einen zweiten Teil bildet der Versuch zu klären, welche gesetzlichen Vorstellungen von Meinungsfreiheit bestanden, ob - und wenn ja - welche Einschränkungen im Rahmen der geltenden Gesetze getroffen werden durften.
Der dritte Teil beleuchtet die politische Komponente. Gab es Unterschiede in der Behandlung von potentiellen Staatsfeinden durch die Parteien, vielleicht wegen unterschiedlicher Auffassungen über den linken Extremismus? Über Beispiele soll ein Einblick in den Alltag der Berufsverbotsverfahren gegeben werden, um abschließend im Fazit zu einer Beurteilung zu kommen, welche auch einen Ausblick in die Gegenwart gewährt.
2. Der „Radikalenerlaß“
2.1. Inhalt und Intention
Am 28. Januar 1972 gaben die Ministerpräsidenten gemeinsam mit dem Bundeskanzler eine Erklärung ab. Anlass war der - je nach politischer Herkunft - als „Radikalenerlass“ beziehungsweise „Extremistenbeschluß“ oder „Berufsverbot“ bezeichnete Beschluss der Ministerpräsidenten, der ebenso unterschiedlich begründet und ausgelegt, verteidigt oder bekämpft wurde wie er auch genannt wurde.[2]
In das Beamtenverhältnis dürfe demnach nur noch berufen werden, wer jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung einzutreten Gewähr leiste. Durch diese Regelung wurde nur wiederholt, was im Beamtengesetz, wie später genauer zu sehen sein wird, bereits geregelt war und ist. Hiermit folgerten die Ministerpräsidenten eine Pflicht des Beamten, „sich aktiv innerhalb und außerhalb des Dienstes für die Erhaltung dieser Grundordnung einzusetzen“. Demnach werden Bewerber, die „verfassungsfeindlichen Aktivitäten nachgehen“, nicht in den öffentlichen Dienst eingestellt. Bei solchen Bewerbern, die „Organisationen“ angehören die „verfassungsfeindliche Ziele“ verfolgen, seien Zweifel begründet, ob er sich für die freiheitlich demokratische Grundordnung einsetze. „Diese Zweifel rechtfertigen in der Regel eine Ablehnung“.[3]
Basierend auf den Extremistenbeschlüssen wurden „über 14.000 Berufsverbots- und Disziplinarverfahren durchgeführt, die zu rund 1.200 Ablehnungen von Bewerberinnen und Bewerbern und über 260 Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst führten“[4]. Obwohl der Radikalenerlass formal nicht außer Kraft gesetzt wurde, findet er heute keine Anwendung mehr.
Für das Zustandekommen lassen sich einige Ursachen finden, die ausreichend Inhalt für eigene Fragestellungen bieten würden. Im Zusammenhang mit dieser Arbeit erscheint es notwendig und geboten, ohne sich umfassend mit den gesellschaftlichen Realitäten der Zeit zu beschäftigen, einen kurzen historischen Abriss zu geben.
2.2. Vorlauf
Die 60er Jahre brachten nicht nur in der BRD Unruhen mit sich. In der gesamten westlichen Welt stellten vor allem Studierende das vorherrschende System in Frage. Moderne Formen des Protestes kamen aus Den USA und machten die Unzufriedenheit der jungen Generation für jedermann ersichtlich und konfrontierte sie mit den Zielen der Protestbewegung. Als „Außerparlamentarische Opposition“ (APO) sammelten sich unterschiedliche politische Gruppierungen – pazifistisch-neutralistische, radikal demokratische und marxistisch-sozialistische – um sich gemeinsam gegen Wiederaufrüstung, die Notstandsgesetzgebung, gegen Kapitalismus, gegen Monopolismus und gegen die gewaltsame Intervention der Schutzmacht USA in Vietnam zu wehren.
Als ein Mittel des Widerstandes rief Rudi Dutschke als einer der Studentenführer zum „Marsch durch die Institutionen“ auf, um als Minimalziel eine Demokratisierung der Gesellschaft und als Maximalziel deren radikale Veränderung zu erreichen.
Hierin sahen konservative Kräfte eine Gefahr für die bestehende Ordnung. Sie konnten sich mit dieser Ansicht der Unterstützung von Teilen der proffesoralen Wissenschaft sicher sein. In einem in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung publiziertem Artikel erklärte Helmut Schelsky die Strategie der Linken. Diese bestände darin, wichtige Schlüsselpositionen in der Gesellschaft zu besetzen. Hierzu zählte er die Universitäten und Lehrerausbildungsstätten, aber auch die Kirchen, die Medien sowie die Unterhaltungsbranche.[5] Angesichts der bereits erfolgten Radikalisierung bei weiten Teilen der Studierendenschaft, die zu gewaltsamen Protesten bereit seien, wie die Demonstrationen gegen den Schah von Persien gezeigt hätten, erklärte er die Republik für wehrlos: „Unser Feind kann sich aber verfassungsfeindliche Lehrer wegen ihrer Wirkung als Multiplikatoren nicht leisten.“[6]
[...]
[1] In dieser Gruppe sind natürlich Unterschiede zu machen. Mitglieder der Jusos waren z.B. kaum betroffen.
[2] Braunthal, Gerard, Politische Loyalität und Öffentlicher Dienst. Der „Radikalenerlaß“ von 1972 und die Folgen, Marburg 1992, S. 47f.
[3] Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz über „Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentlichen Dienst“, nachgedruckt in: Knirsch, Hanspeter, „Radikale“ im öffentlichen Dienst? Eine Dokumentation, Frankfurt a. M. 1973, S. 11.
[4] Bundesvorstand der GEW, Presseerklärung vom 28. Januar 2002, http://62.27.15.27/presse/archiv/2002/1quartal/texte/d_020128a.htm.
[5] Braunthal, S. 42.
[6] Zit. nach: Braunthal, S. 42
- Citation du texte
- Reto Stein (Auteur), 2002, Berufsverbote und politische Meinungsfreiheit der Lehrer zur Zeit des Radikalenerlasses, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/14364
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