„Nach wie vor erreichen Jungen (in allen Staaten und so auch in Deutschland) deutlich
schlechtere Ergebnisse im Lesetest als Mädchen“.1
Mit diesem Zitat aus dem Ergebnis der Pisa-Studie (2006) möchte ich meine Überlegungen beginnen. Ich frage mich, welches die ausschlaggebenden Faktoren für eine schlechtere Lesekompetenz der Jungen gegenüber den Mädchen sein können. Nun, zum Einen kann ein autoritärer Erziehungsstil bei den Jungen dafür sorgen, dass diese in ihrem Handeln und Denken weniger frei werden. Sie sind oft weisungsgebundener erzogen, und werden nicht selten härter „gehandhabt“ als Mädchen (weil aus ihnen ein starker Mann werden soll). Diese rigiden Geschlechtervorstellungen nehmen die Jungen mit in die Peergroup[...]Desweiteren kommt der Schule der Auftrag zu, einen Prozess des Voneinander Lernens zu initiieren, der dazu führt, dass Jungen und Mädchen voneinander lernen, und zwar in dem Maße, dass es einen Lernakt darstellt, in dem sich der Lehrer stark heraushält, und nur die Vorgaben gibt, und die Schüler dabei das andere Geschlecht und seine Fähigkeiten kennenlernen[...]
„Nach wie vor erreichen Jungen (in allen Staaten und so auch in Deutschland) deutlich
schlechtere Ergebnisse im Lesetest als Mädchen“.[1]
Mit diesem Zitat aus dem Ergebnis der Pisa-Studie (2006) möchte ich meine Überlegungen beginnen. Ich frage mich, welches die ausschlaggebenden Faktoren für eine schlechtere Lesekompetenz der Jungen gegenüber den Mädchen sein können. Nun, zum Einen kann ein autoritärer Erziehungsstil bei den Jungen dafür sorgen, dass diese in ihrem Handeln und Denken weniger frei werden. Sie sind oft weisungsgebundener erzogen, und werden nicht selten härter „gehandhabt“ als Mädchen (weil aus ihnen ein starker Mann werden soll). Diese rigiden Geschlechtervorstellungen nehmen die Jungen mit in die Peergroup wo sie wiederum andere Jungen beeinflussen. Jungen Peergroups werten dabei sehr stark das Lesen ab. Das wiederum führt zu einer geringeren Lesenähe, sprich zu weniger Büchern zu Hause und damit zu weniger Lesen. Ein weiterer Grund könnte darin liegen, dass den Jungen vom Kindergartenalter bis heute vermehrt weibliche Erzieher und Pädagogen begegnen, die massiv an ihrer Sozialisation mitgewirkt haben. Ihnen sind von daher überwiegend „feministische Bücher/Texte/Geschichten“ vorgelegt worden, die sie nicht wirklich interessierten und in denen sie evtl. festgefahrene Rollenbilder vom Lesen abgehalten haben. Bei einem Blick in die Vergangenheit lässt sich konstatieren, dass die Mädchen in den letzten Jahren stark in naturwissenschaftlichen Fächern gefördert wurden, die Jungen jedoch unterdessen vergessen wurden. Lesen gilt seit jeher als Frauensache. Deshalb erreichen Mädchen bei Lesetests signifikant höhere Werte als Jungen. Der Erfolg bei den Mädchen ist vor allem auf Interesse und Freude am Lesen zurückzuführen. Dahingehend sagte Elaine Millard in „Different Literate“: „Dem Jungen kann es sehr wohl so erscheinen, dass Lesen und Schreiben überwältigend weiblich ist.“[2] Aber was soll man eigentlich unter Textkompetenz verstehen? Darunter ist zu verstehen, dass man Texte unterschiedlicher Art in ihren Aussagen, Absichten, und der formalen Struktur zu verstehen, in größere Zusammenhänge einordnen und sachgerecht nutzen kann. Unter diesen Gesichtspunkten lässt sich feststellen, dass Jungen große Defizite aufweisen, kontinuierliche Texte zu lesen und das Gelesene zu verstehen, wiederzugeben und kritisch zu reflektieren. Pestalozzi sagte einmal, der Mensch sei so wie er ist, weil die Gesellschaft ihn so geschaffen hat, wie er ist. Diese These ließe sich auf die Problematik einer geringeren Lesekompetenz der Jungen übertragen, wenn man davon ausgeht, dass Lesen im Elternhaus und bei Freunden situiert ist, und vor allem auch durch die Stoffauswahl der Schule determiniert wird. Kann man wirklich davon ausgehen, dass ein Buch für alle Schüler einer Klasse interessant wirkt, und dass dieses seinem Entwicklungsstand oder seinen Vorlieben/Kenntnissen entspricht? Ich denke: Nein! Ich denke Jungen, oder auch Schüler allgemein würden von sich aus mit viel mehr Neugier und Freude ein Buch in die Hand nehmen, erstens, wenn sie nicht dazu gezwungen werden (Vorgaben des Unterrichts), zweitens, sie durch die Eltern nicht ständig dazu aufgefordert/gedrängt werden ein Buch zu lesen, drittens, sie im häuslichen/schulischen/Freizeitbereich Angebote zum Lesen freiwillig aus eigenem Antrieb heraus wahrnehmen können. Denn nichts wird geistig besser verinnerlicht, als Materialien, die interessieren, herausfordern, nicht aufgezwungen werden, der Findung einer eigenen Aura dienen. Ein weiterer Wundpunkt in dieser Diskussion sind die unterschiedlichen Medien, denen die Jugendlichen näher stehen (Mädchen stehen den schriftlich dominierten Medien näher, Jungen den visuellen). Hier kann man bemängeln, dass dies ein vernachlässigtes Gebiet in der Problematik um die Lesekompetenz darstellt. Denn Schulbücher sind, so scheint es zumindest, schülerkonform. Es gibt keine Unterscheidung zwischen Mädchen und Jungen, nur im Alter. Macht das Sinn? Wie man doch aus der Neurobiologie weiß, arbeiten männliche und weibliche Gehirne auf unterschiedliche Weise. Beide lernen auf ihre Weise besser. Aber die Konformität in der Schule wird ja noch übertroffen von der Konformität in der Gesellschaft (Der werdende Erwachsene soll zum Militär, in den Verein, in die Lehre, teilweise wird ihm sogar der vorgefertigte Tagesplan vorgelegt). Jeder soll möglichst gesellschaftsnormiert „entlassen werden“, er soll bereit sein für die Gesellschaft. Werden wir in der Schule wirklich zu selbsthandelnden, selbstbestimmten, über Autonomie und eigene Identität verfügende Individuen erzogen? Stehen nicht Schule und Individuen in einer Art fehlender Passung zueinander? Hat Pestalozzi diesbezüglich doch Recht? Wenn Jungen nur unzureichend lesen können, dann stellt diese Tatsache Fragen bezüglich der gesellschaftlichen Integrität auf. Denn jemand der Texte nicht richtig versteht, kann sich nicht ausreichend sozialisieren und fällt auf der kognitiven Stufe zurück. Denn Sprache bedeutet vor allem auch, sich im Innern mit der Welt auseinanderzusetzen, und Strategien für das (Über) Leben in der Gesellschaft zu entwickeln. Lesen führt dazu, dass man die Voraussetzungen entwickelt, dass man Verantwortung lernt im Umgang mit komplexen Verhältnissen. Lesen lässt mich innere und äußere Realität erschließen, Bewusstes und Unbewusstes. Gar ist Lesen und damit die Sprache bewusstseinsbildend und folglich stark moralisierend. Wie wir schon vorher erkannt haben, basiert lesen auf Freiwilligkeit und auf Spaß. Lesen funktioniert nicht wie Essen, welches den Kindern früher hineingezwungen wurde, unter der Ansicht, es sei gut für sie! Ein weiteres Problem stellt auch oft die fehlende Zeit bei den Erwachsenen dar, die beruflich bedingt oftmals keine Zeit haben, ihre Kinder beim Lernen zu unterstützen. Welche Rolle spielt eigentlich die Schule nun bei der aufgefächerten Problematik? Nun, Schule täuscht Gleichheit und Gerechtigkeit vor, die Außenstehenden nur schwer ersichtlich wird. Heutige Schule – und ich finde da braucht man jetzt kein Blatt vor den Mund zu nehmen – führt am Bildungsziel schlichtweg vorbei. Frontalunterricht ist immer noch an der Tagesordnung und ein geschlechtssensibler Unterricht wird so gut wie gar nicht ins Auge gefasst. Lernen ist an der Subjektivität der Kinder vorbei nicht möglich. Es bedarf Eigeninitiative (z.B. Laborschule), Interesse und den Spaßfaktor, keiner lernt gerne aus Zwang heraus. Zudem ist der Lernakt immer auch ein Akt in der Erkenntnis. Ein Ansatz für die Schule/Politik muss dahingehend gesucht werden, als man das Lesen als „Frauensache“ entmythologisiert, und dem Lesen generell eine neue Wertigkeit zuspricht, die möglichst nicht von der primären Sozialisationsinstanz Familie negativ determiniert ist. Es gilt, die Jugendlichen, insbesondere mit Blick auf die gesetzte Problematik, die Jungen, zu begleiten, und ihre Interessen zu erfahren. Man muss sich vor Augen führen, dass man ein Buch nicht lesen müssen will, sondern dies aus einer inneren entzündeten Begehrung heraus geschehen sollte. Unter der Prämisse, das Jungen oftmals das Empathische des „Gefühle-zeigen-Könnens“ abgesprochen wird, oder sie einfach nicht mitfühlen können, kann hier Lesen zu mehr Emotionalität bei den Jungen führen. Denn ein Mensch der nur zitieren kann, ist kein Mensch. Darüberhinaus tragen die Jungen dann das Erlesene in den Freundeskreis und diskutieren angetan über ihr Leseerlebnis, was in hohem Maße Vorurteile über das Lesen abbaut und zu höherer reflektiver und kognitiver Leistung führen kann. Lesen bedeutet auch inneres Erleben und führt verstärkt zur Wahrnehmung innerlicher Erfahrung. Ziel der Pädagogik ist von daher auch eine andersartige, vertiefte Wahrnehmung mit sich selbst herbeizuführen. Durch eine bessere Lesekompetenz lernen die Jungen vermehrt, Wirklichkeit zu hinterfragen und zu durchschauen. Desweiteren kommt der Schule der Auftrag zu, einen Prozess des Voneinander Lernens zu initiieren, der dazu führt, dass Jungen und Mädchen voneinander lernen, und zwar in dem Maße, dass es einen Lernakt darstellt, in dem sich der Lehrer stark heraushält, und nur die Vorgaben gibt, und die Schüler dabei das andere Geschlecht und seine Fähigkeiten kennenlernen, was sich dann unter dem Aspekt des Erlernens von Emotionalität besonders auf Jungen positiv auswirken dürfte. Als großer Nebeneffekt ist noch zu erwarten, dass Vorurteile untereinander abgebaut und eine bessere Arbeitsatmosphäre herrschen dürfte. An diesem Beispiel sehen wir, dass Schule vermehrt Bildungsprozesse anregen, und dabei unterstützend wirken sollte. Schule sollte insgesamt als Fähigkeitsvermittlerin dienen, Schonraum für die Kinder bieten und zugleich deren Lebensschmiede sein. Von daher ist Schule nicht ohne Grund als eine Weiterführung der Familienerziehung zu betrachten. Sie muss lehren, ganzer Mensch unter Menschen zu werden.[3] [4]
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[1] http://www.lesen-in-deutschland.de/html/content.php?object=journal&lid=785, 15.07.2009, 21:27.
[2] http://www.lesen-in-deutschland.de/html/content.php?object=journal&lid=785, 15.07.2009, 21:27.
[3] Vgl. http://www.lesen-in-deutschland.de/html/content.php?object=journal&lid=29, 15.07.2009, 00:12.
[4] Vgl. Kassis, Prof. Dr. phil. Wassilis, Mitschrift und Vorlesungsskript zum Seminar: Der Bildungsauftrag zwischen Familie und Schule, SS 09.
- Arbeit zitieren
- Manuel Berg (Autor:in), 2009, Unzureichende Lesekompetenz bei Jungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/143322
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