Einleitung. Problemstellung sowie Quellen- und Forschungsstand
Die Halbinsel Krim ist in Westeuropa eine nahezu unbekannte Region der Ukraine, die hauptsächlich durch die russische Schwarzmeerflotte, den Krimkrieg und den Zweiten Weltkrieg in den Medien Erwähnung findet. Seit über 500 Jahren besuchen Reisende die Krim, die Reiseberichte über die „Perle des Schwarzen Meeres“ veröffentlichten und die Krim bekannt machten wie etwa der Habsburger Prinz de Ligne oder Goethe. Heute wird die Krim als Reiseziel immer populärer für Kultur-, Strand- und Partyreisende.
Die Krim war immer Mittelpunkt wichtiger geschichtlicher Ereignisse, die ihre Sonderstellung betonen wie etwa die Annektierung 1783 durch das Russische Reich oder die Vertreibung der Krimtataren unter Stalin. Ihre Geschichtsschreibung war von zwei Seiten, der sowjetisch-russischen und der westlichen Perspektive, geprägt und wurde teilweise verfälscht dargestellt. Die Krimtataren waren eben nicht nur ein „kriegerisches, grausames und unzuverlässiges“ Volk, das Christen versklavte, wie gezeigt werden wird. Leider sind nur sehr wenige Quellen überliefert, die eine lückenlose Darstellung der Geschichte ermöglichen. Die Krim muss immer unter Berücksichtigung Russlands, der Ukraine und des Osmanischen Reiches betrachtet werden. Außerdem bietet die Krim keine ethnisch-homogene Geschichtslandschaft. So entstand ein sehr ambivalentes Geschichtsbild. Die Besiedlungsstruktur der Krim reicht zurück bis ins 7. Jh. v. Chr. Vor allem Nomaden zogen durch die Steppen und italienische Kaufleute ließen sich an ihrer Küste nieder, um ihre Handelsrouten auszubauen. Im Verlauf der Zeit siedelten sich Skythen, Römer, Griechen, Goten, Sarmaten, Alanen, Byzantiner, Hunnen, Bulgaren, Chasaren, Petschenegen, Polowzen und schließlich die Nachfahren der Goldenen Horde des Dschingis Khan auf der Krim an. Ein Staat Krim bildete sich nicht aus, da die verschiedenen Volksstämmen nebeneinander herlebten und auch keinen Willen entwickelten, sich zu einen.
Die Tauren, ein Stamm, der bisher nur auf der Krim nachgewiesen und sogar in der Odyssee beschrieben wurde, gelten als die Ureinwohner der Krim. Über diese Ethnie konnten bisher keine eindeutigen Erkenntnisse gewonnen werden, so dass die Taurer früher als Mythos eingeordnet worden sind. Das erste staatenähnliche Gebilde schufen die Nachfahren der Goldenen Horde, die sich zu Beginn des 14. Jh. auf der Krim ansiedelten und eine größere Gemeinschaft bildeten.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung. Problemstellung sowie Quellen- und Forschungsstand
2 Geschichte der Krimtataren
2.1 Herkunft und Sprache
2.2 Siedlungsgeschichte
2.3 Kultur, Religion und Lebensweise
2.4 Herrschaftsbildung und Militärwesen
2.5 Die Osmanen und die Krimtataren
2.6 Die russische Annektierung der Krim und das Ende des Khanats
3 Schluss
Literaturverzeichnis
1 Einleitung. Problemstellung sowie Quellen- und Forschungsstand
Die Halbinsel Krim ist in Westeuropa eine nahezu unbekannte Region der Ukraine, die hauptsächlich durch die russische Schwarzmeerflotte, den Krimkrieg und den Zweiten Weltkrieg in den Medien Erwähnung findet. Seit über 500 Jahren besuchen Reisende die Krim, die Reiseberichte über die „Perle des Schwarzen Meeres“[1] veröffentlichten und die Krim bekannt machten wie etwa der Habsburger Prinz de Ligne oder Goethe.[2] Heute wird die Krim als Reiseziel immer populärer für Kultur-, Strand- und Partyreisende.
Die Krim war immer Mittelpunkt wichtiger geschichtlicher Ereignisse, die ihre Sonderstellung betonen wie etwa die Annektierung 1783 durch das Russische Reich oder die Vertreibung der Krimtataren unter Stalin. Ihre Geschichtsschreibung war von zwei Seiten, der sowjetisch-russischen und der westlichen Perspektive, geprägt und wurde teilweise verfälscht dargestellt.[3] Die Krimtataren waren eben nicht nur ein „kriegerisches, grausames und unzuverlässiges“ Volk, das Christen versklavte, wie gezeigt werden wird.
Leider sind nur sehr wenige Quellen überliefert, die eine lückenlose Darstellung der Geschichte ermöglichen. Die Krim muss immer unter Berücksichtigung Russlands, der Ukraine und des Osmanischen Reiches betrachtet werden. Außerdem bietet die Krim keine ethnisch-homogene Geschichtslandschaft. So entstand ein sehr ambivalentes Geschichtsbild.
Die Besiedlungsstruktur der Krim reicht zurück bis ins 7. Jh. v. Chr. Vor allem Nomaden zogen durch die Steppen und italienische Kaufleute ließen sich an ihrer Küste nieder, um ihre Handelsrouten auszubauen. Im Verlauf der Zeit siedelten sich Skythen, Römer, Griechen, Goten, Sarmaten, Alanen, Byzantiner, Hunnen, Bulgaren, Chasaren, Petschenegen, Polowzen und schließlich die Nachfahren der Goldenen Horde des Dschingis Khan auf der Krim an.[4] Ein Staat Krim bildete sich nicht aus, da die verschiedenen Volksstämmen nebeneinander herlebten und auch keinen Willen entwickelten, sich zu einen.
Die Tauren, ein Stamm, der bisher nur auf der Krim nachgewiesen und sogar in der Odyssee[5] beschrieben wurde, gelten als die Ureinwohner der Krim.[6] Über diese Ethnie konnten bisher keine eindeutigen Erkenntnisse gewonnen werden, so dass die Taurer früher als Mythos eingeordnet worden sind.
Das erste staatenähnliche Gebilde schufen die Nachfahren der Goldenen Horde, die sich zu Beginn des 14. Jh. auf der Krim ansiedelten und eine größere Gemeinschaft bildeten. Im 15. Jh. emanzipierten sich diese „Krimtataren“ Genannten und begründeten eine unabhängige Krim mit einem eigenen Khanat. Sie herrschten 350 Jahre über die Krim und versetzten ihre Nachbarn in Angst und Schrecken. Verschiedene Bündnisse sicherten ihre Herrschaft ab. Eine Prüfung muss zeigen, ob das Khanat wirklich autonom oder ein Vasall des Osmanischen Reiches war. Dieser Frage kommt besondere Bedeutung zu, um einen historischen Anspruch der Krimtataren auf die Krim zu legitimieren.
Die Herrschaft über die Krim beanspruchen Russland, die Ukraine und die Nachfahren der Krimtataren, die vertrieben worden waren.
Um ein Ergebnis zu präsentieren, muss also die Geschichte der Krimtataren dargestellt werden. Verschiedene Fragen, woher sie kamen, warum sie die Krim besiedelten, welche Kultur, Religion und Sprache sie hatten, wie sie ihre Herrschaft aufbauten, ihre militärischen Erfolge erzielten und schließlich, warum „ihre“ Krim vom Russischen Reich annektiert werden konnte, sollen beantwortet werden. Gleichzeitig wird Bezug zur Krimregion und ihren Nachbarreichen genommen, um ein Gesamtbild zu erhalten. Abschließend wird die Frage untersucht, welche geschichtliche Berechtigung die Krimtataren haben, die Krim für sich zu beanspruchen.
Die Bearbeitung dieser Frage wurde überhaupt erst möglich durch den Zusammenbruch der Sowjetunion, in deren Folge viele neue Archive erschlossen wurden und die Krimtataren ihre Ansprüche auf neue Quellen gestützt geltend machen konnten. Dennoch wurden bisher nicht alle Quellen und Unterlagen über die Geschichte der Krimtataren zugänglich gemacht, so dass in Zukunft neue Erkenntnisse zu erwarten sind. Für den Historiker gestaltet sich der Umgang mit den schriftlichen Quellen, die in griechisch, russisch, türkisch und „krimtatarisch“, vorliegen besonders schwierig.[7] Insgesamt fünf Quellensammlungen wurden seit dem 16. Jh. Bekannt, wie zum Beispiel die „Tarih-i Sabib Geray Khan“ von 1551 und die „Asseb O-Sseiiar“ von 1750.[8]
Um einen ersten Einblick in die Geschichte der Krimtataren zu erhalten, bieten sich aus diesem Grunde vor allem die vielen Reiseberichte der Krimbesucher an. Hier ist zu bedenken, aus welchem Land sie kamen, welche Vorurteile sie mitbrachten, und welche Ergänzungen sie machten, um ihre Berichte attraktiver zu gestalten. Aus diesen Berichten entstanden die ersten historischen Bücher über die Krim und ihre Bewohner.[9] Im 19. Jh. wurden erste Arbeiten, die auf russischen und osmanischen Quellen basierten, veröffentlicht.[10] Interessant sind die niedergeschriebenen Darstellungen eines Sklaven auf der Krim, die einen tieferen Einblick in die Gesellschaft der Krim geben als die Reiseberichte.[11]
Das bedeutendste Buch über die Krimtataren, das auf alle zugänglichen Quellen zurückgreift und die Geschichte von Beginn bis in die Zeit des Kalten Krieges nachzeichnet, schrieb Alan Fisher.[12] Neuere Forschungsergebnisse werden von ihm bis heute veröffentlicht.[13] Er ist der erste Historiker, der die Krimtataren realitätsnah darstellt und nicht von wilden unzivilisierten Heiden spricht.
Ein ähnliches Buch über die Krimtataren verfasste Edward Allworth, der besonders auf die Kultur eingeht.[14]
In den letzten Jahren wurden neue aktuelle Bücher und Aufsätze über die Krim und die Tataren verfasst, die verschiedene Problemstellungen behandeln. Um einen Überblick über die seit Kurzem so bezeichnete Schwarzmeerregion[15] zu erhalten, eignen sich hervorragend die Werke von Neal Ascherson[16] und Charles King[17].
Die Sekundärliteratur greift auf dieselben Quellen und Überlieferungen zurück und wurde sowohl prorussisch als auch protatarisch sowie dem Zeitgeist folgend geschrieben. Abgrenzungen zu treffen, die eine eindeutige Antwort auf die Frage, ob die Krimtataren die Krim beanspruchen dürfen, sind sehr schwierig. Dennoch zeigt der heutige Forschungsstand ein sozial und politisch differenziertes, wirtschaftlich und kulturell entwickeltes, multiethisches Reich mit nomadischen und sesshaften Traditionen, das sich durch eine bisher unbekannte Glaubenstoleranz auszeichnete.
Ob eine endgültige Aussage über den geschichtlichen Anspruch der Krim möglich sein wird, soll diese Arbeit untersuchen.
2 Geschichte der Krimtataren
2.1 Herkunft und Sprache
Die Krimtataren stammen nicht von einer Ethnie ab, sondern rekrutierten sich aus der Goldenen Horde, die unter Dschingis Khan bis nach Europa Angst und Schrecken verbreitete, und den anderen Bewohnern der Krim nach heutigem Selbstverständnis. Die Goldene Horde, die die Steppe beherrschte, setzte sich aus vielen Stämmen der Mongolei, des Kaukasus und anderer asiatischer Regionen zusammen.
Auch die Krimregion wurde von der Horde unterworfen und einige Clans siedelten sich auf der Krim sowie der heutigen Südukraine an. Die Krim war strategisch gut gelegen und sowohl für den Handel als auch die Kriegsführung bedeutsam. Die Clans blieben dem Khan Untertan, richteten Verwaltungsstrukturen nach dem Vorbild der Goldenen Horde ein und bildeten eine Provinz (Ulus). Der Machtverlust der Goldenen Horde durch innere Konflikte ermöglichte den Clans eine immer autonome Lebensweise. Der Clanführer Tas Timur und seine Nachfolger begründeten schließlich eine unabhängige Politik der Krim.[18]
Der erste Khan der Krim wurde Haci Girai, der die Clans einte, eine Machtbasis schaffte, sich als direkter Nachfahre der Goldenen Horde legetimierte und das unabhängige Reich „Krim“ festigte.[19] Die Krim war nun ein eigenständiges Khanat.[20] Zudem bewahrten Haci Gerai und seine Nachfolger die muslimische Religion, die seit dem 14. Jh. zu den Grundpfeilern der Goldenen Horde gehörte.
[...]
[1] Jobst, Kerstin: Die Taurische Reise von 1787 als Beginn der Mythisierung der Krim. Bemerkungen zum europäischen Krimdiskurs des 18. und 19. Jahrhunderts, in: Archiv für Kulturgeschichte 83 (2001), S. 121-144, S. 122.
[2] Dickinson, Sara: Russia`s First “Orient”: Characterizing the Crimeain 1787, in: Kritika. Explorations in Russian and Eurasian History 3.1 (2002), p. 3-25, S. 23.
[3] Johst. Die Taurische Reise, S. 132: Forschungsreisender Peter Pallas 1767 setzt die negative Betrachtungsweise der Krimtataren fest.
[4] Werner, Thomas (Hrsg.): Unbekannte Krim. Archäologische Schätze aus drei Jahrtausenden. Heidelberg 1999, S. 12.
[5] Ewart, Helga: Die Krim. Faszinierende Orte und Landschaften auf der südlichen Krim. Berlin 2006, S. 17.
[6] Werner, S. 175.
[7] In der vorliegenden Arbeit wird die deutsche Schreibweise anders sprachlicher Begriffe weitgehend übernommen, sofern dies möglich ist!
[8] Direkt auf die Quellen konnte nicht zurückgegriffen werden, da diese weder ins Französische, Englisch oder Deutsche übersetzt sind!
[9] Hammer-Purgstall, Joseph von: Geschichte der Chane der Krim unter Osmanischer Herrschaft. Wien 1856.
[10] Strahl, Philipp: Geschichte des russischen Staates. Vom dem Einbruche der Tataren in Russland bis zum Antritt der Regierung des Großfürsten Iwan III. Wassiljewtsch I. von 1224 bis 1505, 2.Bd. Hamburg 1839 und
Ernst, Nikolaus Karl: Die Beziehungen zu den Tataren der Krym unter Ivan III. und Vasiliy III. 1474-1519. Berlin 1911.
[11] Schiltberger, Johannes: Als Sklave im Osmanischen Reich und bei den Tataren. 1394-1427. Stuttgart 1983.
[12] Fischer, Alan W.: The Crimean Tatars. Stanford 1978.
[13] Ders.: Between Russians, Ottomans and Turks. Crimea and Crimean Tatars. Istanbul 1998.
[14] Allworth, Edward A. (Hrsg.): The Tatars of Crimea. Return to the Homeland. Durham 1998.
[15] Troebst, Stefan: Geschichtsregion Schwarzmeerwelt, in: Südosteuropa Mitteilungen (2006), 5-6, S. 92-102.: Die Einteilung in Geschichtsregionen wie der Schwarzmeerwelt hebelt die „gängigen geographischen, kulturralistischen und politischen Europakonstruktionen“ aus.
[16] Ascherson, Neal: Schwarzes Meer. Berlin 1996.
[17] King, Charles: The Black Sea. A History. New York 2004.
[18] Fischer. The Crimean Tatars, S. 3
[19] Fischer. The Crimean Tatars, S. 4
[20] Brockhaus, 7. Bd. 1998, S. 320: Khanat: Chanat, Staatsgebilde türkischer und mongolischer Stämme, ähnlich dem mittelalterlichen Feudalstaat, und wird vom Khan regiert.
- Quote paper
- Andreas Bönner (Author), 2008, Die Krimtataren, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/143211
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.