Der Fokus dieser Diplomarbeit soll auf den Transformationsprozessen liegen, die diejenige Branche betreffen, die nach Pütz am schnellsten auf Veränderungen reagiert, nämlich die Einzelhandelsbranche in Prag. Als Folge des wirtschaftspolitischen
Wandels erlebte dieser Wirtschaftszweig bedeutende Umstrukturierungen, die durch Auswirkungen auf Immobilienmärkte, Angebots- und Nachfragesituation, sowie die räumliche Struktur der Stadt Prag, besonders gekennzeichnet war.
Die Abschaffung sozialistischer Planungsministerien und der zunächst schleppende
Aufbau neuer Institutionen und Kapazitäten führte in den 90er Jahren zu administrativen
Lücken, die erst nach und nach geschlossen werden konnten. Mangelnde
Kompetenzverteilung und Durchsetzungskraft sowie eine mangelnde Konzeptplanung
in der Prager Stadtplanung ließen internationalen Handelsgesellschaften und Projektentwicklungsunternehmen
zunächst weitgehend freie Hand bei ihrer Standortplanung.
Im Zuge der fortschreitenden Konsolidierung der Reformen ab Anfang 2000 und mit
der Ausarbeitung eines langfristigen strategischen Stadtentwicklungskonzepts, begannen
sich die Akteurskonstellationen im Prager Einzelhandel zu verändern.
Der handlungsgeographische Ansatz, der räumliche Muster und Strukturen durch die
Erforschung von zu Grunde liegenden Handlungen und Entscheidungsprozessen soll der vorliegenden Arbeit aufgrund der oben geschilderten Ausgangssituation als methodische Basis dienen. Dem entsprechend stehen die Bedeutung de am Transformationsprozess beteiligten Akteursguppen sowie ihre Einflussnahme auf Standortentscheidungsprozesse im Einzelhandel im Mittelpunkt der Untersuchung, wobei Veränderungen der räumlichen Einzelhandelstruktur sowie deren Auswirkungen
auf die stadtplanerischen Konzepte ebenfalls wesentliche Analysegegenstände sind.
Inhalt
ABSTRACT
1 EINFÜHRUNG
1.1 PROBLEMSTELLUNG
1.2 FORSCHUNGSLEITENDE FRAGESTELLUNGEN
1.3 METHODISCHES VORGEHEN UND AUFBAU DER ARBEIT
1.4 STAND DER LITERATUR UND DATENLAGE
2 PROBLEMHINTERGRUND UND THEORIE
2.1 DEFINITIONEN UND THEORIEN DER TRANSFORMATIONSFORSCHUNG
2.1.1 System- und Modernisierungstheorien
2.1.2 Kultur- und Akteurstheorien
2.2 ÖKONOMISCHE UND GESELLSCHAFTLICHE RAHMENBEDINGUNGEN DER TRANSFORMATION
2.2.1 Wirtschaftliche Veränderungen in der Tschechischen Republik
2.2.2 Privatisierung und Kommerzialisierung des Prager Immobilien- und 17 Bodenmarktes
2.2.3 Institutioneller Umbau
2.2.4 Sozioökonomische und demographische Veränderungen
2.3 EINFLUSSFAKTOREN AUF DEN EINZELHANDEL IN DER PLAN- UND MARKTWIRTSCHAFT
2.3.1 Merkmale des Einzelhandels in marktwirtschaftlichen Systemen
2.3.2 Merkmale des Einzelhandels in planwirtschaftlichen Systemen
2.3.3 Systeme im Vergleich
3 ENTWICKLUNG DES PRAGER EINZELHANDELS
3.1 RAUM-ZEITLICHE TRANSFORMATIONSPHASEN IM EINZELHANDEL (NACH PÜTZ)
3.1.1 Umbruchphase
3.1.2 Wachstumsphase
3.1.3 Orientierungsphase
3.1.4 Modernisierungsphase
3.2 MODELL DES WANDELS DER STANDORTSTRUKTUR IN PRAG
3.3 INTERNATIONALISIERUNGS- UND MODERNISIERUNGSPROZESSE IM PRAGER EINZELHANDEL
3.3.1 Strukturwandel im Einzelhandel
3.3.2 Internationalisierung und Filialisierung
4 DARSTELLUNG DER FALLBEISPIELE IN PRAG
4.1 AUSWAHL DER OBJEKTE UND METHODISCHES VORGEHEN
4.1.1 Räumliche Lage und Kurzportrait „Vinohradský Pavilon“
4.1.2 Räumliche Lage und Kurzportrait „Centrum Černý Most“
4.1.3 Räumliche Lage und Kurzportrait „Palladium“
4.1.4 Räumliche Lage und Kurzportrait „Arkadý Pankrác“
4.2 SHOPPINGCENTER GENERATIONEN UND ZWISCHENFAZIT
5 DER PRAGER EINZELHANDEL UND SEINE AKTEURE IM TRANSFORMATIONSPROZESS
5.1 VERÄNDERUNGEN RÄUMLICHER STRUKTUREN
5.1.1 Strategien und Konzepte der Prager Stadtadministration
5.1.2 Entwicklungstrends und Handlungsstrategien
5.2 AKTEURE IM PRAGER EINZELHANDEL
5.2.1 Stadtadministration
5.2.2 Internationale Handelsunternehmen
5.2.3 Projektentwickler
5.2.4 Immobiliendienstleister
5.3 EINFLUSSMÖGLICHKEITEN UND KONFLIKTFELDER UNTER DEN AKTEUREN
5.3.1 Developerunternehmen und Administration
5.3.2 Handelsunternehmen und Immobiliendienstleister
5.3.4 Ergebnisse der Analyse
5.4 ERWEITERUNG RAUM-ZEITLICHER TRANSFORMATIONSPHASEN
5.4.1 Umbruchphase ab 1989
5.4.2 Wachstumsphase ab 1992
5.4.3 Orientierungsphase ab 1996
5.4.4 Modernisierungsphase ab 2000
5.4.5 Konsolidierungsphase ab 2007
6 RESÜMEE
7 QUELLENVERZEICHNIS UND ANHANG
7.1 LITERATUR
7.2 EXPERTENINTERVIEWS
7.3 ANHANG
Anhang A
Anhang B
Anhang C
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abbildung 1 Einflussfaktoren bei der Standortentscheidung im Prager Einzelhandel
Abbildung 2 Stakeholder im Standortentscheidungsprozess im Prager Einzelhandel
Abbildung 3 Kausalkette
Abbildung 4 BIP Veränderung in Prozent im Vergleich zum Vorjahr
Abbildung 5 Nettolohnentwicklung in den Ländern Polen, Tschechien, Ungarn 1989-2002
Abbildung 6 Human Development Index 1990-2000
Abbildung 7 Standortrelevante Einflussfaktoren im Einzelhandel marktwirtschaftlicher Systeme
Abbildung 8 Entscheidungsmechanismen im Einzelhandel planwirtschaftlicher Wirtschaftssysteme
Abbildung 9 Einflussfaktoren der Einzelhandelsentwicklung
Abbildung 10 Einfluss gesellschaftlicher Teilsysteme auf Organisations- und Standortstruktur
Abbildung 11 Raum-zeitliche Transformationsphasen
Abbildung 12 Wandel der Standortstruktur im Einzelhandel in der Transformation
Abbildung 13 Organisationsgerüst der Betriebsformen
Abbildung 14 Marktanteil unterschiedlicher Betriebsformen in Tschechien 2007 und 2010 (P)
Abbildung 15 Betriebsformenpolarisierung im Einzelhandel
Abbildung 16 Marktanteil der Top 10 Unternehmen 1993-2006 in Prozent
Abbildung 17 Vinohradský Pavilon
Abbildung 18 Pavilon Interior
Abbildung 19 Centrum Černý Most Interior und Entertainment Center Černý Most
Abbildung 20 Centrum Černý Most
Abbildung 21 Großwohnsiedlung Černý Most und Fachmarktzentrum bei Černý Most
Abbildung 22 Palladium Interior
Abbildung 23 Arkadý Pankrác
Abbildung 24 Arkadý Interior
Abbildung 25 Pankrác City Projekt (l.) und Nový Smíchóv (r.)
Abbildung 26 Organigramm der Stadtentwicklungsbehörde Prag
Abbildung 27 Raum-zeitliche Transformationsphasen in der Tschechischen Republik
Abbildung 28 Präferenz der Tschechen bei der Wahl der Einkaufsstätte 1997-2004
Abbildung 29 Größenvergleich europäischer Märkte für Shoppingcenter
TABELLENVERZEICHNIS
Tabelle 1 Top 10 Handelsunternehmen der Lebensmittelbranche in Tschechien 2007
Tabelle 2 Shoppingcenter Generationen in Deutschland
Tabelle 3 Kategorisierung der Einzelhandelsflächen nach Größe und Lage
Tabelle 4 Interessen, Einflussnahme, Konflikte und Kooperationen unter den Stakeholdern des
Tabelle 5 Anzahl der Einzelhandelseinheiten in der Tschechischen Rep. 1989 und 1998 im Vergleich
KARTENVERZEICHNIS
Karte 1 Größenhierarchie im Einzelhandel in Prag 1997
Karte 2 Administrative Struktur der Stadt Prag 2000
Karte 3 Einzelhandelsentwicklung in Prag 1994 - 2010
Karte 4 Standorte ausgewählter Einzelhandelsprojekte
Karte 5 Lage Vinohradský Pavilon
Karte 6 Lage Centrum Černý Most
Karte 7 Lage Palladium
Karte 8 Lage Arcády Pankrác
Karte 9 Stadtentwicklunsentwurf Prag bis 2020
Karte 10 Einzelhandelsstandorte in Prag nach Lage, Größe und Bedeutung, 2009
Abstract
The collaps of the old socialistic system ushered the former Eastern Bloc states in a new era. The transition from the command towards a free market economy has been a tour de forces which ment a radical social and political change.
This thesis focuses on the transitional process at the retail market which is supposed to be most sensitive to changes. Due to the political and economical changes in the Czech Republic in the beginning of the nineties, this market underwent significant restructuring, which had an impact on the real estate market, the supply and demand situation as well as on the spatial structure of the city of Prague.
The co-operation between the major stakeholder groups - urban planning, developer, real estate and trading companies - is of primary importance for the empirical analysis. Several experts have been interviewed concerning the above mentioned context in Pra- gue.
Zusammenfassung
Der Zusammenbruch des alten sozialistischen Systems läutete für alle ehemaligen Ostblockstaaten eine neue Ära ein. Der Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft stellte für alle diese Länder einen enormen Kraftakt dar, der auf allen Ebenen der Gesellschaft und der Politik bis heute einen grundlegenden Wechsel bedeutet.
Der Fokus dieser Diplomarbeit soll auf den Transformationsprozessen liegen, die dieje- nige Branche betreffen, am schnellsten auf Veränderungen reagiert, nämlich die Einzelhandelsbranche in Prag. Als Folge des wirtschaftspolitischen Wandels erlebte dieser Wirtschaftszweig bedeutende Umstrukturierungen, die durch Auswirkungen auf Immobilienmärkte, Angebots- und Nachfragesituation, sowie die räumliche Struktur der Stadt Prag, besonders gekennzeichnet war. Das Zusammenspiel der an den Verände- rungsprozessen beteiligten Akteursgruppen - Stadtplanung, Projektdeveloper sowie Immobiliendienstleistungs- und Handelsunternehmen - ist für die empirische Analyse von zentraler Bedeutung und wurde mit Hilfe mehrerer Experteninterviews in Prag un- tersucht.
1 Einführung
1.1 Problemstellung
Der Zusammenbruch des alten sozialistischen Systems läutete für alle ehemaligen Ostblockstaaten eine neue Ära ein. Der Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft stellte für alle diese Länder einen enormen Kraftakt dar, der auf allen Ebenen der Gesellschaft und der Politik bis heute einen grundlegenden Wechsel bedeutet. Die sozialistische Planwirtschaft, die durch den autoritären und omnipräsenten Staat sowohl auf der wirtschaftlichen als auch auf der gesellschaftlichen Ebene gekennzeichnet war, wurde ab 1989 in allen, ehemals sozialistischen, Staaten durch die Einführung einer auf kapitalistischen Prinzipien beruhenden Marktwirtschaft ersetzt.
Die im Nachhinein als „Samtene Revolution“ bezeichnete Systemtransformation in der Tschechoslowakei wählte den radikalen Weg, die so genannte „Schocktherapie“, als wirtschaftspolitischen Weg des Übergangs zur Marktwirtschaft. Die schnelle Privatisie- rung, Freigabe aller Preise, Liberalisierung der Märkte sowie eine hohe Inflation kennzeichneten die Wirtschaftspolitik des tschechischen Finanz- und Premierministers Vacláv Klaus. Insbesondere die Liberalisierung des Außenhandels bewirkte einen enormen Zufluss an ausländischen Direktinvestitionen (vgl. Franzen, 2005).
Prag, als Hauptstadt, profitierte in besonderer Weise von dem wirtschaftlichen Auf- schwung. Mit 1,2 Mio. Einwohnern nimmt Prag als Metropole und als Primatstadt in der Tschechischen Republik eine Sonderstellung ein. Von der Hauptstadt aus werden nicht nur die wirtschaftspolitischen und gesellschaftlichen Transformationsprozesse ge- steuert, dort konzentrierten sich auch deren unmittelbare Auswirkungen. Die Entindustrialisierung und zunehmende Tertiärisierung der Wirtschaftsstruktur waren kennzeichnend für den wirtschaftlichen Wandel und die Veränderung der räumlichen Strukturen in Prag.
Der Fokus dieser Diplomarbeit soll auf den Transformationsprozessen liegen, die diejenige Branche betreffen, die nach Pütz am schnellsten auf Veränderungen reagiert (Pütz, 1998:7), nämlich die Einzelhandelsbranche in Prag. Als Folge des wirtschaftspolitischen Wandels erlebte dieser Wirtschaftszweig bedeutende Umstrukturierungen, die durch Auswirkungen auf Immobilienmärkte, Angebots- und Nachfragesituation, sowie die räumliche Struktur der Stadt Prag, besonders gekennzeichnet war.
Die Abschaffung sozialistischer Planungsministerien und der zunächst schleppende Aufbau neuer Institutionen und Kapazitäten führte in den 90er Jahren zu administrati- ven Lücken, die erst nach und nach geschlossen werden konnten. Mangelnde Kompetenzverteilung und Durchsetzungskraft sowie eine mangelnde Konzeptplanung in der Prager Stadtplanung ließen internationalen Handelsgesellschaften und Projekt- entwicklungsunternehmen zunächst weitgehend freie Hand bei ihrer Standortplanung. Im Zuge der fortschreitenden Konsolidierung der Reformen ab Anfang 2000 und mit der Ausarbeitung eines langfristigen strategischen Stadtentwicklungskonzepts, began- nen sich die Akteurskonstellationen im Prager Einzelhandel zu verändern.
Der handlungsgeographische Ansatz, der räumliche Muster und Strukturen durch die Erforschung von zu Grunde liegenden Handlungen und Entscheidungsprozessen soll der vorliegenden Arbeit aufgrund der oben geschilderten Ausgangssituation als methodi- sche Basis dienen (vgl. Wiesner, 1978). Dem entsprechend stehen die Bedeutung der am Transformationsprozess beteiligten Akteursguppen sowie ihre Einflussnahme auf Standortentscheidungsprozesse im Einzelhandel im Mittelpunkt der Untersuchung, wo- bei Veränderungen der räumlichen Einzelhandelstruktur sowie deren Auswirkungen auf die stadtplanerischen Konzepte ebenfalls wesentliche Analysegegenstände sind.
1.2 Forschungsleitende Fragestellungen
Vor dem Hintergrund dieser skizzierten Entwicklungen sollen im Rahmen der Diplomarbeit, mit Hilfe eines handlungszentrierten Ansatzes1 Fragen der Macht- und Kompetenzverteilung bei Standortentscheidungsprozessen im Prager Einzelhandel im Zuge der Transformation analysiert werden. Die Untersuchung findet unter zwei Gesichtspunkten statt. Zunächst wird auf der Akteursebene - anhand von vier konkreten Einzelhandelsprojekten aus unterschiedlichen Phasen der Transformation in Anlehnung an Pütz (1998) folgende Fragestellung analysiert:
Wie haben sich im Verlauf des Transformationsprozesses die Akteurskonstellationen bei Standortentscheidungsprozessen im Prager Einzelhandel formiert und gegebenenfalls gewandelt?
Die grundlegenden prozesstreibenden Akteure - Handelsgesellschaften, Immobilien- unternehmen, Developer2 sowie Stadtadministration - sollen zur empirischen Beantwortung der obigen Fragestellung herangezogen werden. In insgesamt zehn ExperteninterExperteninterviews wurden im Verlauf der empirischen Untersuchung die Akteursgruppen dazu befragt (siehe Anhang A).
Um den räumlichen Kontext zur Akteursebene herzustellen und dem geographischen Anspruch zu begegnen, beziehen die beiden ergänzenden Fragestellungen die räumliche Ebene der Thematik in die Analyse mit ein:
Welche Veränderungen hat es in der räumlichen Einzelhandelstruktur während der Transformation in Prag gegeben und welche Akteure waren daran beteiligt?
Welche Rolle haben diese Veränderungen bei der stadtplanerischen Konzeption bzw. strategischen Entwicklungsplänen der Stadt Prag im Verlauf der Transformation gespielt?
Anhand der Bearbeitung dieser drei Fragestellungen sollen Veränderungen im Prager Einzelhandel im Rahmen der Transformationsprozesse aufgezeigt und ihr räumlicher Niederschlag auf die Stadtstruktur untersucht werden.
1.3 Methodisches Vorgehen und Aufbau der Arbeit
Die Arbeit ist neben der Einleitung in fünf weitere Kapitel gegliedert. Im zweiten und dritten Kapitel wird der theoretische Rahmen der Untersuchung gebildet, was dem äu- ßeren Ring der Abbildung 1 entspricht. Zunächst werden dabei im Kontext der Systemtransformation die in der Forschung dominanten Ansätze der neoklassischen- sowie akteurszentrierten Theorien, erläutert. Dabei spielen die politischen-, gesellschaft- lichen sowie wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eine essentielle Rolle, die für das weitere Verständnis und die Analyse des Prager Einzelhandels von größter Bedeutung sind. Der Abschnitt 2.2 befasst sich detailliert mit institutionellen, gesellschaftlichen sowie ökonomischen Faktoren und deren Einfluss auf den Einzelhandel. Abschließend werden Struktur und Merkmale der Einzelhandelsorganisation in der Plan- und in der Marktwirtschaft erläutert und gegenübergestellt, um für die nachfolgenden Ausführun- gen Unterschiede herauszustellen. Im dritten Abschnitt der Arbeit liegt der thematische Schwerpunkt auf der Erläuterung der Veränderungen des Prager Einzelhandels im Zuge der Transformation.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 Einflussfaktoren bei der Standortentscheidung im Prager Einzelhandel
Quelle: Eigene Darstellung
In Anlehnung an die raum-zeitlichen Transformationsphasen, werden in den Abschnitten 3.2 und 3.3 die veränderte räumliche Standortstruktur sowie der Wandel der Angebotsparameter detailliert dargestellt, um diese im späteren Verlauf der Analyse auf ihre Gültigkeit zu überprüfen, bzw. diese zu ergänzen.
Im Hauptteil der Arbeit, in den Kapiteln vier und fünf, wird versucht auf die eingangs formulierten Fragestellungen eine Antwort zu finden (mittlerer und innerer Ring in Ab- bildung 1). An dieser Stelle bietet es sich an, sich der Methoden einer Stakeholderanalyse (bzw. Umfeldanalyse) aus dem betriebswirtschaftlichen Projektma- nagement zu bedienen. Als Stakeholder3 werden Personen bzw. Personengruppen definiert, die in Beziehung zum Unternehmen oder einem Projekt stehen (vgl. Abbil- dung 2).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2 Stakeholder im Standortentscheidungsprozess im Prager Einzelhandel
Quelle: Eigene Darstellung
Die Vorgehensweise gliedert sich in vier Schritte. Zunächst werden die unterschiedli- chen Interessen (1) der beteiligten Akteure am Projekt identifiziert, um danach ihre Einflussmöglichkeiten (2) zu analysieren und im dritten Schritt Verhaltensprognosen (3) aufzustellen. Im letzten Schritt werden konkrete Maßnahmen geplant (4), mit denen man auf die Stakeholder einwirkt, sodass trotz der (möglicherweise) gegensätzlichen Interessen, das geplante Projekt zum Erfolg führt (vgl. Zell, 2007:37-39).
Der Kern der empirischen Untersuchung in Prag, die der Beantwortung der Fragestel- lungen diente, war die Durchführung von zehn Experteninterviews der oben genannten Stakeholdergruppen sowie die detaillierte Darstellung von vier Fallbeispielen (Einzel- handelsobjekten).
In Bezug auf die formulierten Fragestellungen, stellt Abbildung 2 die am Standortent- scheidungsprozess beteiligten Akteursgruppen dar. Die Transformation im Einzelhandel bildet den Rahmen und beeinflusst somit, als übergreifende Thematik, Standortent- scheidungsprozesse im Einzelhandel. Die konkrete Standortentscheidung wird hauptsächlich von vier Hauptakteuren geprägt - den Immobilienunternehmen, den Han- delsgesellschaften, der Stadtadministration sowie den Projektplanergesellschaften.
Dieser erste Schritt der Identifikation der beteiligten Akteure ist im Kontext der jeweili- gen Standortentscheidungsprozesse grundlegend. Im Vorfeld der eigentlichen Stake- Stakeholderanalyse werden die raumbezogenen Veränderungen sowie stadtplanerische Konzeptionen dargestellt, wobei auf die, aus den Experteninterviews mit der Stadtpla- nungsbehörde gewonnen, Informationen zurückgegriffen wurde. Die Interaktionen bzw. die Machtverhältnisse zwischen den einzelnen Stakeholdern werden im Abschnitt 5.3 analysiert und abschließend als Matrix-Darstellung übersichtlich veranschaulicht. Den Abschluss des empirischen Hauptteils bildet der Abschnitt 5.4 in dem eine Erweiterung der raum-zeitlichen Transformationsphasen (zuvor im theoretischen Teil der Arbeit ein- geführt) vorgenommen wird.
Im Resümee werden die Ergebnisse der Untersuchung mit Entwicklungen und den Trends auf mittel-osteuropäischen Einzelhandelsmärkten verglichen und in übergeordnete Zusammenhänge eingegliedert.
1.4 Stand der Literatur und Datenlage
Neben den bedeutenden wirtschafts- und handelsgeographischen Publikationen von Heinritz (Heinritz, 2003) und Kulke (Kulke, 2008), die die wesentlichen allgemeinen Zusammenhänge und Konzepte erfassen, muss die Literaturbasis ob der gegebenen Thematik spezifiziert und erweitert werden. Der gegenwärtige Forschungsstand zum Thema Einzelhandel in der Transformation lässt sich anhand von nur wenigen Autoren umreißen. Grundlegend für die Beschreibung der Wandlungsprozesse im Einzelhandel im osteuropäischen Raum sind die Arbeiten von Pütz (Pütz, 1998), Sýkora (Sýkora, 1999) sowie von Pommois (Pommois, 2004). Prof. Dr. Robert Pütz von der Universität Frankfurt ist einer der führenden deutschen Forscher im Bereich der Transformations- prozesse im urbanen Raum in Ost-Deutschland sowie Polen. Seine Dissertation aus der Schriftenreihe der Geographischen Handelsforschung, die den Einzelhandel in der Transformation am Fallbeispiel Polen untersucht, dient der vorliegenden Diplomarbeit als wesentliche theoretische Grundlage. Die nach wie vor allgemein gültigen theoreti- schen Konzepte und Definitionen, basieren überwiegend auf seinen empirischen Untersuchungen in Breslau im Jahre 1997. Angesichts der vielseitigen Veränderungen im Einzelhandel im vergangenen Jahrzehnt, auch vor dem Hintergrund der zunehmen- den Globalisierung und dem Beitritt vieler Transformationsländer in die Europäische Union, lässt sich die Analyse dieser Diplomarbeit thematisch daran sehr gut anknüpfen. Untersuchungen jüngeren Zeitraums, auch speziell in der tschechischen Hauptstadt Prag sind von Dr. Luděk Sýkora, Dozent an der Geographischen Fakultät der Karlsuniversität Prag, in seinen zahlreichen zu finden. Seine ehemalige Kollegin, Carole Pommois, leis- tete durch ihre empirischen Untersuchungen, zum Wandel der Einzelhandelsstrukturen im Zeitraum 1990 bis 2003 in Prag, ebenfalls einen wichtigen Beitrag zur geographi- schen Transformationsforschung im Forschungszweig der Handelsgeographie (vgl. Pommois, 2004).
Veröffentlichungen von Jana Spilková, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Karlsuniversität in Prag tätig ist, bereicherten die Literaturbasis ebenfalls um aktuelle themenrelevante Aspekte.
Daten zur gegenwärtigen Situation auf dem Einzelhandels- und Immobilienmarkt in Tschechien bzw. Prag können nur aktuelle Analysen großer internationaler Beratungs- und Immobilienunternehmen wie etwa „Colliers International“, „King Sturge“, „Jones Lang LaSalle“ oder etwa des Marktforschungsunternehmen GfK4 liefern. Weiterhin diente die Internet-Präsenz der Stadtadministration von Prag5 bezüglich der stadtplane- rischen Konzeptionen auf der räumlichen Ebene als Datenressource. Diplomarbeiten aus themenverwandten Bereichen sowie Berichte aus vergangenen (geographischen) Lehrveranstaltungen in Prag sind ebenfalls als ergänzende Informationsquellen zu Hilfe gezogen worden.
2 Problemhintergrund und Theorie
Zum besseren Verständnis der übergeordneten Zusammenhänge sind genauere Kenn- tnisse theoretischer Hintergründe der bei der Transformation ablaufenden Prozesse notwendig. Zunächst werden allgemeine Definitionen und forschungsleitende Theorien der Transformationsforschung erläutert. Nach der Bestimmung der Einflussfaktoren auf die Einzelhandelsentwicklung in der Transformation, werden wesentliche Unterschiede zwischen plan- und marktwirtschaftlichen Einzelhandelssystemen aufgezeigt und mitei- nander verglichen. Diese Erläuterungen stützen sich aufgrund der dünnen Quellengrundlage hauptsächlich auf die Ausführungen von Pütz (Pütz, 1998).
2.1 Definitionen und Theorien der Transformationsforschung
Der Oberbegriff Systemtransformation wird im Allgemeinen in drei idealtypischen Formen unterschieden, den Systemwandel, den Systemwechsel und den Systemzusam- menbruch.
- Systemwandel: „Politischer Systemwandel bedeutet zunächst einen adaptiven Wandel der politischen Strukturen und Verfahren angesichts einer gewandelten Umwelt. Es ist also die Wiederherstellung einer neuen Stabilität bzw. eines neuen Gleichgewichts in einer alten politischen Ordnung“ (Merkel, 1999: 11).
- Systemwechsel: „Systemwechsel bedeutet dagegen die Auflösung der alten und den Aufbau einer neuen Herrschaftsstruktur“ (ebd.: 11).
- Systemzusammenbruch: Von Systemzusammenbruch spricht man, wenn „das betroffene System nicht nur endgültig seine Identität, sondern in der Regel auch seine Existenz als geschlossene Einheit verliert“ (Sandschneider, 1995: 40).
Merkel definiert die post-kommunistische Transformation als einen:
“[...] Systemwechsel, von der sozialistischen Planwirtschaft zur kapitalistischer Marktwirtschaft. Der Wandel vollzieht sich auf allen Ebenen der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft“ (Merkel, 1999:12).
Der Politikwissenschaftler Mackow bezeichnet die postkommunistische Systemtrans- formation daher als ein "Dilemma der Gleichzeitigkeit" (vgl. Mackow, 2005). Dieser Begriff bringt die Komplexität der miteinander verknüpften Prozesse deutlich zum Ausdruck. Alle Aspekte der wirtschaftlichen sowie gesellschaftlichen Ordnung des Landes werden gleichzeitig verändert mit dem Ziel der Etablierung einer Marktwirt- schaft auf der wirtschaftlichen und der Demokratisierung auf der gesellschaftspoliti- gesellschaftspolitischen Ebene. Jedoch müssen bei der Umsetzung meist Prioritäten ge- setzt werden, was oft den wirtschaftlichen Umgestaltungsprozessen Vorrang gewährt wogegen die Anpassung in anderen gesellschaftlichen Bereichen z.B. Institutionen zeit- lich nachgelagert ist.
O’Donnell und Schmitter (O’Donnell/Schmitter, 1986: 7) haben den Systemwechsel in die Phasen 1. Liberalisierung, 2. Demokratisierung und 3. Konsolidierung unterteilt. Beeinflusst werden sie durch den Charakter des ehemals autoritären Regimes. Dieser recht grobe Ablaufplan muss jedoch durch theoretische Konzepte und eine differenzierte Analyse nach Ursachen, Verlaufsformen, Strategien sowie durch Einbeziehung relevanter Akteure erweitert werden.
2.1.1 System- und Modernisierungstheorien
In Abhängigkeit von der jeweiligen Betrachtungsebene, Ausgangslage des Transforma- tionslandes sowie der gewählten Vorgehensweise versucht die Transformations- forschung anhand von vier wesentlichen Ansätzen den Transformationsprozessen einen theoretischen Rahmen zu geben. Im zeitlichen Verlauf haben sich diese Ansätze er- gänzt, weiter entwickelt und sich neue Aspekte herauskristallisiert. Um die wichtigsten Vertreter der Transformationsforschung sowie die grundlegenden Konzepte darzustel- len, werden in den beiden nachfolgenden Abschnitten die system- und modernisierungstheoretischen (neoklassischen) Ansätze sowie, die Forschungszweige, Akteurstheorien, der Rational Choice sowie religiös-kulturelle Ansätze thematisiert.
Die klassische Systemtheorie von Parsons aus den 60er Jahren überträgt Darwins Evolu- tionstheorie auf die gesellschaftliche Entwicklung und postuliert, dass bestimmte gesellschaftliche Strukturen und Prozesse höhere Niveaus der generellen Anpassungs- kapazität erreichen (können) (vgl. Parsons, 1969:56). Dem zu folge führt, die „langfristige Anpassung“ zu „höheren“ Entwicklungsstufen und Überlebensfähigkeit eines (gesellschaftlichen) Systems. Die Ausbildung „evolutionärer Universalien“ d.h.
„... sozialer Erfindungen, die es Gesellschaften, die sie erfinden oder übernehemen, erlauben mehr Reichtum und Wohlfahrt zu produzieren...“ (Meulemann, 2006:168), wird richtungsweisend für die Weiterentwicklung von Gesellschaften. Es entstehen somit sechs organisatorische Komplexe, mit deren Hilfe der Primitivzustand überwun- den wird (vgl. Parsons, 1969 in: Meulemann, 2006:168):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3 Kausalkette wirtschaftlicher
Entwicklung von Lipset Quelle: Eigene Darstellung nach Merkel, 1999.
1. Soziale Schichtung (Anreiz zur Leistungssteigerung durch materielle Ungleichheit)
2. Kulturelle Legitimierung (Identitätsfindung)
3. Bürokratie (effiziente Organisation der Zusammenarbeit von Menschen)
4. Geld und Markt (Steigerung der wirtschaftlichen Produktion)
5. Normen- und Rechtssysteme (Kalkulierbarkeit und Sicherheit)
6. Demokratie (Legitimität und Effektivität der Politik)
Diese „evolutionären Universalien“ bauen aufeinander auf, sodass Gesellschaften, je nach ihrem individuellen Entwick- lungsstand, als „zurückgeblieben“ oder „fortschrittlich“ eingestuft werden können (vgl. Parsons 1964, in: Meule- mann, 2006:168).
Parsons betrachtet eine Gesellschaft auf der Makroebene, wobei er auf deduktive Art und Weise die Vorbedingungen der Transformation definiert, die nur mit Hilfe der oben be- schriebenen Differenzierung „gesellschaftlicher Uni- versalien“, einer bestimmten Reihenfolge folgend, stattfin- den kann.
Den Weg in die Moderne zeichnet außerdem die Ausdiffe- renzierung der sog. „gesellschaftlichen Teilsysteme“6 - Wirtschaft, Politik, soziale Gemeinschaft und Kultur - aus.
Jedes dieser Teilsysteme beruht auf grundsätzlich unterschiedlichen „basalen Codes“7, die sich im Gegensatz zu „unterentwickelten“ gesellschaftlichen Systemen, nicht über- lagern (vgl. Pütz, 1998:56). Die Weiterentwicklung der Parsonschen Theoreme erfolgte durch Lipset in der Modernisierungstheorie, die ebenfalls auf der Makroebene politi- sche, ökonomische und soziale Strukturen einer Gesellschaft miteinander in Beziehung setzt. Das neoliberale Paradigma8, das eine freiheitliche, marktwirtschaftliche Wirt- schaftsordnung mit den entsprechenden Gestaltungsmerkmalen (z.B. privates Eigentum an den Produktionsmitteln, freie Preisbildung, Wettbewerbs- und Gewerbefreiheit) ans- trebt, staatliche Eingriffe in die Wirtschaft nicht ganz ablehnt, sondern auf ein Minimum beschränken will, bildet den Rahmen für seine Theorie (vgl. BPB, 2009). Lipset leitete als die fundamentale Erfolgsbedingung für die Demokratisierung eines Landes eine Kausalität ab (vgl. Lipset, 1960 in: Merkel, 1999:83 und Abbildung 3). Wirtschaftliche Entwicklung führe demnach nahezu zwangsläufig zur Etablierung de- mokratischer Strukturen bzw. sei die Erfolgsbedingung für Demokratie. Im Umkehrschluss heißt es also, „je entwickelter ein Land wirtschaftlich ist, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass dort eine Diktatur entsteht“ (vgl. Merkel, 1999:84). Wesentliche Effekte des sozioökonomischen Modernisierungsprozesses sind also die Destabilisierung autokratischer Regime, die Ingangsetzung demokratischer Prozesse, Minderung der Klassengegensätze sowie eine Stärkung der Demokratie durch Wirt- schaftswachstum.
Diese theoretischen Inhalte der System- und Modernisierungstheorien fanden Eingang in das Paradigma der politisch neoliberalen Bretton-Woods Institutionen, zu denen der Internationale Währungsfonds (IWF) sowie die Weltbank (IBRD und IDA9) dazugehö- ren. Diese bildeten die währungs- und finanzpolitische Grundlage für den wirtschaftlichen Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg (Schubert, 2006). Darüber hinaus prägten dieselben neoliberalen Konzepte die, von der Weltbank seit den 1980er Jahren verfolgte entwicklungspolitische Strategie des Washingtoner Consensus. In des- sen Mittelpunkt standen Strukturanpassungsprogramme (SAP) und die darauf aufbauenden makroökonomische Reformen zur Überwindung von binnen- und außen- wirtschaftlichen Ungleichgewichten (vgl. Führmann, 2003:10). Die Erfüllung eines 10- Punkte Plans, welcher die Befolgung bestimmter wirtschaftspolitischer Maßnahmen10 zur mittelfristigen Stabilisierung bzw. Transformation einer Ökonomie, vorschrieb, si- cherte dem (Transformations-) Land sog. konditionierte Zahlungsbilanzkredite seitens des IWF und der Weltbank zu, die bei Einhaltung vorgeschriebener finanzpolitischer Maßnahmen des 10-Punkte Plans, ein anhaltendes Wirtschaftswachstum und Verringe- rung der Armut in der Bevölkerung bewirken sollte (vgl. ebd.). Aufgrund der mangeln- mangelnden Berücksichtigung individueller Ausgangssituationen der Entwicklungslän- der, sowohl aus ökonomischer als auch aus kultureller Sicht, sowie der Dominanz ökonomischer Reformen, bei gleichzeitiger Vernachlässigung sozialer Kosten, verlor der „Washingtoner Consensus“ jedoch ab Mitte der 90er Jahre an Zustimmung (vgl. Führmann, 2003:3). Die partielle Umsetzung der modernisierungstheoretischen Para- digmen von Lipset (Demokratisierung durch wirtschaftliches Wachstum) und ihr Geltungsanspruch als Universalmodell für alle Länder der sog. dritten Demokratisie- rungswelle11 stieß mehr und mehr auf Kritik. In ihrer praktischen Anwendung gab es beispielsweise keine Erklärungen für den Zusammenbruch bereits demokratisierter Ge- sellschaften (wie z.B. Deutschland und Österreich in der Zwischenkriegszeit) bzw. die positive wirtschaftliche Entwicklung ohne Etablierung demokratischer Strukturen (Ara- bische Länder, China). Weiterhin werden keine Angaben zu demokratie-förderlichen bzw. hinderlichen Kontexten gegeben sowie zum Zeitpunkt des Beginns der Demokrati- sierung.
Neoklassische Theorien (System- und Modernisierungstheorien) ermitteln somit lediglich günstige bzw. ungünstige Akteurs- und Handlungskonstellationen, die jedoch keineswegs pauschal auf jedes beliebige (Transformations-) Land anzuwenden sind (vgl. Merkel, 1999:87-88).
2.1.2 Kultur- und Akteurstheorien
Die Kritik an der Modernisierungstheorie ließ die Transformationsforschung nach neuen Ansätzen suchen und brachte in den 90er Jahren insbesondere Kultur- und Akteurstheorien wieder in die Diskussion mit ein.
Huntingtons kulturtheoretische Unterteilung der Weltgemeinschaft in insgesamt acht Zivilisationstypen12 liegt die folgende Annahme zu Grunde: „Es gibt nicht nur eine Kul- tur (die westliche), die für die Demokratie allein die geeignete Basis abgibt, sondern es existieren einige religiöse Kulturen, die der Demokratie positiv und andere, die ihr aus- gesprochen skeptisch wenn nicht gar feindlich gegenüberstehen“ (Huntington, 1991 in: Merkel, 1999:96). Der Säkularisierungsgrad (Trennung von Staat und Kirche) einer Gesellschaft spielt, dieser Annahme nach, eine maßgebliche Rolle bei der Demokrati- sierungsfähigkeit eines Landes und begegnet der Kritik der pauschalen Anwendung des modernisierungstheoretischen Universalmodells. Kulturtheoretiker postulieren mehr noch, dass religiös-kulturellen Traditionsbeständen einer Gesellschaft eine wesentlich größere Rolle zukommt als politischen und gesellschaftlichen Institutionen, die mehr oder weniger „austauschbar“ sind (vgl. Merkel, 1999:95). So können Verfassungen, po- litische Institutionen, Parteien und Verbände auch in kurzen Fristen konstruiert werden, jedoch können demokratiestützende Werte und Verhaltensweisen der Gesellschaft nicht „am Reißbrett entworfen“ werden (vgl. ebd.:101).
Aus einer etwas anderen Perspektive betonen die Anhänger der Akteurstheorien die Un- bestimmtheit des politischen Handelns der am Transformationsprozess beteiligten Akteure. Als Akteure werden in diesem Kontext demokratisch oder autokratisch gesinn- te „Eliten“ verstanden, die den Transformationsprozess steuern. Der dynamische Prozess der Anpassung ihrer individuellen Strategien, Präferenzen und Handlungsmög- lichkeiten dominiert die objektiven (vorgegebenen) Strukturen (vgl. Przeworski, 1989, 1991 in: Merkel, 1999:102).
Institutionen, interne Einflüsse, historische Erfahrungen sowie nicht zuletzt auch sozio- ökonomische Strukturen bilden den Handlungsrahmen für das subjektive Handeln, der Kosten und Nutzen maximierenden Akteure (vgl. Merkel, 1999:102-103). Mittels spiel- theoretischer Methoden können so verschiedene Akteurskonstellationen ermittelt und bewertet werden. Der Vorteil gegenüber neoklassischen Theorien (vgl. 2.1.1) liegt in der Möglichkeit Prognosen zu treffen, wie Transformationsprozzese verlaufen könnten sowie in der dynamischen Anpassung der Modelle, was die in der ersten Transformationsphase häufig wechselnden Akteurskonstellationen berücksichtigt. Eine erfolgreiche Transformation ist, aus der akteurstheoretischen Perspektive, somit das Resultat rational handelnder Akteure. Wenn oppositionelle (moderat eingestellte) Kräfte des alten autokratischen Regimes glauben, dass Transformationsprozesse von oben steuerbar sind und ohne erheblichen Aufwand noch vor der eigentlichen Demokratisierung beliebig angehalten werden können (vgl. Merkel, 1999:106). Die strategische Handlungswahl der Eliten ist somit abhängig von ihrer Wahrnehmung der strategischen Absichten anderer Akteure sowie von ihrem individuellen Kosten-Nutzen Kalkül.
Akteurstheorien ergänzen mit ihrer induktiven Herangehensweise die System-, Moder- nisierungs-, und Kulturtheorien. Sie sind jedoch nur ein heuristisches Mittel das ohne eine konkrete Handlungsanalyse (Systemanalyse) nicht funktionieren würde (vgl. ebd.).
Die Beantwortung der Frage nach dem Erfolg der Transformation in der Tschechischen Republik ist mehrdimensional und kann aus unterschiedlichen Akteursperspektiven interpretiert werden. Die Tatsache, dass das Land bereits 15 Jahre nach dem wirt- schaftspolitischen Wandel der Europäischen Union beigetreten ist, spricht jedoch objektiv für das Erreichen der gesetzten Ziele der politischen Eliten am Beginn der Transformation. Die Rahmenbedingungen für diesen Beitritt werden in den nachfolgen- den Abschnitten skizziert.
2.2 Ökonomische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen der Transformation
Ein signifikantes Merkmal von Transformationsprozessen ist die zeitweilige „Verflüssi- gung von Institutionen und Normen“ (Merkel, 1999:109), ein Zustand der Unbestimmtheit über die zukünftigen Strukturen und Handlungsstrategien der beteilig- ten Akteure. Daher sollen im Folgenden, unter der Berücksichtigung der theoretischen Grundlagen aus den vorangegangenen Abschnitten, Aspekte des ökonomischen und ge- sellschaftlichen Wandels in der Transformation und ihren Einfluss auf den Einzelhandelssektor näher beleuchtet werden. Einführend werden die wesentlichen Ver- änderungen in der tschechischen Wirtschaft im Allgemeinen dargestellt, wobei insbesondere die Privatisierung und Kommerzialisierung des Prager Immobilien- und Bodenmarktes betrachtet werden. Anschließend werden Aspekte des gesellschaftlichen Wandels skizziert. Der Fokus liegt auf den institutionellen, sozioökonomischen und demographischen Veränderungen im Verlauf der Transformation, wobei auch Verglei- che zu anderen mittel- und osteuropäischen Transformationsländern gezogen werden.
2.2.1 Wirtschaftliche Veränderungen in der Tschechischen Republik
Die ökonomische Ausgangslage mittel- und osteuropäischer Transformationsländer war durch Jahrzehnte lange zentralstaatliche politische und ökonomische Strukturen geprägt. Die als das „Tschechische Modell“ bekannt gewordene Transformationsstrategie des tschechischen Finanzministers Vacláv Klaus bedeutete für die Tschechische Republik eine rasche Einführung der Marktwirtschaft im Zuge der Transformation. Eine, im Ver- gleich zu anderen Transformationsländern, relativ stabile Ausgangslage mit einer, im Verhältnis zum Lohnniveau, hoher Arbeitsproduktivität, einem ausgeglichenen Staats- haushalt und geringer Auslandsverschuldung bildeten gute Voraussetzungen für die neoliberalen Reformen (vgl. 2.1.1). Nach der Umsetzung erster Maßnahmen wie der Li- beralisierung der Preise und des Außenhandels sowie einer restriktiven Fiskalpolitik,
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4 BIP Veränderung in Prozent im Vergleich zum Vorjahr
Quelle: Eigene modifizierte Darstellung nach Kupsch, 2003:32 und Bfai, 2008.
zur Senkung der Inflationsrate, begann das BIP ab 1993 deutlich zu wachsen (vgl. Larischova, 1998:8 und Abbildung 4). Jedoch zeigte die Entwicklung des BIP im Jahr 1997, mit einem deutlich geringeren Wachstum im Vergleich zum Vorjahr, dass sich Tschechien in einer Wachstumspause befand. Die Rezession in den Jahren 1997 bis 1999, die unter anderem durch verzögerte Strukturreformen im Finanzsektor bedingt war, schwächte die tschechische Wirtschaft und ihre anfängliche Wachstumsdynamik. Nach 2000 stabilisierte sich jedoch die wirtschaftliche Lage und es konnte erneut ein hohes jährliches Wachstum von 1,9 bis 6,8% im Zeitraum 2000 bis 2009 erreicht wer- den (vgl. Bfai, 2008).
Die Reformen zur Liberalisierung des Außenhandels bedeuteten u.a. einen Wechsel der Handelspartner. Zu den neuen wichtigen Import- und Exportländern aus dem westlichen Ausland zählten nun vor allem Deutschland (ca. 30%), Österreich (4%), Italien (ca. 5%) und Großbritannien.
Diese Reformen signalisierten aber auch eine Erneuerung der wirtschaftlichen Bezie- hungen zu den angrenzenden Transformationsländern Polen, Ungarn und Slowakei (vgl. Bfai, 2008). Die Öffnung der Wirtschaft nach Außen verstärkte insgesamt den Trans- formationsdruck u.a. auch auf mikroökonomischer Ebene, da tschechische Unternehmen den Qualitätsanforderungen sowie dem nun globalen Wettbewerbsdruck, den westliche Unternehmen erzeugten, entgegenhalten mussten (vgl. Larischova, 1998:9).
Als wichtigster Angelpunkt des neoliberalen Transformationskonzepts galt die Privati- sierungsreform, die ehemals staatliches Eigentum in privates Eigentum überführen sollte. Die schrittweise Privatisierung zunächst der klein- und mittelständischen Unter- nehmen (sog. „kleine Privatisierung“) und nachfolgend der großen Staatsbetriebe in der „großen Privatisierung“ (vgl. 2.2.3) bedeutete insbesondere für den Dienstleistungssek- tor eine verstärkte Expansion, da dieser in den überindustrialisieren Wirtschaften planwirtschaftlicher Systeme eher unbedeutend gewesen ist. So stieg der Anteil des Banken- und Finanzsektors an der Bruttowertschöpfung von nur 1% (1991) auf 5% (1998) und die Beschäftigungszunahme betrug sogar 57,6%. Die Beschäftigung im Be- reich der unternehmensbezogenen Dienstleistungen sowie im öffentlichen Sektor stieg im gleichen Zeitraum ebenfalls deutlich an (8,3% und 6,5%). Gleichzeitig sank der An- teil der im Industriesektor Beschäftigten auf nur noch 21,4% (vgl. Kupsch, 2003:37).
Insgesamt gesehen weist die wirtschaftliche Struktur der tschechischen Volkswirtschaft inzwischen eine für westliche Industriestaaten typische Struktur auf. Der tertiäre Sektor, der mit ca. 68% am BIP die Wirtschaft dominiert, weist vor allem in den Branchen Handel und Finanzen konstant hohe Wachstumsraten von über 10% auf. Aber auch der sekundäre Sektor mit 29% des BIP verzeichnet positive Wachstumszahlen, wobei die Spezialisierung auf die Maschinen- und Automobilindustrien die Struktur dieses Sektors dominiert. Der Agrarsektor mit nur 2,4% hingegen verzeichnet negative Wachstumsraten und verliert mehr und mehr an Gewicht (vgl. Bfai, 2008).
Mit der zunehmenden Bedeutung des tertiären Sektors, erlebte insbesondere der Einzel- handelsmarkt eine deutliche Expansion. Durch die Privatisierungsreform fanden vermehrt Unternehmensneugründungen statt und es entstanden privatisierte, ehemals staatliche, Betriebe. Im Folgenden Abschnitt liegt der Fokus auf den tschechischen Pri- vatisierungsreformen sowie der Kommerzialisierung des Prager Immobilien- und Bodenmarktes, da diese unmittelbar an die weitere Entwicklung des Einzelhandels ank- nüpfen.
2.2.2 Privatisierung und Kommerzialisierung des Prager Immobilien- und Bodenmarktes
Die außergewöhnlich stringenten Privatisierungsreformen in der Tschechischen Repub- lik ab 1990 können in insgesamt drei Phasen unterteilt werden- (1) Restitution, (2) kleine und (3) große Privatisierung. “Betrachtet man den Privatisierungsverlauf, so sind im Wesentlichen zwei Modi der Privatisierung erkennbar, die das Ministerium für Privatisierung vorgab: Demnach sollten 60% des zu privatisierenden Staatsbesitzes frei verteilt werden (40% über das Voucherverfahren und die restlichen 20% durch kosten- lose Übertragung an die jeweiligen Gemeinden), die übrigen 40% sollten verkauft werden“ (Eckert, 2008:215). Mittels der Coupons (=Voucher) sollte somit die gesamte tschechische Bevölkerung an der Entstaatlichung der Wirtschaft Teil haben können. Je- doch stellte sich diese bald als „Scheinprivatisierung“ heraus, wobei (halb-)staatliche Banken schnell wieder Kontrolle, über den Ankauf „bürgerlicher“ Coupons, erhielten (vgl. Franzen, 2005:46).
Eine Besonderheit der tschechischen Reformen war die Re-Privatisierung bzw. Restitu- tion des vor 1955 enteigneten Privatbesitzes in Form von meist kleingewerblichen Einheiten wie Läden und Restaurants, die an ihre Besitzer bzw. deren Nachkommen unentgeltlich zurückgegeben wurden. Angesichts des geringen Kapitalstocks der Bevöl- kerung wurde der Erwerb gewerblicher Einheiten bei staatlichen Versteigerungsauktionen durch einen Methodenmix (z.B. Kreditfinanzierung oder Ver- pachtung) beschleunigt. Bereits bis 1992 entstanden in diesem beschleunigten Privatisierungstempo über 100.000 kleinere Betriebe - hauptsächlich aus den Branchen des Einzelhandels, der Gastronomie und des Handwerks (vgl. Eckert, 2008:216). Allein in der Hauptstadt Prag wurden 2.500 Ladengeschäfte, Hotels, Restaurants zwischen 1991 und 1994 privatisiert. Dabei spielte die räumliche Lage des jeweiligen Objektes die entscheidende Rolle bei dem erreichten Versteigerungspreis. Die im historischen Stadtzentrum gelegenen Objekte konnten bis zu 30 Mal höhere Verkaufserlöse erzielen als gleichwertige Flächen am Stadtrand (vgl. Sýkora, 1999:82). Bereits zu Beginn der Privatisierung wurde die Mietpreisbindung für ausländische Investoren aufgehoben und ab 1991 bestimmte allein das Nachfrage-Angebot Prinzip die Mietpreisbildung für kommerziell genutzte Flächen in Prag. Allerdings war der Erwerb von Grundstücken bzw. Bestandsimmobilien durch ausländische Gesellschaften oder Privatpersonen nur eingeschränkt möglich, da eine „Überfremdung der tschechischen Wirtschaft“ (vgl. Franzen, 2005:46) befürchtet wurde. Voraussetzung für den Erwerb war der Besitz der tschechischen Staatsangehörigkeit, ein langfristiges Bleiberecht oder die Verwandschaft ersten Grades mit tschechischen Staatsbürgern (vgl. Kupsch, 2006:73). Erst Ende der 90er Jahre wurden die gesetzlichen Bestimmungen gelockert und korrigiert.
Die durch Privatisierung im Einzelhandelssektor verstärkte Kommerzialisierung und die damit einhergehende „nachholende Citybildung“ betraf an erster Stelle das historische Stadtzentrum Prags - Nové und Staré Město. Diese bedeutete einen stetig steigenden Flächenbedarf für Büros, Einzelhandel und Gewerbe bei einer gleichzeitigen Verdrängung der Wohnfunktion sowie einer Nachverdichtung der Bebauungsstruktur (z.B. durch zusätzliche Bebauung der Innenhöfe) in der Altstadt. Die Nachfrage nach (modernen) Büro- und Einzelhandelsflächen wurde bedingt durch expandierende ausländische Unternehmen für die die Prager Altstadt an Attraktivität als Standort für den Unternehmenssitz gewann und den Wachstum des tschechischen Banken- und Finanzsektors (vgl. Sýkora, 1999:83).
Der wachsenden Nachfrage stand jedoch nur ein begrenztes Angebot gegenüber, da zum Einen die gesamte Prager Altstadt ab 1993 dem UNESCO Weltkulturerbe angehört und als solches weder zerstört noch wesentlich verändert werden darf. Zum Anderen bestand aus diesem Grund ein Diskurs zwischen dem Neubau von modernen Objekten und dem Erhalt historischer Bausubstanz. Die Stadtadministration zählte damals eher zu den Befürwortern der Kommerzialisierung und tolerierte den Nicht-Einhalt von Baubestimmungen zum Schutz des historischen Baubestands bzw. Stadtbildes (z.B. das Myslbek Haus in Na Přikopé, Vier-Jahreszeiten Hotel an der Karlsbrücke).
„The decisions of the central government as well as local politicians have been grounded in a neo-liberal approach, which has seen the free, unregulated market as the only mechanism of allocation of resources, that would generate a wealthy, economically efficient and socially just system” (Sýkora, 1999:82). Die distanzierte Haltung der Stadtadministration in Bezug auf die Regulierung des dynamischen (Immobilien-) Marktes und die mangelnde Kompetenz dieser Akteursgruppe sind Kennzeichen des transformationsspezifischen institutionellen Umbaus.
2.2.3 Institutioneller Umbau
“Die Institutionenökonomik unterscheidet zwischen formellen Institutionen, etwa in Gestalt politischer, rechtlicher und wirtschaftlicher Regeln, und informellen Institutionen wie Verhaltenskodizes, Sitten und Gebräuche sowie Konditionen“ (Franzen, 2005:119). Dabei steht zum Einen der Einfluss des kollektiven Handelns auf das Verhalten einzelner Wirtschaftssubjekte und zum Anderen die Interaktion von formellen Regeln und informellen Normen im Fokus der Betrachtung (vgl. ebd.:118).
Der institutionelle Umbau, der einen Wandel der Entscheidungsgrundlagen (=Regeln) und Handlungsfreiheiten (=informellen Institutionen) auf politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene bedeutet, kann Probleme der Inkompatibilität mit sich bringen.
Die Neustrukturierung der Beziehungsgeflechte sowie Hierarchien unter den beteiligten Akteuren im Einzelhandel führte zu neuartigen Interaktionsformen, wobei folgende institutionelle Reformen dafür maßgeblich waren (vgl. Pütz, 1998:67):
1. Wiedereinführung des Marktmechnismus
2. Liberalisierung unternehmerischer Aktivitäten
3. Wiederherstellung privater Eigentums- und Verfügungsrechte durch Privatisierung
4. Liberalisierung der Boden- und Immobilienmärkte
5. Dezentralisierung staatlicher Macht durch Einführung kommunaler Verwaltungen
6. Aufbau „neuer“, an marktwirtschaftliche Gegebenheiten angepassten, Verwal- tungsinstitutionen (Privatisierungsorganisationen, Planungsbehörden, Unternehmensverbände)
Die Reform-Punkte eins bis vier sind weitgehend in den vorangegangenen Abschnitten erläutert worden. Zentral sind für den institutionellen Umbau jedoch der Aufbau und die Einführung von neuen formellen Institutionen, die „ [...] die Unsicherheit auf anonymen Märkten und die Transaktionskosten (unter den Wirtschaftssubjekten) reduzieren“ (vgl. Franzen, 2005:118). Aufgrund von einer verzögerten Anpassung der neuen Verwal- tungsinstitutionen an reale Gegebenheiten, der fehlenden Erfahrung und Kompetenz kommt es zur Ausbildung sog. „institutioneller Lücken“. Dieses transformationstypi- sche Phänomen bedeutet eine Neuverteilung der Kompetenzen und eine erneute Formierung von Organisationen. Diese Prozesse führen u.a. zu informellen Entwicklun- gen (z.B. in Form von Schattenwirtschaft und Korruption), die meist auf ein mangelnmangelndes Vertrauen bzw. eingeschränkte Attraktivität in die neuen formellen Institutionen zurückgehen. Die Mehrdimensionalität der Reformen und ihre unterschiedlichen räumlichen Ebenen (makro- vs. mikro-ökonomische Handlungsstrategien) erschweren den Umbauprozess zusätzlich (vgl. Pütz, 1998:68).
Der institutionelle Umbau ist jedoch nur ein Aspekt des gesamtgesellschaftlichen Wandels im Transformationsprozess. Um das Bild der während der Transformation ablaufenden Veränderungsprozesse zu vervollständigen, sollen aus diesem Grund im nächsten Abschnitt die sozioökonomischen und demographischen Veränderungen in der tschechischen Republik dargestellt werden.
2.2.4 Sozioökonomische und demographische Veränderungen
Die politische Elite hat die Transformation vor allem aus ökonomischer Sicht betrach- tet, wobei sie den gesellschaftlichen Aspekten zu wenig Aufmerksamkeit zuwendete (vgl. Larischova, 1998:11). Neben den Reformen zum institionellen Wandel, deren Erfolge bzw. Misserfolge aus langfristiger Perspektive zu erwarten waren, mussten demographische und sozioökonomische Probleme auch kurzfristig angegangen werden. Das sog. „Tal der Tränen“ war durch die Auswirkungen wirtschaftlicher Reformen wie z.B. steigende Arbeitslosigkeit, Einkommensrückgänge, drastische Preissteigerungen (Hyperinflation) - im Großen und Ganzen eine allgemeine Verschlechterung der Lebensverhältnisse der ganzen Bevölkerung - gekennzeichnet. Im Zeitraum 1990 bis etwa 1994 sanken die Nettolöhne in Polen, Tschechien und Ungarn um bis zu 30% im Vergleich zum Jahr 1989. Danach begannen diese wieder stetig zu wachsen und erreichten spätestens ab 2000 das Niveau von 1989 (vgl. Abbildung 5). In Tschechien wirkten sich die transformationsbedingten Einbußen weniger stark aus als in anderen mittel- und osteuropäischen Staaten. Grund dafür war die bereits in 2.2.1 erwähnte rela- tiv stabile Ausgangslage der Wirtschaft. Der tschechische Human Development Index (HDI), eine Kombination aus Lebenserwartung, Bildung und Lebensstandard, war im Zeitraum 1990 bis 2000 durchgehend höher (d.h. besser) als in den anderen Transfor- mationsländern wie Polen, Ungarn und der Ukraine (vgl. Abbildung 6).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5 Nettolohnentwicklung in den Ländern Polen, Tschechien, Ungarn 1989-2002 (indiziert: 1989=100)
Quelle: Eigene Darstellung nach Franzen, 2005:75.
Die Lebenserwartung - d.h. die demographische Komponente des HDI - bildet die be- völkerungsstrukturellen Veränderungen ab. Sie ist ein zentraler Indikator der Lebens- und Gesundheitsbedingungen in einem Land. In Tschechien stieg diese im gesamten Verlauf der Transformation kontinuierlich auf 72,1 Jahre (bei Männern) an, wogegen diese z.B. in der Ukraine und in Russland auf 60 bzw. 58 Jahre insbesondere in den 90er
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 6 Human Development Index 1990-2000
Quelle: Eigene Darstellung nach Franzen, 2005:117.
Jahren gesunken ist (vgl. Franzen, 2005:97). Die natürliche Bevölkerungsveränderung13 betrug ab 1995 konstant ca. -2%. Im Vergleich zu Polen (0-1%) und Ungarn (-4%) liegt Tschechien somit im Mittelfeld (vgl. Franzen, 2005:94).
Insgesamt war die demographische Entwicklung in den Visegräd Staaten14 weniger dramatisch als z.B. in der Ukraine oder in Russland, wo die Veränderungen während der ersten Transformationsjahre ernsthafte und nachhaltige Probleme mit sich brachten. Ähnlich verhält es sich mit der sozioökonomischen Lage, die durch den sog. Gini- Koeffizienten wiedergegeben werden kann, der die Einkommensverteilung in der Be- völkerung misst15. Tschechien und Ungarn zeigen eine deutlich gleichmäßigere Verteilung der Einkommen in der Bevölkerung als dies in Polen, Russland und der Uk- raine der Fall ist, wo aufgrund der starken Einkommensdifferenzierung der Verarmungsgrad deutlich höher ist.
Trotz zahlreicher wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Veränderungen im Verlauf der Transformation stabilisierte sich die Lage in der Tschechischen Republik ab dem Jahr- tausendwechsel. Jedoch löste sich die anfängliche Euphorie bei vielen ab durch aufkommende Zukunftsängste und Unsicherheitsgefühle (vgl. Franzen, 2005:175). Das Vertrauen in die Reformen und die neuen formellen und informelle Institutionen wie Rechtstaatlichkeit, Eigentumsrechte oder Preisfreiheit, zivilgesellschaftliche Vereini- gungen und politische Partizipation, müssen sich in der Gesellschaft noch konsolidieren.
2.3 Einflussfaktoren auf den Einzelhandel in der Plan- und Marktwirtschaft
Die folgenden Abschnitte widmen sich der Darstellung und dem Vergleich von Einzel- handelssystemen in den Plan- und Marktwirtschaften. Diese Gegenüberstellung ist sinnvoll, um die markanten Unterschiede deutlich zu machen und den Transformations- bedarf bzw. das Transformationspotential im Verlauf der Analyse des Prager Einzel- handels zu veranschaulichen. Abschließend werden die allgemeinen Rahmenbe- Rahmenbedingungen sowie der Einfluss gesellschaftlicher Teilsysteme auf die Einzel- handelsentwicklung und die Standortstruktur übersichtlich tabellarisch dargestellt.
2.3.1 Merkmale des Einzelhandels in marktwirtschaftlichen Systemen
Der Einzelhandel in marktwirtschaftlichen Systemen unterlag in den vergangenen Jahr- zehnten, nicht zuletzt als Folge zunehmender Globalisierung, einem ständigen Wandlungsprozess, der die Struktur und Entwicklung von Einzelhandelsstandorten be- deutend veränderte. Zentrale Einflussfaktoren können grob in drei Gruppen gegliedert werden. Die Angebotsseite (Unternehmen und Betriebe des Einzelhandels), die Kon- sumenten auf der Nachfrageseite sowie staatliche und politische Institutionen (vgl. Abbildung 7).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 7 Modell standortrelevanter Einflussfaktoren im Einzelhandel marktwirtschaftlicher Systeme
Quelle: Eigene modifizierte Darstellung nach Pütz, 1998:12.
Diese Akteursgruppen werden ihrerseits durch jeweils spezifische Zielsetzungen und Verhaltensweisen gekennzeichnet. Wesentliche Elemente, des als „Handel im Wandel“ (vgl. Heinritz, 2003) bezeichneten Entwicklungsprozesses, sind im veränderten Handeln dieser Akteure erkennbar. Auf der Angebotsseite fand seit den 70er Jahren eine stetige Vergrößerung der Verkaufsfläche, rückläufige Betriebszahlen und Unternehmenskon- zentrationen statt (vgl. ebd.:88 und Anhang C). Traditionelle, privat geführte Kleinläden in Streulagen16
[...]
1 Mehr dazu z.B. in: Werlen, B. (1987).
2 Synonym werden die Begriffe Developerunternehmen, Projektentwicklungsunternehmen und Projektentwickler verwendet.
3 Synonym werden in Text die Begriffe Akteure bzw. Akteursguppen verwendet 4
4 GfK - Gesellschaft für Konsumforschung, www.gfk.com
5 www.magistrat.praha-mesto.cz
6 auch Funktionssystem
7 Der „basale Code“ der Ökonomie beispielsweise, beruht auf Zahlungen, die Rationalität im Umgang mit knappen Gütern garantieren. Wenn dieser Code von einem anderen z.B. dem politischen überlagert wird führt dies zur Effizienzminderung der Ökonomie. Im kommunistischen System wurden alle Teilsysteme dem politischen Code unterstellt, was schließlich zum Systemzusammenbruch führte (vgl. Pütz, 1998).
8 Die Ideen des Neoliberalismus, dessen führender Vertreter in Deutschland Walter Eucken (*1891, †1950) war, basieren zum großen Teil auf den negativen Erfahrungen mit dem ungezügelten Libera- lismus des Laissez-faire im 19. Jahrhundert, als der Staat die Wirtschaft komplett dem freien Spiel der Marktkräfte überließ. Staatliche Eingriffe in die Wirtschaft sind deshalb aus Sicht des Neoliberalismus dann gerechtfertigt und notwendig, wenn sie z.B. das Marktgeschehen fördern und die Bildung von Monopolen oder Kartellel verhindern, Konjunkturschwankungen ausgleichen oder dem sozialen Aus gleich dienen (www.bpb.de).
9 “International Bank for Restruction and Development” und “International Development Association”
10 Fiskaldisziplin, Umorientierung der öffentlichen Ausgaben, Steuerreform, Liberalisierung der Zinsraten Kompetitiver Wechselkurs, Handelsliberalisierung, Liberalisierung von Auslandsdirektinvestitionen (FDI), Deregulierung der Handelsmärkte, Eigentumsrechte (Privatisierungsreformen) (vgl. Rühling, 2004).
11 Huntington unterscheidet insgesamt drei Demokratisierungswellen, (die allerdings von s.g. „reverse waves“ unterbrochen wurden), die Erste 1828-1932 (USA, Frankreich, England, Schweiz, Italien, Ar-gentinien), die Zweite 1943-1962 (mehrere west-europäische und süd-amerikanische Länder), die Dritte 1974-1990 (Portugal, Indien, Lateinamerika, einige südostasiatische Staaten, Ostblockstaaten) ( dazu: Huntington, 1993:17-23).
12 Westliche, Lateinamerikanische, Japanische, Slavisch-ortodoxe, Hinduistische, Afrikanische, Konfu- zianische und Islamische Kulturen.
13 Geborene minus Gestorbene pro 1.000 Einwohner
14 Mitteleuropäisches Freihandelsabkommen welches die Staaten Polen, Ungarn, Tschechien 1991 im ungarischen Vesegräd unterschieben haben. Ziel des Abkommens ist der schrittweise Zollabbau unter den Mitgliedstaaten bis zum Jahr 2001 und die Koordinierung ihrer Politik hinsichtlich ihres angestreb ten Beitritts zur Europäischen Union und NATO (vgl. Wirtschaftslexikon, 2009).
15 Der Koeffizient variiert zwischen 0 (vollkommene Gleichverteilung des gesamtwirtschaftlichen Reale einkommens) und 1 (vollkommene Ungleichheit der Einkommensverteilung Eine Person hat das gesamte Einkommen, die anderen haben nichts). Graphisch kann der Koeffizient als diejenige Fläche zwischen der Lorenzkurve und der Gleichverteilungskurve dargestellt warden (vgl. Weltbank, 2009).
16 Bereiche, die nicht mehr als Einkaufslagen abgegrenzt werden können. Einzelläden, separierte Läden ohne durchgängige fußläufige Verbindungswege; keine Passantenfrequnzen (vgl. Anhang C).
- Quote paper
- Paulina Holbreich (Author), 2009, Prager Einzelhandel im Transformationsprozess , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/143141
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