„Die Hexenprozesse waren eine der schlimmsten von Menschenhand angerichteten Katastrophen der europäischen Geschichte“1, wie Wolfgang Behringer und Günter Jerouschek jüngst konstatierten. Tatsächlich war die europäische Hexenverfolgung ein einschneidendes historisches Ereignis, das sich vom 15. bis in das 18. Jahrhundert erstreckte. Die Hexenforschung zählt nach wie vor zu den populärsten Themen innerhalb der Geschichtswissenschaft und auch außerhalb des wissenschaftlichen Diskurses herrscht ein großes Interesse an ihrem Gegenstand. Aufgrund dieser Popularität ist eine kaum überschaubare Fülle an Literatur entstanden. Viele Thesen älterer Arbeiten gelten allerdings heute als überholt, so werden monokausale Erklärungsansätze für die Entstehung der Hexenverfolgung revidiert und vereinfachende, romantisierende und ideologisch gefärbte Darstellungen kritisiert. In den letzten Jahren sind im Rahmen dieses Prozesses einige verdienstvolle Überblickswerke publiziert worden, wie etwa der Forschungsbericht von Walter Rummel und Rita Voltmer2. Die Hexenforschung ist dabei vorwiegend archivalisch orientiert; als Quellen dienen vor allem überlieferte Protokolle aus Hexenprozessen. Im Vergleich dazu sind wissenschaftliche Abhandlungen zeitgenössischer Hexentheoretiker, abgesehen von Heinrich Kramers Malleus Malleficarum, wenig erforscht. Ihnen wird eine geringere Bedeutung zugewiesen, da sie „keine objektiven Berichte, keine direkten Abbilder von Realität“3 darstellen. Jedoch ist in Frage zu stellen, ob dieses Kriterium für die Prozessakten oder für schriftliche Überlieferungen im Allgemeinen zutrifft. Ein weiterer Grund für die Vernachlässigung der Hexentraktate dürfte der Aufwand sein, der damit verbunden ist, diese sehr umfangreichen und zum Teil schwer verständlich formulierten Abhandlungen auszuwerten.
Gliederung
1. Einleitung
2. Eckdaten der europäischen Hexenverfolgung
3. Verbreitung und Popularisierung der Hexenidee
4. Die Entstehung des elaborierten Hexereibegriffs
5. Imagination des menschlichen Fluges
5.1 Flugvorstellungen bis in das 15. Jahrhundert
5.2 Der Hexenflug in den dämonologischen Traktaten
5.2.1 Heinrich Kramer: Malleus Maleficarum
5.2.2 Jean Bodin: De la D é monomanie des Sorciers
5.2.3 Peter Binsfeld: Tractatus de confessionibus maleficorum et sagarum
5.2.4 Nicolas Rémy: Daemonolatria
5.2.5 Martín Antoine Delrío: Disquisitionum magicarum libri sex
6. Fazit
7. Bibliographie
1. Einleitung
„Die Hexenprozesse waren eine der schlimmsten von Menschenhand angerichteten Katastrophen der europäischen Geschichte“1, wie Wolfgang Behringer und Günter Jerouschek jüngst konstatierten. Tatsächlich war die europäische Hexenverfolgung ein einschneidendes historisches Ereignis, das sich vom 15. bis in das 18. Jahrhundert erstreckte. Die Hexenforschung zählt nach wie vor zu den populärsten Themen innerhalb der Geschichtswissenschaft und auch außerhalb des wissenschaftlichen Diskurses herrscht ein großes Interesse an ihrem Gegenstand. Aufgrund dieser Popularität ist eine kaum überschaubare Fülle an Literatur entstanden. Viele Thesen älterer Arbeiten gelten allerdings heute als überholt, so werden monokausale Erklärungsansätze für die Entstehung der Hexenverfolgung revidiert und vereinfachende, romantisierende und ideologisch gefärbte Darstellungen kritisiert. In den letzten Jahren sind im Rahmen dieses Prozesses einige verdienstvolle Überblickswerke publiziert worden, wie etwa der Forschungsbericht von Walter Rummel und Rita Voltmer2. Die Hexenforschung ist dabei vorwiegend archivalisch orientiert; als Quellen dienen vor allem überlieferte Protokolle aus Hexenprozessen. Im Vergleich dazu sind wissenschaftliche Abhandlungen zeitgenössischer Hexentheoretiker, abgesehen von Heinrich Kramers Malleus Malleficarum, wenig erforscht. Ihnen wird eine geringere Bedeutung zugewiesen, da sie „keine objektiven Berichte, keine direkten Abbilder von Realität“3 darstellen. Jedoch ist in Frage zu stellen, ob dieses Kriterium für die Prozessakten oder für schriftliche Überlieferungen im Allgemeinen zutrifft. Ein weiterer Grund für die Vernachlässigung der Hexentraktate dürfte der Aufwand sein, der damit verbunden ist, diese sehr umfangreichen und zum Teil schwer verständlich formulierten Abhandlungen auszuwerten.4 Aus kulturgeschichtlicher Perspektive jedoch sind diese Schriften von großer Bedeutung, da sie den Diskurs über das Hexenwesen, wenn auch nur „die offiziell sanktionierte, durch obrigkeitliche Zensur kontrollierte, verfolgungsbefürwortende Hauptrichtung des Hexereidiskurses“5, festhalten. Die Hexenverfolgung beruht auf einer spezifischen, diskursiv erzeugten Vorstellung von Hexen, und an den Traktaten lässt sich festmachen, wie das Konzept ‚Hexe‘ konstruiert und medial inszeniert wurde. Der dekonstruktivistische Ansatz der Kulturgeschichte fragt nach dem Ursprung solcher spezifischer Konzepte, den Rahmenbedingungen und der Art und Weise, wie sie konstruiert wurden, sowie dem Grad der Rezeption und Akzeptanz. Die Hexentraktate geben zudem Aufschluss darüber, dass die theologisch begründete Hexenidee durchaus nicht auf uneingeschränkte Akzeptanz stieß, was polemische Reaktionen auf skeptische Einwände zeigen.
Bei der Untersuchung der Hexentraktate ist nicht nur von Interesse, wie das Delikt der Hexerei imaginiert und dargestellt wurde, sondern wie gerade diejenigen Elemente der Hexereivorstellung, die aus heutiger Sicht unvorstellbar sind, wie der magische Flug, der geschlechtliche Verkehr zwischen Hexen und Dämonen oder die Verwandlung von Menschen in Tiere, begründet wurden. In der vorliegenden Arbeit soll die Darstellung sowie die theologisch-wissenschaftliche Begründung des Hexenfluges exemplarisch analysiert werden. Als Quellen dienen dabei neben Heinrich Kramers Malleus Malleficarum von 1486, die rund ein Jahrhundert später verfassten Trakte De la D é monomanie des Sorciers (1580) von Jean Bodin, Peter Binsfelds Tractatus de confessionibus maleficorum et sagarum (1591), Nicolas Rémys Daemonolatria (1598) und die Disquisitionum magicarum libri sex (1599) von Martín Delrío. Diese Traktate gelten als Schlüsseltexte der frühneuzeitlichen Hexenlehre6 und haben maßgeblich zu der Verbreitung des Hexereikonzeptes beigetragen.
Für das Verständnis ist es zunächst notwendig, die Thematik in den historischen Kontext einzuordnen und die Eckdaten der europäischen Hexenverfolgung zu skizzieren. Anschließend soll dargestellt werden, wie die Hexereivorstellung nicht nur durch die Traktate sondern allgemein durch Medien, sowie spezifische Institutionen und Akteure verbreitet und popularisiert wurde. Ausgehend davon ist dieses Konzept der Hexerei zu dekonstruieren und es wird aufgezeigt, worin es besteht, aus welchen Elementen es sich zusammensetzt und unter welchen Bedingungen es entstanden ist. Schließlich soll der Hexenflug als Teil dieses Konzepts herausgegriffen und, vor dem Hintergrund einer kurz skizzierten Geschichte der Flugvorstellungen im europäischen Volksglauben hinsichtlich der spezifischen Darstellung und theologisch- wissenschaftlichen Begründung analysiert werden.
2. Eckdaten der europäischen Hexenverfolgung
Die europäische Hexenverfolgung war eine geschichtliche Katastrophe von enormem Ausmaß. Zwar mussten Angaben von mehreren Millionen getöteten Hexen, die auf der fehlerhaften Hochrechnung des Quedlinburger Stadtarchivars Gottfried Christian Voigt aus dem 18. Jahrhundert beruhen und in vielen populärwissenschaftlichen Publikationen übernommen wurden, revidiert werden, doch geht die heutige Hexenforschung von etwa
60.000 Hinrichtungen vermeintlicher Hexen in Europa zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert aus.7 Aufgrund der Quellenlage können keine genaueren Hinrichtungszahlen ermittelt werden. Auch stellt sich bei der Erstellung von Statistiken das Problem der Abgrenzung von Hexenprozessen im eigentlichen Sinne zu Prozessen wegen ähnlicher Vorwürfe wie Schadenszauber, die es bereits vor der Herausbildung des elaborierten Hexereibegriffes gab.8 Das historische Phänomen der Hexenverfolgung erstreckte sich über weite Teile des Kontinents, in den meisten europäischen Territorien fanden im Zeitraum zwischen dem 15. und dem 18. Jahrhundert Verfolgungen statt9, wobei sich auch hier die definitorische Frage stellt, ob der Begriff auf alle Verfahren angewendet werden kann, da sie nicht immer alle Elemente des Sammelbegriffs ‚Hexe‘ enthalten.
Die Hexenverfolgungen in Europa verliefen nicht in allen Regionen gleichzeitig, genauso wenig kontinuierlich. Regionale Hochkonjunkturen wechselten sich ab mit Phasen geringerer Verfolgungstätigkeit. Die ersten Prozesse gegen Hexen fanden bereits im frühen 15. Jahrhundert statt, 1419 kann der Begriff ‚Hexe‘ zum ersten Mal in deutschsprachigen Gerichtstexten nachgewiesen werden.10 Generell wird ein Anstieg der Verfolgungen nach 1420 verzeichnet und ein Rückgang im Zeitraum zwischen 1520 und 1560. Ab 1560 stiegen die Verfolgungen wieder an, und erreichten ein erheblich größeres Ausmaß als je zuvor, wobei in den Jahrzehnten zwischen 1580 und 1650 ein absoluter Höhepunkt hinsichtlich der Hinrichtungszahlen erreicht wurde. Danach sanken die Zahlen allmählich, bis im 18. Jahrhundert schließlich das Ende der Verfolgungen erreicht wurde.
Die ersten Hexenverfolgungen fanden in den Gebieten rund um den Genfer See statt, wo auch die Hexenvorstellung ‚erfunden‘ wurde. Ausgehend von der Alpenregion verbreitete sich die Idee von Hexen, und somit auch deren Verfolgung, entlang der Handelsrouten in die übrigen Territorien Europas.11 In osteuropäischen Gebieten setzte die Verfolgung später ein, kam aber auch erst später zum Erliegen. Neben zeitlichen Verschiebungen innerhalb der europäischen Hexenverfolgung gab es auch geographische Differenzen. Als Zentrum ist das Deutsche Reich mit seinen formal zugehörigen Gebieten Schweiz, Lothringen und Luxemburg zu sehen.12
Die Konfession scheint bei der Verfolgungsbereitschaft keine wesentliche Rolle gespielt zu haben. Zwar wurde die Hexereivorstellung von römisch-katholischen Theologen entwickelt, doch wurde sie von protestantischen Theologen weitgehend übernommen. In einigen protestantischen Gebieten gab es durchaus eine abneigende Haltung gegenüber Hexenjagden, wie in der Kurpfalz und der lutherische Reichsstadt Nürnberg. In anderen fanden jedoch massive Verfolgungen statt, wie beispielsweise in Mecklenburg. Zudem muss erwähnt werden, dass es nicht nur auf protestantischer, sondern ebenso auf katholischer Seite kritische Stimmen gegen die Hexenverfolgung gab. Allerdings war die Äußerung von Kritik nicht ungefährlich und konnte ihrerseits zu einem Prozess wegen Ketzerei führen.13
Zwar wird meist das Femininum ‚Hexe‘ verwendet, doch konnte der Hexereivorwurf genauso Männer treffen, wobei für diese meist der zeitgenössische Begriff ‚Zauberer‘ verwendet wurde. Allerdings wurden häufiger Frauen verdächtigt, und so wurden auch eindeutig mehr Frauen zu Opfern von Hexenjagden, 70 - 80% aller wegen Hexerei Hingerichteter waren weiblichen Geschlechts. Allerdings gab es auch Regionen, in denen die Zahl männlicher Opfer erheblich höher war als die der Frauen, wie beispielsweise in Skandinavien, wo das westeuropäische Hexenkonzept kaum adaptiert wurde.14 Nach einer Studie von Rolf Schulte waren in katholischen Regionen bis zu 30% der Opfer Männer, in reformiert-protestantischen hingegen nur 10-20%.15
Die europäische Hexenverfolgung beruht auf einem Gedankenkonstrukt, das von Theologen im 15. Jahrhundert entwickelt wurde. Inquisitoren wie der Dominikaner Heinrich Kramer waren mitverantwortlich für die Verbreitung der Hexenlehre, die als Voraussetzung für den Verfolgungseifer gesehen werden kann, so wie auch für zahlreiche Prozesse gegen vermeintliche Hexen. Durch die Hexenbulle Summis desiderantes affectibus des Papstes Innozenz VIII konnten sich die Befürworter der Hexenverfolgung auf die Legitimation des Papstes berufen. Die Inquisition hatte es sich zur Aufgabe gemacht, vermeintliche Hexen zu vernichten und die ersten Hexenprozesse im 15. Jahrhundert durchgeführt. Allerdings ist es notwendig, die Begriffe Inquisition und Hexenverfolgung klar voneinander zu trennen. Zunächst muss unterschieden werden zwischen der Inquisition als Institution der Gerichtsbarkeit der katholischen Kirche und dem Inquisitionsprozess. Die Einrichtung der Inquisition hatte die Verfolgung und Bestrafung konfessioneller Dissidenten wie Ketzer und Magier zur Aufgabe. Inquisitoren waren meist als Reiserichter tätig und riefen die Bevölkerung auf, sich selbst zu bekennen, beziehungsweise Verdächtige anzuzeigen, was schließlich zu Prozessen führte. Der Inquisition war ein bestimmtes Verfahren eigen, dass sich von dem zuvor üblichen Akkusationsverfahren unterschied. Zur Einleitung eines Verfahrens war kein privater Ankläger mehr nötig, sondern der Richter übernahm gleichzeitig die Rolle des Anklägers. Einfache Denunziationen konnten so Verfahren auslösen, wobei Belastungszeugen anonym blieben und die Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten stark eingeschränkt waren. Die Verurteilung setzte allerdings ein Geständnis voraus, wobei bei ausreichender Indizienlage zur Erlangung eines Geständnisses auch Folter angewendet werden durfte. Es gab durchaus Richtlinien, wann Folter angewendet werden durfte und in welchem Maß. Doch durch die Deklarierung des Hexereiverbrechens als Ausnahmeverbrechen konnten solche Vorgaben umgangen werden. Wenn eine angeklagte Person nach der so genannten ‚gütlichen Befragung‘ noch kein Geständnis abgelegt hatte, kam es zur ‚peinlichen Befragung‘ unter Einsatz verschiedener Folterinstrumente. Eine solche Folter konnte sich über einen ganzen Tag erstrecken und wurde in der Härte gesteigert. Durch diese Art der Befragung wurde nicht nur ein Schuldbekenntnis erzwungen sondern diverse Details des begangenen ‚Verbrechens‘ erfragt so wie Denunziationen von Komplizen, die ihrerseits wieder zu Verfahren führen konnten. Um die Verfahren in die gewünschte Richtung zu lenken, wurden festgelegte Fragenkataloge verwendet. Viele dieser Befragungsschemata folgten zum Teil dem Hexenhammer.16
Im Mittelalter hat die weltliche Gerichtsbarkeit die organisatorische Form des Inquisitionsprozesses übernommen und sich bereits in der Frühphase der Hexenverfolgung an den Hexenprozessen beteiligt. Der Großteil dieser Prozesse wurde von weltlichen Gerichten geführt und nicht von der Inquisition, welche bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts nördlich der Alpen weitgehend ihre zuvor ohnehin begrenzte Macht verlor.17
Berechtigterweise stellt sich die Frage, warum es gerade im 15. Jahrhundert zum Ausbruch dieses historischen Phänomens kam, wie die Eskalation im 16. Jahrhundert zu begründen ist und wodurch sein Ende eingeleitet wurde. Es gibt in der Hexenforschung verschiedene Erklärungsansätze, die zum Teil akzeptiert sind, zum Teil aber revidiert werden mussten. Allgemein wird von einem Komplex zahlreicher Faktoren ausgegangen. Monokausale Erklärungsansätze gelten als unzureichend und vereinfachende, romantisierende und ideologisch gefärbte Darstellungen werden von Seiten der aktuellen Hexenforschung kritisiert und widerlegt. Ein zentrales Moment des multidimensionalen Erklärungsmodells ist die Krisentheorie. „Grundsätzlich muss für die Jahrhunderte zwischen 1400 und 1700 von einer intensiven Umbruchs- und Krisenzeit ausgegangen werden“18. Zu den Krisen gehörte eine lang andauernde Klimaverschlechterung, die so genannte ‚Kleine Eiszeit‘, die mit langfristigen Ernteeinbußen, Preissteigerungen, Hungersnöten und erhöhter Sterblichkeit einherging.19 Dazu kamen weitere Krisenfaktoren wie Seuchen und Kriege. Der Wunsch nach dem Finden und Beseitigen der Ursache gepaart mit einer für das Zeitalter charakteristischen Leichtgläubigkeit konnte dazu führen, eine bestimmte Gruppe der Bevölkerung als Sündenböcke zu stilisieren.20 Zudem konnte die ungleiche Verteilung der durch Agrarkrisen verknappten Güter in der Gesellschaft eine allgemeine Stimmung von Misstrauen, Neid und Missgunst erzeugen, was eine mögliche Erklärung für die hohe Denunziationsbereitschaft ist.21 Zu ökologischen und ökonomischen Krisen kommt außerdem eine religiöse: Der Beginn der Reformation wirkte zwar anscheinend dämmend auf die Verfolgungstätigkeit, was das scheinbare Ende der Hexenverfolgungen ab 1520 erklären könnte, doch zog die konfessionelle Spaltung tiefe Verunsicherung nach sich. Hinzu kommt die für diese Zeit kennzeichnende „apokalyptische Überzeugung […], die Welt sei ein Schauplatz eines Endkampfes zwischen Gut und Böse“22. Diese Vorstellung wurde wiederum durch vermehrtes Auftreten tatsächlicher Krisen bestätigt.
Auch für das Ende der Hexenverfolgungen lässt sich schwer eine monokausale Ursache festmachen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Aufklärung zum Abklingen der Hexenverfolgungen beigetragen hat. „Die aufklärerische Kritik am Hexenglauben triumphierte in der intellektuellen Öffentlichkeit“23 und Verfolgungskritiker setzten sich immer mehr durch. Allerdings kann die Aufklärung nicht allein für das Ende der Hexenverfolgungen verantwortlich gemacht werden, da die Hauptphase bereits vor der Verbreitung des aufklärerischen Gedankenguts endete. Auch im 18. Jahrhundert gab es in Europa noch Hexenverfolgungen, allerdings mit stark abnehmender Tendenz, bis das Delikt Hexerei schließlich am Ende des Jahrhunderts gänzlich aus dem Strafrecht verschwindet24.
3. Verbreitung und Popularisierung der Hexenidee
Die europäische Hexenverfolgung beruht auf einer spezifischen Vorstellung von Hexerei, deren Akzeptanz durch diverse Krisenfaktoren erklärt werden kann, doch muss dem die Verbreitung eben dieses Konzeptes vorausgehen. Das Konzept der Hexerei wurde in der frühen Neuzeit durch spezifische Akteure, Institutionen und Medien konstruiert, verbreitet und popularisiert und schließlich in weiten Teilen Europas rezipiert. Bevor das Hexereikonzept die breite Öffentlichkeit erreichte, wurde es zunächst unter der gelehrten Elite kommuniziert. Eine bedeutende Rolle kommt dabei dem Konzil von Basel zu, das von 1431 bis 1437 tagte und insgesamt geschätzte 150000 Besucher aus allen Teilen Europas anzog, darunter zahlreiche Inquisitoren und Theologen, die sich mit der Hexenfrage beschäftigten.25 Zwar war das Hexenthema kein offizieller Diskussionspunkt auf dem Konzil, dennoch ist seine Rolle für die Verbreitung der Hexenlehre nicht zu vernachlässigen, wie Andreas Blauert in seinen Studien dargelegt hat.26 Zum einen war dieses Thema nicht das einzige, das nicht formell behandelt wurde, zum anderen ist davon auszugehen, dass das Konzil als Plattform für einen Gedankenaustausch zwischen Gelehrten und Klerikern des gesamten christlichen Abendlandes viel Raum für informelle Gespräche zwischen Theoretikern der Hexenidee bot, deren Wirkung nicht zu unterschätzen ist.27 Die durch den intellektuellen Austausch gewonnenen Erkenntnisse konnten dann von den einzelnen Akteuren in andere Regionen gebracht und so die Rezeption des Hexereikonzepts vorangebracht werden.
Theologen, die eine entscheidende Rolle in der Ausbildung der Hexenidee einnahmen, waren auf dem Konzil vertreten. Bedeutende Schriften wie die anonym herausgegebenen Errores Gazariorum seu illorum, qui scobam vel baculum equitare probantur und die Schrift Ut magorum des weltlichen Richters Claude Tholosan wurden zur Zeit des Konzils verfasst. Allen voran ist das Predigerhandbuch Formicarius des Dominikaners Johannes Nider zu nennen, das in den folgenden Jahren eine sehr starke Rezeption erfuhr. Nider, der mit seinem Werk „als erster Theologe das neu ‚entdeckte‘ Hexereidelikt anhand der Prozeßtätigkeit im Berner Oberland und in der Diözese Lousanne“28 beschrieben hat, soll auf dem Baseler Konzil aus diesem vorgetragen haben29. Wie Sudmann aus der Forschungslage folgert, war „das Basler Konzil […] also nicht als Institution treibende Kraft hinter der Hexenverfolgung, sondern bot durch seine Struktur lediglich günstige Bedingungen für die Verbreitung dieser neuen Idee.“30 Das Konzil hat als Kommunikationsraum dazu beigetragen, dass die Hexenidee durch Akteure und Medien, in diesem Fall dämonologische Traktate, verbreitet wurde.
Den Traktaten kommt dabei eine große Bedeutung zu, da sie das diskursiv erzeugte Hexereikonzept systematisch darlegten, wissenschaftlich aufbereiteten und schriftlich festhielten. Durch Begründungen mit Belegen aus der Bibel und von theologischen und philosophischen Autoritäten wurde der Hexenidee eine gewisse wissenschaftliche Unantastbarkeit verliehen. Die Hexentraktate waren meist in lateinischer Sprache verfasst, zum Teil gefolgt von deutschen Übersetzungen, und waren für eine gebildete, internationale Leserschaft bestimmt. Verfasst wurden sie meist von Theologen, zum Teil auch von Juristen und Ärzten. Die Traktate wurden in der Regel in Form von Flugschriften publiziert, die als ungebundene Einzeldrucke erschienen, was sie im Vergleich zum Buch kostengünstiger und einfacher zu transportieren und vertreiben machte. Flugschriften waren das Leitmedium des 16. und 17. Jahrhunderts, in ihnen wurde der Diskurs über aktuelle gesellschaftliche, politische, ökonomische und religiöse Verhältnisse, welche die gesamte Gesellschaft betreffen, geführt. Charakteristisch ist die Aktualität des Inhalts, sie geben alle wichtigen Ereignisse dieser Zeit wieder. Überdies zeichnet sie die meist agitatorische und propagandistische Wirkung aus.31 Flugschriften sind zudem meist von geringem Umfang, wobei die meisten Hexentraktate aber durchaus eine hohe Seitenzahl aufweisen. Delríos Disquisitionum magicarum libri sex beispielsweise zählt über tausend Seiten.
Eng verwandt mit der Flugschrift, und in der Forschung oft nicht präzise von ihr abgegrenzt, ist das Flugblatt. Gemeinsam ist ihnen die aktuelle, weitgehend unreflektierte Berichterstattung über Themen, die die gesamte Öffentlichkeit betreffen, und die Absicht der Meinungsbildung. Sie unterscheiden sich vor allem durch den Umfang: Flugblätter sind in der Regel illustrierte Einblattdrucke, wobei nicht selten die Illustration einen größeren Raum einnimmt als der Text. Flugschriften verzichten meist auf graphische Elemente, schmücken lediglich bisweilen das Titelblatt, um attraktiver für den Verkauf zu sein; man darf nicht vergessen, dass Flugblätter und Flugschriften Handelsgüter waren. Der Schwerpunkt des Flugblattes liegt meist auf der Illustration, wodurch der Inhalt auch von weniger gebildeten Teilen der Bevölkerung, welche mit gängigen Bildformeln vertraut waren, rezipiert werden konnte. Zudem war der Text fast immer volkssprachlich, knapp und einfach, bisweilen in Versform, und wurde oft vorgelesen oder zu bekannten Melodien gesungen. Das Flugblatt ist ein vergleichsweise kostengünstiges Medium, allerdings wohl auch nur für einen relativ wohlhabenden Teil Bevölkerung erschwinglich und daher keineswegs für jedermann zugänglich. Durch die Verständlichkeit und relativ leichte Zugänglichkeit erreichen die Flugblätter einen viel weiteren Rezipientenkreis als Flugschriften, in denen der Schwerpunkt auf dem Text mit ausführlicherer Argumentation liegt.32
Insgesamt ist für die gedruckten Medien festzuhalten, dass sie im Vergleich zu mündlichen Kommunikationsformen durch eine Langzeitwirkung gekennzeichnet sind. Durch den Buchdruck konnten Ausführungen über die Hexenlehre in großem Umfang verbreitet werden. Vor allem Traktate, die in der Gelehrtensprache Latein verfasst wurden, konnten so in ganz Europa von der gebildeten Elite rezipiert werden. In Flugblättern wurden die Inhalte meist auf verständliche Form herunter gebrochen, wodurch breitere Gesellschaftsschichten erreicht wurden. Die konservatorische Wirkung des Schriftmediums hat wohl auch dazu beigetragen, dass die Hexenidee die verfolgungsarme Zeit von 1520 bis 1560 überdauerte und ab 1560 mit dem Neubeginn der Hexenjagden wieder aufgenommen beziehungsweise weiterentwickelt werden konnte. Eine besondere Funktion kommt zudem bildlichen Darstellungen zu, wodurch nicht nur Inhalte verständlich gemacht werden, sondern „einschlägige Imaginationen visualisiert [werden] und ihnen der Anschein von Tatsächlichkeit verliehen“33 wird.
Neben dem Medium des Flugblatts konnten die Inhalte der Hexenlehre auch auf dem Weg der volkssprachlichen Predigt das gemeine Volk erreichen. Im Hexenhammer finden sich zahlreiche Angaben, wie komplexe Sachverhalte leicht verständlich und überzeugend zu predigen seien. Die Predigt kann alle Bevölkerungsschichten erreichen, unabhängig von finanzieller Lage und Bildungsstand. Zudem konnte der Prediger besonders auf seine Gemeinde eingehen und tagesaktuelle Geschehnisse auf die Hexen beziehen. So konnten Hexen als Schuldige für etliche Missstände proklamiert werden und an den Willen der Beseitigung dieses Übels appelliert werden. Diesem Mittel theologischer Unterweisung kommt eine große Wirkungsmacht zu. Vielerorts wurde durch scharfe Predigten wortgewaltiger Geistlicher die Bevölkerung aufgehetzt und der Verfolgungswunsch geschürt. Dieser ist neben der Verfolgungstätigkeit der Obrigkeit entscheidend für den Ausbruch von Hexenjagden. Die Gesinnung eines Predigers kann also unter Umständen starken Einfluss auf die Verfolgungstätigkeit einer Gemeinde haben.34
In diesem Zusammenhang ist auch das persönliche Gespräch zwischen Geistlichen und ihren Gemeindemitgliedern zu nennen. Hier können Menschen noch gezielter von der Schuld der Hexen an allem Übel überzeugt werden. Rummel und Voltmer zeigen exemplarisch anhand des Beispieles des Kanonikers Wilhelm von Bernkastel, wie die Dämonologie über eine Vermittlungsinstanz auf einfache Menschen wirken kann. Aus Quellen geht hervor, dass besagter Augustiner durch die Lektüre des Hexenhammers und des Formicarius zu einem radikaleren Denken über Hexen gelangte und in einem Gespräch mit Eltern diese überzeugen konnte, dass Hexen für den Tod ihres Kindes verantwortlich wären, obgleich diese zunächst die Schuld bei sich selbst suchten.35 Eine nicht unerhebliche Rolle für die Verbreitung der Hexenidee dürften außerdem Reisende gespielt haben, die dämonologisches Ideengut verbreiteten. Im 15. Jahrhundert kann eine Wanderung des Hexereikonzepts vom Alpenraum entlang der Haupthandelsrouten in das restliche Europa nachgewiesen werden. Nicht nur dämonologisches Schrifttum findet Verbreitung auf Handelswegen, es kommt auch zur persönlichen Vermittlung durch Reisende, etwa prozesserfahrene Henker oder reisende Inquisitoren.36
Zu den Institutionen, die die Hexereivorstellung verbreiten, sind zudem die Universitäten zu zählen. Diese waren in der Frühen Neuzeit konfessionell gebunden und bildeten Kommunikationsnetzwerke von Gelehrten. Neben der Herausbildung von Gelehrtenmilieus mit spezifischer Gesinnung tragen Universitäten durch Publikationen einschlägigen Schrifttums, Erlass von Gutachten in Hexereifragen, sowie durch die Lehre zur Verbreitung des Hexereikonzepts bei. Überdies bildeten Universitäten die Juristen aus, die als Schöffen, Gutachter und Richter die Hexenprozesse entscheidend mitbestimmten.37
4. Die Entstehung des elaborierten Hexereibegriffs
Das komplexe Hexereikonzept, auf dem die frühneuzeitlichen Hexenverfolgungen begründet sind, entstand während der Wende des Spätmittelalters zur frühen Neuzeit, unterlag allerdings bis in das Endstadium dieses geschichtlichen Phänomens im 18. Jahrhundert leichten Modifikationen. Die Idee von Hexen entstand dabei keineswegs aus dem Nichts, sondern durch eine Verknüpfung bereits bestehender Vorstellungen. Magie, Schadenszauberei, Ketzertum sowie diverse Vorstellungen aus dem Volksglauben sind Elemente des von Theologen entwickelten Konzepts ‚Hexe‘. Magie nahm in der Alltagskultur des mittelalterlichen Europas und noch bis in das 19. Jahrhundert hinein einen hohen Stellenwert ein und durchzog sämtliche Lebensbereiche und Gesellschaftsschichten.38
[...]
1 Behringer, Wolfgang / Jerouschek, Günther: „Das unheilvollste Buch der Weltliteratur?“ Zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des Malleus Maleficarum und zu den Anfängen der Hexenverfolgung, in: Kramer, Heinrich: Der Hexenhammer - Malleus maleficarum. Kommentierte Neuübersetzung, hrsg. von Wolfgang Behringer, Günter Jerouschek und Werner Tschacher. München 2007, S. 11.
2 Walter Rummel / Rita Voltmer: Hexen und Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit, Darmstadt 2008.
3 Ebd., S. 17.
4 Vgl. Harald Sipek: Marginalien zu Flugblatt- und Flugschriftenpublizistik sowie zur Druckgraphik im Kontext der Hexenverfolgung, in: Hexen und Hexenverfolgung im deutschen Südwesten, hrsg. von Sönke Lorenz, Karlsruhe 1994, S. 309-315, hier S. 309.
5 Ebd., S. 17.
6 Vgl. André Schnyder: Art. „Hexereiliteratur“, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Band 5, hrsg. von Friedrich Jaeger, Stuttgart 2007, Sp.446-449, hier Sp. 448.
7 Vgl. Rummel / Voltmer: Hexen und Hexenverfolgung, S. 74.
8 Der elaborierte Hexereibegriff wird in Kapitel 4 näher erläutert.
9 Vgl. Rummel / Voltmer: Hexen und Hexenverfolgung, S. 80.
10 Vgl. Rita Voltmer / Franz Irsigler: Die europäischen Hexerverfolgungen der Frühen Neuzeit - Vorurteile, Faktoren und Bilanzen, in: Ders. u.a.: Hexenwahn - Ängste der Neuzeit, Berlin 2002, S. 30- 44, hier S. 31.
11 Vgl. Rummel / Voltmer: Hexen und Hexenverfolgung, S. 82.
12 Vgl. Voltmer / Irsigler: Die europäischen Hexerverfolgungen, S. 34.
13 Vgl. ebd., S. 41.
14 Vgl. Rummel / Voltmer: Hexen und Hexenverfolgung, S. 79.
15 Vgl. Rolf Schulte: Hexenmeister. Die Verfolgung von Männern im Rahmen der Hexenverfolgung von 1530-1730 im alten Reich, Frankfurt a. M. u.a. 2000, S. 88.
16 Vgl. Wolfgang Behringer: Hexen und Hexenprozesse in Deutschland, München 2006, S. 270.
17 Vgl. Dillinger, Johannes: Hexen und Magie, Frankfurt a. M. 2007, S. 92ff.
18 Voltmer / Irsigler: Die europäischen Hexerverfolgungen, S. 37.
19 Der Zusammenhang zischen Häufungen von Hexenverfolgungen und Agrarkrisen wurde v.a. von Behringer herausgearbeitet, siehe u.a. Wolfgang Behringer: Hexen und Hexenprozesse in Deutschland, München 2006, S. 132f.
20 Vgl. Behringer: Hexen und Hexenprozesse, S. 270.
21 Vgl. Rummel / Voltmer: Hexen und Hexenverfolgung, S. 87f. 8
22 Ebd., S. 87.
23 Dillinger: Hexen und Magie, S. 143.
24 Vgl. Gerd Schwerhoff: Art. „Hexenverfolgung“, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Band 5, hrsg. von Friedrich Jaeger, Stuttgart 2007, Sp. 433-442, hier Sp. 440.
25 Vgl. Rummel / Voltmer: Hexen und Hexenverfolgung, S. 29. 9
26 Vgl. u.a. Andreas Blauert: Frühe Hexenverfolgungen, Ketzer-, Zauberei und Hexenprozesse des 15. Jahrhunderts, Hamburg 1989, S. 30ff.
27 Werner Tschacher: Art. „Canon Episcopi“, in: Lexikon zur Geschichte der Hexenverfolgung, hrsg. von Gudrun Gersmann, Katrin Moeller und Jürgen-Michael Schmidt, in: historicum.net, URL: >http://www.historicum.net/no_cache/persistent/artikel/5851< (zuletzt aufgerufen am 11.3.09).
28 Werner Tschacher: Der Formicarius des Johannes Nider, Aachen 2000. S. 11.
29 Vgl. Tschacher: „Canon Episcopi“.
30 Stefan Sudmann: Art. „Basler Konzil 1431-1449“, in: Lexikon zur Geschichte der Hexenverfolgung, hrsg. von Gudrun Gersmann, Katrin Moeller und Jürgen-Michael Schmidt, in: historicum.net, URL: >http://www.historicum.net/no_cache/persistent/artikel/5514< (zuletzt aufgerufen am 15.3.2009).
31 Johannes Schwitalla: Flugschrift, Tübingen 1999, S. 1-5.
32 Zur Definition von Flugblatt und Flugschrift vgl. Silvia Serena Tschopp: Art. „Flugblatt, Flugschrift“, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, hrsg. von Gert Ueding, Bd. 3, Tübingen 1996, S. 375-383.
33 Rummel / Voltmer: Hexen und Hexenverfolgung, S. 93.
34 Behringer: Hexen und Hexenprozesse, S. 132.
35 Vgl. Rummel / Voltmer: Hexen und Hexenverfolgung, S. 32f.
36 Vgl. ebd., S. 94f.
37 Vgl. ebd., S. 92.
38 Vgl. Dillinger: Hexen und Magie, S. 17f.
- Quote paper
- Sofie Sonnenstatter (Author), 2009, Zur Darstellung und Begründung des Hexenfluges in den Schlüsseltexten der frühneuzeitlichen Hexenlehre, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/142759
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