Astrid Lindgrens Erstlingswerk mit der titelgebenden Figur Pippi Langstrumpf hat ganze Generationen von Kindern und auch freilich auch Erwachsenen begeistert und geprägt. Des Weiteren entwickelte es enormen Einfluss auf die Art, wie Kinderbücher entwickelt und geschrieben wurden und leitete nicht zuletzt den allmählichen Umbruch in der Kinder- und besonders der Mädchenliteratur und ihrer Rezeption ab den Nachkriegsjahren Mitte des 20. Jahrhunderts ein.
Inhalt
1 Einleitung
2 Zur Kinder- und Jugendliteratur in der Bundesrepublik nach 1945
3 Zur Madchenliteratur
3.1 Definitionen
3.2 Gattungen
3.3 Zur geschichtlichen Entwicklung der Madchenliteratur
3.4 Charakteristik der traditionellen Madchenliteratur
4 Das PhanomenPippi Langstrumpf.
4.1 Zur Person Astrid Lindgren
4.2 Zum Inhalt des Buches Pippi Langstrumpf.
5 Pippi Langstrumpf im Kontext der zeitgenossischen Madchenliteratur
6 Fazit
7 Literaturverzeichnis
8 Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
In der vorliegenden Hausarbeit wird der Frage nachgegangen, welchen Einfluss Astrid Lindgrens Erstlingswerk Pippi Langstrumpf auf die zeitgenossische Kinder- und Jugendliteratur und ihre Leserschaft hatte. Im Speziellen werden dabei die Auswirkungen auf den Teilbereich der Madchenliteratur untersucht. Zum Zwecke dieser Verortung werde ich anfangs die Situation der Kinder- und Jugendliteratur in der Bundesrepublik nach 1945 skizzieren und im weiteren Verlauf sowohl auf die Madchenliteratur als auch auf das Buch Pippi Langstrumpf und seine Autorin genauer eingehen. In Punkt 5 werde ich die Verortung vornehmen und die Hausarbeit danach mit einem kurzen Fazit abschlieBen.
2 Zur Kinder- und Jugendliteratur in der Bundesrepublik nach 1945
Wahrend der Nazi-Diktatur waren nahezu alle Kinder und Jugendlichen dazu verdammt, sich lediglich die Literatur aneignen zu konnen, die vom Regime genehmigt war. Auslandische Literatur konnte so gut wie gar nicht rezipiert werden. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und des Nationalsozialismus passte sich die Kinder- und Jugendliteratur relativ freiwillig den veranderten ideologischen Gegebenheiten an. Zum einen blieb laut Kaminski (2002: 299) eine autoritare Grundstromung in den Kopfen und Werken vieler deutscher Autoren verhaftet, auch wenn eindeutige nationalsozialistische Etiketten und Ideen rasch der Vergangenheit angehorten. Im Exil lebende deutsche Autoren mit einer anderen Sicht auf die Diktatur blieben auch nach Kriegsende ungehort, sodass schlieBlich ein handfester Richtungswechsel nicht stattfinden konnte. Zum anderen produzierten die Autoren vornamlich Kinder- und Jugendliteratur, die veraltete und irreale Heile-Welt-Vorstellungen wieder aufleben lieBen. So wurden neue Inhalte haufig nur in alte Formen gegossen (vgl. Steinz & Weinmann 2005: 97). Wahrend des Krieges hatte die Infrastruktur des Verlags- und Distributionssystems schweren Schaden genommen. Durch den Wiederherstellungsprozess dauerte es einige Jahre, bis sich eine eigenstandige Kinder- und Jugendliteratur herauszubilden vermochte. Zudem hielten sich die Kinderbuchautoren bei der Reorganisation der Autorenverbande uberwiegend zuruck, was daran gelegen haben mag, dass der (Kinder- und Jugend-)Buchmarkt unter massiver Einflussnahme der alliierten Kontrollbehorden stand.[1]
Durch die Vergabe von Lizenzen durch die Besatzungsmachte sollte ein institutioneller, personeller und inhaltlicher Bruch mit der NS-Zeit bewirkt werden. Obwohl bis zur Mitte des Jahres 1946 mehrere Hundert Verleger eine Lizenz erhielten, dauerte es noch knapp drei weitere Jahre bis ein relativ freies Verlagswesen und Schriftstellerdasein moglich war (vgl. Kaminski 2002: 300). In den ersten Nachkriegsjahren hatten die Verlage des Weiteren damit zu kampfen, dass es ihnen an Manuskripten mangelte. Deswegen legten sie in groBem Umfang altere Texte, die z. T. aus dem 19. Jahrhundert stammten, neu auf, wie z. B. Karl Mays Indianererzahlungen, Daniel Defoes Robinson Crusoe und Heinrich Hoffmanns Struwwelpeter. Zudem erfuhren auch Texte, die vor 1933 oder bisher nur auBerhalb Deutschlands veroffentlicht wurden, eine Neuauflage, wie z. B. Erich Kastners Emil und die Detektive und Lisa Tetzners Als ich wiederkam. Vereinzelt fanden auch Kinderbucher aus der NS-Zeit, z. T. unter neu erfundenem Titel, wieder ihren Weg auf den Buchermarkt (vgl. Steinz & Weinmann 2005: 99). Diese MaBnahmen waren u. a. dafur verantwortlich, dass der Kinder- und Jugendliteratur der Nachkriegszeit und der folgenden Jahre das kritische Urteil Restaurativ aufgestempelt wurde. DemgemaB kritisch auBerte sich z. B. die Padagogin und Autorin Anna Siemsen uber die Kinderbuchausstellung 1946/47 in Munchen: „Uberlegte man sich aber genauer, was man gesehen, so war das Ergebnis, daB [sic!] diese Ausstellung, abgesehen von ihrer Unvollstandigkeit, ebenso gut im Jahre 1912 wie im Jahre 1947 hatte stattfinden konnen. [...] Wie hubsch und wie ruhrend ist das alles - und wie unzulanglich" (Kaminski 2002: 300).
Siemsens Anliegen war es, dass die Autoren die Kriegserlebnisse, das Leid und den Alltag der Kinder in ihre Texte mit aufnehmen und nicht ausklammern. Daruber hinaus sollte auf Wirklichkeitsnahe, international Aufgeschlossenheit und soziale Verantwortung in der Literatur geachtet werden. Kontrar zu der Gesinnung Anna Siemsens stand Wilhelm Fronemann, der 1948 propagierte, dass der Krieg bereits vergessen sei, und dass man die Jugend lieber in ihrer gottlichen Unbefangenheit belassen sollte. Zudem bekannte er sich zu einer volkisch-nationalen Gesinnung, sprach sich gegen die Sozialdemokratie und diesbezugliche Denkweisen aus und lehnte infolgedessen zahlreiche Kinderbucher, wie die Erich Kastners, ab. Kastner hingegen lieB sich nicht beirren. Er war fest entschlossen, nach dem Ende des Krieges und des NS-Regimes dessen ideologischen Altlasten auf seine literarische Art bzw. mit seinen Texten entgegenzuwirken. So widersprach Kastner beispielsweise einem NS-Jugendbuch und den darin propagierten Ideen, indem er die folgenden gegensatzlichen Werte reklamierte: das Gewissen, die Vorbilder, die Heimat, die
Feme, die Freundschaft, die Freiheit, die Erinnerung, die Fantasie, das Gluck und den Humor (vgl. Kaminski 2002: 301f). Dem Krieg an sich vermochten sich die Autoren nur einseitig zu nahern. Bilder des Leidens, der Ratlosigkeit und des Todes wurden oftmals ausgeblendet und Themen wie Errettung und Erlosung in den Fokus geruckt. Statt an der nahen Vergangenheit zu zweifeln und mogliche Lehren zu ziehen, setzte man auf Verdrangung und Hoffnung. Die signifikante Blindheit der Kinderliteratur zeigt sich besonders in der Haufung der Motive Weihnachten, Christgeburt und Advent, die das Erscheinen Jesus Christus als der Menschen Erloser thematisieren (vgl. ebd.: 306). Die Kinder- und Jugendliteratur kam einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in der Form nahe, dass sie sich den Motiven Flucht und Vertreibung annahm. Die produzierten Geschichten gelten jedoch als politisch und literarisch fragwurdig, da diese im Umkehrschluss eine Vermeidungsstrategie „[...] gegenuber den deutschen Verbrechen an den im Krieg eroberten und vernichteten Volkern, seien es Polen, Russen oder Juden [erkennen lassen]" (ebd.). Die Autoren fuhlten sich fur eine derartige Aufarbeitung allerdings nicht verantwortlich. Deswegen wurde die Gesamtheit der materiellen, aber besonders der psychischen und physischen Zerstorung des Krieges nur selten in der Kinder- und Jugendliteratur festgehalten. Diesbezuglich auBert sich Gabriele SchultheiB (zitiert nach: Kaminski 2002: 306): „Die Figuren haben jedenfalls selten Zeichen der Verstorung oder Angst angesichts dessen, was die Ruinen uber die materielle Zerstortheit hinaus reprasentieren. In ihrer korperlichen, offenbar auch emotionalen und intellektuellen Unversehrtheit sind sie das Versprechen auf die >Neugeburt< Deutschlands." Letztlich ging es der Kinder- und Jugendliteratur nach dem Zweiten Weltkrieg nicht um eine unbewaltigte Vergangenheit, sondern um die zupackende Bewaltigung der Gegenwart. Innehalten und Rekapitulieren war nicht der Leitgedanke, vielmehr sollte alles auf den Wiederaufbau gesetzt werden. Wenn uberhaupt, wurden die Ereignisse unter der NS-Diktatur und die des Krieges distanziert und ohne Bezugspunkte dargestellt, „[...] als Geschichte ohne Volk [...], und Eltern, Lehrer, Nachbarn und altere Geschwister der jungen Leser als Mitglieder eines Volkes ohne Geschichte" (ebd.: 307). Ende der 1940er Jahre sorgten neue Bilder von Kindheit und unkonventionelle Erziehungskonzepte fur Aufsehen. Die Entwicklungspsychologie und ihre Erkenntnisse ubten dabei starken Einfluss auf die neue Kindheitsauffassung aus. Es wurde erkannt, dass Kindheit mehr ist als eine entwicklungstechnische Ubergangszeit hin zum Erwachsenendasein. Kindheit stellt einen Lebensabschnitt mit spezifischen Qualitaten dar, die sie von der Jugend- und Erwachsenenphase unterscheidet. Die Anhanger dieses Kindheitsmusters wollten die Welt der Kinder nicht mehr von der der Erwachsenen getrennt sehen und widersprachen damit offen der zu jener Zeit vorherrschenden Bewahrpadagogik (vgl. Kaminski 2002: 307). Die kritische Einschatzung der moralisch schlechten kindlichen Eigenschaften wandelte sich durch die neuen Erkenntnisse zu der Meinung, dass diese naturliche Entwicklungs- und Ubergangsphanomene seien, die zeitweise akzeptiert werden konnen und nicht unmittelbar Sanktionen erfordern. Daruber hinaus entnahm man den Erkenntnissen, dass eine Kinderliteratur, die ihre Leser erreichen will, kindgemaB zu sein hat, also den sprachlichen und inhaltlichen Fahigkeiten der Kinder angepasst sein muss. Die damalige Kinder- und Jugendliteraturkritik forderte folglich, dass ein gelungenes Kinderbuch eine einfache Form besitzen und sich an der kindlichen Lebenswelt orientieren musse, „[...] d. h. um das Kind selbst und um seine Umwelt kreisen musse, also um seine Eltern und Geschwister, seine Freunde und Tiere oder die Schule und um die altersspezifischen Probleme, die sich aus dem engen kindlichen Umfeld ergeben" (Steinz & Weinmann 2005: 101). Zusatzlich wollte man den jungen Leser nicht mit differenzierten und kunstlerisch komplizierten Darstellungsformen belasten und setze den Schwerpunkt daher auf harmlosere literarische Gattungen, wie z. B. Tiergeschichten, Marchen und Kunstmarchen. Zudem brachten die Verlage die klassischen Kinder- und Jugendbucher der Besatzungsmachte und vermehrt Ubersetzungen aus dem anglo-amerikanischen und franzosischen Sprachraum auf den Markt. Um die gut leserliche Form der Literatur zu gewahrleisten, verwendeten die Autoren Erzahlstrategien, die im Vergleich zum modernen Roman, eher als einfach zu bewerten sind, z. B. die des Geschichtenerzahlens. Dessen charakteristische Merkmale sind die fiktive mundliche Erzahlsituation mit haufiger Leseranrede, ubersichtliche Handlungskonstruktion und Handlungsdominanz, einpragsame Figurengestaltung, Verzicht auf psychologische Handlungsmotivierung und das Happy End (vgl. ebd.: 102ff).
Doch die Einsichten der Entwicklungspsychologie und die padagogischen Schlussfolgerungen der spaten 1940er Jahre wurden nicht einstimmig getragen, etliche Autoren wehrten sich gegen eine Reform und schotteten weiterhin die Kinderwelt gegen die der Erwachsenen ab. Aus diesem Grund dauerte es ca. zwei Dekaden, bis sich die o. g. Entwicklung hin zu einer progressiven Kinderliteratur vollzogen hatte (vgl. Kaminski 2002: 307).
[...]
[1] Im Folgenden klammere ich die literaturgeschichtlichen Ereignisse in der DDR aus, da deren Inklusion den Rahmen dieser Hausarbeit ubersteigen wurde. Diesbezuglich spreche ich zwar von deutschen Gegebenheiten, meine aber lediglich die -westdeutschen.
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- Georg Rabe (Autor), 2008, Die Entfesselung des Kindes, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/142609
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