01) Einleitung
Literatur – aus philosophischer Perspektive betrachtet – hält einige interessante Fragen und Probleme für uns bereit, zum Beispiel: die Frage nach unserer emotionalen Partizipation an Fiktionen. Was bedeutet es, wenn wir Gefühle empfinden für ein Geschehen, von dem wir im Grunde die ganze Zeit über wissen, dass es nicht real ist? Wie können wir Mitleid oder Hass empfinden für jemanden, der gar nicht existiert? Und wenn wir Angst aufgrund einer Gruselgeschichte haben – wovor genau haben wir dann Angst? Was ist das Objekt dieser Angst? Was ist das Objekt all dieser intentional gerichteter Empfindungen? Und wie unterscheiden sich diese Emotionen von den Emotionen, die man hat, wenn das Objekt nicht fiktiv ist? Die Liste der Fragen, die sich hieraus ergeben, könnte beliebig fortgesetzt werden.
Wenn Menschen auf Fiktionen genauso emotional reagieren wie auf reale Geschehnisse, dann liegt jedoch kaum eine Verwechslung von Realität und Phantasie vor – sie wissen ganz genau, dass der Held, für den sie gerade Bewunderung empfinden, nicht wirklich existiert. Dennoch geschehen diese Emotionen ganz spontan, beinah reflexartig, ganz genauso, wie sie es auch in realen Situationen täten. Des Weiteren können wir auch über Vorstellungen Gefühle in uns wecken, wir können mittels unserer Gedanken am Innenleben irrealer Charaktere partizipieren.
Genau diese emotionale Partizipation, so war lange die gängige Annahme, sei nur möglich, wenn wir daran glauben, dass das, was uns bewegt, auch wirklich existiert. „Fiktionsparadoxon“ wird dieses Problem in der philosophischen Ästhetik genannt: Wir erkennen die Geschehnisse in Fiktionen, aber darüber hinaus reagieren wir auch auf sie mit unseren alltäglichen Gefühlen (Mitleid, Hass, Sympathie, Bewunderung, Angst...), obwohl wir uns immer darüber im Klaren sind, wenn auch nur latent im Zweifel, dass es sich dabei um fiktionale Ereignisse handelt.
Um eine Möglichkeit, dieses Paradoxon zu lösen, soll es in dieser Arbeit gehen. Es handelt sich dabei um eine spezielle Form des emotionalen Zugriffs auf den Rezipienten einer Fiktion (sei es ein Buch, ein Film, ein Theaterstück...), und zwar um die Form, die dann zum Tragen kommt, wenn wir nicht einfach nur Sympathie für den Protagonisten empfinden, sondern das Gefühl haben, ihn komplett zu verstehen. (...)
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- Christine Numrich (Autor), 2008, Simulation und Fiktion - Gregory Currie: „Anne Bronte and the Uses of Imagination“, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/142604
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