Der folgende Beitrag möchte dem Leser einen Überblick über das in der StPO geregelte Beweisantragsrecht geben. In einem ersten Schritt wird der Begriff des Beweisantrages erläutert und sowohl vom Beweisermittlungsantrag als auch von der bloßen Beweisanregung abgegrenzt. Hieran schließt sich eine allgemeine Darstellung der in den §§ 244 III-V, 245 StPO normierten Ablehnungsgründe eines Beweisantrages an. Ausgehend davon wird der Ablehnungsgrund der „Prozessverschleppung“ (§ 244 III 2 Var. 6 StPO) fokussiert und in diesem Zusammenhang ein aktueller Beschluss des BGH vom 23.09.2008 in den Mittelpunkt gestellt. In besagter Entscheidung erklärte der 1. Strafsenat des BGH die Zurückweisung eines Beweisantrages nach Ablauf einer vom Vorsitzenden des Instanzgerichtes gesetzten Frist wegen Verschleppungsabsicht für rechtmäßig – demnach sei die verspätete Stellung des Beweisantrages ein Indiz für die innere Tatsache der Verschleppungsabsicht.
Gliederung
A. VORWORT
B. EINLEITUNG
C. DER BEWEISANTRAG IN ABGRENZUNG ZUM BEWEISERMITTLUNGSANTRAG UND ZUR BLOßEN BEWEISANREGUNG
I. Der Beweisantrag
1. Die Beweisbehauptung und deren Elemente
2. Das bestimmte Beweismittel
3. Konnexität zwischen Beweistatsache und Beweismittel
II. Der Beweisermittlungsantrag
III. Die Beweisanregung
D. DIE STELLUNG UND ABLEHNUNG EINES BEWEISANTRAGES
I. Die Stellung von Beweisanträgen
1. Form
2. Zeitpunkt
3. Beweisanträge im Zusammenhang mit einer Bedingung
a. Bedingter Beweisantrag
b. Hilfsbeweisantrag
c. Eventualbeweisantrag
d. Entscheidung über Hilfs- bzw. Eventualbeweisanträge
II. Die Ablehnung von Beweisanträgen
1. Grundsätzliches
2. Nicht präsente ↔ präsente Beweismittel
a. Nicht präsente Beweismittel à § 244 III-V StPO
b. Präsente Beweismittel à § 245 StPO
3. Die Ablehnungsgründe für nicht präsente Beweismittel nach § 244 III-V StPO im Einzelnen
a. Unzulässigkeit der Beweiserhebung (§ 244 III 1 StPO)
b. Offenkundigkeit der Tatsache (§ 244 III 2 Var. 1 StPO)
c. Bedeutungslosigkeit der Tatsache (§ 244 III 2 Var. 2 StPO)
d. Erwiesenheit der Tatsache (§ 244 III 2 Var. 3 StPO)
e. Völlige Ungeeignetheit des Beweismittels (§ 244 III 2 Var. 4 StPO)
f. Unerreichbarkeit des Beweismittels (§ 244 III 2 Var. 5 StPO)
g. Verschleppungsabsicht (§ 244 III 2 Var. 6 StPO)
h. Wahrunterstellung der Beweistatsache (§ 244 III 2 Var. 7 StPO)
i. Sondervorschriften für Sachverständige (§ 244 IV StPO), Augenschein (§ 244 V 1 StPO) und Auslandszeugen (§ 244 V 2 StPO)
E. DAS „FRISTENMODELL“ DES BGH
I. Sachverhalt
II. Leitsätze
III. Analyse
1. Ablehnung des Eventualbeweisantrages wegen Verschleppungsabsicht im Urteil
2. Gefahr der Einschüchterung beim Antragsteller
3. Spannungsverhältnis zu § 246 I StPO
4. Verstoß gegen nemo-tenetur-Grundsatz
5. Keine Rechtfertigung über den Beschleunigungsgrundsatz
F. RESÜMEE
A. VORWORT
Der folgende Beitrag möchte dem Leser einen Überblick über das in der StPO geregelte Beweisantragsrecht geben. In einem ersten Schritt wird der Begriff des Beweisantrages erläutert und sowohl vom Beweisermittlungsantrag als auch von der bloßen Beweisanregung abgegrenzt. Hieran schließt sich eine allgemeine Darstellung der in den §§ 244 III-V, 245 StPO normierten Ablehnungsgründe eines Beweisantrages an. Ausgehend davon wird der Ablehnungsgrund der „Prozessverschleppung“ (§ 244 III 2 Var. 6 StPO) fokussiert und in diesem Zusammenhang ein aktueller Beschluss des BGH vom 23.09.2008[1] kritisch in den Mittelpunkt gestellt. In besagter Entscheidung erklärte der 1. Strafsenat des BGH die Zurückweisung eines Beweisantrages nach Ablauf einer vom Vorsitzenden des Instanzgerichtes gesetzten Frist wegen Verschleppungsabsicht für rechtmäßig – demnach sei die verspätete Stellung des Beweisantrages ein Indiz für die innere Tatsache der Verschleppungsabsicht.
B. EINLEITUNG
Das beherrschende Prinzip des Strafverfahrens[2] stellt die dem Gericht von Amts wegen obliegende Pflicht der umfassenden Erforschung der materiellen Wahrheit dar (sog. Untersuchungs- bzw. Amtsermittlungsgrundsatz, vgl. § 244 II StPO). Hieraus resultiert für die Prozessbeteiligten ein Anspruch darauf, dass sich die Beweisaufnahme auf alle Tatsachen und tauglichen sowie erlaubten Beweismittel erstreckt, welche für die Entscheidung von Bedeutung sind.[3] Zur Gewährleistung einer solch erschöpfenden Sachverhaltserforschung einerseits, sowie der faktischen Durchsetzung des soeben genannten Anspruches andererseits, sieht das deutsche Strafprozessrecht (vgl. v.a. §§ 219, 222, 244, 245 StPO) für die Verfahrensbeteiligten – primär für den Angeklagten, dessen Verteidiger als auch für den Vertreter der Staatsanwaltschaft[4] – ein Beweisantragsrecht vor. Dieses fundamentale Recht hebt insbesondere – in Ergänzung zum Fragerecht nach § 240 StPO – die Stellung des Angeklagten als Rechtssubjekt hervor, welcher dadurch seinen ihm verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 I GG)[5] ausübt.
C. DER BEWEISANTRAG IN ABGRENZUNG ZUM BEWEISERMITTLUNGSANTRAG UND ZUR BLOßEN BEWEISANREGUNG
Die Unterscheidung dahingehend, ob tatsächlich ein Beweisantrag vorliegt oder lediglich „ein Minus“ hiervon, basiert auf folgendem Umstand und ist daher von fundamentaler Bedeutung für die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens: während bei einem zulässigen Beweisantrag das Gericht – grundsätzlich[6] – nur aufgrund der in den §§ 244 III-V, 245 StPO abschließend aufgezählten engen Ablehnungsgründen diesen ablehnen darf und jenes zudem auch mittels förmlichen und begründeten (§§ 34, 35 StPO) Gerichtsbeschlusses (§ 244 VI StPO) erfolgen muss, kann der Vorsitzende aufgrund seiner Sachleitungsbefugnis (§ 238 I StPO) über Beweisermittlungsanträge bzw. bloße Beweisanregungen im Rahmen der Amtsaufklärungspflicht des § 244 II StPO formlos[7] entscheiden. Insofern ist hiesige Unterscheidung von immenser Wichtigkeit, da bei einem ordnungsgemäß gestellten Beweisantrag das Gericht generell dazu verpflichtet ist, das genannte Beweismittel zu verwenden. Wird allerdings ein Beweisantrag fehlerhaft abgelehnt, so kann dies einen relativen Revisionsgrund (§ 337 StPO) darstellen und demnach zur Aufhebung des Urteils in der Revisionsinstanz führen.[8] Trotz alledem sucht man in der Strafprozessordnung vergeblich nach einer Legaldefinition des zentralen Begriffes des „Beweisantrages“ – stattdessen wird dieses Recht als bestehend vorausgesetzt.[9] Erst die Rechtsprechung entwickelte den Begriff des Beweisantrages.
I. Der Beweisantrag
Definiert wird der Beweisantrag als ein ernsthaftes, unbedingtes oder an eine Bedingung geknüpftes Verlangen eines Prozessbeteiligten, über eine die Schuld oder Rechtsfolgenfrage betreffende Behauptung durch bestimmte, nach der StPO zulässige Beweismittel Beweis zu erheben.[10] Dementsprechend besteht ein ordnungsgemäßer Beweisantrag mindestens aus zwei, nach neuerer Rechtsprechung sogar aus drei Erfordernissen:
- die Bezeichnung einer bestimmten Tatsachenbehauptung (sog. Beweisbehauptung)[11] ;
- für diese zu beweisende Tatsache muss ein bestimmtes, von der StPO anerkanntes Beweismittel angegeben werden[12] ;
- überdies verlangt die neuere Judikatur des BGH einen verbindenden Zusammenhang zwischen der Beweisbehauptung und dem Beweismittel (sog. Konnexität)[13].
1. Die Beweisbehauptung und deren Elemente
Zunächst muss eine Tatsache unter Beweis gestellt werden (sog. Beweistatsache). Da man unter „Tatsachen“ die dem Wahrheitsbeweise zugänglichen Vorgänge und Zustände der Gegenwart oder Vergangenheit versteht[14], genügen bloße Wertungen[15] (z.B. die Unglaubwürdigkeit eines Zeugen)[16] oder schlichte Vermutungen, von welchen der Antragssteller hofft, dass diese sich im Laufe der Beweiserhebung bestätigen könnten, allerdings nicht.
Diese Beweistatsache muss ferner bestimmt behauptet werden.[17] Daher ist erforderlich, dass stets konkrete Umstände oder Geschehnisse angegeben werden, zu denen das benannte Beweismittel etwas darlegen kann. Aus dem Erfordernis der genauen Bezeichnung derjenigen Tatsachen, über die Beweis erhoben werden soll, folgt eine Unterscheidung zwischen Beweistatsache und „Beweisziel“[18] – letzteres ist das Beweisergebnis, welches sich der Antragsteller aus dem begehrten Beweis erhofft.[19] Soll z.B. der beantragte Beweis darauf abzielen, dass der Angeklagte schlicht nicht Täter eines Diebstahls gewesen sein kann, so ist als Beweistatsache gerade nicht diese fehlende Täterschaft zu nennen, da dies ja das Beweisziel darstellt – stattdessen ist beispielsweise ein als feststehend behauptetes Alibi anzugeben, wonach der Angeklagte sich zu einer bestimmten Zeit an einem konkreten Ort aufgehalten hat.[20] Darüber hinaus ist nach der Rechtsprechung des BGH eine Beweistatsache dann als nicht hinreichend bestimmt, wenn nur pauschal behauptet wird, dass ein Ereignis nicht stattgefunden habe[21] (sog. Negativtatsache). Wird somit nur die Negation einer Tatsache unter Beweis gestellt, so fehlt es an einer das Beweisziel belegenden beweisfähigen Tatsache.[22] Bezugnehmend auf vorig genanntes Beispiel würde es daher nicht genügen, die bloße Tatsache unter Beweis zu stellen, dass der Angeklagte „nicht am Tatort gewesen ist“ – erforderlich ist dem gegenüber die konkrete Bezeichnung des Ortes, an welchem der Angeklagte sich zu der bestimmten Zeit aufgehalten hat.
Überdies muss die bestimmte Beweisbehauptung als feststehend offenbart werden[23], wobei unschädlich ist, wenn der Antragsteller selbst die Tatsache lediglich vermutet oder bloß für möglich hält[24]. Dementsprechend werden Formulierungen wie „...dass der Angeklagte gewesen sein müsste.“ oder „…ob der Angeklagte in Passau war.“ den Erfordernissen eines ordnungsgemäßen Beweisantrages nicht gerecht – stattdessen ist lediglich ein Beweisermittlungsantrag zu bejahen. In diesem Zusammenhang sind die sog. „Behauptungen ins Blaue“ zu nennen. Obwohl (wie zuvor angeführt) subjektive Zweifel an der Richtigkeit der aufgestellten Beweisbehauptung unschädlich sind und es insofern nur auf eine feststehende Präsentation ankommt, ist die Grenze allerdings dann überschritten, wenn es sich um eine völlig haltlose, „aus der Luft gegriffene“ bzw. „aufs Geratewohl“ hin getätigte Behauptung handelt[25] ; mit anderen Worten ermangelt es an einer tatsächlichen und argumentativen Grundlage der selbigen[26]. Nach der wohl vorherrschenden Meinung[27] liegt in einem solchen Fall ebenfalls ein nach § 244 II StPO zu behandelnder Beweisermittlungsantrag vor. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Beweislast für die Bejahung einer „Behauptung ins Blaue“ ausschließlich beim Gericht liegt[28], wobei der BGH einen „hohen argumentativen Aufwand“[29] verlangt. Ausgangspunkt für die Beurteilung ist die Sicht eines verständigen Antragsstellers auf der Grundlage der von ihm selbst nicht in Frage gestellten Tatsache.[30]
Letztlich muss der Beweisantrag auf solche Tatsachen gerichtet sein, welche die Schuld- und Rechtsfolgenfrage betreffen. Aus diesem Grunde scheiden solche Verlangen als Beweisantrag aus, die auf die Klärung von Verfahrensfragen abzielen (u.a. das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen), da hierfür der Freibeweis – und gerade nicht das Strengbeweisverfahren – Anwendung findet.
2. Das bestimmte Beweismittel
Für die zu beweisende Tatsache muss vom Antragsteller ein bestimmtes, von der StPO anerkanntes Beweismittel angegeben werden – und zwar ein solches des Strengbeweises[31]. Namentlich kommen daher nur folgende in Betracht:
- der Zeugenbeweis (§§ 48 ff. StPO)
- der Sachverständigenbeweis (§§ 72 ff. StPO)
- der Urkundenbeweis (§§ 249 ff. StPO)
- der Augenscheinsbeweis (insb. §§ 86 ff., 225 StPO).
Das jeweils angegebene Beweismittel ist generell so genau und konkret zu bezeichnen, dass dem Gericht die Aussicht auf Identifizierung und Ermittlung eröffnet wird.[32]
Hinsichtlich des Zeugenbeweises ist zu beachten, dass grundsätzlich die Individualisierung der Beweisperson erforderlich ist (Name, Anschrift).[33] Da dies dem Antragsteller des Öfteren wohl nicht möglich sein wird, ist auch als ausreichend angesehen worden, wenn sich der Aufenthaltsort der Person aus den angegebenen Tatsachen ermitteln und diese sich zudem individualisieren lässt.[34] Kann hingegen lediglich eine Person als Zeuge benannt werden, die erst noch aus einem Personenkreis herausgefunden werden muss, so genügt dies nicht für eine Individualisierung.[35] Kurz gesagt obliegt dem Antragsteller die Pflicht, dem Gericht einen Weg aufzuzeigen mittels dessen sichergestellt ist, dass das Gericht den namentlich nicht bekannten Zeugen erforschen kann. Eine pauschale Feststellung, ab wann eine dem Erfordernis der Individualisierung entsprechende Beschreibung zu bejahen und wann zu negieren ist, erscheint wie so vieles in der Jurisprudenz schier unmöglich. Je präziser allerdings die angegebenen Tatsachen zur Identifizierung der unbekannten Person im gestellten Antrag sind, desto schwerer wird sich das Gericht tun, das angegebene Beweismittel als unbestimmt zu deklarieren und den Beweisantrag abzulehnen. So dürfte exemplarisch die Beschreibung „Mitarbeiterin im Supermarkt XY in Passau (Adresse) mit langen schwarzen Haaren, welche am 05.06.2009 zwischen 16.30 Uhr und 16.45 Uhr an der Kasse 2 saß“ für eine Individualisierung ausreichend sein.
Da gemäß § 73 I 1 StPO die Auswahl des Sachverständigen durch das Gericht erfolgt, genügt die Angabe der Fachrichtung. Ein konkreter Sachverständiger muss nicht angegeben werden.[36]
Bei einer Urkunde muss diese stets konkret bezeichnet werden. Ein Beweisantrag auf Beiziehung von „Urkundengesamtheiten“ (insbesondere ganze Akten oder Geschäftsunterlagen) genügt dem Erfordernis der Bestimmtheit jedoch nicht – stattdessen ist eine genaue Angabe des Schriftstückes (v.a. Seitenzahl) nötig. Beweismittel ist nämlich die einzelne Urkunde, der einzelne Aktenvorgang oder die einzelne Eintragung – und gerade nicht die komplette Akte an sich; es sei denn, dass durch den gesamten Inhalt einer Urkundensammlung eine bestimmte Tatsache bewiesen werden soll[37], so z.B. wenn mittels der kompletten Geschäftsakten sämtliche finanziellen Transaktionen zwischen dem Angeklagten und einem Zeugen dargelegt werden sollen.
Im Rahmen eines Antrages auf Augenscheinnahme ist die exakte Bezeichnung des Objektes erforderlich als auch die Benennung des Ortes, an welchem es sich befindet.
3. Konnexität zwischen Beweistatsache und Beweismittel
Entgegen obiger Definition[38] des Beweisantrages, welche lediglich eine Beweisbehauptung und ein bestimmtes Beweismittel des Strengbeweises erfordert, stellt die neuere Judikatur des BGH seit seiner Leitsatzentscheidung aus dem Jahre 1993[39] als zusätzliches (drittes) Element einen inneren Zusammenhang (sog. Konnex) zwischen der zu beweisenden Tatsache und dem hierzu bezeichneten Beweismittel auf. Fehlt es daran ist ein bloßer Beweisermittlungsantrag zu bejahen. Dieser Konnex sei demnach vor dem Hintergrund zu sehen, dass dadurch dem Gericht eine „sinnvolle Prüfung“ der gesetzlich abschließend genannten Ablehnungsgründe ermöglicht werde.[40] Insbesondere wird im Rahmen des Zeugenbeweises verlangt, dass sich aus dem Beweisbegehren ergibt, weshalb der Zeuge etwas zum Beweisthema bekunden kann.[41]
Das Kriterium der „Konnexität“ ist in der Lehre allerdings nicht unumstritten. So wird insbesondere angeführt, dass dadurch eine Begründungspflicht kreiert wird, die entgegen der entwickelten Definition nicht verlangt wird.[42] Diesbezüglich ist allerdings zu berücksichtigen, dass von einer Entwicklung contra legem kaum gesprochen werden kann, da sich der Gesetzgeber gegen eine Legaldefinition des Beweisantrages entschied – stattdessen setzt die Strafprozessordnung diesen Begriff gerade voraus. Einhergehend damit ist ein Definitionsprozess als ein fließender einzustufen, welcher sich aktuellen Entwicklungen nicht entziehen kann und der BGH somit nicht gehindert ist, Definitionsmerkmale zu verändern oder eben auch zu ergänzen – einen festen Zeitpunkt, ab welchem man die Definitionsfindung als abgeschlossen anzusehen hat, gibt es nahezu nicht.[43] Der überzeugende Grund für die Ablehnung des Konnexitätserfordernisses ist aus Sicht des Verfassers hingegen, dass die Rechtsprechung durch das Instrumentarium der Konnexität einen Weg schuf, mittels dessen Anträge abgelehnt werden können, ohne – entgegen der gesetzlichen Konzeption – überhaupt das Vorliegen der engen und abschließend geregelten Ablehnungsgründe der §§ 244 III-V, 245 StPO zu prüfen.[44] Ferner ist der Grundsatz zu beachten, wonach der Antragsteller keine Rechenschaft ablegen muss, weshalb er eine konkrete Beweiserhebung begehrt und das Beweismittel für geeignet hält. Insbesondere wenn der Beweisantrag durch einen Verteidiger gestellt wird, ist darauf zu achten, dass er nicht in Konflikt mit seiner anwaltlichen Schweigepflicht gerät, wenn er Informationen zur Begründung der Konnexität preis geben muss.[45] Darüber hinaus bürdet der BGH dem Antragsteller die Last auf, sich bereits vor der eigentlichen Zeugenvernehmung in der Hauptverhandlung zu vergewissern, was der Zeuge nun eigentlich genau aussagen werde – diese Art der Informationsbeschaffung wird sich in der Praxis jedoch oftmals als sehr mühselig gestalten und letztendlich wird der Angeklagte bzw. dessen Verteidiger gar nicht mehr heraus finden können, als dass der Zeuge generelle Kenntnis von der Tat hat.[46] Es darf keinesfalls vergessen werden, dass im Strafprozess der Amtsermittlungsgrundsatz gilt und Ausgangspunkt die Unschuldsvermutung ist; demnach ist das Gericht verpflichtet, dem Angeklagten dessen Schuld in einem rechtsstaatlichen ordnungsgemäßen Verfahren nachzuweisen. Letzterer zentraler Grundsatz wird durch das Merkmal der Konnexität allerdings ins Gegenteil gekehrt – plötzlich obliegt nun dem Angeklagten die Darlegungs- und Begründungspflicht dahingehend, weshalb er von seinem über Art. 103 I GG verfassungsrechtlich statuierten Beweisantragsrecht Gebrauch machen möchte, wodurch er seine Unschuld beweisen will – obwohl das Gericht diesbezüglich „in der Beweislast“ ist und es diesem obliegt, die vermutete Unschuld des Angeklagten zu widerlegen. Darüber hinaus ist der Rechtsprechung des BGH bislang weder zu entnehmen in welchen konkreten Fällen nähere Ausführungen zur Konnexität erforderlich sind, noch gibt es genauere Vorgaben an welchem Maßstab die Begründungspflicht zu messen ist. Allein die pauschale Behauptung, dass die beantragte Zeugenvernehmung dann näher zu begründen sei, wenn dessen Wahrnehmung sich „nicht von selbst verstehe“[47] mag wohl kaum eine Aussage mit Allgemeingültigkeit begründen. Abschließend sei noch ein Zitat von Herdegen[48] angeführt, wodurch das Dilemma des konturlosen Merkmals der Konnexität zum Ausdruck kommt: demnach ist das Kriterium der Konnexität „ein Erfordernis, das nach Gutdünken verwendbar ist, weil es kein eindeutiges Kriterium dafür gibt, wann Konnexität sich von selbst versteht“.
[...]
[1] BGH, Beschl. v. 23.09.2008, 1 StR 484/08; HRRS 2008 Nr. 1150; NStZ 2009, 169 ff.; StV 2009, 64 ff.
[2] BVerfGE 57, 250 (275) = NJW 1981, 1719 (1722); BVerfGE 63, 45 (61).
[3] Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl. (2008), § 244 Rn. 11.
[4] Neben den genannten Verfahrensbeteiligten steht ferner dem Nebenkläger (§ 397 I 3 StPO) als auch dem Privatkläger (vgl. hierzu jedoch die Besonderheit des § 384 III StPO) ein Beweisantragsrecht zu.
[5] BVerfGE 46, 315 (319) = NJW 1978, 413; BVerfGE 65, 305 = NJW 1984, 1026.
[6] Vgl. hierzu die Besonderheiten bei der Privatklage (§ 384 III StPO), beim beschleunigten Verfahren (§ 420 IV StPO) sowie beim Verfahren nach einem Einspruch gegen einen Strafbefehl (§ 411 II i.V.m. § 420 IV StPO); bei diesen Verfahrensarten ist das Gericht an die streng gefassten Ablehnungsgründe aus §§ 244, 245 StPO nicht gebunden.
[7] Damit der Antragsteller jedoch weiß, weshalb seinem Begehren nicht nachgekommen wird, ist eine mit Gründen (§ 34 StPO) versehene Entscheidung unerlässlich – eines förmlichen Gerichtsbeschlusses (wie ihn § 244 VI StPO) verlangt) bedarf es allerdings gerade nicht; vgl. BGH NStZ 2008, 109.
[8] Beulke JuS 2006, 597 (597).
[9] Mosbacher Jus 2008, 125 (128).
[10] BGHSt 1, 29 (31); 6, 128 (129); NStZ 1981, 361; Deckers, Der strafprozessuale Beweisantrag (2007), S. 21.
[11] BGHSt 39, 251 (253).
[12] Beulke, StPO, 10. Aufl. (2008), Rn. 435.
[13] BGHSt 40, 3 (6); 43, 321 (330) = NJW 1998, 1723; NStZ 1998, 97 (97) mit abl. Anmerkung Rose NStZ 1998, 633; BGH NJW 2008, 3446 (3447); abl. Beulke (Fn. 9), 598.
[14] BGH JR 1977, 28 (29); BGH NJW 1994, 2614 (2614).
[15] Senge NStZ 2002, 225 (230).
[16] BGHSt 37, 162 (164) = NJW 1991, 435.
[17] BGH NJW 1995, 1501 (1503); NJW 1999, 2683 (2684).
[18] Waszczynski, Der Missbrauch des Beweisantragsrechts im Strafprozess (2008), S.26.
[19] Meyer-Goßner (Fn. 4), § 244 Rn. 20a (m.w.N).
[20] Kudlich JuS 2005, 570 (571).
[21] BGHSt 39, 251 (253 f.).
[22] Loewe-Rosenberg/ Gollwitzer, StPO, 25. Aufl. (2001), § 244, Rn. 105a.
[23] Beulke (Fn. 13), Rn. 436; BGH NJW 1999, 2683 (2684); Kühne, Strafprozessrecht, 7. Auflage (2007), Rn. 764.
[24] BGHSt 21, 118 (125); BGH NJW 1983, 126 (127); 1987, 2384 (2385); StV 2003, 369 (370).
[25] Beulke/Witzigmann StV 2009, 57 (59).
[26] BGH NStZ 2009, 49 (49).
[27] Beulke (Fn.13), Rn. 436; ders. (Fn. 9), 598; BGH StV 1985, 311 mit krit. Anm. Schulz; BGH NStZ 1992, 397 mit krit. Anm. Peters NStZ 1993, 293; BGH StV 2002, 233; 2003, 428; 2006, 458; Meyer-Goßner (Fn. 4), § 244, Rn. 20; aA. Herdegen NStZ 1998, 447; BGH 3 StR 354/07 = HRRS 2007 Nr. 1074; BGH StV 2008, 9 (10).
[28] Beulke/Witzigmann (Fn. 26), 60;
[29] BGH NStZ 2004, 51.
[30] BGH NStZ 1989, 334; 2006, 405; 2008, 52; 2009, 226.
[31] Strengbeweis ist das Beweisverfahren nach den §§ 244-256 StPO unter Beachtung der Mündlichkeit (§ 261 StPO) und Öffentlichkeit der Verhandlung (§ 169 GVG). Das Gesetz verlangt ihn nur für die Schuld- und Rechtsfolgentatsachen in der Hauptverhandlung (Meyer-Goßner (Fn. 4), § 244 Rn. 6). Zusammengefasst versteht man darunter „die Sachverhaltsaufklärung innerhalb der Hauptverhandlung unter Beschränkung auf die gesetzlich zugelassenen Beweismittel“ (Beulke (Fn. 13), Rn. 180).
[32] OLG Köln StV 2006, 685; NStZ-RR 2007, 150.
[33] Becker NStZ 2003, 415.
[34] BGH NStZ 1981, 309; 1995, 246; Deckers (Fn. 11), S. 22.
[35] BGHSt 40, 3 = NStZ 1994, 247 mit Anm. Widmaier = StV 1994, 169 mit Anm. Strate = JR 1994, 288.
[36] OLG Hamm MDR 1976, 338.
[37] BGHSt 6, 128 (129).
[38] Vgl. B. I.
[39] BGHSt 40, 3 (6) = NJW 1994, 1294 = NStZ 1994, 248.
[40] Widmaier NStZ 1994, 248; Niemöller StV 2003, 687 (692).
[41] BGH NStZ 2000, 437; NStZ-RR 2001, 43 (44).
[42] Beulke (Fn. 9), 598 f.
[43] Waszczynski (Fn. 19), S. 28; vgl. auch Jahn JuS 2008, 1026 (1027).
[44] Brüning ZJS 2008, 554 (556).
[45] Beulke/Witzigmann (Fn. 26), S. 61.
[46] Jahn JuS 2008, 1026 (1027).
[47] BGHSt 43, 321 (330); BGHSt NStZ 1999, 522.
[48] KK-StPO/ Herdegen, 5. Aufl. (2003), § 244 Rn. 48a.
- Citation du texte
- Dipl.-Jur. Tobias Schudlik (Auteur), 2010, Der strafprozessuale Beweisantrag und dessen Vereinbarkeit mit dem "Fristenmodell" des BGH, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/142504
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