Die Errichtung des Neuen Gewandhauses zu Leipzig war der erste und einzige Kulturneubau in der DDR, der in seiner architektonischen Gestaltung allein den Ansprüchen der zeitgemäßen Aufführungspraxis klassischer Musik unterworfen war. Mit diesem Anspruch wurde das Unternehmen zu einem Prestigeobjekt, in dem auch der bildenden Kunst ein hoher Stellenwert eingeräumt wurde. In der Galerie des Hauses sind Werke eines Großteiles aller bedeutenden Künstler der ehemaligen DDR vertreten.
Den Mittelpunkt der hiermit vorgelegte Arbeit stellt ein Wandbild des Leipziger Malers Wolfgang Peuker dar, welches im Konzertneubau zwar begonnen, aber nicht vollendet wurde. An prominenter Stelle des Konzerthauses und unter dem monumentalen Deckenbild von Sighard Gille sollte Peuker ein mehr als 60 Quadratmeter großes, dreiteiliges Werk schaffen, welches jedoch vor der Fertigstellung übermalt und verkleidet wurde. Das Anliegen dieses Textes ist es, unter Einbezug von Archivmaterialien und Auskünften beteiligter Zeitzeugen Vorgänge und Gründe für die Zerstörung dieses Bildes zu untersuchen. Aufbauend auf den so rekonstruierten und bisher nur lückenhaft dokumentierten Ereignissen wird des Weiteren versucht, eine objektive Bewertung der Bildzerstörung vorzunehmen und diese im Kontext des Kunstauftragswesens in der ehemaligen DDR zu betrachten.
Ergänzt wird die Arbeit durch einen umfangreichen Anhang, in welchem die im Rahmen der Recherche geführten Interviews mit beteiligten Zeitzeugen nahezu ungekürzt wiedergegeben sind und somit einen ergänzenden, interessanten Einblick in die Errichtung des Gewandhauses ermöglichen.
Inhaltsverzeichnis
I „Welttheater“
1 Vorwort
2 Forschungsstand und aktuelle Literatur
3 Werke der bildenden Kunst in den historischen Gewandhausbauten
3.1 Vorbemerkungen
3.2 Der erste Gewandhaussaal (1781-1895)
3.3 Neues Concerthaus (1882-1944)
4 Das Neue Gewandhaus zu Leipzig
4.1 Vorbemerkungen
4.2 Bildende Kunst im Neuen Gewandhaus
4.3 Die „Bildkünstlerische Direktive“
5 Der Fall Peuker
5.1 Vorbemerkungen
5.2 Chronologische Rekonstruktion der Ereignisse
5.3 Fazit, Richtigstellungen und offene Fragen
5.4 Die Frage nach Verantwortung und Ursache
5.4.1 Vorbemerkungen
5.4.2 Der politisch-ideologische Aspekt
5.4.3 Der Aspekt der (fehlenden) künstlerischen Leitung
5.4.4 Der Aspekt der räumlichen und stilistischen Wirkung
5.4.5 Der inhaltliche Aspekt
5.5 Das „Welttheater“ als Auftragswerk
5.5.1 Kontext Auftragswesen
5.5.2 Die Zerstörung eines Auftragswerkes in der medialen Wahrnehmung
5.6 Fazit
5.6.1 Abschließende Betrachtungen
5.6.2 Ausblick - die Zukunft eines zerstörten Bildes
6 Literatur- und Quellenverzeichnis
6.1 Literaturverzeichnis
6.2 Quellenverzeichnis
II Anlagen
1 Die Interviews
1.1 Vorbemerkungen
1.2 Interview mit Prof. Dr. Rudolf Skoda, Chefarchitekt des Neuen Gewandhauses zu Leipzig
1.3 Interview mit Prof. Sighard Gille, Maler des Bildes „Gesang vom Leben“ im Neuen Gewandhaus
1.4 Interview mit Gudrun Brüne zur Rolle Bernhard Heisigs bei der bildkünstlerischen Ausgestaltung des Neuen Gewandhauses
2 Abbildungen Nachwort zur Druckfassung
I „Welttheater
1 Vorwort
„An der Stelle des ehemaligen Bildermuseums erbaut, ist das Neue Gewandhaus nicht nur ein Haus der Musik, sondern auch der bildenden Künste.“ (Gewandhaus/Masur o. J.) Diese Worte stellte der Gewandhauskapellmeister Kurt Masur einem Ausstellungskatalog voran, der einen Überblick über die Werke der bildenden Kunst im Neuen Gewandhaus zu Leipzig gibt. Mit der Einweihung des Hauses am 8. Oktober 1981 erhielt die ehemalige DDR ihren ersten Konzertsaal, welcher in der architektonischen Gestaltung und Ausstattung ausschließlich den Anforderungen zur Aufführung klassischer Musik unterworfen war. Für die bildkünstlerische Ausgestaltung dieses repräsentativen Gesellschaftsbaus konnten prominente Künstler der DDR gewonnen werden. Bereits die Front des Hauses zeigt jenen Stellenwert auf, den Werke der Kunst in seinem Inneren einnehmen. Einsehbar durch die Glasfassade, wirkt Sighard Gilles monumentales Deckengemälde „Lied von der Erde“ bis tief in den Augustusplatz hinein, einem zentralen Platz der Stadt Leipzig, und ist auch auf weite Entfernung ein markanter Anziehungspunkt des Gebäudes.
Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit soll jedoch ein Bild im Gewandhaus stehen, das heute nicht mehr zu sehen ist. Für das Hauptfoyer des Konzerthauses schuf der Leipziger Maler Wolfgang Peuker an prominenter Stelle ein großformatiges Wandbild unter dem Titel „Welttheater“. Noch bevor Peuker die Arbeit an seinem dreiteiligen Fries beenden konnte, beschloss das Präsidium des Verbandes Bildender Künstler vor Ort den Abbruch der Arbeit, worauf das Bild überstrichen und mit einem Holzpaneel verkleidet wurde.
Bis heute sind die Hintergründe und Ursachen dieser Zerstörung nur lückenhaft erschlossen, alle Darstellungen bisher erzielter Forschungsergebnisse werden auf Ausschnitte und das scheinbar „Wesentliche“ reduziert. Die aktuell zugänglichen Beiträge zum Thema sind weder umfangreich genug noch frei von Fehlern. Ziel dieser Arbeit ist also, die Geschehnisse um die Arbeit Peukers detailliert zu rekonstruieren und damit eine Basis zu erstellen, die anschließend eine objektive Beurteilung der Zerstörung erlaubt. Ebenso wird auf die Frage eingegangen, inwiefern der Kontext einer staatlichen Auftragsarbeit relevant für die Ereignisse und die Entscheidung gegen das Bild war.
Die gesamte Ausgestaltung des Neubaus mit Werken der bildenden Kunst basierte auf einem programmatischen Dokument, welches als kulturpolitische Grundlage das Rahmenthema aller künstlerischen Arbeiten diktierte. Diese „Bildkünstlerische Direktive“ wird hinsichtlich ihres Inhaltes, ihrer Bedeutung und Wirksamkeit zu analysieren sein.
Den Betrachtungen zum Fall Peuker wird ein kurzer Abriss über Bildkunst in den historischen Gewandhausbauten vorangestellt, der einen Einblick in die traditionelle Verbindung zwischen bildender Kunst und Tonkunst in der Geschichte des Gewandhauses ermöglicht. Auch wird so gezeigt, dass die Ereignisse um Peukers „Welttheater“ geschichtliche Vorläufer haben und die Zerstörung eines Kunstwerkes in einem der jeweiligen Leipziger Gewandhäuser in trauriger Tradition steht.
Aufgrund der angestrebten Detailgenauigkeit und des bereits erwähnten Mangels an brauchbarem, publiziertem Material ist dieser Arbeit ein umfassender Anlagenteil nachgestellt. In diesem finden sich neben Abbildungen drei ausführliche Interviews mit Zeitzeugen, die an der Ausgestaltung des Hauses beteiligt waren und mit ihren Aussagen eine glaubhafte Bewertung des Falles Peuker ermöglichen sowie Einblick geben in die Ausgestaltung des Gewandhauses mit Werken der bildenden Kunst.
2 Forschungsstand und aktuelle Literatur
Bis heute existiert keine umfangreiche und detaillierte Darstellung zu den Geschehnissen um den Beitrag Wolfgang Peukers bei der künstlerischen Ausgestaltung des Gewandhauses. Der Bestand an zugänglicher, relevanter Literatur zum Thema beschränkt sich auf die Beiträge von Behrends (o. J.), Mann/Schütrumpf (1995) und Michael (2001/02a; 2001/02b). Ersterer ist als Katalogartikel rein deskriptiver Natur und enthält keine weitergehenden Hintergrundinformationen. Einen Abriss über den gesamten Verlauf der bildkünstlerischen Ausgestaltung des Konzerthauses liefern Mann/Schütrumpf, wozu auch eine erste, aber nur knappe Rekonstruktion der Ereignisse um Peukers Beitrag gehört. Trotz umfangreicher Zitate aus Archivmaterial erschöpft sich auch diese Arbeit insgesamt in der Beschreibung recherchierter, historischer Tatsachen, ohne dabei näher auf Gründe und Ursachen einzugehen. Die aktuellsten und umfangreichsten Beiträge lieferte Michael anlässlich des Todes Wolfgang Peukers im Jahre 2001. Neben einer kritischen Hinterfragung der Entstehungsphase sowie einigen Interpretationsansätzen zu den historischen Ereignissen enthält der zweite Text eine kurze Analyse und Deutung des Bildinhaltes. Leider unterbleibt auch im umfangreichen Katalog von Roese (2004), der aktuellsten Publikation zum Werke Peukers, eine genaue Beschreibung und Wertung der Arbeit für das Gewandhaus.
Um den Verlauf der Entstehung des Bildes nachzuvollziehen, ist man auf erhaltenes Material beteiligter staatlicher Institutionen der ehemaligen DDR angewiesen. Vor allem die Bestände des Auftraggebers, der Rat des Bezirkes Leipzig, Abteilung Kultur, heute einzusehen im Sächsischen Staatsarchiv Leipzig, bieten dafür eine umfangreiche, gut erschlossene Basis, auf welche auch im Rahmen dieser Arbeit umfassend zurückgegriffen wurde. Leider war eine der maßgeblichen Signaturen des Sächsischen Staatsarchivs (SächsStAL BT/RdB 22762) zum Zeitpunkt der Recherche nicht auffindbar, sodass auch die hiermit vorgelegte Auseinandersetzung nicht für sich in Anspruch nehmen kann, tatsächlich alle zur Verfügung stehenden Quellen berücksichtigt zu haben. Weitergehender Forschungsbedarf ist also nach wie vor vorhanden.
3 Werke der bildenden Kunst in den historischen Gewandhausbauten
3.1 Vorbemerkungen
Die bis heute bestehende Leipziger Musiktradition des „Großen Concerts“ reicht mit diesem Namen bis in das Jahr 1743 zurück. Leipziger Bürger und Adlige ermöglichten mit der finanziellen Unterstützung von anfangs gerade 16 Musikern die erste Konzertunternehmung der Stadt. Die erste größere öffentliche Aufführung erfolgte noch im Jahre der Gründung in einem angemieteten Saal. Ein Jahr später mietete die Konzertgesellschaft ihr erstes dauerhaftes Domizil, den Saal des Gasthofes „Zu den drey Schwanen“ am Brühl, in welchem das zunächst noch kleine Orchester bis zum Jahre 1778 spielte. Trotz der nur vagen Überlieferungen von dieser Spielstätte wird in einer der Quellen bereits auf erste Werke der bildenden Kunst im Zusammenhang mit der Gesellschaft des „Großen Concerts“ hingewiesen: „Übrigens ist dieser Saal mit dem Bilde des Churfürsten geziert, der diesem Concert wöchentlich so gut als persönlich beywohnt.“ (Reichardt 1771; zit. nach Skoda 1985, 10) Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten, die Konzertunternehmung war nach wie vor auf die Unterstützung der einzelnen Gesellschafter angewiesen, wurde der Konzertbetrieb in den Jahren von 1778 bis 1781 eingestellt, ohne dabei in völlige Vergessenheit zu geraten.
Nachdem der Saal am Brühl den Ansprüchen des Orchesters und der Besucher nicht mehr genügte, war es der Vorschlag des Leipziger Bürgermeisters Carl Wilhelm Müller, einen neuen Konzertsaal zu bauen. In einem Brief vom 27. April 1780 schlägt Müller als Ort hierfür den Tuchboden über der alten Bibliothek in der heutigen Universitätsstraße vor - jenes Haus, welches von den Leipzigern bereits Gewandhaus genannt wurde. Am 25. November 1781 erklang das erste „Große Concert“ im eigens dafür errichteten, neuen Konzertsaal.
3.2 Der erste Gewandhaussaal (1781-1895)
Der Stadt verpflichtet, waren es natürlich Leipziger, die mit der Planung und Ausführung des ersten richtigen Konzertsaales beauftragt wurden. Architekt war der Ratsbaudirektor Johann Friedrich Carl
Dauthe, verantwortlich für die künstlerische Gestaltung des Saales zeichnete der Direktor der Leipziger Kunstakademie Prof. Adam Friedrich Oeser. Der Dresdener Maler Johann Ludwig Giesel war des Weiteren mit der Architekturmalerei beauftragt worden.
Oeser schuf den wichtigsten Beitrag der bildenden Kunst im ersten Gewandhaussaal. Für ein Honorar von 500 Talern fertigte er ein dreiteiliges Deckenbild, dessen Inhalt eine Allegorie des Sieges der neuen Kunst über die alte darstellte (vgl. Skoda 1985). Die qualitativen Bewertungen über diesen ersten Beitrag der Kunst für eine Spielstätte des Orchesters waren bereits indifferent. Wohlwollend spricht ein zeitgenössischer Stadtführer:
Der große Saal selbst ist groß genug, um mehrere hundert Menschen bequem fassen zu können. Beim Ausschmücken desselben legte man das Prinzip der größten Einfachheit zu Grunde und suchte besonders alle vorspringenden architektonischen Zierden zu vermeiden, um nicht die freie Wirkung des Schalles zu hindern. So erblickt das Auge an den Wänden nur nachgemachte jonische Säulen, während es sonst mit Wohlgefallen auf dem großen Oeserschen allegorischen Deckengemälde ruht. (Gretschel 1828; zit. nach Weinkauf/Große 1987, 59)
Weniger überzeugt, dafür ausführlicher über den eigentlichen Bildinhalt, äußert sich ein anderer Betrachter:
Wir gingen von da zu dem ConcertSaal, wo Oeser ein paar Platfonds gemahlt hatt. Auf dem einen eine Frauens-Person die in einem Buche Liest, ein Genius löscht ihr das Licht aus, aber es ist nicht finster, sondern heller Lichter Tag, sie kan's also entbehren; auf einem andern ziehen einige Genii den Pan bey den Ohren, einer schlägt ihn mit einem Fiedelbogen. (Soll die alte und neue Musick vorstellen.) Auf dem größten sind die Musen, da sie aber keine Atribute haben so kann man sie auch nicht von einander unterscheiden, sie sind in Drey oder Vier Gruppen eingetheilt, in der mittelsten ist eine Figur die sehr schlecht gezeichnet ist, daß colorit ist, wie ich schon vorher gesagt habe - schlecht. (Chodowiecki 1789; zit. nach Weinkauf/Große 1987, 60)
Wie auch immer die künstlerische Qualität des Bildes von Oeser gewesen sein mag, dem Entwurf nach wird es den Geschmack der Zeit getroffen haben, so ist sein weiteres Schicksal sicher unverdient. Der bereits zitierte Stadtführer des 19. Jahrhunderts berichtet in seiner zweiten Auflage:
Wir gebrauchten in Bezug auf die bei gedachten Sälen erwähnten Oeserschen Gemälde in der 1. Auflage dieses Werk- chens das Präsens; jetzt bedienen wir uns der Vergangenheit. Denn bei dem im J. 1833 vorgenommenen Erneuern dieser Säle ist man auf eine unbegreifliche Weise auf den Gedanken gerathen, durch einen geschmacklosen Anstrich auch jene Deckengemälde zu überpinseln, wodurch Kunstschätze verloren gingen, welche früher zu den sehenswerthesten Leipzigs gezählt wurden. (Gretschel 1836; zit. nach Weinkauf/Große 1987, 61-62)
Angeblich schadhaft geworden, zerstörte man das Bild bereits 52 Jahre nach seiner Entstehung. Wenn auch aus anderen Gründen, so sollte Oesers Bild nicht das letzte bleiben, welches in einem der Gewandhäuser vernichtet wurde.
3.3 Neues Concerthaus (1882-1944)
Die Bezeichnung „Gewandhaus“ für die Spielstätte des „Großen Concerts“ war bereits derartig verbreitet, dass auch die zweite eigenständige Spielstätte des Orchesters bald nach deren Eröffnung statt „Neues Concerthaus“ „Neues Gewandhaus“ hieß. Der Neubau erschien notwendig, nachdem der erste Gewandhaussaal mit nicht einmal 800 Plätzen zu klein und für damals zeitgenössische Aufführungen zu unmodern geworden war. 1880 startete die Direktion einen Wettbewerb, bei dem Architekten aufgerufen waren, Entwürfe für ein neues Konzerthaus einzusenden. Den ersten Preis und damit den Bauauftrag erlangten die Berliner Architekten Heino Schmieden und Martin Philipp Gropius. Ihr Entwurf umfasste einen großen Saal mit ca. 1450 Plätzen und einen Kammermusiksaal mit ca. 520 Plätzen. Unstimmigkeiten zwischen der Leitung des Hauses und der Stadt um den endgültigen Standort verzögerten den Baubeginn bis Ende Mai des Jahres 1882; die Einweihung des Neuen Gewandhauses wurde am 11. Dezember 1884 begangen. Maßstab für den zu errichtenden Bau war die außerordentliche Akustik des ersten Gewandhaussaales. Die Architekten orientierten sich an dieser Vorgabe, denn auch das neue Gewandhaus wurde für seine raumakustischen Eigenschaften weltberühmt und fand in seiner Bauweise internationale Nachahmung. Nicht zuletzt sorgten auch die Namen der Kapellmeister (z.B. Arthur Nikisch, Wilhelm Furtwängler und Bruno Walter) für die weltweite Reputation von Haus und Orchester.
Bildkünstlerisch orientierte man sich an den Vorlieben der Zeit, sodass die Ausgestaltung sehr viel umfangreicher ausfiel als noch im ersten Saal des Orchesters. Neben reichhaltiger kunsthandwerklicher Ausstattung aller Räume bestand der wesentlichste Beitrag der bildenden Kunst wieder aus Deckengemälden für den Konzertsaal. Ausgeführt wurden diese von Ernst Johann Schaller. Wie in der Architektur erfolgte auch in den Bildern thematisch ein Rückgriff auf die Antike:
An der Decke erscheint als Versinnbildlichung der Harmonie der Sphären der gestirnte Himmel: auf blauem Grunde die Zeichen des Thierkreises und vier größere Sternbilder: Uranus und Jupiter, Venus und Juno, in zartem Grau gehalten. Dazwischen die vier Tageszeiten und eine Gruppe im Tanze schwebender Idealgestalten, diese alle in leuchtenden Farben ausgeführt. (Gropius/Schmieden 1887, 4)
Bei der Gestaltung der Fassade hatte die Bildhauerei einen wichtigen Anteil. Im Giebelfeld des Mittelrisalits verwiesen Figuren, vor allem ein Apoll mit Leier, auf die Funktion des Hauses. Ebenso wie die Standbilder von Mozart und Beethoven in den Nischen links und rechts des Risalits, stammten die Entwürfe hierfür vom Dresdener Bildhauer Johannes Schilling.
Auch das zweite Gewandhaus blieb nicht ohne einen Skandal in Dingen der Kunst. Dem Rassenwahn des Nationalsozialismus folgend, nahm man Anstoß am Denkmal des Komponisten und Gewandhauskapellmeisters Felix Mendelssohn Bartholdy, welches seit 1892 vor den Portalen des Hauses stand. Diffamiert als „Vollblutjude“ und „öffentliches Ärgernis“ (zit. nach Skoda 1985, 52) forderte die Kreisleitung der NSDAP im Mai 1936 Maßnahmen gegen die Statue des Musikers. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1936 wurde das Denkmal Mendelssohn Bartholdys von Unbekannten heimlich abgerissen und vernichtet - auf den Tag genau zwei Jahre vor der Reichskristallnacht in Deutschland. Doch auch der Abriss des kriegsbedingt beschädigten Hauses ist kritisch zu bewerten. Nach nur 60 Jahren seines Bestehens wurde das „Neue Concerthaus“ am 20. Februar 1944 bei einem Fliegerangriff stark beschädigt. Der Einschlag einer Phosphorbombe im mit Holz getäfelten Kammermusiksaal ließ das Haus komplett ausbrennen; Grundmauern und Fassade überstanden den Angriff jedoch mit überschaubaren Schäden. Unter Vorsitz des damaligen Leipziger Oberbürgermeisters Erich Zeigner konstituierte sich am 15. Oktober 1947 ein Gewandhausaufbaukomitee, welches sich dem Wiederaufbau des Hauses widmete. Aufgrund verständlicher Materialknappheit in den Nachkriegsjahren konnte die Ruine jedoch nur notdürftig gesichert und von Schutt beräumt werden. Nach dem Tode Zeigners im April 1949 kamen sämtliche Rekonstruktionspläne ins Stocken. Wurde das Gewandhaus bis zum Kriege von einer privaten Konzertdirektion unterhalten, lag die Verantwortung über die Ruine nun in den Händen des Dezernates für Bauwesen des Rates der Stadt. Mehrmals wurde dort der originalgetreue Wiederaufbau versprochen, jedoch ohne Konsequenzen. Von 1951 bis 1968 wurden keinerlei Geldmittel für Sicherung und Erhalt des Hauses zur Verfügung gestellt. Priorität in Sachen Kulturbauten hatten die neu zu errichtende Oper und das Schauspielhaus. Denkmalschützer wiesen darauf hin, dass die erhaltene Bausubstanz und deren Statik eine Rekonstruktion durchaus erlauben würden. Ebenso errechneten die Experten, dass ein vorläufiger Erhalt finanziell wesentlich günstiger wäre als ein übereilter Abriss. Sicher wäre nach einer Rekonstruktion des Hauses dieses bald wieder an die Grenzen seiner räumlichen Kapazität gestoßen und auch die weiter gestiegenen Anforderungen der Aufführungspraxis des 20. Jahrhunderts sprachen gegen eine erneute Nutzung als Konzerthaus. Aber es mangelte auch nicht an Alternativen. Vorgeschlagen wurde unter anderem, das Haus als neue Stadtbibliothek oder als Erweiterungsbau der Universitätsbibliothek „Albertina“ zu nutzen, doch zu Aufbau und Erhalt fehlte den politisch Verantwortlichen der Wille. Die Wiedererrichtung eines Baus des 19. Jahrhunderts wurde angesichts des verordneten Strebens nach Modernität als anachronistisch empfunden und nicht zuletzt hegten Staat und Partei der DDR Verdacht gegen ein Symbol vergangener bürgerlicher Kultur. So beschloss man im Januar 1968 die Sprengung der Überreste des „Neuen Concerthauses“, welche dann am 29. März 1968 ausgeführt wurde - ausgerechnet in der Jubiläumsspielzeit „225 Jahre Großes Concert“ (vgl. Kaufmann 1996).
Mit dem Abriss ging aber nicht nur ein bedeutendes Architekturdenkmal verloren, denn auch die Rettung der unbeschadet gebliebenen, bereits erwähnten lebensgroßen Standbilder von Mozart und Beethoven in der Fassade der Ruine unterblieb. Mit der Sprengung des Hauses nahm man auch deren Zerstörung in Kauf. Nach dem Verlust der eigenen Spielstätte fand das Orchester im Filmtheater „Capitol“ eine vorübergehende Unterkunft, welche es bis Anfang 1947 nutzte. Bis zur Errichtung des heutigen Gewandhauses diente die Kongresshalle des Leipziger Zoos den Musikern für ihre Konzerte. Doch trotz Umbau des Mehrzwecksaales blieb dieser bis zum Jahre 1981 nur ein Provisorium.
4 Das Neue Gewandhaus zu Leipzig
4.1 Vorbemerkungen
Vor der Errichtung des neuen Gewandhauses am heutigen Augustusplatz bestimmten dort die Bauten der Universität diesen zentralen Ort maßgeblich. Neben dem Hauptgebäude und dem Hochhaus der damaligen Karl-Marx-Universität sollte ein drittes Gebäude das Campus-Ensemble architektonisch abschließen. Der Entwurf der Anlage sah ursprünglich neben dem Hochhaus, ungefähr am Standort des heutigen Konzerthauses, die Errichtung eines Rundbaues vor. Geplant war hier ein Mehrzwecksaal mit rund 1200 Plätzen als Auditorium maximum für die Universität. Auch das Gewandhausorchester sollte in diesem Haus seine neue Spielstätte finden, was aber allein aus Fragen der Kapazität ein Rückschritt gewesen wäre - erinnert sei an die ca. 1450 Sitzplätze des Vorgängerbaus. Stimmen, die eine neue, wieder eigenständige Spielstätte für das Orchester forderten, gab es bereits nach dem Kriege, doch erst mit der Übernahme des Amtes des Gewandhauskapellmeisters durch Kurt Masur im Jahre 1970 zog man aus diesen Forderungen Konsequenzen. „Mit unermüdlicher Einsatzbereitschaft und nie erlahmender Energie gelang es ihm, vom Staatsratsvorsitzenden bis zum Zimmermann Verbündete zu gewinnen, die ihn tatkräftig unterstützten, das Projekt zu realisieren.“ (Gewandhausdirektor Karl Zumpe; zit. nach Weinkauf/Große 1987, 29) Nach dem zuerst konzipierten Mehrzweckbau für Universität und Orchester entschloss sich der Auftraggeber, der Rat des Bezirkes Leipzig, für den Bau eines reinen Konzertsaales, dessen ganze Gestaltung allein den raumakustischen Anforderungen eines Orchesters unterworfen sein sollte. Nach den Entwürfen des Chefarchitekten Rudolf Skoda sollte der erste Konzerthausneubau der damaligen DDR einen großen Saal mit ca. 2000 und einen Mehrzwecksaal mit ca. 500 Sitzplätzen erhalten. Baubeginn war im Januar 1977 und nach gut vierjähriger Bauzeit wurde das Neue Gewandhaus zu Leipzig am 8. Oktober 1981 eröffnet - 200 Jahre nach den ersten Konzerten im ursprünglichen Gewandhaus.
4.2 Bildende Kunst im Neuen Gewandhaus
Allein der Standort des dritten Gewandhauses verpflichtete zur Berücksichtigung der Kunst, denn bis zum Abriss seiner Ruine im Jahre 1965 befand sich am selben Ort das Museum der bildenden Künste. Dem Rechnung tragend, räumte man der Kunst bereits in der Planungsphase des neuen Hauses einen hohen Stellenwert ein und zielte ebenfalls auf die ideale Einheit von bildender Kunst und Architektur ab, welche der Chefarchitekt dem Vorgängerbau bescheinigte (vgl. Skoda 1985). So stand die Entstehung des Hauses unter folgender Prämisse:
Der architektonische Raum ist eine wesentliche Existenzbedingung für ein Bildkunstwerk. Durch eine Integration von Werken der bildenden Kunst kann die Architektur wesentlich bereichert und auch der Sinn eines Bauwerkes eindeutig manifestiert werden. Die besten Ergebnisse auf diesem Gebiet sind immer dann entstanden, wenn das subjektive Wollen und Vermögen von Künstler und Architekt auf einer hohen Stufe stand und die Zusammenarbeit beider zu einem möglichst frühen Zeitpunkt begann. (Skoda 1985, 146)
Ergebnis dieser angestrebten Zusammenarbeit zwischen Künstlern und Architekt in der Planungsphase war die theoretisch-programmatische Grundlage der künstlerischen Ausgestaltung: die „Bildkünstlerische Direktive“, die unter Leitung des Architekten Rudolf Skoda und dem Künstler Bernhard Heisig erarbeitet wurde. Eine genauere Betrachtung dieser Direktive wird anschließend erfolgen.
Die Ausgestaltung des Hauses sollte sich auf zwei Schwerpunkte konzentrieren. Dazu zählte erstens das Hauptfoyer, das maßgeblich durch den weit in den Raum ragenden Saalunterboden, die angrenzende Glasfront und die weitläufigen Treppenaufgänge dominiert wird. Der zweite Konzentrationspunkt für Werke der Malerei ist die Galerie im zweiten Obergeschoss des Konzerthauses. Die Wände dieser Raumebene, auf welcher der gesamte Konzertsaal umschritten werden kann, sind prädestiniert für mehrere, großformatige Tafelbilder.
Komplex und am umfangreichsten waren die Pläne für die Gestaltung des Hauptfoyers. In das Vorhaben einbezogen wurden hier die erste Schräge des Saalunterbodens, der direkt daran angrenzende Sockel und die langen Wandflächen links und rechts des Raumes. Für die Westwand war ein Bild von Bernhard Heisig vorgesehen, das die Geschichte des Gewandhauses thematisieren sollte. Dem gegenüber an der Ostwand sollte eine Arbeit von Frank Ruddigkeit unter dem Titel „Musik und Gesellschaft“ ihren Platz finden. Beide Werke wurden nicht in der geplanten Weise ausgeführt. Aus Zeitmangel trat Heisig von seinem Auftrag zurück und ohne ein entsprechendes Gegenüber musste für die großformatige, vierteilige Arbeit Ruddigkeits (2 Tafeln je 2,20m x 1,17m und 2 Tafeln je 2,20m x 3,81m) ein anderer Standort gefunden werden. Unter dem Titel „Musik und Zeit“ befinden sich diese Bilder bis heute im Foyer des Kammermusiksaales. An der Sockelfläche des großen Saales, in Front der Hauptportale, war das ca. 60 Quadratmeter große Wandbild Wolfgang Peukers vorgesehen. Die Ereignisse um dieses Bild und seine letztendliche Zerstörung sollen im folgenden Schwerpunkt dieser Arbeit fokussiert werden.
Allein das monumentale Deckenbild von Sighard Gille wurde der ursprünglichen Konzeption folgend ausgeführt. Über eine Fläche von 712 Quadratmeter erstrecken sich die vier Bodensegmente des Saales, verbunden durch drei schmale Verbindungsflächen, welche der Künstler gestalterisch zu bewältigen hatte. Erschwerend kam hinzu, dass von keinem Standort, weder innerhalb noch außerhalb des Hauses, diese Fläche in ihrer Gesamtheit zu überschauen ist. Nur mit Hilfe eines Diaprojektors, der anfänglichen Unterstützung seines Kollegen Walter Libuda und fahrbaren Gerüsten konnte der Maler seine Entwürfe auf die leeren Wände übertragen. In nicht einmal zwölf Monaten und unter widrigsten Bedingungen malte Sighard Gille seinen „Gesang vom Leben“, angelehnt an Gustav Mahlers sinfonisches „Lied von der Erde“ (vgl. Gesellschaft der Freunde des Gewandhauses zu Leipzig 2000; Interview Gille).
Mit den Tafelbildern der Gewandhausgalerie ist die Malerei der ehemaligen DDR prominent vertreten. Die auch heute noch zu betrachtenden 16 Bilder (gezählt ohne den Beitrag von Frank Ruddigkeit) stammen von Gudrun Brüne, Dietrich Burger, Ulrich Hachulla, Heidrun Hegewald, Susanne Kandt-Horn, Harald Metzkes, Ronald Paris, Nuria Quevedo, Arno Rink, Willi Sitte, Volker Stelzmann, Walter Womacka und Heinz Zander. Des Weiteren waren Ankäufe von Werner Tübke, Wolfgang Mattheuer und Gerhard-Kurt Müller geplant, welche dann allerdings aus verschiedensten Gründen nicht erfolgten. Trotz der Vielzahl der künstlerischen Handschriften kritisierte man bereits kurz nach der Eröffnung des Hauses die Einseitigkeit der ausgestellten Werke. Bemängelt wurde in der Auswahl der Bilder die feste Verankerung einer noch immer am Realismus orientierten Auffassung von Kunst. Auch wenn man in Anbetracht der Bilder wahrlich nicht mehr von „sozialistischem Realismus“ sprechen kann, ist doch die formelle und stilistische Enge der Arbeiten untereinander nicht zu übersehen. Die nach der Eröffnung publizierte Besprechung trifft folgende Feststellung:
Angesichts der Gewandhaus-Galerie verwundert es mich nun, daß man gar nicht erst versucht hat, unmittelbare Entsprechungen in Form und Farbe zu schaffen, die auch den Klangereignissen moderner Musik gemäß wären. Keine Versuche der Grenzüberschreitung zwischen Malerei und Musik, man blieb in gesicherten Konventionen. Musik wurde illustriert als sei es Literatur, in einigen Bildern ebenso anspruchsvoll wie trivial, sich mühende Musikanten, Oper. (Schumann 1982, 6)
Die qualitative Beanstandung einzelner Beiträge und der Zusammensetzung der Galerie ist berechtigt, greift jedoch zu kurz und muss auf den Auftraggeber und dessen getroffene Auswahl an den zu beteiligenden Künstlern ausgeweitet werden. Die Entscheidung für die beauftragten Maler war ohne Risiken in Bezug auf die Qualität der zu erwartenden Ergebnisse („Man wusste ungefähr, was einen formal erwarten wird.“ (Interview Stuhr)) und basierte letztendlich auf der Angst vor Ablehnung durch das als konservativ eingeschätzte Gewandhauspublikum. So, laut Fazit von Rainer Beherends, „... wurde damals eine nahezu einzigartige Möglichkeit absichtsvoll vertan, die bildkünstlerischen Näherungsmöglichkeiten unseres Jahrhunderts zum Thema ,Musik‘ an einem Ort miteinander korrespondieren zu lassen.“ (Behrends o. J., 19)
Die Verantwortung für die bildkünstlerische Ausgestaltung lag bei der Abteilung Kultur des Auftraggebers, dem Rat des Bezirkes Leipzig. Aufgrund der Ausmaße des Bauprojektes war jedoch auch die Kulturabteilung der SED-Bezirksleitung, das Ministerium für Kultur sowie die Bezirksleitung und das Präsidium des VBK bei wichtigen Entscheidungen einzubeziehen. Die künstlerische Gesamtleitung und damit auch die Leitung des „Künstlerkollektives“ wurde Bernhard Heisig angetragen. Die Vielzahl staatlicher Organe und Institutionen, deren Repräsentanten und Verknüpfung untereinander, deren Mitspracherecht und Bürokratie muss klar als ein wesentlicher Grund für die Fragwürdigkeit einiger getroffener Entscheidungen in Dingen der Kunst gewertet werden.
4.3 Die „Bildkünstlerische Direktive“
Rudolf Skoda und Bernhard Heisig erstellten gemeinsam die theoretisch-programmatische Grundlage der künstlerischen Ausgestaltung des Gewandhauses: die „Bildkünstlerische Direktive“. Erarbeitet wurde diese bereits im Jahre 1976; einzusehen ist ihr Inhalt heute noch in einer „Vorlage für das Sekretariat der Bezirksleitung“ vom 25. April 1978 (vgl. SächsStAL BT/RdB 21565, Bl. 3a-8a). Der genaue Titel des Dokumentes lautet dort „Grundzüge der künstlerischen Konzeption für das Neue Gewandhaus Leipzig“. Besonders unter Berücksichtigung der äußerst konkreten thematischen und formellen Ansprüche, welche an die zu erstellenden Werke erhoben werden, erscheint dieses Dokument interessant. In Anbetracht der noch zu beschreibenden Diskrepanz zwischen den erhobenen Ansprüchen und der Wirklichkeit wird jedoch deutlich, dass es sich bei dieser Direktive in Auszügen lediglich um ein vom Auftraggeber eingefordertes Stück Kulturbürokratie handelt, welches vor allem in der thematischen Umsetzung größtenteils ohne Konsequenz blieb.
Maßgebend für alle Werke der bildenden Kunst im neuen Haus war der erste Punkt des Dokumentes, die eigentliche „Bildkünstlerische Direktive“. Um jene komplexen Vorstellungen und deren ideologischen Hintergrund zu zeigen, sei diese ausführlich zitiert:
Als Bestandteil der Dokumentation zur Investitionsvorentscheidung ist die bildkünstlerische Direktive im Dezember 1976 bestätigt worden. Als wesentliche Gesichtspunkte enthält sie folgende Zielstellungen: Beim Bau des Neuen Gewandhauses sollen sich Architektur, Malerei, Plastik, Kunsthandwerk und Industrieformgestaltung vereinigen und dem Thema „Leipzig - ein bedeutendes Zentrum der Musik der DDR“ überzeugend Ausdruck verleihen. In den öffentlichen Räumen mit hoher Kommunikation sind daher Werke der architekturbezogenen Kunst zu schaffen, die Darstellungen zum humanistischen und sozialistischen Musikschaffen und zu ihren Traditionen in unserer Republik zum Gegenstand haben. Auch die internationale Ausstrahlungskraft des sozialistischen Musikschaffens und die Pflege der progressiven Musiktraditionen der Welt sind bildkünstlerisch zu gestalten. Desweiteren sollte der Darstellung bedeutender Ereignisse und Persönlichkeiten Raum gegeben werden, die untrennbar mit der Entwicklung der Stadt Leipzig zu einem wichtigen Zentrum der sozialistischen Musikkultur verbunden sind. Ereignisse, wie die Gründung des Thomanerchores im Jahre 1212, die Entwicklung zum Gewandhausorchester mit dem Jahre 1781 und die Bildung des Konservatoriums 1843 sind ebenso zu berücksichtigen, wie das Wirken solcher hervorragender Persönlichkeiten des Musiklebens in der Stadt Leipzig, wie J. S. Bach, F. MendelssohnBartholdy, Arthur Nikisch u. a. (SächsStAL BT/RdB 21565, Bl. 4a)
Vor allem die konkreten Vorgaben an zu behandelnden Themen blieben von den Künstlern weitestgehend unbeachtet. Keiner der Maler thematisierte die Gründung des Thomanerchores, des Gewandhausorchesters oder des Konservatoriums. Nur in den Tafelbildern von Gudrun Brüne und Frank Ruddigkeit finden sich die geforderten „Persönlichkeiten des Musiklebens in der Stadt Leipzig“ (SächsStAL BT/RdB 21565, Bl. 4a) und Begrifflichkeiten wie „Darstellungen zum humanistischen und sozialistischen Musikschaffen“ (SächsStAL BT/RdB 21565, Bl. 4a) werden durch Arbeiten wie z.B. von Stelzmann, Sitte, Quevedo und Hegewald geradezu konterkariert (vgl. Gewandhaus/Masur o. J.). Besonders relevant für das Thema dieser Arbeit ist Punkt vier des Dokumentes, welcher sich mit Fragen der „architekturbezogenen bildenden Kunst“ auseinandersetzt (vgl. SächsStAL BT/RdB 21565, Bl. 5a-7a). Ausgehend von den wichtigsten Räumen des Hauses werden Vorgehensweisen und Möglichkeiten der künstlerischen Gestaltung aufgeführt und Künstler genannt, welche eventuell zu beauftragen sind. Der Großteil der geplanten Projekte (Aufstellung der Beethoven-Statue Max Klingers, der Brunnen in der Passage etc.) wurde später tatsächlich auch umgesetzt. Überraschend vage bleibt der Inhalt des Dokumentes in Bezug auf den wichtigsten Raum des Hauses hinsichtlich der künstlerischen Gestaltung: das Hauptfoyer. Erläutert wird die architektonisch komplexe Raumsituation und die daraus resultierenden Ansprüche der Gestaltung. Konkrete Absichten aber, wie etwa eine geplante Bemalung der Saaldecke, werden nicht genannt. Stattdessen legen die Autoren sich auf die Untersuchung gestalterischer Möglichkeiten anhand eines Modells fest, woraus später die oben beschriebene Planung für das Foyer resultierte. Thematisch griff man auf die nahezu unveränderte Phrase der künstlerischen Gesamtkonzeption zurück: „Leipzig - ein Zentrum der Musik der DDR“ (SächsStAL BT/RdB 21565, Bl. 5b). Konkret wie das Thema ist die Festsetzung, welche Künstler für die Ausgestaltung des Foyers zu beauftragen sind: „Das für diesen Bereich vorgesehene Künstlerkollektiv setzt sich zusammen aus Prof. Bernhard Heisig (Leiter), Frank Ruddigkeit, Sighard Gille und Ronald Paris.“ (SächsStAL BT/RdB 21565, Bl. 6a) Bis auf die Beiträge von Sighard Gille und Wolfgang Peuker kam es weder zu Aufträgen noch zu Bildern in dieser geplanten Konstellation.
Detaillierter geplant war Art und Umfang der vorzunehmenden Gestaltung des zweiten Obergeschosses, welches den gesamten Konzertsaal umläuft: „Es stehen 45 lfd. Meter Wandfläche zur Verfügung, auf der ca. 15-20 Kunstwerke unterschiedlicher Abmessungen Platz finden werden.“ (SächsStAL BT/RdB 21565, Bl. 6a) Interessant erscheint in dieser Passage auch der Verweis auf den Palast der Republik in Berlin, welcher 1976 eröffnet wurde und an dessen Ausstattung mit Werken der bildenden Kunst man sich orientieren wollte. Der Bezug auf das Prestigeobjekt staatlicher Repräsentation der DDR und der darin gezeigten Kunstwerke lässt erahnen, welche Bedeutung den Bildern im Gewandhaus eingeräumt wurde. Relativierend und der Darstellung bei Michael widersprechend, wonach die gesamte Bildkonzeption „ausdrücklich“ (Michael 2001/02a, 20) am Palast der Republik orientiert sei, muss auf den genauen Wortlaut der Direktive verwiesen werden. Dort heißt es, dass man lediglich die „gewonnenen Erfahrungen“ (SächsStAL BT/RdB 21565, Bl. 6a) bei der Ausgestaltung des Palastes in Berlin nutzen will. Hier ist keine Rede von „Ausdrücklichkeit“ und angesichts der vielen, nicht realisierten thematischen Vorgaben und den vagen Formulierungen der Direktive sollte auch der Bezug auf den Palast der Republik auf seinen tatsächlichen Anspruch hin relativiert werden. Gerade für spätere Fragen nach Hierarchien und Verantwortlichkeit geben Teile der bildkünstlerischen Direktive erste Hinweise. Unter Punkt fünf des Dokumentes, mit „Maßnahmen“ überschrieben, findet man die Auflistung aller Namen, die für die „Grundzüge der künstlerischen Konzeption“ verantwortlich zeichnen und an deren Erarbeitung mitwirkten. Neben den beiden stets genannten Namen Skoda und Heisig tauchen hier die Namen eines Mitglieds des Rates des Bezirkes, des Stadtrates für Kultur, des Gewandhauskapellmeisters und des stellvertretenden Chefarchitekten der Stadt Leipzig auf. In dieser Konstellation hat die „... Arbeitsgruppe [...] auch den Prozeß der künstlerischen Gestaltung des Neuen Gewandhauses zu leiten.“ (SächsStAL BT/RdB 21565, Bl. 7a/7b) Als Leiter der Arbeitsgruppe und damit Gesamtverantwortlicher für die bildkünstlerische Gestaltung des Hauses wird Bernhard Heisig genannt.
Verwiesen sei in Bezug auf Inhalt und Bedeutung der bildkünstlerischen Direktive noch auf Widersprüche, welche sich durch die Aussagen einer ehemaligen Mitarbeiterin des Rates des Bezirkes ergeben. Laut Interview mit Inge Stuhr war der Gewandhausneubau ursprünglich ohne Kunst konzipiert; sie widerspricht auch der Darstellung Prof. Skodas, nach dessen Aussage die Gestaltung des Saalunterbodens und der Bildgalerie bereits in der Planungsphase Priorität für ihn gehabt hätten: „... das war eindeutig nicht so!“ (Interview Stuhr) Laut Stuhr begannen konkrete Bemühungen um künstlerische Beiträge für das Haus erst in einer fortgeschrittenen Bauphase.
Ich glaube, vom Haus stand bereits die ganze äußere Stahlkonstruktion und in dem Moment ging es erst darum, dass auch bildende Kunst ins Haus muss ich bin mit Prof. Skoda durch das Haus gegangen und dabei haben wir geeignete Wände für die bildende Kunst gesucht. (Interview Stuhr)
Angesichts der klaren Standortbestimmungen für die Malereien des Gewandhauses in der Künstlerischen Direktive bleibt der sich hier abzeichnende Widerspruch über den Zeitpunkt, zu welchem die Idee geboren wurde, das Haus mit Kunstwerken zu versehen, leider ungeklärt.
5 Der Fall Peuker
5.1 Vorbemerkungen
Alle bisherigen Darstellungen der Ereignisse um Wolfgang Peukers Beitrag im Gewandhaus sind lediglich auf Ausschnitte bzw. auf das scheinbar „Wesentliche“ begrenzt. Im Mittelpunkt steht dabei oftmals nur jenes Geschehen, welches dann in Konsequenz zur Zerstörung des Bildes führte. Daher soll im Folgenden versucht werden, alle heute zu rekonstruierenden, relevanten Ereignisse und Daten zusammenzutragen, um so eine Basis zu erstellen, die eine objektive Bewertung getroffener Entscheidungen erlaubt.
Ausgangspunkt für die folgende Zusammenstellung ist heute verfügbares Material aus Literatur und Archivbeständen sowie die Aussagen aus den Interviews dieser Arbeit. Trotzdem kann noch immer kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden, da, wie bereits erwähnt, umfangreiches Material aus dem Sächsischen Staatsarchiv während der Recherche für diese Arbeit nicht einsehbar war. Bei Auffinden dieser vermissten Bestände bleibt deren Auswertung Aufgabe für zukünftige Arbeiten zum Thema.
5.2 Chronologische Rekonstruktion der Ereignisse
- 1976:
Der Chefarchitekt Rudolf Skoda erarbeitet zusammen mit Bernhard Heisig die „Bildkünstlerische Direktive“ zur Ausgestaltung des Hauses. Schwerpunkt hierbei ist der Eingangsbereich des Konzerthauses und die Galerieebene des zweiten Obergeschosses. Verantwortlich für die Gestaltung des Eingangsbereiches waren ursprünglich Bernhard Heisig als Leiter sowie Frank Ruddigkeit, Sighard Gille und Ronald Paris (vgl. SächsStAL BT/RdB 21565, Bl. 3a—8a).
- 1978:
Erste Ausführungsaufträge für die Ausgestaltung des Foyers gehen an Sighard Gille und Wolfgang Peuker. Ursprünglich sollte damit Bernhard Heisig beauftragt werden, welcher diese Aufgabe jedoch später an seine Schüler weiterreichte (vgl. Mann/Schütrumpf 1995; Interview Gille).
- Juni 1978:
Erste Beratung zwischen Wolfgang Peuker und der Auftraggeberseite, vertreten durch Rudolf Skoda und Bernhard Heisig. Ein Vertrag zur Erarbeitung eines ersten Entwurfes für den Saalunterboden im Maßstab 1:5 wird geschlossen. „Dabei ist es dem Auftragnehmer freigestellt, für welches enger um- rissene Thema er sich entscheidet.“ (SächsStAL BT/RdB 22762, unpaginiert; zit. nach Mann/ Schütrumpf 1995, 297) Im Nachtrag werden Gille und Peuker als Auftragnehmer für eine Wandmalerei des Formates 600 qm genannt.
- 1979:
In Vorbereitung ihres Auftrages reisen Gille und Peuker für zehn Tage nach Spanien, wo sie in Madrid Wandmalereien von Goya studieren (vgl. Interview Gille).
- Erstes Halbjahr 1980:
Peuker und Gille drängen auf einen Arbeitsraum für ihre Vorarbeiten sowie auf die Erarbeitung eines Modells im Maßstab 1:6 (vgl. Michael 2001/02a). Am 03.05.1980 entsteht ein Foto von Peukers Entwurf für den Saalunterboden und die Stirnwand.
- 06.05.1980:
Für ihre Vorarbeiten steht Peuker und Gille nun ein geeigneter Arbeitsraum im Grassimuseum zur Verfügung. Für die Monate Juli und August ist eine Mitbenutzung der Theaterwerkstätten geplant (vgl. SächsStAL BT/RdB 21563, Bl. 26-28).
- 29.05.1980:
Für diesen Tag ist die Zwischenabnahme der Vorarbeiten von Peuker und Gille im Grassimuseum durch Karl Max Kober, Professor für Kunstgeschichte an der Leipziger Universität, angesetzt (vgl. SächsStAL BT/RdB 21563, Bl. 20-21).
- 30.05.1980:
In einer handschriftlichen Mitteilung der Mitarbeiterin I. Stuhr vom Rat des Bezirkes bewertet diese den aktuellen Arbeitsstand von Peuker und Gille als „zufriedenstellend“. Aber: Die „Haltung, daß sich noch offene Probleme der Gestaltung auf [der] Decke klären lassen, darf unter keinen Umständen akzeptiert werden“ (SächsStAL BT/RdB 21563, Bl. 29). Hierin zeichnet sich der offensichtliche Mangel an aussagekräftigen Vorarbeiten für den Auftraggeber ab, welche als Grundlage dessen Bewertung des jeweiligen Arbeitsstandes dienten.
- 05.06.1980:
An den Minister für Kultur der DDR, H.-J. Hoffmann, ergeht von J. Geldner eine Meldung über den Arbeitsstand von Peuker und Gille; außerdem spricht er sich für die Weiterarbeit der beiden Künstler aus und lädt den Minister zu einer gemeinsamen Zwischenabnahme am Modell ein (vgl. SächsStAL BT/RdB 21563, Bl. 30/49).
- Ende Juni 1980:
Die Beratergruppe meldet nach Berlin, dass sie den gemeinsamen Entwurf von Gille und Peuker der Weiterbearbeitung für würdig hält.
- vor dem 10.07.1980:
Entgegen der ursprünglichen Festlegung, dass Peuker und Gille zusammen am Saalunterboden arbeiten sollen, trifft der Auftraggeber die Entscheidung, dass das Bild eine einheitliche malerische Handschrift bekommen soll. Gille allein wird von Bernhard Heisig für diese Aufgabe nominiert. Peuker wird daraufhin die an den Saalboden angrenzende, senkrechte Wand als Gestaltungsfläche zugewiesen. Erst aufgrund dieser Entscheidung kommt es zwischen Peuker und Gille zu Unstimmigkeiten (vgl. Michael 2001/02a; Mann/Schütrumpf 1995; Gewandhausarchiv, Dokument 1; Interview Gille).
[...]
-
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X.