Die folgende Arbeit betrachtet den Film Tacones lejanos des spanischen Regisseurs Pedro Almodóvar unter Verwendung der Gender-Theorie Judith Butlers. Auf den ersten Blick scheinen die Theoretikerin und der Regisseur nicht viel gemeinsam zu haben und es ist wohl auch nicht anzunehmen, dass die Werke beider in direkter Beziehung zueinander stehen, doch lassen sich bei genauerem Hinsehen Parallelen entdecken, die es interessant erscheinen lassen, Butlers Theorien auf das Werk Almodóvars zu beziehen.
Almodóvar und Butler gehören in etwa der gleichen Generation an und beide verfügen über eine grosse Sensibilität, die es ihnen ermöglicht, Strömungen ihrer Zeit aufzunehmen und diese in ihren Werken auf besondere Weise ans Licht zu bringen und zu thematisieren. Bei beiden lässt sich ein grosses Interesse an geschlechtlichen Zuschreibungen erkennen. Während Judith Butler die theoretischen Grundlagen für das Verständnis der Konstruktion von Geschlecht schafft, spielt Almodóvar in seinen Filmen mit traditionellen Normen und schafft Charaktere und Umstände, die mit den etablierten Gesetzen brechen, sie hinterfragen und parodieren. In den Filmen des Spaniers ist der Einfluss von Künstlern der Amerikanischen Avantgarde unübersehbar. Insbesondere John Waters und Andy Warholl werden häufig in Bildgestaltung, Handlung und Gestaltung der Charaktere zitiert. Ihr Interesse an den Filmen John Waters, dessen Film Butler in ihrem Buch Körper von Gewicht analysiert, verbindet sie mit Pedro Almodóvar, dessen Charaktere oft Watersche Züge tragen.
Eine merkwürdige Gleichzeitigkeit lässt sich zwischen den Werken der Theoretikerin und denen des Regisseurs feststellen: Almodóvars Film La ley del deseo wurde zum ersten Mal 1986 gezeigt. Ein Jahr später erschien Butlers erstens theoretisches Werk Subjects of desire, dessen Titel dem des Films sehr ähnelt. Der Film Tacones lejanos, der im Zentrum der folgenden Analyse steht, entstand 1991, ein Jahr nach der Erscheinung von Gender trouble, Butlers zweitem Werk, in dem sie die Konstruiertheit des Geschlechts thematisiert.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Körper von Gewicht
3. Pedro Almodóvar: Tacones lejanos
3.1 Attribute des Weiblichen
3.2 Männlichkeit als Maske
3.3 Ambiguität als Befreiung
4. Schluss
BibliographieS
1. Einleitung
Die folgende Arbeit betrachtet den Film Tacones lejanos des spanischen Regisseurs Pedro Almodóvar unter Verwendung der Gender-Theorie Judith Butlers. Auf den ersten Blick scheinen die Theoretikerin und der Regisseur nicht viel gemeinsam zu haben und es ist wohl auch nicht anzunehmen, dass die Werke beider in direkter Beziehung zueinander stehen, doch lassen sich bei genauerem Hinsehen Parallelen entdecken, die es interessant erscheinen lassen, Butlers Theorien auf das Werk Almodóvars zu beziehen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Almodóvar und Butler gehören in etwa der gleichen Generation an und beide verfügen über eine grosse Sensibilität, die es ihnen ermöglicht, Strömungen ihrer Zeit aufzunehmen und diese in ihren Werken auf besondere Weise ans Licht zu bringen und zu thematisieren. Bei beiden lässt sich ein grosses Interesse an geschlechtlichen Zuschreibungen erkennen. Während Judith Butler die theoretischen Grundlagen für das Verständnis der Konstruktion von Geschlecht schafft, spielt Almodóvar in seinen Filmen mit traditionellen Normen und schafft Charaktere und Umstände, die mit den etablierten Gesetzen brechen, sie hinterfragen und parodieren. In den Filmen des Spaniers ist der Einfluss von Künstlern der Amerikanischen Avantgarde unübersehbar. Insbesondere John Waters und Andy Warholl werden häufig in Bildgestaltung, Handlung und Gestaltung der Charaktere zitiert. Ihr Interesse an den Filmen John Waters, dessen Film Butler in ihrem Buch Körper von Gewicht analysiert, verbindet sie mit Pedro Almodóvar, dessen Charaktere oft Watersche Züge tragen.
Eine merkwürdige Gleichzeitigkeit lässt sich zwischen den Werken der Theoretikerin und denen des Regisseurs feststellen: Almodóvars Film La ley del deseo wurde zum ersten Mal 1986 gezeigt. Ein Jahr später erschien Butlers erstens theoretisches Werk Subjects of desire, dessen Titel dem des Films sehr ähnelt. Der Film Tacones lejanos, der im Zentrum der folgenden Analyse steht, entstand 1991, ein Jahr nach der Erscheinung von Gender trouble, Butlers zweitem Werk, in dem sie die Konstruiertheit des Geschlechts thematisiert.
In Almodovars Werk liegen butlersche Ansätze auf der Hand. Wenn auch nicht angenommen werden kann, dass A. sich je mit Butlers Theorien beschaeftigte. Vielmehr ist die Gleichzeitigkeit ein Indiz für die Wirkung kultureller Strömungen, die das kulturelle Schaffen einer Epoche grundlegend beeinflussen. Sowohl Butler als auch Almodóvar reagieren in ihren Werken sensibel auf die Anliegen, Entwicklungs- und Denkmöglichkeiten ihrer Epoche und öffnen auf unterschiedliche Weise den Horizont ihrer Leser bzw. Zuschauer für die Freiheit des menschlichen Geistes.
2. Körper von Gewicht
Judith Butler entwickelt ihre Theorie aus der These, das biologische Geschlecht sei keine unveränderliche, naturgegebene Tatsache, sondern Teil einer „regulierenden Praxis, die die Körper herstellt, die sie beherrscht. „[1]. Mit anderen Worten: sexuelle Differenz ist nie einfach nur Funktion materieller Unterschiede, sondern immer in irgendeiner Weise von gesellschaftlichen Diskursen geprägt.
Um ihre These zu unterstreichen und Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, dekonstruiert Butler in ihrem 1993 erschienenen Werk Bodies That Matter zunaechst das Konzept von Natur und Kultur, das der Festschreibung der Geschlechtsidentitaeten Frau / Mann zugrunde liegt und löst sich von der Dichotomie, die den Begriff sex mit dem biologisch grundgelegten Geschlecht und gender mit der gesellschaftlich geformten Geschlechtsidentität gleichsetzt. Das anatomische Geschlecht, das im Allgemeinen als unverrücktbar, eindeutig und naturgegeben betrachtet wird, ist bereits Teil des Diskurses. Butler argumentiert: „[...] dass jeder Rekurs auf den Körper vor dem Symbolischen nur im Symbolischen stattfinden kann, was anscheinend impliziert, dass es keinen Körper vor seiner Markierung gibt.“[2]
Ein rein biologischer Körper, ohne soziale Zuweisungen ist lediglich im vorsprachlichen Bereich zu denken und somit Fiktion. Einen Körper, ohne seine geschichtlichen Zuweisungen unvoreingenommen zu sehen ist praktisch nicht möglich. Butler leugnet nicht, wie oft kritisiert, die Materie des Körpers. Sie zeigt jedoch auf, dass der materielle Körper nicht von den Zuschreibungen regulierender Normen zu trennen ist, die ihn prägen und ohne die er nicht wahrnehmbar wäre.
Wenn, wie Butler behauptet, gender konstruiert ist, stösst man unvermeidbar auf die Frage, wer für die Konstruktion verantwortlich ist. Hier handelt es sich jedoch keinesfalls um ein Agens in Form eines „ich“ oder „wir“. Vielmehr entsteht das geschlechtliche „ich“ weder vor noch nach dem Prozess des „gendering“, sondern innerhalb und als die Matrix von gender-Beziehungen. Erst in einem ständig sich wiederholenden Prozess wird das biologische Geschlecht als regulierendes Ideal innerhalb einer Machtdynamik materialisiert. Dies geschieht durch Verwerfen und Ausgrenzung anderer möglicher Variationen, in denen Geschlechtlichkeit gelebt werden kann, unter dem Druck einer regulierenden Norm, die dem jeweiligen sozialen System als Rechtfertigung dient. Erst durch ein verwerfliches „Aussen“ lässt sich das heterosexuelle Ideal eingrenzen. Wichtig ist, dass die Festschreibung der geschlechtsspezifischen Normen nicht ein und für alle Mal geschieht, sondern durch ständige Wiederholung fixiert werden muss. Die Materialisierung der Körper ist nie vollendet, da sich laut Butler „die Körper sich nie völlig den Normen fügen, mit denen ihre Materialisierung erzwungen wird.“[3] Da es sich bei den Normen um konstruierte Normen handelt, die der Materie aufgeprägt werden, ihr jedoch nicht inhärent sind, müssen die ungeschriebenen Gesetze auf denen die Konstruktion des Geschlechts beruht immer wieder neu zitiert und aktualisiert werden, um sich immer wieder von neuem in das Bewusstsein einzuprägen und ihre Gültigkeit zu erhalten.
Und hier genau sieht Judith Butler die Chance und Herausforderung: Angesichts der starren Normen, die die geschlechtliche Identität über Jahrhunderte prägten und einen großen Teil möglicher Spielarten von Identitäten auf das Schmerzlichste unterdrückten und sanktionierten, ruft die Philosophin dazu auf, die abgespaltenen, verworfenen Teile sexueller Identitäten, die schamvoll unterdrückte Farbigkeit menschlicher Möglichkeiten wieder zu integrieren und somit allmählich eine Desidentifizierung und Erweiterung der sexuellen Identifikationen herbeizuführen. Voraussetzung dafür ist die Erkenntnis, „dass Materie vollständig erfüllt ist mit abgelagerten Diskursen um das biologische Geschlecht und Sexualität, die die Gebrauchsweisen, für die der Begriff verwendbar ist, präfigurieren und beschränken“ und das Wissen darum, „dass Materie selbst durch eine Reihe von Verletzungen begründet wurde, die in der heutigen Berufung auf Materie unwissentlich wiederholt werden.“[4]
Es geht Butler schließlich nicht darum, Begrifflichkeiten wie Weiblichkeit und Männlichkeit, abzuschaffen, sondern deren Voraussetzungen in Frage zu stellen und den Prozess ihrer Entstehung und die damit verbundenen politischen Interessen durchsichtig zu machen. Die Unsicherheit, die aus der Hinterfragung solch vermeintlich eherner, metaphysischer Begrifflichkeiten entsteht, könne, so die Philosophin, einen Umschwung im politischen Denken bewirken.
[...]
[1] Butler, Judith: Körper von Gewicht (Frankfurt am Main: Suhrkamp: 1997), S. 21.
[2] Körper von Gewicht, S. 143.
[3] Körper von Gewicht, S. 21.
[4] Körper von Gewicht, S. 53.
- Arbeit zitieren
- Ulrike Decker (Autor:in), 2001, Körper von Gewicht in Pedro Almodóvars Tacones lejanos, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/14201
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