Die visuelle Wahrnehmung ist eine wichtige Quelle von Informationen, die das soziale Miteinander gestaltet. Täglich begegnen wir einer Vielzahl von Menschen und gucken ihnen dabei oft ins Gesicht. Reid et al. (2017) zeigten, dass sogar Föten im Mutterleib schon Wahrnehmungsinformationen verarbeiten und eine Präferenz für aufrechte im Vergleich zu intervierten gesichtsähnlichen Reizen zeigten.
Bei einem Gesicht sind zwar die Basiskonfiguration/Grundmerkmale jedes Gesichts gleich (Augen, Nase, Mund), die Verarbeitung dieser Gesichtskomponenten erfolgt aber abhängig von der ethnischen Gruppenzugehörigkeit (Ingroup vs. Outgroup) unterschiedlich. Ingroup bezeichnet hierbei die eigene ethische Gruppe bzw. Eigengruppe im Vergleich zur Outgroup (Fremdgruppe), d.h. die andere ethnische Rasse. Dieser als Wahrnehmungsverzerrung bekannte sogenannte Other-race Effekt (ORE) beschreibt die schlechtere Wiedererkennungsleistung der Outgroup im Vergleich zur Ingroup, mit teilweise gravierende Folgen.
Auch wenn die Wieder/Erkennungsleistung von Gesichtern innerhalb einer Population stark schwankt, so ist der ORE ein robustes Phänomen. Die Ursachen des ORE werden kontrovers diskutiert, wobei grundsätzlich zwei theoretische Hauptströmungen zu unterscheiden sind. Hierbei stehen die inkonsistenten empirischen Belege teilweise in Diskrepanz zu den theoretischen Überlegungen. Eine der Hauptströmung bezieht sich auf die Expertise-Theorien, die kurz zusammengefasst besagen, dass der ORE auf einen Mangel an (Kontakt-)Erfahrung mit Outgroup- Gesichtern zurückzuführen ist. Eine Strategie den ORE zu reduzieren stellt demnach cross-race Kontakt dar. In ihren Metaanalysen, die in einem Abstand von 20 Jahren durchgeführt wurden, fanden Meissner und Brigham (2001) sowie Singh et al. (2021) aber nur eine geringe Reduzierung des ORE durch Kontakt. Auch die Kontakt-Vorurteils-Forschung fand nur einen geringen bis moderaten Effekt auf die Reduzierung von Vorurteilen durch Kontakt. Wurde Kontakt hingegen als qualitativer Kontakt implementiert, so stieg die Effektstärke.
Ein anderer Moderator, der den Zusammenhang zwischen dem ORE und Kontakt beeinflussen kann, ist das Alter bei der Kontaktaufnahme. McKone et al. (2019) konnten zeigen, dass sozialer Kontakt vor dem 12 Lebensjahr, aber nicht danach, den ORE eliminieren kann. Aber auch hier sind die empirischen Belege nicht einheitlich und eröffnen eine Diskussion über die neuronale Plastizität der Gesichtserkennung.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung
- 2 Theoretische Grundlagen
- 2.1 Begriffsdefinition
- 2.2 Folgen des ORE
- 2.3 Ursachen des ORE
- 2.3.1 Sozial-kognitive Theorien
- 2.3.2 Expertise-Theorien
- 2.3.3 Hybride Theorien
- 2.3.4 ORE und Kontakt
- 2.3.5 Zusammenfassung
- 2.4 Kontakttheorien
- 2.4.1 Kontakthypothese nach Allport
- 2.4.2 Intergroup-Contact Theory nach Pettigrew
- 2.4.3 Indirekter Kontakt
- 2.4.4 Zusammenfassung
- 2.5 Alter bei der Kontaktaufnahme
- 2.6 Fragestellung
- 2.7 Hypothesen
- 3 Methoden
- 3.1 Interne Präregistierung
- 3.2 Ein- und Ausschlußkriterien
- 3.3 Vorgehen
- 3.4 Verwendete Primärstudien
- 4 Ergebnisse
- 4.1 Studien zu H1 und H2
- 4.2 Studien zu H3
- 4.3 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Hypothesen
- 4.3.1 Zusammenfassung der Ergebnisse zu H1 und H2
- 4.3.2 Zusammenfassung der Ergebnisse zu H3
- 5 Diskussion der Ergebnisse
- 5.1 Diskussion der Ergebnisse zu H1 und H2
- 5.2 Diskussion der Ergebnisse zu H3
- 5.3 Limitationen
- 5.3.1 Limitationen bezogen auf die Primärstudien
- 5.3.2 Limitationen bezogen auf das Literaturreview
- 5.4 Fazit und Implikationen für die Zukunft
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Bachelorarbeit befasst sich mit dem Zusammenhang zwischen visueller Expertise und dem sog. Other-race Effekt (ORE). Das Ziel der Arbeit ist es, den aktuellen Forschungsstand zu diesem Thema anhand eines systematischen Literaturreviews zu analysieren.
- Definition und Auswirkungen des Other-race Effekts
- Theorien zur Entstehung des ORE (sozial-kognitive, Expertise-basierte und hybride Theorien)
- Rolle von Kontakt und Expertise in Bezug auf den ORE
- Einfluss des Alters bei der Kontaktaufnahme auf die Fähigkeit, Gesichter zu erkennen
- Zusammenhang zwischen Expertise und dem ORE
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Einleitung, die den Forschungsgegenstand einführt und die Relevanz des Themas erläutert. Im zweiten Kapitel werden die theoretischen Grundlagen des ORE sowie relevante Theorien zur Entstehung des Effekts, insbesondere Expertise-Theorien, vorgestellt. Das dritte Kapitel beschreibt die Methoden des Literaturreviews, die Auswahl der Primärstudien und die Vorgehensweise. Im vierten Kapitel werden die Ergebnisse des Literaturreviews zusammengefasst, wobei Studien zu den formulierten Hypothesen betrachtet werden. Das fünfte Kapitel diskutiert die Ergebnisse, beleuchtet Limitationen der Forschungsarbeit und zieht Schlussfolgerungen für zukünftige Forschung.
Schlüsselwörter
Other-race Effekt, Gesichtserkennung, Expertise, Kontakt, Intergruppenkontakt, sozial-kognitive Theorien, Expertise-Theorien, Literaturreview, Systematisches Literaturreview, Forschungsstand, Primärstudien, Ergebnisse, Diskussion, Limitationen, Implikationen
- Quote paper
- Anka Triebel (Author), 2023, Visuelle Expertise und der Other-Race Effekt, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1416198