Jeder Mensch wächst – behütet von seinen Eltern, seiner Familie – zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort auf. Von Anbeginn nimmt er dort seine Umgebung wahr und verankert sie in seinen Erinnerungen. Selbst wenn er in späteren Jahren an anderen Orten lebt, so hält er die Heimat in seinem Innern fest und nutzt sie als Quelle seiner Rückbesinnung und seines Handelns. Er entwickelt sein persönliches Heimatgefühl, das er auch mit anderen aus seiner Heimat teilen kann, ja das eine Gemeinschaft von Menschen gleichen Geschichtsursprunges verbindet. In unserer globalen Welt scheint aber ein Heimatgefühl dieser Art keinen Platz mehr zu haben. Dennoch, der Mensch hat dafür ein instinktives Grundbedürfnis: er will einen, seinen persönlichen Platz in dieser Welt finden2. Damit ist aber nicht nur die Gegend um den Geburts- oder Lebensort gemeint, sondern auch der Ort in der menschlichen Gesellschaft – und in dieser nicht nur in der Jetztzeit, sondern auch, wo er herkommt, wo er hingeht. War bis 1970 Heimatkunde – und auch Landeskunde – ein Lernfach in der Grundschule, so wurde es dann durch „Sachkunde“ ersetzt. Damit ging eine gefühlsbetonte und langlebige Verknüpfung verloren, die Sache hat nämlich keine menschliche Beziehung mehr. Seltsam, schon in antiken Zeiten konnte in der wertenden Gesellschaft der bloß arbeitende Mensch eine Sache, ein Objekt sein. Der Begriff Kultur, in der ein Mensch hineinwächst und der heutzutage ständig als Bezugsgröße genannt wird, ersetzt nicht den Begriff Heimatgefühl. Kultur bildet den Rahmen, in dem Gefühle gestaltet und mit einem spezifischen Sinn versehen werden.3 Die Kultur selbst kann nicht Heimatgefühl erzeugen. [...]
Himmlisches Lichtspiel
Das Jahr 1942 werden die Meteorologen, die Soldaten und das ganze deutsche Volk in schlimmer Erinnerung behalten. Der Winter war grausam kalt und der Sommer bis in die Hundstage hinein kühl, trübe und regnerisch. Wie wird die Ernte werden? – Am Himmel gab es freilich gewaltige Erscheinungen zu sehen: Wolkengebirge, phantastische Wesen, wildes Segeln und sanftes Hinschwimmen, grauschwarze und gelbe Massive und weiße fedrige Zierlichkeiten. Nur, wer mag in den Himmel schauen, wenn ihm Erdennöte schier das Herz ab-drücken?
Gestern, am 25. Juli, war endlich ein heißer Tag. Doch der Himmel war nur blaßblau, weil Dünste die Luft erfüllten. Sie ballten sich schließlich zu dicken Wollen und drohten mit Gewitter und Regen. Gegen 20 Uhr fielen auch einige Tropfen. Indeß, man konnte im Freien sitzen bleiben und da es nicht zu stärkeren Regen kam, entschlossen wir uns, der Einladung einer Freundin, auf deren Balkon zu sitzen, zu folgen. Er bietet erfreulichen Blick über die Franz Rabich, Seite 2
Stadt hinweg in freies Land zu hohen Wäldern und vor allem eine offene Sicht in den Himmel. Dabei ist man vor fremden Augen geborgen. Das an sich geruhige Treiben der Vorstadtstraße fließt fast unmerkbar vorbei. Man „die Welt“ ein wenig hinter und unter sich. Das kommt der Unterhaltung zugute, die sich leicht und schnell geistigen Dingen zuwendet. Wir gehen gern hinüber.
Einen Augenblick verweilen wir noch im Garten vor unserer Wohnung. Dort stand gerade ein Hausgenosse, ein Ingenieur, der meiner Frau auf ihre Bitte Steinklee besorgt hatte. Dafür wollte sie ihm danken. Sie liebt den Geruch der Pflanze, die getrocknet in die Schränke gebracht, an den Geruch der Schenke der Großmutter erinnert. Das erinnerte nun den Hausgenossen an seine Großmutter, die Kräuter und Pilze kannte und sammelte. Die Kräuter erfüllten ihr Häuschen im Sommer ganz mit Duft, denn sie wurden dort ausgelesen, gebündelt und geordnet, wie es der Apotheker verlangte, an den sie verkauft wurden. Die Pilze verwendete die Großmutter für sich und ihre Geisen, denn Pilze fördern die Milchleistung. Pilze und Erbsen. Erbsen? Dabei fiel dem Erzähler ein Jungenstreich ein. Er hat seine Jugend im Frankenwalde verbracht, einer sehr armen Gegend. Er musste zeitweilig nach der Schule die Geisen der Großmutter hüten, die dazu ein Stück vom Damm der Stailaer Bahn gepachtet hatte. Und weil er mit seinen Geisen an ein paar anderen Höfen vorbeikam, schickten ihm deren Bewohner ihre Geisen heraus zum Mithüten. So entwickelte sich die Übung, dass der Erzähler jeden Tag von einem anderen Hofe sein Essen bekam. „Da lernt man aufpassen, wie die Ordnung ist.“ Aber nicht auf diese Lehre kam es dem Erzähler an, sondern auf eine Erbsengeschichte, dass die Erbsen von Geisen besonders lieb sind, wusste auch der Bub. Sein Hütebezirk führte bis in die Nähe einer Mühle, in der seine Großmutter ihr Getreide mahlen ließ. Sie brachte einen
Sack Getreide, dann holte die Müllersfrau eine Schiefertafel, und es gab ein weitläufiges Rechnen, wie viel Mehl, wie viel Kleie und Sonstiges die Großmutter zu bekommen hätte. Bei der Mühle nun war ein Erbsenfeld, fuhr der Erzähler fort, „und es reizte mich, meinen Geisen etwas Gutes anzutun. Ich verschafft mir also eine Zuckerschnur, die kostete 2 Pfennige, und da eine nicht reichte, brauchte ich noch 2 weitere. Als ich sie hatte, trieb ich die Geisen bis an die Grenze unseres Pachtreiches, kroch ins Erbsenfeld, macht dort Erbsen ab und umwickelte sie mit der Schnur, kroch zu den Geisen zurück und holte die Erbsen unauffällig mit der Schnur bei. Die Müllerin hatte aber doch etwas gemerkt und es gab beim nächsten Getreidetausch ein Verhör. Ich leugnete natürlich und die Frau ist nicht besonders in mich gedrungen. So blieb der Fall ungeklärt und ich konnte noch manchmal zur Freude meiner Geisen Erbsen ergattern.“
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