In der vorliegenden Arbeit wird der 1681 anonym erschienene Roman Das Narrenspital, welcher heute Johann Beer zugeordnet wird, auf seine verschiedenen Narrheitskonzeptionen und sein Spiel mit den literarischen Narrenbildern untersucht. Zudem soll der Weg der Pathologisierung des Narren am Ende des barocken Zeitalters Schwerpunkt dieser Auseinandersetzung sein. Hierzu werden die verschiedenen Thesen Michel Foucaults herangezogen, welcher sich eingehend mit den Thematiken des Subjekts, der Macht, der Repression, des Wissens und der Sprache befasst hat. Sie dienen diesen Ausführungen als Voraussetzung, um den Blick auf die Thematik zu sensibilisieren, und sind gleichsam hilfreich und wegweisend in der Betrachtung des im Werk dargestellten Besuchs des Narrenspitals, welcher separat in einem eigenen Kapitel behandelt wird, da er die Klimax des zu bearbeitenden Textes repräsentiert.
Zunächst kritisiert der satirische Roman den negativen Aspekt von Autorität und körperlicher Disziplinierung. Im Weiteren erörtert er jedoch auch die Umkehrung in sein Gegenteil, die absolute freie Körperlichkeit, die im Text als Einsamkeit, Isolation und gesellschaftliches Ausgeschlossensein inszeniert ist. Das Thema des Helden oder Anti-Helden mit dem Namen 'Lorentz hinter der Wiesen' und des Ich-Erzählers 'Hans guck in die Welt' ist sowohl das des kritischen Satirikers als auch des kritikwürdigen Sünders gleichermaßen, da die groteske Revolte gegen die züchtigende Autorität auch nur ein anderer Weg in die Katastrophe ist.
Schwerpunkt und Hauptinteresse bei der folgenden Betrachtung des Textes ist die Abhandlung über die verschiedenen dargestellten Narrheiten, welche hier von den traditionellen literarischen und kulturtheoretischen Formen hin zu einem neuen, in die Moderne weisendes Niveau reichen, m.a.W. vom Hofnarren und Schalksnarren über den festlichen Fastnachtsnarren hin zur Isolation in speziellen Spitälern. Außerdem wird im Hinblick auf diese Thematik im Text sowie an den Thesen Foucaults deutlich, dass es sich um eine willkürliche Definitionsmacht hinsichtlich der Trennung von Vernunft und Narrheit handelt. Es wird klar, dass die Klassifikation und Ordnung des Wahnsinns das Mittel ist, um zu beherrschen und aus den gesellschaftlichen Diskursen auszuschließen. „Seit dem Mittelalter ist der Wahnsinn derjenige, dessen Diskurs nicht ebenso zirkulieren kann wie der der andern: sein Wort gilt für null und nichtig, es hat weder Wahrheit noch Bedeutung.“
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Romananalyse
2.1. Textaufbau, Erzählperspektive, Fokus, Sprache
2.2. Figurenkonstellation
3. Der Besuch des Narrenspitals
4. Reflektionen
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
In der vorliegenden Arbeit wird der 1681 anonym erschienene Roman Das Narrenspital, welcher heute Johann Beer zugeordnet wird, auf seine verschiedenen Narrheitskonzeptionen und sein Spiel mit den literarischen Narrenbildern untersucht. Zudem soll der Weg der Pathologisierung des Narren am Ende des barocken Zeitalters Schwerpunkt dieser Auseinandersetzung sein. Hierzu werden die verschiedenen Thesen Michel Foucaults herangezogen, welcher sich eingehend mit den Thematiken des Subjekts, der Macht, der Repression, des Wissens und der Sprache befasst hat. Sie dienen diesen Ausführungen als Voraussetzung, um den Blick auf die Thematik zu sensibilisieren, und sind gleichsam hilfreich und wegweisend in der Betrachtung des im Werk dargestellten Besuchs des Narrenspitals, welcher separat in einem eigenen Kapitel behandelt wird, da er die Klimax des zu bearbeitenden Textes repräsentiert.
Zunächst kritisiert der satirische Roman den negativen Aspekt von Autorität und körperlicher Disziplinierung. Im Weiteren erörtert er jedoch auch die Umkehrung in sein Gegenteil, die absolute freie Körperlichkeit, die im Text als Einsamkeit, Isolation und gesellschaftliches Ausgeschlossensein inszeniert ist. Das Thema des Helden oder Anti-Helden mit dem Namen Lorentz hinter der Wiesen und des Ich-Erzählers Hans guck in die Welt ist sowohl das des kritischen Satirikers als auch des kritikwürdigen Sünders gleichermaßen, da die groteske Revolte gegen die züchtigende Autorität auch nur ein anderer Weg in die Katastrophe ist.[1]
Schwerpunkt und Hauptinteresse bei der folgenden Betrachtung des Textes ist die Abhandlung über die verschiedenen dargestellten Narrheiten, welche hier von den traditionellen literarischen und kulturtheoretischen Formen hin zu einem neuen, in die Moderne weisendes Niveau reichen, m.a.W. vom Hofnarren und Schalksnarren über den festlichen Fastnachtsnarren hin zur Isolation in speziellen Spitälern. Außerdem wird im Hinblick auf diese Thematik im Text sowie an den Thesen Foucaults deutlich, dass es sich um eine willkürliche Definitionsmacht hinsichtlich der Trennung von Vernunft und Narrheit (oder Wahnsinn) handelt. Es wird klar, dass die Klassifikation und Ordnung des Wahnsinns das Mittel ist, um zu beherrschen und aus den gesellschaftlichen Diskursen auszuschließen. Denn: „Seit dem Mittelalter ist der Wahnsinn derjenige, dessen Diskurs nicht ebenso zirkulieren kann wie der der andern: sein Wort gilt für null und nichtig, es hat weder Wahrheit noch Bedeutung (...).“[2] Der Wahnsinn offenbart sich im Narrenspital in dem Verlust der ‚normalen’, vernünftigen Sprache und nicht im physischen Verhalten, wie es bei den mittelalterlichen echten Narren der Fall ist. „Die Sprache ist die erste und letzte Struktur des Wahnsinns.“[3] Es lässt sich konstatieren, dass der Dialog zwischen Vernunft und Wahnsinn an dieser Stelle in der Gesellschaft abbricht: Hatte bisher das Närrische, das Vernunftwidrige, das Böse seinen Platz im gesellschaftlichen System, d.h. in Ritualen und in der Literatur, kommuniziert der ‚Irre’ von nun an in einem stillen Monolog, während der sich als vernünftig Definierende als übergeordneter oder eingeordneter Betrachter im System über diesen spricht, wobei sich diese Vernunft jedoch immer nur in Abgrenzung zum Wahnsinn konstituiert. Foucault begreift dementsprechend den Wahnsinn als das Andere der Vernunft und diese wiederum als Prozess der Ausgrenzung, da jede Abgrenzung eines Begriffs wie z.B. ‚Vernunft’ notwendigerweise immer auf sein Gegenteil, den ‚Wahnsinn’, bezogen ist und nicht von ihm abgetrennt werden kann. Gleichzeitig stellt diese Bezogenheit von Oppositionsbeziehungen immer eine Hierarchie her, bei der einer der Begriffe als der schlechte, falsche, negative, abgeleitete, unwesentliche abgewertet wird. Gerade diese Wertminderung ist die Bedingung dafür, dass der erste Begriff seine Stärke gewinnt, von der aus er seinen Ausschluss überhaupt erst vollziehen kann, und ohne sein Gegenteil wäre er nie das, was er von sich behauptet.[4]
In Kapitel 2 erfolgt die ausführliche Werkanalyse, welche sich zunächst mit den formalen Stilmitteln dieses barocken, niederen Romans beschäftigt. Es werden Erzählperspektive, Fokus, erzählte Zeit vs. Erzählzeit sowie die besondere Sprache Beers und die Funktion des in der literarischen Tradition stehenden Incipits erläutert.
Im Folgenden wird dann die Personenkonstellation, d.h. Protagonisten und Hintergrundfiguren, charakterisiert, wobei dies immer im Hinblick auf die zahlreichen klassischen Narrentypen, welche im Text bzw. in den Figuren verborgen sind, geschieht. Wie schon im Titel dieser Arbeit angedeutet, wird die Untersuchung in 3 hinsichtlich der Pathologisierung und Isolierung des Narren vertieft, gerade weil dessen gesellschaftliches Konzept bis dahin ein universales war und nicht nur im Text, sondern analog auch in der Gesellschaft ein neues und in die Moderne weisendes Niveau erreicht, da im klassischen Zeitalter von Descartes Vernunft, der Wahnsinn in eine organisierte Isolation verwiesen wird. Seine Méditations aus dem Jahre 1641 sind das erste philosophische Zeugnis für die vollständige Zurückweisung des Wahnsinns, wobei diesem geistigen Ausschluss ein performativer, also ein praktisch - sozialer, entspricht.
Punkt 4 und Schluss dieser Arbeit soll eine Reflektion des Werkes von Beer und der daraus resultierenden Erkenntnisse und Einsichten sein.
2. Romananalyse
2.1. Textaufbau, Erzählperspektive, Fokus, Sprache
Das Gerüst der Erzählung ist ein wertendes, erzählendes Ich mit dem Namen Hans guck in die Welt, welches aus der sicheren Distanz des Gereiften, Bekehrten, Frommen von einem vergangenen Teil seines eigenen naiven und sündhaftem Lebensweg berichtet. Dieser reicht somit nicht mehr bis in die Erzählgegenwart hinein, und der Text erlangt hierdurch elliptischen Charakter. Überdies fehlen auch immer wieder Teile in dem Bericht des Erzählers, die mit dem entschuldigen Hinweis auf Rauschzustände versehen sind: „(...), so verließen sie diese Gelegenheit, die Narren ferner zu betrachten, und dadurch war zugleich mein Vornehmen zuschanden, weil ich ihre eigentlich Gestalt dem Leser nicht so ausführlich, als ich wohl sonsten gewollet, habe vorstellen können.“[5]
Insgesamt teilt sich der Roman in 27 Kapitel, die als Episodenfolgen gestaltet sind und die in ihrer Kohärenz und ihrem Ton einen Bruch mit dem 15. Kapitel, dem Besuch des titelgebenden Narrenspitals, erkennen lassen. Gleichsam findet sich hier nicht nur der Wendepunkt des Geschehens, sondern darüber hinaus ist auch hinsichtlich der sprachlichen Form des Romans eine Veränderung feststellbar, welche mit dem Umbruch der Narrheitsdefinition in der abendländischen Gesellschaft einhergeht.
Metaphorisch gesprochen, lässt sich an dieser Stelle konstatieren, dass sich sowohl der IchErzähler als auch der Text in einer Liminalphase, einer Stufe des Umbruches oder des Übergangs, befinden.
Dem Ganzen vorangestellt ist ein einführendes Motto, in dem neben einer kurzen Charakterisierung des dann folgenden Textes das Anliegen verborgen ist, Autor und Leser die melancholischen Stunden zu verkürzen. Ein Thema, welches im Beginn des Textes sofort wieder aufgenommen wird, wo Beer das ‚Krankheitsbild’ des Melancholikers beschreibt, an welchem der Erzähler ebenso leidet, wie die halbe Welt und der dieses durch das Schreiben bzw. Lesen mildern will:
„ So jemand glaubt, ich komme, ihn mit diesem Traurig zu machen, der wird sich betrogen finden. Denn warum sollte ich meinen Nächsten mit einem Übel belegen, das ich etlicherma ßen fürärger als den Tod halte? Und mir ist niemals unbekannt gewesen, dass die Traurigkeit ein Gift sei, welches den Menschen viel eher als die stärkste Hydra würget. Deswegen suche ich etwas, welches nur fröhliche Wirkung mit sich führe und tauglich sei, uns in etwas des Schmerzes zu entbinden, welchem alle Menschen, und zwar jeder nach seinem gewissen Maße ergeben sind. Ich verstehe unter solchem Schmerze die zeitlichen Verdr üß lichkeiten, welche auch die Allergewaltigsten dieser Erde niemals von sich zu legen gewürdigt werden, und darum es nötig ist, dass man dem Melancholischen eine Schrift vorlege, die beides, ihre langweiligen Stunden und die wunderlichen Grillen, zu vertreiben nötig sei. “ [6]
Diese Romaneröffnung lässt an den Text La folie: Wahnsinn und Narrheit im spätmittelalterlichen Text und Bild von Angelika Gross denken, sowie die bis dato traditionelle Funktion der Narrheit, die durch ihren belustigen Charakter therapeutische Zwecke erfüllt.
Gleichzeitig dient dem Erzähler dieser Incipit als Plattform für die Rechtfertigung seines Schreibens, der hierfür gewählten sprachlichen Mittel und dem Nutzen dieser Art von Literatur (die von der Kritik lange Zeit unbeachtet blieb, da sie als minderwertig angesehen wurde), welche auf den ersten Blick durch die dargestellten grotesken Lebensverhältnisse von unterhaltendem Charakter ist. Dementsprechend wirbt er zunächst um die Gunst des Lesers. Zugleich kritisiert er hier die hohe, normierte Literatur und Sprache in ihrer Geschlossenheit, Unzugänglichkeit und dem stereotypisierten Liebesdiskurs, was Beer auch an anderer Stelle seines Gesamtwerkes parodiert, beispielsweise die Ritterromane. Diese Sprachkritik lässt sich ferner bereits im Till Eulenspiegel finden, der durch das Wörtlichnehmen von Redewendungen die Eindeutigkeit der sprachlichen Mittel infrage stellt. Hierdurch enttarnt Eulenspiegel die Geschlossenheit und Homogenität der Sprache eines Standes im Sinne der Bourdieuschen Distinktion, also eines Argots, sprich einer Fachsprache, welche Außenstehende nicht verstehen können.
Die Sprache Beers hingegen kann vielmehr als befreite Sprache, als alltägliche Mundart gelesen werden, die er mit dem Ziel einsetzt von allen verstanden zu werden. Hier impliziert er eine Kritik mit eindeutig patriotischer Tendenz an dem prestigetragenden Schwadronieren in französischer Sprache, welches zu der Zeit auch an den deutschen Höfen und unter den Gelehrten in Mode geraten war.
„ Ha, sagte Lorentz von der Wiesen, als vermerkte, dass etliche nur darum hohe Reden führten, auf dass sie von anderen für gelehrt angesehen würden (...). Sie ließen es bei der alten deutschen Mode verbleiben, aber ihr suchet statt der alten deutschen Wörter lauter französische Terminos (...). Seid ihr dann nach eurem Vorgeben teutsch, warum redet ihr französische Fratzen in eurem Gespräche? Ein Teutscher ist ein Teutscher, und ein Franzos ist ein Franzos. Redet ihr wie die Franzosen, was seid ihr dann für Teutsche ?“[7]
[...]
[1] Vgl.: Solbach, Andreas: Johann Beer. Rhetorisches Erzählen zwischen Satire und Utopie. Tübingen 2003, S. 265f.
[2] Foucault, Michel: Die Ordnung des Diskurses. Inauguralvorlesung am Collège de France. Frankfurt a.M. 1970, S. 12.
[3] Foucault, Michel: Wahnsinn und Gesellschaft. Frankfurt a.M. 1969, S. 239.
[4] Vgl.: Ebd, S. 51f.
[5] Beer, Johann: Das Narrenspital. Nördlingen 1987, S. 110.
[6] Ebd, S. 5.
[7] Ebd, S. 65f.
- Arbeit zitieren
- M.A. Hoelenn Maoût (Autor:in), 2004, Die Narrheit auf dem Weg zur Pathologisierung und Isolation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/141541
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