Obwohl dem Historiker im allgemeinen die "ständige Gegenwart des Krieges in der Welt des Spätmittelalters" auffällt, so bleibt doch der so genannte "Hundertjährige Krieg" zwischen England und Frankreich in seiner Art und vor allem wegen der Dauer der Konflikte einzigartig. Er war der "größte zwischenstaatliche Konflikt der Epoche" und zog zu unterschiedlichen Zeitpunkten verschiedenste Akteure wie Päpste oder deutsche Kaiser in seine diplomatischen und militärischen Verwicklungen hinein.
Traditionell versteht man unter dem "Hundertjährigen Krieg" die Epoche zwischen 1337 und 1450, wobei sich der Krieg in mehrere Phasen unterteilen lässt, da die Kampfhandlungen wiederholt durch Friedensschlüsse und Waffenstillstände unterbrochen wurden. Es ist sehr aufschlussreich, diese Friedensverträge zu untersuchen und sie in den Gesamtzusammenhang der diplomatischen Aktivitäten jener Zeit einzuordnen. Als wohl wichtigste Abkommen bieten sich der Vertrag von Brétigny, der 1360 den ersten Abschnitt des Krieges beendete, sowie die Übereinkunft von Troyes von 1420 zur näheren Untersuchung an. Beide entstanden sie in einer Phase des Krieges, die sich durch englische Initiative auszeichnete. Sie lassen daher Schlüsse vor allem auf die englischen Kriegsziele und die Art der Kriegführung zu: "Was the war a feudal, dynastic, national, economic... struggle or was it a stable or fluctua-ting combination of some or all of these elements?"
Die vorliegende Arbeit schenkt daher dem Charakter der Vertragswerke besondere Beachtung, vergleicht sie umfassend und geht der Frage nach, warum Troyes und Brétigny vor allem eines gemeinsam haben: Beide Abkommen führten nicht zu dauerhaftem Frieden bzw. zur Beendigung des Krieges.
Um diese Frage hinreichend beantworten zu können, ist es angebracht, die Friedensschlüsse in den zeitlichen Rahmen des Krieges einzuordnen, die Verträge jeweils einzeln zu betrachten und zu analysieren, um sie schließlich einander gegenüber zu stellen sowie diplomatische Alternativen der Protagonisten zu untersuchen. Hätte es eine Möglichkeit zum stabilen Friedensschluss gegeben und wie war das letztliche Scheitern begründet?
INHALT
1. Einleitung
2. Der zeitliche Ablauf des "Hundertjährigen Krieges"
3. Der Vertrag von Brétigny 1360
3.1 Vorgeschichte und Rahmenbedingungen
3.2 Inhalt des Vertragswerkes
4. Der Vertrag von Troyes
4.1 Vorgeschichte und Rahmenbedingungen
4.2 Inhalt des Vertragswerkes
5. Vergleich von Troyes und Brétigny
5.1 Charakter der Verträge
5.2 Konsequenzen und Langzeitwirkung der Verträge
5.3 Die Verträge als Ausdruck diplomatischer Kontinuität
5.4 Kurze Erwägung möglicher diplomatischer Alternativen
6. Resümee - Warum beide Vertragswerke scheitern mußten
7. Anhang: Karten
7.1 Frankreich nach dem Vertrag von Brétigny 1360
7.2 Frankreich nach dem Vertrag von Troyes 1420
8. Quellenverzeichnis
9. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Obwohl dem Historiker im Allgemeinen die "ständige Gegenwart des Krieges in der Welt des Spätmittelalters"[1] auffällt, so bleibt doch der so genannte "Hundertjährige Krieg" zwischen England und Frankreich in seiner Art und vor allem wegen der Dauer der Konflikte einzigartig. Er war der "größte zwischenstaatliche Konflikt der Epoche"[2] und zog zu unterschiedlichen Zeitpunkten verschiedenste Akteure wie Päpste oder deutsche Kaiser in seine diplomatischen und militärischen Verwicklungen hinein.
Traditionell versteht man unter dem "Hundertjährigen Krieg" die "era between 1337 and 1450"[3], wobei sich der Krieg jedoch in mehrere Epochen unterteilen läßt, da die Kampfhandlungen wiederholt durch "a number of peace treaties"[4] und Waffenstillstände unterbrochen wurden.
Es ist interessant, diese Friedensverträge zu untersuchen und sie in den Gesamtzusammenhang der diplomatischen Aktivitäten der Zeit einzuordnen. Als wohl wichtigste Abkommen bieten sich der Vertrag von Brétigny, der 1360 den ersten Abschnitt des Krieges beendete, sowie die Übereinkunft von Troyes von 1420 zur näheren Untersuchung an. Beide entstanden sie in einer Phase des Krieges, die sich durch englische Initiative auszeichnete. Sie lassen daher Schlüsse vor allem auf die englischen Kriegsziele und die Art der Kriegführung zu: "Was the war a feudal, dynastic, national, economic... struggle or was it a stable or fluctuating combination of some or all of these elements?"[5]
Ich werde daher dem Charakter der Vertragswerke besondere Beachtung schenken, sie umfassend vergleichen und dabei der Frage nachgehen, warum Troyes und Brétigny vor allem eines gemeinsam haben: Beide Abkommen führten nicht zu dauerhaftem Frieden bzw. zur Beendigung des Krieges.
Um diese Frage hinreichend beantworten zu können, erscheint es angebracht, die Friedensschlüsse in den zeitlichen Rahmen des Krieges einzuordnen, die Verträge jeweils einzeln zu betrachten und zu analysieren, um sie schließlich einander gegenüberzustellen sowie diplomatische Alternativen der Protagonisten zu untersuchen. Hätte es eine Möglichkeit zum stabilen Friedensschluss gegeben und wie war das letztliche Scheitern begründet?
Die Literatur- und Quellenlage ist dabei zufrieden stellend, wenn viele Werke auch recht historistische Tendenzen aufweisen, die Kriegshandlungen vorrangig aus Sicht der beteiligten Herrscher schildern und sozialgeschichtliche Aspekte außer Acht lassen. Diesen Missstand wird die vorliegende Arbeit in Anbetracht ihrer Kürze nicht beheben können, jedoch in der Darstellung der Konsequenzen der beiden Verträge kurz darauf eingehen.
2. Der zeitliche Ablauf des "Hundertjährigen Krieges"
Der "Hundertjährige Krieg" war "in mehr als einer Hinsicht lediglich eine... Phase einer langwierigen Rivalität zwischen den beiden Reichen"[6] England und Frankreich. Bereits 1259 war der Vertrag von Paris geschlossen worden, der den englischen König für seine Besitzungen in Aquitanien / Guyenne einschließlich der Gascogne gegenüber dem französischen Herrscher "zur Lehenshuldigung verpflichtete."[7] Er war somit - selbst ein König - einem anderen Monarchen zugleich als Vasall untergeben. Eine Konstellation, von der viele Historiker annehmen, dass sie "zwangsläufig Krieg"[8] bedeuten musste.
Die englischen Festlandsbesitzungen in Frankreich waren dann auch tatsächlich über Jahrzehnte hinweg ein ständiger Streitpunkt zwischen den beiden Ländern. Zur Eskalation kam es im Mai 1337: "Philip VI of France practically declared war by announcing the confiscation of Gascogny."[9]
Die Situation wurde zudem durch einen latenten dynastischen Streitpunkt verschärft. 1328 war der letzte französische König aus dem Haus der Kapetinger, Karl IV, ohne männliche Nachkommen gestorben.[10] Nun erhoben sowohl Edward III von England, der Sohn der Schwester des Verstorbenen, als auch dessen Cousin Philip, Anspruch auf den Thron. Die Franzosen machten letzteren unter Anwendung der "Lex Salica"[11], die die Vererbung von Thronfolgerechten über eine weibliche Linie ausschloss, zu ihrem neuen König. Edward III gab jedoch - zumindest offiziell - seinen Anspruch auf den französischen Thron nicht auf.
So ging es in den folgenden kriegerischen Auseinandersetzungen vorgeblich immer auch um die französische Krone, vor allem aber um die englischen territorialen Besitzungen in Frankreich, über die England volle Souveränität anstrebte. Die Franzosen waren nicht bereit, diese aufzugeben. Der Konflikt wird dabei gemeinhin als ein einheitlicher Krieg angesehen. "Military equipment and tactics remained essentially unchanged, as did the formal objectives of the two parties."[12] Dennoch läßt er sich in mehrere, in sich relativ abgeschlossene Phasen einteilen, wurde er doch immer wieder durch längere Friedensperioden unterbrochen.
Die erste Kriegsphase dauerte von 1337 bis 1360. Nach dem französischen Versuch, die Gascogne zu konfiszieren, sowie französischer Unterstützung der aufständischen Schotten versuchte Edward III zunächst, eine "great coalition against the Valois"[13] zusammenzubringen. Er warb dafür die niederländischen Fürstentümer sowie den deutschen Kaiser Ludwig IV an. Dieses sehr kostenträchtige Unternehmen scheiterte jedoch 1341 nach mehreren fruchtlosen Feldzügen. Es gelang Edward jedoch 1340, vor Sluys die Kriegsflotte des Gegners fast völlig zu vernichten, was ihm "complete control of the channel for years to come"[14] garantierte.
An Land kam die Wende, als die Engländer zur Raubzugstaktik mit kleinen Heeren übergingen. 1346 vernichteten sie ein Heer Philips VI durch überlegenen Einsatz von Langbogenschützen vor Crécy - ein wichtiger psychologischer Erfolg, nach dem diese erste Kriegsphase oft benannt wird.[15] Im Juli 1347 nahmen sie Calais ein, und nach einer längeren Phase der Waffenruhe gelang dem Sohn Edwards III, dem so genannten "Black Prince" der entscheidende Sieg gegen die Franzosen bei Poitiers. Dort nahm man viele hohe Adlige des Feindes sowie vor allem König Johann II gefangen. Nach einigen gescheiterten Versuchen Edwards, seine Position durch Einnahme Reims' oder Paris' weiter zu verbessern, gab diese Tatsache den Engländern eine hervorragende Ausgangsposition für den Vertrag von Brétigny, der 1360 das Ende des ersten Kriegsabschnittes markierte.
Der gewaltige Landzuwachs der Engländer durch diesen Vertrag wurde allerdings nach Wiederaufnahme des Krieges durch Karl V von Frankreich allmählich zurück gewonnen, so dass sie beim Waffenstillstand von 1375 quasi wieder auf ihre Position von vor 1337 zurückgedrängt waren.
Zur zweiten entscheidende Phase des "Hundertjährigen Krieges" kam es dann erst zu Beginn des 15. Jahrhunderts, als zum einen in Frankreich der "Herzog von Burgund zu einer selbständigen Kraft"[16] wurde, und nach dem Mord am Herzog von Orléans 1407 in Frankreich quasi Bürgerkrieg zwischen den Häusern Burgund und Orléans herrschte. Zwischen den verfeindeten Parteien stand zunächst der zumeist regierungsunfähige König Karl VI. Zwischen ihm, den Engländern, den Orléans und den Burgundern kam es zu einer komplizierten Diplomatie, die vor allem ab 1413 vom neuen englischen König Henry V initiiert wurde. "The accession of Henry V marked a clean break with the past in Anglo-French relations."[17] Er machte sich die innerfranzösischen Streitigkeiten zunutze, verhandelte "with both sides simultaneously"[18] und nahm schließlich am 11. August 1415 den Krieg wieder auf. Er besiegte die Franzosen in der Schlacht bei Azincourt im Oktober desselben Jahres vernichtend und machte sich daran, die Normandie zu erobern.
Als Henry 1419 praktisch vor Paris stand, trieb die Ermordung Herzogs Johann Ohnefurcht von Burgund bei Verhandlungen mit den Orléans die Burgunder in die Arme der Engländer. Die Burgunder, zu denen vorher bereits Königin Isabella übergelaufen war, und Henry V schlossen daraufhin am 21. Mai 1420 den Vertrag von Troyes, der gewissermaßen den Höhepunkt der englischen Machtfülle in diesem Abschnitt darstellte und Henry V die Krone Frankreichs versprach.
Klar wird hier, "dass es in Frankreich nicht mehr nur um die Vorherrschaft der Franzosen oder Engländer ging, die sich im Hundertjährigen Krieg bekämpften, sondern darum, ob Franzosen oder Burgunder die Macht in den Händen hielten."[19] Die verbündeten Parteien konnten sich jedoch auf lange Sicht nicht gegen die Orléans (auch Armagnac) durchsetzen, die bereits 1419 den eigentlichen Thronfolger Karl VII, genannt der "Dauphin", aus der Hauptstadt gerettet hatten. Mit dem Auftreten von Jeanne D'Arc 1429 wendete sich das Kriegsglück. Karl VII wurde 1429 in Reims gekrönt, und auch die Gefangennahme und Exekution Jeanne D'Arcs durch die Burgunder konnte ihr Werk, eine "restauration of faith"[20], nicht zerstören.
Die Bürgerkriegsparteien versöhnten sich 1435 im Frieden von Arras, und es gelang ihnen, die Engländer in 15 Jahren fast völlig aus dem Land zu vertreiben. 1450 siegten die Franzosen in der Schlacht von Fromigny, und "the final capitulation of Bordeaux in 1452 ended the Hundred Years War."[21] Einzig Calais sollte noch für 100 Jahre in den Händen der Engländer verbleiben. Nennenswerte Festlandsbesitzungen hatten sie jedoch nicht mehr.[22]
Charakteristischerweise wurde der Krieg durch Gewalt und nicht auf diplomatischem Wege beendet. Einhundert Jahre lang hatte man sich bekämpft. War das Problem aber wirklich eines, "das prinzipiell nicht auch auf friedlichem Wege hätte gelöst werden können?"[23] Versuche wurden mehrfach unternommen, so vor allem in Brétigny und auch in Troyes, wenn auch unter gänzlich anderen Vorzeichen.
[...]
[1] George Holmes (Hrsg.), Europa im Spätmittelalter, Stuttgart 1993, S. 303.
[2] Ebd.
[3] Sidney Painter, History of the Middle Ages 284-1500, London 1964, S. 323.
[4] Ebd.
[5] John Palmer, The War Aims of the Protagonists and Negotiations for Peace, in: Kenneth Fowler (Hrsg.), The Hundred Years War, London 1971, S. 51-74, S. 51.
[6] Holmes, Europa, S. 303.
[7] Ebd.
[8] Ebd., S. 304.
[9] George Holmes, The Later Middle Ages 1272-1485, London 1962, S. 118.
[10] vgl.: Friedrich Baethgen, Deutschland und Europa im Spätmittelalter, Frankfurt / Main 1968, S. 79f.
[11] Ebd., S. 79.
[12] Painter, S. 323.
[13] Maurice Keen, England in the Later Middle Ages. A Political History, London 1973, S. 122.
[14] Ebd., S. 132.
[15] vgl. Alfred H. Burne, The Crécy War. A Military History of the Hundred Years War from 1337 to the Peace of Brétigny 1360, London 1955.
[16] Christa Dericum (Hrsg.), Burgund und seine Herzöge in Augenzeugenberichten, München 1977, S. 19.
[17] Keen, S. 355.
[18] Ebd., S. 356.
[19] Dericum, S. 19.
[20] Painter, S. 355.
[21] Ebd., S. 360.
[22] vgl. Baethgen, S. 139ff.
[23] Holmes, Europa, S. 304.
- Quote paper
- Thorven Lucht (Author), 1996, Friedensschlüsse im Hundertjährigen Krieg, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/141445
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