Sheila Fitzpatrick beschäftigte sich mit der Frage, ob die Bauern durch die
ländlichen Schauprozesse an Einfluss gewinnen konnten, oder sogar ihre
Machtposition ausbauen konnten. Der Sieg über die lokalen Beamten sei der Sieg
über das System der Bauern gewesen (vgl. Fitzpatrick, Sheila: How the Mice
buried the Cat, Scenes from the Great Purges of 1937 in the Russian provinces, in:
Ward, Chris (Hrsg.): The Stalinist Dicatorship, London u.a. 1998, S. 296 – 298.).
Aber selbst wenn die Bauern Aufmerksamkeit durch „Gewalt von unten“ erregen
konnten, gab ihnen dies nicht automatisch einen Machtzuwachs. Denn
grundsätzlich übte der Staat die Gewalt aus. Er ermutigte die Bauern, ihre Wut
und Aggression auszuleben. Wie so oft gelang es Stalin, Personengruppen
gegeneinander auszuspielen. Er instrumentalisierte ihre bäuerliche Dummheit und
gab ihnen das Gefühl, etwas erreicht zu haben. Die Ausübung von Gewalt zeigte
sich bereits darin, dass Moskau auf die unzähligen Beschwerdebriefe der Bauern
reagierte und in der Provinz Schauprozesse gegen die lokalen Funktionäre führte.
Diese Gewalt richtete sich nicht direkt gegen die Bauern, sondern augenscheinlich
gegen die örtlichen Parteifunktionäre. Allerdings bestand hierbei die Gefahr, dass
sich diese Argumente auch gegen Stalin hätten richten können. Insofern würde
sich die Gewalt umkehren und auf den Staat zielen.
„Our side won!“
Sheila Fitzpatrick beschäftigte sich mit der Frage, ob die Bauern durch die ländlichen Schauprozesse an Einfluss gewinnen konnten, oder sogar ihre Machtposition ausbauen konnten. Der Sieg über die lokalen Beamten sei der Sieg über das System der Bauern gewesen (vgl. Fitzpatrick, Sheila: How the Mice buried the Cat, Scenes from the Great Purges of 1937 in the Russian provinces, in: Ward, Chris (Hrsg.): The Stalinist Dicatorship, London u.a. 1998, S. 296 - 298.). Aber selbst wenn die Bauern Aufmerksamkeit durch „Gewalt von unten“ erregen konnten, gab ihnen dies nicht automatisch einen Machtzuwachs. Denn grundsätzlich übte der Staat die Gewalt aus. Er ermutigte die Bauern, ihre Wut und Aggression auszuleben. Wie so oft gelang es Stalin, Personengruppen gegeneinander auszuspielen. Er instrumentalisierte ihre bäuerliche Dummheit und gab ihnen das Gefühl, etwas erreicht zu haben. Die Ausübung von Gewalt zeigte sich bereits darin, dass Moskau auf die unzähligen Beschwerdebriefe der Bauern reagierte und in der Provinz Schauprozesse gegen die lokalen Funktionäre führte. Diese Gewalt richtete sich nicht direkt gegen die Bauern, sondern augenscheinlich gegen die örtlichen Parteifunktionäre. Allerdings bestand hierbei die Gefahr, dass sich diese Argumente auch gegen Stalin hätten richten können. Insofern würde sich die Gewalt umkehren und auf den Staat zielen.
Eine Beflügelung der Interessen der Bauern hätte zudem weitere Machtdemonstrationen der Bauern ermöglicht. Eine Gewalt von unten erscheint daher nicht abwegig. Dabei darf aber nicht außer Acht gelassen werden, in welchem sozialen Status die Bauernschaft lebte. Ein gemeinschaftliches Aufbegehren oder selbstbewusste öffentliche Demonstrationen gegen das „System Stalin“ hätte es nicht gegeben. Die Bauern konnten sich nicht durchsetzen. Stalin muss sich daher also auf ihre Schwäche und politische Unerfahrenheit verlassen haben. Die Frage, die sich hier stellt, lautet: Konnten oder wollten die Bauern nichts ändern. Lebten sie tatsächlich mit dem Gedanken, ihre eigene Position auszubauen oder verharrten sie in der traditionellen Hoffnung auf Besserung?
Dazu müssen zwei Thesen diskutiert werden. Der Leitgedanke der einen Variante sagt, dass die Bauern scheinbar von der alten Strategie Gebrauch machten, bestimmte Rollen zu bedienen. Sie versteckten sich hinter ihrer Dummheit. Aber sie hatten zumeist nicht den nächsten Schritt ihres Handelns vor Augen. Sie handelten irrational. Wie auch schon während der Kollektivierungskampagnen waren die Bauern nicht in der Lage, die gesellschaftlichen Konsequenzen zu überblicken.
Die andere Auffassung beschreibt als einzigen Anhaltspunkt für ein überlegtes Handeln der Bauern den scheinbaren Machtzuwachs der Bauern während der provinzialen Schauprozesse. Dieser Machtzuwachs war rein psychologischer Natur. Stalin musste den Bauern, die er jahrelang ausgebeutet hatte, ein Bild vermitteln, dass er sich um die sozialen und wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten kümmere. Die Bauern fühlten aufgrund ihrer ständigen Beschwerdebriefe darin bestätigt. Stalin instrumentalisierte sie als Mittel um seine politische Macht durchzusetzen. Er gab den Bauern eine Plattform und einen begrenzten Spielraum, Rache an den örtlichen Funktionären zu nehmen.
Damit brachte er die örtlichen Funktionäre in ein Dilemma. Sie waren die Schnittstelle zwischen Partei und Bauernschaft. Die Funktionäre mussten die Vorgaben der Partei erfüllen. Konnten sie dies nicht, wurden sie von der Partei politisch liquidiert und von ihren Ämtern abgesetzt bzw. ausgetauscht. Sie mussten also entweder mit dem Ärger der Partei rechnen oder mit der Verweigerungshaltung der Bauern. Die Bauern lehnten die Funktionäre grundsätzlich ab. Sie kamen als Fremde aus der Stadt und sollten die staatlichen Vorgaben durchsetzen. Damit waren sie „fleischgewordene Angreifer des Dorfgefüges“. Dass der jeweilige Amtsinhaber aber auch nur eine Marionette der Partei war, wollten die Bauern nicht erkennen. Dies ist mithin ein deutlicher Beleg für die Dummheit und Irrationalität der Bauern. Sie sahen nur das, was sich unmittelbar vor ihren Augen abspielte. Was sich dahinter verbarg, vermochten Sie nicht zu erkennen. So taten die Bauern genau das, womit Stalin gerechnet hatte und was von ihnen erwartet wurde. Sie ließen ihren Zorn an den örtlichen Beamten aus. Stalin gab den Bauern eine Stimme, die sich seinen Vorstellungen nach auf das Problem der Funktionäre bezog. Mit weiteren Erhebungen seitens der Bauern hatte er nicht zu rechnen, da sich der Unmut der Bauern in den ländlichen Prozessen erschöpfte.
Fitzpatrick bestreitet dies in der Art, indem sie argumentiert, dass eben gerade die Bauern nicht das taten, was Stalin von ihnen erwartete. Die Begründung dafür sieht sie darin, dass Stalin in keinem Prozess gedankt wird. Dies scheint allerdings eine sehr dünne Basis für diese ausschlaggebende Feststellung zu sein, insbesondere dann, wenn man die Quellenlage dieser Behauptung betrachtet. Fitzpatrick orientierte sich größtenteils nur an der damaligen Staatspresse, die ohnehin der Zensur unterlag. In der dementsprechenden Wahrnehmung der Bauern wirkte das zwangsläufig so, als hätten sie plötzlich etwas erreicht. Sie glaubten mit Hilfe ihrer geschützten Äußerungen in den Beschwerdebriefen und ihrem Zorn gegen das System vorzugehen.
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- Arbeit zitieren
- Laura Schiffner (Autor:in), 2009, "Our Side Won", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/141361
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