Beschäftigt man sich mit der Jugend und der Jugendpolitik in der DDR kommt man nicht umhin, sich auch mit der Kulturarbeit in der DDR auseinander zu setzen. Daher muss vor einer näheren Betrachtung der Beatmusik in der DDR auch die Entwicklung der Kulturpolitik dargestellt werden. Ohne diese, den entstehenden jugendlichen Subkulturen vorausgehenden Ereignisse, werden jene nicht greif- und erklärbar. Daher muss die Entwicklung der Beatmusik in den politischen und ideologischen Kontext eingeordnet werden.
Wenn wir uns heute mit der DDR befassen, ist uns bewusst, dass die DDR ein Unrechtsstaat war. Immer häufiger werden aber auch die historischen Ereignisse in unprofessionellen Diskussionen verklärt und verharmlost. Öffentlicher Meinungsstreit endet nicht selten in einer (n)ostalgischen Mystifizierung. Gerade vor diesem Hintergrund muss immer der Zusammenhang von Gesellschafts-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte verdeutlicht und betrachtet werden.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Kulturpolitik im Zeitalter der Extreme
2.1 Entwicklungsphasen in der DDR
2.2 Kulturpolitik bis 1961
3 Jugendpolitik
3.1 Erstes Jugendkommuniqué 1961
3.2 Zweites Jugendkommuniqué 1963
3.3 Auswirkungen des Zweiten Jugendkommuniqués
4 Jugendpolitik und Beatmusik zwischen Repression und Anpassung
4.1 Die Politik und der Beat
4.2 Die „Rockbürokratie“
4.3 Die Jugend und der Beat
5 Wahrnehmung und Kontrollversuche der politischen Führung
5.1 Die Wahrnehmung der Beatkultur aus Sicht der politischen Führung
5.2 Die Abgrenzungsversuche der jugendlichen Subkulturen
6 Der Weg zum kulturpolitischen Kahlschlag
6.1 Der Beat-Aufstand in Leipzig
6.2 Ausgewähltes Einzelschicksal eines 16jährigen Mädchens
6.3 Erich Loest „Es geht seinen Gang oder die Mühen in unserer Ebene“
7 Das 11. Plenum
7.1 Nach dem Plenum
7.2 Haarschneide - Aktion im Kreis Pößneck
8 Ausblick: Wege in den 70er und 80er Jahren
9 Fazit
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Literatur- und Quellenverzeichnis
Literatur
Internetquellen
Quellen
Unterlagen der BStU
Unterlagen des Bundesarchivs
Anlagenverzeichnis
1 Einleitung
Seine Kinderjahre Lagen ihm im Magen
Wie Steine, doch er weint nicht mehr Manchmal sagte Otto
Leben ist wie Lotto
Doch die Kreuze macht ein Funktionär!
Ob ich nach Norden
Ob ich nach Norden Ob ich nach Norden flieh?
Als er mal ein Foto
Sah vom großen Otto
Aus Hamburg an der Reeperbahn Schrieb dem Namensvetter
Er: Du bist mein Retter
Der mir die Freiheit kaufen kann!
Hol mich nach Norden
Hol mich nach Norden Hol mich oder ich flieh!
(Lied der Klaus - Renft - Combo: Rockballade vom kleinen Otto, Text: Gerulf Pannach, Musik: Thomas Schoppe, veröffentlich 1974)
Beschäftigt man sich mit der Jugend und der Jugendpolitik in der DDR kommt man nicht umhin, sich auch mit der Kulturarbeit in der DDR auseinander zu setzen. Daher muss vor einer näheren Betrachtung der Beatmusik in der DDR auch die Entwicklung der Kulturpolitik dargestellt werden. Ohne diese, den entstehenden jugendlichen Subkulturen vorausgehenden Ereignisse, werden jene nicht greif- und erklärbar. Daher muss die Entwicklung der Beatmusik in den politischen und ideologischen Kontext eingeordnet werden.
Die DDR verstand sich selbst als ein Staat der Jugend.1 Die Jugend sei nämlich die Zukunft des Sozialismus. Deshalb kam ihr eine besondere Bedeutung zu. Außerdem sei sie anfällig für „negativ dekadente Einflüsse“ aus dem Westen und würde daher unter besonderer Beobachtung und Erziehung stehen. Auch Barbara Hille stellte mit Recht fest, dass die Altersgruppe der Jugend in der DDR, im Hinblick auf die eigensinnige und eigenständige Lebensphase, keinen Sonderstatus innerhatte, sondern ein Teil der gesamten ostdeutschen Gesellschaft war.2 Nach Ulrich Herrmann muss zudem das Jugendleben als eigenständige und eigensinnige Lebensform gewürdigt werden. Dabei gehe es um Passung, Exzentrik, Nonkonformismus, Protest und Konfrontation.3
Die Polarisierung des dichotomen Weltverständnisses des Sozialismus durchzog das ganze Leben eines Menschen in der DDR. Gries und Satjukow beschreiben es „ von der Wiege bis zur Bahre [ … ]: in Kinderzeitschriften [ … ], in der vorschulischen und schulischen Erziehung, bei Pionier- und Jugendorganisationen, zur Jugendweihe [ … ], im Fernsehen und im Kino, in der Propaganda im Betrieb und auf der Straße [ … ] “ 4. Die Jugendpolitik der DDR war geprägt durch Zyklen von Verhärtungs- und Entspannungsphasen und stellt damit ein Beispiel für die sich ständig verändernde politische Linie der SED dar. Es war eine Interaktion von Herrschenden und Beherrschten.5 Dabei wurden täglich zahlreiche Verfassungsverstöße begangen. So wurde laut Verfassung der DDR das Recht sich friedlich zu versammeln mehrfach gebrochen, die Freiheit der Presse und das Postgeheimnis sowie die eigene Würde und Freiheit des Einzelnen verletzt.
Wenn wir uns heute mit der DDR befassen, ist uns bewusst, dass die DDR ein Unrechtsstaat war. Immer häufiger werden aber auch die historischen Ereignisse in unprofessionellen Diskussionen verklärt und verharmlost. Öffentlicher Meinungsstreit endet nicht selten in einer (n)ostalgischen Mystifizierung. Gerade vor diesem Hintergrund muss immer der Zusammenhang von Gesellschafts-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte verdeutlicht und betrachtet werden.
Auf eine ausführliche Reflexion der weltweiten Protestbewegungen 1968 wird im Folgenden bewusst verzichtet. In der Forschung herrscht keine Einigkeit darüber, ob es die „68er-Bewegung“ in der DDR überhaupt gegeben hat. „ Eine den West -68ern vergleichbare Generationseinheit konnte die altersgleiche Kohorte im Osten unter dem repressiven Druck der in Prag aufziehenden Panzer nicht ausprägen. “ 6 Eine ausführliche Diskussion hierzu überstiege aber den Umfang dieser Arbeit.
Auch die kritische Betrachtung der Rolle der Kirche muss zunächst zurück stehen. Die kirchliche Jugendarbeit in der DDR sollte aber als eine mögliche Alternative zur staatlichen Jugendpolitik gesehen und berücksichtigt werden.7 Allerdings beschäftigt sich diese Arbeit mit der Betrachtungsweise der jugendlichen Subkulturen „von oben nach unten“, also mit der Wirkung der gesellschaftspolitischen Verhältnisse auf das Individuum. Die Analyse des Verhältnisses von Jugend und Kirche sollte aufgrund seiner Ambivalenz in einer anderen Arbeit aufgegriffen werden.
Diese Arbeit ist der Versuch einer Analyse und Dokumentation von jugendlichen Subkulturen vor dem Hintergrund der in den 1960er Jahre aufkommenden Beatmusik mit Hilfe von Unterlagen des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und Dokumenten der politischen Führung der DDR. Die dazu vorhandenen Unterlagen und archivierten Akten konnten im Rahmen dieser Arbeit bei der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) und beim Bundesarchiv (BArch) in Berlin eingesehen und dürfen zu Forschungszwecken verwendet werden. Das meiste Quellenmaterial ist relativ einfach zugänglich, weil die politischen Ereignisse in der ehemaligen Tagespresse der DDR, dem NEUEN DEUTSCHLAND (ND), veröffentlicht wurden und die Jahrgänge fast vollständig in der Bibliothek der BStU vorhanden sind. Andere Quellen sind vermehrt nur als Dokumente der politischen Führung verfügbar und zugänglich.8 Diese staatlichen offiziellen und inoffiziellen Dokumente der DDR wurden vor dem Hintergrund ihrer Ideologie geschrieben. Dies muss bei der Analyse beachtet werden. Außerdem darf nicht vergessen werden, dass Literatur, die vor 1990 in West und Ost veröffentlicht wurde, im Kontext der Systemgegensätze stehen könnte. Das Bedürfnis der politischen Führung der DDR, sich dem „umfassenden Aufbau des Sozialismus“ hinzugeben, setzt sich auch in den Quellen fort.
2 Kulturpolitik im Zeitalter der Extreme
2.1 Entwicklungsphasen in der DDR
Eric Hobsbawm beschreibt in seiner Monographie das zwanzigste Jahrhundert als das „Zeitalter der Extreme“. Er stellt den Gegensatz zwischen sozialistischer Planwirtschaft im stalinistischen Russland und marktwirtschaftlichem Kapitalismus im westlichen Europa und in Nordamerika dar. Dass mit der Anti- Hitler-Koalition zwei Extreme aufeinander prallten war demnach nicht zu übersehen. Dieser Gegensatz spiegelte sich in Deutschland selbst wider. Dort entwickelten sich ein von deutschen Antikommunisten geführter westdeutscher Staat und ein von deutschen Kommunisten geführter Staat im Osten und.9
Die Entwicklung der DDR lässt sich in sechs Phasen einteilen. Die erste Phase umfasst die Jahre von der Gründung 1949 bis zum Beschluss zum Aufbau des Sozialismus 1955. Die zweite Phase führt über die Gründung von Genossenschaften zur Landwirtschaft (LPG) zur Aufstellung eines Siebenjahresplanes im Oktober 1959, der eine Modernisierung im Bildungswesen und in der Wirtschaft anstrebte. Unterbrochen vom Mauerbau setzte sich die Reform verstärkt im Neuen Ökonomischen System der Planung und Leitung (NÖSPL) fort. Die NÖSPL wirkte sich in der dritten Phase ab 1963 auch auf den Kulturbetrieb aus. Auf dem sogenannten Kulturplenum 1965 wurde die Jahresproduktion von DEFA - Filmen verboten. Eine Verhärtung der Kulturpolitik zeichnete sich ab. Die dritte Phase endete mit der Absetzung Ulbrichts am 21.01.1971. Der sich anschließende Machtwechsel zu Erich Honecker kennzeichnet die vierte Phase. Sie beinhaltete eine erneute Verhärtung der Kulturpolitik und die Maßregelung von Künstlern. Außerdem wurde 1974 ein Gesetz erlassen, das erlaubte, die sozialistische Verfassung der DDR in entscheidendem Maße zu ändern, nämlich darin, die Machtkompetenzen des SED - Politbüros zu stärken. Die fünfte Phase umfasste die 1980er Jahre bis 1988. Zu Beginn der 1980er Jahre verschlechterten sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, nicht zuletzt auch durch die zweite Ölpreiskrise 1982. Die DDR Führung verschleierte ihre tatsächliche wirtschaftliche Lage und vernachlässigte den Reformprozess.
In der sechsten Phase bis 1990 zeichnete sich der schnelle Niedergang der DDR ab. Ungarn öffnete die Grenzen zu Österreich und mit der neuen, deutlich liberaleren, Reiseverordnung wurde spätestens am 11.09.1989 der Kollaps der DDR ausgelöst, als die ungarische Regierung offiziell bilaterale Reiseabkommen mit der DDR annullierte. Unbeeindruckt wurde Anfang Oktober 1989 der 40. Jahrestag der Gründung der DDR gefeiert, während die gesamte Ordnung der DDR vor einer Implosion stand.10
2.2 Kulturpolitik bis 1961
Bereits kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bildeten sich die „Jazzdebatten“ heraus. Dem späteren Beat ging der Kult um den Rock`n`Roll voraus. Kaspar Maase bezeichnet letzteres als „Urwaldmusik“. Im Rahmen der westdeutschen Halbstarken - Bewegung kristallisierten sich immer wildere Tanzformen heraus, die sich gegen die melodischen und harmonischen Ideale der Gesellschaft wandten. Rock`n`Roll bedeutet ebenso wie der Beat, den Ausdruck eines neuen Lebensgefühls. Es waren „ physische Sensationen und das körperliche Mitgehen “ 11. . Interessant ist aber, dass sich der Rock`n`Roll deutlich vom Jazz abhob, obwohl ihnen die anfängliche gesellschaftliche und politische Ablehnung gemein war. Orientierte sich der Jazz eher an gut - bürgerlichen Schichten, so sprach der Rock`n`Roll die gesamte Öffentlichkeit an, insbesondere Teenager.12 Der Twist und das damit verbundene offene Tanzen erlebten einen massiven Aufschwung aus dem sich dann auch die Musikgruppen DIANA - SHOW - QUARTETT und THE BUTLERS herausbildeten. Im Osten sah man darin die Verbreitung der westlichen Unkultur, Hedonismus und einen Angriff auf die eigene Kultur.
Walter Ulbricht bezeichnete den Jazz als eine „Affenkultur“. Das Vorgehen gegen den Jazz und die Gründe waren im Wesentlichen dieselben wie beim Beat. Der Jazz sei ein Spiegelbild des westlichen Imperialismus und der Dekadenz.13 Bereits in den 1950er Jahren verfolgte die politische Führung der DDR beim Jazz einen „zickzack“ - Kurs, Öffnung und Ablehnung. Ablehnende Schlagwörter seitens der Politik waren hier - wie auch beim Beat - Skeptizismus, Nihilismus, Hedonismus und Lethargie.14 So äußerte sich Musikwissenschaftler Georg Knepler, dass der Jazz eine Musik sei, „ die das Chaos darstellt, die das Chaos ist, die nicht nur Kriegsvorbereitung, sondern Krieg ist “. Es ging also um die äußeren Erscheinungs- und Ausdrucksformen des Jazz, die sich eben gerade durch die „ bloßen Fetzen von Melodie “ 15 besonders als Waffe im aufkommenden Kalten Krieg eignen würden. Die ablehnende Haltung gegenüber dem Jazz, dem Rock`n`Roll und dem Beat waren letztendlich nur eine Ausdrucksform der ästhetischen Wahrnehmung.
Otto Grotewohl sprach sich bereits 1950 für eine Einheitlichkeit der deutschen Kultur aus: „ Es geht um die Existenz der deutschen Kultur, die nicht geteilt werden kann. Unser Ziel ist die Pflege und Weiterentwicklung einer wahren, edlen Kultur der Nation. Zu dieser Nation gehören für uns auch die Menschen im Westen unserer Heimat. “ 16 Mit den Kontroversen um den Jazz wurden kulturpolitische Mechanismen in Gang gesetzt, die den Grundstein für den Umgang mit der Beatmusik legten, nämlich die Popularisierung der Musik.17 Denn bereits Ende der 1950er Jahre - in einer Phase, als Chruschtschow das Tauwetter einleitete - beschloss die SED den Aufbau der sozialistischen Nationalkultur18. Die
Kulturaufgabe sei „ die geistige Formung des neuen, sozialistischen Menschen [ … ] durch ein reiches, vom Geist des reales Humanismus getragenes Kulturleben “ 19. Zwei Jahre vor dem Mauerbau wurde zur Durchsetzung der sozialistischen Nationalkultur das Ministerium für Kultur gegründet, das die Auffassung vertrat, dass „ dance music was to aid in educating people in the socialist way “ 20.
Mit dem Mauerbau aber waren sämtliche Wege in den Westen verschlossen. Um dieses auch zu gewährleisten, versuchte die SED den Fernseh- und Radioempfang aus dem Westen einzudämmen, um die „ideologische Diversion“ abzuwehren. Bereits 1961 erfolgte eine Kampagne der FDJ zur Bekämpfung von NATO - Sendern, um den Empfang westlicher Radiosender zu stören. Antennen wurden abgeknickt.21 Allerdings war eine vollständige Abschottung technisch unmöglich.22 Diese Aktion der FDJ war letztlich erfolglos.
Daneben entstanden in der DDR Kulturhäuser, Klubs, Theater und Bibliotheken. Diese Kulturpaläste galten als Repräsentationsort für die Ausübung der politischen Macht, wie z. B. der Palast der Republik in Berlin, in dem man seine Freizeit in Cafés, Bars, Theater und einer Bowling - Bahn verbringen konnte.23 Gleichzeitig versuchten sie, die Kirche als Institution abzulösen, in dem in solchen Zentren Jugendweihen (als Pendant zur Konfirmation) und Hochzeiten durchgeführt werden konnten.24
3 Jugendpolitik
Der Begriff „Jugend“ beschreibt die Entwicklungsphase zwischen der Pubertät und der Phase des Erwachsenseins, also der Unabhängigkeit.25 Die politische Führung kategorisierte ihre Jugend selbst in die 14 - 25 Jährigen, wobei die Volljährigkeit auf 18 Jahre herunter gesetzt wurde.26 Der Anteil der Jugend an der Gesamtbevölkerung der DDR lag im Durchschnitt bei 18 %.27
Die Jugend galt als die am leichtesten zu beeinflussende Bevölkerungsschicht im Sinne der Ideologie und Politik. Da die Jugend die Zukunft des Landes sei, erscheint es verständlich, dass die Jugendpolitik in der DDR auf die Erziehung und politische Beeinflussung ausgerichtet war.28 Insofern muss die Jugendpolitik und - kultur auch in dem Kontext der Parteitage der SED gesehen werden. Sie war bevorzugter Adressat für die politischen Programme.
Die Jugendpolitik war also ein Bestandteil der gesamten Politik und diente dem Ziel, einen „neuen
Menschen“ zu erschaffen. Die Umsetzung und Durchführung vor dem Hintergrund des umfassenden Aufbaus des Sozialismus oblag der FDJ.29 Den Rahmen bildete das Jugendgesetz, wonach die Jugendlichen „ sich durch Eigenschaften wie Verantwortungsgefühl für sich und andere, Kollektivbewusstsein und Hilfsbereitschaft, Beharrlichkeit und Zielstrebigkeit, Ehrlichkeit und Bescheidenheit, Mut und Standhaftigkeit, Ausdauer und Disziplin, Achtung vor denälteren, ihren Leistungen und Verdiensten sowie verantwortungsbewusstes Verhalten zum anderen Geschlecht auszeichnen “ 30 sollen. Außerdem wurden Anfang der 1960er Jahre zwei Jugendkommuniqués erlassen, woran sich die FDJ und die Jugend zu orientieren hatte.
3.1 Erstes Jugendkommuniqué 1961
Einige Monate vor dem 13.08.1961 wurde das erste (sozialistische) Jugendkommuniqué herausgegeben, zu einem Zeitpunkt als die Zahl der jugendlichen Flüchtlinge rasant anstieg. Der Grund, warum sich die politische Führung der DDR überhaupt für eine Liberalisierung entschied, sieht Ulrich Mählert in der Abwanderungsflut von Jugendlichen in den Westen.31
Das erste Jugendkommuniqué war gekennzeichnet durch herbe Selbstkritik der politischen Führung, aber auch durch relativ weitgehende Zugeständnisse. Dennoch war „ das Spielen derartiger westlicher Tanzmusik [Rock`n`Roll] gleichbedeutend mit der Verbreitung von Schund und Schmutz in der Kunst “ 32 Das Kommuniqué wirkte sich aber kontraproduktiv aus, denn die Jugendlichen blieben in ihrer Ausübung der Freizeit stur und beharrten auf ihren Treffpunkten.33 Die ostdeutsche Jugendzeitschrift neues leben folgte dem Wandel der Zeit, der sich im Zweiten Jugendkommuniqué vom 17. September 1963 niederschlug und die Jugendkultur liberalisierte.34
3.2 Zweites Jugendkommuniqué 1963
„ [ … ] Wir betrachten den Tanz als einen legitimen Ausdruck von Lebensfreude und Lebenslust. [ … ] Niemandem fällt ein, der Jugend vorzuschreiben, sie solle ihre Gefühle und Stimmungen beim Tanz nur im Walzer- oder Tangorhythmus ausdrücken. Welchen Takt die Jugend wählt, ist ihrüberlassen: Hauptsache, sie bleibt taktvoll! “ 35
Daraus folgerten Anhänger dieser Musik, die Legitimation für öffentliche Bekundungen zur Beatmusik.36 Im Gegensatz zum Kommuniqué von 1961 stellte das neue Jugendkommuniqué aber dennoch harte Forderungen an die Jugend. Das Kommuniqué und der Entwurf zu einem neuen Jugendgesetz wurden am 21.09.1963 in der Zeitung Neues Deutschland veröffentlicht. Die politische Führung machte zwar auch einige Zugeständnisse, aber auch nur deshalb, weil die junge Generation nicht gewillt war, die gewünschte gesellschaftliche und politische Verantwortung zu übernehmen. Die Partei appellierte an die Jugend, sich am umfassenden Aufbau des Sozialismus zu beteiligen. Die „ Hausherren des sozialistischen Deutschlands “ 37 sollten auf ihre Zukunft, den Sozialismus in der DDR, vorbereitet werden.
Das erneuerte Jugendkommuniqué von 1963 entstand einerseits durch der Wandel, der in der Jugend voran ging, und andererseits durch das neue politisch Konzept der NÖSPL, welches kurz zuvor im Juli beschlossen wurde und die Bürokratie abbauen sollte. Das Kommuniqué besagte, dass „ die Jugend der DDR [ … ] vor der geschichtlichen Aufgabe [stehe], freiwillig und vereint schaffend [ … ] eine höhere Arbeitsproduktivität als im Kapitalismus zu erringen “ . Es sollten mehr Selbstständigkeit und Eigenverantwortung geschaffen und somit gesellschaftliche Spannungen abgebaut werden. Die SED suchte nach einem „ selbstbewussten Staatsbürger mit einem gefestigten Charakter “ 38.
Ein Ausdruck dieses Kommuniqués war das Deutschlandtreffen der Jugend 1964 (DT 64), das einen Wendepunkt in der vorsichtigen Öffnung der Jugendpolitik darstellte. So wurde in diesem Zusammenhang Beat - Musik nun öffentlich gespielt und sogar geduldet. Diese Öffnung ließ besonders im Mai 1964 mit dem neuen Jugendgesetz erkennen, dass keineswegs gesellschaftliche und politische Schranken abgebaut wurden. Das neue Jugendgesetz basierte im Kern nämlich wieder auf der ideologischen Schaffung eines neuen Menschen. So wurden sogar in Artikel 1 des Jugendgesetzes die Inhalte des Lebens der Menschen festgelegt: „ Die Aufgabe der Mädchen und Jungen, der jungen Frauen und Männer ist es, Schmiede der Zukunft, Bauherren des Sozialismus und Pioniere der Nation zu sein. “ 39 Das neue Kommuniqué und das Jugendgesetz zeigen keinen grundsätzlichen Wendepunkt in der ostdeutschen Jugendpolitik; vielmehr wird ein bestimmter Entwicklungsstand der bereits seit Jahren praktizierten Bestimmungen nun auch gesetzlich manifestiert.
3.3 Auswirkungen des Zweiten Jugendkommuniqués
Die beiden zentralen Thesen dieses Jugendkommuniqués waren zum Einen die Wahrung der Intimsphäre vor politischen Einflüssen und Bewertungen und zum Anderen die Aufforderung an die Jugend sich mehr in Politik und Beruf zu engagieren. Dies sei das „ Ideal eines freimütig auftretenden, kritisch urteilenden und kompetent entscheidenden Bürgers und damit [ … ] das Ideal einer sozialistischen Gesellschaft [ … ] “ 40. Die heranwachsende Jugend bekam damit eigene Spielräume und mehr Freiraum zuerkannt. Dies bedeutete auch, dass sich die Jugendlichen frei entscheiden konnten, was sie für Musik hören, welchen Tanzstil sie ausleben, wie sie sich kleiden und wie sie ihre Sexualität ausleben wollen.
[...]
1 Vgl. GÖTZ, Christian: Ist die DDR ein Staat der Jugend?, in: Gewerkschaftliche Monatshefte 1 (1968), S. 27 - 41, abgerufen: http://library.fes.de/gmh/main/jahresin/1968/jahres_01-1968.htm, 09.08.2009; außerdem: vgl. SACHSE, Christian: Die Jugendpolitik der SED Anfang der sechziger Jahre, Zur historischen Einordnung der Jugendkommuniqués, in: Zeitschrift des Forschungsverbundes SED - Staat 19 (2006), S. 28/29.
2 Vgl. HILLE, Barbara: Zur Situation der Jugendforschung in der DDR und der Bundesrepublik Deutschland, Theorien, Methoden, Ergebnisse, in: BASKE, Siegfried; RÖGNER - FRANCKE, Horst (Hrsg.): Jugendprobleme im geteilten Deutschland, Berlin 1986, S. 13/14.
3 Vgl. HERRMANN, Ulrich: Jugendpolitik und Jugendkulturen im 20. Jahrhundert, in: BAUMGARTNER, Judith; WEDEMEYER - KOLWE, Bernd (Hrsg.): Aufbrüche, Seitenpfade, Abwege, Suchbewegungen und Subkulturen im 20. Jahrhundert, Festschrift für Ulrich Linse, Würzburg 2004, S. 61 - 70.
4 GRIES, Rainer; SATJUKOW, Silke: Von Feinden und Helden, Inszenierte Politik im realen Sozialismus, in: APuZ 53 (2003), S. 24.
5 Vgl. OHSE, Marc - Dietrich: Jugend nach dem Mauerbau, Anpassung, Protest und Eigensinn, DDR 1961 - 1974, Berlin 2003, S. 23.
6 LINDNER, Bernd: Zwischen Integration und Distanzierung, Jugendgenerationen in der DDR in den sechziger und siebziger Jahren, in: APuZ 45 (2003), S. 36.
7 Vgl. OHSE, Marc - Dietrich: Jugend nach dem Mauerbau, S. 16.
8 Vgl. auch: OHSE, Marc - Dietrich: Jugend nach dem Mauerbau, S. 19.
9 HOBSBAWM, Eric: Das Zeitalter der Extreme, Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, Wien 1994, S. 8.
10 Vgl. JUDT, Matthias: Deutschlands doppelte Vergangenheit, S. 19 - 24.
11 MAASE, Kaspar: Körper, Konsum, Genuss, Jugendkultur und mentaler Wandel in den beiden deutschen Gesellschaften, in APuZ 45 (2003), S. 10.
12 Vgl. RAUHUT, Michael: Beat in der Grauzone, DDR - Rock 1964 - 1972, Politik und Alltag, Berlin 1993, S. 27.
13 Vgl. Staatliches Komitee für Rundfunk: SFB, Das Thema [mit einem Beitrag von Reginald Rudorf: Bitte, bitte, Beat nicht!], 16.07.1971, in: BStU ZA, MfS HA XX/AKG Nr. 1551, S. 3.
14 Vgl. RAUHUT, Michael: Beat in der Grauzone, S. 20.
15 KNEPLER, Georg: Musik, ein Instrument der Kriegsvorbereitung, in: Musik und Gesellschaft 2 (1951), S. 25.
16 GROTEWOHL, Otto: Rede auf der 13. Tagung der Volkskammer, 22.3.1950, in: ND vom 23. März 1950, S. 3, Sp. 6.
17 Vgl. RAUHUT, Michael: Beat in der Grauzone, S. 19.
18 Vgl. POIGER, Uta: Jazz, Rock, and Rebels, Cold War Politics an American Culture in a Divided Germany, Berkeley u. a. 2000, S. 194/195; vgl. hierzu auch RAUHUT, Michael: Beat in der Grauzone, S. 33/34.
19 Grundsätze sozialistischer Kulturarbeit im Siebenjahrplan, Entschließung der Kulturkonferenz 1960 des ZK der SED, des Ministeriums für Kultur und des Deutschen Kulturbundes, in: Kulturkonferenz 1960, Protokoll der vom Zentralkomitee der SED, dem Minister für Kultur und dem Deutschen Kulturbund vom 27. bis 29. April 1960 im VEB Elektrokohle, Berlin abgehaltenen Konferenz, Berlin 1960, S. 418.
20 POIGER, Uta: Jazz, Rock, and Rebels, S. 195.
21 Vgl. POIGER, Uta G.: Amerikanisierung oder Internationalisierung, Populärkultur in beiden deutschen Staaten, in: APuZ 45 (2003), S. 19/20.
22 Vgl. SACHSE, Christian: Die Jugendpolitik der SED Anfang der sechziger Jahre, S. 27.
23 Vgl. DENK, Felix: Lost in Music, in: Fluter, Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung 30 (2009), S. 12.
24 Vgl. TRAMPE, Andreas: Kultur und Medien, in JUDT, Matthias (Hrsg.): DDR - Geschichte in Dokumenten, Beschlüsse, Berichte, interne Materialien und Alltagszeugnisse, Berlin 1997, S. 308.
25 Vgl. OHSE, Marc Dietrich: Jugend nach dem Mauerbau, S. 17.
26 Vgl. HILLE, Barbara: Zur Situation der Jugendforschung in der DDR und der Bundesrepublik Deutschland, S. 13; Zur Volljährigkeit vgl. SCHULZE, Edeltraut; NOACK, Gert: DDR - Jugend, Ein statistisches Handbuch, Berlin 1995, S. 8.
27 Vgl. SCHULZE, Edeltraut; NOACK, Gert: DDR - Jugend, S. 15.
28 Vgl. MAHRAD, Christa: Jugendpolitik der SED, in: Deutsche Studien 76 (1981), S. 358.
29 Vgl. wie vor, S. 346.
30 Gesetz über die Teilnahme der Jugend an der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft und über ihre allseitige Förderung in der Deutschen Demokratischen Republik, Jugendgesetz der DDR vom 28. Januar 1974, § 1, Abs. 2, in: GBl. I Nr. 5, 31. Januar 1974, S. 48.
31 Vgl. MÄHLERT, Ulrich: Jugendpolitik und Jugendleben 1945 - 1961, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.): Materialien der Enquete - Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED - Diktatur in Deutschland“, 12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages, 9 Bände, Bd. III/2, Baden - Baden u. a. 1995, S. 1461.
32 NATO - Politik und Tanzmusik, Beschluss des Politbüros der SED, 7. Februar 1961, in: ZK der SED (Hrsg.): Informationsdienst 48 (1961), S. 3, Sp. 2.
33 Vgl. OHSE, Marc - Dietrich: Jugend nach dem Mauerbau, S. 61.
34 Vgl. DÜBEL, Siegfried: Lernt und schafft wie nie zuvor, Zu dem Jugendkommuniqué und dem Jugendgesetzentwurf der SBZ, München 1963, S. 2, (Sonderausgabe der Zeitschrift deutsche jugend).
35 Der Jugend Vertrauen und Verantwortung, in: ND Nr. 259, 21.09.1963, S. 3, Sp. 6.
36 Vgl. RAUHUT, Michael: DDR - Beatmusik zwischen Engagement und Repression, in: AGDE, Günter (Hrsg.): Kahlschlag, Das 11. Plenum des ZK der SED, Studien und Dokumente, Berlin 2000, S.125.
37 Grundsätze für die Gestaltung des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems (Entwurf) vom 16. April 1964, in: BASKE, Siegfried (Hrsg.): Bildungspolitik in der DDR 1963 - 1976, Dokumente, Berlin 1979, S. 64.
38 Der Jugend Vertrauen und Verantwortung, in: ND Nr. 259, 21.09.1963, S. 2, Sp. 3 und 6.
39 Gesetz über die Teilnahme der Jugend der Deutschen Demokratischen Republik am Kampf um den umfassenden Aufbau des Sozialismus und die allseitige Förderung ihrer Initiative bei der Leitung der Volkswirtschaft und des Staates, in Beruf und Schule, bei Kultur und Sport, Jugendgesetz der DDR vom 4. Mai1964, in: GBl. 1964/I, Nr. 75.
40 KRENZLIN, Leonore: Vom Jugendkommuniqué zur Dichterschelte, in: AGDE, Günter (Hrsg.): Kahlschlag, Das 11. Plenum des ZK der SED, Studien und Dokumente, Berlin 2000, S. 157.
- Quote paper
- Laura Schiffner (Author), 2009, Jugendliche Subkulturen und Beatmusik zwischen Liberalisierung und Repression in den 1960er Jahren der DDR, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/141358
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