In meiner Staatsexamensarbeit geht es um einen Sprachvergleich des Deutschen mit dem Japanischen hinsichtlich der Quantifizierung von Nomen mithilfe von Klassifikatoren (z.B. 3 Stück Schokolade, 3 Gläser Wein etc). Ausgehend von einem Überblick über die Entwicklung von Schrift und Grammatik der japanischen Sprache, werden die Numeralklassifikatoren beider Sprachen eingehender betrachtet, wobei man in Bezug auf das Deutsche nicht von einer ausgesprochenen Klassifikatorsprache sprechen kann. Das Japanische zeigt im Gegensatz dazu (wie viele andere asiatische Sprachen) eine wesentlich stärkere Tendenz mit Klassifikatoren zu zählen. Bei dieser Betrachtung werden vorrangig die syntaktische Struktur, aber auch semantische Merkmale der Numeralkonstruktionen untersucht.
Inhaltsverzeichnis
TABELLEN- UND ABBILDUNGSVERZEICHNIS
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
1 EINLEITUNG
2 DIE JAPANISCHE SPRACHE
2.1 ENTWICKLUNG DER SPRACHE UND SCHRIFT
2.1.1 Die chinesische Grundlage
2.1.2 Die japanische Adaption
2.1.3 Der westliche Einfluss
2.2 DIE MODERNE JAPANISCHE SPRACHE
3 NUMERALKLASSIFIKATOREN - EINE SEMANTISCHE ODER SYNTAKTISCHE KATEGORIE?
3.1 EIN NUMERALKLASSIFIKATOR - WAS IST DAS?
3.2 NUMERALKONSTRUKTIONEN IM DEUTSCHEN
3.2.1 Charakteristik deutscher Nomen
3.2.2 Syntaktische Eigenschaften deutscher Numeralkonstruktionen
3.2.3 Semantische Eigenschaften und Funktionalität deutscher Numeralkonstruktionen
3.3 NUMERALKONSTRUKTIONEN DES JAPANISCHEN
3.3.1 Charakteristik japanischer Numeralklassifikatoren
3.3.2 Syntaktische Eigenschaften japanischer Numeralkonstruktionen
3.3.3 Funktionalität japanischer Numeralkonstruktionen
3.4 VERGLEICHENDE DARSTELLUNG VON NUMERALKONSTRUKTIONEN
4 SCHLUSSBETRACHTUNG
LITERATUR
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
TAB. 1: NUMERALE DES JAPANISCHEN
TAB. 2: HIRAGANA UND KATAKANA MIT DER ENTSPRECHENDEN ROMANISIERTEN LESUNG IM HEPBURNSYSTEM
TAB. 3: GEBRAUCH VON KLKO MIT POSTNUMERALEN ERGÄNZUNGEN - GOOGLERECHERCHE
TAB. 4: SYNTAKTISCHE EIGENSCHAFTEN VON INDIVIDUALNOMINA UND MASSENNOMINA DES DEUTr SCHEN
TAB. 5: VARIANZEN IM GEBRAUCH VON KLASSIFIKATORKONSTRUKTIONEN - GOOGLERECHERCHE
TAB. 6: VARIANZEN IM GEBRAUCH VON QUANTIFIKATORKONSTRUKTIONEN - GOOGLERECHERCHE
TAB. 7: QUANTIFIKATOREN DES JAPANISCHEN
TAB. 8: KLASSIFIKATOREN DES JAPANISCHEN
TAB. 9: SUPERORDINATE UND SUBORDINATE CLASSIFIERS
TAB. 10: EINFÜHRUNG DER NUMERALKLASSIFIKATOREN IM KINDESALTER
TAB. 11: RELATIVE HÄUFIGKEITEN DER KOMBINATIONSMÖGLICHKEITEN VON KLASSIFIKATORSYSTEMEN
TAB. 12: VERBINDUNG VON NUMERAL UND KLASSIFIKATOR (INDIGEN, SINOrJAPANISCH UND INDIGENr SINOrJAPANISCH)
TAB. 13: OPTIMALITÄTSTHEORETISCHE ANALYSE VON JAPANISCHEN NKO
ABB. 1: KLASSIFIKATORSPRACHEN
ABB. 2: SEMANTISCHE UND SYNTAKTISCHE MERKMALE DER NOMINA DES DEUTSCHEN
ABB. 3: STRUKTURIERUNG JAPANISCHER KLASSIFIKATOREN NACH DEM MERKMAL DER BELEBTHEIT
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 EINLEITUNG
„Von Atomen zu Milchstraßen“, so erläutert DIETER E. ZIMMER (1986: 128) den Be- griff der semantischen Kategorie, „[besteht] die Welt [..] aus lauter einzelnen, vonei- nander verschiedenen Dingen. Der Geist aber faßt [sic] sie zu Klassen zusammen: zu der Klasse aller Atome, aller Milchstraßen, aller Leselampen. Eine solche vom wahr- nehmenden Geist gebildete Klasse heißt Kategorie. Die Fähigkeit zum Kategorisieren ist eine der ganz elementaren Künste des Geistes. Ohne sie gäbe es keinerlei Denken.“ Die von ZIMMER so trefflich beschriebene Kategorisierungsfähigkeit des Menschen fin- det sich in den unterschiedlichsten Bereichen unseres Lebens wieder: So zerlegen wir mental unsere Umgebung in Kategorien wie Zuhause, Arbeitsplatz oder Erholungsge- biet; wir teilen die Menschen, mit denen wir in Kontakt treten, in Gruppen von Freun- den, Bekannten oder Familie und haben selbst Konzepte von Dingen wie Tassen, Bü- chern, Häusern und vielen mehr. Diese Kategorisierung lässt sich auf jedes konkrete Objekt, sei es belebt oder unbelebt, anwenden. Auch in Bezug auf abstrakte Begriffe wie Gefühle, Sprachen und Zahlen können wir mentale Gliederungen vornehmen. Die Kategorisierung der Welt ist laut E. Zimmer eine Voraussetzung für das Denken. Diese These sei dahingestellt - in jedem Fall aber beeinflussen die Kategorien, die wir erstel- len, unser Denken.
In dieser Arbeit soll es nun um die Quantifizierung von Nomen gehen, welche in ver- gleichender Weise - durch eine Darstellung von Zählkonstruktionen des Deutschen auf der einen Seite und der des Japanischen auf der anderen - erfolgen soll. Die Zählwörter, die wir zu Rate ziehen, um Gegenstände zählen, arbeiten ganz im Sinne der semanti- schen Kategorisierung. Dies zeigt sich daran, dass wir sowohl Wein, Bier, Marmelade als auch Gurken mit einem Zahlwort ‚Gläser‘ verbinden können, da allen unterschiedli- chen Glasformen ein Konzept von ‚Glas‘ zugrunde liegt, auf welches wir in einem Quantifizierungszusammenhang zugreifen. Dies zeigt, dass gerade der Bereich der Zählstrukturen Kategorisierungen hervorruft. Offenbar ist dieses Phänomen aber keines, was sich ausschließlich in der deutschen Sprache wiederspiegelt. Obwohl die Sprachen der Erde von unterschiedlichster Natur sind, wird man in keiner einzigen Sprache Zah- len sowie das Phänomen der Zählbarkeit vermissen. Im Swahili bestellt man 2 vikombe vya chai im Chinesischen dagegen li ng b i chá. In Thailand könnte man mit den Wor- ten chaa saawng thuay zwei Tassen Tee verlangen - im Englischen dagegen mit two cups of tea.
Sprachstrukturen, wie sie soeben vorgestellt wurden - bestehend aus einem Numeral, einem Numeralklassifikator und einem durch diesen Klassifikator näher bestimmten Nomen - bezeichnet man als Numeralkonstruktionen. Das Deutsche führt jene nur par- tikulär, während in anderen Sprachen vor allem im südostasiatischen Sprachraum sowie auch in Regionen Südamerikas diese Konstruktionen höher frequent auftreten. Ob sich eine Sprache als sogenannte Klassifikatorsprache auszeichnet, ist im Wesentlichen be- dingt durch die Pluralbildung der Nomen. Im Deutschen zeichnen sich dahingehend zwei große Gruppierungen ab: zählbare Nomen und Massennomen, von denen erstere den häufigeren Fall markieren und zum großen Teil Pluralendungen und somit Markie- rungen tragen. Im Japanischen, das als Beispiel einer asiatischen Sprache der Deutschen als Kontrast dienen soll, existieren keinerlei direkte nominale Pluralkennzeichnungen und ebenso keine Artikel. Nomen werden als bloße Numeralphrasen angesehen, die große Ähnlichkeiten zu den deutschen Massennomina aufweisen. Dies hat weitreichen- de Folgen, denn Massennomina wie ‚Vieh‘ oder ‚Salz‘ können nicht direkt mit einem Numeral verbunden werden - wie an dem Beispiel *drei Salz ersichtlich werden soll. Sie bedürfen eines Numeralklassifikators, um eine Begrenzung für ihre Masse zu schaf- fen wie man am Beispiel drei Teelöffel Salz erkennen kann. Japanische Nomen können daher nicht ohne Klassifikator stehen. Eine Konstruktion wie im Deutschen drei Mäuse ist im Japanischen nicht möglich.
Während das Deutsche vor allem Numeralklassifikatoren kennt, die ein Maß oder eine Art Behälter bezeichnen bzw. an eine bestimmte Gestalt erinnern - und daher auch Maß-, Behälter- und Gestaltnomen genannt und unter der allgemeinen Kategorie der Quantifikatoren gefasst werden - existieren im Japanischen neben Quantifikatoren, die in den meisten Sprachen der Erde vorkommen, noch unzählige weitere. Zu diesen gehö- ren Klassifikatoren für kleine und große Tiere, längliche, flache oder runde Gegenstän- de, Maschinen, Flugzeuge oder Gedichte, um nur einige wenige zu nennen.
Die Verwendung von Konstruktionen, die mit Numeralklassifikatoren gebildet werden, wird in dieser Arbeit ausführlich dargestellt werden. Damit einhergehend wird zunächst eine Analyse von deutschen und japanischen Nominalstrukturen vorgenommen, die Rolle der Klassifikatoren definiert sowie eine Differenzierung der Numeralklassifikato- ren vorgenommen. Um auch im Japanischen diese Formen tiefgreifend erläutern zu können, ist es zunächst von Nöten, einen kurzen Einblick in den Aufbau der japanischen Sprache zu liefern, um die Wesensmerkmale der Sprache kenntlich zu machen. Dabei darf auch die Entwicklung der Sprache und Schrift seit der Frühzeit des achten Jahrhun- dert nicht ausgelassen werden. Dies ist vor allem notwendig, da die Klassifikatoren schon damals Anwendung fanden und sich bereits zu jener Zeit zwei Kategorien - eine indigen japanische sowie eine sino-japanische - herausbildeten, die heute noch geson- dert Anwendung finden.
Ausgehend von diesem Überblick über die Entwicklung von Schrift und Grammatik der japanischen Sprache, sollen im dritten Kapitel die Numeralklassifikatoren eingehender betrachtet werden. Vorrangig wird bei dieser Betrachtung die syntaktische Struktur der Numeralkonstruktionen untersucht. Die Rolle der Semantik kann dabei dennoch nicht gänzlich vernachlässigt werden, da etwaige syntaktische Varianten auch Bedeutungs- verschiebungen hervorrufen. Doch zunächst soll in Kapitel zwei ein Überblick über die japanische Sprache gegeben werden. Alle fremdsprachigen Beispiele, die in diesem und den folgenden Kapiteln die theoretischen Erläuterungen untermalen, entstammen dem eigenen Wissen, Recherchen und Gesprächen mit muttersprachlichen Sprechern, in de- nen sie hinterfragt und abgesichert wurden.
2 DIE JAPANISCHE SPRACHE
Die deutsche Sprache wird weltweit von rund 101 Millionen Menschen gesprochen (HAARMANN 2001: 104). Zwar lebt erwartungsgemäß der größte Anteil der Sprecher (81,5 Mio.) in Deutschland, aber dennoch ist das Deutsche auch in anderen Staaten von nicht unerheblichem Einfluss. Dies betrifft vor allem die deutschen Nachbarstaaten Ös- terreich und die Schweiz, die sehr hohe Sprecheranteile aufweisen und die neben der standarddeutschen jeweils eine nationale Hauptvariante des Deutschen ausmachen. Vor allem im europäischen Bereich (Frankreich, Polen, Italien, etc.), aber auch global be- trachtet, ist die Sprache weit verbreitet (ebd.) - so findet man immerhin noch 1,6 Mio. Sprecher in den USA; ca. 100.000 in Australien und einige Tausend im südlichen Afri- ka. Dabei ist nicht nur von einer primärsprachlich großen Bedeutung auszugehen, die sich vor allem auf Deutschland konzentriert, sondern auch von einigen Millionen se- kundärsprachlicher Sprecher, die ebenfalls zu einem großen Anteil in Deutschland zu verorten sind (ebd.).
Anders verhält es sich mit der japanischen Sprache. Zwar unterscheidet sich die Ge- samtsprecherzahl nur um 25 Millionen - beide kennzeichnen sich als Großsprachen mit Minderheitsstatus - jedoch kann man vom Japanischen keine ähnliche Verteilung der primär- und sekundärsprachlichen Sprecher ausmachen. 98% der Sprecher konzentrie- ren sich ausschließlich auf Japan und die zugehörigen Inselgruppen (HAARMANN 2001 190). Nur zwei Prozent der Japaner leben im Ausland (v.a. in den USA); in Deutschland zählt die Statistik immerhin knapp über 20.000 japanischstämmige Einwohner. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass es sich bei den 126 Millionen Sprechern des Japani- schen hauptsächlich um Primärsprachler handelt. Lediglich einige tausend Chinesen und vor allem Koreaner haben die japanische Sprache als Zweitsprache erlernt. In der westlichen Welt sind jedoch keine nennenswerten Sprechergruppen auszumachen (ebd.).
Die Frage, die sich im Anschluss dessen stellt, liegt auf der Hand: Warum bleibt die japanische Sprache der westlichen Welt derart verschlossen? Immerhin ist das Deutsche in Japan (neben Englisch und Niederländisch) eine der Fremdsprachen überhaupt. Das Studium der Germanistik ist ein beliebter universitärer Zweig - ohnehin wird in den ersten beiden Studienjahren jedes beliebigen Studiums, die in Japan eher im Sinne eines Studium Generale angelegt sind, oftmals das Deutsche als zweite Fremdsprache erlernt (GREIN 1994b: 233). Wohingegen in Deutschland Japanologie eher von einer Minder- heit der Deutschen als Studium aufgenommen wird. Vor allem seit dem Ende des 19. Jahrhunderts erlebte das Deutsche - „die schöne Sprache Goethes, Heines und Stifters, andererseits die logische Sprache von Kant, Schopenhauer und Marx“ (YONEI 2004: 73) - eine ungeahnte Beachtung in Japan. Die deutschen literarischen und sprachphiloso- phischen Werke entwickelten sich zu einem „Kanon der gebildeten Elite“ (ebd.: 77). Diese Entwicklung bildet einen großen Gegensatz zur Aufnahme der japanischen Spra- che (und Literatur) in Deutschland, die nur von einem Bruchteil der deutschen Bevölke- rung wahrgenommen wird. Der Grund dafür liegt im Besonderen in der Komplexität des japanischen Schriftsystems, in den unzähligen sich ähnelnden Schriftzeichen, die - noch bevor ein Text auf seinen Inhalt hinterfragt werden kann - für Europäer einen im- mensen Lernaufwand bedeuten.
In den folgenden Abschnitten wird es darum gehen, die Wesensmerkmale der japanischen Sprache aufzuzeigen, die sie von einer dem europäischen Leser vertrauten indogermanischen Sprache unterscheidet. Ferner gilt es, die frühe Entwicklung seit dem achten Jahrhundert in Grundzügen zu skizzieren, welche ebenso die Grundlage für die Entwicklung der Numerale und Klassifikatoren bildet.
2.1 ENTWICKLUNG DER SPRACHE UND SCHRIFT
„The Japanese writing system is, without question, the most complicated and involved system of script employed today by any other nation on earth; it is also one of the most complex orthographies ever employed by any culture anywhere at any time in human history” (MILLER 1986: 1). Die Position, die der Amerikaner ROY ANDREW MILLER mit diesen Worten verdeutlicht, spiegelt das allgemeine Bild wider, welches der japanischen Sprache auch in Europa zuteil wird. Der Grund für diese Komplexität ist vor allem in der Vielfalt, die das japanische Schriftsystem in sich birgt, zu sehen: der sogenannten sino-japanischen Mischschrift (GREIN 1994a: 44). Es existieren drei verschiedene natio- nale Schriftsysteme: Kanji, die komplexeren Bildzeichen, sowie die beiden Silben- alphabete Hiragana und Katakana. Ergänzend tritt das westliche Romaji-Alphabet hin- zu. Allen Schriftsystemen kommt zwar eine unterschiedliche Funktion und Verwendung zu, jedoch werden sie im Text stets kombiniert und parallel verwendet (GREIN 1994a: 16). Diese schriftsprachliche Komplexität resultiert aus der Geschichte, in der die Japa- ner, die selbst nie anstrebten, eine gänzlich eigene Schrift zu entwickeln, die Schrift der Chinesen zunächst übernahmen und im Weiteren dann adaptierten. Dabei gilt es grund- legend die semantische sowie die phonetische Übernahme der Schrift zu unterscheiden (GREIN 1994a: 27).
2.1.1 Die chinesische Grundlage
Der Ursprung aller japanischen Schrift liegt ohne Zweifel im steigenden Interesse am Buddhismus und den damit verbundenen buddhistischen Schriften und Lehrwerken, das sich mit dem Beginn des fünften Jahrhunderts unter den japanischen Gelehrten einstellte. Mit diesem einher ging die Beschäftigung mit der chinesischen Kultur und Sprache (GREIN 1994a: 29 f.). Noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts galt das Chinesische sowie die chinesische Geschichte und Literatur als unentbehrliche Grundlage der gebildeten japanischen Bevölkerung (YONEI 2004: 75), die jedoch zu Beginn des Interesses am chinesischen Schriftgut wohl nur einen sehr geringen Anteil der Gesamtbevölkerung ausgemacht haben dürfte. Weder sah man einen Grund, noch einen nennenswerten Nutzen darin, eine eigene Schrift einzuführen (GREIN 1994a: 30).
2.1.2 Die japanische Adaption
In der einfacheren japanischen Bevölkerung setzten derweil andere Tendenzen ein, die sich zwar der chinesischen Schrift als Grundlage bedienten, jedoch nur mit einer gewis- sen Anzahl der Zeichen arbeiteten. Dabei wurden die Zeichen rein phonetisch zur Dar- stellung der japanischen Lautung genutzt. Diesen phonetischen Zeichensatz bezeichnet man als Manyôgana - er bildet die Grundlage für die sich seit dem frühen achten Jahr- hundert entwickelnden Zeichenalphabete Hiragana und Katakana. Dabei wurden chine- sische Zeichen, die der Aussprache einer japanischen Silbe ähnelten, „ohne Rücksicht auf [deren] semantischen Wert“ (GREIN 1994a: 35) als schlichte Symbole übernommen: Das japanische Wort für ‘Mund’ war [[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]‹kuchi› und bildete sich aus den chinesi- schen Silben ‹ku› [!und ‹ti›[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] deren ursprüngliche chinesische Bedeutungen - ‘Zeit- dauer’ und ‘Wissen’ - vernachlässigt wurden. Heute trägt ‹kuchi› zwar noch dieselbe Lautung aber ein anderes Kanji[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]
Parallel zur phonetischen Schriftentwicklung setzte im sechsten Jahrhundert auch die semantische ein (GREIN 1994a: 53). Den japanischen Wörtern wurden dabei gleichbe- deutende chinesische Zeichen zugeordnet, deren ursprüngliche Lautung vernachlässigt wurde. Diese Schriftübernahme führte zur Ausbildung der Kanjizeichen, welche zu- nächst rein japanisch gelesen wurden: Dem japanischen Wort ‹toshi› für ‘Jahr’ wurde das Kanji Ï zugewiesen. Später trat zu der rein japanischen Lesung eine zweite, chinesische Lesung eines jeden Kanji hinzu, die jedoch an das japanische Lautmodell substituiert wurde. Für das Kanji Ï existierten fortan die Lesungen ‹toshi› und ‹nen›, das aus dem chinesischen ‹nien› abgeleitet wurde. Diese Lesungen werden kun- und onLesungen genannt und sind bis heute gebräuchlich.
Diese Lautentwicklung betraf auch die Zahlen und Numerale. Hatte man zunächst ein rein japanisches Zahlensystem (vgl. Tab. 1), so kam mit der Entwicklung der zweiten Lesung auch eine sino-japanische Aussprache hinzu. Da das indigene Zählsystem ohne- hin recht problematisch war, setzte sich die sino-japanische Lesung schnell durch. Denn Zahlen größer als zehn (mit Ausnahme von ganzen Zehnern und Hundertern) konnten nur verdeutlicht werden, in dem man ein Additionsprinzip anwendete, bei dem sich 24 Tage aus 20 Tagen plus 4 Tage ergaben (vgl. DOWNING 1996: 37), In speziellen Zähl- konstruktionen jedoch und nur für die Zahlen von eins bis zehn verwendet man heute noch die indigenen Lesungen (ebd.).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 1: Numerale des Japanischen; vgl. DOWNING 1996: 36, eigene Darstellung.
Die semantische Methode der Übernahme von chinesischen Zeichen mit japanischer und sino-japanischer Lautung gewann an Beliebtheit, sodass zum Ende des siebenten Jahrhunderts die phonetischen Manyôgana-Schriftzeichen lediglich noch für Endungen, Suffixe und Partikel verwendet wurden (GREIN 1994a: 44). Alle anderen Bestandteile eines Satzes (z.B. Wortstämme von Verben und Nomen) wurden durch Zeichen dargestellt, die der semantischen Methode entstammten (ebd.).
Erst seit dem achten Jahrhundert sind Tendenzen zu beobachten, die den Drang nach einer eigenen Schrift bestärkten - so entwickelten die Japaner im Laufe des neunten Jahrhundert die beiden Silbenalphabete Hiragana und Katakana, die heute aus jeweils 46 Zeichen bestehen (zu damaliger Zeit waren es vermutlich noch einige mehr). Das Hiragana-Alphabet wurde von Frauen auf der Grundlage des Manyôgana entwickelt, da diesen bis dahin die Benutzung der chinesischen Kanji untersagt war. Aus den 46 Hira- ganazeichen, die das Alphabet umfasst, können alle japanischen Wörter gebildet wer- den. Dennoch entstanden aufgrund der zahlreichen homophonen Verbindungen Mehr- deutigkeiten: beispielsweise fallen allein der Silbe ‚kô‘ mehr als 50 Bedeutungen zu (GREIN 1994a: 66), für die Silbe ‚shi‘ existierten bereits zur Zeit der phonetischen Sprachadaption 56 Zeichen - ähnlich viele Bedeutungen kamen der Silbe auch in den folgenden Jahrhunderten (bis in die heutige Zeit) noch zu (DOWNING 1996: 41). Daher wird das Hiragana heute genau in jener Funktion genutzt, die dem Manyôgana im sie- benten Jahrhundert zukam: für kleine Wörter, Partikel und Endungen jeder Art.
In studierten Kreisen entwickelten Männer die Katakanazeichen, die im Gegensatz zu den weichen und kursiven Hiraganasilben an geradlinigen Formen der Kanji orientiert sind (GREIN 1994a: 49). Während sich die Verwendung der Katakana in den ersten Jahrhunderten nach der Entwicklung von der der Hiragana nicht unterschied, wird dieses Silbenalphabet heute nur noch für all jene Wörter verwendet, die aus anderen Sprachen entlehnt wurden: [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] [erebêtâ] = ‘elevator’ aus dem Englischen;[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten][deisukotêku] vom französischen Wort ‘discothéque’ oder [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]¨ Ë [autobân] ‘Autobahn’ aus dem Deutschen.
2.1.3 Der westliche Einfluss
Nachdem sich diese drei Schriftsysteme - das Hiragana, Katakana und die Kanji - in Japan etabliert hatten, setzte in der modernen Zeit zusehends der Einfluss westlicher Kulturen ein. Nicht mehr nur chinesische Lehnwörter sondern vermehrt auch englische, deutsche und französische Begriffe sind in die japanische Sprache übergegangen. Mit den westlichen Sprachen kamen auch die westlichen Buchstaben auf, die zunächst le- diglich in Wörter- und Lehrbüchern der japanischen Sprache für Europäer und Ameri- kaner Anwendung fanden (GREIN 1994a: 20). Heute findet sich das sogenannte Romanji - die lateinische Umschrift - auch im täglichen Gebrauch der Japaner auf Zeitschriften, Verpackungen sowie in der Werbung, denn die lateinischen Buchstaben gelten als modern und entsprechen dem Trend der Zeit.
Um die japanischen Silben in lateinischen Buchstaben möglichst phonetisch genau wie- dergeben zu können, wurden verschiedene Transkriptionssysteme entwickelt, von denen das Hepburnsystem, das an die Phonologie des Englischen angelehnt ist, das mit Ab- stand gebräuchlichste ist. Tab. 2 zeigt eine Übersicht der Hiragana- und Katakanasilben mit ihren romanisierten Entsprechungen des Hepburnsystems. Im weiteren Verlauf der Arbeit werden alle japanischen Beispiele sowohl in japanischer als auch in romanisier- ter Schreibweise angegeben, sodass zum einen eine schnellere Erfassung der Beispiele für einen nicht-japanisch-sprachlichen Leser gegeben ist, auf der anderen Seite anhand der Kanjischreibweisen keine ungewollten Ambiguitäten auftreten können.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 2: Hiragana und Katakana mit der entsprechenden romanisierten Lesung im Hepburnsystem; nach MATTHIES 1989: 51 ff., eigene Zusammenstellung.
2.2 DIE MODERNE JAPANISCHE SPRACHE
Abseits der Entwicklung der sprachlichen Zeichen, die an Komplexität kaum zu übertreffen sind, fand auch eine Entwicklung der Sprache im grammatisch-syntaktischen Bereich statt - denn „writing is not language, but merely a way of recording language by means of visible marks. […] A language is the same no matter what system of writing may be used to record it, just as a person is the same no matter how you take his picture” (BLOOMFIELD 1984: 21). In diesem Sinne präsentiert sich das Japanische als sehr flexible Sprache, deren syntaktische Grundlagen - verglichen mit europäischen Sprachen - eine gewisse Einfachheit suggerieren.
Das Japanische zeichnet sich durch eine SOV-Grundstruktur aus, die verhältnismäßig konsequent eingehalten wird (YAMAMOTO 2005: 23). In jedem Fall aber nimmt das Verb die finale Position im Satz ein. Lediglich das Präsens sowie das Präteritum sind als echte Tempusformen bekannt. Um andere Tempora, Modi oder genus verbi zu verdeut- lichen, werden verbale Suffixe herangezogen. Im Gegensatz zum Deutschen werden Verben weder nach Person noch nach Numerus konjugiert. Ebenso unveränderlich ver- halten sich japanische Nomen, die weder Artikel noch Numerus oder Genus besitzen, und deren syntaktische Positionen allein durch angefügte grammatische Partikel mar- kiert werden. Um Nomen zu zählen, müssen Klassifikatoren verwendet werden, was in den folgenden Kapiteln noch eingehender zu diskutieren ist. Adjektive werden ebenfalls nicht dekliniert; sie sind jedoch komparierbar, in dem ebenfalls Suffixverbindungen ergänzt werden. Auch Pronomen sind in der japanischen Sprache selten (z.B. Personal- pronomen), beziehungsweise überhaupt nicht aufzufinden (Relativ- oder Reflexivpro- nomen).
So gestaltet sich das Japanische aus grammatischer Sicht für einen Europäer als zu- nächst recht überschaubare Sprache, die jedoch von vielen verdeckten Schwierigkeiten durchsetzt ist, die sich aus den Feinheiten ergeben, einen Satz mit allen Postpositionen und Suffixen gestalten zu können. Auch ist das Höflichkeitssystem, in dem es neben einer nicht-höflichen Form drei Abstufungen gibt - die Respekts-, Bescheidenheits-, sowie die höflichkeitsneutrale Form - eine der größten Schwierigkeiten, die das Japani- sche gegenüber anderen Sprachen auszeichnet. Ungewöhnlich ist ebenso, dass fortlau- fend ohne Leerzeichen in Zeilen oder auch in Spalten geschrieben wird. Aufgrund der Sprachzeichen ist auch von einer Groß- und Kleinschreibung abzusehen, die einen Text gliedern könnte. Das Japanische präsentiert sich daher als anspruchsvolle Sprache, de- ren Besonderheiten nicht allein in den knapp 2000 Kanji des täglichen Gebrauchs liegen, sondern auch in den zahllosen außergewöhnlichen Konstruktionen, um Verben beispielsweise in eine Potential- oder Passivkonstruktion zu setzen, Adjektive zu komparieren oder Nomen mithilfe von Klassifikatoren zu zählen. Letztere Konstruktionen sollen in den folgenden Kapiteln im Mittelpunkt stehen.
3 NUMERALKLASSIFIKATOREN - EINE SEMANTISCHE ODER SYNTAKTISCHE KATEGORIE?
3.1 EIN NUMERALKLASSIFIKATOR - WAS IST DAS?
Numeralkonstruktionen (NKO) wie zwölf Kinder oder der dritte Tag existieren in allen Sprachen der Erde. In den häufigsten Fällen (bezüglich der europäischen Sprachen) be- stehen Zählkonstruktionen aus einem Numeral und einem Nomen, das durch das voran- gehende Numeral quantifiziert wird (YAMAMOTO 2005: 1). Numerale umfassen dabei sowohl die Kategorie der Kardinalia (drei Bäume), der Ordinalia (das hundertste Mal) sowie der Numeralia in engeren Sinne, die in Nummerkonstruktionen verwendet wer- den (Tag drei der Exkursion) (WIESE 1998: 2 f.). Im Folgenden wird diesbezüglich kei- ne Unterscheidung mehr vorgenommen und nur noch auf den Begriff des Numerals referiert1.
Während zweigliedrige NKO wie drei Kinder in europäischen Sprachen den häufigsten Fall markieren, können in vielen Sprachen des asiatischen, v.a. des ostasiatischen Rau- mes, Numeralkonstruktionen auf jene Art nicht gebildet werden - sondern sind um ein drittes Glied zu erweitern: [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]‹kodomo san-nin›. Das entscheidende Merkmal für die Ausbildung von zwei- oder dreigliedrigen Konstruktionen ist die Zählbarkeit des Nomens. Menschen, des arbres oder pencils sind Nomen von hoher Zählbarkeit (GIL ET AL. 2005: 226); sie werden direkt an ein Numeral angebunden und weisen Pluralmor- pheme auf. Dem gegenüber stehen Nomen von geringer Zählbarkeit wie Wasser oder Salz, die ebenso als Massennomen bezeichnet werden. Sie können nicht direkt an ein Numeral angeschlossen werden, sondern bedürfen einer Kategorie, die eine bestimmte Menge oder Maßeinheit des Referenznomens angibt - ein Schluck Wasser sowie eine Prise Salz. Diese Kategorie bezeichnet man als einen Numeralklassifikator (NKL).
In asiatischen Sprachen ist dagegen die Verwendung von Numeralklassifikatoren sehr viel ausgeprägter als in europäischen Sprachen, da selbst Nomen, die im europäischen Sprachraum durch eine hohe Zählbarkeit gekennzeichnet sind, Klassifikatoren verlan- gen (GIL ET AL. 2005: 226). Nomen weisen grundsätzlich keine Pluralmerkmale auf, was es unmöglich macht, anhand eines Ausdruckes wie [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] [ringo] zu erkennen, obes sich dabei um einen Apfel, mehrere Äpfel oder die Klasse aller Äpfel handelt. Auf- grund dessen kann ein Numeral im Japanischen oder Chinesischen niemals das Nomen allein quantifizieren. Daher wird die in den meisten Sprachen übliche Klassifizierung nach Maßangaben (‚Kilogramm‘, ‚Prise‘, ‚Stück‘, ‚Glas‘, etc.) durch Klassifikatoren ergänzt, die Formen oder Eigenschaften der zu zählenden Nomen wiedergeben und welche verdeutlichen, ob es sich um einzelne Objekte oder eine Objektklasse handelt. Es existieren NKL für längliche, flache oder auch runde Gegenstände, für belebte oder unbelebte Dinge, kleine oder große Tiere, flüssige und feste Substanzen sowie Maschi- nen oder Fahrzeuge. Sprachen, die ein ausgeprägtes Klassifikatorsystem besitzen - wie das Chinesische, Vietnamesische, Thailändische, Japanische, Indonesische, Austronesi- sche und viele mehr (GIL ET AL. 2005: 226) - werden daher auch Klassifikatorsprachen genannt.
Abb. 1: Klassifikatorsprachen; KRIFKA 2006: 10.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
In Abb. 1 ist die Verteilung von obligatorischem und fakultativem Vorkommen (mit roten bzw. grünen Punkten verdeutlicht) bzw. das Fehlen von Klassifikatoren in den Sprachen der Erde dargestellt (weiße Punkte): Die obligatorischen Vorkommen finden sich im Besonderen im ost- und südostasiatischen Raum sowie auf dem amerikanischen Kontinent in Mittelamerika und im Norden Südamerikas. Sehr vereinzelt sind Klassifi- katoren noch in einigen westafrikanischen Sprachen zu finden (GIL ET AL. 2005: 227); wobei es zu bedenken gilt, dass ein Punkt allein nichts über die tatsächliche Sprecher- anzahl und -häufigkeit aussagt, sondern lediglich das Vorkommen von NKO in einem bestimmten Sprachraum dokumentiert. Nachfolgend sind Beispiele aus dem ostasiatischen Sprachraum des obligatorischen Vorkommens aufgeführt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
In Europa hingegen zeigen sich allein im Ungarischen2 und Türkischen noch entfernte optionale Tendenzen der Verwendung von numeralen Klassifikatoren. In allen anderen Sprachen sind diese nicht ausgeprägt (AIKHENVALD 2000: 121):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
[...]
1 Für spezifischere Untersuchungen zu Numeralia siehe WIESE 1996 und 1998.
2 Das Ungarische zählt ungefähr sechs Klassifikatoren, die nur in Bezug auf unbelebte Objekte verwen- det werden. Nomen, die belebte Dinge bezeichnen, werden direkt an das Numeral angeschlossen: egy ember - ‘eine Person’ (AIKHENVALD 2000: 102).
- Quote paper
- Jana Kirchhübel (Author), 2008, Drei Hunde - Inu ga san biki, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/141333
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