Einleitung
Die sog. Radbruchsche Formel, die der Heidelberger Rechtsphilosoph und Strafrechtler Gustav Radbruch im Jahre 1946 in seinem Aufsatz „Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht“ aufgestellt hat, ist in der Rechtsphilosophie zweifelslos der bekannteste Versuch, sich methodisch mit dem in den Jahren 1933 bis 1945 begangenen nationalsozialistischen Unrecht auseinanderzusetzen. Auslöser dieser sog. Naturrechtsrenaissance der unmittelbaren Nachkriegsjahre war die rechtsphilosophische Diskussion der Frage nach einer rückwirkenden Bestrafung von Systemunrecht. Radbruchs These, dass das inhaltlich ungerechte Gesetz der Gerechtigkeit zu weichen habe, wenn der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein unerträgliches Maß erreicht , beeinflusst die Naturrechtsdiskussion bis heute. Der Rückgriff auf „Naturrecht“ bzw. „überpositives Recht“ als Prüfungsmaßstab durchzieht die Rechtsprechung deutscher Gerichte seit Entstehung der Bundesrepublik bis in die jüngere Vergangenheit. Sind offenkundige Unrechtsgesetze einschließlich der auf ihrer Grundlage ergangen Urteile und Maßnahmen als bestehendes Recht anzusehen oder waren sie obwohl in Gesetzesform erlassen, von Anfang an als ungültiges Nicht-Recht zu betrachten? ..
Zunächst erfolgt eine kurze Bestimmung der Begriffe Rechtspositivismus und Naturrecht. Anschließend wandert der Blick auf den historischen Kontext. Hier erfolgt eine Darstellung des Rechtspositivismus vor 1933 und des Unrechtspositivismus im Dritten Reich. In einem nächsten Schritt wird versucht, die Naturrechtsrenaissance nach 1945 zu beschreiben, d.h. Aspekte wie Ursache, Anlass sowie Ablauf der Naturrechtsrenaissance zu beleuchten. Den ersten Schwerpunkt dieser Arbeit bildet die Radbruchsche Formel. Es gilt in diesem Teil, die Intention Radbruchs, den Begriff und den Inhalt der Radbruchschen Formel darzustellen. Zuvor wird auf das Leben und Werk Gustav Radbruchs eingegangen. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Wiederbelebung des Naturrechts in der Gegenwart, da sie durch den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland unerwartet aktuell. Dabei geht es um die gerichtliche Aufarbeitung des in der DDR von Staats wegen begangenem gesetzlichen Unrechts, vor allem um die Todesschüsse an der Berliner Mauer. Die wichtige Frage die sich bei den „Mauerschützen“-Fällen stellt ist, ob die Anwendung der Radbruchschen Formel nicht gegen das Rückwirkungsverbot des Art. 103 II GG verstößt. ..
- Arbeit zitieren
- Sevim Kurt (Autor:in), 2009, Zeitliche Überbegriffe: Die Umgehung des Rückwirkungsverbots durch Rückgriff auf Naturrecht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/141317
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