Im ersten Teil sei der Versuch unternommen, einen metaphorologischen Übergang nachzuzeichnen als Folge eines epistemologisch-methodischen Bruchs im Denken Wittgensteins. Einen ersten Hinweis auf das Mißtrauen seiner Worte und Begriffe im Tractatus gegenüber dem Sprechen seines Textes als ein Netz oder Labyrinth (Eco) gibt Wittgenstein in seinem 1945 geschriebenen Vorwort zu den Philosophischen Untersuchungen, und eine Vermutung über den Stil des Philosophierens überhaupt wagte er schließlich als Notiz zu seinen Untersuchungen:
"Philosophie dürfte man eigentlich nur dichten. Daraus muß sich, scheint mir, ergeben, wie weit mein Denken der Gegenwart, Zukunft oder Vergangenheit angehört: Denn ich habe mich damit auch als einen bekannt, der nicht ganz kann, was er zu können glaubt." (Wittgenstein)
Der zweite Teil wird versuchen, die verführerische und scheinbar universale Macht der geometrisch-topologischen Metaphern bei Derrida aufzuzeigen. In diesem Zusammenhang nähere ich mich einem zentralen Problemfeld in Derridas Denken und Schaffen. Von Philosophen und Literaturwissenschaftlern gleichermaßen vorgeworfen wird ihm vor allem diskurstheoretische Beliebigkeit und interpretatorische Willkür. Als eine Hauptursache dafür sei Derridas Verwendung von topologisch kongruenten Metaphern bezüglich jeder diskursiven Skalierung als metaphorologische Selbstähnlichkeit herausgearbeitet. Damit lehnt er vor allem jede traditionell-philosophische Rede ab, die sich ausschließlich „entlang der diskursiven Lineariät einer Ordnung von Begründungen verschiebt.“ (Derrida) Eine entscheidende strategische Ursache ist, daß Derrida nach Lévi-Strauss vor allem auf die identisch-zentalen Episteme der klassischen wissenschaftlichen oder philosophischen Diskurse verzichten möchte:
"Im Gegensatz zum epistemischen Diskurs muß der strukturelle Diskurs über die Mythen, der mytho-logische Diskurs selbst mythomorph sein. Er muß die Form dessen haben, worüber er spricht [also ausdrücklich selbstähnlich]." (Derrida)
Inhaltsverzeichnis
ÜberBlick und Eingang
I Wittgensteins SchnurGerade ins Netz
II Derridas SpurenSpiel im Meer
AnSchlüsse
ÜberBlick und Eingang
Seid mit euren elysischen Träumen zufrieden, denn auf der Erde ist ein erfüllter Traum ohnehin bloß ein wiederholter.
Jean Paul.
Wie fange ich es an, über Gedanken als Linien, Felder und Netze zu schreiben? Vertraute man dem späten Wittgenstein oder Derrida, ist es schlechterdings bedeutungslos, wo das Denken im Schreiben beginnt. Hat das Schreiben jedoch begonnen, wird das Orientieren und Zurechtfinden unerläßlich, um nicht gänzlich im Nachzeichnen einer Gedankenlinie umherzuirren innerhalb welcher topologischen Metapher auch immer. Gerade
[w]eil sie inaugural in der frühesten Bedeutung dieses Ausdrucks ist, ist die Schrift gefährlich und beängstigend. Sie weiß nicht, wohin sie führt, keine Vorsicht behütet sie vor jenem wesentlichen Sturz auf den Sinn hin, den sie konstituiert und der im vorhinein ihre Zukunft ist. […] Die Schrift ist für den Schriftsteller […] eine gnadenlose Schiffahrt.[1]
Im folgenden ersten Teil sei der Versuch unternommen, einen metaphorologischen Übergang nachzuzeichnen als Folge eines epistemologisch-methodischen Bruchs im Denken Wittgensteins. Einen ersten Hinweis auf das Mißtrauen seiner Worte und Begriffe im Tractatus gegenüber dem Sprechen seines Textes als ein Netz oder Labyrinth[2] gibt Wittgenstein in seinem 1945 geschriebenen Vorwort zu den Philosophischen Untersuchungen, und eine Vermutung über den Stil des Philosophierens überhaupt wagte er schließlich als Notiz zu seinen Untersuchungen:
Philosophie dürfte man eigentlich nur dichten. Daraus muß sich, scheint mir, ergeben, wie weit mein Denken der Gegenwart, Zukunft oder Vergangenheit angehört: Denn ich habe mich damit auch als einen bekannt, der nicht ganz kann, was er zu können glaubt.[3]
Der zweite Teil wird versuchen, die verführerische und scheinbar universale Macht der geometrisch-topologischen Metaphern bei Derrida aufzuzeigen. In diesem Zusammenhang nähere ich mich einem zentralen Problemfeld in Derridas Denken und Schaffen. Von Philosophen und Literaturwissenschaftlern gleichermaßen vorgeworfen wird ihm vor allem diskurstheoretische Beliebigkeit und interpretatorische Willkür. Als eine Hauptursache dafür sei Derridas Verwendung von topologisch kongruenten Metaphern bezüglich jeder diskursiven Skalierung als metaphorologische Selbstähnlichkeit herausgearbeitet. Damit lehnt er vor allem jede traditionell-philosophische Rede ab, die sich ausschließlich „entlang der diskursiven Lineariät einer Ordnung von Begründungen verschiebt.“[4] Eine entscheidende strategische Ursache ist, daß Derrida nach Lévi-Strauss vor allem auf die identisch-zentalen Episteme der klassischen wissenschaftlichen oder philosophischen Diskurse verzichten möchte:
Im Gegensatz zum epistemischen Diskurs muß der strukturelle Diskurs über die Mythen, der mytho-logische Diskurs selbst mythomorph sein. Er muß die Form dessen haben, worüber er spricht [also ausdrücklich selbstähnlich].[5]
Die Frage nach dem epistemologischen Status und strukturalen Modus des Gedankens an sich begleitet vorliegenden Text gleich einer mitschwimmenden Markierung. Nimmt man Derridas Eingangsmetapher der Schifffahrt ernst, dann hat sein Gedanken bündel die logisch-paradoxe Struktur des Schiffes Theseus’, das, nachdem alle Planken unterwegs ausgetauscht wurden, nichts mehr mit dem ursprünglichen Schiff gemeinsam hat. Nach dem Auswechseln einer einzigen Planke, bezweifelte jedoch niemand die Identität des Schiffes. Wenn ein Gedanke innerhalb dieser topologischen Diskurse seiend als eine Kante zwischen zwei Knoten zu denken ist, existiert er dann in selbstorganisierenden Netzen, Feldern oder Rhizomen[6] immer schon vor dem zweiten Knoten? Wenn ein Gedanke im vorhinein seine Zukunft ist, er als je epochales Futur 2 immer schon gewesen sein wird, dann kann es an einem Knoten gerade keine Wahl geben zwischen „eine[r] Menge wohlbekannter Pfade […] in alle Richtungen.“[7] Und was ist dann der Wert eines Gedankens, wenn mit Hilfe stetig leistungsfähiger werdenden Computern philosophisches Gelehrtsein von computerisiert-wissensorganisatorischem Informiertsein nunmehr nicht wirklich zu unterscheiden ist? Eine alternative Formel zur Meeresreise der Gedanken im Sinne Derridas liefert Friedrich Kittler: „Es gibt keine Gedanken, nur Worte“[8], was die Frage nach Status und Modus eines Gedanken natürlich nicht beantwortet, wohl aber weiter verschiebt und viel Raum für eher pessimistisch-technizistische Interpretationen über Codes eröffnet.
I Wittgensteins SchnurGerade ins Netz
Wir sind halluzinierende Automaten, die beim Schwimmen im Ozean einer ewigen und gesetzmäßigen Welt nur eine Richtung kennen.
Ilja Prigogine.
Ein flüsterndes Gemurmel begleitet das Denken Wittgensteins als das Mystische, das sich nicht sprachlich aber ausdrücklich zeigt[9], und schon die logische Argumentationslinie der zweidimensionalen, sprachphilosophisch kondensierten Abgeschlossenheit des Tractatus perforiert. Als ‘Vordenker’ der analytischen Philosophie seiner Zeit hatte Wittgenstein in seinem Frühwerk den nicht geringen finalen Anspruch, daß der Zweck der Philosophie die logische Klärung der Gedanken sei[10], während sich der Anspruch in seinem Spätwerk, den 1936 begonnenen Logischen Untersuchungen, umkehrt und vor allem seine Philosophie als Kampf gegen die Verwirrung unseres Verstandes durch die Sprache verstanden wissen will. Dabei vertraut Wittgenstein nicht mehr einer streng logische Argumentation, sondern einem eher literarisch-aphoristischen Stil, der dem Prozeßhaften im „Sprechen der Sprache”[11] oder dem Diskursiven aller Sprach spiele überhaupt näherzurücken scheint. Eine Möglichkeit ist nach Foucault, jenes Sprechen als das mystische Außen allen Sprechens zu identifizieren, die unsichtbare Kehrseite aller Wörter oder eine zwischen den Wörtern der Sprache herumgeisternde weiße Leere, von der die Sprache ständig zersetzt ― perforiert ― wird.[12]
Im Vorwort beschreibt Wittgenstein seine Philosophischen Untersuchungen mit eben jenen diskursiv-topologischen Begriffen, die quer zu aller Geradlinigkeit seines früheren Denkens stehen:
Im folgenden veröffentliche ich Gedanken, […] in längeren Ketten […] von einem Gebiet zum andern überspringend. […] ein weites Gedankengebiet, kreuz und quer, nach allen Richtungen hin zu durchreisen. […] Landschaftsskizzen, die auf verwickelten Fahrten entstanden sind. […] die gleichen Punkte [...] stets von neuem […] berührt und immer neue Bilder entworfen. […] mit allen Mängeln eines schwachen Zeichners behaftet. […] ― So ist also dieses Buch eigentlich nur ein Album [Collage].[13]
[...]
[1] Derrida, Die Schrift und die Differenz, Frankfurt/Main 1972, S. 23.
[2] Vgl. Eco, Im Labyrinth der Vernunft, Reclam, Leipzig 1989, S. 104f. Hier beschreibt Eco historisch drei Klassen von Labyrinthen: das Klassische des Theseus’, den Irrgarten oder Irrweg mit Ariadnefaden und das Netz oder Rhizom .
[3] Wittgensteins Nachlaß, Item 115, Bd.11, Philosophische Bemerkungen, S. 30.
[4] Derrida, die différance, in: Randgänge der Philosophie, Wien 1988, S. 32.
[5] Derrida, Die Struktur, das Zeichen und das Spiel im Diskurs der Wissenschaft vom Menschen, in: Postmoderne und Dekonstruktion, Stuttgart 1990, S. 128.
[6] Verwendet wird dieser Begriff nach einer Idee von Deleuze und Guattari aus dem Jahre 1976, die später von Umbert Eco zur Illustration seiner kulturellen Semiotik herangezogen wurde. Eine sehr gute Zusammenfassung der wesentlichen Gedanken des Rhizome bzw. dessen Tausend Plateaus findet sich in Deleuze/Parnet, Dialoge, Frankfurt/Main 1980: „Allerorten bestehen Zentren […] Es gibt Linien, die sich nicht auf die Verlaufsbahn eines Punktes reduzieren lassen, […] Nicht-parallele Entwicklungen, die nicht über Differenzierung verlaufen, sondern von einer Linie zu einer anderen springen, […] die über signifikante Einschnitte hinwegspringen. Alles das ist das Rhizom.“ (S. 33)
[7] Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Frankfurt/Main 1984, S. 438 (§ 525).
[8] Kittler, in: Mießgang (Hg.), x-sample. Gespräche, Wien 1993, S. 103f.
[9] Wittgenstein, Tractatus, § 6.522: „Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische.“
[10] Vgl. Wittgenstein, ebd., § 4.112.
[11] Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 23.
[12] Vgl. Foucault, Das Denken des Außen, in: Von der Subversion des Wissens, Frankfurt/ Main 1993, S. 46 bis 68.
[13] Wittgenstein, Vorwort zu den Philosophischen Untersuchungen, Frankfurt/Main 1984, S. 231f.
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