I. Einleitung
„Gott, rief Faustine, „’wie komisch sind die Männer! Ganz ernsthaft bilden sie sich ein, der liebe Gott habe unser Geschlecht geschaffen, um das ihre zu bedienen!’“
In ihrem bekanntesten und mit vielen autobiografischen Zügen gespickten Roman „Grä-fin Faustine“ von 1840 zeichnet Gräfin Ida Hahn-Hahn den höchst ungewöhnlichen Lebenslauf einer überdurchschnittlich intelligenten und emanzipierten Gräfin, die wie ihr literarischer, männlicher Namensvetter strebend, aufbegehrend und suchend durchs Leben geht und sich von gesellschaftlichen Zwängen und Normen wenig beeindruckt zeigt. Gräfin Faustine lehnt sich wie ihre Autorin, die sich nach der Scheidung ihrer Zweckehe durch die Tätigkeit als Schriftstellerin ein unabhängiges Einkommen sicher-te, gegen Rollenzuweisungen und männliche Unterdrückung auf. Als Schriftstellerin war sie zu ihrer Zeit überaus populär und obgleich oder gerade weil „Gräfin Faustine“ als skandalös angesehen wurde, verkaufte sich der Roman vorzüglich und erfuhr inner-halb von kürzester Zeit drei Auflagen. In der folgenden Arbeit soll durch eine struktura-listische Analyse prägnanter Textstellen das Frauenbild Ida Hahn-Hahns, wie sie es durch ihre Protagonistin und einige weitere weibliche Figuren darstellt, analysiert wer-den. Es soll herausgefunden werden, welches Rollenverständnis und welche Gesell-schaftsauffassung dem Roman zugrunde liegen und welche Möglichkeiten zur Lebens-gestaltung Ida Hahn-Hahn ihren Zeitgenossinnen damit eröffnet. Es soll außerdem auf das Ehebild eingegangen werden. Meine These ist, dass im Roman eine bis dahin nicht zulässige Möglichkeit für die Frau gefordert wird, sich jenseits der Rollenzuweisungen zu entfalten und der Frau nicht nur der Status als zukünftige Braut, Ehefrau, Mutter und Geliebte, sondern als Individuum mit eigenen Rechten gestattet wird.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Das Frauenbild
1. Inhalt
2. Analyse
2.1 Gesellschaftskritik: Darstellung der unglücklichen Ehe
2.2 Die Beziehung zu Andlau
2.3 Die Darstellung des Körpers: Bekleidung
2.4 Die Darstellung des Körpers: weibliche Körpersprache
2.4.1 Frauen fällt es schwer zu stehen
2.4.2 Frauen werden getragen
2.4.3 Mädchen stehen, Frauen sitzen
2.4.4 Im Sitzen verkümmert der Geist
2.5 Mädchen und junge Damen
2.6 Innenräume als Spiegel der Seele
2.7 Naturmetaphorik
2.8 Der freie Wille als weibliches Nervenleiden
III. Schlussbetrachtung
IV. Literaturverzeichnis
I. Einleitung
„Gott, rief Faustine, „’wie komisch sind die Männer! Ganz ernsthaft bilden sie sich ein, der liebe Gott habe unser Geschlecht geschaffen, um das ihre zu bedienen!’“[1]
In ihrem bekanntesten und mit vielen autobiografischen Zügen gespickten Roman „Gräfin Faustine“ von 1840 zeichnet Gräfin Ida Hahn-Hahn den höchst ungewöhnlichen Lebenslauf einer überdurchschnittlich intelligenten und emanzipierten Gräfin, die wie ihr literarischer, männlicher Namensvetter strebend, aufbegehrend und suchend durchs Leben geht und sich von gesellschaftlichen Zwängen und Normen wenig beeindruckt zeigt. Gräfin Faustine lehnt sich wie ihre Autorin, die sich nach der Scheidung ihrer Zweckehe durch die Tätigkeit als Schriftstellerin ein unabhängiges Einkommen sicherte, gegen Rollenzuweisungen und männliche Unterdrückung auf. Als Schriftstellerin war sie zu ihrer Zeit überaus populär und obgleich oder gerade weil „Gräfin Faustine“ als skandalös angesehen wurde, verkaufte sich der Roman vorzüglich und erfuhr innerhalb von kürzester Zeit drei Auflagen. In der folgenden Arbeit soll durch eine strukturalistische Analyse prägnanter Textstellen das Frauenbild Ida Hahn-Hahns, wie sie es durch ihre Protagonistin und einige weitere weibliche Figuren darstellt, analysiert werden. Es soll herausgefunden werden, welches Rollenverständnis und welche Gesellschaftsauffassung dem Roman zugrunde liegen und welche Möglichkeiten zur Lebensgestaltung Ida Hahn-Hahn ihren Zeitgenossinnen damit eröffnet. Es soll außerdem auf das Ehebild eingegangen werden. Meine These ist, dass im Roman eine bis dahin nicht zulässige Möglichkeit für die Frau gefordert wird, sich jenseits der Rollenzuweisungen zu entfalten und der Frau nicht nur der Status als zukünftige Braut, Ehefrau, Mutter und Geliebte, sondern als Individuum mit eigenen Rechten gestattet wird.
II. Das Frauenbild
1. Inhalt
Die Handlung des Romans beginnt in Dresden, wo die gesellschaftlich geachtete Gräfin Faustine Obernau ein eigenständiges und selbstbestimmtes Leben als Witwe und in wilder Ehe mit dem Baron Andlau führt. Die intelligente Frau erfreut sich in der Gesellschaft großer Beliebtheit, weshalb man sich für ihr Verhältnis mit Andlau stillschweigend Erklärungen gibt, die es akzeptierbar machen. In Form einer Nacherzählung erfährt man, dass Faustine die Konvenienzehe zu ihrem ersten Mann unüberzeugt, ohne ihn zu lieben und aus einer Mischung von Mitleid, Unwissen und äußerem Druck einging. Nach einiger Zeit in der unglücklichen Ehe, in der sie keine Erfüllung finden konnte verliebte sich Faustine in Baron Andlau. Nach der Entdeckung des Verhältnisses zu ihm kam es zwischen dem Ehemann und dem Liebhaber zum Duell, nach welchem sich Faustine dafür entschied ihren Mann zu verlassen und mit Andlau nach Italien zu reisen. Als ihr Mann nach zwei Jahren starb, kehrten Faustine und Andlau nach Dresden zurück.
Nach einigen Jahren verreist Andlau für geraume Zeit und es treten zwei neue Männer, der Bruder ihres Schwagers Clemens von Walldorf und der Graf Mario Mengen, in Faustines Leben. Der ihr geistig unterlegene Clemens baut eine Freundschaft zu ihr auf, die sich für ihn schon bald in eine unerfüllte einseitige Liebe wandelt, durch die er Faustine lästig wird und die ihren traurigen Höhepunkt in seinem Selbstmord findet. Die Freundschaft zu Mario hingegen wird Faustine zunehmend wichtiger. Sie verliebt sich schließlich in ihn und gibt dafür, im Bewusstsein der zerstörenden Konsequenzen für Andlau, diesen auf und entscheidet sich auf Mengens Drängen hin sogar für die Ehe mit jenem, aus der auch ein Sohn hervorgeht.
Nach einigen Jahren jedoch bemerkt Faustine, dass ihr diese Ehe keine Befriedigung mehr verschaffen kann und sie entscheidet sich für ein Leben im Kloster, wo sie nach kurzer Zeit stirbt.
2. Analyse
2.1 Gesellschaftskritik: Darstellung der unglücklichen Ehe
„Es ist Hahn-Hahns Lieblingsthema, ursprünglich unterdrückte Frauen, wie sie selbst, die sich aus diesem Zustand entwickeln, zu gestalten.“[2] So heißt es in der Forschung bei Gerlinde Maria Geiger. In der Beschreibung der Ehe von Faustine und Obernau scheint Ida Hahn-Hahn besonders viele persönliche Erfahrungen aus ihrer ersten, arrangierten Ehe mit ihrem Vetter einfließen zu lassen, die nach drei, für die Autorin unglücklichen, Jahren geschieden wurde.
Faustines unglückliche Ehe zu Obernau wird in Form einer Beichte im Gespräch mit Mengen dargestellt: Naiv vertraut Faustine zunächst auf die Meinung anderer, als sie sich zur Verlobung mit Obernau entschließt und als sie sich schließlich davon lossagen will tut ihr künftiger Gatte ihre Entscheidung „spöttisch wegwerfend“ als „romanhaften Mädchengedanken“ ab.[3] An dieser Stelle wird klar, wie wenig ernst die Meinung eines jungen Mädchens im 19. Jahrhundert aus der Sicht der Autorin genommen wurde. Bei einem zweiten Versuch, sich von der bevorstehenden Ehe loszusagen verkündet Obernau sogar „’Ini, du siehst zum Küssen lieblich aus, wenn du bittest! Ich wäre ein großer Narr, wollte ich deinen Willen tun.’“[4] Diese radikale, an Ignoranz schwer zu übertreffende Aussage, in der die junge Frau nicht einmal mit ihrem vollen Namen, sondern verniedlicht angesprochen wird, entmenschlicht Faustine, macht sie gleichsam zu einem schönen Objekt, dem man keinen freien Willen gestatten sollte und kann exemplarisch für die Einstellung vieler Männer im 19. Jahrhundert gesehen werden, für die Frauen eher als Besitzobjekte, denn als eigenständige Persönlichkeiten galten. Sie legt die Annahme zugrunde, dass ein Mann, der seine Frau ernst nimmt und ihr gegen den eigenen Willen Rechte einräumt, ein Narr ist und seinerseits nicht ernstgenommen werden kann. In der Beschreibung der Ehe zu Obernau äußert Hahn-Hahn damit eine der schärfsten Gesellschaftskritiken im Roman „Gräfin Faustine“. Faustine fühlt sich in ihrer Ehe entmenschlicht und entwürdigt, was sie dazu veranlasst harsch und übermütig-verachtend gegenüber ihrem männlichen Umgang zu reagieren. Paradoxer Weise steigert dieses Verhalten bei den Männern ihre Attraktivität noch zusätzlich. Mit dieser Darstellung verurteilt Hahn-Hahn also nicht nur das Verhalten des ignoranten Ehemanns, sondern auch das der restlichen männlichen Gesellschaft. Sie klagt durch Faustine an, dass eine Frau in dieser Situation weder auf das Mitgefühl des Ehemannes noch auf das ihrer Mitmenschen hoffen kann und das ihre Gefühle und Handlungsmotive völlig missachtet werden. Verbitterung und Verachtung machen sich in ihr breit und treten dem Leser an dieser Stelle des Romans besonders deutlich entgegen. Als Faustine in ihrem Bericht schließlich auf Andlau zu sprechen kommt, äußert sie noch einmal explizite Kritik an der Doppelmoral der Gesellschaft mit den Worten: „Oh die Welt! tausend gemeine Verhältnisse duldet sie, und abertausend noch gemeinere begünstigt sie! aber wo eine starke Leidenschaft auftaucht, da schreit sie Zeter! die keusche sittsame Welt. Herzen, die im Schlamm ersticken, sucht sie fein säuberlich abzuwaschen; Herzen die in Glut verlodern, streut sie in alle Winde.“[5] Und außerdem:
„Die zwei Jahre meiner Verheiratung hatten mich übersättigt mit bittern Empfindungen: der Gemahl war mir peinigend gewesen, seine Familie feindlich, die Welt geißlerisch, ich mir selbst verächtlich; keinen Schutz hatte ich gefunden gegen die bitterste Demütigung, keine Stütze für meine ratlose Unerfahrenheit, keinen Trost für meine innere Zerfallenheit; zweifelnd an Gott, an den Menschen, an mir selbst, stand ich in grausiger Einsamkeit da, unbegnügt, unbefriedigt, [...]“.[6]
2.2 Die Beziehung zu Andlau
Der Roman beginnt in der Lebensmitte Faustines und nach einem kurzen Einstieg erhält der Leser einen Einblick in die Beziehung von Andlau und Faustine. Während Andlau mit leichten Kopfschmerzen - die psychosomatisch interpretiert werden können und einen kleinen Verweis auf die damals typische, den Frauen zugeschriebene Nervenschwäche, auf die in dieser Arbeit später noch eingegangen werden soll geben - flaniert Faustine ohne Begleitung im Freien umher. Sie tut dies ungeachtet der Mittagshitze, vor der ihre Geschlechtsgenossinnen sich versteckt halten im Freien (wo sich zu dieser Tageszeit zwar Kindermädchen aber „keine eleganten Frauen“ aufhalten) und zeichnet „ohne Scheu vor der Luft, der größeren Festigkeit wegen des Handschuhs entledigt“, was Aufschluss darüber gibt, dass sie sich nicht um die Rollenzuweisung der Gesellschaft kümmert, sondern vor allem zweckorientiert denkt.[7]
Faustine lässt Andlau auf sie warten, was ein Abhängigkeitsverhältnis impliziert, zumal an späterer Stelle im Roman, an dem Faustine auf Mengen warten muss - und dies als große Belastung empfindet - von ihr zu vernehmen ist: „Ists nicht genug, anderthalb oder zwei Stunden zu warten? Und gar für mich, die ich nie jemanden warten lasse? Ich mag über keinen Menschen diese Folter verhängen.“[8]
[...]
[1] Hahn-Hahn, Ida : Gräfin Faustine. Bonn 1986 S. 49
[2] Geiger, Gerlinde Maria: Die befreite Psyche. Emanzipationsansätze im Frühwerk Ida Hahn-Hahns (1838-1848). Frankfurt am Main, 1986 S. 52
[3] Gräfin Faustine S. 185
[4] Gräfin Faustine S. 185
[5] Gräfin Faustine S. 193
[6] Gräfin Faustine S. 196
[7] Gräfin Faustine S. 7
[8] Gräfin Faustine S. 157
- Quote paper
- Kerstin Emmi Hoffmann (Author), 2008, Ida Gräfin Hahn-Hahn: „Gräfin Faustine“, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139950
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