[D]ie Historiographie der Internationalen Beziehungen [verfügt] über eine große Tradition, aber auch über beträchtliche methodische Innovationspotenziale [...] . Niederschlag findet dies unter anderem in einigen neuen großen Synthesen, die den Versuch unternehmen, die Geschichte des neuzeitlichen Mächtesystems neu zu schreiben. Und tatsächlich liegt eine große methodisch-wissenschaftliche Herausforderung darin, bei der Erforschung der Internationalen Beziehungen eine konsequente Systemperspektive einzunehmen.
Eckart Conze, ein Historiker der jüngeren Generation, stellt in seinem Aufsatz „Jenseits von Männern und Mächten - Geschichte der internationalen Politik als Systemgeschichte“ aus dem Sammelband Geschichte der Politik - Alte und neue Wege, herausgegeben von Hans-Christof Kraus und Thomas Nicklas, die Vorteile einer konsequent eingenommenen Systemperspektive für die Historiographie der internationalen Politik dar.
Sein Aufsatz gliedert sich in zwei Kapitel. Im ersten Kapitel legt Conze die theoretischen Thesen zu seinem Ansatz dar, um sie dann im zweiten Kapitel mit einem Beispiel empirisch abzusichern. Nach einer Einleitung, in der er die aktuelle Entwicklung innerhalb der Geschichte der Internationalen Beziehungen zusammenfasst, erklärt Conze dem Leser die Entwicklung von einer nationalen hin zu einer internationalen Perspektive innerhalb der Geschichte der internationalen Politik. Dem folgt die Definition eines internationalen Systems und seines Aufbaus. Im zweiten Kapitel führt Eckart Conze dann ein Beispiel für seinen methodischen Ansatz an, in dem er versucht den „Zusammenhang von Liberalismus, politischer Öffentlichkeit und dem Wandel des europäischen Staatensystems zwischen 1815 und 1871“ systemgeschichtlich zu veranschaulichen.
Die folgende Arbeit stellt einen Versuch dar, Conzes methodischen Ansatz in einem Kontext aktueller Entwicklungen innerhalb der Geschichtswissenschaft zu verorten. Schlagwörter wie „Neue“ Politikgeschichte, „Kulturgeschichte des Politischen“, transnationale Geschichte, „Internationalisierung“ beziehungsweise „Globalisierung“ der Geschichtswissenschaft, „Renaissance der Politikgeschichte“ und so weiter deuten darauf hin, dass sich in letzter Zeit, bezogen auf einen methodisch-wissenschaftlichen Kontext, einiges in Bewegung gesetzt haben muss. Inwieweit Eckart Conze mit seinem Ansatz diesem Trend folgt oder nicht, soll hier gezeigt werden...
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die internationale Perspektive in der modernen Politikgeschichte
2.1. „Neue“ Politikgeschichte
2.2. Perspektiven in der „Neuen“ internationalen Politikgeschichte
3. Die Geschichte der internationalen Politik als Systemgeschichte
3.1. Aktuelle Entwicklung innerhalb der Geschichte der
Internationalen Beziehungen
3.2. Theoretische Thesen zum internationalen System
3.2.1. Struktur des internationalen Systems
3.3. Beispiel: Die Transformation des europäischen Staatensystems im 19. Jahrhundert
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
[D]ie Historiographie der Internationalen Beziehungen [verfügt] über eine große Tradition, aber auch über beträchtliche methodische Innovationspotenziale [...] . Niederschlag findet dies unter anderem in einigen neuen großen Synthesen, die den Versuch unternehmen, die Geschichte des neuzeitlichen Mächtesystems neu zu schreiben. Und tatsächlich liegt eine große methodisch-wissenschaftliche Herausforderung darin, bei der Erforschung der Internationalen Beziehungen eine konsequente Systemperspektive einzunehmen.[1]
Eckart Conze, ein Historiker der jüngeren Generation, stellt in seinem Aufsatz „Jenseits von Männern und Mächten - Geschichte der internationalen Politik als Systemgeschichte“ aus dem Sammelband Geschichte der Politik - Alte und neue Wege, herausgegeben von Hans-Christof Kraus und Thomas Nicklas, die Vorteile einer konsequent eingenommenen Systemperspektive für die Historiographie der internationalen Politik dar.[2]
Sein Aufsatz gliedert sich in zwei Kapitel. Im ersten Kapitel legt Conze die theoretischen Thesen zu seinem Ansatz dar, um sie dann im zweiten Kapitel mit einem Beispiel empirisch abzusichern. Nach einer Einleitung, in der er die aktuelle Entwicklung innerhalb der Geschichte der Internationalen Beziehungen zusammenfasst, erklärt Conze dem Leser die Entwicklung von einer nationalen hin zu einer internationalen Perspektive innerhalb der Geschichte der internationalen Politik. Dem folgt die Definition eines internationalen Systems und seines Aufbaus. Im zweiten Kapitel führt Eckart Conze dann ein Beispiel für seinen methodischen Ansatz an, in dem er versucht den „Zusammenhang von Liberalismus, politischer Öffentlichkeit und dem Wandel des europäischen Staatensystems zwischen 1815 und 1871“ systemgeschichtlich zu veranschaulichen.[3]
Die folgende Arbeit stellt einen Versuch dar, Conzes methodischen Ansatz in einem Kontext aktueller Entwicklungen innerhalb der Geschichtswissenschaft zu verorten. Schlagwörter wie „Neue“ Politikgeschichte, „Kulturgeschichte des Politischen“, transnationale Geschichte, „Internationalisierung“ beziehungsweise „Globalisierung“ der Geschichtswissenschaft, „Renaissance der Politikgeschichte“ und so weiter deuten darauf hin, dass sich in letzter Zeit, bezogen auf einen methodisch-wissenschaftlichen Kontext, einiges in Bewegung gesetzt haben muss. Inwieweit Eckart Conze mit seinem Ansatz diesem Trend folgt oder nicht, soll hier gezeigt werden.
Zu diesem Zweck sollen im Folgenden die unterschiedlichen Perspektiven in der modernen Politikgeschichte dargelegt werden. Hierbei wird zunächst einmal darauf eingegangen, was überhaupt eine „moderne“ Politikgeschichte ausmacht, bevor auf die unterschiedlichen Perspektiven Bezug genommen wird. Im Anschluss soll Conzes Konzept der Geschichte der internationalen Politik als Systemgeschichte erklärt werden, um das Ganze schließlich mit einem Fazit abzurunden.
Eckart Conze ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Marburg. Seine Hauptarbeitsgebiete sind Adels- und Elitengeschichte, die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und die Geschichte der internationalen Beziehungen im 19. Und 20. Jahrhundert. Zu seinen Veröffentlichungen zählen „Die gaullistische Herausforderung. Deutsch-französische Beziehungen in der amerikanischen Europapolitik“ und „Von deutschem Adel. Die Grafen von Bernstorff im 20. Jahrhundert“.[4]
2. Die internationale Perspektive in der modernen Politikgeschichte
2.1 „Neue“ Politikgeschichte
Mit dem Slogan „Politikgeschichte ist wieder im Kommen“ weisen Historiker der jüngeren Generation auf einen Trend hin, der sich mit einem seit etwa Mitte der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts zunehmend wachsenden Interesse an diesem Teilgebiet der Geschichtswissenschaft erklären lässt.[5] Das impliziert, dass das wissenschaftliche Interesse an der Geschichte der Politik bis dahin relativ gering gewesen sein muss. Moderne Historiker, die sich mit Politikgeschichte befassen, erklären dies damit, dass „traditionelle“ Politikgeschichtsschreibung in den siebziger und achtziger Jahren von Vielen als „langweilig, positivistisch, aktengläubig, ereignisgeschichtlich orientiert und auf Entscheidungen fixiert“ charakterisiert worden ist.[6] Von dieser Art der Politikgeschichte möchten sich die „modernen“ Historiker distanzieren, indem sie „Neue“ Politikgeschichte schreiben.
„Neu“ an der Politikgeschichte ist unter anderem die Abschaffung des „Primats der Außenpolitik“, das seit den Anfängen der Geschichts-wissenschaft, also seit Leopold von Ranke bestand hatte.[7] Neuere empirische Studien befassen sich demnach unter anderem mit „dem Problem der Interdependenz von Innen- und Außenpolitik“.[8] „Neu“ ist aber auch eine kulturwissenschaftlich-methodische Erweiterung in dem Fach. Was jedoch hat zu einer Umorientierung innerhalb der Geschichtswissenschaften geführt und womit lassen sich die methodischen Veränderungen des Teilgebietes selbst erklären?
Das Ausschlaggebende für eine „Renaissance der Politikgeschichte“ und stärkere „Internationalisierung“[9], so Eckart Conze, sei der „Impuls der Gegenwart“.[10]
…[E]rst die umstürzenden Entwicklungen seit 1989, das Ende des Kalten Krieges, die deutsche Vereinigung, der Zusammenbruch erst des sowjetischen Imperiums und dann der Sowjetunion selbst, aber auch die Rückkehr des Krieges nach Europa, bewirkten eine Veränderung, weil sie die Bedeutung von Außenpolitik, internationaler Politik und internationalen Beziehungen demonstrierten und dringend die stärkere Berücksichtigung des Internationalen und gerade auch der internationalen Politik in der Geschichtswissenschaft anmahnten…[A]uch jene Entwicklungen, die wir ebenfalls seit den neunziger Jahren, wenn auch oberflächlich und verallgemeinernd als „Globalisierung“ fassen, also jene Prozesse, so Ulrich Beck, „in deren Folge die Nationalstaaten und ihre Souveränität durch transnationale Akteure, ihre Machtchancen, Orientierungen, Identitäten und Netzwerke unterlaufen und querverbunden werden“, haben diese Umorientierung zusätzlich verstärkt. Im Zeichen der kulturwissenschaftlichen Erweiterung der Geschichte schließlich wandten sich nicht wenige Historiker anthropologisch oder ethnologisch inspiriert internationalen oder transnationalen Kulturbeziehungen zu, der Begegnung eigener mit fremden Welten. Auch diese Wendung ist ein wichtiger Teil der Entnationalisierung und (Re-)Internationalisierung in der deutschen Geschichtswissenschaft, und von ihr gehen nicht zuletzt methodische Impulse aus für eine moderne Politikgeschichte. Als Stichworte seien nur genannt: Politik als Kommunikation, Sprache und Politik, symbolische Politik oder politische Ordnungen als gedachte Ordnungen.[11]
Bei dem Versuch, Gegenstand und Ansätze einer „Neuen“ Politikgeschichte zu identifizieren sieht Conze jedoch Lücken „auf zwei Feldern: im Bereich der internationalen Politik einerseits und im Bereich der Auseinandersetzung mit der Rolle von Staat und Staatlichkeit andererseits“.[12] Diese Lücken versucht er mit seinem systemgeschichtlichen Ansatz zu schließen.[13]
Wenn man das „Neue“ der modernen Politikgeschichte auf einen Punkt bringen möchte, dann kann man behaupten, dass „ihre Novität nicht in einer neuen Fragestellung, einem neuartigen Problem oder einer neuen Lösung“ liegt, „sondern in ‚einer spezifische(n) Perspektive auf alle möglichen Gegenstände‘.“[14]
2.2 Perspektiven in der „Neuen“ internationalen Politikgeschichte
Historiker, die den Rahmen der Nationalgeschichte überwinden wollen, müssen sich zwangsläufig dem Problem der Perspektive auf Nationen widmen. Traditionell wurden Nationen so betrachtet, als ob sie hermetisch abgeschlossene Räume darstellten, das heißt sich im internationalen Raum wie „Billardkugeln“ verhielten.[15]
[I]n den 1960er Jahren gewannen dann Metaphern für das internationale System wie „Spinnweb“, „Gitternetz“ oder „Netzwerk“ an Bedeutung, die nicht zuletzt auch den Bedeutungsgewinn der Kategorie „System“ und systemtheoretischer Ansätze in den Internationalen Beziehungen widerspiegelten.[16]
Die Geschichtswissenschaft hat seitdem auch einige Richtungswechsel in der Betrachtungsweise auf ihre Analyseobjekte erlebt. Stichworte wie „linguistic-“, „cultural-“ und „iconic turn“ bezeugen dies.[17]
Eine Möglichkeit die nationalstaatliche Perspektive zu überwinden bietet die transnationale Geschichte. „Die aktuelle Konjunktur transnationaler und welthistorischer Perspektiven ist eng mit fundamentalen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Prozessen der Gegenwart verknüpft.“[18]
Die Grenzen der Nationen, aber auch der Kulturen sind, wie uns der Blick in die Weltgeschichte gelehrt hat, durchlässiger geworden. Eindeutig rücken internationale bzw. transnationale Menschengruppen, Vergemeinschaftungsformen, Strukturen oder Prozesse in den Mittelpunkt, die bislang aus nationalzentrierter Perspektive als marginal galten.[19]
[...]
[1] Andreas Wirsching, Internationale Beziehungen, in: Joachim Eibach/Günther Lottes (Hg.), Kompass der Geschichtswissenschaft, Göttingen 2002, S. 112-125, S. 124.
[2] Eckart Conze, Jenseits von Männern und Mächten. Geschichte der internationalen Politik als Systemgeschichte, in: Hans-Christof Kraus/Thomas Nicklas (Hg.), Geschichte der Politik. Alte und neue Wege (=HZ, Beiheft 44), München 2007, S. 41-66.
[3] Conze, Jenseits von Männern und Mächten. Geschichte der internationalen Politik als Systemgeschichte, S. 52.
[4] Eckart Conze et al. (Hg.), Geschichte der internationalen Beziehungen. Erneuerungen und Erweiterungen einer historischen Disziplin, Köln 2004, S. 293.
[5] Vgl. Eckart Conze, Jenseits von Nation und Staat? Die Renaissance der Politikgeschichte im 21. Jahrhundert, in: Norbert Frei (Hg.), Was heißt und zu welchem Ende studiert man Geschichte des 20. Jahrhunderts? Göttingen 2006, S. 140-146, S. 140; Ute Frevert, Neue Politikgeschichte: Konzepte und Herausforderungen, in: Ute Frevert/Heinz-Gerhard Haupt (Hg.), Neue Politikgeschichte. Perspektiven einer historischen Politikforschung, Frankfurt 2005, S. 7-26, S. 7.
[6] Conze, Jenseits von Nation und Staat? Die Renaissance der Politikgeschichte im 21. Jahrhundert, S. 140; Vgl. Thomas Nicklas, Macht – Politik – Diskurs. Möglichkeiten und Grenzen einer Politischen Kulturgeschichte, in: Archiv für Kulturgeschichte 86 (2004), S. 1-26, S. 4.
[7] Vgl. Wirsching, S. 113.
[8] Wilfried Loth/Jürgen Osterhammel (Hg.), Internationale Geschichte. Themen – Ergebnisse – Aussichten, München 2000, S. XI.
[9] Vgl. ebd.
[10] Conze, Jenseits von Staat und Nation? Die Renaissance der Politikgeschichte im 21. Jahrhundert, S. 140-142; Vgl. Johannes Paulmann, Grenzüberschreitungen und Grenzräume. Überlegungen zur Geschichte transnationaler Beziehungen von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Zeitgeschichte, in: Eckart Conze et al. (Hg.), Geschichte der internationalen Beziehungen. Erneuerungen und Erweiterungen einer historischen Disziplin, Köln 2004, S.169-196, S. 170-173.
[11] Ebd., S. 140-142.
[12] Ebd., S. 142.
[13] Vgl. Conze, Jenseits von Männern und Mächten. Geschichte der internationalen Politik als Systemgeschichte.
[14] Andreas Rödder, Klios neue Kleider. Theoriedebatten um eine Kulturgeschichte der Politik in der Moderne, in: HZ 283 (2006), S. 657-688, S. 657.
[15] Vgl. ebd., S. 47.
[16] Ebd.
[17] Vgl. Kiran Klaus Patel, Transnationale Geschichte – Ein neues Paradigma?, in: H-Soz-u-Kult 02.02.2005, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/2005-02-001.
[18] Gunilla Budde et al. (Hg.), Transnationale Geschichte. Themen, Tendenzen und Theorien, Göttingen 2006, S. 11.
[19] Lutz Raphael, Geschichtswissenschaft im Zeitalter der Extreme. Theorien, Methoden, Tendenzen von 1900 bis zur Gegenwart, München 2003, S. 270.
- Citar trabajo
- Ismail Durgut (Autor), 2009, Eckart Conzes systemgeschichtlicher Ansatz zur Geschichte der internationalen Politik im Rahmen der modernen Politikgeschichte, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139902
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