Im Zentrum der vorliegenden Untersuchung stehen die Abschnitte I bis IV des Kapitels „Der Ursprung der Negation“ (SN 49-79), mit welchem Sartre den ersten Teil („Das Problem des Nichts“) von SN beginnt. Außerdem beziehe ich mich auf die Einleitung (SN 9-45) sowie, am Ende der Untersuchung, auf die ersten beiden Abschnitte des „Transzendenzkapitels“ (SN 324-347). Es wird nacheinander herausgearbeitet, wie Sartre in den genannten Textabschnitten seinen ontologischen Begriff der Negation entwickelt. Um Sartres Negationsbegriff besser zu verstehen, erscheint mir, nach dem bisher Gesagten, ein partieller Exkurs in die historische Entwicklung der Termini „Nichts“ und „Negation“ hilfreich. Neben den diesbezüglichen Auffassungen von Hegel, Heidegger und Kant, auf die Sartre sich explizit bezieht, werde ich auch die erstmalige Definition der Negation im Rahmen des SvW bei Aristoteles beleuchten. Dabei soll der ontologische Hintergrund, vor dem Aristoteles den SvW formuliert, herausgestellt werden. Auf diese Weise kann gezeigt werden, dass deutliche Anknüpfungspunkte vorliegen, die Sartres Übernahme des Begriffs des kontradiktorischen Gegensatzes von Aristoteles im Rahmen seiner eigenen Ontologie, auch ohne dass Sartre diese Herkunft explizit erwähnt, verständlich machen. Außer Betracht bleibt hier Abschnitt V, welcher das o.g. erste Kapitel abschließt. Sartre führt dort seinen Begriff der Freiheit ein.
Inhaltsverzeichnis
0 Einleitung
0.1 Thema
0.2 Vorgehensweise
0.3 Thesen, Ziel und Aufbau der Ausarbeitung
0.4 Methodik und Forschungsstand
1. Sartres Ontologie und der aristotelische Satz vom Widerspruch
1.1 Sartre: Spaltung des Seins in kontradiktorische Seinsweisen (SN, Einleitung)
1.1.1 Der Zugang zum Sein durch das Bewusstsein
1.1.2 Von der (logischen) „Implikation“ zum „ontologischen Beweis“
1.1.3 Vom „ontologischen Beweis“ zur Bestimmung der Seinsweise des Bewusstseins
1.2 Der aristotelische Widerspruchsbegriff im Spannungsfeld zwischen Logik und Ontologie
1.2.1 Was heißt „Widerspruch“? (PERI HERMENEIAS 1-6; METAPHYSIK IV 7)
1.2.2 Die drei Formulierungen des Satzes vom Widerspruch
1.2.3 Exkurs: Aristoteles’ Begriff des Gegenstands
1.2.4 Die dreifache Bedeutung des hinter dem SvW stehenden Seinsbegriffs
1.2.5 Was bedeutet der Ausdruck „nicht-sein“? Von der parmenideischen Seinsfülle zur aristotelischen Negation (apophasis)
1.2.6 Kontradiktorischer und konträrer Gegensatz (PERI HERMENEIAS 7; KATEGORIEN 10)
1.2.7 Aristoteles’ Umgang mit Negationen in PERI HERMENEIAS 10
1.2.8 Resümee: Bedeutungsvielfalt der Negation
2. Ontologische Grundlegung und logische Herleitung der Negation
2.1 Ontologischer Aspekt: Freilegung der ursprünglichen Negation durch die „regressive Analyse“
2.1.1 Erste Begegnung mit dem Nichts durch das Fragen (SN, 1. Teil, 1. Kap., Abschnitt I-II)
2.1.2 Satznegation und phänomenale Negativität
2.2 Logischer Aspekt: Sartres Doktrin der kontradiktorischen Entgegensetzung 56
2.2.1 Stellung zu Hegels Begriffen des Nichts und der Negation (SN, 1. Teil, 1. Kap., Abschnitt III)
2.2.2 Exkurs: Sartres Argument gegen Hegel formalsemantisch gesehen
2.2.3 Sartres zweifache Definition des Seins (Einleitung, VI. Abschnitt)
2.2.4 Identität und Widerspruch als logische Kategorien in Sartres Seinsdefinition
2.3 Logisch-ontologischer Aspekt: Sartres Adaption von Aristoteles’ Begriff des „Dieses“ in seiner Abgrenzung des Nicht-seins vom Sein
2.4 Auseinandersetzung mit Heideggers Auffassung des Nichts (SN, 1. Teil, 1. Kap., Abschnitt IV)
2.4.1 Heidegger in Sartres Wiedergabe
2.4.2 Der fundamentalontologische Hintergrund
2.4.3 Das Nichts als Ursprung des verneinenden Urteils
2.4.4 Diesseitig- oder Jenseitigkeit des Nichts?
2.4.5 Die Negatitäten
2.5 Zwischenfazit: Sartres Stellung zur Logik
3. Vorbild Kant: Transzendentale Erweiterung der formallogischen Auffassung der Negation
3.1 Kant als Ontologe: „Sein ist kein reales Prädikat“
3.2 Realität, Negation, Limitation
3.3 Kants Unterscheidung zwischen Widerspruch und Realpugnanz
3.4 Das Sein der Erscheinungen
3.5 Sartres Negatitäten im Rahmen von Kants Theorie der Realpugnanz
3.5.1 Die Beziehung zwischen Realität und Empfindung bei Kant
3.5.2 Sartres Beispiele für Negatitäten
3.6 Zwischenfazit: Kants Ontologie als Vorläuferin der Sartreschen
4. Wie hängen Negation und Nichts zusammen?
4.1 Nihil negativum und nihil privativum
4.2 Das Transzendenzproblem
4.3 Die große Synthese
4.3.1 Zwei Formen der Negation (SN, 2. Teil, 3. Kapitel)
4.3.2 Transzendenz als interne Negation
4.3.2.1 Dyade Spiegelung-Spiegelndes
4.3.2.2 Anwesendsein als Nicht-sein
4.3.2.3 „Verneinte Identität“ statt Verschmelzung
4.3.3 Bewusstsein – Dieses – Welt
4.3.4 Resümee
5. Fazit
Literatur- und Siglenverzeichnis
0 Einleitung
0.1 Thema
In der vorliegenden Untersuchung geht es um einen in der Philosophie sehr schillern-den Begriff: die Negation. Unter diesem Begriff wurde und wird von verschiedenen Philosophen und zu verschiedenen Zeiten Unterschiedliches verstanden. Es gibt zahl-reiche Kontroversen, in denen sich Vertreter unterschiedlicher Schulrichtungen ge-genseitig vorwerfen, mit „Negation“ – oder äquivalent mit „Verneinung“ – etwas zu meinen, das mit Negation gar nichts zu tun habe. Einige verstehen unter „Negation“ eine sprachliche oder geistige Operation, anderen dagegen einen Vorgang im „wirkli-chen Leben“. Die letztere Bedeutung kann man eine „ontologische“ nennen, wogegen die zuerst genannte als „logisch“ gelten kann. Ob beide Bedeutungen miteinander kompatibel sind, wird selten erwogen.[1]
Jean-Paul Sartre (1905-1980), um dessen Negationsbegriff es hier gehen soll, ver-steht die Negation selber in mehrdeutiger Weise. Das macht es in bestimmten Zu-sammenhängen schwer, zu verstehen, was er jeweils damit meint. Dennoch scheint klar, dass Sartre im weitesten Sinn zu denjenigen Philosophen gehört, welche die Negation in der „ontologischen“ Bedeutung verstehen. Interessant ist aber, dass Sartre gewisse Aspekte der „logisch“ zu verstehenden Auffassung in seinen Negations-begriff integriert.
In Sartres philosophischem Hauptwerk DAS SEIN UND DAS NICHTS (L’ETRE ET LE NEANT),[2] das 1943 erschienen ist, spielt der Begriff der Negation (négation) eine zent-rale Rolle. Er ist einer der Grundbegriffe, aus denen heraus Sartre in SN seine soge-nannte „phänomenologische Ontologie“ entwickelt. Im ersten Kapitel des ersten Teils, das die Überschrift „Der Ursprung der Negation“ trägt, nähert sich Sartre schrittweise demjenigen, was er unter Negation versteht. Dabei findet man keine De-finitionen sondern eher Umschreibungen: Das Phänomen der Negation wird von Sartre von verschiedenen Ebenen aus betrachtet. Dabei macht er von Anfang an deutlich, dass er den Begriff der Negation in untrennbarem Zusammenhang mit dem Begriff des Nichts (néant) sieht. Für das mit diesem Begriff Gemeinte verwendet Sartre auch häufig den Ausdruck „Nicht-sein“ (non-être) und ist sogar an einigen Stellen bemüht, diesen Ausdruck zu definieren.
Um seine Negationsauffassung zu verdeutlichen, greift Sartre in dem erwähnten ersten Kapitel einerseits auf einige traditionelle philosophische Theorien über den Zusammenhang von Negation und Nichts zurück. Zugleich setzt er sich aber auch von einer bestimmten, seiner Meinung nach weit verbreiteten Negationsauffassung ab. Es ist die von ihm der (formalen) Logik zugeschriebene Auffassung, eine Negation sei nichts anderes als ein verneinendes Urteil.[3] Sartre meint, dieser Auffassung widersprechen zu müssen, wenn er die Negation als Bestandteil der Ontologie an-sieht. Als Ausgangspunkt aller Negationen müsse, so Sartre, ein Nicht-sein ange-nommen werden, anderenfalls seien Negationen gar nicht denkbar. Sartres Ziel im besagten Kapitel aus SN ist eine in diesem Sinn zu verstehende „ontologische Grund-legung der Negation“.
Der sogenannten formalen Logik wirft Sartre vor, den ontologischen Aspekt der Negation zu ignorieren. Seine Kritik an „der“ Logik bezieht sich allerdings auf eine heute fragwürdig gewordenen Auffassung, die in der Tradition der „Logik von Port Royal“ steht und bis zu Gottlob Freges Lebzeiten die meisten Universitäten be-herrschte (vgl. hierzu Anm. 6).
Trotz Sartres Kritik an der seiner Meinung nach verengten Sichtweise der Logik zeigen sich einige Übereinstimmungen Sartres mit demjenigen Philosophen, der sich zum ersten Mal systematisch mit dem verneinenden Urteil bzw. Aussagesatz beschäf-tigt hat: Aristoteles. Dieser hat den Zusammenhang von bejahendem und verneinen-den Urteil auf der einen Seite und Sein und Nicht-sein auf der anderen Seite in seiner Formulierung des später so genannten „ Satzes vom (ausgeschlossenen) Wider-spruch “[4] aufgezeigt. Sartres Bestreben, die Negation ontologisch zu begründen, d.h. sie auf ein (noch näher zu beschreibendes) Nicht-sein zurückzuführen, scheint dieser ursprünglichen Intention von Aristoteles nicht zu widersprechen, sondern sie eher zu konkretisieren und zu erweitern.
Sartre greift in seiner ontologischen Grundlegung der Negation nicht explizit auf Aristoteles zurück, obwohl dessen Begriff des Widerspruchs, ohne dass Sartre das erwähnt, bei ihm deutliche Spuren hinterlassen hat. Als direkte Inspirationsquelle dienen Sartre dagegen zwei spätere Philosophen, die sich in bewusster Abgrenzung zur (formalen) Logik in je unterschiedlicher Weise um eine Wiederbelebung der On-tologie bemüht haben: G.W.F. Hegel und Martin Heidegger. Sartre interessiert sich für ihre jeweiligen Auffassungen über das Nichts. So gut wie gar nicht beachtet wur-de bisher in der Sartre-Forschung, dass Sartre in seiner Grundlegung der Negation auch auf Immanuel Kant Bezug nimmt. Dies tut er, weil ihn Hegel und Heidegger mit ihren ontologischen Thesen über das Nichts nur teilweise überzeugen können.
0.2 Vorgehensweise
Im Zentrum der vorliegenden Untersuchung stehen die Abschnitte I bis IV des Kapi-tels „Der Ursprung der Negation“ (SN 49-79), mit welchem Sartre den ersten Teil („Das Problem des Nichts“) von SN beginnt. Außerdem beziehe ich mich auf die Einleitung (SN 9-45) sowie, am Ende der Untersuchung, auf die ersten beiden Ab-schnitte des „Transzendenzkapitels“ (SN 324-347). Es wird nacheinander herausge-arbeitet, wie Sartre in den genannten Textabschnitten seinen ontologischen Begriff der Negation entwickelt.
Um Sartres Negationsbegriff besser zu verstehen, erscheint mir, nach dem bisher Gesagten, ein partieller Exkurs in die historische Entwicklung der Termini „Nichts“ und „Negation“ hilfreich. Neben den diesbezüglichen Auffassungen von Hegel, Hei-degger und Kant, auf die Sartre sich explizit bezieht, werde ich auch die erstmalige Definition der Negation im Rahmen des SvW bei Aristoteles beleuchten. Dabei soll der ontologische Hintergrund, vor dem Aristoteles den SvW formuliert, herausgestellt werden. Auf diese Weise kann gezeigt werden, dass deutliche Anknüpfungspunkte vorliegen, die Sartres Übernahme des Begriffs des kontradiktorischen Gegensatzes von Aristoteles im Rahmen seiner eigenen Ontologie, auch ohne dass Sartre diese Herkunft explizit erwähnt, verständlich machen.
Außer Betracht bleibt hier Abschnitt V, welcher das o.g. erste Kapitel abschließt. Sartre führt dort seinen Begriff der Freiheit ein. Obwohl Sartres Freiheitstheorie mit seinem Begriff der Negation zusammenhängt, würde es den hier gesteckten themati-schen Rahmen sprengen, auf sie einzugehen.
0.3 Thesen, Ziel und Aufbau der Ausarbeitung
Meine Ausarbeitung wird von drei aufeinander aufbauenden Thesen geleitet:
(1) Sartre überträgt den Negationsbegriff, wie er in Aristoteles’ Formulierung des „Satzes vom (ausgeschlossenen) Widerspruch“ definiert ist, auf das Sein, in-dem er zwei Seinsweisen konstruiert, von denen die eine einen kontradiktori-schen Gegensatz zur anderen bildet.
(2) Sartre geht in seiner Grundlegung der Negation methodisch den gleichen Weg wie Heidegger in seiner Grundlegung des „In-der-Welt-seins“, da beide ihre jeweilige Ontologie als transzendentalphilosophisch im Sinne Kants verste-hen.
(3) Indem Sartre die Seinsweise des Menschen als „Negation“ der Seinsweise der Welt betrachtet, gelingt ihm eine Ontologisierung der Negation, die für Aris-toteles (allerdings nur im Rahmen seiner Einzeldingontologie) noch selbstver-ständlich war.
Ziel meiner Ausarbeitung ist es, Sartres Begriff der Negation aus der Sicht des aristo-telischen SvW neu zu verstehen und seine Rückgriffe auf Hegel, Heidegger und ins-besondere Kant als notwendige Schritte zur Formulierung seines Negationsbegriffs nachzuweisen.
Der Aufbau der Untersuchung gliedert sich wie folgt:
In Kapitel 1 wird Sartres Theorie der beiden Seinsweisen herausgearbeitet, die sei-nem ontologischen Begriff der Negation zugrunde liegt. Anschließend wird Aristote-les’ Begriff des Widerspruchs erörtert und gezeigt, dass Aristoteles sich in seiner Definition des Widerspruchs aus heutiger Sicht im Spannungsfeld zwischen Logik und Ontologie befindet.
In Kapitel 2 wird zunächst Sartres Einführung seiner Begriffe des Nichts und der Negation nachvollzogen. Dabei soll die These belegt werden, dass Sartre die Negation sowohl unter einem ontologischen als auch unter einem logischen Aspekt betrach-tet und sie dementsprechend auf zweifache Weise expliziert. Im Rahmen der Darstel- lung des logischen Aspektes werde ich auch auf Sartres Auseinandersetzung mit He-gels Begriff des Nichts eingehen (vgl. 2.2.1 f.). Diese Auseinandersetzung werde ich relativ kurz besprechen, da der Einfluss der hegelschen Dialektik nicht das Thema meiner Untersuchung ist. Nach Darstellung des methodischen Aspekts (Lo-gik/Ontologie) der Sartreschen Negation werde ich mich dann etwas ausführlicher Sartres Auseinandersetzung mit Heidegger zuwenden, da Sartre diesem mit seiner Auffassung des Nichts sowohl sachlich als auch methodisch am nächsten steht.
Da Sartre der Heideggerschen Auffassung des Nichts allerdings einen gravierenden Fehler unterstellt und sich diesbezüglich mehr an Kant orientiert, wird in Kapitel 3 zu untersuchen sein, inwiefern Sartres und Kants Methoden, das Wesen der Negation zu bestimmen, miteinander kompatibel sind.
Im abschließenden Kapitel 4 wird zunächst nachgewiesen, dass sowohl Sartres als auch Heideggers Begriff des Nichts im Kantischen Sinn transzendentalphilosophische Wurzeln haben und sich daher sehr nahe kommen. Sartres Lösung des sogenannten Transzendenzproblems, d.h. des Problems der Vermittlung der Seinsweise des Men-schen mit derjenigen der Welt, bildet den Abschluss der Untersuchung. In diesem Zusammenhang wird sich auch die Ausgangsfrage beantworten, worin Sartres onto-logische Grundlegung der Negation besteht.
0.4 Methodik und Forschungsstand
Die Arbeit beschränkt sich methodologisch darauf, das Verhältnis von Ontologie und (formaler) Logik in Sartres Negationstheorie zu untersuchen. Ergänzend hierzu wird der transzendentalphilosophische Aspekt dieser Theorie herausgestellt. Dass Sartres Philosophie in SN weitere methodische Wurzeln hat, nämlich sowohl in der husserl-schen Phänomenologie als auch der hegelschen Dialektik, ist bekannt und wurde be-reits in einigen Monographien über Sartres Philosophie ausführlich thematisiert.[5] In der folgenden Untersuchung werde ich auf die phänomenologischen Aspekte nur am Rande eingehen und die Dialektik in Sartres Philosophie bis auf eine Ausnahme (vgl. 2.2.1) ganz aussparen. Das Verhältnis von Ontologie und (formaler) Logik bei Sartre bildet ein zwar in sich geschlossenes, aber so weit verzweigtes Thema, dass hier aus methodischen Gründen eine Einschränkung gegenüber den weiteren Aspekten der Sartreschen Philosophie geschehen muss. Soviel ich sehe, wurde in der Forschung der methodische Zusammenhang von Ontologie und (formaler) Logik bei Sartre noch nicht untersucht.
Die einzige Monographie, die sich bisher speziell Sartres Begriff der Negation ge-widmet hat, ist die 1976 erschienene Dissertation von Marcos Lutz-Müller SARTRES THEORIE DER NEGATION (LM). Ihr Verdienst ist es, herausgearbeitet zu haben, was Sartre im Gegensatz zu den Termini „néant“, „rien“, „non-être“ und „négatité“ spe-ziell unter „négation“ versteht. Außerdem bietet Lutz-Müller eine klarstellende Klas-sifikation aller anderen von Sartre verwendeten Termini für „negative“ Sachverhalte, was insofern hilfreich ist, als Sartre in der Verwendung seiner diesbezüglichen Termini nicht immer eindeutig ist. Ich werde mich Lutz-Müllers Klassifikation in meiner Darstellung anschließen.
Als Interpretationsfolie für den Negationsbegriff des Aristoteles im Rahmen seiner Formulierung des Satzes vom Widerspruch werde ich gelegentlich auf einige Vorle-sungen Martin Heideggers aus den 1920er Jahren zurückzugreifen, in denen er sich detailliert mit Aristoteles auseinandersetzt. Heidegger ist dort bemüht herauszuarbei-ten, dass die sogenannte aristotelische Logik nur ontologisch zu begreifen ist (vgl. GP; Heid LOG). Des Weiteren scheint es mir zur Verdeutlichung von Aristoteles’ Logik hilfreich, in Ansätzen auf die Erkenntnisse der modernen Aussagen- und Prä-dikatenlogik zurückzugreifen. Gottlob Frege (1848-1925) gilt mit seinen Begriffsbe-stimmungen als „Urvater“ der modernen Logik. Ihr Anspruch ist es u.a., an die Tradition der aristotelischen Logik anzuknüpfen, da nach Auffassung der meisten Vertreter der modernen Logik die neuzeitliche Urteilslogik logisch unergiebig ist (vgl. Tug 1983, 8).[6] In Deutschland ist Ernst Tugendhat einer der prominentesten Vertreter der auf Frege aufbauenden „sprachanalytischen“ Philosophie. Auf beide, sowie auch auf einige andere Logiker der jüngeren Zeit werde ich mich an einigen Stellen beziehen, um gewisse Gedankengänge von Aristoteles so präzise herauszuarbeiten, dass ein anschließender Vergleich mit Sartres Ontologie sinnvoll ist. Weitere Bezugsquellen meiner Darstellung von Aristoteles erfolgen im fortlaufenden Text.
[...]
[1] „Ontologisch“ und „logisch“ verstehe ich an dieser Stelle in einem sehr allgemeinen Sinn, d.h. nicht als Bezeichnung bestimmter Schulrichtungen in der Philosophie. Im Verlauf der vorliegenden Unter-suchung wird mehrfach thematisiert werden, inwiefern sich bestimmte philosophische Positionen unter diese Titel subsumieren lassen.
[2] Im Folgenden mit „SN“ abgekürzt. Im Literaturverzeichnis sind alle im laufenden Text verwendeten Kürzel für Literaturangaben aufgelöst.
[3] Wenn im Folgenden von „(formaler) Logik“ gesprochen wird, drückt diese Schreibweise eine Verle-genheitslösung aus. Einerseits soll damit eine Abgrenzung von anderen Arten der Logik, z.B. der „dia-lektischen Logik“ Hegels, deutlich werden. Andererseits soll die Einklammerung des Adjektivs formal zeigen, dass einige der grundlegenden Begriffe und Axiome, die die seit Kant so bezeichnete „formale Logik“ behandelt, nämlich z.B. der Satz vom Widerspruch, in ihrem Ursprung bei Aristoteles nicht (nur) formale Bedeutung haben. Peter Janich geht so weit, zu behaupten, der Satz vom Widerspruch befinde sich „außerhalb der formalen Logik“ (vgl. Janich 2001, 207 ff.). Auf diese Auffassung werde ich in 1.2.8 eingehen.
[4] Zu dieser Schreibweise vgl. Anm. 35. Im Folgenden verwende ich die Abkürzung „SvW“.
[5] Vgl. Hartmann, Seel, Lutz-Müller.
[6] Unter „Urteilslogik“ verstehe ich hier die seit der „Logik von Port Royal“ (1662) bis Anfang des 20. Jahrhunderts vorherrschende „Schullogik“, die das Urteil als ein psychisches Vorkommnis von jedem Bezug zum „Sein“ abgetrennt hat (vgl. Tug 1983, 7 ff.). Nach Auffassung der modernen nachfrege-schen Logik ist es ein Missverständnis von Aristoteles’ ursprünglicher Intention, unter „Logik“ die Erforschung der Gesetze des reinen Denkens zu verstehen. Letzterer sei in seiner Logik vielmehr am sprachlichen Ausdruck des Denkens, dem Aussagesatz, orientiert gewesen und habe denselben ontolo-gisch als etwas „Seiendes“ verstanden (vgl. ebd. 9 f., sowie unten Kapitel 1.2).
- Arbeit zitieren
- Andreas Jakubczik (Autor:in), 2006, Sartres ontologische Grundlegung der Negation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139731
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