Das Hauptanliegen der vorliegenden Arbeit soll es sein, den Begriff „Diplomatie“, der nicht nur in der politikwissenschaftlichen Literatur in mannigfaltiger Art und Weise verwendet wird, genauer zu definieren, d.h. operationalisierbar und für die staatstheoretische Forschung brauchbarer zu machen. Es wird also zunächst überblicksmäßig dargestellt, welche gängigen Definitionen von Diplomatie im wissenschaftlichen Mainstream gebraucht werden, woraufhin sie auf Stärken und Schwächen untersucht und als Grundlage für eine eigene Definition verwendet werden sollen, nämlich Diplomatie als Institution zur Gestaltung offizieller Beziehungen zwischen souveränen Staaten mit gewaltlosen Mitteln. Ein solches (vergleichsweise enges) Verständnis von Diplomatie, das sich ausschließlich auf Staaten beschränkt, richtet sich bewusst gegen die Tendenz der neueren einschlägigen Literatur, den Diplomatiebegriff auch auf die Tätigkeit nichtstaatlicher Akteure auszudehnen, was im Folgenden argumentiert und begründet werden soll.
Um Diplomatie als Institution zu beschreiben, sollen Erkenntnisse des historischen Institutionalismus angewendet werden, wobei hier angemerkt sei, dass es sich beim historischen Institutionalismus nicht um eine abgeschlossene Theorie, sondern vielmehr um ein Forschungsprojekt handelt, dass bisher einige interessante Ergebnisse geliefert, aber noch keine genauer beschriebene Methodik entwickelt hat.
Es ist jedenfalls erforderlich die historische Entwicklung dieser Institution nachzuzeichnen und insbesondere auf die Bedeutung der Entwicklung moderner Staatlichkeit für die Diplomatie als auch umgekehrt auf die Bedeutung der Diplomatie für den modernen Staat hinzuweisen. Dabei soll auch die oft unterstellte pazifizierende Wirkung von Diplomatie auf das Verhalten von Staaten untersucht und in gewisser Hinsicht relativiert werden.
Zuletzt sollen mögliche Zukunftsszenarien für die Institution Diplomatie angesichts der Auswirkungen von moderner Telekommunikation, Internationalisierung und Multilateralisierung von Politik, also kurzum der Globalisierung, anhand rezenter Entwicklungen vorgezeichnet werden.
Inhalt
I. EINLEITUNG
II. DEFINITIONEN
a) Diplomatie
i. Zum "state of the art"
ii. Definition
iii. Kriterien fur Diplomatie
b) Institution
III. GES CHI CHTE DER DIPLOMATIE
a) Von Ad-hoc Gesandtschaften im Spatmittelalter zu standigen Botschaften
b) Die Verwaltung der Diplomatie
i. Die Entstehung der Aufienministerien
ii. Professionalisierung der Diplomatie
iii. Entstehung einer hierarchischen Rangordnung des diplomatischen Personals
c) Monopolisierung der Augenbeziehungen1
IV. SPIELREGELN DIPLOMATIS CHER BEZIEHUNGEN
a. Diplomatische Immunität
b. Diplomatisches Protokoll
V. ZUR FUNKTION VON DIPLOMATIE
VI. GEGENWARTIGE HERAUSFORDERUNGEN UND ZUKUNFTSPERSPEKTIVEN
VII. CONCLUSIO
LITERATURVERZEICHNIS
I. Einleitung
Das Hauptanliegen der vorliegenden Arbeit soll es sein, den Begriff „Diplomatie“, der nicht nur in der politikwissenschaftlichen Literatur in mannigfaltiger Art und Weise verwendet wird, genauer zu definieren, d.h. operationalisierbar und für die staatstheoretische Forschung brauchbarer zu machen. Es wird also zunächst überblicksmäßig dargestellt, welche gängigen Definitionen von Diplomatie im wissenschaftlichen Mainstream gebraucht werden, woraufhin sie auf Stärken und Schwächen untersucht und als Grundlage für eine eigene Definition verwendet werden sollen, nämlich Diplomatie als Institution zur Gestaltung offizieller Beziehungen zwischen souveränen Staaten mit gewaltlosen Mitteln. Ein solches (vergleichsweise enges) Verständnis von Diplomatie, das sich ausschließlich auf Staaten beschränkt, richtet sich bewusst gegen die Tendenz der neueren einschlägigen Literatur, den Diplomatiebegriff auch auf die Tätigkeit nichtstaatlicher Akteure auszudehnen, was im Folgenden argumentiert und begründet werden soll.
Um Diplomatie als Institution zu beschreiben, sollen Erkenntnisse des historischen Institutionalismus angewendet werden, wobei hier angemerkt sei, dass es sich beim historischen Institutionalismus nicht um eine abgeschlossene Theorie, sondern vielmehr um ein Forschungsprojekt handelt, dass bisher einige interessante Ergebnisse geliefert, aber noch keine genauer beschriebene Methodik entwickelt hat.
Es ist jedenfalls erforderlich die historische Entwicklung dieser Institution nachzuzeichnen und insbesondere auf die Bedeutung der Entwicklung moderner Staatlichkeit für die Diplomatie als auch umgekehrt auf die Bedeutung der Diplomatie für den modernen Staat hinzuweisen. Dabei soll auch die oft unterstellte pazifizierende Wirkung von Diplomatie auf das Verhalten von Staaten untersucht und in gewisser Hinsicht relativiert werden.
Zuletzt sollen mögliche Zukunftsszenarien für die Institution Diplomatie angesichts der Auswirkungen von moderner Telekommunikation, Internationalisierung und Multilateralisierung von Politik, also kurzum der Globalisierung, anhand rezenter Entwicklungen vorgezeichnet werden.
II. Definitionen
a) Diplomatie
Der Begriff „Diplomatie“ wird sehr vielseitig und häufig – geradezu inflationär – gebraucht. Vor allem im alltäglichen Sprachgebrauch ist dieses Prädikat schnell bei der Hand, wenn es darum geht, ein gewisses Verhandlungsgeschick oder einfach nur den taktvollen Umgang eines Menschen mit anderen zu beschreiben. Wissenschaftliches Arbeiten aber, wenn es intersubjektiv nachvollziehbar sein soll, bedarf der begrifflichen Präzision und Klarheit, und sollte nicht einfach das Wissen um den allgemeinen Sprachgebrauch voraussetzen.
i. Zum "state of the art"
Sucht man bei der Lektüre der einschlägigen Literatur präzise, für die Staatstheorie brauchbare Definitionen des Begriffs „Diplomatie“, stellt sich ziemlich rasch Ernüchterung ein[1], denn entweder der Begriff wird verwendet aber nicht definiert[2], oder es werden gleich mehrere Definitionen angeboten, aus denen man sich nach Belieben eine adäquate aussuchen muss.[3]
Eine sehr allgemeine Definition verwendet Wolfgang Reinhard, der Diplomatie als „nicht-kriegerische Interaktion von Gemeinwesen“ (Reinhard 1999, 370) beschreibt. Allerdings erscheint ein so umfassender Begriff als sehr problematisch, da auch die Pflege von Handelsbeziehungen als nicht-kriegerische Interaktion bezeichnet werden kann. Abgesehen davon wird der Begriff des Gemeinwesens auf sehr vielfältige Formen menschlichen Zusammenlebens angewendet (z.B. Dörfer, Clans, Kommunen, etc.), sodass er als gänzlich ungeeignet erscheinen muss.
Eine ähnlich allgemein gehaltene Definition ist bei Ragnar Numelin zu finden, der Diplomatie als „maintaining of external relations, or the art and manner of conducting international affairs“ (Numelin 1950, 125) beschreibt. Zum einen ist unklar, wessen „external relations“ aufrechterhalten und gepflegt werden sollen (sind die Akteure Staaten oder wieder Gemeinwesen?), zum anderen können unter „external relations“ wiederum Handelsbeziehungen oder auch Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Familienverbänden in verschiedenen Dörfern verstanden werden. Darüber hinaus ist „the art and manner of conducting international relations“ insofern als Definition ungenügend, als diese doch auch den Kriegszustand als Form der internationalen Beziehung beinhaltet, wobei hier wegen der Verwendung des Wortes „international“ unterstellt sei, dass es sich hier um Staaten als agierende Einheiten handelt.
In dieselbe Kerbe schlagen auch Hamilton und Langhorne, die Diplomatie als „the peaceful conduct of relations amongst political entities, their principals and accredited agents” (Hamilton/Langhorne 1995, 1) bezeichnen, nur dass deren Definition geringfügig präziser ist, weil er nicht Gemeinwesen sondern „political entities“ (also immerhin politische Verwaltungseinheiten) als Akteure bezeichnet.
Magalhães, der sich sehr kritisch gegenüber den Definitionsversuchen anderer äußert, versuchte eine Art von „purem Konzept von Diplomatie“ herauszudestillieren, also eine Definition zu finden, die das Wesen der Diplomatie erfassen könnte. Für ihn ist Diplomatie „a) an instrument of foreign policy b) for the establishment and development of peaceful contacts between the governments of different states c) through the use of intermediaries d) mutually recognized by the respective parties” (Magalhães 1988, 59). Wichtig ist zunächst, dass Diplomatie ein “Instrument” der Außenpolitik ist, womit der falsche Gebrauch von Diplomatie als Synonym für Außenpolitik ausgeschlossen wird.[4] Allerdings diene dieses Instrument der Herstellung und Entwicklung friedlicher Kontakte zwischen Regierungen, was so nicht haltbar ist: wie noch aufzuzeigen sein wird, sind friedliche Kontakte nicht unbedingt das oberste Ziel von Diplomatie, spätestens dann nicht, wenn durch Diplomaten mit Krieg gedroht wird oder militärische Bündnisse für Angriffskriege geschlossen werden. Diplomatie ist lediglich in ihren Mitteln (und auch dies nur in erster Linie) friedlich bzw. gewaltlos, weshalb wir Magalhães Definition ebenfalls nur bedingt verwenden können.
Ähnlich wie Magalhães versuchten auch Jönsson und Hall herauszuarbeiten, was denn die Essenz der Diplomatie sei, doch dürften sie dabei auf Schwierigkeiten gestoßen sein, da es ihnen nicht gelang, eben besagte Essenz in einer kernigen Definition zusammenzufassen. Sie betrachten Diplomatie jedenfalls als „institution of international societies rather than individual states or entities. [...] structuring relations among polities rather than states”, die analysiert werden könne als “mediation of universalism and particularism” (Jönsson/Hall 2005, 24), und eine „perennial international institution“, ja sogar ein „timeless, existential phenomenon“ (ebd., 3) sei – davon aber, wie Diplomatie in actu aussieht, kann man sich, diese Definition zugrunde gelegt, keine konkrete Vorstellung machen. Hier erscheint Diplomatie als ewige Begleiterin der Menschheit, geradezu transzendiert. Wollen wir eine brauchbare Definition haben, müssen wir uns anderweitig umsehen.
Eine Grundlage für eine wirklich brauchbare, operationalisierbare Definition hingegen bieten Berridge und James, die Diplomatie als „the conduct of relations between sovereign states through the medium of officials based at home or abroad, the latter being either members of their state’s diplomatic service or temporary diplomats” (Berridge/James 2003, 69) verstanden wissen wollen. Hier werden eindeutig souveräne Staaten als Akteure definiert, die untereinander offizielle Beziehungen unterhalten. Eine Einschränkung muss hier dennoch angeführt werden, denn als Medium dieser Beziehungen werden ausschließlich BeamtInnen genannt – doch sind auch PolitikerInnen wesentlich an der Pflege offizieller Beziehungen beteiligt.
Der Intention dieser Arbeit kommt wohl die Definition von Hedley Bull am nahesten, welcher meint, dass Diplomatie „the conduct of relations between states and other entities with standing in world politics by official agents and by peaceful means” (Bull 1977, 156) sei, wenngleich es sinnvoller erscheint hier nicht von „other entities“ zu sprechen, sondern allein souveräne Staaten als Akteure der Diplomatie zu betrachten. Bull sieht Diplomatie zwar durchaus als Produkt des westfälischen Staatensystems, will aber dem Umstand Rechnung tragen, dass „entities other than states have standing in world politics as actors in world politics, and that they are engaged in diplomacy vis-à-vis states and one another. [...] Moreover, a political entity may have standing in world politics even though it is not generally regarded as a subject of international law. Sometimes a political entity achieves standing in world politics because states recognise that it enjoys a position of power, or because states support its aspirations to achieve such a position of power“ (Bull 1977, 158). Es würden also vermehrt nicht-staatliche Akteure auf der Bühne der Weltpolitik auftreten, und sich in Diplomatie engagieren (vgl. Langhorne 2005). Diese Entwicklung lässt sich nicht bestreiten, allerdings ist es vorteilhafter, diese nicht unter dem Gesichtspunkt der Diplomatie zu betrachten, denn die Interaktionsprozesse zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren in der Weltpolitik lassen sich mit dem relativ neuen Konzept von „global governance“ wesentlich fruchtbarer analysieren. Für den Begriff „global governance“ gibt es zwar noch keine „allgemein anerkannte Definition“, so Behrens, allerdings steht er unter anderem für „Koordinationsleistungen, die nicht allein von Staaten, sondern von einer Vielzahl gesellschaftlicher Akteure auf verschiedenen Ebenen lokaler, nationaler, regionaler sowie internationaler Politik erbracht werden. Das Erkenntnisinteresse liegt hier in einem Verständnis der aus der Globalisierung erwachsenen unterschiedlichen Formen von Koordinationsmechanismen, die aus analytischer Perspektive als bestehende global governance empirisch untersucht werden“ (Behrens 2004, 104). Nicht-staatliche Akteure sind weiters (von wenigen Ausnahmen abgesehen) keine Völkerrechtssubjekte und müssen im Rahmen der Normen agieren, die ihnen von den Staaten, in welchen sie operieren, vorgeschrieben werden, während in der anarchischen Staatenwelt die Diplomatie gänzlich anderen Gesetzmäßigkeiten unterworfen ist. Die Beziehungen zwischen Staaten sind weiters „anderer Natur“, da die „Tätigkeit von NGOs und internationalen Unternehmen [...] meist nur auf bestimmte Themenfelder beschränkt [ist], während die Beziehungen zu Staaten unter anderem dadurch charakterisiert sind, dass potentiell alle Themen zwischen beiden von Interesse sein können“. (Karalus 2009, 12)
Nach dieser überblicksmäßigen Darstellung einiger Definitionen von Diplomatie, scheint es nun ratsam, eine eigenständige Definition zu erarbeiten, welche die aufgeführten Kritikpunkte berücksichtigt.
Auffällig ist, dass in der einschlägigen Literatur große Uneinigkeit darüber herrscht, welche Akteure denn tatsächlich Diplomatie betreiben: „Gemeinwesen“, „political entities“, „polities“ und „other entities with standing in world politics“ werden als Träger von Diplomatie bezeichnet – die Einschränkung auf Staaten aber wird bewusst gemieden. Einige Autoren haben einen sehr weiten, zeit- und raumlosen Begriff von Diplomatie, sodass sie sich bewusst nicht auf Staaten beschränken (z.B. Reinhard, Numelin, Hamilton/Langhorne, Jönsson/Hall). Wie aber bereits angedeutet, ist ein solches Verständnis von Diplomatie irreführend, denn die Gestalt, die die moderne Diplomatie der internationalen Staatenwelt angenommen hat, unterscheidet sich qualitativ in einem solchen Ausmaß von der „Diplomatie“ zwischen Stammesgesellschaften, Feudalgesellschaften und anderen Herrschaftsverbänden, dass sie nach einer exklusiven Definition verlangt, es sei denn man nimmt bei der Analyse in Kauf, dass ein Gesandter der Irokesen die gleiche Tätigkeit ausübt, wie Talleyrand während des Wiener Kongresses. Dieser Vergleich soll freilich keine Behauptung einer kulturellen Überlegenheit sein, sondern (wenn auch in polemisch zugespitzter Form) veranschaulichen, unter welchen grundverschiedenen Voraussetzungen beide „Diplomaten“ ihr Handwerk verrichten.[5]
ii. Definition
Diplomatie sei also wie folgt definiert:
Diplomatie ist die Institution zur Gestaltung offizieller Beziehungen zwischen souveränen Staaten mit gewaltlosen Mitteln.
Mit dieser Definition wird Diplomatie allein auf souveräne Staaten eingeschränkt, wobei der Terminus der „offiziellen Beziehungen“ private Beziehungen, Handelsbeziehungen und dergleichen ausschließt und gleichzeitig impliziert, dass die handelnden Personen durch offiziellen Status ermächtigt sind, in Vertretung ihres Herkunftsstaates Verhandlungen zu führen, zu zeichnen, etc. Auch der Krieg, der immerhin auch eine Form der offiziellen Beziehung zwischen souveränen Staaten ist (vgl. Bull 1977, 157), fällt nicht unter diese Definition, da hier bewusst gewaltlose Mittel betont werden.[6]
iii. Kriterien fur Diplomatie
Im vorangegangenen Abschnitt wurde Diplomatie von anderen Formen von Kommunikation zwischen Gesellschaften scharf abgegrenzt. Welche Merkmale weist also diese besondere Form der Kommunikation auf, die sie von anderen Formen unterscheidet – oder anders gefragt: Welche Kriterien müssen erfüllt sein, um von Diplomatie sprechen zu können?
Diplomatie erfordert
a) ständige, gegenseitige Vertretungen, die
b) formal gleichrangige, souveräne Staaten repräsentieren und von einer
c) professionalisierten Bürokratie verwaltet werden.
d) Die Diplomaten unterliegen einer hierarchischen Rangordnung und
e) Genießen in im jeweiligen Empfängerstaat diplomatische Immunität.
f) Das Monopol der Außenbeziehungen muss bei der Staatsleitung liegen und es müssen
g) diplomatische Archive vorhanden sein, in welchen Dokumente, Verträge etc. aufbewahrt und abrufbar gemacht werden können.
Es handelt sich bei dieser Beschreibung freilich um einen Idealtypus von Diplomatie, der in der Praxis womöglich nicht immer in reiner Form anzutreffen ist. Die professionelle Bürokratie mit einer hierarchischen Rangordnung und die Existenz schriftlicher Archive, ohne die der moderne Staat undenkbar ist (vgl. Wimmer 2000, 357ff), sowie die Monopolisierung der Außenbeziehungen, die parallel zu der Entstehung des Gewaltmonopols im Inneren des Staates zu betrachten ist[7] – dies sind Merkmale moderner Staatlichkeit, mit der die Entstehung von Diplomatie aufs Engste verknüpft ist.
b) Institution
Diplomatie wurde hier in Anlehnung an Hedley Bull als Institution definiert. Unter Institution versteht Bull „not necessarily [...] an organisation or administrative machinery, but rather a set of habits and practices shaped towards the realisation of common goals.” Institutionen seien „an expression of the element of collaboration among states in discharging their political functions – and at the same time a means of sustaining this collaboration“ (Bull 1977, 71). Ähnlich argumentieren auch Jönsson und Hall, die Institutionen als “relatively stable collection of social practices consisting of easily recognized roles coupled with underlying norms and a set of rules or conventions defining appropriate behavior for, and governing relations among, occupants of these roles” (Jönnson/Hall 2005, 25) sehen. „Organizations are entities that normally possess physical locations, offices, personell, equipment and budgets.” (ebd.) Wichtig ist also zunächst die analytische Unterscheidung zwischen “Organisation” und “Institution” – unter Organisation wäre demnach die physische oder materielle Infrastruktur zu verstehen, während der Institutionsbegriff auf konstitutive Regeln und Normen abzielt.
Allerdings darf man nicht den analytischen Fehler begehen und Institutionen und deren Organisation allzu scharf zu trennen, und die Wechselwirkungen, die zwischen ihnen bestehen zu unterschätzen, wie dies bei den Ausführungen von Jönsson und Hall geschehen ist. Sie argumentieren, dass „diplomacy as an institution [...] has quite a long history, the organization we today associate with diplomacy, the foreign ministry with ist diplomatic corps, is of recent origin. [...] Genereally speaking, organizations, in contrast to institutions, are specifically located in time and space. Hence, we conceive of diplomacy as an institution at the level of international society as a whole, foreign ministries as organizations at the level of individual states” (ebd., 26). Wie aber bereits oben erläutert wurde, hat die Organisation in Form von Außenministerein und ständigen Vertretungen zwischen Staaten eine Institution sui generis hervorgebracht, die es davor nicht gegeben hatte. Und es ist – um es explizit auszudrücken – die Organisation, welche die Institution hervorgebracht hat. Wir folgen also dem typischen Ansatz des historischen Institutionalismus „to view ideas in terms of norms and values whose importance are a function of the material institutions8 from which they emanate“ (Lecours 2005, 7).
Der historische Institutionalismus kann, auch wenn er “still lacks theoretical consistency” (Béland 2005, 30) und eine “absence of a clearly stated methodology” (Harty 2005, 52) festzustellen ist, für das Verständnis der Entwicklung der Institution Diplomatie durchaus hilfreiche Ansatzpunkte anbieten.
„As a matter of methodology, historical institutionalists employ techniques of periodization, that is, they divide history into ‘slices’”, wobei vier Strategien unterschieden werden können: “With the institutional origins strategy scholars compare periods before and after the creation of an institution. With the instiututional change strategy the focus is on the moments that correspond to substantial and discrete changes in the institutions. The exogenous shock strategy involves comparing periods before and after the occurrence of a major international event. The rival cause strategy examines continuity in the context of non-institutional change” (Lecours 2005, 15).
Es wird also im Folgenden in Anlehnung an diesen methodologischen Ansatz die historische Entwicklung der Diplomatie überblicksmäßig nachgezeichnet, wobei zunächst Formen des Gesandtschaftswesens vor der Entstehung ständiger Gesandtschaften in Europa geschildert werden, um die weitreichenden Auswirkungen der Diplomatie darstellen zu können. Ebenso werden markante Wendepunkte herausgearbeitet, in denen sich wesentliche Entwicklungen der Diplomatie ereignet haben, wobei eher von Entwicklungsphasen als von konkreten Zeitpunkten die Rede sein wird. Zuletzt wird auch auf Kontinuitäten im institutionellen Setting hingewiesen. Es sei hier vorweggenommen, dass sich Diplomatie als durchaus entwicklungsresistent erwiesen hat und dies in mancher Hinsicht auch immer noch ist. Aus der Sicht des historischen Institutionalismus kann als Begründung hierfür angeführt werden, dass Institutionen einer „path dependency“ unterliegen:
„[...] once initial start-up costs are made and learning and adaptation have taken place, the cost of switching paths, which would entail a new investment of time and resources in the short term, exceeds the benefit oy staying the course. There are increasing returns for continuing along the same path given the sunken costs and the way in which actors have Mit „material institutions“ meint Lecours im Grunde das, was hier als „Organisation“ definiert wurde.
[...]
[1] Vgl. hierzu Magalhães 1998, 49f. der zum selben Schluss kommt.
[2] So z.B. Anderson 1993. Bemerkenswert auch Bleiber 1959 - ein „Handwörterbuch der Diplomatie und Aussenpolitik“, in welchem man einen Eintrag über „Diplomatie“ vergeblich sucht!
[3] Vgl. z.B. Berridge/James 2003, 69f. und Bracher/et al. 1969, 64ff.
[4] Auf diesen häufig anzutreffenden analytischen Fehler macht schon Nicolson aufmerksam (vgl. Nicolson 1947, 12)
[5] Man bedenke allein die weit reichenden Konsequenzen des Gebrauchs der Schrift für das Handwerk der Diplomaten!
[6] Der Zusammenhang zwischen Frieden und Diplomatie wird in Kapitel IV. etwas kritischer und ausführlicher erläutert.
[7] Im Sinne einer „dialektische[n] Verschränkung von innerer Staatsbildung und äußerer Machtpolitik“ (Schilling 2007, 31)
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- Ramy Youssef (Autor:in), 2009, Diplomatie als Institution des modernen Staates, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139729
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