Ziel dieser Arbeit ist es, die Modellwelt der Behavioral Finance kritisch zu analysieren und zu hinterfragen. Da die Erkenntnisse der Behavioral Finance in der Literatur nur selten in einem
erschöpfenden Erklärungsmodell verdichtet werden, versucht diese Arbeit die mannigfaltigen,wissenschaftlichen Untersuchungsergebnisse zusammenzuziehen und gegliedert darzustellen.
Die Arbeit untersucht die eingangs genannte Thematik in 5 Kapiteln. Kapitel 1 stellt die Herkunft
der Behavioral Finance und ihre Ziele dar. Kapitel 2 und 3 bilden den eigentlichen Kern der Arbeit und befassen sich mit den Anomalien im menschlichen Verhalten sowie den existierenden
Modellen in der Behavioral Finance. Kapitel 4 zeigt die Erkenntnisse aus der Modellwelt und als Letztes werden im 5. Kapitel die wichtigsten Ergebnisse in einem kurzen Resümee
dargestellt wie auch ein abschliessendes Fazit gezogen.
Inhaltsverzeichnis
0. Einleitung
1. Abgrenzung und Begriff der Behavioral Finance
1.1 Definition und Herkunft der Behavioral Finance
1.2 Ziel der Behavioral Finance
2 Anomalien des menschlichen Verhaltens
2.1 Informationswahrnehmungsanomalien
2.2 Informationsverarbeitungsanomalien
2.3 Entscheidungsanomalien
3 Darstellung der Modelle in der Behavioral Finance
3.1 Verhaltensorientierte Modelle der Überreaktion und Unterreaktion
3.1.1 Das BSV Modell von Barberis, Schleifer und Vishny
3.1.2 Das DHS Modell von Daniel, Hirshleifer und Subrahmanyam
3.1.3 Das Modell von Hong und Stein
3.2 Marktphasenmodelle
3.2.1 Katastophenmodell von E. C. ZEEMAN
3.2.2 Das Marktphasenmodell von RAPP
4. Erkenntnisse der Modellwelt
5. Implikationen und Schlussbemerkungen
Literaturverzeichnis
0. Einleitung
Die Börse ist ein äusserst erfolgreicher Mechanismus, um eine Volkswirtschaft und ihre Vielzahl von Unternehmen mit Kapital zu versorgen. Vor allem aufstrebende Schwellenländer und Wachstumsbranchen fragen Kapital in grosser Menge nach. Die Börse ist jedoch nicht allein durch Angebot und Nachfrage, sondern vor allem durch das Verhalten ihrer Marktteilnehmer geprägt. Gefühle, Intentionen und Interpretationen, Erwartungen und Gerüchte sind Faktoren, die die Märkte mitunter bewegen und in den modernen Wirtschaftswissenschaften bei der Suche nach Erklärungsansätzen oft völlig ausser Acht gelassen werden.
Bereits in den 50er Jahren bemängelten führende Ökonomen die Empiriefeindlichkeit des Homo Oeconomicus und strebten danach, den Erkenntnisgehalt in der Wirtschaftsforschung durch ein besseres Verständnis vom Verhalten des Menschen zu erhöhen. Psychologische Einschätzungen wurden deshalb immer mehr in die ökonomische Theoriebildung implementiert und trugen in wesentlichem Masse zum Fortschritt in der Selben bei.
In den 90er Jahren unternahm die Behavioral Finance den erneuten Versuch einer psychologi- schen Fundierung der Ökonomie. Nach OEHLER (2000, S. 978), setzt sich die Behavioral Fi- nance mit den Bereichen auseinander, welche sich mit dem Entscheidungsverhalten von (Markt-) Akteuren modellhaft oder empirisch auseinandersetzen und Informationsaufnahme, Informationsverarbeitung sowie Erwartungsbildung und Entscheidungskriterien erklären. Um die Geschehnisse an den Finanzmärkten zu verstehen, ist die Beachtung des menschlichen Verhaltens deshalb unabdingbar.
Ziel dieser Arbeit ist es, die Modellwelt der Behavioral Finance kritisch zu analysieren und zu hinterfragen. Da die Erkenntnisse der Behavioral Finance in der Literatur nur selten in einem erschöpfenden Erklärungsmodell verdichtet werden, versucht diese Arbeit die mannigfaltigen, wissenschaftlichen Untersuchungsergebnisse zusammenzuziehen und gegliedert darzustellen.
Die Arbeit untersucht die eingangs genannte Thematik in 5 Kapiteln. Kapitel 1 stellt die Herkunft der Behavioral Finance und ihre Ziele dar. Kapitel 2 und 3 bilden den eigentlichen Kern der Arbeit und befassen sich mit den Anomalien im menschlichen Verhalten sowie den existierenden Modellen in der Behavioral Finance. Kapitel 4 zeigt die Erkenntnisse aus der Modellwelt und als Letztes werden im 5. Kapitel die wichtigsten Ergebnisse in einem kurzen Resümee dargestellt wie auch ein abschliessendes Fazit gezogen.
1. Abgrenzung und Begriff der Behavioral Finance
1.1 Definition und Herkunft der Behavioral Finance
Viele Ansätze die versucht haben das menschliche Verhalten oder die Reaktionen auf Markt- veränderungen zu erklären sind meist fern der Realität und erklären Veränderungen nicht in vollem Masse. Den bislang vorherrschenden Erklärungsansätzen ist gemeinsam, dass sie dem Paradigma des vorherrschenden Theoriegebäudes entstammen und entsprechend versuchen, dieses durch zusätzliche Erklärungen, beziehungsweise Erweiterungen zu stützen, indem sie Unvollkommenheiten und Unvollständigkeiten der Kapitalmärkte zulassen. Dazu gehören ei- nerseits neoinstitutionalistische Ansätze, welche die Existenz einer asymmetrischen Informationsverteilung unter den Marktteilnehmern unterstellen (PERRIDON und STEINER, 1999, S.
512 - 519), und andererseits chaostheoretische Ansätze, die Kapitalmärkte als komplexe, nicht-lineare und dynamische Gebilde betrachten. Darüber hinaus hat sich in den vergangenen Jahren zuerst in den USA und später vermehrt auch in Europa, eine verhaltenswissenschaft- lich orientierte Finanzmarkttheorie, die Behavioral Finance etabliert. Die Behavioral Finance ist die Anwendung der Psychologie auf Finanzverhalten von Marktteilnehmern (SHEFRIN, 2000, S.3). Sie kann wie folgt charakterisiert werden: Die Theoretiker der Behavioral Finance greifen neue Erkenntnisse aus der Psychologie und der Soziologie auf, um das charakteristi- sche menschliche Anlegerverhalten und andere Phänomene in den Kapitalmärkten zu erklä- ren. Die Behavioral Finance gehört zu den modernen Teilbereichen der Finanzwirtschaft (WEBER, 1999, S.6). Diese Auslegung impliziert, dass die Behavioral Finance nicht als Ge- genstück zur modernen Finanzierungstheorie wahrgenommen werden darf, sondern sich zum Vorsatz genommen hat, diese Theorie zu ergänzen. Die ersten Erscheinungen solcher finanz- wirtschaftlichen Forschungsbemühungen finden sich bereits in den frühen fünfziger Jahren - dennoch dauerte es bis zum Ende der Achtziger, bis das Interesse an diesen Ansätzen ver- mehrt geweckt wurde (OHLSEN, 1998, S. 10-18). Die Erkenntnis, dass die moderne Kapital- markttheorie wesentliche Erklärungsdefizite auf dem Gebiet des realen Marktgeschehens aufweist, verdeutlichte sich immer mehr. Dies und die Entdeckung verschiedener Kapital- marktanomalien führten zur Publikation von zahlreichen Arbeiten, die sich mit verhaltenswis- senschaftlichen Aspekten in der Finanzwirtschaft befassten und schliesslich das Fundament der Behavioral Finance bilden sollten.
1.2 Ziel der Behavioral Finance
Das Hauptaugenmerk der verhaltensorientierten Finanzwirtschaft liegt darin, verhaltenswis- senschaftliche Erfahrungen aufzunehmen und daraus wesentliche Aussagen für die Kapital- märkte herbeizuführen. Die Auswahl, Aufnahme und Verarbeitung von entscheidungsrelevan- ten Informationen stellen den Schwerpunkt der Forschung dar, ebenso wie die Erwartungsbil- dung und Entscheidungsfindung der Anleger (RAPP, 1997, S.82). Ziel der Forschung ist das Erkennen von Faktoren, welche die menschliche Entscheidungsfindung beeinflussen. Auch soll das Verhalten der Finanzmärkte erklärt und vorhergesagt werden. Damit unterscheidet sich die Behavioral Finance von der vorherrschenden Kapitalmarktheorie, da sie keine grund- legenden Annahmen über das Verhalten der Marktteilnehmer trifft. Vielmehr wird dieses von ihr in einem ersten Schritt erforscht und anschliessend als Grundlage für die Bildung von Mo- dellen verwendet (DE BONDT, 1995, S.8). Die Preisbildung auf den Kapitalmärkten wird also nicht ausschliesslich durch ökonomische Faktoren erklärt, sondern vielmehr durch das Ergeb- nis eines Zusammenwirkens von ökonomischen, psychologischen und soziologischen Fakto- ren (SHILLER, 1997, S.2). Die Kernaussage der Behavioral Finance ist, dass psychische, men- tale und neuronale Beschränkungen der Marktteilnehmer dazu führen, dass diese nur be- schränkt rational handeln. Als Folge der Annahme, dass der Mensch ein nur beschränkt ratio- nales Wesen ist, müssen auch seine Entscheidungen von denen eines rationalen Individuums abweichen. Die entscheidende Frage ist nun, ob diese Abweichungen zufälliger oder systema- tischer Natur sind. Im ersten Fall genügt die Verwendung eines rationalen Modells, um unver- fälschte Beschreibungen des Verhaltens der Marktteilnehmer zu erhalten. Wenn die Abwei- chungen jedoch systematisch auftreten, so ist die Annahme eines rationalen Verhaltens, zu- mindest auf der Individualebene, nicht haltbar. Das Vorhandensein systematischer Muster im Individualverhalten lässt nicht zwingend auf eine entsprechende Reflexion im Marktverhalten schliessen. RAPP (1997) argumentiert, dass sich die vielfältigen Verhaltensmuster der Markteilnehmer durch die gegenseitigen Handlungen neutralisieren können. Diesen Gedan- ken lehnen die Vertreter der Behavioral Finance jedoch ab, womit sie die ganzen Ansätze der Finanzmarktheorie, wie beispielsweise die der Informationseffizienz1 oder die Theorie der ra- tionalen Erwartungen, verwerfen. Gänzlich werden die bestehenden Ansätze jedoch nicht verworfen, sondern man will die Konzepte um psychologische und soziologische Aspekte er- weitert wissen.
2 Anomalien des menschlichen Verhaltens
In populärwissenschaftlichen Darstellungen werden Anleger in Boomzeiten oft als enthusias- tisch und als „ausser Kontrolle“ bezeichnet und in Crashzeiten als niedergeschlagen oder als panisch reagierend. Dass Menschen in unvorhersehbaren Situationen anders reagieren als normal, hat wohl jeder schon selbst erlebt. Trotz solcher Darstellungsweisen handeln Men- schen jedoch weit rationaler als in Modellen unterstellt wird. Die Verhaltensforschung be- schäftigt sich unter anderem mit dieser Thematik und zeigt immer wieder, dass Menschen bei Entscheidungen unter Risiko und Ungewissheit gewisse Muster von Irrationalität und Inkon- sistenz an den Tag legen. Im Folgenden wird nur kurz auf diese Anomalien eingegangen. Eine tiefergehende Analyse von verhaltensorientierten Anomalien ist im Rahmen dieser Arbeit je- doch fast nicht möglich und wird nur angeschnitten, um die spätere Darstellung der Modelle zu verstehen.
Die Behavioral Finance soll neben der Verbesserung des eigenen Entscheidungsverhaltens, auch zu einem umfassenden Verständnis des tatsächlichen Verhaltens von Marktteilnehmern beitragen. Deshalb gehören zur Behavioral Finance auch psychologische Erklärungsansätze, welche sich vorwiegend auf empirische Analysen und Forschungen zur Verhaltensweise von Marktteilnehmern stützen. Dabei sind über das menschliche Verhalten im Zusammenhang mit finanziellen Entscheidungen, insbesondere unter Risiko, bereits zahlreiche Studien über das Anlegerverhalten durchgeführt worden.2 Die Ergebnisse zeigen signifikant, systematische Verhaltensmuster, die von den durch die vorherrschende Kapitalmarkttheorie postulierten Verhaltensannahmen abweichen.
Die Entwicklung der Prospekttheorie durch KAHNEMANN und TVERSKY im Jahre 1979 stellte einen entscheidenden Fortschritt in der verhaltensorientierten Forschung dar. Betrachten wir Individuen die rational handeln, stellen wir fest, dass es einer gewissen Ord- nung und Selbstkontrolle bedarf. Häufig werden diese rationalen Denkweisen jedoch von Ge- fühlen überlagert und ausser Kraft gesetzt, so dass Menschen ihr handeln nicht in ihrer ganzen Tragweite überblicken. Die Prospekttheorie findet unter anderem in den Finanz- und Kapi- talmärkten ein geeignetes Anwendungsfeld. Mit ihrer Hilfe wird verständlich, warum sich Akteure in vielen Entscheidungssituationen nicht so rational verhalten, wie es das Bild des Homo Oeconomicus 3 immer unterstellt. Mittlerweile hat sich die Prospekttheorie als wichtigste Alternative zur klassischen Erwartungsnutzentheorie etabliert (GOLDBERG und NITZSCH, 2000).
Aus den bekannten Anomalien menschlichen Verhaltens, lässt sich die in Abbildung 1 dargestellte Gruppierung vornehmen. Erklärungsansätze für die entsprechende Anomalie sind so dargestellt, dass sie der jeweiligen Anomalie untergeordnet aufgelistet sind.4
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Anomalien menschlichen Verhaltens Quelle: eigene Darstellung
Die Arbeit beschränkt sich auf die Darstellung der 3 Hauptanomalien.
2.1 Informationswahrnehmungsanomalien
Die vollständige Erfassung realer Entscheidungssituationen ist für den Menschen auf Grund ihrer Komplexität nicht zu bewältigen. Es gibt zu viele Einflussfaktoren, die überdies einan- der auch noch wechselseitig bedingen und somit keine isolierte Betrachtung zulassen. Zudem ist oft nicht bekannt, welches die relevanten Einflussfaktoren sind, welche Auswirkung diese besitzen und ob sie unabhängig voneinander sind oder einander in ihrer Wirkung verstärken. Es stellt sich die Frage, wie Marktteilnehmer mit der permanenten Informationsflut neuer Nachrichten und Ereignisse fertig werden sollen, um daraus fehlerfreie Befunde und Schluss- folgerungen zu ziehen, welche zu erfolgreichen Engagements führen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Entscheidungssituationen häufig zeitinstabil sind.
[...]
1 In der Finanzmarktheorie geht man davon aus, dass jede Information die kursrelevant ist, bereits im Aktienpreis enthalten ist. Somit wird unterstellt, dass der Kapitalmarkt effizient ist.
2 Es wurden vor allem Geld- und Lotteriespiele durchgeführt
3 Wirtschaftswissenschafter unterstellen, dass sich ein Individuum immer so verhält, dass sich sein Nutzen ma- ximiert.
4 Im Rahmen dieser Arbeit ist eine detaillierte Betrachtung nicht möglich. Einen guten Überblick gibt jedoch das Buch: „Beyond Greed and Fear - Understanding Behavioral Finance and the Psychology of Investing“ von SHEFRIN H., Harvard Business School Press, 2000.
- Citation du texte
- Lic.rer.pol. Oliver Riberzani (Auteur), 2002, Psychologische Aspekte der Behavioral Finance - Eine Darstellung der wichtigsten Modelle, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139461
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