Hannah Arendt beschreibt im „Vorwort“ und den „Abschließenden Bemerkungen“ ihres Werks „The Origins of Totalitarianism“ (1951) die Motivation und das Ergebnis ihres Versuchs, der Gegenwart sowie der unmittelbaren Vergangenheit des Dritten Reichs eine Sinndeutung zu geben. Ihre Motivation liegt darin, den geschehenen Bruch der kulturellen Strukturen zu verstehen, ohne es durch Relativierungen und historische Herleitungen zu trivialisieren. Sie will sich mit ihrer Zielsetzung sowohl von Tendenzen zu einem optimistischen Fortfahren auf Basis einer für intakt gehaltenen Vergangenheit, als auch von anti-utopischem Pessimismus abgrenzen. Der absolute Bruch in der menschlichen Kultur bedarf einer neuen politischen Ethik der Menschenrechte.[...]
Aubin und Arendt:
Rückbesinnung auf das Abendland oder totalitärer Bruch der Zivilisation?
Zwei konträre Versuche der Standortbestimmung nach dem Nationalsozialismus
Hannah Arendt beschreibt im „Vorwort“ und den „Abschließenden Bemerkungen“ ihres Werks „The Origins of Totalitarianism“ (1951) die Motivation und das Ergebnis ihres Versuchs, der Gegenwart sowie der unmittelbaren Vergangenheit des Dritten Reichs eine Sinndeutung zu geben. Ihre Motivation liegt darin, den geschehenen Bruch der kulturellen Strukturen zu verstehen, ohne es durch Relativierungen und historische Herleitungen zu trivialisieren. Sie will sich mit ihrer Zielsetzung sowohl von Tendenzen zu einem optimistischen Fortfahren auf Basis einer für intakt gehaltenen Vergangenheit, als auch von anti-utopischem Pessimismus abgrenzen. Der absolute Bruch in der menschlichen Kultur bedarf einer neuen politischen Ethik der Menschenrechte.
Mit diesem Bruch ihr Untersuchungsgegenstand gemeint, die totalitäre Herrschaft, die ihre Methode im Prinzip des Lagers perfektioniert hat. Dieses Herrschaftsprinzip des Totalitarismus erfährt eine Definition auf mehreren Ebenen: Totalitäre Staaten zielen auf die allumfassende Herrschaft über alle menschlichen Wesen, erlauben also Vielfalt weder im Innern, noch nach außen. Totale Herrschaft bedarf der Existenz „einer Autorität, einer Lebensweise, einer Ideologie“ (Arendt: Totalitarismus, 1998, S. 14). Dieser Definition zufolge stellen sowohl die Herrschaftsform des Deutschlands des dritten Reichs, als auch das stalinistische Russland totalitäre Systeme dar. Obgleich ein endgültiger Sieg des Totalitarismus für Arendt höchst unwahrscheinlich erscheint, ist seine Existenz dennoch ein Symptom der spezifischen Probleme der Epoche. Denn: Die im Konzentrationslager sinnbildlich auf die Spitze getriebene Sinnlosigkeit und Überflüssigkeit des Lebens entspricht prinzipiell der Lebenserfahrung des modernen Massenmenschen in einer utilitaristischen Welt, die durch das Prinzip des Nutzens bestimmt ist. Totalitäre Regime aber zeichneten sich durch ihre Sinnlosigkeit aus, definiert man Sinn als „utilitaristischen Common Sense“ (S. 19), wie es vor ihnen getan wurde, und ersetzen diesen durch den „Übersinn“ der Ideologie.
Der kulturelle Bruch bedingt für Arendt auch, dass sie die Berufung oder auch nur Rückbesinnung auf jegliche Form von Tradition für unzulässig hält. Damit grenzt sie sich vermutlich, trotz ihrer nationenübergreifenden Argumentation – unausgesprochen – von entsprechenden Versuchen in Deutschland ab, die sich auf die „Goethe-Zeit“ (Friedrich Meinecke) oder das „Abendland“ beriefen (siehe unten). Dieser Bruch beinhaltet auch, dass das Recht durch Menschenhand, ohne Fundierung auf ein „Naturrecht“, eine historische Gesetzlichkeit oder göttlichen Befehl in neuer Form wieder aufgerichtet werden muss. Dies ist die Alternative zum „gegenwärtigen Nihilismus“ (S. 29), den sie auf intellektueller Ebene diagnostiziert.
[...]
- Arbeit zitieren
- Christoph Sprich (Autor:in), 2009, Aubin und Arendt: Rückbesinnung auf das Abendland oder totalitärer Bruch der Zivilisation?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139442