Ich habe mich aufgrund meines Themas für die Dramen Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny und Der gue Mensch von Sezuan entschieden, um die Entwicklung der epischen Theatertheorie Brechts und dessen Wirkung auf das Publikum darzustellen. In der Oper Mahagonny findet eine erste Umsetzung der epischen Elemente statt, welche in den Anmerkungen zur Oper als Neuerungen erläutert werden. Der gute Mensch von Sezuan stellt ein episches Drama dar, in welchem sich sämtliche epische Elemente finden und aufzeigen lassen, sodass sich dieses Drama als Schlüsselwerk für die Anwendung dieser Theorie anbietet. Bevor ich auf die genannten Dramen eingehe, erläutere ich die Dramentheorie Brechts, welche für das Verständnis der nächsten Kapitel grundlegend ist. Dann werden jeweils nach einer kurzen Inhaltsangabe die verwendeten epischen Theatermittel aufgezeigt, bevor deren Wirkung auf das Publikum dargestellt wird. Im Schluss werden die Ergebnisse kurz resümiert und auf das neue Publikum bezogen.
Inhalt
1. Einleitung
2. Brechts Dramentheorie
2.1 Die Verfremdung
2.2 Der Gestus
2.3 Die Parabel
3. Beispiele anhand zweier Dramen
3.1 Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny
3.1.1 Epische Theatermittel in der Oper
3.1.2 Erzielte Wirkung auf das Publikum
3.2 Der gute Mensch von Sezuan
3.2.1 Epische Theatermittel
3.2.2 Erzielte Wirkung auf das Publikum
4. Schluss
Literaturverzeichnis
Primärliteratur
Sekundärliteratur.
1. Einleitung
Ich habe mich aufgrund meines Themas für die Dramen Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny und Der gute Mensch von Sezuan entschieden, um die Entwicklung der epischen Theatertheorie Brechts und dessen Wirkung auf das Publikum darzustellen. In der Oper Mahagonny findet eine erste Umsetzung der epischen Elemente statt, welche in den Anmerkungen zur Oper[1] als Neuerungen erläutert werden. Der gute Mensch von Sezuan stellt ein episches Drama dar, in welchem sich sämtliche epische Elemente finden und aufzeigen lassen, sodass sich dieses Drama als Schlüsselwerk für die Anwendung dieser Theorie anbietet. Bevor ich auf die genannten Dramen eingehe, erläutere ich die Dramentheorie Brechts, welche für das Verständnis der nächsten Kapitel grundlegend ist. Dann werden jeweils nach einer kurzen Inhaltsangabe die verwendeten epischen Theatermittel aufgezeigt, bevor deren Wirkung auf das Publikum dargestellt wird. Im Schluss werden die Ergebnisse kurz resümiert und auf das neue Publikum bezogen.
2. Brechts Dramentheorie
Seit der Dramentheorie des Aristoteles besteht die Funktion des Theaters in der Unterhaltung des Publikums. Gotthold Ephraim Lessing (1768) beschreibt Aristoteles’ angestrebte Wirkung dieses Dramentyps wie folgt:
Er spricht von Mitleid und Furcht, [...] und seine Furcht ist durchaus nicht die Furcht, welche uns das bevorstehende Übel eines andern, für diesen andern, erweckt, sondern es ist die Furcht, welche aus unserer Ähnlichkeit mit der leidenden Person für uns selbst entspringt; es ist die Furcht, dass die Unglücksfälle, die wir über diese verhänget sehen, uns selbst treffen können; es ist die Furcht, dass wir der bemitleidete Gegenstand selbst werden können. Mit einem Worte: diese Furcht ist das auf uns selbst bezogene Mitleid.[2]
Der Zuschauer soll sich in die dargestellten Figuren einfühlen und sich mit ihrer Rolle identifizieren, um so über die Katastrophe zur Katharsis, einer durch Mitleid hervorgerufenen Läuterung zu gelangen. Dieses „Identifikationstheater“[3] entspricht jedoch nicht Brechts Vorstellungen von einem „Theater des wissenschaftlichen Zeitalters“.[4]
Bertolt Brecht (1898-1956) hatte sich schon in den zwanziger Jahren mit gesellschaftswissenschaftlichen Studien befasst und fand schließlich in der marxistischen Theorie die Basis, auf die sich seine Theatertheorie gründet. In seiner kommunistischen Sicht ist nicht das Individuum allein, sondern in der Gesellschaft zu betrachten. Brechts Theorie ist daher „in erster Linie eine politische Theorie des Theaters“.[5] Ziel seiner Arbeit ist es, die Gesellschaft widerzuspiegeln und so den Zuschauer dazu anzuregen, über das Gesehene nachzudenken und es zu reflektieren. Als Resultat dieses Denkprozesses soll die politische Veränderung des Gesellschaftssystems stehen. Ein konkretes Lehrbuch seiner Dramentheorie schreibt Brecht jedoch nicht. In den Anmerkungen zur Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“[6] stellt er die Dramatische Form des Theaters der Epischen Form des Theaters[7] gegenüber und betont, „dass es sich nicht um absolute Gegensätze, sondern lediglich um einige Gewichtsverschiebungen handelt.“[8] Im epischen Theater ist der Mensch kein „Fixum“, sondern ein „Prozess“[9], also ein veränderlicher Mensch. Es ist ihm möglich, seine Einstellungen zum Leben und zur Umwelt zu überdenken und zu ändern, wenn ihm bessere Alternativen aufgezeigt werden. Dieser veränderliche Mensch ist Gegenstand der Untersuchung ist. Das Geschehen verläuft nicht linear, sondern in Kurven, wobei jede Szene für sich steht und den Spannungsbogen aufrechterhält. Der Zuschauer soll sich nicht mit den Figuren identifizieren, sondern sich kritisch mit ihnen auseinandersetzen, zu Erkenntnissen und schließlich auch zu Entscheidungen kommen, wie zum Beispiel die Änderung des eigenen Verhaltens, der aktuellen Lebensweise. Anders als im dramatischen Theater erlebt er nicht mit, sondern steht den Geschehnissen kritisch gegenüber und studiert diese genau. Der Zuschauer wird also zu einem Betrachter der ihm erzählten Geschichte.
Die dramatische Form, die Brecht auch die „aristotelische“ nennt, wurde damit durchaus nicht verworfen, sie wurde vielmehr um wesentliche Techniken erweitert und vor allem gegenüber der bisherigen Verschmelzung der am Drama bzw. der Oper beteiligten Künste zum „Gesamtkunstwerk“ [...] in ihre „Elemente“ getrennt.[10]
Diese neuen epischen Elemente, beispielsweise Vefremdungseffkt, Gestus, Song, sind also nicht als grundlegend neu zu bezeichnen. Schon in den Anfängen der griechischen Tragödie stellte der antike Chor ein solches Element dar. In der modernen Dramatik wird dieser in abgewandelter Form und mit einer anderen Funktion wiederbelebt.[11] So ist im epischen Theater der Chor „Träger der objektiven Aussage und Auslöser von Reflexion.“[12] Den Aspekt der Einfühlung, welcher als „Grundpfeiler“[13] der aristotelischen Dramaturgie gilt, sucht Brecht zu verhindern, indem er den Inhalt der Handlung nachfolgenden Szenen durch vorangestellte Titel, Projektionen oder Prologe vorwegnimmt. Dadurch lenkt der Theatertheoretiker die Spannung der Zuschauer von der dramatischen Spannung (Was-Spannung) weg und zur Beobachtung der Handlung (Wie-Spannung) hin.[14] Das epische Theater ruft folglich einen beträchtlichen Zuwachs an künstlerischen Mitteln und theatralischen Darstellungsweisen ins Leben und bedient sich der aktuellsten wissenschaftlichen Theatertechniken, wie zum Beispiel der Drehbühne, die unter anderem einen schnelleren Szenenwechsel ermöglicht. Die Bühne erhält eine völlig neue Funktion: Der „Bühnenbildner“ entwickelt sich zum „Bühnenbauer“, ebenso wie das „Bühnenbild“ durch das „Spielfeld“ ersetzt wird:[15]
„Die Bühne zeigt keine vorgegebene „Welt“ mehr, in welche die Figuren eintreten und durch die sie bestimmt werden. Der Bühnenbau wird vielmehr aus dem jeweiligen Geschehen entwickelt und das Spielfeld durch die Figuren und ihre Widersprüche abgesteckt.“[16]
Während des Stücks wird immer wieder auf die Modelhaftigkeit der Handlung hingewiesen. Oberste Priorität für die Schauspieler ist der Leitsatz: „Zeigt, dass gezeigt (gespielt) wird.“[17] Um diese Künstlichkeit darzustellen und um die Erzählerinstanz der epischen Struktur übernehmen zu können, entwickelte Brecht folgende Begrifflichkeiten: Verfremdung, Historisierung, Gestus und Parabel.[18]
2.1 Die Verfremdung
Der Begriff der Verfremdung ergibt sich aus dem der „Entfemdung“ der Erkenntnistheorie Hegels.[19] Das Bekannte kann hiernach gerade weil es bekannt ist, nicht erkannt werden. Folglich muss „das zu erkennende Objekt die Gestalt von etwas Fremdartigem erhalten“,[20] damit letztendlich das zusehende Subjekt zur Erkenntnis gelangt. Diese Theorie übernimmt Brecht für seine Arbeit, grenzt seine Terminilogie jedoch von der Hegels ab, indem er dieses epische Element nicht „Entfremdung“, sondern „Verfremdung“ nennt. Diese Abweichung ist auf Brechts „Ästhetik eines kritischen Realismus“[21] zurückzuführen. Diese Ästhetik soll mit „bewusst demonstrierten künstlerischen Mitteln“[22] die Folgen einer kapitalistischen Gesellschaft für den Menschen entlarven und auf die Veränderlichkeit aufmerksam machen. Karl Marx versteht unter dem Begriff der „Entfremdung“ die
Fremdbestimmung des Menschen durch Unterdrückung und Ausbeutung sowie die internalisierten gesellschaftlichen Zwänge, die menschliches Selbstbewusstsein verhindern.[23]
Marx begründet Entfremdung somit auf gesellschaftlicher Ebene. Der Mensch nimmt die gesellschaftliche Situation bewusstlos hin und durchschaut diese dabei nicht. Er empfindet die bestehende Welt als selbstverständlich und sieht so keinen Grund zur Änderung der Verhältnisse.
Diese Ableitung macht deutlich, dass die Verfremdung nicht gleichzusetzen ist mit Entfremdung.
Die gesellschaftlichen Verhältnisse, die durch Entfremdung gekennzeichnet sind, werden erst durch die Verfremdung auf dem Theater erkennbar und damit änderbar.[24]
Aufgabe der Verfremdung ist es also, „dem Vorgang oder dem Charakter das Selbstverständliche, Einleuchtende, Bekannte zu nehmen und über ihn Staunen und Neugier zu erzeugen“.[25] Dies wird mit Hilfe verschiedener sprachlicher Mittel und Techniken erlangt, welche Brecht als „V-Effekte“ bezeichnete.[26]
Im Zentrum dieser Effekte steht die „Überführung in die 3. Person“.[27] Der Schauspieler darf sich nicht mit seiner Rolle identifizieren, sich nicht in die gespielte Person einfühlen, sondern während der Darstellung der Figur zugleich „kritisieren und kommentieren“[28]. Der Zuschauer erkennt den Protagonisten somit nicht als Identifikationsfigur und wird nicht von ihm beeinflusst, sondern hat die Möglichkeit, dessen Handlung kritisch zu betrachten. Die „Desillusionierung“[29] stellt einen weiteren V-Effekt dar. Während musikalischer Einspielungen oder während eines Songs wird die Handlung durch einen Lichtwechsel unterbrochen und der Schauspieler nimmt eine neue Haltung ein. Oftmals werden die Zuschauer an den Umbauarbeiten auf der Bühne beteiligt, da diese nur teilweise im Verborgenen stattfinden. Durch diese „Niederlegung der 4. Wand“[30] wird dem Publikum der künstlerische Charakter des Theaters vor Augen geführt. Das Durchbrechen der „4. Wand“ wird auch dann deutlich, wenn der Darsteller sich während der Handlung direkt an das Publikum wendet und so aus seiner Rolle heraustritt. Durch Ansprachen des Darstellers wird der Zuschauer ebenfalls schon während der Handlung zu einer kritischen Haltung dem Geschehen gegenüber bewegt.
Unter V-Effekte fallen außerdem noch die Montagetechnik, unter der man eine Aneinanderreihung einzelner Bilder und Szenen versteht, der Erzähler, welcher in die Situation der nächsten Szene einführt, sofern dies die Darsteller nicht selbst übernehmen und vor allem die Songs und der Chor, welche die dargestellte Handlung, oft sehr ironisch, kommentieren und in einen anderen Blickwinkel rücken. Auch die unauffälligen Kostüme und das abstrakte, meist nur angedeutete Bühnenbild lenken nicht von dem eigentlichen Geschehen ab.
Alle Mittel dienen dazu, die Zuschauer in eine entspannte, beobachtende und damit kritische Haltung zu versetzen, die es ihnen ermöglicht, die künstliche und kunstvolle Demonstration auf der Bühne mit ihren realen Erfahrungen zu vergleichen und aus dem Vergleich möglicherweise Konsequenzen für ihr gesellschaftliches Verhalten zu ziehen.[31]
Die wichtigste formale Auswirkung der Verfremdung ist jedoch das „Historisieren“.[32] Hierbei wird die Figur in ihrer Rolle buchstäblich ins Lächerliche gezogen. Das Gegenwärtige wird als bereits vergangen dargestellt, so dass die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse als längst überholt erkannt werden. „Die Kritik erfolgt jeweils vom Standpunkt der nächstfolgenden Epoche aus.“[33] Die Figuren nehmen in dem Theaterstück die gesellschaftlichen Verhältnisse ernst und handeln dem System entsprechend. Dieses Rollenverhalten wird jedoch sehr komisch vorgeführt, so dass dem Zuschauer die Verhältnisse in „ihrer Hohlheit und inhumanen Anmaßung“[34] entlarvt werden. Die dabei entstehende Distanz zu dem eigentlich aktuellen Gesellschaftssystem soll einerseits seine Vergänglichkeit darstellen, andererseits zur Reflexion und möglichen Veränderungen anregen.
Der Verfremdungseffekt als Mittel von Brechts epischen Theater darf nie losgelöst von der gesellschaftlichen und sozialen Funktion gesehen werden. Die Bühne wird mit Hilfe des V- Effekts zu einem Wirklichkeitsmodell, an welchem die Gesetze studiert werden können. Dem Zuschauer wird eine kritische Haltung vermittelt, welche auf die vertraute Wirklichkeit aufmerksam macht. Er erhält eine Hilfestellung, die Erfahrungen der Figuren auf der Bühne mit der modellhaften Wirklichkeit in Erkenntnisse umzusetzen und diese auf die eigene soziale Wirklichkeit zu übertragen.
[...]
[1] Brecht, Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, S.81.
[2] Lessing, Hamburgische Dramaturgie. S.420.
[3] Payrhuber,Literaturwissen. S.25.
[4] Knopf, Bertolt Brecht, S.77.
[5] Payrhuber, Literaturwissen, S.26.
[6] Brecht, Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, S.81.
[7] Brecht, Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, S.88.
[8] Knopf, Bertolt Brecht, S.78.
[9] Vgl. Brecht, Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, S.89.
[10] Knopf, Bertolt Brecht, S.78.
[11] Allemann, Literatur und Reflexion, S.53.
[12] Ebd. S.54.
[13] Payrhuber, Literaturwissen, S.26.
[14] Vgl. Knopf, Bertolt Brecht, S.79.
[15] Vgl. ebd.
[16] Vgl. Knopf, Jan, Bertolt Brecht, S.83.
[17] Ebd.
[18] Payrhuber, Literaturwissen, S.28.
[19] Knopf, Bertolt Brecht, S.80.
[20] Ebd.
[21] Ebd. S.81.
[22] Marx,Karl zitiert von Jan Knopf in: Bertolt Brecht, S.80.
[23] Ebd.
[24] Fischer, Deutsche Sprache und Literatur, S.260.
[25] Brecht, Gesammelte Werke in 20 Bänden, S.301.
[26] Brecht, Bertolt in: Knopf, Bertolt Brecht, S.81.
[27] Ebd.
[28] Ebd.
[29] Ebd.
[30] Ebd.
[31] Ebd.
[32] Payrhuber, Literaturwissen, S.29.
[33] Knopf, Bertolt Brecht, S.82.
[34] Ebd.
- Arbeit zitieren
- Simone Möhlmann (Autor:in), 2008, Die Wirkung des epischen Theaters von Bertolt Brecht auf das Publikum. , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139360
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