Erkläung zur Disskusion des Essaythemas im Seminar
Die Diskussion meines Essaykonzeptes im Seminar, hat mein Essaykonzept an vielen Stellen
beeinflusst. Mein ursprüngliches Essaythema bezog sich auf Mead und ich wollte untersuchen,
ob die Geheimen Orte der Kindheit hilfreich für den Identitätsaufbau sind. Dabei differenzierte
ich innerhalb der Geheimen Orte zwischen Fantasiewelten, Geheimnissen und imaginären
Freunden. Ich wollte darauf hinaus, dass der Identitätsaufbau nur in Interaktion vollzogen
wird. In der Diskussion wurde mir klar, dass eine Interaktion zwischen realen Menschen nicht
gleich zu setzen ist mit einer Interaktion mit imaginären Freunden. Deshalb kam ich zu dem
Schluss, dass diese Interaktion nicht zum Identitätsaufbau beiträgt. Weiterhin diskutierten wir
im Anschluss an die Sitzung, ob es geeignet ist, die drei Konzepte Fantasiewelten,
Geheimnisse und imaginäre Freunde in einem Essay zu behandeln. Auf Grund dessen, habe
ich mich entschlossen, nur die Fantasiewelten als Gegenstand meines Essays zu nehmen, da
diese weit mehr Anknüpfungspunkte für eine Untersuchung im Hinblick auf Identität
beherbergt als die anderen Konzepte.
In der Diskussion wurde die Frage laut, ob Kinder nicht, um sich eine Fantasiewelt vorstellen
zu können, schon eine Art Identität haben müssten. Diese Frage fand ich auch sehr spannend.
Deshalb habe ich meine Essayfragestellung noch einmal überarbeitet und bin zu dem Schluss
gekommen, dass es interessanter ist, den Zusammenhang zwischen Identität und
Fantasiewelten in beiden Richtungen zu beleuchten.
Ein Seminarteilnehmer merkte außerdem an, dass Mead Sozialpsychologe war und kein
eigentlicher Soziologe. Das war mir schon vorher klar, doch durch diesen Gedanken, wurde
mir klar, dass es zu einseitig wäre, die Meadsche Handlungstheorie im Allgemeinen und im
Besonderen den Identitätsaufbau nach Mead, unkritisch als Voraussetzung zu nehmen.
Deshalb weise ich in meiner Zusammenfassung darauf hin, dass es wichtig wäre, den Ansatz
von Mead durch Befragungen und Experimente zu überprüfen. Gleichzeitig zeige ich
Schwierigkeiten dieses Unterfangens auf.[...]
Inhaltsverzeichnis
l. Einleitung
2. Mead und der Identitätsaufbau
3. Was war zuerst da: die Identität oder die Fantasie?
3.l. Imaginieren einer Fantasiewelt als Voraussetzung für den Identitätsaufbau
3.2. Identitätsaufbau als Voraussetzung für das Imaginieren einer Fantasiewelt
3.3. Das lebenslange Träumen und Fantasieren
4. Zusammenfassung
1. Einleitung
Kinder imaginieren sich ihre eigenen kleinen Welten. Dabei lassen sie ihrer Fantasie freien Lauf. Sie bekommen den Input aus ihrer Lebensumgebung und aus den Medien. Doch sie übernehmen keineswegs die erfahrenen Elemente eins zu eins in ihre Fantasiewelt, sondern nur Teile und "basteln" sich ihre eigene virtuelle Realität. Diese Fantasiewelten werden Geheime Orte der Kindheit genannt. Die Fantasiewelten von Kindern können ganz verschieden aussehen. Viele Kinder imaginieren sich eine virtuelle Welt der Harmonie, in der es keine Konflikte oder ernsthafte Gefahren gibt. Andere widerum träumen von einer Welt des Konfliktes, in dem es gilt, sich großen Herausforderungen, Kämpfen und gefährlichen Situationen zu stellen.[1]
Wenn Fantasiewelten ein wesentlicher Bestandteil der Kindheit sind, und das suggeriert die Darstellung von Amy Aidman[2], dann muss gefragt werden, ob das Imaginieren einer Fantasiewelt mit dem Identitätsaufbau zusammenhängt, und wenn ja, wie dieser Zusammenhang aussieht. Im Folgenden wird der Identitätsbegriff und der Identitätsaufbau nach Mead als Grundlage der Überlegungen vorgestellt. Anschließend wird der Frage nachgegangen, ob durch das Imaginieren einer Fantasiewelt Identität aufgebaut wird, oder ob eine Identität die Grundlage für das Imaginieren einer Fantasiewelt ist.
2. Mead und der Identitätsaufbau
Nach Mead ist die Identität das "Self", eine Instanz des Bewusstseins die keineswegs konstant ist, sondern sich im Laufe des Lebens verändern kann. "Identität entwickelt sich; sie ist bei der Geburt anfänglich nicht vorhanden, entsteht aber innerhalb des gesellschaftlichen Erfahrungs- und Tätigkeitsprozesses, das heißt im jeweiligen Individuum als Ergebnis seiner Beziehungen zu diesem Prozess als Ganzem und zu anderen Individuen innerhalb dieses Prozesses."[3] Der gesellschaftliche Erfahrungs- und Tätgikeitsprozess läuft nach Mead ein Leben lang ab. Er "selbst ist für das Auftreten der Identität verantwortlich; als Identität ist sie außerhalb dieser Erfahrung nicht vorhanden."[4] Das heißt Mead geht davon aus, dass eine Identität ohne gesellschaftliche Prozesse, also ohne Ineraktion, nicht aufgebaut werden kann. Um den Identitätsaufbau zu beschreiben führt Mead die Begriffe "I" und "Me" ein. Das "I" sind die Persönlichkeitsanteile des Individuums. Damit verbindet Mead nicht nur das Prinzip von Kreativität und Spontanität, sondern auch die Triebausstattung des Menschen. Er assoziiert mit dem Wort Trieb aber keinen Naturzwang, sondern einen konstitutionellen Antriebsüberschuss, wie es schon Arnold Gehlen sagte, der auf Befriedigung ausgerichtet ist, sich aber darüber hinaus in Phantasien Raum schafft.[5] Das "Me" ist die Bewertungsinstanz für das "I", denn es bewertet und strukturiert "die spontanen Impulse und Elemente eines entstehenden Selbstbildes."[6] ""Me" bezeichnet meine Vorstellung von dem Bild, das der andere von mir hat, bzw. auf primitiverer Stufe meine Verinnerlichung seiner Erwartungen an mich."[7] Sozusagen entsteht das "Me" aus einer Folge von Reflexionen. Da die Interaktionspartner wechseln können, müssten immer wieder neue "Me's" entstehen. Damit der Mensch konsistent handlungsfähig ist, muss er aber eine Persönlichkeit haben und nicht mehrere. Um das zu erreichen, ist es notwendig, dass die verschiedenen "Me's" zu einem einheitlichen Selbstbild zusammengefügt werden. Mead nennt es das "Self", eine "Ich-Identität als einheitliche und doch auf die Verständigung mit stufenweise immer mehr Partnern hin offene und flexible Selbstbewertung und Handlungsorientierung".[8] Das heißt, Mead sieht die Identität als veränderbar an.
Doch wie funktioniert der Aufbau des "Self" genau? Das lässt sich durch eine Interaktionssituation erklären. Ein Individuum spricht mit einem Anderen. Die Sprache spielt bei Mead eine große Rolle, denn sie besteht aus Signifikanten Symbolen, deren Bedeutung von beiden Interaktionspartnern verstanden wird. Da nun die erste Person weiß, wie der Andere seine Worte begreift, kann sie sich in den Anderen hineinversetzen und verstehen warum der Andere eine bestimmte Antwort auf seine Aussage gegeben hat. Damit hat die erste Person das Antwortverhalten der zweiten Person antizipiert. Ein Individuum hat die Möglichkeit, sich in den Anderen zu versetzen und sich selbst aus den Augen des Anderen zu sehen. Mead nennt das "taking the role of the other", also Rollenübernahme. Das ist die Fähigkeit sich vom Standpunkt eines Anderen aus zu denken und sich an dessen Stelle zu versetzen. Damit ist nicht nur ein aufeinander ausgerichtetes Handeln möglich, sondern auch der Identitätsaufbau. Durch die Antizipation des Verhalten des Anderen, werden immer auch Vorstellungen des Anderen im "Me" verinnerlicht. Mit jeder neuen Kommunikationssituation verändert sich das "Me" und durch die Synthese zum einheitlichen Selbstbild auch das "Self". Somit ist das Wichtigste zum Identitätsaufbau nach Mead die Interaktion zwischen Individuen und damit die Antizipation des Verhalten des Anderen.
3. Was war zuerst da: die Identität oder die Fantasie?
Um der Frage nach dem Zusammenhang zwischen Identität und Imaginieren einer Fantasiewelt nach zu gehen, ist es notwendig die Richtung des Zusammenhanges zu bestimmen. Zum einen soll betrachtet werden, ob das Imaginieren einer Fantasiewelt die Vorraussetzung für den Identitätsaufbau ist, und ob die Fantasiewelten der Kinder für den Identitätsaufbau hilfreich sind. Auf der anderen Seite soll betrachtet werden, ob der Zusammenhang vielleicht genau umgekehrt ist und die Identität Vorraussetzung für das Imaginieren einer Fantasiewelt ist.
3.1. Imaginieren einer Fantasiewelt als Voraussetzung für den Identitätsaufbau
Wenn sich Kinder in Tagträumen Fantasiewelten ausdenken, dann übernehmen sie Elemente ihrer Lebensumgebung, das heißt von ihren Bezugspersonen und den Medien. Diese Element basteln sie zu einer eigenen Welt zusammen.[9] Gemeint ist hier, dass Kinder die Personen in ihrer Lebensumgebung beobachten und sich von ihnen Charaktereigenschaften, Werte und Normen, äußerliche Merkmale usw. merken und diese beim Träumen in die Fantasiewelt imaginieren und in neuen Kombinationen auftreten lassen. So spiegeln die Fantasiewelten vor allem die Werte und Normen wider, die in der unmittelbaren Lebensumgebung des Kindes anerkannt sind.
Um zu erfassen, ob das Imaginieren einer Fantasiewelt zum Identitäsaufbau nützlich ist, ist eine Unterscheidung notwendig. Die Rolle der Kinder in Bezug zu ihren Fantasiewelten ist nämlich verschieden. Manch Kinder identifizieren sich mit einer Figur in ihrer Fantasiewelt, andere nicht. So muss man unterscheiden, ob das Kind aktiv Handelnder in Gestalt einer Figur der Fantasiewelt ist, oder ob es nur stiller Beobachter ist.
Angenommen das Kind identifiziert sich mit einer Figur in seiner Welt und stellt sich vor, es handele als diese Figur, dann übernimmt es die Rolle der Fantasiefigur. Treten der Figur des Kindes in der Fantasiewelt Andere gegenüber, sei es Mensch, Tier oder übernatürliches Wesen, so interagiert die Figur des Kindes mit den Anderen. In der Interaktion muss die Figur das Verhalten der Anderen antizipieren, das heißt sie versetzt sich in die Rolle des Anderen und verinnerlicht seine Vorstellungen von ihr selbst. Diese Antizipation verändert das Selbstbild der Figur und lässt damit ihre Identität entstehen. Da das Kind sich mit der Figur identifiziert und somit die Eigenschaften und die Rolle der Figur mit seiner eigenen gleich setzt, kann man sagen, die Identität des Kindes entsteht dabei auch. Wenn das Kind also aktiv eine Rolle in der Fantasiewelt übernimmt, dann hilft die Fantasiewelt zum Identitätsaufbau, ohne das reelle Interaktionspartner notwendig sind.
Ist das Kind jedoch nur Beobachter seiner Fantasiewelt, dann hat es eine distanzierte Perspektive auf die Geschehnisse. Es indentifiziert sich nicht mit einer Person seiner Fantasiewelt und muss deshalb nicht fiktiv mit den anderen Figuren interagieren. Da es in keine aktive Interaktionssituation eintritt, braucht es das Verhalten der Anderen nicht zu antizipieren. Nach Mead ist die Interaktion bzw. die Antizipation fremden Verhaltens eine Vorraussetzung für den Identitätsaufbau. Fantasiewelten, in denen das Kind sich mit keiner Figur identifiziert, wären nach Mead also nicht hilfreich, um eine Identität aufzubauen.
Die oben genannte Schlussfolgerung, dass die Fantasiewelt nicht hilfreich zum Identitätsaufbau ist, wenn das Kind nur eine Beobachterrolle einnimmt, gilt nicht unter jeden Umständen. In der Studie von Amy Aidman[10] wurden Kinder gebeten ihre Welten zu malen und anschließend einem Interviewer zu beschreiben. Durch das Gespräch über die Fantasiewelt, entsteht wieder eine Interaktion. Diese muss nicht zwangsläufig mit einem Interviewer geschehen, sondern kann auch mit Freunden oder anderen Menschen passieren. In diesem Gespräch über die geheime Welt liegt der Schlüssel zum Identitätsaufbau. Ob das Kind Beobachter seiner Welt ist oder aktiv handelt, ist hierbei nicht relevant. Kommt es zu einem beschreibenden Gespräch über die Fantasiewelt, erfährt das Kind Reaktionen der Gesprachspartner auf seine Fantasiewelt.
[...]
[1] vgl. Tabelle l-3: Kategorien der Fantasiewelten von Kindern, in: Aidman, Amy. Die großen Tagträume der heutigen Kinder. in: Götz, Maya (Hrsg). Mit Pokémon in Harry Potters Welt. Medien in den Fantasien von Kindern.
[2] vgl. Aidman, Amy. Die großen Tagträume der heutigen Kinder. in: Götz, Maya (Hrsg). Mit Pokémon in Harry Potters Welt. Medien in den Fantasien von Kindern.
[3] Mead, Georg Herbert. Geist, Identität und Gesellschaft. S. l77
[4] Mead, Georg Herbert. Geist, Identität und Gesellschaft. S. l85
[5] vgl. Joas, Hans. George Herbert Mead. in: Kaesler, Dirk. Klassiker der Soziologie.
[6] Joas, Hans. George Herbert Mead. in: Kaesler, Dirk. Klassiker der Soziologie. S.l77
[7] ebd.
[8] Joas, Hans. George Herbert Mead. in: Kaesler, Dirk. Klassiker der Soziologie. S.l78
[9] vgl. Götz, Maya, Dafna Lemish. Medienspuren in den Fantasien der Kinder. in: Götz, Maya (Hrsg). Mit Pokémon in Harry Potters Welt. Medien in den Fantasien von Kindern.
[10] vgl. Aidman, Amy. Die grofien Tagtraume der heutigen Kinder. in: Gotz, Maya (Hrsg). Mit Pokemon in Harry Potters Welt. Medien in den Fantasien von Kindern.
- Arbeit zitieren
- Stefanie Ender (Autor:in), 2009, Fantasiewelten und Identität, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139153
-
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen.