Abstract. Minderheitsregierungen können entgegen traditionellen Annahmen durchaus effektive Regierungsleistungen vorweisen. Die Effektivität hängt dabei vor allem von der Opposition ab, die die Parlamentsmehrheit auf sich vereint. Institutionelle Faktoren spielen hier lediglich eine untergeordnete Rolle. Es besteht demnach ein positiver Zusammenhang zwischen den Einflussmöglichkeiten der Opposition und der Effektivität von Minderheitsregierungen. Weitere Faktoren, die diesen Zusammenhang unterstützen, finden sich im Wesen der Policy-seeking Parteien, der Mehrheitsbeschaffung im Parlament, sowie der außerordentlichen Rolle von Medianparteien.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Zustandekommen von Minderheitsregierungen
2.1 Wahlsystem
2.2 Investiture Vote
3. Indikatoren für Effektivität
3.1 Stabilität
3.2 Erfolgreiche Wirtschaftspolitik
4. erklärende Faktoren
4.1 allgemeine Erklärungsansätze
4.1.1 Policy-Seeking Parteien
4.1.2 Einflussmöglichkeit der Opposition
4.1.3 Einschluss von Medianparteien
4.2 landesspezifische Besonderheiten
4.2.1 Blockpolitik
4.2.2 Institutionelle Anreize
5. Fazit
6. Anhang
7. Literaturverzeichnis
Abstract. Minderheitsregierungen können entgegen traditionellen Annahmen durchaus effektive Regierungsleistungen vorweisen. Die Effektivität hängt dabei vor allem von der Opposition ab, die die Parlamentsmehrheit auf sich vereint. Institutionelle Faktoren spielen hier lediglich eine untergeordnete Rolle. Es besteht demnach ein positiver Zusammenhang zwischen den Einflussmöglichkeiten der Opposition und der Effektivität von Minderheitsregierungen. Weitere Faktoren, die diesen Zusammenhang unterstützen, finden sich im Wesen der Policy-seeking Parteien, der Mehrheitsbeschaffung im Parlament, sowie der außerordentlichen Rolle von Medianparteien.
1. Einleitung
Minderheiten spielen in parlamentarischen Demokratien eine ebenso große Rolle wie auch Mehrheiten. Auf Mehrheiten basiert eine effektive und effiziente Regierungsführung. Sie wird benötigt, um alle wichtigen Entscheidungen im Parlament zu bestätigen. Sogar spezielle Mehrheiten, wie etwa die qualifizierte Mehrheit, werden in Fällen grundlegender Entscheidungen, wie beispielsweise bei Verfassungsänderungen, benötigt. Der Schutz und die Einbeziehung von Minderheiten sind aber selbst in diesen Mehrheit benötigenden Situationen in Demokratien stets gewünscht. Minderheitsregierungen verknüpfen zwei Aspekte: Sie repräsentieren eine Bevölkerungsminderheit und setzen ihre Policy mit Hilfe parlamentarischer Mehrheiten um. Von der Beschaffung parlamentarischer Mehrheiten hängt demnach der Erfolg von Minderheitsregierungen ab. Hier kommt den Oppositionsparteien besondere Bedeutung zu. Von deren Beitrag hängen das Überleben und die Leistung von Minderheitsregierungen ab. Sowohl bei ihrer Bildung sind diese von den oppositionellen Parteien abhängig, als auch bei den laufenden Regierungsarbeiten während der Legislaturperiode. Auf diese beiden Prozesse fokussiert sich deshalb diese Arbeit. Sie findet zunächst Antworten auf die Frage unter welchen Voraussetzungen Minderheitsregierungen zu Stande kommen, sucht anschließend nach passenden Indikatoren für Effektivität und untersucht weiterführend unter welchen Bedingungen Minderheitsregierungen effektiv regieren können. Bei der Regierungsbildung liegt die Voraussetzung für Minderheitsregierung in der Anwendung eines proportionalen Wahlsystems und der institutionellen Regelung der negativen Amtseinhebung. Um während der Regierungszeit effektiv handeln zu können, bedarf es der Organisation von parlamentarischen Mehrheiten. Dies gestaltet sich einfacher, wenn die Regierungspartei bzw. Regierungskoalition eine Medianpartei darstellt und Blockpolitik Anwendung findet. Weiterhin sind auch hier institutionelle Anreize für das Tolerieren der Regierung von Bedeutung, wie ebenso die Auslagerung parlamentarischer Arbeit in Komitees und Policy-seeking Oppositionsparteien, die in der Rolle der Opposition großen Einfluss nehmen können.
2. Zustandekommen von Minderheitsregierungen
In parlamentarischen Demokratien resultiert die Regierung nicht etwa direkt aus dem Wahlgang des Volkes. Die Regierungsbildung ist ein Prozess, der innerhalb des Parlaments stattfindet. Die Parteien stellen deshalb die Akteure dar. Allerdings handeln auch sie nur innerhalb der gegebenen Rahmenbedingungen: dem Parteiensystem, das aus dem Wahlsystem resultiert, und dem Investiture Vote.
2.1 Wahlsystem
Innerhalb parlamentarischer Systeme ist eine Variation des Vorkommens von Minderheitsregierungen feststellbar (siehe Tabelle 1). Der Ursprung ist unverkennbar die Anwendung eines proportionalen Wahlsystems, das folglich dazu tendiert, zu einem Mehrparteiensystem zu führen (Duverger 1954, 217). Hier stellt es sich sehr schwierig dar, eine Einparteienregierung mit absoluter Mehrheit zu stellen, da es meist keine Partei gibt, die diese Mehrheit an Sitzen auf sich vereinen kann. Alternativ bieten sich Koalitionsregierungen an, wie es beispielsweise in der Bundesrepublik Deutschland oder Finnland der Fall ist, oder eben Minderheitsregierungen, wie es meist in den skandinavischen Ländern vorkommt. Zwar ist auch ein Zweiparteiensystem als Folge eines proportionalen Wahlsystems in sehr homogenen Gesellschaften möglich, ein Mehrparteiensystem resultierend aus einem Mehrheitswahlsystem jedoch selten (Gallagher et al. 2006, 367).
Demnach kann eine heterogene Gesellschaft, die die Parlamentsmitglieder mit Hilfe einer proportionalen Wahlformel ins Amt wählt, als Grundvoraussetzungen für das Vorkommen von Minderheitsregierungen betrachtet werden. Allerdings treten nicht zwingend in jedem politischen System, das ein proportionales Wahlsystem nutzt und zudem noch eine heterogene Gesellschaft aufweist, Minderheitsregierungen auf. Oft wird das Mehrheitsproblem durch Koalitionsregierungen gelöst. Folglich muss ein weiterer institutioneller Faktor von Bedeutung sein.
2.2 Investiture Vote
Wie bereits der Aufbau von Tabelle 1 erkennen lässt, stellt der negative Parlamentarismus einen weiteren Erklärungsfaktor für das Aufkommen von Minderheitsregierungen dar. Während in Systemen mit positiven Parlamentarismus die Regierung durch eine Wahl des Parlaments ins Amt gehoben werden muss, muss in Systemen mit negativer Amtseinhebung die Regierung nicht explizit durch das Parlament ratifiziert werden und demzufolge lediglich vom Parlament toleriert werden (Bergman 1993, 56 ff.). Der positive Einfluss zur Bildung von Minderheitsregierungen lässt sich besonders deutlich an dem Anteil der Minderheitsregierungen, die 40 % oder weniger der Parlamentssitze auf sich vereinen, erkennen. Kommen in Systemen mit positiver Amtseinhebung solche Regierungen kaum oder gar nicht zu Stande, sind sie in Ländern mit negativem Parlamentarismus nicht selten. Eine Ausnahme stellt hier lediglich Großbritannien dar, das allerdings ein nicht proportionales Wahlsystem anwendet. Der Effekt dieses Wahlsystems wurde bereits erläutert.
Da allerdings auch innerhalb der Fälle, die Minderheitsregierungen mit 40 % oder weniger der auf sich vereinten Sitze im Parlament aufweisen, eine gewisse Häufigkeitsvariation erkennbar ist, benötigt es weitere Erklärungsansätze. Die vergleichsweise niedrige Anzahl dieser Minderheitsregierungen in Norwegen lassen sich beispielsweise durch den konstitutionellen Anreiz, die Notwendigkeit einer 1/3-Mehrheit zur Verzögerung eines Gesetzesentwurfs, erklären (Bergmann 1993, 62). Weitere Voraussetzungen für die Bildung von Minderheitsregierungen nach Strom (1986, 583) stellen des Weiteren stark organisierte und zukunftsorientierte Parteien, eine dezentralisierte und relativ unhierarchische Legislative und kompetetive Wahlen dar.
Tabelle 1, die auf Daten von Gallagher et al. (2006, 344f.) und Bergman (1993, 59) basiert, zeigt in der Spalte, die die Minderheitsregierungen in Prozent angibt, allerdings auch, dass ein Vorkommen von Minderheitsregierungen in Ländern mit positivem Parlamentarismus nicht ausgeschlossen werden kann. Besonders in Spanien, Irland und Italien, wo der Anteil von Minderheitsregierungen bei mehr als 40 % liegt, bedarf es einer Erklärung. In Irland und Italien wird für die Regierungsbildung lediglich die relative Mehrheit der Parlamentsmitglieder benötigt, was unter Umständen auch dazu führen kann, dass die Regierung von weniger als 50 % der Parlamentsmitglieder unterstützt wird. In Spanien wird zwar im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit benötigt, da diese auf Grund der in Anlehnung an die Bevölkerung sehr heterogenen Zusammensetzung des Parlaments oft nicht erreicht wird, wird im zweiten Wahlgang lediglich die relative Mehrheit benötigt (Bergman 1993, 56f.). Spanien stellt mit seinen nach Autonomität strebenden Minderheiten eine heterogene Gesellschaft dar (Bickerton/Gagnon 2008, 375). In diesem Fall wird der Einfluss der heterogenen Gesellschaft, der bereits bei Erläuterung des Verhältniswahlrechts angesprochen wurde, deutlich.
Schließlich kann das Zustandekommen von Minderheitsregierungen unter Voraussetzung der Anwendung des Verhältniswahlsystems vor allem durch die Abwesenheit einer Amtseinhebungswahl der Regierung erklärt werden. Allerdings können auch in Systemen, die das Investiture Vote in Form einer relativen Mehrheit anwenden, Minderheitsregierungen auftreten. Unabhängig vom jeweiligen Ursprung der Minderheitsregierungen, kämpfen sie doch alle mit dem gleichen Problem: Als Parlamentsminderheit gestaltet es sich schwierig, eigene Policies durchzusetzen und somit effektiv zu regieren.
3. Indikatoren für Effektivität
Da es sich bei Effektivität um einen abstrakten Begriff handelt, gestaltet sich seine empirische Messung schwierig. Gemäß Eichhorn (2005, 162) bezeichnet man Effektivität nicht etwa als „…Handlungsweise bzw. die Leistungsfähigkeit des Mitteleinsatzes“, der Begriff zielt vielmehr auf die Zielerreichung ab, also den Output und den Outcome. Der Input wird dabei vollkommen außer Acht gelassen. Nun sind vermutlich die Ziele von jeder Regierung, sowohl möglichst lange im Amt zu bleiben, als auch während dieser Amtszeit zufrieden stellende Umstände im jeweiligen Land herzustellen oder beizubehalten. Messen lässt sich demnach Effektivität am einfachsten durch die Dauer, also die Stabilität, von Regierungen und der Verbesserung bzw. Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage des Landes.
3.1 Stabilität
Vor dem Hintergrund des Mehrheitsproblems lässt sich vermuten, dass Regierungen, die über eine Mehrheit im Parlament verfügen, stabilere Regierungen sind, als Regierungen, die über diese Mehrheit nicht verfügen. Tabelle 2, die an die Fälle von Tabelle 1 angelehnt ist und auf Daten von Müller (2008, 206) basiert, weist allerdings keine eindeutige Evidenz für dauerhaftere Mehrheitsregierungen und instabilere Minderheitsregierungen auf. Zwar sind alle Mehrheitsregierungen, mit Ausnahme Schwedens, solider als die entsprechenden Minderheitsregierungen, in vielen Fällen ist die Range allerdings nicht sehr groß. Sie variiert zwischen Mehrheitsregierungen, die im Vergleich zu Minderheitsregierungen 27 Monate länger halten (Deutschland), Fällen, in denen Mehrheitsregierungen nur 3,5 Monate länger halten (Dänemark) und Fällen wie Schweden, wo Minderheitsregierungen stabiler sind, also annähernd um 10 Monate stabiler regieren. Es können damit Minderheitsregierungen existieren, die ähnlich stabil sind wie Mehrheitsregierungen und sogar Minderheitsregierungen, die beständiger sind als Mehrheitsregierungen.
Effektives Regieren ist in Minderheitsregierungen durchaus möglich, wie der Indikator Stabilität dokumentiert. Allerdings ist es bisher nur einer der beiden Indikatoren, der darauf verweist. Dieses Ergebnis wird nun mit der Einführung des zweiten Indikators erfolgreiche Wirtschaftspolitik gestärkt. Zusätzlich lässt sich seiner Hilfe überprüfen, ob Stabilität auch ein valides Messinstrument für effektives Regieren ist.
3.2 Erfolgreiche Wirtschaftspolitik
Der Erfolg der Wirtschaftspolitik lässt sich nicht am Outcome messen, da die wirtschaftliche Lage eines Landes von sehr viel mehr Faktoren mit beeinflusst wird als nur der Policy. Unter der Annahme, dass gute Policies von einer breiten Blockmehrheit im Parlament, die über die Parteigrenze hinausgeht, unterstützt wird, steht hier eine Aufstellung von Green-Pedersen und Thomson (2005, 160) zur Verfügung. In ihrer Arbeit nutzen Green-Pedersen und Thomson diese Daten zur Untersuchung von Blockpolitik[1] in Dänemark. In meinem Kontext fungieren die Daten (Tabelle 3) zur Untersuchung der Effektivität von Minderheitsregierungen unter oben genannter Annahme. Zusätzlich lässt sich bei Betrachtung der Regierungsdauer auf die Validität des ersten Messinstruments schließen. Sollten die länger andauernden Regierungen auch die Regierungen sein, unter denen der Anteil an von Blockpolitik verabschiedeten Gesetzesentwürfen besonders hoch ist, dann kann darauf geschlossen werden, dass die Stabilität auch tatsächlich einen Indikator für Effektivität darstellt.
Bei Betrachtung der Dauer der Legislaturperiode (Tabelle 3) und dem prozentualen Anteil der durch Blockpolitik verabschiedeten Gesetzesentwürfe die Wirtschaftspolitik betreffend wird ein positiver Zusammenhang deutlich.
[...]
[1] „Blockpolitik bedeutet, dass sich die Regierung auf die Mehrheit stützt, die sie im Amt hält. Und das ist die Mehrheit, die keine andere Regierung präferiert. Die meiste Zeit beinhaltet die Mehrheit eine oder mehrere kleine Medianparteien.“ (Green-Pedersen/Thomson 2005, 157, meine Übersetzung)
- Arbeit zitieren
- Sarah Odrakiewicz (Autor:in), 2009, Minderheitsregierungen im Amt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/139059
-
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen.