Otto Bauer, der prägende Mann des Austromarxismus in der ersten Republik und Bruno Kreisky, der Jung-Sozialist der 1930-er Jahre und die prägende Gestalt der Sozialdemokratie der 2. Republik haben sich nur einmal getroffen, geistig und ideologisch wurde Kreisky durch Bauer geformt. Dies zeigt sich auch in vielen Reden
Bruno Kreisky, in denen er sich immer wieder auf Otto Bauer beruft, wie zum Beispiel am 11. Juni 1970 beim Parteitag der Sozialistischen Partei Österreichs, wie sie
damals noch hieß. Dort verwert sich Kreisky gegen die An- und Untergriffe der politischen Gegner, die die SPÖ mit dem Vorwurf des „Austromarxismus“ in die Nähe der kommunistischen Gesinnung rücken wollten. Gerade in heutigen Tagen einer gewissen Rehabilitierung der wirtschaftlichen Thesen von Karl Marx mag dies interessant klingen, hatte damals aber harten ideologischen Hintergrund. Kreisky argumentierte in der Rede, dass „der Austromarxismus nichts anderes war als der Versuch der sozialdemokratischen Interpretation der Lehren des Marxismus war“. Er führt dann Jean-Paul Sarte an, der „etwas länger gebraucht hat, aber ein Großer dieser Schule war“, und beruft sich dann explizit auf Otto Bauer und dessen Abgrenzung zum Bolschewismus: „Otto Bauer schreib schon 1920, dass die Herrschaftsorganisation der Sowjetbürokratie beginnt, sich vom proletarischen Mutterboden loszulösen, sich zu verselbstständigen. Sie droht zu einer selbstständigen, despotischen Macht zu werden, die über den Klassen zu stehen glaubt“. Und diese Abgrenzung zum Bolschewismus und Kommunismus russischer Prägung vereinten das Denken Bauers und Kreisky, wobei ersterer der Lehrmeister war. Wie noch gezeigt wird, war es ausschließlich die Stellung zu Deutschland, die einen geistigen Zwiespalt brachte.
INHALTSVERZEICHNIS
Prolog
1. Die Differenzierung zu Beginn der Geschichte des Landes
2. Konfliktakteure
2.1. „Belgisch-Kongo“ und die Gründe des Rwanda-Konflikts, seine Problematik, Machtbalance
2.2. Die staatlich verordnete Ethnisierung während der Kolonialzeit
3. Die Zeit der Unabhängigkeit oder Die Schlacht beginnt
4. Resümée
PROLOG
Als im Jahr 1994 erste Meldungen auch zu uns drangen, dass in einem Land namens Ruanda (oder Rwanda) schreckliche Greueltaten an der Tagesordnung waren, musste so mancher erst einmal einen Atlas benutzen, um zu wissen, wo dieses Land überhaupt lag. Sofern jemanden überhaupt daran interessiert war, wo sich wieder einmal „afrikanische Wilde“ die Schädel einschlugen. Erst Monate zuvor waren schon Nachrichten aus einem gewissen Burundi nach Europa gedrungen, ohne dass dies sichtlich jemand interessiert hätte. Immerhin wusste das zusehende und wenig beeindruckte Publikum jetzt, dass es so was wie Tutsis und Hutus gab, wofür die standen, tja, das blieb im Irrlicht der afrikanischen Weiten liegen. Vielleicht konnten noch einige deutsche Kolonialveteransabkömmlinge aus den Erzählungen ihrer Vorväter mit diesem Land etwas anfangen. Diese Geschichten endeten meist mit dem Prolog auf die edle deutsche Milde, die man diesen Völkern zukommen ließ. Vom Deutsche Edlen wissen afrikanische Historiker jedoch ebenso wenig, wie vom edlen und adligen Belgier, die ihre Kolonialvölker auf einem Bildungsniveau hielten, das dann nur noch mit menschlichen Vorfahren konkurrierte. Es vergingen Jahre nach 1994, ehe das ganze Ausmaß an Grauenhaftigkeit und Unvorstellbarkeit sichtbar wurde, was sich dort im unbekannten Rwanda abgespielt hat. Hollywood war es wieder einmal zu verdanken, dass man diese Zeit spielfilmartig umzusetzen vermochte. Hotel Ruanda beeindruckte Hunderttausende Kinovoyeure, vielleicht mehr wegen der Darsteller als wegen des Inhalts. Auch andere Filme folgten. Dann kamen die Berichte über die Prozesse und die Versuche der Verständigung. Aber auch die der noch immer aufflackernden Kämpfe, der riesigen Flüchtlingslager und auch der Konflikte rund um den sogenannten Afrikanischen Weltkrieg[1].
In dieser Arbeit möchte ich versuchen, die Geschichte der Hutus und Tutsis zu erzählen, weiters die Zeit während der Abhängigkeit vom belgischen Rabemutterland und dann den aktuellen Konflikt von 1994, der noch immer nicht abgeschlossen zu sein scheint.
1. Die Differenzierung zu Beginn der Geschichte des Landes
Zuerst entschlüsselten die Begriffe 'Hutu' und 'Tutsi' die regionale Herkunft: Im Südwesten nannten die Menschen, die nicht aus Rwanda stammten, alle Einwohner Rwandas 'Tutsi'.[2] Später brachte nicht die Abstammung, sondern vielmehr die Frage nach dem Reichtum und Status eines Einzelnen eine wesentliche Erkenntnis darüber, ob man Tutsi oder Hutu war. Ein bedeutsamer Indikator hierfür war die Größe des Viehbesitzes einer Person. Ein „Tutsi“ wurde erst als solcher identifiziert, wenn er eine gewisse Anzahl Vieh besaß, in ansonsten gehörte er zu der zahlenmäßig weit überlegenen Hutugruppe. Ein Hutu konnte also, nachdem er zu Reichtum gekommen war und sich davon Vieh kaufte, automatisch ein Tutsi werden. Weder seine eigene religiöse Überzeugung, noch irgendein traditionelles Ritual war bei dieser Bezeichnungsänderung ausschlaggebend; ganz im Gegenteil: Der Übergang von Hutu zu Tutsi (und umgekehrt) fand fließend statt. Gleiches galt bei Hochzeiten: Ein reicher Hutu durfte sich eine Tutsi zur Frau nehmen, was zur Folge hatte, dass von da an auch er zu der Volksgruppe Tutsi gehörte. Verarmte jedoch ein Tutsi, konnte ihm von seinen Angehörigen verwehrt werden, eine Tutsi zu heiraten. Er musste diesen sozialen Abstieg in Kauf nehmen und eine Hutu- Frau heiraten. Von nun an war auch er automatisch ein Hutu, was zeigt, dass die Bezeichnungen nicht absolut, nicht starr, sondern vielmehr fließend waren. Für den Vorgang des sozialen Auf- und Abstiegs gab es sogar Benennungen in der Sprache Kinyarwanda, was den Beweis mit sich bringt, dass dieses Phänomen keine Seltenheit war. Als sozialen Aufstieg benutzte man das Wort „icyhure“ und mit dem Begriff „umuwore“ kennzeichnete man den Abstieg von Tutsi zu Hutu.[3]
Diese Beispiele zeigen, dass die Rwander vor der Kolonialzeit nicht verschiedenen Ethnien angehörten, sondern vielmehr in soziale Kategorien eingeteilt werden konnten. Vielleicht trifft die Bezeichnung „soziale Klassen“ den Kern. Der eigene Erwerb des Einzelnen war ausschlaggebend für die individuelle Namensgebung 'Hutu’ oder 'Tutsi'. Da sich die ökonomischen Bedingungen stets verändern konnten, waren diese Bezeichnungen dynamisch veränderbar. Durch Fleiß, Heirat, Glück oder Arbeit konnte man in die jeweils andere Klasse auf- oder absteigen. Somit bestimmten diese Verhaltensweisen die Zugehörigkeit der Rwander.
Mit den Zentralisierungsprozessen des Königreiches Ruanda im 19. Jahrhundert wurden auch die Begriffe 'Hutu' und 'Tutsi' neu gebraucht. Da fast ausschließlich den Tutsi die Machtpositionen gegönnt waren, setzten die Einwohner Ruandas diesen Begriff auch bald mit „diejenigen, die die Macht inne haben und ausüben“ gleich.[4] Für die Hutu war es zwar möglich, Macht über gewisse Ressourcen zu erlangen, es war aber mit mehr Schwierigkeiten verbunden. So erhielten die Hutu im Volksmund auch bald den Beinamen „die Beherrschten“. Zu betonen ist hier aber, dass dies keinesfalls zu Konflikten oder Auseinandersetzungen führte, was vielleicht zuerst angenommen werden könnte. Durch die überaus flexible Handhabung des Begriffes hatte grundsätzlich jeder Ruander die Chance seine eigene soziale Stellung zu verbessern. Gleichzeitig bestand aber auch die Gefahr für jeden Einwohner Rwandas auf „sozialen Abstieg“. Außerdem war den Menschen von Geburt an nicht vorgeschrieben, ein Hutu oder ein Tutsi zu sein; es wurde weder schriftlich festgehalten, noch mündlich verkündet.[5] Bis dass die Belgier kamen…..
2. Konfliktakteure
Der ethnische Konflikt zwischen Hutu und Tutsi ist uralt und bezieht sich nicht nur auf die Massaker 1994. Um die Konfliktanalyse beginnen zu können, muss man zuerst die Konfliktakteure noch näher und umgelegt auf die heutigen Verhältnisse kennen lernen. Rwanda, der drittkleinste Staat Afrikas, wird durch drei Nationalitäten bewohnt und zwar: Hutu (oder: Bahutu), Tutsi (oder: Batutsi) und Twa (oder Batwa).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb1: Zusammenstellung der Rwandischen Bevölkerung 1994[6]
Die drei Nationalitäten bevölkern denselben geographischen Raum, sprechen, wie erwähnt, dieselbe Sprache, kiyarwanda, haben eine gemeinsame Kultur und gehören derselben Nation der Banyarwanda. Es liegen keine verlässlichen aktuellen Zahlen für die Hutu-Bevölkerung vor, die unmittelbar vor der Unabhängigkeit Ruandas und Burundis zu Beginn der 60er Jahre des XX Jahrhunderts bei knapp 4 Millionen lag. Heute dürfte ihre Zahl zwischen 7 und 10 Millionen liegen. Die Tutsi bildeten eine Minderheit in den Gesellschaften, an deren Spitze sie standen, wobei ihre Zahl auf nicht mehr
als 16 % der Landesbevölkerung geschätzt wird, d. h., dass in Ruanda mit 7 Millionen Einwohnern 1994 weniger als 1 Million Tutsi lebten[7]. Doch handelt es sich hier nicht um drei klar definierte Volksstämme. Es gibt Theorien, die nachzuweisen versuchen, dass die Hutu der Bantu-Rasse entstammen und die Tutsi Nachkommen der Hamiten seien, die im XVII Jahrhundert von Äthiopien eingewandert seien.[8]
Rein äußerlich sind allerdings Unterschiede bemerkbar. Die Tutsi, groß gewachsen und mit feinen Gesichtszügen, wurden von den Kolonialherren oftmals als "schwarze Weiße" bezeichnet (daher auch die Vermutung, dass sie zu den Hamiten bzw. den Niloten zählen), die Hutu dagegen entsprächen mit ihren "typisch-afrikanischen" Gesichtszügen und dem gedrungenen Körper dem Klischee des "Negers". Der entscheidende Unterschied ist allerdings sozialer Art. Die Tutsis erhielten eine quasi-militärische Ausbildung, den sie dann auch in der Unabhängigkeit ausnutzten, während die Hutus die Bauern blieben, die Feldarbeiter und „Zuträger“. Schon 1914 schrieb der deutsche Missionar Karl Roehl (als Ruanda ebenso wie das benachbarte Urundi oder Burundi zu Deutsch-Ostafrika gehörten):
[...]
[1] Dieser Ausdruck stammt von Madeleine Albright, amerikanische Ex-Außenministerin, siehe dazu Grill, Bartholomäus, Der Afrikanische Weltkrieg, in: http://www.zeit.de/2001/09/200109_kongo.xml?page=1, Zugriff am 6. Juli 2009
[2] Vgl. Hoering, Uwe, Zum Beispiel Hutu & Tutsi. Der Völkermord hätte verhindert werden können, befand ein UN-Bericht. Göttingen 1997, S 18
[3] Vgl. Harding, Leonhard, Ruanda – der Weg zum Völkermord. Vorgeschichte – Verlauf –Deutung. Hamburg, 1998, S 18f
[4] Vgl. Ebd. S 19
[5] Vgl. Ebd.
[6] Quelle: http://de.encarta.msn.com/encyclopedia_761560996_6/Ruanda.html
[7] Vgl. Buch Hans-Christoph, Gemetzel im Jammertal, in: Afrika – Fischer Weltalmanach, hsrg. Die Zeit, Frankfurt 2006, S 56
[8] Vgl. Dabag, Mihran ; Gründer, Horst ; Ketelsen, Uwe-Karsten (2004): Kolonialismus, Kolonialdiskurs und Genozid, Paderborn, S 239f
- Citar trabajo
- Mag. Hannes Naderhirn (Autor), 2009, Der "ewige" Krieg in Rwanda, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/138922
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