In einer Situation, in der jedermann Westsender nach Belieben ein- und ausschalten konnte, war der Partei- und Staatsführung der DDR daran gelegen, das vermeintliche Erscheinungsbild der BRD als Wohlstandsparadies zu korrigieren. Besonders die Bereiche, in denen die DDR mit den „Errungenschaften des Sozialismus“ – soziale Sicherheit, Vollbeschäftigung, sozialer Wohnungsbau – im Vergleich zur Bundesrepublik „besser“ dastand, wurden propagandistisch genutzt. Diese Arbeit geht der Frage nach, welche Rolle die soziale Lage in der BRD in den Jahren 1982 bis 1989 im „Neuen Deutschland“ spielte.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Kapitel 1: Aufgabe und Rolle der Medien in der DDR
a) Journalismus in der DDR
b) Agitation durch Tatsachen: Die DDR
c) Agitation durch Tatsachen: Die Bundesrepublik
Kapitel 2 – Analyse
a) Unterscheidungskriterien
b) Quellen
c) Zeitliche Verteilung und Erklärungsversuche
d) Ausreisewelle Mitte der Achtziger Jahre
e) Das Jahr 1989
Fazit
Literatur
Quellen
Anhang
Während Zeitungen aus dem Westen in der DDR grundsätzlich nicht erhältlich waren, konnten Rundfunk- und Fernsehprogramme fast überall problemlos empfangen werden. Seit Anfang der siebziger Jahre besaßen auch Haushalte in der DDR in wachsender Zahl Fernseh-geräte. Der Westen war nun nicht mehr nur im Radio zu hören, sondern für fast jeden der das wollte, wenn auch medial vermittelt, am Abend zu sehen. Wolle bezeichnet dieses Verhalten als „allabendliche ‚kollektive Ausreise’“.1
Die These einer ‚kollektiven Ausreise’ ist sicher überspitzt und muss besonders, was politi-sche Berichte und Nachrichten aus dem Westen angeht, relativiert werden.2 Sie enthält den-noch einen wahren Kern, denn mit ihrem Unterhaltungsprogramm konnten die Westsender punkten: Westdeutsche Fernsehshows und Sendungen wie der „Tatort“ wurden auch in der DDR gern gesehen.3 Ganz nebenbei gelangten damit Insignien der westlichen Lebensweise – Sprache, Kleidung, „hochwertige Konsumgüter“ – jeden Abend in die Wohnzimmer der DDR. Neben Information und Unterhaltung kann man in der Hinwendung zu Westsendern auch „eine Variante der inneren Emigration“4 erkennen.
Schließlich erreichten über das Westfernsehen immer wieder auch Meldungen oder Geschehnisse die DDR-Bürger, die die Partei- und Staatsführung ihnen eigentlich nicht zumuten wollte. Beispielhaft sei hier Wolf Biermanns Kölner Konzert im November 1976 genannt, welches von der ARD nach der Ausbürgerung des Liedermachers im Haupt-programm ausgestrahlt wurde,5 wodurch dieser erst DDR-weit bekannt wurde.
Im Zweifel war es in weiten Teilen der Republik jederzeit möglich, Westmedien vergleichend und ergänzend heranzuziehen und die DDR-Medien zu überprüfen.6 Die DDR-Führung warf den westlichen Sendern indessen vor, Instrumente der politischen Klasse der Bundesrepublik zu sein und „Bürger und Staat in der DDR gegeneinanderzustellen“.7 Ihnen wurde die Absicht unterstellt, die Fernsehzuschauer „gezielt abwerben zu wollen, um sie ideologisch zu beein-flussen.“8 Und diese ideologische Beeinflussung war freilich nicht nur wegen des West-fernsehens ein Problem. Zu zahlreichen Gelegenheiten kamen die Bürger der DDR mit der Bundesrepublik in Kontakt: Durch das Fernsehen, durch Pakete, durch Besucher aus dem Westen. Die DDR existierte, wie auch die Bundesrepublik, von Beginn an vor der Folie des anderen deutschen Staates. Immer schneller wuchs in den achtziger Jahren die immer schon vorhandene materielle Unzufriedenheit in der DDR-Bevölkerung an. Immer größer wurde der Druck der Ausreisewilligen, die „Erstarrung und Krise“9 entgehen wollten.
In einer Situation, in der jedermann Westsender „nach Belieben ein- und ausschalten kann“,10 war der Partei- und Staatsführung der DDR deshalb daran gelegen, das vermeintliche Erschei-nungsbild der Bundesrepublik als Wohlstands- und Vergnügungsparadies zu korrigieren. Besonders die Bereiche, in denen die DDR mit den „Errungenschaften des Sozialismus“ – soziale Sicherheit, Vollbeschäftigung, sozialer Wohnungsbau – im Vergleich zur Bundesrepublik „besser“ dastand, wurden propagandistisch genutzt. Gerade bei der Problematik der Arbeitslosigkeit im Westen war der Kontrast zur DDR offensichtlich, in der staatlich verordnete Vollbeschäftigung herrschte. Aber auch hohe Mietpreise und die Drogenproblema-tik in der Bundesrepublik waren regelmäßig Thema der DDR-Medien.
Diese Arbeit soll der Frage nachgehen, welche Rolle die soziale Lage in der Bundesrepublik in den Jahren 1982 bis 1989 im „Neuen Deutschland“ spielte. Das ND war mit einer Auflage von über einer Million die mit Abstand auflagenstärkste Zeitung in der DDR und kann getrost als Leitmedium der DDR-Presse bezeichnet werden. Weiterhin soll geklärt werden, welche Schwerpunkte das „Zentralorgan der SED“ bei der Berichterstattung über die soziale Lage in der Bundesrepublik setzte, ob sich daran über die Jahre etwas geändert hat und welche Ansätze sozialistischer Journalistik die theoretische Grundlage dieser Berichterstattung bildeten.
Ich möchte das Neue Deutschland, als „schärfste Waffe der Partei“ daraufhin untersuchen, in welcher Weise über die Bundesrepublik berichtet wurde und inwiefern diese Form der Berichterstattung etwaigen – beispielsweise innenpolitischen – Konjunkturen unterlag. Darüber hinaus ergeben sich auch praktische Gründe: Eine Untersuchung von Fernseh- und Radiosendungen würden den Rahmen dieser Arbeit sehr schnell sprengen.
Zunächst werde ich mich mit den Grundanliegen der politisch-ideologischen Tätigkeit der SED und den theoretischen Grundlagen des sozialistischen Journalismus beschäftigen. Dabei stütze ich mich insbesondere auf das Programm der SED von 1976 und das „Wörterbuch der sozialistischen Journalistik“.11 In einem weiteren Kapitel werde ich die Ergebnisse meiner Untersuchung aller Artikel über die soziale Lage in der Bundesrepublik in sämtlichen Ausgaben des ND von 1982 bis 1989 vorstellen. Zunächst werde ich die inhaltlichen Schwer-punkte der Artikel über die soziale Lage analysieren. Ich werde untersuchen, wie deutlich die Artikel dem Leser das erwünschte Verhalten, den Verbleib in der DDR, darlegen, welche Rolle Kommentare spielen und aus welchen Quellen sich das ND bedient.
Außerdem werde ich anhand auffälliger Beispiele aus den Jahren 1982 – 1989 der Frage-stellung nachgehen, aus welcher Motivation die Artikel über die soziale Lage in der Bundesrepublik veröffentlicht wurden. Schließlich werde ich diskutieren, wie sich Nachrichten-charakter und instrumenteller Nutzen dieser Meldungen zueinander verhalten.
Kapitel 1: Aufgabe und Rolle der Medien in der DDR
a) Journalismus in der DDR
Die SED sah es als ihre Aufgabe an, der „bewußten und planmäßigen Tätigkeit der Werk-tätigen Richtung und Ziel“12 zu geben. Durch Agitation und Propaganda sollte die Politik der Partei erläutert und die Bevölkerung der DDR immer wieder von neuem mobilisiert werden. Auch war es das erklärte Ziel der SED, die „Herausbildung eines neuen Bewußtseins“13 zu fördern, indem „das Denken und Handeln der Werktätigen von der sozialistischen Ideologie [...] geprägt wird.“14
Ausdrücklich hält das Programm der SED auch die Absicht fest, die Bürger der DDR „gegen alle Einflüsse der imperialistischen und bürgerlichen Ideologie zu wappnen“.15 Die Rolle der Medien wird im Programm der SED dabei explizit hervorgehoben. Sie sollen „die Wahrheit als scharfe Waffe gebrauchen, das Richtige verständlich, mit beweiskräftigen Argumenten zum Ausdruck bringen“16. Das umreißt einerseits die Rolle der Medien als Propagandisten der SED-Politik und schließt andererseits den Auftrag ein, im Vergleich mit dem Kapitalismus die „geschichtlichen Errungenschaften“17 des Sozialismus in der DDR hervorzuheben.
Nicht nur im Programm der SED wird auf die Bedeutung der Medien im Sozialismus einge-gangen. Mit dem „Wörterbuch der sozialistischen Journalistik“18 existierte in der DDR eine Handreichung speziell für Journalisten, die in kompakter Form den Anspruch der Partei- und Staatsführung an die DDR-Medien darlegte. Mit vier Begriffen aus diesem Wörterbuch lassen sich die Grundzüge des DDR-Journalismus umreißen: Aktualität, journalistische Methodik, Nachricht und Wirkungen des sozialistischen Journalismus.
Als aktuell bezeichnet werden im sozialistischen Journalismus Meldungen „in einer Weise und in dem Maße, wie sie geeignet sind, in der augenblicklich gegebenen Situation und für den perspektivisch überschaubaren Zeitraum einen für die bewußte Aktion des Volkes not-wendigen Beitrag zur politischen Leitung zu leisten.“19 Wichtigste Aufgabe der journalis-tischen Methodik besteht nach dem „Wörterbuch der sozialistischen Journalistik“ in ihrer Rolle im „ideologischen Klassenkampf“.20 Journalismus ist in der DDR somit immer verbun-den mit dem Vergleich von kapitalistischer und sozialistischer Welt, mit dem Blick in die Bundesrepublik. Ausgeglichene Berichterstattung oder ein gleichberechtigtes Nebeneinander widerstreitender Standpunkte findet dabei keinen Platz.
Eine Nachricht zeichnet sich dem „Wörterbuch der sozialistischen Journalistik“ zufolge nicht nur durch ihren Tatsachencharakter und ihren Neuwert aus, sondern auch durch eine „auf die Informationspolitik der Partei der Arbeiterklasse bezogene ‚Agitation durch Tatsachen’“.21 Besonders der Aspekt der „Parteilichkeit der Information“ ist dabei von Bedeutung. Eine Nachricht hat demnach immer einen besonderen (parteilichen) Zweck und wird absichtsvoll zu einem bestimmten Zeitpunkt veröffentlicht oder nicht veröffentlicht.22
[...]
1 Vgl. Wolle, Heile Welt der Diktatur, S. 71.
2 Vgl. Dittmar, S. 108.
3 Vgl. Meyen, Kollektive Ausreise?, S. 214.
4 Holzweißig: Die schärfste Waffe der Partei, S. 51.
5 Vgl. Arne Born: Kampf um Legitimation. Stabilität und Instabilität der SED-Herrschaftsstrukturen. In: Roland Berbig et al: In Sachen Biermann. Protokolle, Berichte und Briefe zu den Folgen einer Ausbürgerung. Berlin 1994, S. 63.
6 Vgl. auch Dittmar, S. 149; Meyen, Kollektive Ausreise?, S. 218.
7 Vgl. Dittmar, S. 126.
8 Dittmar, S. 149.
9 Wolle, Heile Welt der Diktatur, S. 51.
10 Vgl. 9. Tagung des ZK der SED: Rechenschaftsbericht des Politbüros. Berlin 1973, S. 34.
11 Sektion Journalistik an der Karl-Marx-Universität Leipzig (Hrsg.): Wörterbuch der sozialistischen Journalistik. Berlin 1981.
12 Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (Hrsg.): Programm der SED, S. 66.
13 Ebd., S. 7.
14 Ebd., S. 21f.
15 Ebd., S. 66. Weiter heißt es dort: „Grundanliegen der politisch-ideologischen Tätigkeit der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands ist es, die Arbeiterklasse und alle Werktätigen mit den revolutionären Ideen des Marxismus-Leninismus auszurüsten, ihnen die Politik der Partei zu erläutern, ihr sozialistisches Denken, Fühlen und Handeln zu entwickeln und sie gegen alle Einflüsse der imperialistischen und bürgerlichen Ideologie zu wappnen. Jedes Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands muß ein aktiver Kämpfer an der ideologischen Front sein.“
16 Ebd., S. 68.
17 Ebd., S. 9.
18 Wörterbuch der sozialistischen Journalistik. Berlin 1981.
19 Ebd., S. 11.
20 Ebd., S. 141f. Unter dem Stichwort „Methodik, journalistische“ ist weiter zu lesen: „Eine besonders wichtige Rolle spielt die journalistische Methodik im ideologischen Klassenkampf. (...) Es ist eine der grundlegenden Aufgaben des sozialistischen Journalismus, diese gegen den Frieden, die Völkerverständigung und den sozialen Fortschritt gerichteten Machenschaften [des Imperialistischen] zu entlarven und der reaktionären, menschenfeindlichen Ideologie des Imperialismus die fortschrittlichen, zutiefst humanistischen Ideen des Sozialismus entgegenzustellen.“
21 Ebd. S. 144.
22 Weiter heißt es: „Dieser Aspekt [die Parteilichkeit] erfaßt die pragmatischen gesellschaftlichen Zielsetzungen, die strategisch-taktischen Bedingungen der Informationspolitik, die die jeweilige Nachricht berücksichtigt, die Auswahl und Gestaltung im Hinblick auf die Informationsabsicht im Interesse der Arbeiterklasse.“
- Arbeit zitieren
- Konrad Gähler (Autor:in), 2009, Wider die ideologische Diversion. Das Zentralorgan der SED über die soziale Lage in der Bundesrepublik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/138881
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