Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Thema „Herrschaft und Heilsversprechen. Am Beispiel jüdischer und christlicher Feste.“ Ziel der Untersuchung ist es, den Wandel von der kanaanäischen Religion über das Judentum bis hin zum frühen Christentum darzustellen. Um das weitläufige Thema einzugrenzen, werden zwei Schwerpunkte gesetzt. Zum einen wird der Transformationsprozess unter dem Aspekt der Herrschaft, zum anderen unter der Berücksichtigung des Heilsversprechens beleuchtet. Beide Facetten spiegeln sich in den Festen wider.
Dabei möchte die Arbeit zeigen, dass über den Bedeutungsinhalt und über die Symbolik der Feste Aussagen über die Gesellschaft und über die jeweilige Religion getroffen werden können. Die Geschichte der Feste verläuft parallel mit der Geschichte der Menschheit.
„Herrschaft“ und „Heilsversprechen“ bilden zwei zeitlose Begriffe, die sich im Laufe der Entwicklung immer wieder verändert haben. Um diese Aussage zu bekräftigen, möchte ich meine Arbeit in vier Phasen untergliedern.
Diese „Vier-Phasen-Struktur“ soll am Beispiel jüdischer und christlicher Feste belegt werden. Dabei möchte ich mich in meiner Ausarbeitung auf die drei großen Feste beschränken. Sie sollen als roter Faden durch die Arbeit führen und Gemeinsamkeiten bzw. Ähnlichkeiten der drei beschriebenen Religionen (kanaanäische, israelitische/jüdische und christliche) aufzeigen.
Es sind die drei Wallfahrtsfeste, die im jeweiligen Kontext immer wieder transformiert wurden. Je nach sozialen und politischen Rahmenbedingungen und abhängig von den religiösen Vorstellungen wandelte sich die Bedeutung der Feste.
In kanaanäischer Tradition handelte es sich um Erntefeste. Die Festtage waren an den Zyklus der Natur gebunden.
Dies änderte sich mit dem Aufkommen des Jahwe-Glaubens. Das mit diesem Gott in Verbindung gebrachte Heilsversprechen führte zu einem Geschichtsdenken, welches wiederum die Historisierung der Feiertage zur Folge hatte. In der israelitischen und abschließend in der jüdischen Tradition wurden Ereignisse aus der Heilsgeschichte mit bestimmten Festtagen verknüpft und dienten somit der Erinnerung an das Wirken Jahwes.
Mit dem Aufkommen des Christentums entstand ein anderes Heilsversprechen. Im Zentrum stand Jesus Christus. Auch hier wurden Aspekte der Herrschaft dazu genutzt, den Inhalt der Feste zu transformieren. Formal wurden einige Feste aus dem Judentum übernommen, inhaltlich jedoch mit eigenem Inhalt gefüllt und an den Lebensweg Jesu angepasst.
Inhalt
Einleitung
1. Kapitel: Feste
1.1 Feste im Leben der Menschen
1.2 Feste in den Religionen
2. Kapitel: Herrschaft und Heilsversprechen bis zur Landnahme
2.1 Geographische Gegebenheiten im Lande Kanaan
2.2 Herrschaftsstrukturen
2.2.1 Stadtstaaten
2.2.2 Stammesgesellschaften
2.3 Religiöse Elemente der Frühzeit
2.3.1 Kanaanäische Stadtreligionen
2.3.2 Kanaanäische Stammesreligionen
2.4 Israeliten in Ägypten
2.5 Moses
2.6 Moses und der Exodus
2.7 Prozesse der Sesshaftwerdung
3. Kapitel: Herrschaft und Heilsversprechen nach der Landnahme
3.1 Die Anfänge der Jahwereligion
3.2 Sippengötter und ihre Gleichsetzung mit El
3.3 Die Gleichsetzung Jahwes mit El
3.4 Die Jahresfeste
4. Kapitel: Herrschaft und Heilsversprechen in der Jahwereligion
4.1 Jahwereligion und Nomadentum
4.2 Jahwereligion und kanaanäische Götter
4.3 Bestrebungen der „Allein-Jahwe-Bewegung“
5. Kapitel: Herrschaft und Heilsversprechen in Deuteronomischer Zeit
5.1 Politische Hintergründe
5.2 Josianische Reform
5.3 Historisierung der Feste
5.3.1 Festkalender
5.3.2 Pessach
5.3.3 Wochenfest (schawuot)
5.3.4 Laubhüttenfest (sukkot)
5.4 König Josia und die Folgen
6. Kapitel: Herrschaft und Heilsversprechen im
Frühen Christentum
6.1 Kaiser Konstantin und der politische Rahmen
6.2 Die Entstehung christlicher Feiertage
6.2.1 Das Osterfest
6.2.2 Pfingsten
6.2.3 Weihnachten
Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Einleitung:
Die vorliegende Magisterarbeit beschäftigt sich mit dem Thema „Herrschaft und Heilsversprechen. Am Beispiel jüdischer und christlicher Feste.“ Ziel der Untersuchung ist es, den Wandel von der kanaanäischen Religion über das Judentum bis hin zum frühen Christentum darzustellen. Um das weitläufige Thema einzugrenzen, werden zwei Schwerpunkte gesetzt. Zum einen wird der Transformationsprozess unter dem Aspekt der Herrschaft, zum anderen unter der Berücksichtigung des Heilsversprechens beleuchtet. Beide Facetten spiegeln sich in den Festen wider.
Dabei möchte die Arbeit zeigen, dass über den Bedeutungsinhalt und über die Symbolik der Feste Aussagen über die Gesellschaft und über die jeweilige Religion getroffen werden können. Die Geschichte der Feste verläuft parallel mit der Geschichte der Menschheit.
„Herrschaft“ und „Heilsversprechen“ bilden zwei zeitlose Begriffe, die von Beginn an für die Menschen eine Rolle spielten und die sich im Laufe der Entwicklung immer wieder verändert haben. Um diese Aussage zu bekräftigen, möchte ich meine Arbeit in vier Phasen untergliedern.
In der ersten Phase herrscht die Natur über den Menschen. Deutlich wird dies in der kanaanäischen Frühzeit, welche zeitlich etwa im 3. Jahrtausend v.Chr. anzusiedeln ist. Der Mensch lebt in Abhängigkeit von der Natur. Als gesellschaftliche Lebensform überwiegt das Nomadentum. Die primäre Aufgabe des Menschen besteht in der Nahrungssicherung. Dies zeigt unmittelbare Auswirkungen auf die Feste, deren Inhalte mehrheitlich von einem agrarischen Charakter geprägt sind.
In der zweiten Phase herrschen verschiedene Götter über die Menschen. Etwa im 13. Jahrhundert v.Chr. kommt es zu einem gesellschaftlichen Umbruch. Die Stadtstaaten verlieren an Bedeutung. Gleichzeitig setzt bei vielen nomadischen Stämmen der Prozess der Sesshaftwerdung ein. Elemente kanaanäischer Stadtreligionen vermischen sich mit Vorstellungen aus den Stammesreligionen. Zusätzlich tritt ein völlig neues Gottesbild in Erscheinung. Die aus Ägypten geflohenen Israeliten importieren ihren Jahwe-Glauben in das Land Kanaan. Verschiedene Gottesvorstellungen beginnen sich zu überlagern. Unterschied-liche religiöse Ansichten führen zu vielseitigen Heilsversprechen.
In der weiteren Entwicklung verbreitet sich die Gruppe der Jahwe-Anhänger immer stärker. Mit ihrem Ziel, den Synkretismus zu bekämpfen, verzeichnen sie einen deutlichen Sieg. Der Jahwe-Glaube setzt sich durch und löst die alten kanaanäischen Götter ab.
Heiligtümer werden umgewandelt und die ursprünglichen Feste neu interpretiert. Das gesamte Heilsversprechen geht von Jahwe aus. In der dritten Phase herrscht folglich nur noch ein Gott über die Menschen.
Die vierte und letzte Phase meiner Gliederung beschreibt eine Zeit, in der die Herrschaft immer stärker in den weltlichen Bereich verlagert wird. Damit soll nicht gesagt werden, dass für die Gläubigen die eigentliche Herrschaft nicht länger von Gott ausgeht. In erster Linie geht es darum, zu zeigen, dass der Kult und das damit verbundene Heilsversprechen zunehmend von Königen und Kaisern bestimmt wird.
Um diesen Nachweis leisten zu können, habe ich mich bewusst für einen Zeitsprung entschieden. Beschäftigen sich die ersten vier Kapitel noch mit der vorstaatlichen Epoche, so beginnt das 5. Kapitel mit der Deuteronomischen Zeit. Die Regentschaft des Königs Josia im 7. Jahrhundert v.Chr. wird gewählt, um aufzuzeigen, dass es den politischen Führern immer stärker gelingt, Einfluss auf den Kult zu nehmen.
In einem weiteren Zeitsprung sollen die Entwicklungen im Frühen Christentum dazu dienen, diese These zu stützen. Es wird ein Vergleich zwischen den Reformmaßnahmen des Königs Josia und der Konstantinischen Wende angestrebt. Die vierte Phase beschreibt eine Zeit, in der Könige und Kaiser den Kult mitbestimmen und damit Heil versprechen.
Diese „Vier-Phasen-Struktur“ soll am Beispiel jüdischer und christlicher Feste belegt werden. Dabei möchte ich mich in meiner Ausarbeitung auf die drei großen Feste beschränken. Sie sollen als roter Faden durch die Arbeit führen und Gemeinsamkeiten bzw. Ähnlichkeiten der drei beschriebenen Religionen (kanaanäische, israelitische/jüdische und christliche) aufzeigen.
Es sind die drei Wallfahrtsfeste, die im jeweiligen Kontext immer wieder transformiert wurden. Je nach sozialen und politischen Rahmenbedingungen und abhängig von den religiösen Vorstellungen wandelte sich die Bedeutung der Feste.
In kanaanäischer Tradition handelte es sich um Erntefeste. Die Festtage waren an den Zyklus der Natur gebunden.
Dies änderte sich mit dem Aufkommen des Jahwe-Glaubens. Das mit diesem Gott in Verbindung gebrachte Heilsversprechen führte zu einem Geschichtsdenken, welches wiederum die Historisierung der Feiertage zur Folge hatte. In der israelitischen und abschließend in der jüdischen Tradition wurden Ereignisse aus der Heilsgeschichte mit bestimmten Festtagen verknüpft und dienten somit der Erinnerung an das Wirken Jahwes.
Mit dem Aufkommen des Christentums entstand ein anderes Heilsversprechen. Im Zentrum stand Jesus Christus. Auch hier wurden Aspekte der Herrschaft dazu genutzt, den Inhalt der Feste zu transformieren. Formal wurden einige Feste aus dem Judentum übernommen, inhaltlich jedoch mit eigenem Inhalt gefüllt und an den Lebensweg Jesu angepasst.
Ziel der Ausarbeitung ist es, einen Zusammenhang zwischen den Begriffen „Herrschaft“ und „Heilsversprechen“ herzustellen. Als Bindeglied fungieren die Feste. Das erste Kapitel möchte eine allgemeine Einführung in die Bedeutung der Feste für den Menschen geben. Es soll deutlich gemacht werden, dass Feste eine bestimmte Funktion erfüllen. Dieses Grundlagenwissen erleichtert das Verständnis für die späteren Transformationsvorgänge.
Im zweiten Kapitel geht es um die Herrschaft und das Heilsversprechen bis zur Landnahme. Hier spielen sowohl die Gegebenheiten in Kanaan als auch die Situation der in Ägypten lebenden Israeliten eine Rolle. Es wird ein Exkurs auf Moses und sein Gottesbild gegeben, ohne den ein Verständnis der sich entwickelnden israelitischen Religion nur schwer möglich wäre.
Im dritten Kapitel werden die Anfänge der Jahwereligion beschrieben. In einer Phase des Synkretismus soll zugleich der Blick auf die Jahresfeste gerichtet werden. Welche Funktion erfüllten sie und fand bereits eine erste Umdeutung statt?
Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit der Herrschaft und dem Heilsversprechen in der Jahwereligion. Welche Auswirkungen zeigte der neue Glaube auf die Gesellschaft? Das dargestellte Verhältnis zu den alten kanaanäischen Religionen und die Bestrebungen der „Allein-Jahwe-Bewegung“ könnten bereits deutliche Veränderungen erahnen lassen.
Aussagen über konkrete Umformungen und über die Historisierung der Feste finden sich im fünften Kapitel. Dieses steht ganz im Zeichen der josianischen Reform und befasst sich mit der Herrschaft und dem Heilsversprechen in Deuteronomischer Zeit.
Im letzten Kapitel wird die Brücke zum Christentum geschlagen. Dabei soll sowohl auf Kaiser Konstantin als auch auf die Entstehung christlicher Feiertage eingegangen werden.
Grundlage für die Ausarbeitung ist die in den Fußnoten und im Literaturverzeichnis angegebene Sekundärliteratur. Vorab sei darauf verwiesen, dass alle Bibelzitate (soweit nicht anders angegeben) der deutschen Übersetzung Martin Luthers entnommen wurden.
1.) Feste
1.1 Feste im Leben der Menschen
Feste lassen sich in allen menschlichen Kulturen nachweisen. Dabei ist zunächst einmal der Ursprung oder der genaue Ablauf von sekundärer Bedeutung. Entscheidend ist vielmehr die Tatsache, dass anscheinend eine Art menschliches Grundbedürfnis nach Festen existiert. „Das Fest gehört zu den elementarsten menschlichen Gegebenheiten.“1 Daraus lässt sich ableiten, dass Feste eine Funktion erfüllen.
Das menschliche Leben ist eingebunden in die Zeit. Es beginnt mit der Geburt und endet mit dem Tod. Um diesen Strom des Lebens besser strukturieren zu können und um eine erschlaffende Monotonie zu vermeiden, werden einzelne Haltepunkte im Leben geschaffen. Das menschliche Leben wird in verschiedene Phasen gegliedert. Dazu zählen unter anderem Geburt, Taufe, Initiation, Hochzeit oder Tod. In der Regel wird jedes Ereignis von Festen begleitet. Zwischen den einzelnen ― aber unmittelbar aufeinanderfolgenden ― Abschnitten kann es zu Brüchen in der Existenz kommen. Jeder Wechsel ist mit Veränderungen und Unsicherheit verbunden. Um diese „Gefahrenpunkte“ möglichst gering zu halten, werden Rituale angewendet. Arnold van Gennep (1873–1957) bezeichnet diese in seinem Werk Les rites de passage2 als „Übergangsriten“. Sie dienen in erster Linie dem Schutz des betroffenen Individuums, erfüllen aber zusätzlich auch gesellschaftliche Funktionen.
Am stärksten kommt der gemeinschaftliche Charakter in den Festen zum Ausdruck. Feste können daher, unabhängig von der Kultur, in der sie begangen werden, als gemeinschaftsstiftend bezeichnet werden. Die gemeinsam erlebte Zeit wird rhythmisierend gestaltet. Wurden zunächst Feste und Rituale zu einmaligen und meist individuellen Anlässen geschildert (Taufe/Hochzeit), so soll im Folgenden der Blickwinkel auf die Wiederholbarkeit der gemeinschaftlich begangenen Feste gelenkt werden.
Innerhalb einer Gemeinschaft kehren bestimmte Feste in längeren oder kürzeren periodischen Zeitabständen wieder. Sie geben dem Menschen Orientierung und Sicherheit. Es entsteht ein Gefühl von Kontinuität und Geborgenheit. Viele Feste sind mit einer Vorbereitungszeit verbunden. Der Mensch stimmt sich auf eine andere Zeit ein. Damit kann sein Leben bewusster gelebt und Existenzfragen neu überdacht werden.
Die Unterscheidung zwischen heilig und profan wird nicht nur in räumlichen, sondern auch in zeitlichen Differenzierungen möglich.
Mircea Eliade (1907–1986) sieht Feste im engen Zusammenhang mit der Sehnsucht nach dem Ursprung. Feste dienen seiner Meinung nach als Mittel, dem Ausgeliefertsein an die geschichtliche Zeit zu begegnen und das Elend der Geschichte aufzuheben.3
Die französische soziologische Schule mit ihren bekanntesten Vertretern Durkheim und Mauss sieht im Fest eine (Wieder-)Herstellung oder Erneuerung des sozialen Zusammenhalts. Dabei kann es häufig zu einer spielerischen Umkehr der gesellschaftlichen Rollen und zu Lockerungen der Verhaltensregeln kommen. Eine Rückkehr zum Chaos gilt gleichzeitig als eine Rückkehr zum Ursprung und ermöglicht einen Neubeginn.4
Das Wort „Fest“ ist mit positiven Assoziationen verbunden. Gefühle von Begeisterung und Jubel kennzeichnen die Mehrheit aller menschlichen Feste.
Freude und Dank sind zwei wesentliche Merkmale. „Anlässe, ein Fest zu feiern, sind daher beglückende oder Glück verheißende Ereignisse im Leben des Menschen, einer Menschengruppe, in der Geschichte eines Volkes, in der Natur, der Heilsgeschichte oder deren Gedächtnistage.“5 Dabei wird jedes Fest durch eine Feier begangen, die einem bestimmten Ritus folgt. Hierbei handelt es sich um kollektive Übergangsriten.6
Kollektive Übergangsriten waren in den frühen Kulturen eng mit den Phasen des Jahreszyklus verbunden. In fast allen bekannten Gesellschaften dient das Jahr als Zeiteinheit. Ausgangspunkt ist der unmittelbar erfahrene zyklische Kreislauf der Natur. Die Sonnenwende im Sommer und im Winter zählte ebenso häufig zu den Festtagen wie die Tag- und Nachtgleiche im Frühjahr und Herbst. Zusätzlich erhielt das Neujahrsfest in vielen Kulturen eine besondere Bedeutung.7
Wie das Leben eines Individuums in einzelne Phasen gegliedert ist und die Übergänge von Riten/Festen begleitet werden, so ist auch das Jahr in verschiedene Phasen unterteilt, deren Übergänge wiederum durch bestimmte Riten/Feste gekennzeichnet sind. Aus den Erfahrungen der immer wiederkehrenden Perioden von Regen- und Trockenzeit, jährlichen Überflutungen und ähnlichen Naturerscheinungen erwuchs eine besondere Gliederung der Zeit, die dem Jahr eine feste Struktur gab.
Nomadische Völker waren von Zeiten der Fruchtbarkeit des Landes abhängig und passten ihren Weidenwechsel den klimatischen Veränderungen an. Auch für bäuerliche Kulturen blieb die Abhängigkeit von der Natur ein maßgebliches Charakteristikum. Bestimmte Getreidesorten und andere Landesfrüchte mussten zu bestimmten Zeiten ausgesät und geerntet werden. Durch Riten/Feste begleitet wurden in erster Linie Situationen, von denen die Existenz der gesamten Gemeinschaft abhängig oder sogar bedroht war.
Für die Nahrungssicherung spielten daher Aussaat und Ernte eine entscheidende Rolle. So konnten beispielsweise Gerstenernte, Weizenernte oder Weinlese – je nach regionalen Gegebenheiten – zu Festtagen werden.
Im Mittelpunkt dieser agrarischen Feste standen die Abhängigkeit des Menschen von der Natur und die Erfahrung einer zyklischen Wiederholung. „In Neujahrs-, Jahreszeiten- und Erntefesten feierte man das Werden, Sterben und Wiedergeborenwerden der Natur.“8
Damit wurden zunächst einige allgemeine Aussagen über Riten/Feste getroffen, die von den Anfängen der Menschheit bis in die Gegenwart reichen. Sehr früh lassen sich jedoch neben der sozialen und ökonomischen Bedeutung der Feste auch religiöse Eigenschaften erkennen. Wurde zu Beginn dieser Ausarbeitung darauf verwiesen, dass sich Feste in allen menschlichen Kulturen nachweisen lassen, so kann die Aussage nun dahingehend erweitert werden, dass sich auch in allen Religionen Feste beziehungsweise Feststrukturen aufweisen lassen.
1.2 Feste in den Religionen
Nahezu jede Form von Religion kennt den Dualismus zwischen heilig und profan. Auch wenn er erst mit zunehmender Säkularisierung in Verbindung gebracht wird und vorwiegend auf westliche Religionen beschränkt wird, so gibt es tendenziell immer eine Aufteilung in religiöse und alltägliche Bereiche. Diese können selbstverständlich von Religion zu Religion sehr unterschiedlich ausgeprägt sein und führen in manchen Bereichen so weit, dass Aussagen getroffen werden, die die eigene Religion dahingehend interpretieren, dass es gar keinen profanen Bereich gäbe und somit das gesamte Leben religiös sei. Dies trifft in strenger Auslegung verstärkt auf die Gesetzesreligionen zu. Dennoch kennen auch diese Religionen eine besondere Zeit (in Form von Festtagen), die sich von den anderen Tagen des Jahres grundlegend unterscheidet und damit eine höhere Wertschätzung erhält. Es kann also durchaus von einer „heiligen Zeit“ gesprochen werden.
Doch wozu dient diese „heilige Zeit“ in den Religionen? Bevor auf spezifische Festtage eingegangen wird, möchte ich an dieser Stelle einige allgemeine Funktionen von Festtagen beschreiben, die meiner Meinung nach von Bedeutung sind und für fast alle Formen von Religion Gültigkeit besitzen.
Festtage symbolisieren eine andere Zeit. Sie geben der gelebten Zeit eine Struktur. An diesen Haltepunkten kann der Mensch in sich kehren. Er wird sich seiner Existenz von neuem bewusst und sucht die Nähe zur Transzendenz. Festtage dienen somit der Hinwendung an eine übernatürliche Macht. Der Mensch kann Abstand nehmen von seiner alltäglichen Praxis und seinen Sorgen. Diese Tage können der Wertschätzung und der Dankbarkeit dienen. In Abhängigkeit vielfältiger Gefahren kann sich der Mensch sicher und geborgen fühlen. Zudem dienen die meisten Feiertage auch immer dem Gedächtnis an etwas. So kann sich der Mensch beispielsweise der Schöpfung neu bewusst werden und die Kosmogonie nachbilden. „Ein Festtag ist ein herausgehobener, ausgesonderter, jeweils einer bestimmten übernatürlichen Wesenheit geheiligter Tag.“9
Nach diesen sehr allgemeinen Aussagen soll nun wieder auf die für diese Ausarbeitung relevanten Bereiche eingegangen werden.
Im ersten Abschnitt wurde bereits verdeutlicht, dass der Wandel der Natur das Jahr erlebbar macht. Eine agrarisch orientierte Gesellschaft erlebte die natürlichen Zyklen mit hoher Intensität. Ebenfalls spielt die Gesellschaft eine entscheidende Rolle. Ausgangspunkt für diese Untersuchung ist die kanaanäische Bevölkerung in Palästina vor der Landnahme, in der Fachliteratur auch als „das alte Israel“10 bezeichnet. Unter Berücksichtigung historischer Fakten muss in diesem Fall von einer Gemeinschaft ausgegangen werden, die stark in die Strukturen einer Familie oder Sippe eingebunden war. Somit war ein gesellschaftliches Leben nötig, welches das Überleben einer möglichst großen Anzahl von Menschen und Tieren sicherte.
Aufgrund der intensiven Abhängigkeit von der Natur entstanden Ängste und Verunsicherungen, die einen Glauben an übernatürliche Kräfte entstehen ließen. Dieses Weltbild führte zur Bildung von Schutzmächten. Um die Ernte zu sichern und damit den Fortbestand der Menschheit zu gewährleisten, wandte sich der Einzelne oder auch die Gruppe an Schutzgötter. Die Naturkräfte wurden vergöttlicht und es entstanden Riten zur Besänftigung. Nur wenn die Götter zufrieden waren, so die Vorstellung, gaben sie Hilfe. Erste Formen einer Opferkultur entstanden und führten zu Zeremonien mit wiederholbaren Riten.
Ernte und Fruchtbarkeit bildeten die zentralen Interessenspunkte einer agrarischen Gesellschaft. Es ist daher naheliegend, dass die frühesten Feste Anlehnung an diese Ereignisse fanden. Der natürliche Rhythmus bildete die Basis für den Festkalender.11
Es wurde bereits darauf verwiesen, dass die Bereiche der Freude und des Dankes unmittelbar mit dem Fest in Verbindung stehen. Dies wird am Beispiel der Erntefeste besonders anschaulich. Anlässlich solcher Feste geht es darum, einer höheren Macht für die Fruchtbarkeit des Ackerbodens zu danken und die irdischen Erträge mit Freude zu genießen. In weiteren Zeremonien geht es um die Bitte um Regen, um gutes Weideland für die Herden, um ausreichend Ertrag für die nächste Aussaat oder auch um die menschliche Fruchtbarkeit sowohl für das weibliche als auch für das männliche Geschlecht. Es sind die natürlichen Bedürfnisse, um deren Befriedigung sich der Mensch hilfesuchend an eine göttliche Instanz wendet und zu deren Ehre er Festtage hält.
Die Ausarbeitung steht unter dem Thema „Herrschaft und Heilsversprechen“. An dieser Stelle möchte ich ein erstes Resümee ziehen und die im obigen Abschnitt beschriebene Zeit wie folgt charakterisieren: Die Natur herrscht über den Menschen und der Mensch erwünscht und verspricht sich Heil durch die Einhaltung der Festtage. Diese sind agrarischen Ursprungs und dienen in erster Linie der Danksagung für die erhaltenen Güter. Durch Opfergaben soll das Verhältnis zur Transzendenz aufrechterhalten bleiben und somit den Fortbestand der Menschheit gewährleisten.
Wie sich das Verständnis von Herrschaft und Heil weiterentwickelt hat, soll im weiteren Verlauf näher untersucht werden.
2.) Herrschaft und Heilsversprechen bis zur Landnahme
2.1 Geographische Gegebenheiten im Lande Kanaan
Bevor eine genauere Beschreibung über das Land folgt, sollte zunächst einmal der geographische Begriff geklärt werden. Dabei geht es als Erstes um die Frage, wo sich das Land Kanaan, von dem die Bibel häufig spricht, überhaupt befindet.
Kanaan bezeichnet das Land Israel/Palästina vor der Landnahme der Israeliten. Eine genaue staatliche Eingrenzung, wie wir sie aus heutiger Sichtweise vornehmen würden, ist kaum möglich. Zur damaligen Zeit verstand man unter „Palästina“ den allgemeinen Schauplatz der biblischen Geschichte, vorzugsweise das Westjordanland, aber auch die ostjordanischen Landesteile. In der Gegenwart handelt es sich dabei um die Staaten Israel, Jordanien und das Selbstverwaltungsgebiet der Palästinenser.12
Zentraler Schauplatz der Geschichte Israels ist der südliche Teil der syro-palästinen-sischen Landbrücke zwischen Ägypten und Mesopotamien: das Mittelstück des sogenannten „Fruchtbaren Halbmondes“13. Als ungefähre Abgrenzung dient im Westen die Küste des Mittelmeeres, im Süden die Negevwüste und im Osten die syrisch-arabische Wüste.
Im Landesinneren teilt der Jordangraben das Gebiet in eine westliche und eine östliche Hälfte. Obwohl der Jordan zu den großen Flüssen der arabischen Halbinsel zählt, empfängt Palästina seine Fruchtbarkeit nicht vom Wasser großer Ströme, sondern ausschließlich vom Regen, der vom Mittelmeer kommt und am Gebirge kondensiert. Aufgrund der geographischen Konstellation kennt das Land nur zwei Jahreszeiten: den regenreichen Winter von Oktober/November bis April/Mai und den vollkommen regenlosen Sommer. Daraus lässt sich ableiten, dass Palästina nicht zu den üppigen Vegetationsgebieten gehörte. Lediglich an der Mittelmeerküste und in den Oasen des Jordangrabens sowie in Ebenen oder Hochflächen konnten bei guter Bestellung reiche Ernteerträge erzielt werden. Der Boden war zumeist steinig und karg. Bodenschätze gab es kaum.
Ein weiteres typisches Charakteristikum ist die klimatisch-geographische Offenheit zur Wüste. Der Übergang vollzieht sich an keiner Stelle abrupt, sondern geht mit der allmählich absinkenden Niederschlagsmenge langsam ineinander über. Zwischen Wüste und Kulturland liegt ein unterschiedlich breiter Steppengürtel, der als Weideland genutzt wurde.
Die Bevölkerung von Palästina lebte nahezu ausschließlich von Ackerbau und Viehzucht. Vereinfacht dargestellt lassen sich zwei Gruppierungen voneinander unterscheiden: die sesshaften Bauern und die nicht sesshaften Nomaden. Selbstverständlich gab es auch damals schon Handwerker, Gewerbetreibende, Angestellte oder Beamte. Diese können aber an dieser Stelle vernachlässigt werden, da sie zur später beschriebenen Struktur der Stadtstaaten zählen und für die nachfolgenden Ausführungen keine Rolle spielen.
Die Bauern lebten meist in festen Häusern aus Lehmziegeln, überwiegend in dörflichen oder sogar städtischen Strukturen. Sie betrieben Ackerwirtschaft, Feld- oder Gartenfruchtanbau. Neben dem Erwerb aus Getreide, Wein, Gemüse und Obst spielte die Viehzucht eine Rolle. Dabei handelte es sich zumeist um Rinder. In kleinerem Maße auch Kleinvieh (Schafe und Ziegen).
Die Nomaden hingegen lebten in Zelten, die sie an wechselnden Orten aufschlagen konnten. Als Nahrungsgrundlage dienten in der Regel Schafe und Ziegen. Als Transportmittel waren Kamele unentbehrlich. An Orten, die dies erlaubten, wurde zum Teil eine flüchtige Form von Ackerbau betrieben. Zumeist lebten sie mit ihren Herden in den Steppengürteln an den Wüstenrändern. Dies war allerdings nur im Winterhalbjahr möglich, wenn ausreichend Regen die Landschaft mit Vegetation versorgte. In den Sommermonaten waren die Nomaden gezwungen, ihre Herden an die Ränder des Kulturlandes zu führen. In dieser Zeit hätte ihnen die Wüste keine Überlebensmöglichkeit geboten. Von daher war ihr Leben vom ständigen Wechsel geprägt. Jedes Jahr wiederholte sich dieser Übergang, der als Weidenwechsel oder Transhumanz14 bezeichnet wird und die Nomaden in eine gewisse Abhängigkeit vom Kulturland brachte. Das von ihnen benötigte Weideland musste in dieser Phase mit den ortsansässigen Bauern geteilt werden. Es galt, sich friedvoll zu einigen, um im gegenseitigen Nutzen zu leben. Wo dies nicht gelang, waren Konflikte vorprogrammiert.
Von ihrer Art her standen sich beide Gruppierungen relativ geschlossen gegenüber. Dennoch kann in dieser Zeit nicht von einem Dualismus zwischen Bauern und Nomaden gesprochen werden. Die Forschung zu antiken Kleinviehnomaden hat gezeigt, dass diese teilweise in enger Symbiose mit der Bauernbevölkerung lebten und zahlreiche Übergänge möglich waren.15
Einige Nomaden weiteten ihren Ackerbau aus und begannen allmählich, dörfliche Siedlungen zu entwickeln. Wieder andere wurden von den Städten angezogen und blieben auf Dauer sesshaft. Umgekehrt gab es natürlich auch Städter, die ihre festen Häuser verließen und in die Wüste zogen.16
Bereits an dieser Stelle kann die alte These vom Gegensatz zwischen sesshaften und nicht sesshaften Menschen verworfen werden. „Nun haben aber Untersuchungen über die ökologischen, siedlungsgeschichtlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse, wie sie vor allem die Armanabriefe (14. Jahrhundert v.Chr., Residenz des Pharaos Echnaton am mittleren Nil) und das ältere Mari-Archiv (18. Jahrhundert, Stadt am Euphrat) schildern, gezeigt, daß es diesen starken Gegensatz zwischen Nomaden und Seßhaften damals nicht gegeben hat. Nicht Nomadentum und Seßhaftigkeit dürften die beiden entgegengesetzten Kulturformen oder gar Kulturstufen gewesen sein, sondern der Gegensatz von Stadt und Land [...].“17
Um diesen Gegensatz zu verdeutlichen, ist es nötig, einige Details über die Herrschaftsstruktur in den Stadtstaaten und über die Strukturen in den Stammesgesellschaften zu erfahren.
2.2 Herrschaftsstrukturen
2.2.1 Stadtstaaten
Seit dem ausgehenden 3. Jahrtausend v.Chr. kann von einer kanaanäischen Bevölkerung in Syrien/Palästina gesprochen werden.18 Es entwickelten sich Kleinstaaten, beispielsweise in Karkemisch, Aleppo oder Ugarit. Diese und andere Gebiete erlangten durch ihre eigenständige Kultur, die Erfindung der Buchstabenschrift und ihre Religion Bedeutung.
Im 2. Jahrtausend v.Chr. war Palästina von einem Netz selbstständiger Stadtstaaten überzogen. Megiddo, Jericho oder Jerusalem bildeten nur eine kleine Auswahl. Diese Stadtstaaten existierten auf engstem Raum, ohne jedoch eine übergreifende politische Ordnung herauszubilden. Oft waren es reine Interessengemeinschaften, die auf Basis der Ökonomie entstanden oder aufgrund von Verteidigungsbündnissen geschlossen wurden. Zu jeder größeren Stadt, die zumeist befestigt war, gehörte ein umliegendes Territorium, in dem kleinere Dörfer angesiedelt waren. Die Herrschaft über die Stadt wurde mittels einer Erbmonarchie geregelt. Die Gesellschaft wies ein differenziertes Sozialgefüge auf. An der Spitze stand der Stadtherr oder König mit seinen Brüdern, Frauen und Kindern.19 Die Herrscher stützten sich auf die örtliche Aristokratie. Innerhalb ihres Einzugsgebietes legten sie die Steuern und Abgaben der Bevölkerung fest. Zur Mittelschicht zählten Händler und reiche Grundbesitzer. Die Unterschicht bildete die große Masse der Städter und die nicht sesshafte Bevölkerung. Außerhalb der Gesellschaft standen die Apiru. Hierbei handelte es sich um Menschen, die weder zu einem Volk noch zu einer Gruppe gehörten. Sie waren unterschiedlicher Herkunft, oft mit geringem wirtschaftlichem Vermögen und minderen Rechts. Zu ihrem Schutz begaben sie sich in Abhängigkeit und arbeiteten als Söldner oder führten ein Leben als Räuber und Wegelagerer.20
Das Verhältnis der herrschenden Stadtkönige zu ihren Untertanen war zeitgleich ein Abbild der außenpolitischen Lage. Zu Beginn des 2. Jahrtausends v.Chr. waren die politischen Gegebenheiten im benachbarten Ägypten von relativer Stabilität geprägt. Dies führte wiederum dazu, dass Ägypten seinen Machtanspruch auch in Palästina gültig machen wollte. Immer wieder wurde das Gebiet Kanaans politisch und militärisch beeinflusst. Nur kurzzeitig gelang es den Stadtstaaten, sich diesem Einfluss zu entziehen. Eine dieser Phasen bildete die Herrschaftszeit der Hyksos (1650–1540 v.Chr.), die Ägypten deutlich schwächte. Doch nach ihrer Vertreibung gelang Ägypten die Konsolidierung seiner Kräfte, und es griff während der 18. Dynastie der Pharaonen verstärkt in den syrisch-palästinensischen Bereich ein. Das Reich am Nil erlangte durch zahlreiche Expansionen schließlich seine Großmachtstellung zurück und unterwarf in der Folgezeit das Gebiet um Palästina und weite Teile Syriens.
Von ca. 1540 bis in das 12. Jahrhundert v.Chr. bildete Palästina eine ägyptische Provinz, wenn auch die ägyptische Oberhoheit nicht allzu streng ausfiel. In der Regel begnügten sich die Pharaonen mit der Vasallität der kanaanäischen Dynastien.
Dies führte jedoch zu ständigen Unruhen in der Bevölkerung, und ägyptische Beamte mussten vermehrt Aufstände abwehren, um die Abgaben des Landes einzutreiben. Neben den Abgaben an die Fremdherrscher mussten Abgaben und Dienste an die lokalen Stadtherren gezahlt werden. Die Bevölkerung sah sich einer doppelten Belastung unterworfen. In der Folge verarmten die unteren Schichten immer stärker, und allmählich verfiel die kanaanäische Stadtkultur.21
Verstärkt wurde der Zerfall durch die in diesem Zusammenhang einsetzende Landflucht. Immer mehr Bürger wollten den Kontrollen und Abgaben der Stadt entfliehen und sehnten sich nach einem Leben in Freiheit und Unabhängigkeit. Sie zogen in dünn besiedelte Gebiete außerhalb des Einzugsgebietes der Stadtstaaten und errichteten sich eine neue Existenz. Damit setzte die Phase der Deurbanisation Palästinas ein.22
2.2.2 Stammesgesellschaften
Die kleinste Einheit innerhalb eines Stammes bildete die Familie. Die Nachkommenschaft war in der Regel sehr hoch, so dass es sich überwiegend um Großfamilien handelte, in denen oft zwei oder mehr Generationen zusammenlebten. Die Familie bildete eine Wohn- und wirtschaftliche Produktionseinheit und setzte sich zusammen aus den Frauen des Familienoberhauptes, den Söhnen und den unverheirateten Töchtern eines oder sogar aller männlichen Nachkommen des Oberhauptes.23
Die wichtigste Funktion der Großfamilie bestand in der Sicherung der Nachkommenschaft. Kinder galten als die „Rentenversicherung“ der Älteren und genossen allgemein ein hohes Ansehen. Wer viele Nachkommen zeugen konnte, galt als stark und von einer göttlichen Macht gesegnet. Des Weiteren stellte die Großfamilie die Krieger für das Aufgebot zur Verteidigung des Stammes aus ihren eigenen Reihen. Innerhalb der Gemeinschaft wurde für die Erziehung gesorgt und eine soziale Kontrolle ausgeübt. Soziale Verpflichtungen und gemeinschaftliche Riten galt es zu beachten. Dadurch entstand ein starker Zusammenhalt, der sich auch auf die Abgrenzung nach außen hin bemerkbar machen konnte. Dennoch waren die Großfamilien keineswegs komplett in sich verschlossen. Es fand ein reger Austausch im Güterverkehr statt, da es sich zu diesem Zeitpunkt (13. Jh. v.Chr.) nicht mehr um reine Kleinviehnomaden oder Ackerbauern handelte. Ebenfalls üblich war der Wechsel von einer Familie in die andere durch Heirat. Da es sich nahezu ausschließlich um patriarchalische Strukturen handelte, wechselte die Frau nach der Hochzeit in die Familie ihres Bräutigams.
Die nächstgrößere Einheit innerhalb der Stammesverfassung bildete der Clan. Hierbei handelte es sich um einen Zusammenschluss mehrerer Großfamilien zu einem Schutzbündnis. Je nach Lage konnte dieser eine Anzahl von 50–100 Personen umfassen, die in demselben Dorf oder aber in dessen Nähe wohnten. Der Clan erfüllte, neben seiner Schutz- und Versorgungsfunktion, den Status einer Rechtsgemeinschaft.24
In größeren Dörfern konnten durchaus mehrere solcher Schutzbündnisse parallel existieren. Eine wichtige Funktion kam dabei den jeweiligen Oberhäuptern der Familien zu. Sie trafen die Abmachungen bezüglich der Ehen oder berieten und entschieden in Kriegsfällen.
Die größte Einheit bildete der Stamm selbst. Er setzte sich aus mehreren Clans zusammen und erfüllte kultische und militärische Funktionen. Er bot den Rahmen für gegenseitige Hilfe, auch wenn einige Verteidigungsbündnisse zeitlich begrenzt waren. Der Stamm bildete die deutlichste Abgrenzung nach außen. Hochzeiten waren in der Regel nur innerhalb des Stammes erwünscht. Die Versammlung der erwachsenen Männer fand in regelmäßigen Abständen zu bestimmten Festen statt. Die Entscheidung über Krieg und Frieden oblag den Stammesältesten, die möglicherweise auch als Appellationsinstanzen für Rechtsfälle tätig waren, die der dörflichen Gerichtsbarkeit entzogen waren.25
Um die Unterschiede zwischen Stadt und Land erneut deutlich herauszustellen, sollen im Folgenden noch einmal die wesentlichen Kriterien aufgelistet werden.
Die Stadtstaaten bildeten eine zentrale Herrschaftsinstanz. Es handelte sich also um eine staatlich verfasste Größe mit einer klaren Herrschaftsstruktur. Die städtische Gesellschaft war untergliedert in verschiedene Klassen und besaß eine Führungselite in Form von Beamten. An oberster Stelle stand der König bzw. Stadtherr. Größere Städte waren fast immer befestigt. Ihre Einnahmen erwirtschafteten sie durch Markt, Handwerk, Handel und Pacht.
Die Stammesgesellschaften dagegen betrieben in der Regel Ackerbau und Viehzucht. Sie lebten auf eigenem Grund in unbefestigten Dörfern. Einige Gruppen hatten sich auf Kleinviehzucht spezialisiert. Diese lebten dann in ursprünglicher Nomadentradition weiter und waren im Zuge der Weidenwechsel weiterhin ohne festen Wohnsitz in Zelten unterwegs. Dennoch gehörten auch sie in dieser Zeit schon zu den Verbänden, die sich auf Stammes-, Clan- und Familienebene organisiert hatten. Die Stammesgesellschaften kannten keine zentrale Herrschaftsinstanz. Übergeordnete Funktionen, wie das Ausrufen von Recht oder die Formulierung von Geboten und Glaubenssätzen, übernahm die Versammlung der erwachsenen Männer.
Damit bildete die Stammesgesellschaft eine Art Gegenbild zur städtischen Herrschaft. Die vermittelten Ideale der Freiheit und Gleichheit sowie der bereits angesprochene Niedergang der Stadtkulturen im Zuge der politischen Ausbeutung (vgl. 2.2.1) machten die Stammesgesellschaften auch für ehemalige Stadtbewohner interessant. Eine neue Zeit begann sich abzuzeichnen. „Während in der Bronzezeit die Stadt gegenüber dem Land dominierte, hat sie am Übergang von der Spätbronze- zur Eisenzeit (13. Jahrhundert v.Chr.) ihre Führungsposition offenbar an die stammesmäßig organisierte Bevölkerung verloren. In einer Art sozialen Revolution gewann nun eine bisher untergeordnete Schicht die Macht.“26
Bevor jedoch noch weiter auf Ursachen und Folgen dieser Entwicklung eingegangen wird, sollen in den nächsten Abschnitten, neben den hier bereits erwähnten herrschaftlichen Strukturen, die Heilselemente einer näheren Betrachtung unterzogen werden.
2.3 Religiöse Elemente der Frühzeit
Auch bei der Fragestellung nach religiösen Elementen ist eine Unterscheidung in städtische und ländliche Strukturen hilfreich. Die im Vorfeld angedeuteten gesellschaftlichen und herrschaftlichen Differenzen lassen bereits unterschiedliche religiöse Vorstellungen erahnen. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich für das 2. Jahrtausend v.Chr. im Lande Kanaan sowohl städtisch geprägte Religionen als auch nomadisch-dörfliche Sippenreligionen nachweisen lassen.
Beide Elemente spielen für den weiteren Verlauf dieser Arbeit eine zentrale Rolle und sollen daher nacheinander sowie in Wechselwirkung zueinander betrachtet werden.
2.3.1 Kanaanäische Stadtreligionen
Forschungen zur kanaanäischen Religion sind vor allem durch eine Problematik gekennzeichnet: die unsichere und zum Teil sehr begrenzte Quellenlage.27
Detaillierte Ausführungen zu diesem Thema würden den Rahmen dieser Ausarbeitung sprengen und sollen daher vernachlässigt werden.
Der größte Quellenfund gelang durch Ausgrabungen in der Stadt Ugarit. Hier wurden Schriften aufgedeckt, die Merkmale einer Volksreligion enthielten. Das Kulturvolk innerhalb eines Stadtstaates diente als Träger der Religion. Es ist daher naheliegend, dass es von Stadt zu Stadt unterschiedliche Prägungen gab und die Angaben aus Ugarit keinesfalls als allgemeingültig angesehen werden können. Dennoch lassen sich einige Charakteristika der kanaanäischen Religion rekonstruieren.
Gottheiten konnten sowohl männlicher als auch weiblicher Gestalt sein. Grundsätzlich bestand eine Abhängigkeit des Menschen von den Göttern, die letztlich durch eine unüberbrückbare Distanz zwischen Mensch und Gottheit zum Ausdruck kam. Ebenfalls lassen sich Vorstellungen von einer göttlichen Gerechtigkeit nachweisen. Um Gerechtigkeit zu erfahren, mussten bestimmte Regeln eingehalten werden. Auch Opfergaben für die Gottheiten konnten zum Wohle des Menschen dienen. Im Kulturland der Stadt gab es feste Heiligtümer und Altare für die verschiedenen Gottheiten. In der Stadt selbst wurden Tempel errichtet. Außerhalb der Stadtmauern befanden sich Höhenheiligtümer. Für die Durchführung der Opfer waren die Priester zuständig. Bei den Priestern handelte es sich um geweihte Personen, die untereinander hierarchisch organisiert waren. So konnte ein geregelter Tempelkult durchgeführt werden. Neben kleineren Göttern existierten verschiedene Hochgötter. Alle zusammen bildeten ein Pantheon, ähnlich wie es für die griechische oder babylonische Religion überliefert ist.28 Dabei sind lokale und regionale Unterschiede zu beachten. In der Vorstellung der Menschen hatten die Götter oft spezielle Funktionen. Wurden diese nicht erfüllt oder wurden eventuell bestimmte Eigenschaften nicht benötigt, konnten sie ihren Platz im Pantheon auch wieder verlieren. Die lokalen Differenzierungen waren ebenfalls gekennzeichnet durch unterschiedliche Bezeichnungen der Gottheiten. So konnten bestimmte Gottheiten unter dem einen Namen in der einen Stadt und unter anderem Namen in einer anderen Stadt im Pantheon enthalten sein, obwohl es sich letztlich um die gleiche Gottheit handelte, die auch die gleiche Funktion erfüllte.
Häufig standen die Gottheiten in rivalisierenden Verhältnissen. Hierin lässt sich ein Abbild des Stadtbildes erkennen, in dem sich ebenfalls unterschiedliche Interessengruppen gegenüberstanden.29
Ebenfalls typisch für die zentrale Herrschaftsstruktur eines Stadtstaates war der hierarchische Aufbau des Pantheons. An oberster Stelle stand der Hochgott El. Die übergeordnete Bedeutung, die El im Pantheon besaß, lässt sich schon an seinem Namen erkennen. In fast jeder semitischen Sprache bedeutet el „Gott“. In Kanaan wurde das Wort schließlich zum Synonym für eine Art „Übergott“30. Dieser nahm, wie der Stadtherr im irdischen Bereich, die Rolle des Oberhauptes in der Götterversammlung ein. El galt als Vater der Götter und der Menschheit. Er wurde als „Schöpfer der Geschöpfe“ bezeichnet.31
[...]
1 Haag, Herbert, Vom alten zum neuen Pascha. Geschichte und Theologie des Osterfestes, Stuttgart 1971, S. 15.
2 Gennep van, Arnold, Les rites de passage, Paris 1909.
3 Vgl. Borgeaud, Philippe, Feste/Feiern I. Religionswissenschaftlich, in: Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG). Handbuch für Theologie und Religionswissenschaft, 4.Auflage, Band 3, Tübingen 2000, Spalte 86.
4 Ebd., Spalte 86f.
5 Haag, Pascha, S. 15.
6 Vgl. Bieritz, Karl-Heinrich, Das Kirchenjahr. Feste, Gedenk- und Feiertage in Geschichte und Gegenwart, München 2005, S. 40.
7 Ebd., S. 41.
8 Bieritz, Kirchenjahr, S. 41.
9 Borgeaud, Feste/Feiern, S. 86.
10 Vgl. Müllner, Ilse / Dschulnigg, Peter, Jüdische und christliche Feste. Perspektiven des Alten und Neuen Testaments, Würzburg 2002, S. 9.
11 Vgl. Müllner / Dschulnigg, Jüdische und christliche Feste, S. 9.
12 Vgl. Donner, Herbert, Geschichte des Volkes Israel und seiner Nachbarn in Grundzügen. Teil 1: Von den Anfängen bis zur Staatenbildungszeit, 2.Auflage, Göttingen 1995, S. 51.
13 Ebd., S. 52.
14 Ebd., S. 55.
15 Vgl. Albertz, Rainer, Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit. Teil 1: Von den Anfängen bis zum Ende der Königszeit, Göttingen 1992, S. 60.
16 Vgl. Donner, Teil 1, S. 55.
17 Bock, Sebastian, Kleine Geschichte Israels. Von den Anfängen bis in die Zeit des Neuen Testaments, Freiburg im Breisgau 1998, S. 36-37.
18 Vgl. Clauss, Manfred, Geschichte Israels. Von der Frühzeit bis zur Zerstörung Jerusalems (587 v.Chr.), München 1986, S. 16.
19 Ebd., S. 19.
20 Vgl. Donner, Teil 1, S. 81.
21 Vgl. Clauss, Geschichte Israels, S. 20.
22 Vgl. Niehr, Herbert, Religionen in Israels Umwelt. Einführung in die nordwestsemitischen Religionen Syrien – Palästinas, Würzburg 1998, S. 97.
23 Vgl. Bock, Geschichte Israels, S. 40.
24 Ebd., S. 39.
25 Ebd., S. 39.
26 Bock, Geschichte Israels, S. 37.
27 Für nähere Angaben vgl. z.B. Fohrer, Georg, Geschichte der israelitischen Religion, Freiburg im Breisgau 1992.
28 Vgl. Fohrer, Geschichte der israel. Rel., S. 33.
29 Vgl. Grant, Michael, Das Heilige Land. Geschichte des Alten Israel, Bergisch Gladbach 1985, S. 36.
30 Ebd., S. 37.
31 Vgl. Fohrer, Geschichte der israel. Rel., S. 33-34.
- Citar trabajo
- Stephan Schatzler (Autor), 2008, Herrschaft und Heilsversprechen, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/138756
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