„Ein Leben ohne Träume ist wie ein trockener Brunnen ohne Wasser
Ein Land ohne Fremde ist wie ein Baum ohne Früchte
Lass dein Leben mit Farben bereichern
Denn die Menschen sind prachtvolle Farben unserer Erde“
(Dr. Hidir E. Çelik, 2006, URL: www.bimev.de)
Migration ist Einwanderung in ein fremdes, unbekanntes Land, die verschiedene Erfahrungen, Schicksale und psychische Herausforderungen mit sich bringt (Frindte, 2001). Jedes Jahr migrieren Millionen Menschen aus eigenem Entschluss oder infolge von Entscheidungen anderer, die ihr ganzes bewegliches Eigentum auf Lastwagen oder in Containern mit sich führen oder auch nur ein kleines Bündel mit Habseligkeiten mitnehmen (Sluzki, 2001).
Viele Menschen, die ihre Heimat mit ihren Kindern verlassen, die sich aus ihrer politischen, sozialen und ökonomischen Not befreien wollen und nicht nur für sich, sondern für ihre Kinder bessere Chancen und sichere Lebensbedingungen schaffen wollen, suchen ihre Zukunft in der Bundesrepublik Deutschland als eines der reichsten Länder der westlichen Welt (Müller, 2004). Obwohl die Entscheidung zur Auswanderung gut geplant ist und die Aufnahmebedingungen im Aufnahmeland optimal sind, wird der Migrationprozess von gesundheitlichen und sozialen Risiken begleitet (Weiss, 2003). Mit den Kindern und Jugendlichen als auch mit den Erwachsenen geschehen verschiedene Ereignisse im Verlauf des Migrationsprozesses, und die Anfälligkeit für psychische Störungen ist sehr stark erhöht (Baune, 2004).In diesem Zusammenhang steht im Mittelpunkt der Arbeit die Darstellung des psychischen Gesundheitszustands von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund.
Inhaltverzeichnis
Einführung in die Thematik
1. Aspekte der Migration
1.1. Tendenz der demographischen Entwicklung der Migration in Deutschland
1.2. Motive und Hintergründe der Migration
1.3. Phasen der Migration und ihre Auswirkungen auf den Gesundheitszustand
von jugendlichen Migranten
2. Psychische Gesundheit in der Migration
2.1. Psychische Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen. Allgemein
2.2. Psychischer Gesundheitszustand und psychische Belastungen bei den Kindern
und Jugendlichen mit Migrationshintergrund
3. Risikofaktoren für psychische Probleme bei Migrantenkindern
3.1. Ökonomische und soziale Lage von Kindern und Jugendlichen mit
Migrationshintergrund in Deutschland
3.2. Zusammenhang der Integration und der psychischen Gesundheit von
Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund
3.3. Suche nach Identität und ihre Auswirkung auf die Psyche der Jugendlichen
4. Stand der Migrationsforschung von psychischer Gesundheit bei Kindern
4.1. Analyse der Problematik über die Migrationsforschung von psychischer
Gesundheit bei Kindern
4.2. Ein Überblick über Ergebnisse und Probleme migrationspezifischer
Forschungsstudien in Deutschland
5. Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis..
Einführung in die Thematik
„Ein Leben ohne Träume ist wie ein trockener Brunnen ohne Wasser
Ein Land ohne Fremde ist wie ein Baum ohne Früchte
Lass dein Leben mit Farben bereichern
Denn die Menschen sind prachtvolle Farben unserer Erde“
(Dr. Hidir E. Çelik, 2006, URL: www.bimev.de)
Migration ist Einwanderung in ein fremdes, unbekanntes Land, die verschiedene Erfahrungen, Schicksale und psychische Herausforderungen mit sich bringt (Frindte, 2001). Jedes Jahr migrieren Millionen Menschen aus eigenem Entschluss oder infolge von Entscheidungen anderer, die ihr ganzes bewegliches Eigentum auf Lastwagen oder in Containern mit sich führen oder auch nur ein kleines Bündel mit Habseligkeiten mitnehmen (Sluzki, 2001).
Viele Menschen, die ihre Heimat mit ihren Kindern verlassen, die sich aus ihrer politischen, sozialen und ökonomischen Not befreien wollen und nicht nur für sich, sondern für ihre Kinder bessere Chancen und sichere Lebensbedingungen schaffen wollen, suchen ihre Zukunft in der Bundesrepublik Deutschland als eines der reichsten Länder der westlichen Welt (Müller, 2004).
Obwohl die Entscheidung zur Auswanderung gut geplant ist und die Aufnahmebedingungen im Aufnahmeland optimal sind, wird der Migrationprozess von gesundheitlichen und sozialen Risiken begleitet (Weiss, 2003). Mit den Kindern und Jugendlichen als auch mit den Erwachsenen geschehen verschiedene Ereignisse im Verlauf des Migrationsprozesses, und die Anfälligkeit für psychische Störungen ist sehr stark erhöht (Baune, 2004).
In diesem Zusammenhang steht im Mittelpunkt der Masterarbeit die Darstellung des psychischen Gesundheitszustands von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Das gesamte Konzept der Masterarbeitarbeit beruht auf dem Vergleich zwischen den Aussagen aus dem theoretischen Teil der Literaturrecherche und Ergebnissen der Forschungsstudien, sodass dadurch ein umfassendes Bild über psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund erstellt wird.
Diese Masterarbeit ist auf fünf verschiedene Kapitel aufgeteilt, sodass der Leser nach der Einführung in die Thematik im ersten Kapitel einen Überblick über grundsätzliche Nuancen der Migration mit Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen bekommt. Im zweiten Kapitel der vorliegenden Arbeit wird auf psychische Gesundheit und psychosoziale Probleme von Kindern eingegangen. Im dritten Kapitel werden die wichtigsten Einflüsse auf die psychische Gesundheit bei den Migrantenkindern dargestellt. Der Leser bekommt eine Vorstellung, wie sich die Suche nach Identität und Integration auf die Psyche der Jugendlichen auswirkt und welche Folgen zu erkennen sind. Um die Aktualität der Problematik zu zeigen, wird im vierten Kapitel ein umfassendes Bild der Migrationsforschung mit Erfahrungen und Problemen dargestellt. Die Masterarbeit wird mit einer Zusammenfassung zu diesem Thema abgeschlossen.
Kapitel 1
1. Aspekte der Migration
„Wo die Heimat zur Fremde wird,
… wird die Fremde zur Heimat.“
(Janesch zitiert nach Mann, URL:www.siebenbuerger.de)
Der Themenkomplex „Migration und Gesundheit" ist eine Verbindung der zwei grundsätzlich unterschiedlichen Systeme, die im Grenzbereich von Medizin, Psychiatrie/Psychologie, Soziologie und Ethnologie angesiedelt sind (Weiss, 2003).
Migration ist ein Phänomen der Menschheitsgeschichte und findet überall auf unserer Erde statt. Migrationsbewegungen werden aus verschiedenen Gründen ganz unterschiedlich erlebt, wobei für die Betroffenen Migration mehr oder weniger große innere und äußere Veränderungsanforderungen mit sich bringt, die Konsequenzen für die psychische Gesundheit hervorrufen (Hegemann und Salman, 2001). Migration ist ein einschneidender Abschnitt des Lebens von Migranten und darf nicht als ein einzelnes Ereignis, sondern muss als Prozess der Eingliederung, der Anpassung und neuer Identitätsbildung verstanden werden (Keller, 2004).
Der Begriff „Migration“ wird im Migrationsbericht 1999 von Beauftragten der Bundesregierung für Ausländerfragen folgend dargestellt:
„Migration steht für die räumliche Bewegung zur Veränderung des Lebensmittelpunktes von Individuen oder Gruppen über eine bedeutsame Entfernung. Die Verlagerung des Lebensmittelpunktes über die Grenzen eines Nationalstaates ist dabei kennzeichnend für internationale Migration…. Räumliche Bewegungen im Zusammenhang mit Freizeitbeschäftigung, Reisen, Sport, Tourismus und Pendeln sind nicht als Migration zu bezeichnen“ (Lederer et al., URL: www.integrationsbeauftragte.de).
Die allgemein anerkannte Definition beinhaltet einige Vorteile, sodass sie nicht nach Motiven, Zielen der Migration und nach dem Rechtsstatus unterscheidet. Aber aus dem psychologischen Winkel hat die Definition jedoch einen Nachteil. Dabei könnte die psychische Distanz bedeutsamer als die räumliche Entfernung sein. In der Wirklichkeit können die Menschen in vielen Fällen ihre räumliche Entfernung realisieren, obwohl ihr Denken und Fühlen noch ganz auf das Herkunftsland bezogen sein könnte (Brucks, 2001). Migranten suchen ihren eigenen Weg und ihre persönliche Identität im fremden Land. Sie erleben dabei Erfolg oder Niederlage, Aufschwung oder Abstieg, Nostalgie und Heimweh, sodass große Belastungen auf die Psyche des Menschen ausgeübt werden.
1.1. Tendenz der demographischen Entwicklung der Migration in Deutschland
Die deutsche Geschichte kennt zahlreiche Facetten und Vielfältigkeiten der Migration. Der große Bevölkerungswandel hat mit der Migration nach Ost- und Südeuropa im ausgehenden Mittelalter angefangen und wurde mit der Auswanderung von mehreren Millionen Deutschen nach Nord- und Südamerika im 19. Jahrhundert fortgesetzt. Er stellt auch im 20. Jahrhundert ein gesellschaftlich bedeutendes Phänomen dar (Lederer et al., URL: www.integrationsbeauftragte.de).
Flöthmann (2004) unterscheidet in Deutschland insgesamt fünf Wanderungsphasen:
- Die erste große Wanderungswelle, die nach dem Zweiten Weltkrieg in der zweiten Hälfte der 50er Jahre einsetzte, erreichte im Jahr 1965 einen Höhepunkt mit einem jährlichen Wanderungsgewinn von ca. 300.000 Migranten. Diese Phase endete im Jahr 1967;
- Die zweite Wanderungswelle, die durch Gastarbeitermigration gekennzeichnet war, hat im Jahr 1970 einen Höhepunkt mit einem Wanderungsgewinn von ca. 550.000 Migranten erreicht. Diese Wanderungsphase endete durch die Ölkrise und den Anwerbestopp im Jahr 1975;
- Die dritte große Wanderungsphase, die durch Familiennachzüge gekennzeichnet war, war in der Zeit von 1973 bis 1984 mit einem Maximum von ca. 300.000 Migranten. Die Wanderungswelle endete durch finanzielle Remigrationsanreize im Jahr 1984;
- Die vierte und größte Wanderungswelle, die durch die politische Veränderung in Osteuropa ausgelöst wurde, wies im Jahr 1992 den höchsten jährlichen Wanderungsgewinn mit 782.000 Migranten auf. Diese bedeutende Wanderungsphase war im Jahr 1998 durch Änderungen des Asylrechts sowie geringe ökonomische Wachstumsraten und zunehmende Arbeitslosigkeit beendet;
- Die fünfte Wanderungsphase, die durch die EU-Osterweiterung beeinflusst wird, ist zurzeit noch offen.
Die Bundesrepublik Deutschland ist durch die Abhängigkeit von wirtschaftlichen Konjunkturen und die Unklarheit der Migrationspolitik, die entscheidende Festlegungen verhindern, zu einem „unruhigen Migrationsland“ geworden. Migration in der Bundesrepublik Deutschland ist durch eine hohe Fluktuation und ein demzufolge sehr hohes Wanderungsvolumen charakterisiert. Über 750.000 Personen wandern nach Deutschland jährlich zu und über 600.000 Personen sind pro Jahr wieder abgewandert (Hamburger et al., 2005).
Die Zahl der ausländischen Migranten ist in der Bundesrepublik Deutschland von 5,5 Millionen im Jahr 1990 auf 7,2 Millionen im Jahr 2005 gestiegen (Statistisches Bundesamt, 2007), davon ist allein die Zahl der ausländischen Kinder und Jugendlichen unter 21 Jahren ca. 2 Millionen (Konsortium Bildungsberichterstattung, 2006). Die zugewanderten Migranten sind eine bedeutend jüngere Population mit einem hohen Anteil an Kinder und Jugendlichen im Vergleich zur deutschen Bevölkerung (Siehe Abb. 1).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1. Altersstruktur der bundesdeutschen und ausländischen Bevölkerung im Jahr 2005 (Quelle: Statistisches Bundesamt, 2007).
Dieser hohe Anteil (21,4 %) zeigt, dass die Bevölkerung mit Migrationshintergrund im Durchschnitt deutlich jünger ist als die Bevölkerung ohne Migrationshintergrund. Die Bevölkerung mit Migrationshintergrund verteilt sich auf die Bundesländer sehr unterschiedlich. In Hamburg und Bremen erreichen die Anteile an jungen Menschen mit Migrationshintergrund 40 %, in Baden-Württenberg, Berlin, Hessen und Nordrhein – Westfalen 35 %, in Saarland und Bayern 25 % (Konsortium Bildungsberichterstattung, 2006).
Durch weitere Integration der östlichen EU-Länder sind neue Wanderungsbewegungen entstanden. Nach der Erweiterung der Europäischen Union ist Polen mit dem größten Anteil (24,7 %) der Migranten zum Haupteinwanderungsland in der Bundesrepublik Deutschland geworden (Siehe Abb.2).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2. Zuzüge im Jahr 2007 nach den häufigsten Herkunftsländer (Quelle: Statistisches Bundesamt, 2007).
Das gesamte Bild der Migration zeigt, dass kinderreiche Familien ihre Zukunft in der Bundesrepublik Deutschland suchen. Es bringt einen positiven Effekt, der „zur
Verjüngung der Bevölkerung“ führt (Dietz, 1998).
1.2. Motive und Hintergründe der Migration
Menschen wanderten schon zu allen Zeiten der Menschheitsgeschichte und die Gründe für die Migration sind vielfältig (ohne Autor, URL: www.exil-club.de). Das Spektrum der Migrationsbewegung entsteht aus unterschiedlichen Motiven, die ein bestimmtes Migrationsmuster in der Bundesrepublik Deutschland bilden. Unzufriedenheit mit politischem Systemen, die Angst von politischer oder religiöser Verfolgung, schlechte wirtschaftliche Bedingungen, Gefühle von Unsicherheit und Frustration, die durch verschiedene Beschränkungen in eigenem Land hervorgerufen sind, sind überwiegende Auslöser und bewegen Menschen zum Auswandern (Kornischka, 1992; ohne Autor, URL: www.exil-club.de).
Man unterscheidet in der Migrationstheorie ausgehende Push-Faktoren des Herkunftslandes und ausgehende Pull-Faktoren des Zuwanderungslandes, die für die Wanderungsbewegung zuständig sind. Unter Push-Faktoren versteht man, Formen existentieller Bedrohungen im Herkunftsland, zum Beispiel: Kriege, ökologische Katastrophen, wirtschaftliche Verelendung oder religiöse und ethnische Diskriminierung. Pull-Faktoren stellen eine Kosten-Nutzen-Einschätzung dar. Es heißt, dass im Zuwanderungsland bessere Überlebensbedingungen und Aufnahmegarantien erwartet werden (Dietz, 1997).
Ingenhorst (1997) weißt darauf hin, dass das zentrale Motiv für die Ausreise in den sich verschlechternden Verhältnissen in der alten Heimat und in den eher diffusen Erwartungen auf ein besseres Leben in der neuen Heimat zu finden ist. Migration prägt in einer spezifischen Art und Weise die Ausreisewünsche und Vorstellungen von Kindern und Jugendlichen, die das Hauptgewicht im Vergleich zu der älteren Generation auf die Verbesserung der sozialen und ökonomischen Situationen setzten.
1.3. Phasen der Migration und ihre Auswirkungen auf den Gesundheitszustand von jugendlichen Migranten
Mit den Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund als auch mit den Erwachsenen geschehen verschiedene Ereignisse im Verlauf des Migrationsprozesses,
sodass die Anfälligkeit für psychische Störungen sehr stark erhöht ist (Baune, 2004). Ein Migrationsprozess mit seinen kurzfristigen aber auch langfristigen Auswirkungen scheint einen wichtigen Einfluss auf das psychische Wohlergehen sowie auf die Entwicklung psychischer Erkrankungen unter jugendlichen Migranten auszuüben (Baune zitiert nach Machleidt, 2004, S. 124). Die Gestaltung der neuen Lebenswelt im Migrationsprozess wird von verschiedenen Faktoren belastet (Weiss, 2003). Baune (2004) behauptet, dass die Dauer des Migrationsprozesses sehr unterschiedlich sein kann und von der Geschwindigkeit der beruflichen, sozialen und sprachlichen Integration von Kindern und Jugendlichen abhängig ist.
Sluzki (2001) unterteilt den Verlauf eines Migrationsprozesses in folgende sechs Stadien, die unterschiedlich auf den psychischen Gesundheitszustand bei Kindern und Jugendlichen einwirken (Siehe Abb.3):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
III - Migrationsakt
IV - Phase der Überkompensation
V - Phase der Dekompensation
VI - Phase der generationsübergreifenden Anpassungsprozesse
Abbildung 3. Phasen der Migration
Quelle: modifiziert nach Sluzki, 2001, S.103
Die Vorbereitungsphase.
Der Verlauf der Migration fängt an, wenn ein Familienmitglied sich mit der Auswanderung intensiv beschäftigt. Dabei wird das Bemühen gegeben, um eine Auswanderung zu konkretisieren. Die Dauer dieser Phase hängt vom Lebensstil und Zeitrhythmus der Familie ab. Die Vorbereitungsphase wird mit den ersten „Höhen“ und „Tiefen“ begleitet, sodass es einerseits in kurzen freudigen Euphorien und anderseits in kurzen Perioden von Angst, Enttäuschung und Überlastung äußern kann (Sluzki, 2001). Die Neugier zur fremden Kultur beseitigt meistens negative Gefühle, weil man die eigene Erfahrung im Aufnahmeland sammeln und erleben möchte und nicht nur dieses Bild von Erzählungen der Bekannten vor sich haben will. Kindern und Jugendlichen wird viel versprochen, um ihre psychische Stabilität zu erhalten.
Der Migrationsakt.
Migration ist ein Prozess, für den keine Rituale vorgeschrieben sind. Migranten müssen aus ihrer Sichtweise für diesen schmerzhaften Akt persönliche Rituale aussuchen. Ablauf und Stil des Migrationsaktes ist in jeder Familie unterschiedlich. Einige Familien wollen alle Brücken abbrechen und sehen den Migrationsakt als etwas Endgültiges und Unwiderrufliches an. Andere wollen nur für eine gewisse Zeit migrieren und in dem Fall, wenn die Lebensbedingungen sich verschlechtern, kehren sie zurück (Sluzki, 2001). Der Anfang der erheblichen psychischen Probleme beginnt in dieser Phase, wo der Wechsel des politischen und kulturellen Bezugsrahmens deutlich wird, und damit die Erschütterung des gewohnten Werte- und Normensystems, das Verlassen der gewohnten Umgebung, das Zurücklassen von Verwandten und Freunden, der Statusverlust und meistens Sprachschwierigkeiten vorhanden sind (Branik, 1982). Der Migrationsakt ist für Jugendliche ein Übergangsprozess vom Heimatland in eine neue Umgebung. Während dieser Zeit sind jugendliche Migranten besonders verletzlich, weil sie die Welt der Kindheit verlassen und in die neue Welt eintreten müssen, wo die Pflichten zunehmen (Colijn, 2001).
Phase der Überkompensierung.
Die Belastungen der Migration sind nach Ankunft am größten. Sie äußern sich nach den ersten Wochen und Monaten als massive Krisen infolge der Umstrukturierung einer Familie. In der Anfangszeit unmittelbar nach der Migration werden die Probleme verdrängt, um Unstimmigkeiten zwischen den Erwartungen und der Realität nicht
wahrzunehmen (Sluzki, 2001). Stress wird in der Phase der Überkompensierung sehr oft vertuscht, um die mühsamen Anpassungsmöglichkeiten an die fremde Kultur zu realisieren. Die Familien verstärken häufig zur Konfliktabwehr die alten Familientraditionen und Familienbewältigungsstile (Leyer, 1991).
Althammer und Kossolapow (1992) haben diese Phase als „Einstiegsphase“ gekennzeichnet, in der bei Kindern und Jugendlichen psychosoziale Irritationen aufgrund mangelnder Angepasstheit entstehen. Sie leben eher retrospektiv als prospektiv und die Grenze zwischen Wunsch und Wirklichkeit verschwimmt.
Die positive Einstellung, die in den ersten inhaltlichen und persönlichen Begegnungen mit dem Aufnahmeland und dessen Kultur stattfindet, besteht aus persönlichen Vorstellungen und Wünschen der jugendlichen Migranten. Die Stimmung kann von Neugier, Euphorie und Überidealisierung beeinflusst sein, obwohl es mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt. Dabei ist aber die Erreichung eigener Ziele am wichtigsten (Baune, 2004).
Die Ankunft bedeutet für Kinder und Jugendliche als auch für Erwachsene eine gewaltige Umstellung auf „die neue Zukunft“. Es heißt, dass sie Ordnungen und Gesetzen folgen sollen, die sie nicht kennen. Die Gesellschaft reagiert auf Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund meist ablehnend oder teilnahmslos, so dass für sie diese Haltung der Gesellschaft eine physische und psychische Belastung ist. Es gibt irgendwann eine Entladung, weil kein Mensch sich ständig in seiner Ehre oder in seinem Persönlichkeitsbild angreifen lassen kann (Funke, 1986). Kinder und Jugendliche erleben in dieser Phase den Zustand des so genannten „Kulturschocks“, der mit dem Verlust alter Bindungen und mit dem Nichtbescheidwissen in der neuen Welt verbunden ist und krankhafte, psychosomatische Erscheinungen mit Misstrauen, Angst und Depression auslösen kann (Branik, 1982).
Phase der Dekompensation.
Eine stürmische Periode erleben die jugendlichen Migranten in der Phase der Dekompensation (Leyer, 1991). Diese bewegte Phase ist mit Konflikten, Symptomen und Problemen besonders belastet, weil migrierte Kinder und Jugendliche eine neue Realität gestalten sowohl wie auch die Anpassungsfähigkeiten an die neue Umwelt erhalten müssen (Sluzki, 2001). Baune (2004) bezeichnet diese Phase als einen
psychologischen Migrationsprozess, in dem die Anpassung an neue kulturelle Werte gleichzeitig eine kritische Auseinandersetzung mit kulturellen Werten der eigenen Kultur bewirkt. Das könnte zur Ausgrenzung alles Andersartigen führen, vor allem all jener Dinge, die eigene Vorstellungen und Erwartungen bedroht (Ingehorst, 1997). Die Aufgabe von Kindern und Jugendlichen in dieser Phase besteht darin, sich an neue Lebensverhältnisse anzupassen, ohne ihre eigene Identität völlig zu verlieren. Leyer (1991) erwähnt ein weises Zitat des französischen Philosophen Diderot. Er schrieb: Man ziehe den Rock des Landes an, in dem man lebt, und bewahre den Rock des Landes, aus dem man stammt.
Die Auswirkung auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen wird durch Krisen in der Familie, Unsicherheit in der Gesellschaft, erste Enttäuschungen und Frustrationen in dieser Phase verschärft. Einige Jugendliche ziehen sich im Laufe dieser Migrationsphase immer stärker zurück, so dass sie in den Zustand der Selbstisolation oder Abkapselung geraten können.
Phase der generationsübergreifenden Anpassungsprozesse.
Die Phase wird nach Sluzkis Modell in Form eines Generationskonflikts dargestellt. Obwohl Erwachsene den Anpassungsprozess verzögern, pflegen Kinder und Jugendliche aktiv ihre Kontakte zur Außenwelt im Aufnahmeland. Aus diesem Grund entstehen heftige Konflikte mit den Eltern, die alte Werte, Sitten und Normen in Zweifeln stellen (Sluzki, 2001). Die psychische Belastung wird in dieser Phase bei den Kindern und Jugendlichen besonders erhöht, weil sie unter dem gesellschaftlichen und
familiären Druck stehen.
Kapitel 2
2. Psychische Gesundheit in der Migration
2.1. Psychische Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen. Allgemein
Psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ist entscheidend für den Aufbau und den Erhalt einer stabilen Gesellschaft. Migration, geänderte Beschäftigungsaussichten, geänderte Familienmuster und eine Belastung durch familiäre Konflikte sind die kritischen Lebensereignisse, die sich auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen auswirken. Wenn es in der Gesellschaft die Anwesenheit „gefährdeter“ Kinder und Jugendlicher gibt, führt es zu destabilisierenden Bedingungen für die Gesellschaft insgesamt (ohne Autor, URL: www.euro.who.int).
In dem Modell über die wichtigsten Einflüsse auf die Gesundheit im Jugendalter (Siehe Abb. 4) kann man erkennen, dass man Lebensereignisse und Dauerbelastungen als normativ und non-normativ unterscheidet. Unter normativen Belastungen, die sich aus gesellschaftlichen Anforderungen und Normen oder aus allgemeinen Entwicklungsbedingungen ergeben, lebt der überwiegende Teil der Jugendlichen. Um sich positiv im Jugendalter zu entwickeln, muss ein Individuum folgende Entwicklungsaufgaben bewältigen:
- „Akzeptieren der eigenen körperlichen Veränderungen,
- Übernahme der männlichen/weiblichen Geschlechtsrolle,
- Emotionale Unabhängigkeit und Ablösung von den Eltern,
- Aufbau und Gestaltung von Peer-Beziehungen,
- Umgang mit sexuellen Bedürfnissen,
- Entwicklung eigener Werte und eines persönlichen ethischen Systems,
- Vorbereitung zum Beruf,
- Vorbereitung auf Ehe und Familienleben“ (Faltermeier zitiert nach Oerter et al., 2005, S.249).
Identität ist für Jugendliche das zentrale Entwicklungsthema, weil sie für sich herausfinden müssen, wer sie sind und wie sie sein wollen. Eine Reihe von psychischen Belastungen ergibt sich aus den Entwicklungsaufgaben. Da die körperlichen Veränderungen wie zum Beispiel körperliche Reifung, Körperwachstum, sexuelle Reife in der Pubertät bei den Jugendlichen deutlicher sind, werden sie ohne Erfahrung dadurch verunsichert, so dass es zu psychischen Belastungen führt (Faltermeier, 2005).
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- Quote paper
- Master of Education, Bachelor of Science (BSc), Dipl.Ing. Margarita Esterleyn (Author), 2009, Migration und psychische Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/138511
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