„Hartz IV muss weg“ - dieser Wahlkampf-Slogan dürfte vielen Sozialdemokraten noch lange in Erinnerung bleiben. Denn bei der Bundestagswahl 2005 schaffte die Linke, unter anderem getragen von einer gegen die Sozialreformen der rot-grünen Bundesregierung gerichteten Kampagne, das, woran sie seit der Wiedervereinigung immer wieder gescheitert war: Gleich in mehreren westdeutschen Bundesländern, darunter in den Stadtstaaten Bremen und Hamburg, aber auch einigen Flächenländern gelang der Partei der Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde. Bundesweit konnte sie ihren Stimmenanteil mehr als verdoppeln und erreichte mit 8,7 Prozent ihr bis dato mit Abstand bestes Ergebnis.
Nach dem Sprung der Grünen in den Bundestag im Jahr 1983 scheint die Linke nun auf dem Weg, neben CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen als fünfte Partei in der bundesdeutschen Politik Fuß zu fassen und aus ihrer Rolle einer ostdeutschen Regionalpartei herauszuwachsen. Die Grünen, die seit mehr als 25 Jahren im Bundestag vertreten sind, und die Linke sind damit die einzigen Parteien, die sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland neben FDP, Sozialdemokraten und Union auf Bundesebene etablieren konnten, keiner anderen Partei ist dies bisher gelungen.
Für die Parteienforschung stellt sich daher die Frage, wie diese Erfolge möglich waren. Warum gelang Grünen und Linken das, woran zahlreiche andere Parteien und Gruppierungen scheiterten? Welche politischen, gesellschaftlichen, ökonomischen oder institutionellen Faktoren trugen zum Erfolg von Grünen und Linken bei? Wie lässt sich ihr Aufstieg erklären?
In der folgenden Arbeit sollen zur Beantwortung dieser Fragen verschiedene Erklärungsansätze zur Entstehung der Grünen und der Linken vorgestellt werden. Dabei können im Rahmen dieser Arbeit aus Platzgründen nicht alle existierenden Erklärungsansätze umfassend dargestellt werden. Vielmehr ist das Ziel, aufzuzeigen, inwiefern die für die Entstehung der Grünen entwickelten Erklärungsansätze und -perspektiven auf die Entstehung der Linken anwendbar sind, sowie wo Gemeinsamkeiten und Unterschiede liegen.
INHALT
1. Einleitung
2. Erklärungsansätze zur Entstehung der Griinen
2.1. Strukturelle Erklärungsansätze
2.1.1. Der Cleavage-Ansatz
2.1.2. Der Ansatz der relativen Deprivation
2.1.3. Der Milieu-Ansatz
2.1.4. Zwischenfazit
2.2. Formal-institutionelle Rahmenbedingungen
2.2.1. Staatliche Parteienfinanzierung
2.2.2. Föderalismus, Landtagswahlen und Europawahlen
2.2.3. Wahlsystem
2.2.4. Zwischenfazit
3. Erklärungsansätze zur Entstehung der PDS bzw. Linken
3.1. Die Entstehung der Partei Die Linke im Uberblick
3.2. Strukturelle Erklärungsansätze
3.2.1. Der Cleavage-Ansatz
3.2.2. Der Ansatz der relativen Deprivation
3.2.3. Der Milieu-Ansatz
3.2.4. Zwischenfazit
3.3. Formal-institutionelle Rahmenbedingungen
3.3.1. Staatliche Parteienfinanzierung
3.3.2. Föderalismus, Landtagswahlen und Europawahlen
3.3.3. Wahlsystem
3.3.4. Zwischenfazit
4. Vergleich der Erklärungsansätze zur Entstehung der Griinen und der PDS bzw. Linken
4.1. Strukturelle Erklärungsansätze
4.2. Formal-institutionelle Rahmenbedingungen
5. Fazit
Literatur
1. Einleitung
„Hartz IV muss weg" - dieser Wahlkampf-Slogan dürfte vielen Sozialdemokraten noch lange in Erinnerung bleiben. Denn bei der Bundestagswahl 2005 schafte die Lin-ke1, unter anderem getragen von einer gegen die Sozialreformen der rot-grünen Bun-desregierung gerichteten Kampagne, das, woran sie seit der Wiedervereinigung immer wieder gescheitert war: Gleich in mehreren westdeutschen Bundesländern, darunter in den Stadtstaaten Bremen und Hamburg, aber auch in den Flächenländern Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland gelang der Partei der Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde. Bundesweit konnte sie ihren Stimmenanteil mehr als verdoppeln und erreichte mit 8,7 Prozent ihr bis dato mit Abstand bestes Ergebnis.
Nach dem Sprung der Grünen2 in den Bundestag im Jahr 1983 scheint die Linke nun auf dem Weg, neben CDU/CSU3, SPD, FDP und Grünen als fünfte Partei in der bun-desdeutschen Politik Fug zu fassen und aus ihrer Rolle einer ostdeutschen Regionalpar-tei herauszuwachsen. Die Grünen, die seit mehr als 25 Jahren im Bundestag vertreten sind, und die Linke sind damit die einzigen Parteien, die sich nach dem Ende des Zwei-ten Weltkriegs in Deutschland neben FDP, Sozialdemokraten und Union auf Bundes-ebene etablieren konnten, keiner anderen Partei ist dies bisher gelungen.
Für die Parteienforschung stellt sich daher die Frage, wie diese Erfolge möglich waren. Warum gelang Grünen und Linken das, woran zahlreiche andere Parteien und Gruppierungen scheiterten? Welche politischen, gesellschaftlichen, ökonomischen o-der institutionellen Faktoren trugen zum Erfolg von Grünen und Linken bei? Wie lässt sich ihr Aufstieg erklären?
In der folgenden Arbeit sollen zur Beantwortung dieser Fragen verschiedene Erklärungsansätze zur Entstehung der Grünen und der Linken vorgestellt werden. Dabei können im Rahmen dieser Arbeit aus Platzgründen nicht alle existierenden Erklärungs- ansätze umfassend dargestellt werden. Vielmehr ist das Ziel, aufzuzeigen, inwiefern die für die Entstehung der Grünen entwickelten Erklärungsansätze und -perspektiven auf die Entstehung der Linken anwendbar sind, sowie wo Gemeinsamkeiten und Unter-schiede liegen.
Zunächst liegt der Fokus daher auf der Entstehung der Grünen, die Ende der 1970er bzw. Anfang der 1980er Jahre Einzug in die bundesdeutsche Politik hielten. Zur Erklärung ihres Aukommens stehen mehrere Ansätze bereit, von denen einige bedeu-tende im ersten Teil der Arbeit vorgestellt werden. Dabei stehen strukturelle Erklä-rungsansätze sowie formal-institutionelle, teilweise eher fragmentarische Ansätze im Mittelpunkt. Zu Ersteren zählt die Cleavage-Theorie, der Ansatz der relativen Deprivation sowie der Milieu-Ansatz. Unter den formal-institutionellen Rahmenbedingungen wird hier auf die staatliche Parteienfinanzierung, die Bedeutung des Föderalismus, die Rolle von Landtags- und Europawahlen sowie auf das Wahlsystem eingegangen4.
Im Anschluss daran wird, nach einem kurzen Uberblick über die Entstehungsge-schichte der Linken, im zweiten Teil auf strukturelle und formal-institutionelle Erklä-rungsansätze zur Entstehung der Linken eingegangen, wobei die Untergliederung analog zum ersten Teil der Arbeit erfolgt.
Der dritte Teil der Arbeit dient dazu, die Erklärungsansätze zur Entstehung von Grünen und Linken auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu überprüfen.
Beendet wird die Arbeit schlieglich mit einem Fazit, in dem die gewonnenen Erkenntnisse nochmals zusammengefasst werden.
2 . Erklarungs ans atze zur Entstehung der Griinen
1983 gelang mit den Grünen erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs einer neu gegründeten Partei der Sprung in den Deutschen Bundestag. Nachdem Fragmentierung und Polarisierung des deutschen Parteiensystems in der Konsolidie-rungsphase der 1950er Jahre deutlich zurückgegangen waren, dominierten in den fol-genden zwei Jahrzehnten drei Parteien - Union, FDP und Sozialdemokraten - die Bonner Politik. Zeitweise vereinigten sie gar über 99 Prozent der Wählerstimmen auf sich (Niedermayer 2006: 113-115). Die Bundestagswahlen 1983 markieren daher mit dem Einzug der Grünen ins Bonner Parlament und einer damit einsetzenden Refragmentie-rung der Parteienlandschaft einen wichtigen Wendepunkt in der Entwicklung des deut-schen Parteiensystems.
Im folgenden Kapitel sollen unterschiedliche Ansätze der Parteienforschung vorgestellt werden, die versuchen, die Entstehung der Grünen zu erklären. Da für die in Kapitel 3 vergleichend betrachtete Entstehung der Linken insbesondere strukturelle sowie formal-institutionelle Erklärungsansätze als aussichtsreich angesehen werden, stehen diese nun im Mittelpunkt der Erläuterungen.
2 .1. Strukturelle Erklarungs ans atze
Als strukturelle Erklärungsansätze sollen hier jene gelten, welche die Ursachen für Veränderungen im Parteiensystem und die Entstehung neuer Parteien im Wesentli-chen im Wandel gesellschaftlicher und sozioökonomischer Strukturen sowie daran an-schliegend in sich verändernden Einstellungsmustern und Werthaltungen von Individu-en sehen. Prominenteste Vertreterin dieser strukturellen Perspektive dürfte die Clea-vage-Theorie sein, welche unter Kapitel 2.1.1. vorgestellt werden soll. Daran anschlie-send folgen in Kapitel 2.1.2. der Ansatz der relativen Deprivation nach Alber und Bür-klin sowie in Kapitel 2.1.3. der Milieu-Ansatz nach Veen.
2 .1.1. Der Clea vage-Ansatz
Eine - wenn nicht gar die bekannteste - Theorie zur Erklärung der Entstehung von Parteiensystemen bietet das Cleavage-Modell von Lipset/Rokkan. Nach Lipset/Rok- kan sind die westeuropäischen Parteiensysteme das Resultat spezifischer historischer Konstellationen. Durch drei gravierende gesellschaftliche, sozioökonomische und politi-sche Umwälzungen - die Reformation und den Dreigigjährigen Krieg, die nationale Revolution sowie die industrielle Revolution- entstanden vier prägende Cleavages5. Diese Cleavages, zu deutsch etwa Konflikt- oder Spaltungslinien, werden in der Regel mit den Begriffspaaren ZentrumIPeripherie, StaatIKirche, StadtlLand und ArbeitIKapital um-schrieben und treten in sämtlichen von Lipset/Rokkan betrachteten Ländern auf, je-doch jeweils in unterschiedlichen Konstellationen und unterschiedlich starker Ausprä-gung (Lipset/Rokkan 1967: 6, nach Ladner 2004: 58). Durch die Uberwindung der vier Schwellen6 der Legitimation, der Inkorporation, der Repräsentation sowie der Mehr-heitsherrschaft werden diese Cleavages in das politische System respektive das Partei-ensystem iibertragen. (Rokkan 1989: 342-385; Mielke 2001: 78-80, 91-92; Ladner 2004: 32-34)
Während diese Annahmen in der Politikwissenschaft wenig umstritten sind, herrscht Dissens iiber die ebenfalls von Lipset/Rokkan aufgestellte freezing-Hypothese (Ladner 2004: 56): ”[...T]he party systems of the 1960's reflect, with a few but signifi-cant exceptions, the cleavage structures of the 1920's." (Lipset/Rokkan 1967: 50, nach Ladner 2004: 56), so Lipset/Rokkan. Gerade die Annahme des Einfrierens der westeu-ropäischen Parteiensysteme wurde seit den 1970er Jahren - auch unter dem Eindruck der Entstehung neuer sozialer Bewegungen und neuer links-libertärer, griin-alternati-ver oder griiner7 Parteien wie den bundesdeutschen Griinen - vermehrt unter den Schlagworten Dealignment und Realignment8 diskutiert (Ladner 2004: 56-65).
Ingleharts Postmaterialismus-These bestreitet die fortdauernde Dominanz der von Lipset/Rokkan beschriebenen Cleavages. Während man, so Inglehart, traditionel- lerweise davon ausgeht, dass in einer industrialisierten Gesellschaft die politische Pola-risierung den sozialen Klassenkonflikt direkt widerspiegelt, sieht er eine neue Konflikt-linie, die „[...] diametral über der konventionellen Links-Rechts-Achse liegt." (Inglehart 1983: 140; vgl. auch Inglehart 1989: 90 ff; Inglehart 1998: 342-345). „Viele der umstrit-tensten Streitfragen und der wichtigsten politischen Gruppierungen liegen heutzutage auf einer Materialismus/Postmaterialismus-Dimension." (Inglehart 1983: 140). Der Ein-fluss der zentralen Cleavages ArbeitIKapital und StaatIKirche habe dagegen abge-nommen, so Ingelhart (Inglehart 1984: 29, 57ff, nach Müller 1999: 111; vgl. auch Ingle-hart 1998: 351-357, 370).
Abgeleitet aus Maslows Bedürfnispyramide sind für Inglehart im Falle einer Er-füllung materieller Versorgungs- und Sicherheitsinteressen (was für die Bundesrepublik in Zeiten des Wirtschaftswunders in den 1950er und 1960er Jahren angenommen wird) nicht-materielle Werte vorrangig, die insbesondere von jenen Generationen, welche in jenem materiellem Wohlstand aufwuchsen, verinnerlicht würden9 (Brandner 1982: 66; Inglehart 1983: 142; Inglehart 1998: 190-192). Hildebrandt/Dalton verwenden dafür das Begriffspaar der ,Alten Politik' (u.a. wirtschaftliche, soziale und militärische Sicher-heit) und der ,Neuen Politik' (u.a. Lebensqualität, Gleichberechtigung, Selbstverwirkli-chung) (Hildebrandt/Dalton 1977, nach Brandner 1982: 66).
Durch die erhöhte Bereitschaft zu politischem Handeln und die „Minderheiten-position der Postmaterialisten in einer von ,materialistischen' Zielsetzungen geprägten Politik" (Brandner 1982: 67) wird die Brücke von den sozialstrukturellen Bedingungen des Wertewandels zur politischen Handlungsebene geschlagen (Brandner 1982: 67). Inglehart sieht in den Problemstellungen der ,Neuen Politik' „[...] Schlüsselprobleme [...], die dieser Dimension [der PostmaterialismusIMaterialismus-Dimension] Gewicht geben, welche die Links-Rechts-Dimension derart überlagert, dag dies die Stabilität der etablierten politischen Verhältnisse bedroht." (Inglehart 1979: 505f, nach Müller 1999: 111). Die neue ,postmaterialistische Generation' habe die politische Agenda verändert, neue Themen eingebracht und neue politische Bewegungen und Parteien ins Leben gerufen (Inglehart 1998: 371).
Als Resultat des auf Ebene der Wähler einsetzenden Wertewandels kann also auf gesellschaftlicher und politischer respektive parteiensystemischer Ebene die Ent-stehung neuer sozialer Bewegungen und neuer Parteien wie der Grünen10 gesehen werden. „Die Grünen waren von Beginn an keine nur an okologischen Fragen interes-sierte Ein-Punkt-Partei, sondern eine ,Grün-alternative Parteiw, [...] die auf den The-menhaushalt der so genannten ,Neuen Politikw rekurriert [...]" (Poguntke/Schmitt 1990: 192), wohingegen sich die etablierten Parteien schwer taten, den neuen, postmateria-listischen Werten zu entsprechen (Langguth 1984: 38; Inglehart 1998: 369-371). Das sich auf Seiten der Bundesbürger entwickelnde Potenzial postmaterialistisch orientier-ter Wähler konnten die Grünen erfolgreich steigende Wahlergebnisse umsetzen, indem sie postmaterialistisch orientierte Wähler für sich gewinnen konnten. Deren Anteil war bei den Grünen überdurchschnittlich hoch (Poguntke 1993: 196).
2 .1. 2 . Der Ansatz der relativen Deprivation
Bereits Inglehart nutzt für seine These eines neuen PostmaterialismusIMateria-lismus-Cleavage die Ausführungen von Lipset/Rokkan als wichtigen Bezugspunkt. Selbi-ges gilt für den Ansatz der relativen Deprivation11, der die Grünen jedoch weniger als Ausdruck einer dauerhaften Modernisierungswelle sieht, sondern eher als kohorten-spezifisches und somit nur vorübergehendes Protestphänomen, hervorgerufen durch ein subjektives Gefühl der Benachteiligung unter ihren Anhängern.
Alber entwickelt zur Betrachtung der Entstehung der Grünen einen Analyse-rahmen ausgehend von Parsons postulierten drei revolutionären Brüchen im Moderni- sierungsprozess, der industriellen Revolution, der demokratischen Revolution sowie der Bildungsrevolution. Diese sieht Alber „[...] zumindest implizit [...] mit tiefgreifen-dem politischem Wandel in westlichen Gesellschaften" (Alber 1985: 212) verknupft, konkret der Forderung nach erweiterter Mitbestimmung, Solidaritat, Gemeinschaft o-der Dezentralisierung (ebd.: 212). Dem Wandel individueller Lebensstile und Werthal-tungen stellt Alber jedoch - aufbauend auf einer Re-Interpretation der Cleavages bei Lipset/Rokkan12 - die Persistenz der Bedeutung gesellschaftlicher Spannungslinien und sozial strukturierter Interessenlagen gegenuber (ebd.: 213). Demnach stellen die Gru-nen in erster Linie ein zeitlich begrenztes, kohortenspezifisches Protestphanomen auf-stiegsorientierter und hoch gebildeter, aber in ihren Mobilitats- und Aufstiegschancen blockierter Akademiker dar, die sich subjektiv schlechter gestellt fuhlen (ebd.: 218). Am Beispiel der Grunen versucht Alber, die Modernisierungshypothese im Sinne Parsons und die Hypothese der relativen Deprivation zu uberprufen und kommt im Ergebnis zu dem Schluss, „[...] dali wir die Grunen nicht als Manifestation der in der Parsons'schen Evolutionstheorie vorhergesagten langfristigen Folgen der Bildungsrevolution sehen sollten, sondern als Pro-dukt einer phasenspezifischen Makrokonstellation, in der die starke Ausdehnung der Bil-dungsbeteiligung sowohl mit einer demographischen Welle geburtenstarker Jahrgange wie mit Finanzierungsproblemen des Staatshaushaltes zusammentraf, die das Wachstum des tertiaren Sektors bremsten." (ebd.: 220-221)
Die Wahler der Grunen sind Albers Analysen zufolge durch eine groge Arbeits-marktferne gekennzeichnet und uberdurchschnittlich jung, gehoren jedoch nicht dem gebildeten neuen Mittelstand der Beamten, Angestellten und Freiberufler an. Die Kor-relation zwischen Bildungsstatus und parteipolitischer Praferenz zugunsten der Grunen sieht er zudem als Scheinkorrelation an, bedingt durch die Bildungsrevolution in junge-ren Altersjahrgangen (ebd.: 220). „Schlagwortartig lassen sich die Grunen demnach e-her als Partei frustrierter akademischer Plebejer charakterisieren denn als Organisation gebildeter neuer Fuhrungsschichten der Post-Industrialisierungsphase" (ebd.: 220).
Die daraus zu ziehende Folgerung, die Grunen seien schon aufgrund demogra-phischer Wandlungen nur ein vorubergehendes Phanomen, schrankt Alber jedoch mit dem Hinweis auf die eigenstandige Mobilisierungskraft organisatorisch konsolidierter Parteien ein (ebd.: 222). Eine Partei kinne „[...] zu einem eigenstandigen Agenten sozi-aler Mobilisierung werden, die soziale Bedingungen nicht nur reflektiert, sondern aktiv mitgestaltet." (ebd.: 222). Dies hange jedoch „[...] weitgehend vom Taktieren ihrer po-litischen Fuhrung ab." (ebd.: 225). Als besonders gunstige Kontextbedingungen fur die Transformation neuer Spaltungslinien in das Parteiensystem bzw. Parteineugrundungen sieht Alber im Falle der Grunen als „Spielart der neuen Linken" (ebd. 223) eine hohe Brisanz des alten Klassenkonflikts, eine schwache Links-Rechts-Polarisierung unter den etablierten Parteien sowie die Regierungsbeteiligung traditioneller Linksparteien bzw. sozialdemokratischer Parteien (ebd.: 223-224).
Eine ahnliche Position wie Alber vertritt Burklin. Er charakterisiert die WMler der Grunen als uberdurchschnittlich jung und hoch gebildet und sieht sie durch ein niedriges Niveau sozialer Integration gekennzeichnet (Burklin 1987: 109, 111-112). Re-sultat der Bildungsoffensive in der Bundesrepublik gepaart mit okonomischen Schwie-rigkeiten sei eine wachsende Zahl junger Akademiker, die in den Arbeitsmarkt nicht mehr integriert werden konnten (ebd.: 112-114). Deren mangelnde soziale Integration gehe zudem einher mit der Ablehnung bestehender Werthierarchien, der Entwicklung neuer Wertorientierungen und der Hinwendung zu den Grunen (ebd.: 120, 122).
Da Burklin eher der Lebenszyklus-Hypothese (der zufolge sich die WMler der Grunen - bei einer verbesserten Wirtschaftslage - mit steigendem Alter und zuneh-mender sozialer Integration in die traditionellen Cleavage-Muster einfugen) als der Generationenhypothese (der zufolge die sich entwickelnden, abweichenden Wertori-entierungen fur die gesamte Lebenszeit vorherrschen) anhangt, sieht er die zukunftige Entwicklung der Grunen kritisch (ebd.: 111). Sobald sich der Arbeitsmarkt wieder ent-spanne und die SPD zu fruheren programmatische Positionen zuruckkehre, wurden das Wahlerpotenzial der Grunen sowie ihre Wahlergebnisse sinken, wobei der SPD dafur der Spagat zwischen der ,alten Linken' und der ,neuen Linken' gelingen musse (ebd.: 124). „[...T]he future of the Greens will essentially depend on the ability of the Social Democrats to re-integrate the old an new left." (ebd.: 124)
[...]
1 In der vorliegenden Arbeit wird für die aus der Fusion von PDS und WASG hervorgegangene Partei „Die Linke“ i.d.R. die Kurzform „Linke“ verwendet. Zur Entstehung der Partei siehe auch Kapitel 3.1., S. 18.
2 Für die heutige Partei „Bündnis 90/Die Grünen“ wird i.d.R. die Bezeichnung „Grüne“ verwendet. Die Aus-führungen zu Erklärungsansätzen zur Entstehung der Grünen beziehen sich auf die Entstehung der west-deutschen Partei „Die Grünen“, gegründet 1980.
3 Im Bundestag bilden die Parteien CDU (Christlich-Demokratische Union) und CSU (Christlich-Soziale Union) eine Fraktionsgemeinschaft. Während sich die CSU auf Bayern beschränkt, tritt die CDU im restli-chen Bundesgebiet zu Wahlen an. In der vorliegenden Arbeit werden die beiden Parteien i.d.R. als eine Partei behandelt, für die die Bezeichnung „Union“ verwendet wird.
4 Weitere informell-institutionelle Ansätze, akteurzentrierte und politisch-kulturelle sowie historische Ansät-ze können im Rahmen der Arbeit nicht dargestellt werden. Siehe dazu und zur Klassifikation und Typologi-sierung von Erklärungsansätzen für die Entstehung der Grünen: Jäger 2000.
5 Franklin definiert Cleavages wie folgt: „(...) cleavages are basically seen as reflecting broadly based and longstanding social and economic divisions within society, and the cleavage structure is thought of in terms of social groups and the loyalties of members to their social groups.“ (Franklin 1992: S. 4, nach Müller 1999: S. 82)
6 Vgl. dazu ausführlicher: Rokkan 2000: 356-360.
7 Nach Poguntke werden die deutschen Grünen als „Teil einer international zunehmend erfolgreichen neu-
en Parteienfamilie begriffen, die - weitgehend synonym - mit folgenden Bezeichnungen versehen wird:
- Partei ,neuen Typs!;
- Grün-Alternative Partei (New Politics Party);
- Links-Libertäre Partei;
- Bewegungspartei.“ (Poguntke 1993: 206)
8 Zu Dealignment und Realignment vgl. ausführlicher u.a. Müller 1999: 103-136.
9 Inglehart geht dabei von zwei Grundhypothesen aus: „1. Einer Mangelhypothese. Die Prioritäten eines Individuums reflektieren die sozioökonomische Umwelt: man legt den größten subjektiven Wert auf solche Dinge, die relativ knapp sind. 2. Einer Sozialisationshypothese. Das Verhältnis zwischen der sozioökono-mischen Umwelt und den Wertprioritäten ist keines der unmittelbaren Anpassung: es kommt zu einer er-heblichen Zeitverschiebung, weil die Grundwerte eines Individuums weitgehend die Bedingungen wider-spiegeln, die in seinen Jugendjahren vorherrschten.“ (Inglehart 1998: 191)
10 Zu den Wurzeln der Grünen in den neuen sozialen Bewegungen siehe u.a.: Hoffmann 1998; Poguntke 1993; Raschke 1993; Roth 1985; Schulte 1984; Veen/Hoffmann 1992; Weinberger 1984.
11 Güttler definiert relative Deprivation aus sozialpsychologischer Perspektive wie folgt: "Von relativer Deprivation spricht man, wenn über soziale Vergleichsprozesse in einer Referenzgruppe ein Individuum feststellt, dass es hinsichtlich seiner Erwartungen und Wünsche benachteiligt, unzufrieden oder enttäuscht ist. Noch allgemeiner formuliert: Zwischen Erwartungen und M6glichkeiten zur Wunschbefriedigung, oder zwischen dem was man hat und dem, worauf man glaubt einen berechtigten Anspruch zu haben, wird subjektiv eine Diskrepanz wahrgenommen, die zu dysfunktionalen Gefühlen der Unzufriedenheit oder des Ressentiments gegen andere führt. Nicht objektive oder strukturelle Diskrepanzen (z.B. soziale Ungleich-heit, soziale Spannung, Statusunterschiede oder 6konomische Unterschiede in der Ressourcenverteilung), sondern subjektiv wahrgenommene bzw. eingeschätzte Diskrepanzen erzeugen eine relative Deprivation respektive eine soziale, politische oder 6konomische Unzufriedenheit." (Güttler 2003: 171)
12 Im Sinne der Weberschen Herrschaftssoziologie formuliert Alber vier analystische Dimensionen der Cleavages bei Lipset/Rokkan: (1) Dimension der Besitzklassen (bei Rokkan/Lipset: primärer Sektor|se-kundärer Sektor bzw. Land|Stadt), (2) Dimension der Erwerbsklassen (Arbeit|Kapital bzw. Arbeiter|Unter-nehmer), (3) Dimension des Machtkampfes zw. staatlicher Legitimität und infrage stellender Verbands-macht (Staat|Kirche), (4) Dimension der Herrschaftsbeziehungen zw. regierenden Eliten und beherrschter Bevölkerung (Zentrum|Peripherie). (Alber 1985: 213-214)
- Citar trabajo
- Philipp Pechmann (Autor), 2009, Die Entstehung der Grünen und der Linken in Deutschland im Vergleich, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/138479
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